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Böttner, Konrad: I. N. J. Der Nach Gottes Willen seelig entschlaffenen Gott und Tugend ergebenen Jungfer. Lauban, [1733].

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So wunderbar ist GOttes Rath,
Er häufft und mehrt der Menschen Leiden,
Und pflegt der Hoffnung schönstes Drath
Auch in der Helffte durchzuschneiden;
Er schließt das Auge gleichsam zu,
Und prüft uns, ob wir auch in Ruh
Und Demuth seine Hände küssen,
Als die, wie fremd es immer scheint,
Doch, wenn das Auge gnug geweint,
Es wohl und gut zu machen wissen.
Die sinnliche Vernunfft versteht
Zwar nicht des Himmels Gäng und Wege;
Wenn sich ein jäher Sturm erhöht,
Wird Zärtlichkeit und Murren rege.
Der Jahre halb verlaufne Uhr,
Die kaum gezogne Lebens-Schnur,
Die Hoffnung in der besten Blüthe,
Entzwey, zerstückt, erstorben sehn,
Macht, weil wir nicht den Zweck verstehn,
Leicht einen Aufruhr im Gemüthe.
Jedoch des Lebens Köstlichkeit
Jst an den Ziffern nicht zu kennen;
Man kan ein langes Maaß der Zeit
Ein Glück, doch nicht das gröste nennen.
Ein Schiff lauft aus dem Sturme nie
Jn den gefundnen Port zu früh:
Das Leben tugendhaffter Seelen
Jst bey der allerkürtzsten Frist,
Bloß, weil es wohl geendet ist,
Zum längsten Lebens-Lauf zu zehlen.
Wie-
So wunderbar iſt GOttes Rath,
Er haͤufft und mehrt der Menſchen Leiden,
Und pflegt der Hoffnung ſchoͤnſtes Drath
Auch in der Helffte durchzuſchneiden;
Er ſchließt das Auge gleichſam zu,
Und pruͤft uns, ob wir auch in Ruh
Und Demuth ſeine Haͤnde kuͤſſen,
Als die, wie fremd es immer ſcheint,
Doch, wenn das Auge gnug geweint,
Es wohl und gut zu machen wiſſen.
Die ſinnliche Vernunfft verſteht
Zwar nicht des Himmels Gaͤng und Wege;
Wenn ſich ein jaͤher Sturm erhoͤht,
Wird Zaͤrtlichkeit und Murren rege.
Der Jahre halb verlaufne Uhr,
Die kaum gezogne Lebens-Schnur,
Die Hoffnung in der beſten Bluͤthe,
Entzwey, zerſtuͤckt, erſtorben ſehn,
Macht, weil wir nicht den Zweck verſtehn,
Leicht einen Aufruhr im Gemuͤthe.
Jedoch des Lebens Koͤſtlichkeit
Jſt an den Ziffern nicht zu kennen;
Man kan ein langes Maaß der Zeit
Ein Gluͤck, doch nicht das groͤſte nennen.
Ein Schiff lauft aus dem Sturme nie
Jn den gefundnen Port zu fruͤh:
Das Leben tugendhaffter Seelen
Jſt bey der allerkuͤrtzſten Friſt,
Bloß, weil es wohl geendet iſt,
Zum laͤngſten Lebens-Lauf zu zehlen.
Wie-
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[[47]/0047] So wunderbar iſt GOttes Rath, Er haͤufft und mehrt der Menſchen Leiden, Und pflegt der Hoffnung ſchoͤnſtes Drath Auch in der Helffte durchzuſchneiden; Er ſchließt das Auge gleichſam zu, Und pruͤft uns, ob wir auch in Ruh Und Demuth ſeine Haͤnde kuͤſſen, Als die, wie fremd es immer ſcheint, Doch, wenn das Auge gnug geweint, Es wohl und gut zu machen wiſſen. Die ſinnliche Vernunfft verſteht Zwar nicht des Himmels Gaͤng und Wege; Wenn ſich ein jaͤher Sturm erhoͤht, Wird Zaͤrtlichkeit und Murren rege. Der Jahre halb verlaufne Uhr, Die kaum gezogne Lebens-Schnur, Die Hoffnung in der beſten Bluͤthe, Entzwey, zerſtuͤckt, erſtorben ſehn, Macht, weil wir nicht den Zweck verſtehn, Leicht einen Aufruhr im Gemuͤthe. Jedoch des Lebens Koͤſtlichkeit Jſt an den Ziffern nicht zu kennen; Man kan ein langes Maaß der Zeit Ein Gluͤck, doch nicht das groͤſte nennen. Ein Schiff lauft aus dem Sturme nie Jn den gefundnen Port zu fruͤh: Das Leben tugendhaffter Seelen Jſt bey der allerkuͤrtzſten Friſt, Bloß, weil es wohl geendet iſt, Zum laͤngſten Lebens-Lauf zu zehlen. Wie-

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Zitationshilfe: Böttner, Konrad: I. N. J. Der Nach Gottes Willen seelig entschlaffenen Gott und Tugend ergebenen Jungfer. Lauban, [1733], S. [47]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/542451/47>, abgerufen am 28.03.2024.