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Böttner, Konrad: Leichen- und Gedächtniß-Rede. Lauban, 1740.

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Der Seelige hatte nicht Erscheinungen, wie Petrus;
Er hatte inzwischen Vermuthungen. Es brach an Jhm aus
grosses Abnehmen, wie an dem Abraham. Er merckte, GOtt
eyle mit ihm aus der Unruhe in die Ruhe. Desto unermüde-
ter verrichtete Er, was dem Beruffe, den Er hatte, gemäß
war. Er dachte und bedachte, der dürffe sich nicht schä-
men zu sterben, der sichs hier habe lassen sauer werden, mit
dem, was uns GOtt abfordert, und was dem Nahmen GOt-
tes zur Verherrlichung dienet, geschäftig zu seyn.

Wer immer bedenckt, es könne sich fügen, daß er vor
Abends noch zur Leiche werde, dem ist es zu der nachdrück-
lichsten Erweckung. Er spricht: Jch will thun, was mir be-
fohlen ist, ich möchte bald auf und davon müssen. Spräche
GOtt: Auf und darvon! wäre aber ungethan geblieben, was
ich hätte sollen, es würde mich reuen, ich würde GOttes
Zorn zum Lohne haben.

Die Sünde wird eine Last in der Schrifft genennet.
Dem Gottlosen ist sie nicht zur Last; es ist, ob lecke er Zu-
cker, hats mit dem und dem Frevel den Fortgang. Wer
aber die Gnade GOttes hochachtet, erschrickt vor sich selber.
Ach, spricht er: Sünde! Sünde! wer nur die Otter nicht
im Busen hätte! Die Sünde ist es, die GOtt nöthiget, daß
er sich in einen Grausamen verwandeln muß. Der andäch-
tige Scriver sagt in dem Siech- und Siegs-Bette: Jch
lese mit Verwunderung, daß sich Hiob einem Blatte ver-
glichen hat. Der Wind wehet und verwehet das Blatt. Man
kan nun nicht sagen, welcher Stamm es ist, auf dem das
Blatt sich zuvor befunden hat. Man muß sich verbergen in
Grufft und Klufft; nach und nach wird unser vergessen; nach
und nach wird derer vergessen, aus derer Fleische wir ent-
sprossen sind. Stelle dir je und je vor, als müssest du nach

wenig
B

Der Seelige hatte nicht Erſcheinungen, wie Petrus;
Er hatte inzwiſchen Vermuthungen. Es brach an Jhm aus
groſſes Abnehmen, wie an dem Abraham. Er merckte, GOtt
eyle mit ihm aus der Unruhe in die Ruhe. Deſto unermuͤde-
ter verrichtete Er, was dem Beruffe, den Er hatte, gemaͤß
war. Er dachte und bedachte, der duͤrffe ſich nicht ſchaͤ-
men zu ſterben, der ſichs hier habe laſſen ſauer werden, mit
dem, was uns GOtt abfordert, und was dem Nahmen GOt-
tes zur Verherrlichung dienet, geſchaͤftig zu ſeyn.

Wer immer bedenckt, es koͤnne ſich fuͤgen, daß er vor
Abends noch zur Leiche werde, dem iſt es zu der nachdruͤck-
lichſten Erweckung. Er ſpricht: Jch will thun, was mir be-
fohlen iſt, ich moͤchte bald auf und davon muͤſſen. Spraͤche
GOtt: Auf und darvon! waͤre aber ungethan geblieben, was
ich haͤtte ſollen, es wuͤrde mich reuen, ich wuͤrde GOttes
Zorn zum Lohne haben.

Die Suͤnde wird eine Laſt in der Schrifft genennet.
Dem Gottloſen iſt ſie nicht zur Laſt; es iſt, ob lecke er Zu-
cker, hats mit dem und dem Frevel den Fortgang. Wer
aber die Gnade GOttes hochachtet, erſchrickt vor ſich ſelber.
Ach, ſpricht er: Suͤnde! Suͤnde! wer nur die Otter nicht
im Buſen haͤtte! Die Suͤnde iſt es, die GOtt noͤthiget, daß
er ſich in einen Grauſamen verwandeln muß. Der andaͤch-
tige Scriver ſagt in dem Siech- und Siegs-Bette: Jch
leſe mit Verwunderung, daß ſich Hiob einem Blatte ver-
glichen hat. Der Wind wehet und verwehet das Blatt. Man
kan nun nicht ſagen, welcher Stamm es iſt, auf dem das
Blatt ſich zuvor befunden hat. Man muß ſich verbergen in
Grufft und Klufft; nach und nach wird unſer vergeſſen; nach
und nach wird derer vergeſſen, aus derer Fleiſche wir ent-
ſproſſen ſind. Stelle dir je und je vor, als muͤſſeſt du nach

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B
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[9/0010] Der Seelige hatte nicht Erſcheinungen, wie Petrus; Er hatte inzwiſchen Vermuthungen. Es brach an Jhm aus groſſes Abnehmen, wie an dem Abraham. Er merckte, GOtt eyle mit ihm aus der Unruhe in die Ruhe. Deſto unermuͤde- ter verrichtete Er, was dem Beruffe, den Er hatte, gemaͤß war. Er dachte und bedachte, der duͤrffe ſich nicht ſchaͤ- men zu ſterben, der ſichs hier habe laſſen ſauer werden, mit dem, was uns GOtt abfordert, und was dem Nahmen GOt- tes zur Verherrlichung dienet, geſchaͤftig zu ſeyn. Wer immer bedenckt, es koͤnne ſich fuͤgen, daß er vor Abends noch zur Leiche werde, dem iſt es zu der nachdruͤck- lichſten Erweckung. Er ſpricht: Jch will thun, was mir be- fohlen iſt, ich moͤchte bald auf und davon muͤſſen. Spraͤche GOtt: Auf und darvon! waͤre aber ungethan geblieben, was ich haͤtte ſollen, es wuͤrde mich reuen, ich wuͤrde GOttes Zorn zum Lohne haben. Die Suͤnde wird eine Laſt in der Schrifft genennet. Dem Gottloſen iſt ſie nicht zur Laſt; es iſt, ob lecke er Zu- cker, hats mit dem und dem Frevel den Fortgang. Wer aber die Gnade GOttes hochachtet, erſchrickt vor ſich ſelber. Ach, ſpricht er: Suͤnde! Suͤnde! wer nur die Otter nicht im Buſen haͤtte! Die Suͤnde iſt es, die GOtt noͤthiget, daß er ſich in einen Grauſamen verwandeln muß. Der andaͤch- tige Scriver ſagt in dem Siech- und Siegs-Bette: Jch leſe mit Verwunderung, daß ſich Hiob einem Blatte ver- glichen hat. Der Wind wehet und verwehet das Blatt. Man kan nun nicht ſagen, welcher Stamm es iſt, auf dem das Blatt ſich zuvor befunden hat. Man muß ſich verbergen in Grufft und Klufft; nach und nach wird unſer vergeſſen; nach und nach wird derer vergeſſen, aus derer Fleiſche wir ent- ſproſſen ſind. Stelle dir je und je vor, als muͤſſeſt du nach wenig B

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Zitationshilfe: Böttner, Konrad: Leichen- und Gedächtniß-Rede. Lauban, 1740, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/508578/10>, abgerufen am 19.04.2024.