Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seiler, Tobias: De praefixo vitae termino. [Görlitz], 1635.

Bild:
<< vorherige Seite

hat/ locum apparentem, & locum verum, einen Ort/ da er
zu stehen scheinet/ vnd einen/ da er warhafftig stehet.
Also hat auch der Mensch seines Lebens zweyerley termi-
nos
oder Ziele.

1.
Termin
apparens.

Der erste ist Terminus apparens, ein schein Ziel. Vnd
dieses kömpt her ex angulo naturae, wenn Er die natür-
lichen vrsachen/ als gutte starcke Gliedmassen/ Artzney/
vnd anders ansehen/ oder ex angulo gratiae & irae, wenn wir
die allgemeinen verheissungen oder dräwungen Gottes
ansehen. Dieses Ziel kan nun wol verrücket werden/ wie-
wol es offte nicht verrücket wird. Zum Exempel: GOtt
wolte die Niniviter vertilgen Jon: 1. Er wolte Mosen/
Aaronem Exod: 4. vnd Hißkiam Esai: 38. tödten. Das
war terminus apparens, das schein Ziel. Denn GOtt der
HErr hatte jhme vorbehalten; wofern sie würden ware
ernste Busse thun/ vnd sich von Hertzen zu GOtt bekeh-
ren: so wolte Er sie nicht tödten vnd vertilgen; vnd weil
auch jhre Busse erfolgete/ ward jhr Ziel verrücket. Her-
gegen aber sagte GOtt der HERR/ Er wolte Davids
Söhnlein tödten/ daß er mit der Bethseba gezeuget hat-
te/ vnd nicht beym leben lassen: das war auch terminus
apparens,
ein schein Ziel/ Es war aber nicht verrücket.
Denn GOtt hatte es ohn alles bedinge also berathschla-
get vnd beschlossen 2. Sam: 12.

2.
Termin
verus.

Der ander ist Terminus verus, das rechte warhaffti-
ge Ziel/ das bleibet allezeit vnverrücket/ vnd kömpt doch
auch offte mit dem vorigen über ein: Alleine dieses hat
vns GOtt verborgen/ vnd wil nur daß wir vns nach dem
ersten richten sollen. Ist jemand damit nicht zu frieden/
vnd wil klüger sein als GOtt/ der wird in seinen eitelen
gedancken zu schanden werden. Wenn nun ein Christli-
ches Hertze das bedencket; das es eine solche gelegenheit
vnd beschasfenheit mit seinem lebens Ziel hat: so braucht
er diese bescheidenheit/ vnd spricht: Nun mein lieber

Gott;

hat/ locum apparentem, & locum verum, einen Ort/ da er
zu ſtehen ſcheinet/ vnd einen/ da er warhafftig ſtehet.
Alſo hat auch der Menſch ſeines Lebens zweyerley termi-
nos
oder Ziele.

1.
Terminꝰ
apparens.

Der erſte iſt Terminus apparens, ein ſchein Ziel. Vnd
dieſes koͤmpt her ex angulo naturæ, wenn Er die natuͤr-
lichen vrſachen/ als gutte ſtarcke Gliedmaſſen/ Artzney/
vnd anders anſehen/ oder ex angulo gratiæ & iræ, wenn wir
die allgemeinen verheiſſungen oder draͤwungen Gottes
anſehen. Dieſes Ziel kan nun wol verruͤcket werden/ wie-
wol es offte nicht verruͤcket wird. Zum Exempel: GOtt
wolte die Niniviter vertilgen Jon: 1. Er wolte Moſen/
Aaronem Exod: 4. vnd Hißkiam Eſai: 38. toͤdten. Das
war terminus apparens, das ſchein Ziel. Denn GOtt der
HErr hatte jhme vorbehalten; wofern ſie wuͤrden ware
ernſte Buſſe thun/ vnd ſich von Hertzen zu GOtt bekeh-
ren: ſo wolte Er ſie nicht toͤdten vnd vertilgen; vnd weil
auch jhre Buſſe erfolgete/ ward jhr Ziel verruͤcket. Her-
gegen aber ſagte GOtt der HERR/ Er wolte Davids
Soͤhnlein toͤdten/ daß er mit der Bethſeba gezeuget hat-
te/ vnd nicht beym leben laſſen: das war auch terminus
apparens,
ein ſchein Ziel/ Es war aber nicht verruͤcket.
Denn GOtt hatte es ohn alles bedinge alſo berathſchla-
get vnd beſchloſſen 2. Sam: 12.

2.
Terminꝰ
verus.

Der ander iſt Terminus verus, das rechte warhaffti-
ge Ziel/ das bleibet allezeit vnverruͤcket/ vnd koͤmpt doch
auch offte mit dem vorigen uͤber ein: Alleine dieſes hat
vns GOtt verborgen/ vnd wil nur daß wir vns nach dem
erſten richten ſollen. Iſt jemand damit nicht zu frieden/
vnd wil kluͤger ſein als GOtt/ der wird in ſeinen eitelen
gedancken zu ſchanden werden. Wenn nun ein Chriſtli-
ches Hertze das bedencket; das es eine ſolche gelegenheit
vnd beſchaſfenheit mit ſeinem lebens Ziel hat: ſo braucht
er dieſe beſcheidenheit/ vnd ſpricht: Nun mein lieber

Gott;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="fsSermon" n="1">
        <div type="fsMainPart" n="2">
          <div n="3">
            <div n="3">
              <p><pb facs="#f0020"/>
hat/ <hi rendition="#aq">locum apparentem, &amp; locum verum,</hi> einen Ort/ da er<lb/>
zu &#x017F;tehen &#x017F;cheinet/ vnd einen/ da er warhafftig &#x017F;tehet.<lb/>
Al&#x017F;o hat auch der Men&#x017F;ch &#x017F;eines Lebens zweyerley <hi rendition="#aq">termi-<lb/>
nos</hi> oder Ziele.</p><lb/>
              <note place="left">1.<lb/><hi rendition="#aq">Termin&#xA770;<lb/>
apparens.</hi></note>
              <p>Der er&#x017F;te i&#x017F;t <hi rendition="#aq">Terminus apparens,</hi> ein &#x017F;chein Ziel. Vnd<lb/>
die&#x017F;es ko&#x0364;mpt her <hi rendition="#aq">ex angulo naturæ,</hi> wenn Er die natu&#x0364;r-<lb/>
lichen vr&#x017F;achen/ als gutte &#x017F;tarcke Gliedma&#x017F;&#x017F;en/ Artzney/<lb/>
vnd anders an&#x017F;ehen/ oder <hi rendition="#aq">ex angulo gratiæ &amp; iræ,</hi> wenn wir<lb/>
die allgemeinen verhei&#x017F;&#x017F;ungen oder dra&#x0364;wungen Gottes<lb/>
an&#x017F;ehen. Die&#x017F;es Ziel kan nun wol verru&#x0364;cket werden/ wie-<lb/>
wol es offte nicht verru&#x0364;cket wird. Zum Exempel: GOtt<lb/>
wolte die Niniviter vertilgen <hi rendition="#aq">Jon</hi>: 1. Er wolte Mo&#x017F;en/<lb/>
Aaronem <hi rendition="#aq">Exod</hi>: 4. vnd Hißkiam <hi rendition="#aq">E&#x017F;ai</hi>: 38. to&#x0364;dten. Das<lb/>
war <hi rendition="#aq">terminus apparens,</hi> das &#x017F;chein Ziel. Denn GOtt der<lb/>
HErr hatte jhme vorbehalten; wofern &#x017F;ie wu&#x0364;rden ware<lb/>
ern&#x017F;te Bu&#x017F;&#x017F;e thun/ vnd &#x017F;ich von Hertzen zu GOtt bekeh-<lb/>
ren: &#x017F;o wolte Er &#x017F;ie nicht to&#x0364;dten vnd vertilgen; vnd weil<lb/>
auch jhre Bu&#x017F;&#x017F;e erfolgete/ ward jhr Ziel verru&#x0364;cket. Her-<lb/>
gegen aber &#x017F;agte GOtt der HERR/ Er wolte Davids<lb/>
So&#x0364;hnlein to&#x0364;dten/ daß er mit der Beth&#x017F;eba gezeuget hat-<lb/>
te/ vnd nicht beym leben la&#x017F;&#x017F;en: das war auch <hi rendition="#aq">terminus<lb/>
apparens,</hi> ein &#x017F;chein Ziel/ Es war aber nicht verru&#x0364;cket.<lb/>
Denn GOtt hatte es ohn alles bedinge al&#x017F;o berath&#x017F;chla-<lb/>
get vnd be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en 2. <hi rendition="#aq">Sam</hi>: 12.</p><lb/>
              <note place="left">2.<lb/><hi rendition="#aq">Termin&#xA770;<lb/>
verus.</hi></note>
              <p>Der ander i&#x017F;t <hi rendition="#aq">Terminus verus,</hi> das rechte warhaffti-<lb/>
ge Ziel/ das bleibet allezeit vnverru&#x0364;cket/ vnd ko&#x0364;mpt doch<lb/>
auch offte mit dem vorigen u&#x0364;ber ein: Alleine die&#x017F;es hat<lb/>
vns GOtt verborgen/ vnd wil nur daß wir vns nach dem<lb/>
er&#x017F;ten richten &#x017F;ollen. I&#x017F;t jemand damit nicht zu frieden/<lb/>
vnd wil klu&#x0364;ger &#x017F;ein als GOtt/ der wird in &#x017F;einen eitelen<lb/>
gedancken zu &#x017F;chanden werden. Wenn nun ein Chri&#x017F;tli-<lb/>
ches Hertze das bedencket; das es eine &#x017F;olche gelegenheit<lb/>
vnd be&#x017F;cha&#x017F;fenheit mit &#x017F;einem lebens Ziel hat: &#x017F;o braucht<lb/>
er die&#x017F;e be&#x017F;cheidenheit/ vnd &#x017F;pricht: Nun mein lieber<lb/>
<fw type="catch" place="bottom">Gott;</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] hat/ locum apparentem, & locum verum, einen Ort/ da er zu ſtehen ſcheinet/ vnd einen/ da er warhafftig ſtehet. Alſo hat auch der Menſch ſeines Lebens zweyerley termi- nos oder Ziele. Der erſte iſt Terminus apparens, ein ſchein Ziel. Vnd dieſes koͤmpt her ex angulo naturæ, wenn Er die natuͤr- lichen vrſachen/ als gutte ſtarcke Gliedmaſſen/ Artzney/ vnd anders anſehen/ oder ex angulo gratiæ & iræ, wenn wir die allgemeinen verheiſſungen oder draͤwungen Gottes anſehen. Dieſes Ziel kan nun wol verruͤcket werden/ wie- wol es offte nicht verruͤcket wird. Zum Exempel: GOtt wolte die Niniviter vertilgen Jon: 1. Er wolte Moſen/ Aaronem Exod: 4. vnd Hißkiam Eſai: 38. toͤdten. Das war terminus apparens, das ſchein Ziel. Denn GOtt der HErr hatte jhme vorbehalten; wofern ſie wuͤrden ware ernſte Buſſe thun/ vnd ſich von Hertzen zu GOtt bekeh- ren: ſo wolte Er ſie nicht toͤdten vnd vertilgen; vnd weil auch jhre Buſſe erfolgete/ ward jhr Ziel verruͤcket. Her- gegen aber ſagte GOtt der HERR/ Er wolte Davids Soͤhnlein toͤdten/ daß er mit der Bethſeba gezeuget hat- te/ vnd nicht beym leben laſſen: das war auch terminus apparens, ein ſchein Ziel/ Es war aber nicht verruͤcket. Denn GOtt hatte es ohn alles bedinge alſo berathſchla- get vnd beſchloſſen 2. Sam: 12. Der ander iſt Terminus verus, das rechte warhaffti- ge Ziel/ das bleibet allezeit vnverruͤcket/ vnd koͤmpt doch auch offte mit dem vorigen uͤber ein: Alleine dieſes hat vns GOtt verborgen/ vnd wil nur daß wir vns nach dem erſten richten ſollen. Iſt jemand damit nicht zu frieden/ vnd wil kluͤger ſein als GOtt/ der wird in ſeinen eitelen gedancken zu ſchanden werden. Wenn nun ein Chriſtli- ches Hertze das bedencket; das es eine ſolche gelegenheit vnd beſchaſfenheit mit ſeinem lebens Ziel hat: ſo braucht er dieſe beſcheidenheit/ vnd ſpricht: Nun mein lieber Gott;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/386414
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/386414/20
Zitationshilfe: Seiler, Tobias: De praefixo vitae termino. [Görlitz], 1635, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/386414/20>, abgerufen am 29.03.2024.