Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Henel, Christoph: Die itzt abfallende und wandernde Blätter Als Ein Bilde des Lebens und Außganges. Schlichtingsheim, [1692].

Bild:
<< vorherige Seite

und wandernde Blätter.
P. 2. Orat. 16 p. 216. gedencken:) Ob sie hernach auch so lange
stünden/ und die Bäume und Gärte/ darinn sie befindlich
noch so lange ziereten und schmücketen: So kommet doch end-
lich die Zeit/ daß sie wieder abfallen/ davon wandern/ und
nicht mehr seyn; Und man auch ihre Stätte nicht mehr ken-
net/ wo sie gewesen und gestanden haben. Und eben das
findet sich auch bey uns Menschen als andern vergänglichen
flüchtigen und nichtigen Blättern: Und sind wir so wenig
als jene von dem Rechte der Sterbligkeit/ des Abfallens und
Wanderns befreyet. Ja ich darff wohl sagen/ daß sichs eher
und mehr bey uns/ als bey jenen/ finde und statt habe. Denn
da es bey jenen noch seine gewisse und bestimmte Zeit hat/ wenn
es geschiehet; Und diese von den alten Deutschen im bekand-
ten Sprüchwort deutlich außgedruckt:

Nach dem Tage Galle/
Fallen die Blätter alle:

So hat es bey uns hergegen keine gewisse Zeit/ sondern eine
jede kan die letzte seyn/ darinnen es geschiehet. Wenn die
Sonne am Himmel untergehen und sich unserm Gesichte
entziehen soll/ das hat seine gewisse Zeit: Wenn die Blumen
welcken und dorren; Die Blätter von den Bäumen abstie-
ben und herab fallen werden/ dasselbe wissen wir auch; Denn
es geschiehet eher nicht/ als die von Natur bestimbte Zeit/
(welches bey den Blättern die Herbst-Zeit) heran nahet
und kommet. Alleine wenn es an den Menschen kommen
werde/ das ist/ wie gesagt/ uns allen unbewust; Und ist ein
jeder alle Stunde und Augenblicke reiff genung zu verdor-
ren/ abzufallen und dahin zu wandern. Und geschiehet je
gar offte/ daß den der Abend frisch und gesund zur Ruhe be-

gleitet/
E 2

und wandernde Blaͤtter.
P. 2. Orat. 16 p. 216. gedencken:) Ob ſie hernach auch ſo lange
ſtuͤnden/ und die Baͤume und Gaͤrte/ darinn ſie befindlich
noch ſo lange ziereten und ſchmuͤcketen: So kom̃et doch end-
lich die Zeit/ daß ſie wieder abfallen/ davon wandern/ und
nicht mehr ſeyn; Und man auch ihre Staͤtte nicht mehr ken-
net/ wo ſie geweſen und geſtanden haben. Und eben das
findet ſich auch bey uns Menſchen als andern vergaͤnglichen
fluͤchtigen und nichtigen Blaͤttern: Und ſind wir ſo wenig
als jene von dem Rechte deꝛ Sterbligkeit/ des Abfallens und
Wanderns befreyet. Ja ich darff wohl ſagen/ daß ſichs eher
und mehr bey uns/ als bey jenen/ finde und ſtatt habe. Deñ
da es bey jenen noch ſeine gewiſſe und beſtim̃te Zeit hat/ weñ
es geſchiehet; Und dieſe von den alten Deutſchen im bekand-
ten Spruͤchwort deutlich außgedruckt:

Nach dem Tage Galle/
Fallen die Blaͤtter alle:

So hat es bey uns hergegen keine gewiſſe Zeit/ ſondern eine
jede kan die letzte ſeyn/ darinnen es geſchiehet. Wenn die
Sonne am Himmel untergehen und ſich unſerm Geſichte
entziehen ſoll/ das hat ſeine gewiſſe Zeit: Weñ die Blumen
welcken und dorꝛen; Die Blaͤtter von den Baͤumen abſtie-
ben und herab fallen werden/ daſſelbe wiſſen wir auch; Deñ
es geſchiehet eher nicht/ als die von Natur beſtimbte Zeit/
(welches bey den Blaͤttern die Herbſt-Zeit) heran nahet
und kommet. Alleine wenn es an den Menſchen kommen
werde/ das iſt/ wie geſagt/ uns allen unbewuſt; Und iſt ein
jeder alle Stunde und Augenblicke reiff genung zu verdor-
ren/ abzufallen und dahin zu wandern. Und geſchiehet je
gar offte/ daß den der Abend friſch und geſund zur Ruhe be-

gleitet/
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="fsThanks" n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="35"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#b">und wandernde Bla&#x0364;tter.</hi></fw><lb/><hi rendition="#aq">P. 2. Orat. 16 p.</hi> 216. gedencken:) Ob &#x017F;ie hernach auch &#x017F;o lange<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;nden/ und die Ba&#x0364;ume und Ga&#x0364;rte/ darinn &#x017F;ie befindlich<lb/>
noch &#x017F;o lange ziereten und &#x017F;chmu&#x0364;cketen: So kom&#x0303;et doch end-<lb/>
lich die Zeit/ daß &#x017F;ie wieder abfallen/ davon wandern/ und<lb/>
nicht mehr &#x017F;eyn; Und man auch ihre Sta&#x0364;tte nicht mehr ken-<lb/>
net/ wo &#x017F;ie gewe&#x017F;en und ge&#x017F;tanden haben. Und eben das<lb/>
findet &#x017F;ich auch bey uns Men&#x017F;chen als andern verga&#x0364;nglichen<lb/>
flu&#x0364;chtigen und nichtigen Bla&#x0364;ttern: Und &#x017F;ind wir &#x017F;o wenig<lb/>
als jene von dem Rechte de&#xA75B; Sterbligkeit/ des Abfallens und<lb/>
Wanderns befreyet. Ja ich darff wohl &#x017F;agen/ daß &#x017F;ichs eher<lb/>
und mehr bey uns/ als bey jenen/ finde und &#x017F;tatt habe. Den&#x0303;<lb/>
da es bey jenen noch &#x017F;eine gewi&#x017F;&#x017F;e und be&#x017F;tim&#x0303;te Zeit hat/ wen&#x0303;<lb/>
es ge&#x017F;chiehet; Und die&#x017F;e von den alten Deut&#x017F;chen im bekand-<lb/>
ten Spru&#x0364;chwort deutlich außgedruckt:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l> <hi rendition="#fr">Nach dem Tage Galle/</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#fr">Fallen die Bla&#x0364;tter alle:</hi> </l>
        </lg><lb/>
        <p>So hat es bey uns hergegen keine gewi&#x017F;&#x017F;e Zeit/ &#x017F;ondern eine<lb/>
jede kan die letzte &#x017F;eyn/ darinnen es ge&#x017F;chiehet. Wenn die<lb/>
Sonne am Himmel untergehen und &#x017F;ich un&#x017F;erm Ge&#x017F;ichte<lb/>
entziehen &#x017F;oll/ das hat &#x017F;eine gewi&#x017F;&#x017F;e Zeit: Wen&#x0303; die Blumen<lb/>
welcken und dor&#xA75B;en; Die Bla&#x0364;tter von den Ba&#x0364;umen ab&#x017F;tie-<lb/>
ben und herab fallen werden/ da&#x017F;&#x017F;elbe wi&#x017F;&#x017F;en wir auch; Den&#x0303;<lb/>
es ge&#x017F;chiehet eher nicht/ als die von Natur be&#x017F;timbte Zeit/<lb/>
(welches bey den Bla&#x0364;ttern die Herb&#x017F;t-Zeit) heran nahet<lb/>
und kommet. Alleine wenn es an den Men&#x017F;chen kommen<lb/>
werde/ das i&#x017F;t/ wie ge&#x017F;agt/ uns allen unbewu&#x017F;t; Und i&#x017F;t ein<lb/>
jeder alle Stunde und Augenblicke reiff genung zu verdor-<lb/>
ren/ abzufallen und dahin zu wandern. Und ge&#x017F;chiehet je<lb/>
gar offte/ daß den der Abend fri&#x017F;ch und ge&#x017F;und zur Ruhe be-<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">E 2</fw><fw type="catch" place="bottom">gleitet/</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0035] und wandernde Blaͤtter. P. 2. Orat. 16 p. 216. gedencken:) Ob ſie hernach auch ſo lange ſtuͤnden/ und die Baͤume und Gaͤrte/ darinn ſie befindlich noch ſo lange ziereten und ſchmuͤcketen: So kom̃et doch end- lich die Zeit/ daß ſie wieder abfallen/ davon wandern/ und nicht mehr ſeyn; Und man auch ihre Staͤtte nicht mehr ken- net/ wo ſie geweſen und geſtanden haben. Und eben das findet ſich auch bey uns Menſchen als andern vergaͤnglichen fluͤchtigen und nichtigen Blaͤttern: Und ſind wir ſo wenig als jene von dem Rechte deꝛ Sterbligkeit/ des Abfallens und Wanderns befreyet. Ja ich darff wohl ſagen/ daß ſichs eher und mehr bey uns/ als bey jenen/ finde und ſtatt habe. Deñ da es bey jenen noch ſeine gewiſſe und beſtim̃te Zeit hat/ weñ es geſchiehet; Und dieſe von den alten Deutſchen im bekand- ten Spruͤchwort deutlich außgedruckt: Nach dem Tage Galle/ Fallen die Blaͤtter alle: So hat es bey uns hergegen keine gewiſſe Zeit/ ſondern eine jede kan die letzte ſeyn/ darinnen es geſchiehet. Wenn die Sonne am Himmel untergehen und ſich unſerm Geſichte entziehen ſoll/ das hat ſeine gewiſſe Zeit: Weñ die Blumen welcken und dorꝛen; Die Blaͤtter von den Baͤumen abſtie- ben und herab fallen werden/ daſſelbe wiſſen wir auch; Deñ es geſchiehet eher nicht/ als die von Natur beſtimbte Zeit/ (welches bey den Blaͤttern die Herbſt-Zeit) heran nahet und kommet. Alleine wenn es an den Menſchen kommen werde/ das iſt/ wie geſagt/ uns allen unbewuſt; Und iſt ein jeder alle Stunde und Augenblicke reiff genung zu verdor- ren/ abzufallen und dahin zu wandern. Und geſchiehet je gar offte/ daß den der Abend friſch und geſund zur Ruhe be- gleitet/ E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/359521
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/359521/35
Zitationshilfe: Henel, Christoph: Die itzt abfallende und wandernde Blätter Als Ein Bilde des Lebens und Außganges. Schlichtingsheim, [1692], S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/359521/35>, abgerufen am 24.04.2024.