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Hartman, Adam-Samuel: Das Lebendige Wasser. Lissa, 1684.

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Christliche Leich-Predigt.
Hiob vergleichet unser Leben einem Läuffer/ Esaias einem Grase/
David einer Blumen/ Johannes der Täuffer einem Baume.
Wer weiß aber/ ob der Läuffer diese Nacht seine Herberge errei-
chen/ oder wie Jacob unterweges im Felde einschlaffen wird? Ob
das Graß verdorren oder vom Viehe zutreten und gefressen wird?
Ob die Blume verwelcken/ oder von gewaltsamer Hand abgebro-
chen wird? Ob der Baum vermodern/ oder von der Axt abgeha-
wen und gefället wird? Doch: Qvacunq; morte praeoccupa-
tus fuerit Justus, semper in refrigerio est.
Der Gerechte (er
sterbe wie er wolle) ob er gleich zeitlich stirbt/ ist er doch in der Ruhe/Sap. 4, 7.
spricht Philo im Büchlein der Weißheit am vierden Capittel.

Wir wissen nicht Locum, den Orth und Stelle/ wo wir wer-
den sterben? denn der Tod wartet unser überall. Rahel starb
auff dem Wege/ Jesebel auff der Gassen/ Jonathan im Streit.
Doch: Circulus aeqvaliter distat a puncto, der Circkel ist allent-
halben dem Mittelpuncte gleich nahe: Jst nun die Erde der Mit-
telpunct? Jhr Circkel aber der Himmel? Wohl dann! Einer sterbe
wo er wolle aufErden/ er hat allerwegen gleich nahe zum Himmel.

Wir wissen nicht Tempus, die Zeit/ wann wir sterben?
Alle Stunden und Augenblicke seynd wir reiff zum Tode. Das
Söhnlein Davids stirbt in der Kindheit/ der Sohn der Wit-
tib in der Jugend/ Barsyllay im hohen Alter. Wissen also nicht
des Todes Zeit noch Stunde. Doch: Es wuste eine Stunde
nicht/ auch selbst Christus/ als Menschen Sohn. Genung daß
Er Sie und alles wuste/ als Gottes Sohn. Ne ergo illam mo-
leste feramus ignorantiam qvae nobis cum Christo & Ange-
Bernh.
lis communis est. Die Unwissenheit soll uns nicht unangenehm
fallen/ die wir gemein haben mit Christo und seinen Engeln. Ne
inqviras prohibitum, ne perdas concessum. Tutum est ne-
scire qvod tegitur,
Es ist am sichersten nicht einst begehren zu-
wissen/ was GOtt verbirget/ und wer sich solches zu erforschen un-

ter-
A 2

Chriſtliche Leich-Predigt.
Hiob vergleichet unſer Leben einem Laͤuffer/ Eſaias einem Graſe/
David einer Blumen/ Johannes der Taͤuffer einem Baume.
Wer weiß aber/ ob der Laͤuffer dieſe Nacht ſeine Herberge errei-
chen/ oder wie Jacob unterweges im Felde einſchlaffen wird? Ob
das Graß verdorren oder vom Viehe zutreten und gefreſſen wird?
Ob die Blume verwelcken/ oder von gewaltſamer Hand abgebro-
chen wird? Ob der Baum vermodern/ oder von der Axt abgeha-
wen und gefaͤllet wird? Doch: Qvacunq́; morte præoccupa-
tus fuerit Juſtus, ſemper in refrigerio eſt.
Der Gerechte (er
ſterbe wie er wolle) ob er gleich zeitlich ſtirbt/ iſt er doch in der Ruhe/Sap. 4, 7.
ſpricht Philo im Buͤchlein der Weißheit am vierden Capittel.

Wir wiſſen nicht Locum, den Orth und Stelle/ wo wir wer-
den ſterben? denn der Tod wartet unſer uͤberall. Rahel ſtarb
auff dem Wege/ Jeſebel auff der Gaſſen/ Jonathan im Streit.
Doch: Circulus æqvaliter diſtat â puncto, der Circkel iſt allent-
halben dem Mittelpuncte gleich nahe: Jſt nun die Erde der Mit-
telpunct? Jhr Circkel aber der Himmel? Wohl dañ! Einer ſterbe
wo er wolle aufErden/ er hat allerwegen gleich nahe zum Himmel.

Wir wiſſen nicht Tempus, die Zeit/ wann wir ſterben?
Alle Stunden und Augenblicke ſeynd wir reiff zum Tode. Das
Soͤhnlein Davids ſtirbt in der Kindheit/ der Sohn der Wit-
tib in der Jugend/ Barſyllay im hohen Alter. Wiſſen alſo nicht
des Todes Zeit noch Stunde. Doch: Es wuſte eine Stunde
nicht/ auch ſelbſt Chriſtus/ als Menſchen Sohn. Genung daß
Er Sie und alles wuſte/ als Gottes Sohn. Ne ergo illam mo-
leſtè feramus ignorantiam qvæ nobis cum Chriſto & Ange-
Bernh.
lis communis eſt. Die Unwiſſenheit ſoll uns nicht unangenehm
fallen/ die wir gemein haben mit Chriſto und ſeinen Engeln. Ne
inqviras prohibitum, ne perdas conceſſum. Tutum eſt ne-
ſcire qvod tegitur,
Es iſt am ſicherſten nicht einſt begehren zu-
wiſſen/ was GOtt verbirget/ und wer ſich ſolches zu erforſchen un-

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A 2
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[3/0005] Chriſtliche Leich-Predigt. Hiob vergleichet unſer Leben einem Laͤuffer/ Eſaias einem Graſe/ David einer Blumen/ Johannes der Taͤuffer einem Baume. Wer weiß aber/ ob der Laͤuffer dieſe Nacht ſeine Herberge errei- chen/ oder wie Jacob unterweges im Felde einſchlaffen wird? Ob das Graß verdorren oder vom Viehe zutreten und gefreſſen wird? Ob die Blume verwelcken/ oder von gewaltſamer Hand abgebro- chen wird? Ob der Baum vermodern/ oder von der Axt abgeha- wen und gefaͤllet wird? Doch: Qvacunq́; morte præoccupa- tus fuerit Juſtus, ſemper in refrigerio eſt. Der Gerechte (er ſterbe wie er wolle) ob er gleich zeitlich ſtirbt/ iſt er doch in der Ruhe/ ſpricht Philo im Buͤchlein der Weißheit am vierden Capittel. Sap. 4, 7. Wir wiſſen nicht Locum, den Orth und Stelle/ wo wir wer- den ſterben? denn der Tod wartet unſer uͤberall. Rahel ſtarb auff dem Wege/ Jeſebel auff der Gaſſen/ Jonathan im Streit. Doch: Circulus æqvaliter diſtat â puncto, der Circkel iſt allent- halben dem Mittelpuncte gleich nahe: Jſt nun die Erde der Mit- telpunct? Jhr Circkel aber der Himmel? Wohl dañ! Einer ſterbe wo er wolle aufErden/ er hat allerwegen gleich nahe zum Himmel. Wir wiſſen nicht Tempus, die Zeit/ wann wir ſterben? Alle Stunden und Augenblicke ſeynd wir reiff zum Tode. Das Soͤhnlein Davids ſtirbt in der Kindheit/ der Sohn der Wit- tib in der Jugend/ Barſyllay im hohen Alter. Wiſſen alſo nicht des Todes Zeit noch Stunde. Doch: Es wuſte eine Stunde nicht/ auch ſelbſt Chriſtus/ als Menſchen Sohn. Genung daß Er Sie und alles wuſte/ als Gottes Sohn. Ne ergo illam mo- leſtè feramus ignorantiam qvæ nobis cum Chriſto & Ange- lis communis eſt. Die Unwiſſenheit ſoll uns nicht unangenehm fallen/ die wir gemein haben mit Chriſto und ſeinen Engeln. Ne inqviras prohibitum, ne perdas conceſſum. Tutum eſt ne- ſcire qvod tegitur, Es iſt am ſicherſten nicht einſt begehren zu- wiſſen/ was GOtt verbirget/ und wer ſich ſolches zu erforſchen un- ter- Bernh. A 2

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Zitationshilfe: Hartman, Adam-Samuel: Das Lebendige Wasser. Lissa, 1684, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/354524/5>, abgerufen am 20.04.2024.