Eſther L —.
War die einzige Tochter eines anſehnlichen
Judens zu F —. Er hatte ſich im gluͤcklichen
Handel ein ſehr großes Vermoͤgen erworben, ge-
noß es jetzt in ſtiller Ruhe, und fuͤhlte ſich ganz
gluͤcklich, wenn ſein geliebtes Kind ihm bald mit
angenehmen Erzaͤhlungen die Zeit verkuͤrzte, bald
auf dem Fluͤgel eine ſchoͤne Serenate vorſpielte.
Sie war erſt ſiebenzehn Jahr alt, aber erfahren
in allen weiblichen Kuͤnſten, in vielen Wiſſenſchaf-
ten gut, in keiner ſchlecht bewandert, ſie las den
Horaz und Homer, aber auch den Don Silvio
von Roſalva und den Siegwart, ſie redete ſechs
Sprachen, und ſchrieb in jeder derſelben Briefe,
welche den meiſten ihres Geſchlechts zum Muſter
dienen konnten. Sie war ſchoͤn, ſie war ſchoͤner
als ſchoͤn. Ihr Rabenhaar, ihr großes, noch
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ſchwaͤrzeres Auge, die blendende Weiße ihres Ge-
ſichts, die Roſenfarbe ihrer Wangen lockte und
reizte jeden Juͤngling. Sie lebte in den ſteifen
Zeiten der Strickroͤcke und Puffanten, aber ſie trug
ſolche nie, und unterſchied ſich daher auf die vor-
theilhafteſte Art von allen ihren Mitſchweſtern.
Wenn dieſe auf dem Spaziergange unter der Laſt
des Reifrocks keuchten, und ihren mit Federn ge-
ſchmuͤckten Kopf kaum aufrecht tragen konnten,
wandelte ſie im leichten, ſchlanken Kleide einher,
ſchuͤtzte ihr ungepudertes Haupt mit einem leich-
ten Strohhute, ward von vielen, welche die Laſt
der Mode fuͤhlten, im Herzen beneidet, obgleich
oft auch als ein Sonderling verhoͤhnt.
Zu F — ſtand um dieſe Zeit ein junger Offi-
zier aus D — auf Werbung, er ſah die ſchoͤne
Eſther, er ſprach und liebte ſie. Da er den Fluͤ-
gel und die Violine gleich fertig ſpielte, ſo fand
er bald Eingang im Hauſe des Vaters, welcher
die Muſik leidenſchaftlich liebte, alle Wochen eini-
gemal ein Konzert gab, bei welchem ſich alle Ken-
ner und Dilettanten zu verſammeln pflegten. Es
freuete dann den guten Alten inniglich, wenn ſei-
ne Tochter auf ihrem Fluͤgel die Bewunderung al-
ler erzwang, oder durch ihre reine, melodiſche
Stimme der ganzen Geſellſchaft vollen Beifall ab-
lockte. Sein beſter Wein, die ausgeſuchteſten Le-
ckerbiſſen wurden dann in Fuͤlle aufgetragen, und
nichts geſpart, um den Beifall zu lohnen, mit
welchem man ſeinen Liebling beehrt hatte.
Friedrich, ſo nannte ſich der junge Offizier,
war einer der eifrigſten Bewunderer von den Ta-
lenten der ſchoͤnen Eſther, er lobte ſie oͤffentlich
mit Entzuͤcken, und gewann dadurch bald des
ſchwachen Vaters Achtung und Liebe. Er lud ihn
oft zum Eſſen, und ſchlummerte dann und wann
ſanft in ſeinem Lehnſtuhl ein, wenn Friedrich und
Eſther ihm ſtundenlang Arien vorſangen, oder auf
dem Klaviere ſpielten. Als er einſt fruͤher, wie
gewoͤhnlich, aus ſeinem Schlummer erwachte,
und bemerkte, daß Eſther und Friedrich nicht ſan-
gen, ſondern vertraut und leiſe mit einander ſpra-
chen, ſaß er am Abende tiefſinnig beim Mahle,
und ſchien's nicht zu achten, wenn ſeine Tochter
ihm ein neues Liedchen vorſang.
Eſther. Was fehlt ihnen, liebſter Vater?
Sie ſind ungewoͤhnlich traurig?
Vater. Ja, ich bins, und die Urſache mei-
nes Kummers biſt du!
Eſther. Ich? Gott ſoll mich behuͤten, daß
ich einem ſo guten Vater Kummer verurſachen
ſollte.
Vater. Wenn dies die aͤchten und wahren
Geſinnungen deines Herzens ſind, ſo ſchwindet
mein Kummer.
Eſther. Sie ſinds, bei Gott, ſie ſinds!
Vater. Wie dein und des jungen D —-
ſchen Offiziers Geſang mich heute in Schlaf wieg-
te, und ich wieder ſchnell erwachte, da war mirs,
als ob deine Hand in der ſeinigen ruhe?
Eſther. Es iſt moͤglich! (verwirrt) Mir
ſchien's auch ſo!
Vater. Raubte er dir nicht einen Kuß, wie
ich eben erwachte?
Eſther. Ich glaube! Ja, ja, er thats.
Vater. (mit ernſtem Blicke) Und was
ſprach er denn ſo dringend, ſo heimlich mit dir?
Eſther. Er bat mich, daß ich morgen nach
unſerm Garten vors Thor gehen, und ihm erlau-
ben ſolle, mich dort zu beſuchen.
Vater. Du verweigerteſt ihm doch ſeine
Bitte?
Eſther. Nein, ich gewaͤhrte ſie ihm, und
verſprach zu kommen.
Vater. Und du wunderſt dich noch, daß
Kummer mein Herz aͤngſtigt, mein altes Auge mit
Thraͤnen truͤbt? O Gott, laß mich ſterben, laß
mich ſchnell und bald ſterben, wenn du mir nicht
die Freude, ein reines und ſchuldloſes Kind zu ha-
ben, laͤnger gewaͤhren willſt.
Eſther. (traurig) Vater, ich will morgen
nicht nach dem Garten gehen.
Vater. Das waͤre etwas, aber noch lange
nicht alles. Kannſt du dich entſchließen, den jun-
gen Offizier nicht mehr zu ſehn, wenigſtens nicht
mehr zu ſprechen?
Eſther. (ihm um den Hals fallend)
Einem ſolchen Vater zu Liebe vermag ich noch
mehr. Ich wills vermeiden, ihn zu ſehen, ich
will ihn nie mehr ſprechen.
Vater. Pruͤfe dein Herz wohl! Iſt er die-
ſem nicht vielleicht ſchon unentbehrlich?
Eſther. Theuer, Vater, theuer iſt er dieſem
Herzen ſchon lange; aber unentbehrlich iſt ihm nur
die Liebe des Vaters, und dieſer Gedanke wird
meinen Vorſatz unterſtuͤtzen.
Vater. Weh mir Unvorſichtigem, ich fachte
ſelbſt die Flamme an, die mein Haus verzehren
kann! Ich! ich! Nicht du, haͤtte vorſichtiger
ſeyn ſollen! Gott ſegne, Gott ſtaͤrke dich in dei-
nem Vorſatze, nur dann, wenn er Monate lang
anhaͤlt, werde ich wieder ruhig leben koͤnnen. Be-
denke, daß er dich nie heirathen kann, daß ſeine
Liebe dich ungluͤcklich machen muß. Bedenke dies,
und ſei weiſe!
Eſther. Dieß alles habe ich mir ſchon oft
ſelbſt geſagt, es iſt recht gut, daß auch ſie mich
daran erinnern, es wird jetzt doppelt wirken!
Vater. Um dich wenigſtens auf einige Zeit
vor ſeinem Beſuche zu ſchuͤtzen, will ich morgen
allen meinen Bekannten und auch ihm kund ma-
chen, daß ein Bruder von mir zu Amſterdam ge-
ſtorben ſei, deſſen Tod wir nun durch einen Mo-
nat betrauern muͤſſen, und daher keinen Beſuch
annehmen koͤnnen.
Eſther. Das thun ſie, lieber Vater! Unter
dieſer langen Zeit werde ich ihn, oder er wenig-
ſtens mich vergeſſen, und dieß iſt ja alles eins.
Nicht wahr, lieber Vater?
Vater. Gott ſtaͤrke dich, mehr kann ich dir
auf deine Frage nicht antworten, weil ſie mir
neuen Kummer weiſſagt. — —
Der Plan des guten Alten wurde am andern
Morgen ſchon ausgefuͤhrt, und die Trauer des
Hauſes allen Freunden bekannt gemacht. Der kuͤh-
ne Friedrich, welcher keine Entdeckung ahndete,
hoffte ausgenommen zu ſeyn vom allgemeinen Ver-
bote, er ließ ſich am Nachmittage bei der ſchoͤnen
Eſther melden. Als ihm aber die Nachricht ward,
daß Religion ihr die Annahme eines jeden Beſuchs
zur Trauerzeit ſtreng verbiete, ſo ſchlich er trau-
rig nach Hauſe, und ſchickte ihr bald nachher ei-
nen Brief, in welchem er die Groͤße ſeiner Liebe
zu ihr zu ſchildern ſuchte, aber doch nicht zu ſchil-
dern vermochte, und ſie endlich bei allem, was
ihr heilig und theuer zu ſeyn duͤnke, beſchwor,
ihm zu erlauben, daß er dieſe martervolle Trauer-
zeit ihr wenigſtens des Tags einmal ſchreiben,
und Antwort von ihr hoffen koͤnne. Eſther las
dieſen Brief mit innigem Vergnuͤgen, denn ſie
liebte Friedrichen wirklich ſchon innig und zaͤrtlich;
aber ihr Vorſatz war noch zu neu, die kindliche
Liebe zum Beſten der Vaͤter zu groß; ſie kaͤmpf-
te lange, endlich ſiegte die Vernunft doch, ſie eil-
te mit dem offenen Briefe zum Vater, und foder-
te Rath, wie und was ſie antworten ſolle? Der
Vater las den Brief aufmerkſam, und gab ihr
ſolchen ſtillſchweigend zuruͤck.
Eſther. Nun, beſter Vater, ſie wollen mir
nicht rathen?
Vater. Ich kann, ich darf nicht. Nur dein
eignes Herz kann hier Rathgeber werden. Was
wuͤrde es nuͤtzen, wenn das vaͤterliche Anſehen
dich zu einer Antwort zwaͤnge, die dieß Herz nicht
billigte, es wuͤrde bald an dir und mir zum Ver-
raͤther werden, und uns beide ungluͤcklich machen.
Dein Herz denkt gut und vernuͤnftig, ich uͤberlaſſe
es dieſem, ſelbſt zu erwaͤgen, ſelbſt zu urtheilen:
Ob dieſer Liebe Nahrung gewaͤhrt werden kann?
Ein unuͤberwindliches Hinderniß trennt euch, es
heißt: Religion! Willſt du den Glauben deiner
Vaͤter verlaſſen? Oder ſoll er's thun? Oder
willſt du nur ſeine Buhlerin werden? das Anden-
ken deiner Mutter ſchaͤnden? deinen alten Vater
mit Jammer toͤdten? Keine andere Wahl bleibt
dir uͤbrig, waͤhle unter beiden, wenn du ihn
nicht vergeſſen kannſt, aber laß michs nicht zu
ſpaͤt erfahren, damit nicht jaͤher Kummer mich
toͤdtet, ehe ich mein Haus beſtellt habe.
Eſther. Ich will ihm antworten, ſie ſollen
es leſen, und dann urtheilen: ob ich wuͤrdig bin,
ihre Tochter zu ſeyn?
Sie eilte auf ihr Zimmer, fieng mehr als
zwanzig Briefe an, zerriß ſie aber alle wieder,
weil jeder derſelben ihr zu hart, zu grauſam, oft
auch zu beleidigend duͤnkte. Wie ſie endlich kei-
nen endigen konnte, gieng ſie abermals zum Va-
ter, und geſtand ihm, daß ſie zwar den feſten
Vorſatz habe, ihren Friedrich nie mehr zu ſpre-
chen, ihn ſogar, wenns moͤglich waͤre, ganz zu
vergeſſen, aber nicht Muth genug beſitze, es ihm
im kalten, untheilnehmenden Tone zu ſagen. Ich
fuͤhle mich ſtandhaft, fuͤgte ſie hinzu, mir alle
Hoffnung zu rauben, aber ich kann nicht ſo grau-
ſam ſeyn, ſie auch ihm zu rauben.
Vater. So mag Gott dir rathen, ich kann
es eben ſo wenig, denn mein Rath wird nie
fruchten, wenn ihn dein Herz nicht freiwillig
billigt.
Eſther. Sie muͤſſen mir rathen, ſie ſind
mein Vater.
Vater. Wohl dann! Ich will Vater ſeyn,
und von dir als Kind Gehorſam fordern. Setze
dich, und ſchreib: (diktirt) Mein Herr!
Eſther. So habe ich ihn nie genannt.
Vater. Ich bin Vater, ich befehle es!
Eſther. (traurig) Mein Herr!
Vater. (diktirt) Kommen ſie morgen zu
meinem Vater, er will mit ihnen ſprechen.
Eſther. (ſchreibend) Sprechen.
Vater. Und ihnen dasjenige entdecken, was
meine Vernunft ihnen ſchon laͤngſt haͤtte ſagen
ſollen, mein Herz aber nie ſagen wollte. Es iſt
genug, ſende den Brief fort, und laß mich allein!
Du haſt mir Stoff zum Nachdenken in Fuͤlle ge-
waͤhrt, ich muß die Zeit nuͤtzen, und mich vorbe-
reiten.
Am andern Morgen erſchien Friedrich im Hauſe
ſeiner Geliebten, er wollte vorher mit ihr ſprechen,
fand aber die Thuͤre verſchloſſen, und ließ ſich
nun beim Vater melden. Dieſer empfing ihn mit
freundlichem aber auch traurigem Blicke. Wollen
ſie mich, ſprach er zu Friedrichen, wohl ruhig an-
hoͤren? Mir jede meiner Fragen, die ich nicht
aus Neugierde, ſondern aus Nothwendigkeit an
ſie wage, aufrichtig beantworten?
Friedrich. Der Vater der ſchoͤnen Eſther
kann alles von mir fordern.
Vater. Haben ſie noch Eltern?
Friedrich. Ich habe noch eine Mutter, die
mich als ihren einzigen Sohn innig und zaͤrtlich
liebt.
Vater. Sie ſind von Familie?
Friedrich. Ich ſtamme aus einem der edel-
ſten Geſchlechter des Koͤnigreichs. Viele meiner
Anverwandten begleiten anſehnliche Aemter, und
ſtehen in des Koͤnigs Gunſt.
Vater. Was wird ihre Mutter, was wer-
den ihre Anverwandten, was wird ihr Koͤnig
wohl ſagen, wenn alle erfahren, daß der einzige
Sohn, der edle Sproſſe ihres Stammes, der Of-
fizier ſeiner Armee ſich in die Tochter eines Juden
verliebt hat? — — Sie antworten nicht? Wohl
ihnen, ſie fuͤhlen die Wichtigkeit meiner Gruͤnde
tief, und werden mirs einſt noch danken, daß ich
ſo frei war, ſie ihnen vorzuſtellen.
Friedrich. Um Verzeihung, beſter Herr!
dieſe Gruͤnde ſind meinem Herzen nicht fremd,
die Vernunft hat es mit dieſen Waffen ſchon lan-
ge, aber ohne den geringſten Erfolg, bekaͤmpft.
Meine Liebe zu ihrer Tochter mehrt ſich taͤglich,
ſtuͤndlich! Ich kaͤmpfe, aber ich unterliege. Wenn
ſie mir ihr Haus verbieten, wenn ſie mich hin-
dern, die Unvergeßliche zu ſehen, ſo kann ichs
ihnen zwar nicht verdenken; aber ich bin dann
hoͤchſt ungluͤcklich, und muß ſie als den Urheber
meines Ungluͤcks verfluchen.
Vater. Sie wollen alſo meine Tochter noch
ferner lieben?
Friedrich. (bitter) Ob ich will? Ich
muß, ich werde ſie ewig lieben!
Vater. Und wie ſoll dieſe Liebe enden?
Friedrich. Das mag Gott entſcheiden, der
mein Herz faͤhig ſchuf, ſie lieben zu muͤſſen.
Vater. Wollen, koͤnnen ſie mein Kind hei-
rathen?
Friedrich. Das kann ich freilich nicht.
Vater. (heftig) Wollen ſie es zu ihrer
Buhlerin herabwuͤrdigen?
Friedrich. Davor ſoll mich Gott bewahren.
Es waͤre ſchrecklich, wenn ich die Allgeliebte mei-
nes Herzens auf immer ungluͤcklich machte, ihren
guten Vater durch Jammer toͤdtete, und ſein An-
denken auf Erden ſchaͤndete. Nein! Nein! So
tief werde ich nie fallen!
Vater. Kennen ſie ein anderes Mittel, wel-
ches ihren Endzweck foͤrdern koͤnnte?
Friedrich. Ich kenne keins, das ſich mit
Ehre und Redlichkeit vertragen wuͤrde.
Vater. Und wollen der Liebe zu meiner Toch-
ter doch nicht entſagen?
Friedrich. Nein! Nie und nimmermehr!
Ich kann nicht, bei Gott, ich kann nicht!
Vater. Ungluͤcklicher Juͤngling! Was that
ich ihnen, daß ſie gluͤhende Kohlen auf meinem
Haupte haͤufen, und da ich ihnen mein Leiden,
meine Quaal ſchildere, ſie noch mit neuer Gluth
vermehren wollen?
Friedrich. Hartherziger Vater, was that
ich dir, daß du mein unbefangenes Herz durch
die unwiderſtehlichen Reize deiner Tochter zu lo-
ken ſuchteſt? Mir taͤgliche Gelegenheit gabſt,
es immer tiefer und gewiſſer zu fuͤhlen, daß ſie
die einzige ſey, die mich gluͤcklich machen koͤnne?
Deine Nachſicht hat mich in den reiſſenden Strom
gefuͤhrt, jetzt, da ich unaufhaltſam von ſeiner
Gewalt fortgeriſſen werde, gerne widerſtehen moͤch-
te, und doch nicht widerſtehen kann, jetzt erſt
zeigſt du mir die Gefahr, und rufſt mir zu, daß
ich verlohren bin! Rette mich, es iſt dein Werk!
Gieb mir Kraft, meine Leidenſchaft zu bekaͤm-
pfen, und wenn du's nicht kannſt, ſo uͤberhaͤufe
mich nicht mit Vorwuͤrfen, die ich nicht ver-
diene.
Vater. Wahr, aber auch ſchrecklich, daß es
wahr iſt! Ich ſteckte durch Unvorſichtigkeit das
Haus in Brand, und fordere nun von den Be-
wohnern, die ſeine Flamme fuͤhlen, und ſich nicht
retten koͤnnen, daß ſie dieſe verzehrende Flamme
loͤſchen ſollen. Weh mir! Weh mir! Ich bin
der eigne Stifter meines Ungluͤcks, mein Loos iſt
Jammer und Elend! — — Edler Juͤngling,
noch iſt Rettung moͤglich! Ich beſchwoͤre, ich
bitte ſie, ſtehen ſie mir bei, und wir ſiegen ge-
wiß.
Friedrich. Ich will thun, was ich ver-
mag, dazu verpflichtet mich Vernunft und Ehre.
Sie ſtehen hier auf Werbung, es wird ihnen
ein leichtes ſeyn, ihren Ruͤckruf zu bewirken.
Zeit und Abweſenheit werden ſie uͤberzeugen, daß
ihre Liebe zu meiner Tochter die groͤßte Thorheit
war. Sie werden bald eine ſchoͤnere und beſſere
Gattin finden, und jene in ihren Armen ver-
geſſen.
Friedrich. Ah des weiſen Salomo! Waͤre
Vergeſſenheit moͤglich, dann beduͤrfte ich ihres
Raths nicht, er ward mir ſchon ſelbſt, und fruͤ-
her, ehe ſies wohl dachten. (er oͤfnet ſeine
Brieftaſche, und zeigt ihm zwei verſie-
gelte Briefe) Sehen ſie, dieſe zwei Briefe,
einer an meine Mutter, der andre an meinen
Onkel, enthalten beide die Bitte zur Ruͤckberufung
ins Vaterland. Da ich darin vorſtelle, daß ich
bei laͤngerm Aufenthalte Schulden machen muͤßte,
ſo bin ich uͤberzeugt, daß meine Bitte ſchnelle Er-
hoͤrung findet. Ich habe dieſe Briefe wohl ſchon
zwanzigmal auf die Poſt geſchickt; aber wenn ich
uͤberlegte, daß ich bald weit von ihr entfernt
ſchmachten, ſie nicht mehr ſprechen, nicht mehr
ſehen wuͤrde, da zog michs mit Gewalt zum Poſt-
hauſe, und ich nahm die Briefe zuruͤck.
Vater. Ihr edler Vorſatz beweißt, daß ſie noch
edler denken! Wie gern wollte ich ſie als meinen
Sohn umarmen, wenn Gott nicht ſelbſt eine
Kluft zwiſchen uns geſetzt haͤtte, die ich und ſie
nicht uͤberſchreiten koͤnnen. Geben ſie mir dieſe
zwei Briefe.
Friedrich. Was wollen ſie damit beginnen.
Vater. Ich will ſie fortſchicken, und ihren
Kampf erleichtern.
Friedrich. Nein! Ich vermags jetzt nicht
mehr! Ich weiß, daß ich hoffnungslos liebe,
aber ich kann ſie doch ſehen, vielleicht auch ſpre-
chen, und dies iſt doch etwas.
Vater. Ihre Umſtaͤnde ſind nicht die beſten,
zuͤrnen ſie daher nicht, wenn ich ihnen einen An-
trag mache, der in dieſer Lage ſie nicht beleidigen
ſoll, nicht beleidigen kann: wenn ſie dieſe Briefe
durch mich abſchicken, wenn ſie wirklich von hier
nach Hauſe reiſen, ſo zahle ich ihnen beim Ab-
ſchiede zwanzigtauſend Gulden aus.
Friedrich. Herr, ſie verkennen mich! Doch
ſie ſind ihr Vater, und dieß vernichtet die Be-
leidigung, welche ich ſonſt ahnden muͤßte. Va-
ter eines unſchaͤzbaren Kindes, das Bewußtſeyn
von ihm geliebt zu werden, iſt mir nicht um
Millionen feil!
Vater. Ich habe gethan, was mein Herz
verlangte, ich muß nun thun, was Vernunft
und Pflicht fodert. Sie werden's daher nicht
mißdeuten, wenn der beſorgte Vater ſie bittet,
ſein Haus nicht mehr zu beſuchen.
Friedrich. Sie ſind Herr ihres Hauſes,
ich werde gehorchen.
Vater. Da ſie uͤbrigens das einzige Mittel
der Rettung nicht ergreifen wollen, ſo muß es
meine Tochter ergreifen. Ich werde ſie noch dieſe
Woche von hier entfernen, es wird mich Muͤhe
koſten, meinen Augapfel zu miſſen, aber wenn
eins unter uns ungluͤcklich ſeyn muß, ſo will ichs
ſeyn.
Friedrich. Sie ſind Vater ihres Kindes,
und auch dieß wird gehorchen muͤſſen, aber beden-
ken ſie fein, daß der aͤchten Liebe nichts unmoͤg-
lich iſt, daß Zwang ſie wohl druͤckt, aber noch
mehr anflammt, daß es keinen Winkel der Erde
geben wird, wo ich ſie nicht finden werde, und
dann ſtehe ich fuͤr nichts.
Er gieng und der kluge Vater fand nach rei-
fer Ueberlegung, daß Friedrich nicht unrecht habe,
daß es beſſer ſey, wenn er daheim wache, und
zu verhindern ſuche, was er in der Ferne nicht
verhindern koͤnne. Er ſprach nachher im ernſten,
vaͤter-
vaͤterlichen Tone mit ſeiner Tochter, und ſie ge-
lobte ihm feierlich, daß ſie jede Gelegenheit mei-
den wolle, ihren Friedrich zu ſprechen.
Traurig und truͤbe verfloſſen nun die Tage
der vorgeſchuͤtzten Trauer, der Vater fand ſeine
Eſther oft weinend, wenn er dann nach der Ur-
ſache ihrer Thraͤnen forſchte, ſo ſeufzte ſie tief,
und geſtand ihm offen, daß ſie ihren Friedrich
wohl meiden, aber nie vergeſſen koͤnne. Er geht,
fuͤgte ſie hinzu, alle Morgen und Abende vor
meinem Fenſter voruͤber, ich ſehe ſein Leiden,
und leide mit ihm. Der gute Vater ſchwieg,
weil er ſie nicht zu troͤſten vermochte. Da er fuͤr
ihre Geſundheit bangte, ſo entſchloß er ſich, ſei-
ner ſo theuern Ruhe zu entſagen, und mit ihr
nach W — zu reiſen, welches Eſther ſchon laͤngſt
zu ſehen wuͤnſchte. Sie hoͤrte aber jetzt ſeinen
Vorſatz mit Wehmuth an, doch widerſprach ſie
nicht, und hoffte ſelbſt in dieſer Reiſe Linderung
ihrer Leiden zu finden.
Wie der Vater eben an einem ſchoͤnen Som-
merabende aufs neue mit ihr von dieſer Reiſe
ſprach, und verkuͤndigte, daß ſie den folgenden
Morgen ſchon beginnen ſollte, ſo oͤfnete ſich die
Thuͤre ſchnell, und Friedrich trat raſch herein.
Eſther flog ihm entgegen, und umarmte ihn mit
Inbrunſt. Wenn du Abſchied zu nehmen kommſt,
ſagte ſie ſchmachtend, ſo nimm das Bekenntniß
Zweit. Baͤndch. B
von mir zum Danke, daß ich ungerne ſcheide,
dich ewig — ewig lieben werde.
Friedrich. (bitter) So iſt's alſo gewiß,
was ich nur muthmaßte! (zum Vater) So
haben ſie wirklich das Bubenſtuͤck vollendet, wel-
ches ich ihnen ihres Kindes wegen ſo gerne nicht
zutrauen wollte?
Vater. Ich ſtehe rein vor ihnen, und darf
mich keines Verbrechens anklagen. Ob auch ſie's
vermoͤgen? Obs billig iſt, daß ſie ihr gegebnes
Wort brechen? uͤberlaſſe ich ihrem eigenen Ur-
theile.
Friedrich. O ich Thor, daß ichs ſo lange
redlich erfuͤllte, indeß ich namloſe Quaalen dulde-
te, arbeiteten ſie an meinem Ungluͤcke.
Vater. Davor wird mich Gott bewahren.
Friedrich. Koͤnnen ſie's wohl noch laͤug-
nen? Wer anders konnte es wohl meinen Ver-
wandten ſchreiben, daß ich heftig in die Tochter
eines Juden verliebt ſei, ihr, wenn nicht Aen-
derung folge, wohl gar meinen Dienſt, mein
Seelenheil zum Opfer bringen wuͤrde. Sie ha-
ben ihren Endzweck erreicht, ich habe heute die
ſtrengſte, koͤnigliche Ordre erhalten, und muß
morgen ſchon abreiſen. Aber, heimtuͤckiſcher Al-
ter, haſt du wohl die Folgen erwogen? Ich will
ſie dir erzaͤhlen: Ich reiſe nach D —, entſage
trotz dir, trotz meinen Anverwandten meinem
Dienſte, und kehre zuruͤck. Heiſche und fordere
Liebe von Eſthern, und giebt ſie mir nicht Hoff-
nung, ſtoͤßt ſie mich troſtlos von ſich, ſo ende
ich mein Leben vor ihrer Thuͤre und fluche dir
noch ſterbend.
Eſther. Gott, das waͤre ſchrecklich! dann
ich mit dir, Gott hoͤrts, dann ich mit dir!
Der Vater bemuͤhte ſich nun lange vergebens,
ihm begreiflich zu machen, daß er an ſeiner Zu-
ruͤckberufung ſchuldlos ſei, als er aber ſeine Hand
auf ſein graues Haupt legte, und Gottes Rache
uͤber ſolches erflehte, wenn er der Thaͤter ſei,
ſo glaubte ihm Friedrich, und verſprach ſogar
noch laͤnger zu kaͤmpfen, und ſeinen Dienſt nicht
zu verlaſſen, wenn er erlauben wolle, daß er ſei-
ner geliebten Eſther jeden Monat einmal ſchreiben,
und ſie ihm wieder antworten duͤrfe. Der Vater
gewaͤhrte die Bitte, weil ſeine Tochter ſie mit
heißen Thraͤnen unterſtuͤtzte, und Friedrich verließ
erſt nach Mitternacht das Haus des redlichen
Alten. —
Dieſer hatte ihn beim Abſchiede aufs dringend-
ſte gebeten, ein Mann zu ſeyn, und wacker zu
kaͤmpfen, die liebende Eſther hatte ihm aber mehr
als einmal zugefluͤſtert, daß ſie ihn nie vergeſſen
werde, und man urtheile nun: Ob Friedrichs
Kampf mit Muth beginnen konnte?
Am fruͤhen Morgen ſtand ſie ſchon am offnen
Fenſter, als Friedrichs Wagen langſam voruͤber
fuhr, ihre Blicke verſprachen Friedrichen ewige
Liebe und Treue. Eſther ſtieg bald hernach eben-
B 2
falls mit ihrem Vater in den Wagen. Die Reiſe
war um ſo nothwendiger geworden, denn waͤre
ſie daheim geblieben, ſo haͤtte ſicher tiefe und
unheilbare Schwermuth die ſchoͤnſte Roſe vernich-
tet. Selbſt die große Zerſtreuung der Reiſe, die
noch groͤßere der ſchoͤnen Stadt wirkte nur ſchwach
auf ihr krankes Herz, aber ſie verhinderte doch
gaͤnzliches Hinwelken, und erquickte dann und
wann die ſchmachtende Blume mit labendem
Thaue. Ihr Vater blieb ſechs Monate lang ſei-
ner Tochter wegen in der Stadt, es fanden ſich
dort angeſehene Glaubensgenoſſen, die bei ihm
um ihre Hand warben, da er aber ihr Leiden
kannte und ehrte, ſo verſagte er ſelbſt, was ſie
ohnehin nicht gegeben haͤtte. Er brachte ihr je-
den Monat ſelbſt den Brief ihres Friedrichs, und
ſah mit Thraͤnen, daß dieß der einzige Troſt ſei,
den er ihr gewaͤhren konnte. Friedrich ſchrieb al-
lemal, daß ſeine Liebe ſich nicht mindern koͤnne,
und Eſther antwortete wieder, daß die ihrige ſich
vergroͤßern wuͤrde, wenn Vergroͤßerung moͤglich
waͤre. Als der Vater mit ihr nach Hauſe kehrte,
erhielt Eſther noch zwei Briefe, im letzten derſel-
ben ſchrieb er, daß er bald der Unmoͤglichkeit wei-
chen, nicht mehr kaͤmpfen, und kommen werde,
um zu ihren Fuͤßen zu ſterben. Eſther durchharrte
nun in banger Erwartung ein langes, quaalvol-
les halbes Jahr, als aber weder der Unvergeßli-
che noch ein Brief von ihm kam, und ſie mit
vollem Rechte an ſeiner Treue zweifeln mußte,
da bat ſie ihren Vater um Gewißheit ihres Un-
gluͤcks. Er mußte, um ſie zu beruhigen, an ei-
nen ſeiner ehemaligen Korreſpondenten in D —
ſchreiben, und ſich genau erkundigen: ob Frie-
drich noch lebe, und wie es ihm gehe? Eſther
trug den Brief, deſſen Antwort ihr Schickſal auf
immer entſcheiden ſollte, ſelbſt nach der Poſt,
und harrte nun von neuem.
Nach einem langen Monden, deſſen Tage ſie
meiſtens im Stillen durchweint hatte, ward ihr
endlich Entſcheidung. Sie war ſchrecklich, ſie
nagte lange an ihrem Leben, und wuͤrde es ver-
nichtet haben, wenn nicht jugendliche Kraͤfte da-
gegen gekaͤmpft haͤtten. Der Freund ihres Va-
ters berichtete ihm, daß er lange vergebens nach
Friedrichen geforſcht, endlich aber genau und ſicher
erfahren habe, daß er ſein Regiment verlaſſen,
und in der Provinz ein ſehr reiches und ſchoͤnes
Fraͤulein geheirathet habe, mit welchem er, nach
Ausſage der Augenzeugen, ſchon ſeit ſechs Mon-
den in einer ſehr vergnuͤgten Ehe lebe. — —
Dieß war alſo ſeine ewige Liebe! rief Eſther aus,
als ſie den Brief mehr als einmal geleſen hatte.
Ihr theilnehmender Vater ſuchte ſie zwar zu troͤ-
ſten, ihr begreiflich zu machen, daß Friedrich
den beſten Weg ergriffen habe, und Nachahmung
verdiene, aber Eſther ſchauderte hoch empor,
wenn ſie ſich in den Armen eines andern dachte,
und ſchwur in dieſem Augenblicke einen fuͤrchterli-
chen Eid, daß ſie nun ihn und jeden Mann haſ-
ſen werde.
Von dieſer ungluͤcklichen Stunde an, war alle
geſellige Freude des Lebens fuͤr ſie verlohren, ſie
verließ oft Wochenlang ihr Zimmer nicht, genoß
wenig Speiſe, und ſprach noch weniger. Der
Vater ſah ihr Leiden, und da er nicht helfen
konnte, ſo vollendete der Kummer bald die voͤllige
Zerſtoͤrung ſeiner Geſundheit, an welcher das Al-
ter ſchon lange vorher gearbeitet hatte. Er konn-
te ſein Lager nicht mehr verlaſſen, er ſtarb in den
Armen ſeines einzigen Kindes, das blos deswegen
Thraͤnen vergoß, weil es nicht mit ihm ſterben,
nicht mit ihm eine Welt verlaſſen konnte, in wel-
cher nichts als Trug und Elend herrſchte. Ehe
der Vater ſchied, bat er ſeine Tochter, ihren
Kummer mit in ſein Grab zu ſenken, und ſo zu
enden, daß er ſie einſt dort wieder umarmen koͤn-
ne. Sein Tod machte ſie zur Erbin einer hal-
ben Million, welche ihr Vater bei den angeſehen-
ſten Kaufleuten, und ſelbſt in der hollaͤndiſchen
Bank zinsbar angelegt hatte. Da die Geſetze ih-
res Landes ihr ſchon im zwanzigſten Jahre die
freie Verwaltung ihres Vermoͤgens zuſicherten,
ſo kuͤndigte ſie alle ihre Kapitale nach und nach
auf, verkaufte alles, was ſie zu F — beſaß,
machte zehn arme Familien durch reiche Geſchen-
ke gluͤcklich, und reiſte endlich ſo geheim und
ſchnell ab, daß in ihrer Vaterſtadt niemand
erfuhr, wohin ſie zog, und wenn ſie wiederkeh-
ren wuͤrde.
Kein Mann durfte unter dieſer Zeit ſich ihrer
Schwelle nahen, keiner unter den vielen Maͤn-
nern der Stadt konnte ſich ruͤhmen, daß er mit
ihr nach ihres Vaters Tode ein Wort geſprochen
habe, ihr Maͤdchen nahm jede Geſchaͤftbotſchaft
an, und brachte Antwort. Als ſie ihren Geburts-
ort verlaſſen hatte, gieng unter den andaͤchtigen
Matronen die Sage umher, daß man ſpaͤt am
Abende einigemal den katholiſchen Geiſtlichen des
Orts in ihr Haus haͤtte ſchleichen ſehen, und daß
die ſchoͤne Eſther wahrſcheinlich eine Chriſtin ge-
worden ſei. So wenig man ſonſt Sagen dieſer
Art ſein Zutrauen ſchenken kann, ſo bewieß doch
die Folge, daß die alten Weiber dießmal hell ge-
ſehen hatten. Eſther ſuchte wirklich Troſt fuͤr ihr
unnennbares Leiden in der chriſtlichen Religion,
die ſo maͤchtig im Elende ſtaͤrkt und labt, weil
ſie uns die irdiſche Pruͤfung als nothwendig zur
ewigen Seligkeit ſchildert, und ihren goͤttlichen
Stifter als den unſchuldigſten Buͤßer und groͤßten
Dulder zur Nachahmung aufſtellte. Moͤglich, daß
auch Schwaͤrmerei, die emſige Begleiterin der hoff-
nungsloſen Liebe, ihre Abſicht foͤrderte, moͤglich,
daß ſie eben deswegen die katholiſche Religion
waͤhlte, weil nur dieſe ſie faͤhig machte, abge-
ſchieden von der Welt, getrennt vom maͤnnlichen
Geſchlechte, ihre Tage in ſtiller Schwermuth en-
den zu koͤnnen.
Kurz nach ihrem Verſchwinden erſchien ſie zu
P —, nahm emſigen Unterricht in der katholi-
ſchen Religion, und wurde auf ihr Verlangen in
der Taufe Karoline, Friederike genannt. Sie
wohnte dieſe ganze Zeit uͤber in einem Nonnen-
kloſter, gieng nie aus, und nur ſelten im Garten
deſſelben ſpazieren. Erſt am Tage ihrer oͤffentli-
chen Taufe verſicherten die Juͤnglinge der ganzen
Stadt, daß ſie nie ein ſchoͤneres Maͤdchen, nie
ſolche gluͤhende, wahre Andacht geſehen haͤtten.
Ihr ſchwarzes Rabenhaar, ihr noch ſchwaͤrzeres
Auge, war der Stoff ihres Geſpraͤchs, und man-
ches Maͤdchen vergaß ſich in der Folge zu pudern,
weil die Erfahrung ſie belehrt hatte, daß ein na-
tuͤrliches Haar ſo große Wirkung mache. Ehe
man noch uͤber die Fragen: Woher die ſchoͤne
Unbekannte komme? Wer ſie eigentlich ſei? Ob
ſie wirklich ſo großes Vermoͤgen beſitze? einig
werden konnte, war die ſchoͤne Karoline ſchon
wieder aus P — abgereiſet. Sie verlangte ſchon
dort, Nonne zu werden, und wollte dagegen dem
Kloſter ihr ganzes großes Vermoͤgen vermachen,
da aber die Landesgeſetze nicht geſtatten, daß eine
Nonne dem Kloſter großes Vermoͤgen zur Mitgift
bringen darf, ſo konnten die Nonnen dieß nicht
annehmen, und Karoline gieng wahrſcheinlich auf
ihren Rath nach D — im B —, wo ſie von den
Nonnen mit groͤßtem Vergnuͤgen aufgenommen
wurde, und ſogleich ihr Probejahr antrat. Der
ſeltne Fall, durch welchen das Kloſter auf ſo an-
ſehnliche Art bereichert wurde, erlaubte hier wahr-
ſcheinlich Ausnahmen, die in der gewoͤhnlichen
Regel nicht ſtatt finden. Karoline vergabte zwar
dem Kloſter ihr ganzes Vermoͤgen, aber ſie bedung
ſich die Nutznießung bis an ihren Tod, und ob-
gleich jede Nonne das Geluͤbde der Armuth ſchwoͤ-
ren muß, ſo ward ſie doch diſpenſirt, und die
Aebtiſſin geſtand ihr den Genuß der Intereſſen,
jedoch mit der Bedingniß zu, daß ſie alles zu got-
tesdienſtlichen Handlungen, und vorzuͤglich zum
Beſten des Kloſters verwenden ſolle. Nie konnte
ſich das Kloſter ruͤhmen, eine eifrigere, folgſamere
Novizin in ſeinen Mauern gehabt zu haben, ſie
unterzog ſich ohne Murren jedem Geſchaͤfte, das
dieſen aufgetragen wurde, ſie murrte nur dann,
wenn ſie merkte, daß man ihres Vermoͤgens we-
gen ihr nicht hart genug begegnete, ſie betete im-
mer, und ſprach aͤußerſt wenig.
Noch im nehmlichen Jahre baute ſie mit Er-
laubniß der Aebtiſſin zwei praͤchtige Altaͤre in der
Kirche des Kloſters, einer wurde dem heiligen
Karl, der zweite dem heiligen Friedrich geweiht,
zum letztern zeichnete ſie dem Kuͤnſtler die Idee
ſelbſt vor, und gab ihm ein kleines Portrait,
nach welchem er das Geſicht des heiligen genau
bilden mußte. Sie laͤchelte zum erſtenmale wie-
der, als dieſer Altar in der Kirche aufgeſtellt
wurde, und weilte oft halbe Tage und Naͤchte
betend am Fuße deſſelben.
Wie ihr Probejahr verfloſſen war, forderte ſie
mit edlem Ungeſtuͤme und mit ſichtbarer Begierde
die Aufnahme, ſie war nie ſo zufrieden und ver-
gnuͤgt, als am Tage der Gewaͤhrung, und ſchwor
mit geſetztem und ſtandhaftem Muthe den fuͤrch-
terlichen Eid der Keuſchheit in die Haͤnde des
Prieſters. Das verſammelte Volk nannte ſie eine
lebendige Heilige, und die Nonnen dankten der
Vorſehung, welche nicht allein ein ſo reiches
Maͤdchen, ſondern auch in dieſem, ein aͤchtes Bei-
ſpiel der wahren Gottesfurcht in ihr Kloſter ge-
fuͤhrt hatte. Sie theilte nun ihre Zeit in Gebet
und Arbeit, mehr als die Haͤlfte war jenem, die
uͤbrige ganz der letztern gewidmet, nur am Aben-
de eilte ſie gemeiniglich nach dem großen Garten
des Kloſters, wo jede Nonne ein abgetheiltes
Stuͤck zur eignen Pflege und Bearbeitung erhal-
ten hatte. Sie waͤhlte ſich eines im abgelegen-
ſten und oͤdeſten Theile des Gartens, ſie umfaßte
es mit Raute und Wermuth, pflanzte in die
Mitte deſſelben einen verdorrten Roſenſtrauch und
umgab dieſen mit dem Bluͤmlein, die brennende
Liebe genannt. Die uͤbrigen Theile wurden von
ihr mit den ſchoͤnſten Blumen beſetzt, und da ſie
kein Geld ſparte, ſo bluͤhte ihr Gaͤrtchen bald
herrlich, ſie gieng dann gedankenvoll darinne um-
her, pflegte die Blumen, und weinte oft im
Stillen, wenn alles nur die duͤrre Roſenſtaude
nicht gruͤnte. Der Garten war mit einer hohen
Mauer umgeben, rechts konnte man zwar einige
Daͤcher der benachbarten Haͤuſer ſehen, doch wa-
ren dieß nur die Spitzen derſelben, und dort kein
Fenſter angebracht, durch welches die Neugierde
die einſamen Nonnen haͤtte beunruhigen koͤnnen;
links ſah man aber hohe waldichte Gebirge, wel-
che maͤchtig uͤber die Mauern empor ragten, doch
ſtundenweit davon entfernt lagen. Wenn dann
uͤber dieſe erhabnen Gebirge am heitern Abende
die Sonne nach und nach hinabſank, und nun oͤde
Stille im Garten herrſchte, da weilte oft Karoline
noch ſtundenlang darinne, und fragte oft im jam-
mernden Tone den Schoͤpfer: Warum nicht auch
der Abend ihres Leidens nahe? Warum ſie nicht
gleich der Sonne in die Nacht des Grabes ſinken,
und dort verklaͤrt wieder erwachen koͤnne?
Einſt ſtand ſie mit dieſem Gedanken beſchaͤfti-
get noch immer im Garten, den alle Nonnen
ſchon verlaſſen hatten; ihr Herz fuͤhlte heute be-
ſonders die Schmerzen der eiternden Wunde, ſie
erinnerte ſich eben eines Abends, den ſie in Ge-
ſellſchaft ihres Friedrichs wonnevoll genoſſen hat-
te, ſie weinte, rang die Haͤnde, und fuhr endlich
bebend zuruͤck, als neben ihr etwas weiſſes vor-
uͤber in einen nahen Strauch flog, ſie faßte
Muth, trat naͤher, und fand einen Stein, der mit
Papier umwickelt war, ſie entfaltete ſolches, und
las folgende Worte, die in engliſcher Sprache dar-
auf geſchrieben waren: „Ungluͤckliche Eſther!
〟wenn du noch Mitleid mit dem ungluͤcklichſten
〟aller Menſchen, mit deinem treuen Friedrich
〟haſt, ſo blicke auf das naͤchſte Dach, und
〟ſchließe aus ſeinem angſtvollen Haͤnderingen,
〟auf ſeine ſchreckliche Quaal. Wenn dich aber
〟hartherzige Menſchen wie mich betrogen, wenn
〟du ihn auch im Kloſter noch nicht vergeſſen haſt,
〟ſo komme in der Nacht, welche dem morgenden
〟Tage folgt, hinab in die Kirche, du wirſt mich
〟in der Todtenkapelle rechts im erſten Betſtuhle
〟verſteckt finden. An einem leiſen, dreimal wie-
〟derholten Huſten, werde ich dich erkennen, und
〟in deine Arme eilen. Ich waͤhlte abſichtlich die-
〟ſe unbekannte Sprache, damit, wenn der kuͤh-
〟ne Wurf mißlaͤnge, das Blatt nicht mein und
〟dein Verraͤther wuͤrde.“ Karoline ward durch
dieſen Brief in einen ſchrecklichen Zuſtand verſetzt,
ihr erſter Blick war zu Gott um Huͤlfe, ihr zwei-
ter nach dem Dache, auf welchem ſie ihren Frie-
drich wiederſehen ſollte. Er war's wirklich, er
hatte die hoͤchſten Sparren des Dachs erklettert,
die Ziegel deſſelben abgeloͤst, und blickte mit halb-
hervorgebognem Koͤrper in den Garten hinab. Die
Abendroͤthe faͤrbte ſein Geſicht, die letzten, einzel-
nen Strahlen der ſchon untergegangenen Sonne
beleuchteten es dann und wann noch hell. Karo-
line ſah, wie er fuͤrchterlich die Haͤnde rang, und
ſie wieder flehend zu ihr hinabſtreckte, ſie winkte
ihm mit ihrem weiſſen Tuche, zeigte einigemal mit
der Hand auf den Thurm der Kirche, und eilte
von dannen, um in ihrer Zelle Kraͤfte und Faſ-
ſung zu ſammeln; mehr als einmal ſank ſie athem-
los nieder, erhob ſich aber ſchnell, weil ſie Ent-
deckung fuͤrchtete. In ihrem Herzen ſtuͤrmte es
maͤchtig, ſie lebte bisher fromm und heilig, kein
Gedanke an die Welt und ihre Freuden ſtoͤrte ſie
in ihrer Einſamkeit, ſie ſuchte Ruhe im Kloſter,
Troſt im eifrigen Gebete, und glaubte beides
wirklich gefunden zu haben. Nun ſah ſie aber
Friedrichen wieder, ihr Herz wurde durch ſeinen
Brief, durch ſeine aͤngſtlichen Geberden von ſei-
ner Treue uͤberzeugt, es hatte ihn noch nie ver-
geſſen koͤnnen, es liebte ihn vom Neuen, und hef-
tiger als jemals. Der Eid, den ſie geleiſtet hat-
te, ſchien ſie nicht zu binden, ſeine Untreue zwang
ihr ſolchen ab, ſeine Treue vernichtete ihn. Aus
Liebe zu Friedrichen war ſie Chriſtin geworden; um
ſein Andenken ewig zu feiern, war ſie ins Kloſter
gegangen, um ihn wieder ſehen und lieben zu koͤn-
nen, war ſie feſt entſchloſſen, es in ſeinen Armen
ſogleich zu verlaſſen. Die Grundſaͤtze der Religion,
die dieſen Vorſatz hindern ſollten, hatten noch
nicht tiefe Wurzel in ihrem Gewiſſen gefaßt,
maͤchtiger und kraͤftiger keimte im Herzen die Lie-
be wieder, welche ohnehin jede, auch die ſtaͤrkſte
Feſſeln zerreißt, und alles uͤberwindet.
Der folgende Tag war ein Sonnabend, ſie be-
tete und arbeitete nicht, ſie eilte zehnmal nach
dem Garten, ſah immer nach dem Dache, und
ſah ganz natuͤrlich nichts. Als endlich der Tag
endigte, gedachte ſie erſt der großen Hinderniſſe,
welche ſie noch von ihrem Friedrich trennten. Die
Kirche war des Nachts vor jeder Nonne verſchloſ-
ſen, ſie konnte zwar darinne beten, aber auf ei-
nem Chore, deſſen Fenſter nur in die Kirche gien-
gen. Wie ſie dort am Abende mit den andern
Nonnen das Nachtgebet verrichtete, und ihren
Friedrich ſchon in der Kirche ahndete, bat ſie die
Sakriſtanerin um den Schluͤſſel, welcher die Thuͤ-
re zur Kirche oͤfnete, weil ſie, ihrem Vorgeben
nach, die Lampe an ihren erbauten Altaͤren an-
zuͤnden, und dort noch einige Zeit beten wolle.
Ich gebe ihnen ſolchen, ſprach ſie angſtvoll, in
der Metten zuruͤck, und hatte ſchon ein Geſchenk
fuͤr ſie in Bereitſchaft, wenn ſich ſolche etwa
weigern wuͤrde, aber die Argloſe ahndete nichts,
und gewaͤhrte ihre Bitte ohne Anſtand.
Wie alle Nonnen im Kloſter ruhten, ſtieg Ka-
roline zitternd in die Sakriſtei hinab, oͤfnete ſol-
che, und trat wirklich mit einer brennenden Lampe
in die Kirche, ſie ſtellte ſolche auf den Altar des
heiligen Friedrichs, eilte nach der Todtenkapelle,
huſtete dort dreimal, und Friedrich ſank in ihre
Arme. Pferde und Wagen ſtehen bereit, fluͤſterte
dieſer leiſe. Wenn du mich noch liebſt, wenn du
wenigſtens Mitleid mit mir haſt, und nicht willſt,
daß ich vor deinen Augen mein Leben enden ſoll,
ſo folge mir.
Karoline. Ich folge dir, Unvergeßlicher,
ich folge dir, wenn du mir vorher zwei Fragen
beantwortet haſt: Warſt, oder biſt du noch ver-
heirathet?
Friedrich. Ich bins, ich wars nicht. O,
dieſer ſchaͤndliche Betrug haͤtte dich und mich bald
graͤnzenlos elend gemacht.
Karoline. Weißt du, daß ich arm, nicht
mehr reich bin, daß mein ganzes, großes Vermoͤ-
gen in den Haͤnden des Kloſters iſt?
Friedrich. Ich weiß es, und verachte dieß
alles, bin hoͤchſt vergnuͤgt, wenn mans zum Loͤ-
ſegeld fuͤr dich behalten will. Gott gab mir dafuͤr
Reichthum in Menge, und nun das volle Ver-
gnuͤgen, dich ganz damit gluͤcklich zu machen.
Karoline. (an ſeinem Halſe) Allge-
liebter, ich folge dir. Gott ſah mein Leiden!
Gott kannte meine Abſicht! Er wird den Mein-
eid nicht raͤchen!
Friedrich. Ich habe Kleider fuͤr dich mit-
gebracht, du mußt dich umkleiden. Eile, aber
fuͤrchte nichts, meine Diener halten Wache an der
ofnen Kirchthuͤre, ſie wuͤrden mir und dir zu Huͤl-
fe eilen, wenn Entdeckung folgen ſollte.
Karoline kleidete ſich in groͤßter Eile um, ſie
warf ihren Nonnenhabit in einen Winkel, und
entfloh, in einen Mantel gehuͤllt, an Friedrichs
Arme aus der Kirche. Dreie ſeiner Bedienten ge-
ſellten ſich zu ihnen, und folgten in einer kleinen
Entfernung. Wie ſie die wenigen Haͤuſer, welche
das Kloſter umgaben, im Ruͤcken hatten, fanden
ſie auf der Heerſtraße einen Wagen, in welchen
ſie ſtiegen, und in ſchnellſter Eile davon jagten.
Als der Morgen anbrach, hatten ſie ſchon die
Grenze des Landes erreicht, und langten gluͤcklich
in einem proteſtantiſchen Staͤdtchen an, wo ſie in
jedem Falle Schutz erwarten konnten.
Jetzt erſt fieng Karoline an, zu ſprechen, und
ihr Gefuͤhl durch Worte auszudruͤcken, bisher war
ſie nur ſtill und angſtvoll in Friedrichs Armen ge-
legen, hatte immer ſchuͤchtern umher geblickt, im-
mer zu fruͤhe Entdeckung geahndet und gefuͤrchtet.
Friedrich fragte: Wie's geſchehen konnte, daß ſie
F — verlaſſen, die chriſtliche Religion angenom-
men habe, und endlich gar Nonne geworden ſei?
Karoline erzaͤhlte, und wie er deutlich vernahm,
daß alles ein Werk ihrer innigen Liebe war, daß
ſie um ſeinetwillen ſich ungluͤcklich gemacht habe,
ſo umarmte er ſie mit noch ſtaͤrkerer Inbrunſt,
und verſprach feierlich, ihr Leiden durch ewige
Liebe zu lohnen. Er erzaͤhlte ihr nun ebenfalls,
was ſich in der langen Zeit mit ihm zugetragen
hatte.
Als er in D — ankam, uͤberhaͤuften ihn ſeine
Freunde mit neuen Vorwuͤrfen uͤber ſeine Liebe zu
Eſthern, er erfuhr deutlich, daß nicht ihr guter
Vater, ſondern einer ſeiner beſten Freunde zu F —
der Verraͤther derſelben geworden ſei, und ſeine ſo
ſchnelle Zuruͤckberufung bewirkt habe. Man mach-
te ihm kurz nach ſeiner Ankunft einige vortheil-
hafte Heirathsvorſchlaͤge, er widerſtand, und gab
dadurch ſeinen Freunden Gelegenheit zu neuem
Argwohne, ſie muthmaßten mit Grunde, daß er
noch
noch immer liebe, ſie entdeckten wahrſcheinlich
durch neue Verraͤtherei, daß er noch mit ſeiner
Geliebten korreſpondire. Sein Onkel war ſehr
reich, und General der koͤniglichen Truppen, er
ließ ihn einſt rufen, und uͤbergab ihm eine De-
peſche, welche er in ſchnellſter Eile nach dem Ha-
fen uͤberbringen, und dem Befehlshaber einiger
Kriegsſchiffe uͤbergeben mußte. Er traf dieſen
auf einem Schiffe, welches eben nach einer In-
ſel abſegeln ſollte. Sie kommen wie gerufen,
ſprach er zu Friedrichen, ich erwartete ſie ſchon
lange, ſie ſind als Kapitain bei den Landtrup-
pen angeſtellt, welche ich nach der Inſel —
uͤberfuͤhre. Waͤren ſie nur eine Viertelſtunde ſpaͤ-
ter eingetroffen, ſo haͤtte ich die Anker ſchon ge-
lichtet, denn der Wind iſt vortheilhaft, ich muß
ihn benutzen. Der erſtaunte Friedrich verſuchte
es zwar, wider dieß grauſame Verfahren zu pro-
teſtiren, und forderte ſchlechterdings, daß man
ihm wenigſtens ſo lange Zeit goͤnnen muͤſſe, bis
er ſein Gepaͤcke aus der Hauptſtadt kommen lie-
ße, aber der Befehlshaber uͤberzeugte ihn von
der Unmoͤglichkeit, und verſicherte ihn zugleich,
daß ſeine Freunde ſchon fuͤr jedes Beduͤrfniß ge-
ſorgt haͤtten.
Wirklich fand er auch alle ſeine Sachen im
Schiffsraume, und bei dieſen ſeinen Bedienten,
welcher ihm einen Brief von ſeiner Mutter uͤber-
reichte. Sie machte ihm darin die heftigſten Vor-
Zweit. Baͤndch. C
wuͤrfe uͤber ſeine thoͤrichte Liebe, welche er un-
geachtet ihrer Ermahnung durch die unſinnigſten
Briefe fortzuſetzen ſuche. Er habe es ſich,
ſchrieb ſie ferner, daher ganz allein zuzuſchrei-
ben, daß man zu ſtrengern Mitteln ſchreite,
und ihn ſo lange nach den Inſeln verbanne,
bis er von dieſer ſtrafbaren Liebe geheilt ſei. Ehe
er noch dieſen Brief ganz geleſen hatte, eilten
die Schiffe ſchon aus dem Hafen: er war un-
troͤſtlich, daß er wenigſtens nicht in einigen Zei-
len ſeiner Geliebten von dieſer gewaltſamen Ent-
fuͤhrung Nachricht geben konnte. Die Ueberfahrt
war gefahrvoll, in der ſechsmonatlichen Dauer
derſelben ſchwebte Friedrich oft in der groͤßten
Lebensgefahr, endlich landeten ſie, und Friedrich
ſandte zwar mit den ruͤckgehenden Schiffen Brie-
fe an Eſthern, die aber wahrſcheinlich verlohren
giengen, weil ſie nicht mehr zu F — wohnte,
und niemand ihren Aufenthalt kannte.
Friedrich vergaß auch in der weiten Entfer-
nung ſeine Geliebte nicht, er weihte ſich ganz
ihrem Andenken, er beſchloß, ſie ewig zu lieben,
und eher zu ſterben, als ſeine Hand einer an-
dern zu reichen. Er harrte achtzehn Monate lang
vergebens auf Nachrichten von ihr, es landeten
unter dieſer Zeit verſchiedene Kaufarteiſchiffe,
aber keins kam aus dem Hafen, wohin er Eſt-
hers Antwort beſtimmt hatte. Endlich kamen
auch von daher Schiffe, ſie brachten ihm viele
Briefe, er durchwuͤhlte ſie geſchaͤftig, aber er
fand keinen aus Deutſchland darunter. Wahr-
ſcheinlich haͤtte er alle ungeleſen in einen Winkel
geworfen, wenn nicht ein Paket, das ſchwarz
geſiegelt war, ſeine Aufmerkſamkeit erregt haͤtte.
Er oͤfnete es, und fand ſogleich, daß ſeine Mut-
ter und ſein Onkel an der epidemiſchen Krankheit,
die damals zu K — herrſchte, geſtorben ſei.
Sparſam floſſen ſeine Thraͤnen, weil ſie ſeine Lie-
be ſo ſtreng gehindert hatten, aber freudig und
doch tief geruͤhrt ſchauderte er bald empor, als er
fand, daß eben dieſer Onkel, deſſen drei Soͤhne
kurz vor ihm geſtorben waren, ihn zum Erben
ſeines großen Vermoͤgens und all ſeiner Guͤter
eingeſetzt hatte. Ein Brief, den der Onkel auf
ſeinem Sterbebette geſchrieben hatte, verſoͤhnte
Friedrichen uͤberdieß ganz mit ihm, er bat um
Verzeihung, daß er ihn mit ſo ſtrenger Haͤrte be-
handelt habe, ſandte ihm den koͤniglichen Befehl,
mit dem erſten Schiffe ins Vaterland zuruͤckzu-
kehren, und ermahnte ihn nur am Ende in den
ſanfteſten Ausdruͤcken, daß er ſeine thoͤrichte und
hoffnungsloſe Liebe ganz vergeſſen, bald eine edle
Tochter des Landes mit ſeiner Hand begluͤcken
moͤge.
Friedrich haͤtte der Bitte des Sterbenden gern
nicht verweigert, was er den Drohungen des Le-
benden ſo ſtandhaft verſagte, wenn das Andenken
der ſchoͤnen Eſther nicht unausloͤſchlich in ſeinem
Herzen geruht haͤtte. Sie war ſeine erſte, einzi-
C 2
ge Liebe, die ſo willig im Sturme und Wetter
emporkeimt, und um ſo groͤßere und ſtaͤrkere Zwei-
ge treibt, je mehr und oͤfterer man dieſe abzu-
brechen ſucht. Der ſelige Gedanke, daß Eſthers
alter Vater ſchon ſchlummere, ſie nun frei ſeyn,
und ſich nicht weigern werde, die chriſtliche Re-
ligion anzunehmen, beſchaͤftigte ihn einzig und al-
lein auf der langen Reiſe, er beſchloß im Vor-
aus, dann ſein ganzes Erbe zu veraͤuſſern, und
in einem unbekannten Winkel der Erde mit ſei-
ner Allgeliebten nicht allein vergnuͤgt, ſondern
auch gemaͤchlich zu leben.
Das Gluͤck ſchien ſein Vorhaben zu beguͤn-
ſtigen, ſeine Reiſe war die angenehmſte und
ſchnellſte; ehe noch drei volle Monden verfloſſen,
landete er ſchon an D — s Kuͤſten. Da die
Uebernahme der großen Erbſchaft ſeine Gegen-
wart aͤuſſerſt nothwendig machte, und er wenig-
ſtens durch einige Monden ſein Vaterland nicht
wieder verlaſſen konnte, ſo machte er ſogleich
der ſchoͤnen Eſther ſein Gluͤck und ſeinen Vorſatz
in einem Briefe bekannt, flehte um ſchnelle Ant-
wort, und ſandte damit ſeinen treuen Diener nach
F —, welcher, wenn der Vater allenfalls noch
lebe, ihr den Brief heimlich uͤbergeben, aber nicht
ohne Antwort ruͤckkehren ſollte. Ehe dieſe Ruͤck-
kunft erfolgte, hatte Friedrich ſchon ſeinem Dien-
ſte, welcher ihn ans Vaterland feſſelte, entſagt,
ſeine Guͤter verpachtet, und harrte nur noch mit
Ungeduld des Kommenden. Trauer erfuͤllte ſein
Herz, als dieſer endlich anlangte, und ihm die
unerwartete Nachricht brachte, daß Eſther nicht
mehr in F — wohne, in P — Chriſtin geworden
ſei, und ſehr wahrſcheinlich in einem Nonnenklo-
ſter lebe. Der Diener hatte, nach langem vergeb-
lichen Forſchen, dieß alles aus dem Munde ih-
res ehemaligen Maͤdchens erfahren, das jetzt zu
F — ſehr gluͤcklich verheirathet war. Dieſes
verhehlte es ihm auch nicht, daß Friedrichs Un-
treue und Heirath, welche man aus D — als
gewiß berichtete, dieſen ſeltſamen Entſchluß im
Herzen der ſtets getreuen Eſther geweckt habe.
Friedrich flog auf die ſchreckenvolle Nachricht ſelbſt
nach F —, und wie ihm alle Beſtaͤtigung ward,
in eben ſo großer Eile von da nach P —. Auch
hier erfuhr er bald, daß Eſther wirklich Chriſtin
geworden ſei, aber niemand wollte und konnte
ihm von ihrem jetzigen Aufenthalte Nachricht ge-
ben; nur durch anhaltendes Forſchen, nur durch
wichtige Geſchenke oͤfnete er den Mund der Non-
nen, ihm ward durch dahin geſandte Vertraute
die gewiſſe Nachricht, daß ſie zu D — in B —
wirklich ſchon Nonne geworden, wirklich ſchon das
ewige Geluͤbde geleiſtet, all ihr Vermoͤgen dem
Kloſter vergabet habe, und dort im Rufe der
Heiligkeit lebe. Dieſe Schreckenspoſt vernichtete
mit einmal all die romantiſchen Plane, welche
ſeine Liebe getraͤumt und entworfen hatte, er
machte im erſten Augenblicke das feſteſte Geluͤbde,
alles zu verſuchen, um ſie zur Flucht aus dem
Kloſter zu bewegen, und wollte ſie ſeine Bitte
nicht hoͤren, mißlaͤnge dieſe vielleicht, ſeine Tage
ebenfalls in einem Kloſter vertrauern. Mit die-
ſem Vorſatze beſchaͤftigt, durch die Hofnung, daß
er ſie vielleicht doch retten werde, geſtaͤrkt, reiſte
er jetzt nach B —, und nahm ſeinen Weg ab-
ſichtlich uͤber D —.
Das Kloſter lag in einem einſamen Thale,
nur wenige Haͤuſer umgaben es. Ein anſehnli-
ches Gaſthaus, das ehemals Nahrung durch einen
nahen Geſundheitsbrunnen erhalten hatte, nun
aber durch die haͤufigen Wahlfahrter nach der
Kloſterkirche ernaͤhrt wurde, lag zwar nahe an
den Mauern des Kloſtergartens, aber kein Fen-
ſter gewaͤhrte dahin Ausſicht, und Friedrich konn-
te nur die hohen Mauern, die ſeine Allgeliebte
umſchloſſen, thatenlos anſtaunen.
Um nicht Verdacht zu erregen, ſeinen treuen
Dienern aber doch Zeit zum Nachforſchen zu goͤn-
nen, ſtellte er ſich drei Tage ſehr krank, und ver-
weilte zu ſeiner groͤßten Pein, die meiſte Zeit im
Bette und Zimmer. Die raſtloſen Spaͤher brach-
ten ihm bald die gewiſſe Nachricht, daß die ſchoͤ-
ne Eſther unter dem Namen Angelika wirklich im
Kloſter lebe, und wegen ihrer großen Froͤmmigkeit
und noch groͤßeren Reichthumes dort allgemein
geſchaͤtzt ſei, aber naͤhere, beſtimmtere Nachrichten
folgten nun aͤußerſt ſparſam.
Am Abende des dritten Tages wußte Friedrich
nicht viel mehr, nur war ſeinen Dienern erzaͤhlt
worden, daß ſie den Armen viel Gutes thue, und
in der Kirche zwei praͤchtige Altaͤre erbauet habe,
welche die Diener ſelbſt betrachtet hatten, und
vereint behaupteten, daß der heilige Friedrich,
welcher auf einem derſelben zur Verehrung aufge-
ſtellt war, ihrem Herrn aͤußerſt aͤhnlich ſaͤhe.
Dieſe letzte Nachricht weckte Hofnung im Herzen
des Liebenden, er gieng am Morgen ſelbſt nach
der Kirche, fand, daß die Diener recht geurtheilt
hatten, und ſchloß nun ganz natuͤrlich, daß ſein
Andenken noch im Herzen der Unvergeßlichen le-
ben muͤſſe. Da er ohne Verdacht nicht laͤnger
bleiben konnte, bald ohne dieſen wieder ruͤckkehren
wollte, ſo eilte er nach der Hauptſtadt des Lan-
des, um dort ungehindert ſichere Plane zur Ret-
tuugRet-
tung ſeiner Geliebten zu entwerfen.
Der Kloſterwirth, welcher ihn einigemal be-
ſucht, und die Schmerzen ſeiner Kolik bemitleidet
hatte, verſicherte ihn, daß der nahe Geſundheits-
brunnen ein bewaͤhrtes Mittel gegen dieſes Uebel
ſei, nur muͤſſe man ihn wenigſtens einen Monat
lang trinken, dann aber mit einem Atteſte des
Arztes, und mit der beſondern Erlaubniß des Or-
densviſitators verſehen ſeyn, weil vor langen
Jahren die vielen Gaͤſte die kloͤſterliche Einſamkeit
geſtoͤrt haͤtten, und die jetzige allzufromme Aebtiſ-
ſin unter keiner andern Bedingniß einem Fremden
den Aufenthalt geſtatte. Auf dieſe Nachricht bau-
te Friedrich die Grundveſte ſeines Plans, er er-
hielt in der Hauptſtadt bald das erforderliche At-
teſt und die noch nothwendigere Erlaubniß des
Ordensviſitators, er kaufte ſich Pferde, und ließ
weibliche Kleidung und Waͤſche verfertigen. Sei-
ne zwei Bedienten, welche den Plan ihres Herrn
kannten, wurden indeß mit einem Schloſſergeſel-
len bekannt, welcher behauptete, daß er ihren
Herrn recht wohl kenne, und ihm lebenslang
dankbar ſeyn werde, weil er ihn auf ſeine drin-
gende Bitte, wie er ſich einſt zu F — im Trunke
anwerben ließ, die Freiheit geſchenkt habe. Wie
Friedrich dieß Abends durch die Bedienten er-
fuhr, ſo befahl er ihnen ſogleich, dieſen Men-
ſchen, morgen mit dem fruͤhſten aufzuſuchen und
zu ihm zu fuͤhren. Sie erfuͤllten ſeinen Auftrag,
und als Friedrich ſich auch ſeiner erinnerte, von
ihm nun im Geſpraͤche vernahm, daß er kein Ka-
tholik, ſondern ein Auslaͤnder ſei, und jetzt ohne
Brod umherwandere, ſo trug er ihm ſeine Dienſte
an, die dieſer mit Freuden annahm. Friedrich
hoffte ſeine Kunſt noͤthig zu haben, und beſchloß
ſogleich, ihn lebenslang zu verſorgen, wenn er
vielleicht durch ſeine Huͤlfe die Geliebte retten
koͤnne.
Als alles zur Ausfuͤhrung bereit war, reiſte
Friedrich nach D —. Er uͤbergab ſeine erforder-
lichen Atteſte dem erfreuten Wirthe, und dieſer
trug ſie ſogleich zu Aebtiſſin, die gar keinen An-
ſtand nahm, dem fremden kranken Herrn den Auf-
enthalt zu geſtatten, doch ward dabei ausdruͤcklich
bedungen, daß dieſer ſich nicht dem Sprachzimmer
der Nonnen nahen ſollte, weil dahin nur den
Freunden und Anverwandten, aber keinem Frem-
den der Zutritt erlaubt ſei.
Friedrichen kuͤmmerte dieſes Verbot wenig,
weil er ohnehin uͤberzeugt war, daß er dort ohne
Entdeckung ſeine Geliebte nicht ſprechen koͤnne.
Sein einziger Wunſch war jetzt nur dahin einge-
ſchraͤnkt, dieſer in geheim und durch einige Zeilen
ſeine Gegenwart kund zu machen, aber der kleine
Wunſch war nicht ſo leicht ausgefuͤhrt. So
ſehr ſich auch alle ſeine Diener bemuͤhten,
eine Boͤthin zu finden, ſo entdeckten ſie doch kei-
ne, welche darzu nur faͤhig ſchiene; weil alles,
was im Orte wohnte, vom Kloſter lebte, und es
allen ſtreng unterſagt war, einen Brief, ohne
ſolchen der Aebtiſſin vorzuzeigen, im Kloſter abzu-
geben.
Schon waren vierzehn Tage der Kurzeit ver-
floſſen, und Friedrich ſeinem Ziele noch nicht naͤ-
her geruͤckt, ſchon verzweifelte er ganz an der
Erreichung deſſelben, als er einſt auf einem ein-
ſamen Spaziergange entdeckte, daß das Dach
des Gaſthauſes uͤber die hohe Mauer deſſelben
Gartens emporrage, und freie Ueberſicht deſſelben
gewaͤhren muͤſſe. Er eilte dahin, erſtieg mit-
telſt einer Leiter die hoͤchſten Sparren, hob einige
Ziegel in die Hoͤhe, und uͤberblickte nun den gan-
zen Garten. Von dieſem Augenblicke an, lauerte
er jeden Morgen, jeden Abend auf dem einſamen
Boden des Hauſes, wohin niemand kam, und
keiner ihn ſtoͤrte. Schon am andern Abende er-
kannte er unter den luſtwandelnden Nonnen ſeine
Eſther, ſie hatte ihr Gaͤrtchen nahe an demjeni-
gen Theile der Mauer, welcher mit dem Gaſt-
hauſe graͤnzte, ſie ſchlug ihren Schleier zuruͤck,
er ſah ihr ſchwarzes Haar, ihr leidendes Geſich-
te, und bewunderte die ſeltene romantiſche Anlage
ihres Gaͤrtchens.
Wie ihn die Erfahrung belehrte, daß ſie oft
noch im Garten weile, wenn ſchon alle andre
ihn verlaſſen hatten, ſo gruͤndete er auf dieſen
Umſtand ſeinen Plan, den er endlich auch gluͤck-
lich ausfuͤhrte. Da von auſſen keine Thuͤre nach
dem Garten fuͤhrte, ſo waͤhlte er die Kirche zum
Platze der Rettung, weil er glaubte, daß die
Nonnen Tag und Nacht ſolche ungehindert be-
ſuchen koͤnnten. Er weihte ſeinen neuen Bedien-
ten in das Geheimniß ein, dieſer bedung ſich
vier Tage zur noͤthigen Arbeit, und verſicherte
ihn am Morgen des fuͤnften, daß er jetzt das
Schloß der kleinen Kirchthuͤre ohne Muͤhe zu al-
len Zeiten oͤfnen koͤnne. Nun erfolgte, was ich
meinen Leſern ſchon erzaͤhlt habe, und Karoline
ward gluͤcklich gerettet.
Der erſte und einzige Wunſch der Liebenden
war Vereinigung auf immer, die fromme, an-
daͤchtige Karoline — ſo groß die Macht der Lie-
be — machte nicht den geringſten Anſtand, ſich
von nun an zur proteſtantiſchen Religion zu be-
kennen, weil dieß Bekenntniß nur ihr Geluͤbde
loͤſen konnte, ihr Friedrich uͤberdieß in derſelben ge-
bohren und erzogen war. Da dieſer nicht mit
ihr nach D —, wo ſeine wachſame Familie bald
ihre Herkunft entdeckt haͤtte, ruͤckkehren wollte,
ſo beſchloſſen ſie vereint, in den europaͤiſchen Laͤn-
dern umher zu reiſen, und ſich in dieſen den an-
genehmſten Ort zu ihrem kuͤnftigen Wohnort zu
erwaͤhlen. Ihr Weg fuͤhrte ſie durch ein kleines
Herzogthum, welches damals von einer ſehr men-
ſchenfreundlichen und philoſophiſchen Fuͤrſtin re-
giert wurde, ſie weilten hier einige Zeit, und ſuch-
ten einen Prieſter, welcher ſie ingeheim trauen
ſollte. Schwerlich wuͤrden ſie einen gefunden ha-
ben, weil es ihnen an allen erforderlichen Zeug-
niſſen mangelte, wenn nicht ein Zufall ihren ſehn-
lichſten Wunſch auf die angenehmſte Art erfuͤllt
haͤtte.
Karolinens Schoͤnheit, die jetzt wieder aufs
neue zu bluͤhen begann, war eine von den weni-
gen, welche man allgemeine Schoͤnheit nennt.
Jeder, welcher ſie ſah, mußte ihren Reizen huldi-
gen, und man ſprach bald am Hofe der Fuͤrſtin
mit Entzuͤcken von der ſchoͤnen unbekannten Dame.
Die Fuͤrſtin ward dadurch zur Neugierde gereizt,
und ließ, nach ihrer ſo gefaͤlligen und reizenden
Weiße, Karolinen bitten, ſie mit einem Beſuche
zu beehren. Friedrich unterrichtete Karolinen in
allem, was ſie ſagen, wie ſie ſich benehmen ſoll-
te; aber die aͤußerſt herablaſſende und freundſchaft-
liche Art, mit welcher die Fuͤrſtin ihr begegnete
bezauberte bald Karolinen, riß ſie ſogar zum off-
nen Bekenntniſſe ihrer ganzen merkwuͤrdigen Ge-
ſchichte hin. Die Fuͤrſtin, welche die Macht der
Liebe nur allzugut kannte, ſelbſt gegen große Hin-
derniſſe kaͤmpfen mußte, ehe ſie ihrem innig ge-
liebten, nun verewigten Gatten die Hand reichen
konnte, beehrte dieß Vertrauen mit Großmuth
und Freundſchaft.
Nach einigen Tagen ließ ſie Friedrichen mit
Karolinen nach ihrem Schloſſe laden, und der
Oberhofprediger verband ſie auf ewig im geheimen
Kabinette der Fuͤrſtin, nachdem Karoline zuvor
das Glaubensbekenntniß der proteſtantiſchen Reli-
gion abgelegt hatte. Die großmuͤthige Fuͤrſtin
war die einzige Zeugin dieſer Handlung, und
ſchenkte Karolinen einen ſchoͤnen Ring, den ihr
Friedrich am Finger ſteckte, und den ſie mit un-
verletzter Treue mit in ihr Grab zu nehmen ge-
loben mußte.
Hier iſt der Zeitpunkt, in welchem ich —
wenn ich anders die Wahrheit nicht verletzen will
— meinen Leſern aufrichtig geſtehen muß, daß
die ſchoͤne Eſther und die ungluͤckliche, merkwuͤrdi-
ge Alte, ein und die naͤmliche Perſon ſei, und
daß dieſe Erzaͤhlung die wahre Geſchichte der
letztern enthalte. Ob ich recht that, daß ich ſo
lange ſchwieg, und meine Leſer abſichtlich irre
fuͤhrte? Ob ich die einzige Abſicht, ihre Erwar-
tung mehr zu reizen und zu ſpannen, wirklich er-
reichte? moͤgen ſie nun ſelbſt entſcheiden. Heil
mir, wenn ſie gelang! Vergebung, wenn ich
fehlte! Der Reiz war zu groß, da bis zu die-
ſem Umſtande, die Geſchichte, welche ihr Wahn-
ſinn erfand, beinahe nicht die geringſte Aehnlich-
keit mit ihrem wahren Lebenslaufe enthaͤlt, ſo
konnte ich ihm nicht widerſtehen, und glaubte kluͤ-
ger zu handeln, wenn ich wenigſtens bis hieher
die Erwartung meiner Leſer zu taͤuſchen ſuchte.
Von jetzt an hat ihr Wahnſinn viele Bege-
benheiten aus ihrer wahren Geſchichte aͤcht und
deutlich herausgehoben, ich werde dieſe alſo nur
dann umſtaͤndlicher erzaͤhlen, wenn er wieder ganz
vom Wege der Wahrheit abweicht. Friedrich wuͤr-
de wahrſcheinlich mit ſeiner Gattin dieß Herzog-
thum, deſſen Fuͤrſtin ihm allen Schutz verſprach,
nicht verlaſſen haben, wenn nicht jetzt erſt die
Folgen des großen Leidens ſich in der zerruͤtteten
Geſundheit Karolinens geaͤußert haͤtten. Die
Aerzte verordneten Spaa, Friedrich reiſte im fol-
genden Fruͤhjahre wirklich mit Karolinen dahin
ab, und nun erfolgten alle jene Begebenheiten,
welche die Alte mir ſelbſt in ihrem Wahnſinne er-
zaͤhlt hatte. Friedrich verſpielte wirklich den groͤß-
ten Theil ſeines Vermoͤgens zu Spaa, Piſa,
Paris und London, er ward in der letztern Stadt
wirklich ins Gefaͤngniß geſetzt, und durch Karo-
linen mit dem Verkaufe ihres ganzen Schmuckes
aus dieſem errettet. Friedrichs Freunde, welche
ſeine Mesalianz wahrſcheinlich erfahren hatten,
vereinigten ſich wirklich zu ſeinem Verderben, loͤ-
ſeten ſeine Schuldſcheine ein, und kauften ſeine er-
erbten Guͤter in ſehr geringem Preiſe an ſich; er
gieng wirklich mit ihr nach Hamburg, und wollte
von da nach D — gehen, um wenigſtens noch ei-
nige Truͤmmer ſeines ſo anſehnlichen Erbes zu ret-
ten, als er im Duelle toͤdtlich verwundet wurde,
und in Karolinens Armen ſtarb. Doch iſt es
falſch, daß ſie zu London mit einer Tochter nie-
derkam, ihr wahrer Zuſtand war weit ſchrecklicher;
der ungluͤckliche Friedrich hinterließ ſeine troſtloſe
Gattin zwar ohne alle Ausſicht, ohne alles Ver-
moͤgen, aber noch uͤberdieß ſchwanger. Nach D
— wollte und konnte die Verlaßne nicht reiſen,
was haͤtte ſie gegen die angeſehenen Freunde ihres
verſtorbenen Gatten auszurichten vermocht, wie
konnte ſie — was kaum er ſelbſt hoffte — von
ihnen Unterſtuͤtzung und Huͤlfe erwarten? Ihre
einzige noch moͤgliche Hoffnung war auf die huld-
reiche Fuͤrſtin gerichtet, welche ſie bei der ehema-
ligen Abreiſe ihres vollen Schutzes verſichert, ſo-
gar gebeten hatte, ſich in jeder Noth kuͤhn an ſie
zu verwenden, und dann thaͤtige Huͤlfe zu erwar-
ten. Karoline entließ zu Hamburg alle ihre Die-
ner, gab, was ſie noch entbehren konnte, und
behielt nur ſo viel, um ohne Kummer bis ins
Gebiethe der freundſchaftlichen Fuͤrſtin reiſen zu
koͤnnen.
Ehe ich den Erfolg dieſer Reiſe weiter erzaͤhle,
muß ich ruͤckkehren ins Nonnenkloſter, welches
Karoline in den Armen ihres Friedrichs ſo ſchnell
und unvorbereitet verlaſſen hatte. Das große
Vertrauen, welches ſie ſich durch ihre große Froͤm-
migkeit bei allen Nonnen erwarb, wuͤrde jeden
Verdacht einer abſichtlichen Flucht verhindert ha-
ben, wenn jene nicht kurz nachher ihr Nonnen-
kleid im Winkel der Kapelle und in demſelben
Friedrichs Brief gefunden haͤtten. Sie ſandten
dieſen, weil ſie ihn nicht leſen konnten, durch
ſchnelle Bothen an ihren Propſt, und erhielten
bald eine getreue Ueberſetzung, welche ihre wirk-
liche Flucht ganz beſtaͤtigte. Anfangs troͤſteten
ſich die Nonnen ſehr leicht uͤber den Verluſt einer
Meineidigen, die ihnen ihr ganzes und großes
Vermoͤgen zum Opfer und Erſatze hinterlaſſen
hatte; als aber ein halbes Jahr nachher die Aeb-
tiſſin die Intereſſen dieſer Kapitalien erheben woll-
te, und die Inhaber derſelben ſich weigerten, ſie
gegen die Quittung des Kloſters auszuzahlen, da
ſahen ſie erſt ein, daß ohne Karolinens Ruͤckkehr
auch dieſes ganze, anſehnliche Vermoͤgen fuͤr ſie
verlohren ſei. Karoline hatte ſchon, als ſie zu
P — Chriſtin wurde, nach dem Rathe der dor-
tigen Nonnen ihr ganzes Vermoͤgen wieder in
verſchiedenen Banken zinsbar angelegt, ſie uͤber-
gab, als ſie zu D — wirklich Nonne wurde,
zwar alle Obligationen und Verſicherungsſcheine
der Aebtiſſin, da dieſe aber ihr auf Lebenszeit den
Genuß aller Intereſſen zugeſichert hatte, ſo ſtellte
Karoline noch immer die Quittungen daruͤber aus,
und die Aebtiſſin hielt es bisher vielleicht aus ge-
heimen Abſichten, vielleicht auch aus Mangel an
gehoͤriger Einſicht fuͤr unnoͤthig, die Obligationen
und Schuldſcheine auf das Kloſter umſchreiben zu
laſſen. Ganz natuͤrlich wars nun, daß der
Wunſch, von Karolinens Aufenthalte Nachricht
zu erhalten, ſie wo moͤglich wieder zur Ruͤckkehr
ins Kloſter zu bewegen, aͤußerſt lebhaft in dem
Herzen der Aebtiſſin erwachte. Ueberall wurden
Spaͤher ausgeſandt, jedem Kloſter der deutſchen
Provinzen die genaue Beſchreibung ihrer Perſon
zugeſchickt, und alle moͤgliche Anſtalten getrof-
fen, um ihren Aufenthalt zu entdecken. Die
vornehmſten Geiſtlichen in der Naͤhe und Ferne
kundſchafteten ſelbſt zu Gunſten des betrogenen
Kloſters uͤberall umher, und konnten wohl ihren
ehemaligen, aber nicht jetzigen Wohnort erfah-
ren, weil Karoline damals ſchon mit ihrem
Friedrich in Piſa war, und nicht mehr mit ihm
nach Deutſchland ruͤckkehrte.
Haͤtte die arme, verlaſſene Karoline in der
Folge dieſen beſondern Umſtand nur muthmaßen
koͤnnen, haͤtte ſie aus einem proteſtantiſchen Lan-
de den Nonnen geſchrieben, dieſen nur die Haͤlfte
ihres Vermoͤgens gehoͤrig zedirt, ſie wuͤrden ihr
willig die andere Haͤlfte der ihnen ganz unnuͤ-
tzen Schuldſcheine uͤberſendet, und ſehr wahrſchein-
lich auch Ruh und Sicherheit gelobt haben.
Aber die Troſt- und Hoffnungsloſe Karoline ahn-
dete dieß ſonderbare Gluͤck nicht, ſie durchreiſte
auf
auf einer elenden Landkutſche einige Handlungs-
ſtaͤdte, wo die angewachſenen Intereſſen ihres
Kapitals gegen ihre bloße Quittung und Namens-
unterſchrift zum Empfange lagen. Da ſie alle
ihre Hofnung auf die Huͤlfe der großmuͤthigen
Fuͤrſtin ſetzte, und bald erfuhr, daß zwar ihr
Sohn regiere, ſie aber doch noch lebe, ſo eilte ſie
auf dem naͤchſten Wege nach dem Herzogthum,
und durchreiſte einen Theil des katholiſchen Bis-
thums B —. Die Sonne neigte ſich eben zum
Untergange, als ſie in einem kleinen Staͤdtchen
deſſelben anlangte, ein Kloſter lag dem Gaſthau-
ſe gegen uͤber, die Thuͤre der Kirche ſtand offen,
ihr Ungluͤck hatte ſie wieder andaͤchtig gemacht,
und ihr Gewiſſen geweckt, ſie gieng hinein, be-
tete dort anhaltend und lange. Wie ſie wieder
heraustrat, gieng ein Moͤnch hinter ihr her, wel-
cher bald mit ihr zu ſprechen ſuchte, ſie mit vie-
len Fragen belaͤſtigte, bis ins Gaſthaus begleite-
te, dort aber zu ihrer groͤßten Freude gleichguͤlti-
gen Abſchied nahm. Sie hatte aus den beſondern
Reden und Fragen des Moͤnchs Verdacht ge-
ſchoͤpft, und jetzt erſt uͤberlegt, daß Entdeckung
ihres ehemaligen Standes, ihr in einem katholi-
ſchen Lande hoͤchſt nachtheilig werden koͤnne. Sie
forderte zur Vermeidung aͤhnlicher Zufaͤlle von
dem Wirthe ein beſonderes Zimmer, und uͤberlegte
eben, um wie viel ſich ihr ſehr großes Ungluͤck
noch vergroͤßern koͤnnte, als einige Gerichtsperſo-
Zweit. Baͤndch. D
nen ins Zimmer traten, ihre Paͤſſe und ihre rech-
te Hand zu ſehen verlangten. Karoline zeigte die
erſtern ſtandhaft vor, zitterte aber ſehr, als die
Gegenwaͤrtigen den kleinen Finger der letztern ſehr
aufmerkſam betrachteten, und mit dem Ausrufe:
es iſt richtig! wieder ſtillſchweigend fortgiengen.
Sie hatte dieſen Finger im Kloſter durch einen
Zufall gebrochen, er war merkbar krumm geheilt
worden, und die Ungluͤckliche ahndete mit Recht
ſichere Entdeckung. Schon wollte ſie entfliehen,
all ihr weniges Haabe zuruͤcklaſſen, und zu Fuße
forteilen, aber ſie erblickte bald an ihrer Thuͤre
Waͤchter, und mußte auch dieſem einzigen Ret-
tungsmittel entſagen.
Nach einer angſtvoll durchharrten halben
Stunde nahten ſich die Gerichtsperſonen wieder,
mit ihnen kamen einige Moͤnche, welche ſie for-
ſchend anblickten und ſtillſchweigend Platz nah-
men. Das Verhoͤr begann, man behandelte ſie
ſehr hart, drohte mit noch haͤrtern Zwangsmit-
teln, und die huͤlfloſe Karoline geſtand bald, daß
ſie wirklich Nonne zu D — in B — war, und
in den Armen eines bereits verſtorbnen Offiziers
aus dem Kloſter entflohen ſei. Sie ſchauderte zu-
ruͤck, als man ihr trocken ankuͤndigte, daß ſie in
dieſes wieder zuruͤckkehren muͤſſe, ſie geſtand nun
auch, daß ſie ſchwanger ſei, aber man verlachte
dieſe ſchreckliche Wahrheit, als eine kahle Ausflucht,
und fuͤhrte ſie um Mitternacht nach dem Rath-
hauſe, wo ſie in einem engvergitterten Zimmer
verwahrt wurde. Gedanken des Selbſtmordes be-
ſchaͤftigten den folgenden Tag ihre Seele, wuͤrden
wahrſcheinlich geſiegt haben, wenn nicht die Erin-
nerung an das Kind, welches ſie unter ihrem
Herzen trug, dieſen ſchrecklichen Entſchluß ver-
nichtet, ſie wenigſtens bis zu ſeiner Geburt zur
Ausdauer ermahnt haͤtte.
Am Abende, der dieſem quaalvollen Tage folg-
te, ward ſie nach einem verſchloßnen Wagen ge-
fuͤhrt, ein altes Weib und zwei Moͤnche nahmen
neben ihr Platz. Das Weib war zu ihrer Bedie-
nung beſtimmt, die Moͤnche wahrſcheinlich zu ih-
ren Waͤchtern, denn ſie folgten ihr uͤberall, und
uͤbernachteten auf der Reiſe, die ſechs Tage dauer-
te, meiſtens nur in Kloͤſtern, wo Karoline mit
ihrer Waͤchterin in ein beſonderes Zimmer verſperrt
wurde. Sie hatte wenig Geld und keine Koſtbar-
keiten bei ſich, nur den Ring, welchen ihr die guͤ-
tige Fuͤrſtin ſchenkte, hatte ſie ſtets heilig aufbe-
wahrt, wollte ihn, als den Beweis ihrer unver-
letzten Treue derſelben vorzeigen, und verbarg ihn
jetzt zur Nachtszeit ſorgfaͤltig in die Falten ihres
Unterrocks, weil uͤberdieß Friedrichs Name darein
gegraben war, und er außer dem Kinde, das ſie
unter ihrem Herzen trug, das einzige Andenken
war, welches ihr Noth und Zufall nicht geraubt
hatte.
Sie ſank in eine anhaltende Ohnmacht, als
die hartherzigen Moͤnche ihr am Ende der Reiſe
D 2
von Ferne die Thuͤrme des Kloſters zeigten, wo
ſie nun ewig eingekerkert ſchmachten ſollte, ſie ſank
abermals zu Boden, als die fuͤrchterliche Pforte
ſich wahrſcheinlich auf ewig hinter ihrem Ruͤcken
ſchloß. Die Nonnen uͤberhaͤuften ſie zwar mit
den bitterſten Vorwuͤrfen, aͤußerten aber doch auch
uͤber ihre unerwartete, und ſo unverhoffte Ankunft
des nun geretteten Vermoͤgens wegen die groͤßte
Freude. Karoline ward zwar in einer hohen, en-
gen, feſt vergitterten Zelle verwahrt, aber ſanfter
und menſchlicher behandelt, als ſie vermuthet hat-
te. Die vorige Aebtiſſin war geſtorben, eine juͤn-
gere, einſt mit ihr ſehr vertraute Schweſter, war
ſeit kurzem erſt an ihre Stelle gewaͤhlt worden,
die Ungluͤckliche waͤhnte daher mit Recht, daß
dieſe Erbarmen an ihr uͤben, und Mitleid mit ih-
rem elenden Zuſtande haben wuͤrde. Aber ſie be-
trog ſich, die neue Aebtiſſin mußte die Kloſterge-
ſetze und die Forderung der aͤltern Schweſtern er-
fuͤllen, konnte nur ſehr wenig zur Linderung ihres
ſchrecklichen Schickſals beitragen, das nur dann
erſt begann, als ſie die erforderliche Zeſſion ihres
ganzen Vermoͤgens ausgeſtellt hatte, und die
Nonnen durch Erhebung der Intereſſen, und durch
Erfahrung uͤberzeugt waren, daß ſie der Ungluͤck-
lichen Huͤlfe nicht mehr bedurften.
Karoline mußte dann vor der vollen Verſamm-
lung der Nonnen in einem haͤrnen, ſchwarzen
Sacke mit einer gelben Kerze in der Hand er-
ſcheinen, und ihr Urtheil anhoͤren. Es war
grauenvoll und ſchrecklich. Schon laͤngſt hatten
die Paͤpſte alle Moͤnche und Nonnen, welche ih-
re Geluͤbde brachen, und das Kloſter treulos ver-
ließen, mit dem Bannfluche belegt, den niemand
als ſie ſelbſt loͤſen konnten. Dieſer Bann ward
jetzt mit allen ſeinen ſchrecklichen Wirkungen der
ungluͤcklichen Karoline kund gemacht. Du biſt,
lauteten die Donnerworte, ausgeſchloſſen aus der
Gemeinſchaft der Kirche, verſtoßen aus unſrer
Mitte, verbannt in nie ſich oͤfnenden Kerker. Du
darfſt nicht betreten die heilige Schwelle des Got-
teshauſes, haſt keinen Theil an unſerm Gebete,
du kannſt beten, kannſt bereuen, aber dein Gebet
wird der Sturmwind fruchtlos verwehen, und dei-
ne Reue Gottes Barmherzigkeit nicht erweichen,
denn er hat auf die Bitte ſeiner Diener, ſeine
Augen von dir abgewandt, und ſein Ohr vor dei-
nem Flehen verſchloſſen. Verflucht ſind deine
Haͤnde und Fuͤße, verflucht alle deine Glied-
maßen, verflucht dein ganzer Koͤrper, verflucht
und ewig verdammt deine Seele, wenn derjenige
nicht loͤſt, der den Loͤſe- und Bindeſchluͤſſel in
Haͤnden hat. Verflucht ſind alle, welche mit dir
in fernerer Gemeinſchaft leben! Verflucht ſei die-
jenige, welche mit dir ein Wort des Troſtes
ſpricht! Verflucht ſei jede, welche dir Labung ge-
waͤhrt, wenn du krank biſt, oder dir in deinem
Todeskampfe beiſteht! Verflucht ſei endlich die
Hand, welche dir mehr als Brod und Waſſer
reicht! Dieß iſt das ſchreckliche Urtheil, fuhr die
Aebtiſſin fort, welches ich im Namen des heiligen
Oberhauptes unſrer Kirche uͤber dich auszuſprechen
verordnet worden bin, damit aber nicht Verzweif-
lung deine Seele ergreift, ſo wiſſe, daß wir uns,
ob du es gleich nicht verdienſt, zum Throne des
heiligen Vaters nahen, und um deine Loͤſung fle-
hen werden. Bis dahin harre im Kerker, bis da-
hin rufe aus der Tiefe zum Ewigen empor, da-
mit er das Herz ſeines Statthalters auf Erden
erweiche, und dich faͤhig mache, durch aͤchte Reue
und Buße den Himmel wieder zu gewinnen, den
du ſo muthwillig verſcherzet haſt.
Karoline. (im ſtandhaften Tone)
Muthig und entſchloſſen wuͤrde ich in meinen Ker-
ker wandern, ruhig buͤßen, was ich verbrochen
habe, denn derjenige, welcher jedes Haar auf dem
Haupte des Menſchen gezaͤhlt hat, ohne deſſen
Willen kein Sperling vom Dache fallen kann,
wuͤrde trotz eures ſchrecklichen Fluchs, mein Schutz
und Schirm ſeyn, mit mir enden nach ſeiner un-
ermeßlichen Barmherzigkeit; aber — — (ſie
ringt weinend ihre Haͤnde) aber ich bin
ſchwanger! Fuͤhlts, denn ihr ſeid Menſchen!
Ich trage ein Kind unter meinem Herzen, das
ſchuldlos am Verbrechen der Mutter iſt, und nicht
buͤßen kann ihre Suͤnden! Erbarmt euch des Un-
gebohrnen, uͤbt wenigſtens Barmherzigkeit an
dieſem!
Einige Nonnen. Verflucht ſei's mit ihr,
der unausloͤſchliche Beweiß ihres Meineides! Sie
hat unſer Kloſter mit Schande uͤberhaͤuft, Fluch
und Tod verdient!
Karoline. Segnet die, welche euch fluchen!
So ſprach der goͤttliche Stifter unſrer Religion,
ich will ihn nachahmen, und die Wirkung erwar-
ten! Gottes Segen ſei mit euch, thut, was euch
gefaͤllt, ich habe nun geendet.
Aebtiſſin. Wir muͤſſen dem Gebote der
Kirche gehorchen, ich kann dein Schickſal nicht
lindern, aber ich werde uͤber dieſen hoͤchſt traurigen
Zuſtand Bericht erſtatten, und dann der Verord-
nung gemaͤß handeln.
Karoline ward nun in Begleitung aller Non-
nen nach dem beſtimmten Kerker gefuͤhrt. Wie
ſich die eiſerne Thuͤre deſſelben oͤfnete, ſchauderte
ſie zuruͤck, aber ſie ward hineingeſtoßen, und die
Thuͤre hinter ihr verſchloſſen. Drei Schloͤſſer ver-
wahrten ſolche, die Aebtiſſin, die Priorin und die
Subpriorin mußte immer eines derſelben verſchlie-
ſen, und den Schluͤſſel in Verwahrung nehmen.
Jede druͤckte noch uͤberdieß ihr Siegel daran, da-
mit niemand die Thuͤre oͤfnen koͤnne. An der
rechten Seite derſelben war eine runde Maſchine
von Eiſenblech angebracht, welche halb offen war,
und ſich auf ihrer Achſe rund herum bewegte.
Wenn nun die Nonnen der armen Gefangnen ihr
taͤgliches Brod und Waſſer brachten, ſo drehten
ſie die Oefnung in den Kerker, der verſchloßne
Theil der Maſchine trat dann heraus, und verhin-
derte die Ueberbringerin die Gefangne zu ſehen
oder zu ſprechen. Der Kerker ſelbſt enthielt ein
foͤrmliches Quadrat, das vier Ellen breit und lang
war, ein kleines engvergittertes Fenſter erleuchtete
ſolchen nur ſparſam, ein hoͤlzerner Tiſch und
Stuhl, ein ſchwarzer Sarg, waren die einzigen
Geraͤthe, welche ſich darinne befanden. Der
Sarg war mit zwei haͤrnen Decken gefuͤllt, und
diente der Gefangnen zum Bette; kein Buch, kein
Arbeitsgeraͤthe war ihr vergoͤnnt, ſie durfte ſich
mit nichts beſchaͤftigen, ſollte nur die Groͤße ihres
Verbrechens erwaͤgen, und ewig buͤßen. Daß
uͤbrigens die Gefangene durch eben dieſe Maſchine
die noͤthige Waͤſche erhielt, durch eine andere aͤhn-
liche Maſchine ſich jedes Unraths entledigen konn-
te, muß ich noch um deßwillen anfuͤhren, damit
ich nicht ſchwaͤrzeres Licht uͤber die ehemaligen
Kloſtergefaͤngniſſe verbreite.
Wahrſcheinlich handelte die Aebtiſſin edler, als
ſie ſprach, denn nach drei Monaten langte durch
ihre Vermittlung nicht allein die Loͤſung des Ban-
nes im Kloſter an, ſondern der Gefangnen ward
auch zugleich ein weit milderes Schickſal beſtimmt.
Sie hat, lautete die Verordnung, genug gebuͤßt,
und muß nun, da die Kirche ſie wieder in ihren
Schoos aufnimmt, menſchlicher behandelt werden.
Sollte ſie wirklich ſchwanger ſeyn, ſo ward der
Aebtiſſin die Sorge fuͤr ihre gluͤckliche Niederkunft
ans Herz gelegt, den Nonnen aber zugleich auf-
getragen, zur Vermeidung des Aergerniſſes das
neugebohrne Kind, auf eine ſchickliche und geheime
Art ſogleich aus dem Kloſter zu entfernen, jedoch
in Anſehung des großen Vermoͤgens der Mutter
fuͤr die Erziehung deſſelben Sorge zu tragen, und
die Mutter bis an ihren Tod ſo zu verpflegen,
daß ſie einſt ihren Tod nicht zu verantworten
haͤtten.
Viele der Nonnen freuten ſich uͤber dieſe Nach-
richt, nur wenige fanden die Strafe fuͤr ſolch ein
ſchreckliches Verbrechen zu gering, und meinten,
daß das große Vermoͤgen der Verbrecherin keine
Ruͤckſicht verdiene. Als man den Kerker oͤfnete,
fand man Karolinen ſo geſund als moͤglich, ſie
empfieng die freudige Nachricht, ohne ein Gefuͤhl
der Freude zu aͤußern, und hoͤrte gleichguͤltig zu,
wie der Beichtvater des Kloſters ſie von ihrem
Banne losſprach. Ihre Schwangerſchaft hatte
den hoͤchſten Grad erreicht, ſpaͤtere Huͤlfe wuͤrde
ſie und ihr Kind vielleicht todt gefunden haben.
Man fuͤhrte ſie nach dem Krankenhauſe, wo ſie
in einer abgeſonderten Zelle zwar immer noch als
eine Gefangne verwahrt, aber doch von einer be-
ſondern Waͤrterin bedient, und vom Tiſche der
Nonnen geſpeiſet wurde. Sie ſprach aͤußerſt we-
nig, oft viele Tage hintereinander gar nicht, ſaß
nur immer gedankenvoll auf ihrem Bette, und
ſtarrte ſtundenlang einen und den nemlichen Ge-
genſtand an. Ehe noch volle vierzehn Tage ver-
floſſen, nahte ſich die Stunde ihrer Geburt.
Die Huͤlfe war gering, ihr Leiden groß, aber ſie
duldete gelaſſen, und gebahr endlich in der fol-
genden Nacht eine geſunde Tochter. Wie die
Waͤrterin ſolche in ihre Arme legte, und Karoline
ihres Gatten Ebenbild in ihr erblickte, da ſiegte
Natur und Liebe, das Gefuͤhl einer Mutter er-
wachte, Freude und Wonne kehrte in ihr oͤdes
Herz zuruͤck, ſie aͤußerte ſolche durch Worte, und
ſprach in dieſer Stunde mehr, als ſie die ganze
Zeit vorher geſprochen hatte.
Am Morgen meldete die Waͤrterin der Aebtiſ-
ſin die Geburt des Kindes; da ſchon im Voraus
geheime Anſtalt getroffen war, ſo befahl dieſe ſo-
gleich, die beſtellte Amme zu rufen, und ihr das
Kind zu uͤbergeben. Karoline war eben in erſten
ruhigen Schlaf verſunken, als man ihr das
Schmerzenskind ſanft aus ihren muͤtterlichen Ar-
men nahm, und es aus dem Kloſter ſandte.
Wie ſie erwachte, blickte ſie aͤngſtlich umher, und
forſchte nach ihrem Kinde. Sie habens ermordet,
ſie habens getoͤdtet! ſchrie ſie verzweifelnd, als
die Waͤrterin ihr berichtete, daß man es einer
Amme zur Pflege uͤbergeben habe. Sie forderte
es mit Ingrimme zuruͤck, wie man ihr aber ſol-
ches ſtandhaft verweigerte, ihr ſogar die Bitte es
noch einmal zu ſehen, hartnaͤckig abſchlug, da be-
gann ſie fuͤrchterlich zu raſen. Nur mit groͤßter
Muͤhe konnte mans verhindern, daß ſie die Waͤr-
terin nicht erdroſſelte, man mußte ihr eine andre
ordnen, weil ſchon der Anblick derſelben ſie in die
groͤßte Wuth verſetzte. Ein hitziges Fieber, wel-
ches ſie Tages darauf ergriff, ſchien ihr Leben
enden zu wollen, aber die Natur ſiegte, ſie ge-
nas, und ihre Raſerei verwandelte ſich in einen
gluͤcklichen Wahnſinn, welcher ihre Einbildungs-
kraft irre fuͤhrte, und ihr gewaͤhrte, was ihr die
Geſetze nicht erlauben konnten. Sie bildete ſich
bald aus Waͤſche und andern Flecken ein Kind,
das ſie mit der groͤßten Sorgfalt pflegte und war-
tete, ſie that niemand etwas zu leide, aber weh
derjenigen, welche es nur verſuchen wollte, ihr
die elende Puppe zu rauben, ſie war dann Tage
lang nicht zu beſaͤnftigen, und wachte nachher im-
mer einige Naͤchte am Bette des kleinen Abgotts.
Auf den Rath des Kloſterarztes ward ihr mehr
Freiheit verſtattet, ſie konnte im Garten und
Kreuzgange umher wandeln, aber ſie thats ſehr
ſelten, weil man ihr nicht erlaubte, die Puppe
mitzunehmen.
Als ſie einſt in der Zelle einer Nonne einen
Haubenſtock erblickte, ſtuͤrzte ſie wild hinein, um-
armte den Klotz mit innigſtem Gefuͤhle, und rief
freudetrunken aus: Nun habe ich mein geraub-
tes Kind wieder! Sie warf die ſonſt ſo ſchaͤtz-
bare Puppe in einen Winkel, und der Hauben-
ſtock vertrat von nun an die Stelle derſelben.
Ihre einzige Beſchaͤftigung war die Pflege und
Wartung des Kindes, oft ſchlich ſie traurig und
weinend in den Kloſtergaͤngen umher, wenn man
dann nach der Urſache ihrer Trauer forſchte, ſo
erzaͤhlte ſie mit dem ſchmerzhafteſten Gefuͤhle und
der innigſten Ruͤhrung, daß ihr Kind krank ſei,
und mit dem Tode kaͤmpfe. Sie flehte oft die
Voruͤbergehenden um Arzenei an, und dankte aufs
innigſte, wenn es ſich ihrer Einbildung nach mit
dem Kleinen beſſerte. Sie verrieth uͤbrigens in
allen ihren Geſpraͤchen nicht die geringſte Spur
eines weitern Wahnſinnes, ſie erzaͤhlte oft den
Nonnen ſtundenlang von den Staͤdten und Laͤn-
dern, welche ſie an der Seite ihres Friedrichs
durchreiſet hatte, ſie war vorſichtig genug, die
zweite Veraͤnderung ihrer Religion und die wirk-
liche Heirath mit ihm nie zu erwaͤhnen, beides
blieb den Nonnen ein Geheimniß. Nur in der
ſpaͤtern Folge ward ihr auch das Gedaͤchtniß un-
getreu, ſie verwechſelte Friedrichs Geſchichte mit
der ihrigen, ſprach viel von einer barbariſchen
Mutter, von einem harten Onkel, der ſie noch
immer verfolge, ihr alle ihre Landguͤter geraubt
habe, und ſolche nicht wieder zuruͤckgeben wolle.
Sie vergaß es endlich ganz, daß ſie Nonne ſei,
verlangte, daß man ihr als einer vornehmen Da-
me begegnen ſolle, und duldete kein Nonnenkleid
mehr an ihrem Koͤrper.
Da ſich der Haß ihrer Mitſchweſtern durch ih-
ren ungluͤcklichen Zuſtand ſehr gemindert hatte,
da jene uͤberdieß dem großen Vermoͤgen der ar-
men Karoline ihren groͤßern Wohlſtand zu danken
hatten, ſo duldete man jetzt ihre Launen mit vie-
ler Nachſicht, die Aebtiſſin ließ ihr weltliche Klei-
der machen, und wuͤrde ihr laͤngſt ſchon ihr Kind
zuruͤckgegeben haben, wenn es nicht im zweiten
Monate ſeines Alters geſtorben waͤre. Lange Zeit
nachher kam zur Nachtszeit Feuer im Kloſter aus,
es wuͤthete eben ein gewaltiger Sturmwind, und
ehe die ſchlafenden Nonnen erwachten, ſtanden
ſchon alle Gebaͤude in hellen Flammen. Alles
rettete ſich in der groͤßten Eile und Verwirrung,
wie ſich die Nonnen am Morgen wieder ſammel-
ten, vermißten ſie viere ihrer Mitſchweſtern, und
unter dieſen auch die ungluͤckliche Karoline. Alle
glaubten, daß auch ſie ein Raub der Flamme
geworden ſei, und — Ehre dem Ehre gebuͤhret —
viele weihten ihrer Aſche eine dankbare Thraͤne,
denn nur ihr großes Vermoͤgen ſetzte die Nonnen
in Stand, das Kloſter ſchnell, weit ſchoͤner, und
ohne Schulden wieder aufbauen zu koͤnnen.
Daß Karoline nicht in den Flammen umkam,
daß ſie ſogar auch daß Kind ihres Wahnſinns
rettete, beweiſt die Folge, wie ſie aber entkam,
und ungehindert den weiten Weg nach Boͤhmen
machte, wie ſie ſich endlich auf dieſer Reiſe er-
naͤhrte, bin ich nicht im Stande zu erzaͤhlen.
Eben ſo wenig vermag ich die Urſache anzugeben:
Wie es geſchehen konnte, daß eine Wahnſinnige
ihre eigne, wahre Lebensgeſchichte ſo ganz ver-
gaß, und dagegen eine erdichtete, aber doch ſehr
wahrſcheinliche Geſchichte erfand? Die Wirkungen
des Wahnſinnes ſind oft ſehr merkwuͤrdig; nur
ſchade, daß ich ſie hier nicht enthuͤllen kann.
Wenn man die Zeit, in welcher das Kloſter ab-
brannte, mit ihrer Ankunft in Boͤhmen vergleicht,
ſo iſts erwieſen, daß ſie laͤnger als ein Jahr
huͤlflos in der Welt umherirrte. Ob ſie vielleicht
in dieſer Zeit Ideen zu dieſer Geſchichte ſam-
melte, laͤßt ſich nur vermuthen, aber nicht be-
haupten.
Wahrſcheinlich wuͤrde die ungluͤckliche Karo-
line ihr Leben in dem einſamen Dorfe geendet
haben, wenn nicht ein neuer Zufall, oder viel-
mehr der Vorſehung Wille ihr Schickſal verbeſſert
haͤtte. Die großmuͤthige Fuͤrſtin, welche Karoli-
nen den koſtbaren Trauring ſchenkte, gedachte ih-
rer noch ſehr oft, und verwunderte ſich immer,
daß ſie, ihrem Verſprechen gemaͤß, nicht wieder
in ihr Land zuruͤckgekehrt ſei. Gott weiß, fuͤgte
ſie dann ſtets hinzu, wie es jetzt der Armen geht,
ich gaͤbe viel darum, wenn ich von ihrem Schick-
ſale naͤher unterrichtet waͤre. Als ſie nachher die
Regierung ihrem Sohne uͤbergab, und viele Jahre
ſchon auf ihrem Luſtſchoſſe ruhte, ſprach man
einſt an ihrer Tafel von einigen beſondern Schoͤn-
heiten. Dieß Geſpraͤch erinnerte die Fuͤrſtin aufs
neue an die noch nie ganz vergeſſene, ſchoͤne Ka-
roline, ſie aͤußerte die nehmlichen Geſinnungen,
und ein fremder Graf, welcher eben an der Tafel
ſpeiſte, erzaͤhlte nun der Fuͤrſtin, daß er einen al-
ten Diener habe, welcher viele Jahre bei Friedri-
chen diente, und ſehr viel von ihm und Karolinen
zu erzaͤhlen wiſſe. Die Fuͤrſtin verlangte dieſen
zu ſprechen, und er erſchien am andern Morgen
in ihrem Kabinette.
Da es eben derjenige war, welcher Friedrichen
ſchon zu F — diente, mit ihm nach den Inſeln
ſchiffte, und erſt nach ſeinem Tode von der troſt-
loſen Karoline entlaſſen wurde, ſo konnte er die
Neugierde der Fuͤrſtin im vollen Maße befriedi-
gen. Sie ſchenkte der Ungluͤcklichen ihr ganzes
Mitleid, ſie weinte, als ſie durch eben dieſen Be-
dienten erfuhr, daß ſie auf der Reiſe zu ihr in
einem kleinen Staͤdtchen ſei angehalten, und ge-
fangen nach dem Kloſter gefuͤhrt worden. Der
alte Diener war ihr aus aͤchter, aufrichtiger Treue
nachgereiſet, er wollte ihr aufs neue ſeine Dienſte
ohne Abſicht auf Vergeltung anbieten, und hatte
die ſchreckliche Nachricht aus dem Munde des
Wirthes, in deſſen Hauſe ſie arretirt wurde, ver-
nommen. Auch mir, ſagte der treue Diener, als
er die Fuͤrſtin weinen ſah, hat ihr Andenken man-
che Thraͤne gekoſtet. Wenn ich aber nicht ganz
irre, ſo muß ſie wieder aus dem Gefaͤngniſſe des
Kloſters entflohen ſeyn, denn vor ſechs Jahren las
ich in den Zeitungen eine Beſchreibung von einer
Wahnſinnigen, die ihr ganz aͤhnlich war, ich habe
das Blatt ausdruͤcklich deswegen aufgehoben, und
will jetzt Euer Durchlaucht urtheilen laſſen: ob
ich mich irre? Er uͤberreichte nun dieß Blatt der
Fuͤrſtin, ſie erkannte in der Beſchreibung ſogleich
Karolinen, weil uͤberdieß die Kennzeichen des Rin-
ges ſo deutlich darinne enthalten waren. Sie
ward aufs aͤußerſte geruͤhrt, als ſie las: daß die
arme, elende Wahnſinnige, dieſen Ring nie von
ſich geben, und mit in ihr Grab nehmen wolle.
Sie ſandte ſchon am andern Tage einen alten
Haushofmeiſter, welcher Karolinen ehemals geſe-
hen hatte, nach Boͤhmen ab, trug ihm auf, nach-
zuforſchen: ob die Ungluͤckliche noch lebe, und bei
dem Abte anzufragen: ob man ſolche freiwillig
ihrer Verſorgung uͤberlaſſen wolle? Der Haus-
hofmeiſter vollzog den Befehl ſeiner Gebieterin
aufs genauſte, er war derjenige, welcher nach der
Ausſage des Pfarrers mit der Alten in einer frem-
den Sprache redete. Er fragte ſie: ob ſie ſich
der Fuͤrſtin nicht mehr erinnere? ob ſie nicht mit
ihm dahin reiſen wolle? Aber, ihr Wahnſinn gab
ihm ſehr verwirrte Antworten, er mußte, ohne ih-
ren Entſchluß zu erfahren, abreiſen, doch brachte
er der Fuͤrſtin die Verſicherung des Abtes, daß
man ſie ohne die geringſte Hinderniß ihrer Vor-
ſorge uͤberlaſſen werde. Dieſe ſandte dann in der
Folge einen eignen Wagen dahin ab, und Karoli-
ne wurde ſogleich ausgeliefert. Damals machte
man im Kloſter verſchiedene Gloſſen: wer die Alte
wohl ſeyn muͤſſe, da eine Fuͤrſtin ſich ihrer an-
nehme, ſie in einem Wagen mit vier Pferden ab-
holen laſſe? Aber, bald erfuhr man durch einen
fremden Geiſtlichen, dem man dieß alles erzaͤhlte,
Karolinens wahre und aͤchte Geſchichte. Briefe,
welche nachher mit dem entfernten Nonnenkloſter
gewechſelt wurden, ſetzten ſolche außer Zweifel,
und
und man unterdruͤckte abſichtlich die ganze Bege-
benheit, weil man ſich Vorwuͤrfe machte, daß
man eine Nonne an eine proteſtantiſche Fuͤrſtin
ausgeliefert habe.
Dieſe erhabne Edle genoß die Fruͤchte ihrer
Wohlthaten nicht, die ungluͤckliche Wahnſinnige
nahm ſie fuͤr ihre Mutter, welche ſich ihre Ein-
bildungskraft zwar einſt todt, aber jetzt wieder
lebend dachte. Sie machte der Großmuͤthigen die
heftigſten Vorwuͤrfe, forderte im Namen ihres
Kindes die Guͤter zuruͤck, welche ſie ihr einſt ent-
riſſen haͤtte, und behauptete kuͤhn, daß der Fuͤrſtin
Schloß dieſem gehoͤre. Die Fuͤrſtin beweinte die
Ungluͤckliche noch oft, ſie raͤumte ihr ein ſchoͤnes
Haus zu ihrer Wohnung ein, ließ ſie anſtaͤndig
bedienen, und ſorgfaͤltig verpflegen. Sie verwei-
gerte ſie ſchlechterdings den Nonnen, welche, durch
die Moͤnche von ihrem Leben und Aufenthalte un-
terrichtet, um ihre Auslieferung anſuchten.
Die Ungluͤckliche ward nach einem halben Jah-
re krank, und eine heftige Lungenentzuͤndung ende-
te ihr Leben. Zwei Tage vor ihrem Tode kehrte
ihr Verſtand vollkommen zuruͤck, man meldete es
der Fuͤrſtin, ſie eilte herbei, und die Kranke dank-
te ihr jetzt mit einer Innigkeit, die allen Anwe-
ſenden Thraͤnen entlockte. Auf ausdruͤcklichen Be-
fehl der Fuͤrſtin ward der Ring und der Hauben-
ſtock, welchen ſie im Todeskampfe wieder forderte
und an ihr Herz druͤckte, mit ihr begraben. Ihr
Zweit. Baͤndch. E
Koͤrper ruht in dem großen Garten des Schloſſes,
man muß ſich durch Dornenheken hindurch win-
den, wenn man das ſchoͤne Grabmahl der ungluͤck-
lichen Liebe naͤher betrachten will. Es ſtellt die
Ruinen eines Tempels vor, der wahrſcheinlich
einſt der Liebe geheiligt war. Die Statuen des
Amors, des Hymen, und der Venus liegen am
Eingange verſtuͤmmelt, die Fackel des Hymen,
die Pfeile des Amors, die ſchnaͤbelnden Tauben
der Venus, ſind zerbrochen. Epheu und Winter-
gruͤn kriechen auf den Ruinen umher, und werden
bald alles bedecken. Viele Turteltauben hecken in
den Hoͤhlen und Loͤchern. Das freche Gelaͤchter
des buhlenden Taubers, kontraſtirt mit der tiefen
Stille, welche in dieſen Ruinen herrſcht, aber der
klagende ſchmachtende Ruf der verlaßnen Taͤubin,
erinnert lebhaft an die Ungluͤckliche, welche hier
ruht.
Franz L — r.
Baron M — beſaß großen Reichthum und viele
Guͤter. Er war von fruͤher Jugend an ein Lieb-
ling des ſonſt ſo veraͤnderlichen und launiſchen Schick-
ſals, jede ſeiner Unternehmungen ward mit dem
herrlichſten Erfolge gekroͤnt, jeder ſeiner oft kuͤh-
nen Wuͤnſche erreichte gluͤcklich das ausgeſteckte
Ziel, nur in einem einzigen Falle, konnte das
Kind des Gluͤcks den ſehnlichſten ſeiner Wuͤnſche
nie erfuͤllt ſehen. Er heirathete drei der ſchoͤn-
ſten Maͤdchen, ſie liebten ihn innig und zaͤrtlich,
aber ſie ſtarben alle, ehe ſie ihm einen Erben
ſchenkten. Er nahm die vierte Frau, in dem er-
ſten Jahre der Ehe erſchien ſchon die Hofnung ei-
nes nahenden Erben, ſie gebahr ihm wirklich eine
Tochter, aber ihr Leben war der Mutter Tod,
und M — ward aufs neue Witwer. Nur der
Gedanke, daß er jetzt einen Erben beſitze, troͤſtete
ihn uͤber den fruͤhen Verluſt ſeiner Gattin, aber
bald ſchien auch dieſer Troſt wieder weichen zu
wollen. Man nahm in der ſchweren Geburt mehr
Ruͤckſicht auf die Erhaltung der Mutter, als auf
das Leben des Kindes, und dieß mußte jetzt die
Folgen buͤßen. Durch ſechs lange Monate ſchweb-
te die kleine Wilhelmine immer zwiſchen Leben und
Tod, jeden Morgen forſchte der Vater aͤngſtlich:
ob ſeine Hofnung ſchon geendet habe? ob ſein ein-
ziges Kind ſchon im Sarge ruhe? Nach dieſer
Zeit wurden ihm endlich troͤſtlichere Nachrichten,
die geliebte Tochter fieng an zu gedeihen, war
nicht mehr ſo krank, und laͤchelte oft, wenn der
gute Vater ſie in ſeinen Armen wiegte. Aber
bald ward dieſe angenehme Hofnung durch neuen
Kummer verbittert, Wilhelmine bekam die Blat-
tern, das ganze Gift derſelben zog ſich in die Au-
E 2
gen des Kindes, die Huͤlfe der geſchickteſten Aerzte
war vergebens, Wilhelmine genas, aber ihre Au-
gen waren ein Raub der Blattern geworden, ſie
blieb ganz blind.
Von dieſem Augenblicke an war dauerhafte Ge-
ſundheit das Loos der armen Kleinen, ſie bluͤhte
gleich einer Roſe, und ſah ganz einem Amor aͤhn-
lich, wenn man ihre geſchloßnen Augenlieder mit
einem ſchwarzen Bande bedeckte. Das unverſchul-
dete Ungluͤck raubte ihr nicht die Liebe des Va-
ters, ſie ward ihm dadurch werther und theuerer,
er war noch nicht fuͤnfzig Jahr alt, aber er hei-
rathete nicht mehr, damit er ſein blindes Kind
wenigſtens mit all ſeinem Reichthume begluͤcken
koͤnne.
Wilhelmine ward in der Folge eins der ſchoͤn-
ſten Maͤdchen ihres Zeitalters, die ſchwarze Bin-
de, welche ſtets ihre Augen deckte, hinderte ihre
Reize nicht, erhoͤhte ſie vielmehr. Man konnte,
wenn man in ihr holdes Angeſicht blickte, ſie aus-
drucksvoll ſprechen hoͤrte, ihr Liebe und Bewun-
derung ſelten verſagen, man war froh, daß ſich
ihr Auge nicht enthuͤlle, weil man allzuſtark be-
ſiegt zu werden, fuͤrchtete, man, dankte ihr, daß
ſie nur ſanft regieren wolle, wo ſie doch unum-
ſchraͤnkte Siegerin ſeyn konnte. Sie verrieth in
ihrer fruͤhen Jugend ſchon die herrlichſten Talen-
te, und beſaß ſie in der Folge wirklich. Ihr
wahrhaft großes Genie, ihre unermuͤdete, aushar-
rende Geduld uͤberwand die groͤßten Schwierigkei-
ten, und erregte Staunen. Sie war in allen
weiblichen Kuͤnſten erfahren, ſie konnte ſtricken,
naͤhen und Spitzen kloͤppeln, ſie ſchrieb nicht al-
lein ſchoͤne Buchſtaben, ſondern auch ſehr ſchoͤne
Briefe. Das feine, unglaublich zarte Gefuͤhl ih-
rer Finger vertrat beinahe die Stelle ihrer Au-
gen, ſie konnte durch bloßes Beruͤhren die Far-
ben der leinenen und wollenen Zeuge beſtimmen,
wer ihr einmal ſeine Hand reichte, der ward zum
zweitenmale ſicher an dieſer von ihr erkannt.
Ihr Geruch war eben ſo fein, durch ſeine
Huͤlfe unterſchied ſie jede Gattung des Holzes,
der Blumen, Kraͤuter, Thiere, Voͤgel und Fiſche,
wenn ſie ſolche auch nicht beruͤhrt hatte. Sie
war Meiſterin all ihrer Gebaͤrden, und ſprach mit
einem reizenden, bezaubernden Ausdrucke. Die
Idee einer weiblichen oder maͤnnlichen Schoͤnheit,
war ihr freilich unbekannt, aber ſie erſchuf ſich
eine eigene. Schoͤn war bei ihr der Mann, wel-
cher vernuͤnftig und melodiſch ſprach, er mußte
uͤberdieß groß von Perſon ſeyn, denn nach ihrer
Idee konnte ein kleiner Mann nicht Anſpruch
auf Schoͤnheit machen.
Ihr reicher Vater ſparte keine Koſten, um ſeine
Wilhelmine immer mehr zu vervollkommnen, und
ihr Gelegenheit zu verſchaffen, neue Kenntniſſe
zu ſammeln. Er wohnte zwar mit ihr auf einem
ſeiner Landguͤter, aber er beſoldete mehrere Lehr-
meiſter und Lehrerinnen, welche ſeine Tochter un-
terrichten, und ihr alle neue Buͤcher vorleſen
mußten. Sie ſprach franzoͤſiſch, engliſch, und
italieniſch, und verdankte dieſe Sprachkenntniß
mehr ihrem vortreflichen Gedaͤchtniſſe, als der
Geſchicklichkeit ihrer Lehrer.
Wie ſie ſechszehn Jahr alt war, aͤußerte ſie
ein heftiges Verlangen den Fluͤgel ſpielen zu ler-
nen. Der Sohn des Schulmeiſters, welcher im
nahen Dorfe wohnte, war eben von der Univer-
ſitaͤt zuruͤckgekommen, er ſpielte an einem Sonn-
tage mit großer Geſchwindigkeit und mit noch
groͤßerer Anmuth die Orgel, ſein Spiel entzuͤckte
Wilhelminen, ſie wuͤnſchte eben ſo ſchoͤn zu ſpie-
len, und Franz, ſo hieß des Schulmeiſters Sohn,
ward bald hernach ihr Lehrer.
Franz war ein ſchoͤner, ſanfter Juͤngling, er
hatte nach des Vaters Willen die Theologie ſtu-
diert, und ſollte, wenn der Himmel ſeinen Segen
und der Baron ſeinen Willen dazu gaͤbe, einſt auf
den Guͤtern des letztern eine Pfarre erhalten.
Vater und Sohn waren gleich ſtark erfreut, als
ihnen der Baron das Verlangen ſeiner Tochter
vortrug, und in den gnaͤdigſten Ausdruͤcken hinzu-
fuͤgte, daß, wenn ſeine Muͤhe mit gutem Erfolge
gekroͤnt wuͤrde, er zum Lohne die erſte ledige
Pfarre erhalten ſollte.
Wie der Fluͤgel, ſamt einem praͤchtigen Forte-
piano aus der Stadt anlangte, zog Franz aufs
Schloß, und begann ſeinen Unterricht. Anfangs
ſchraͤnkte ſich dieſer nur auf zwei Stunden des
Tages ein, bald fand aber Wilhelmine groͤßern
und nach kurzer Zeit ſo innigen Geſchmack an der
Muſik, daß ſie oft den ganzen Tag dazu verwen-
dete, und bald auch in dieſer Kunſt die Bewun-
derung aller erregte. Franzens Eifer ermuͤdete
nie, er war wirklich ſehr geſchickt, und erfand
verſchiedene Methoden, wodurch er ſeiner blinden
Schuͤlerin den Unterricht ſehr erleichterte. Sie
war dankbar, und lohnte ſeine Muͤhe mit anſehn-
lichen Geſchenken. Er ſang einen aͤußerſt ange-
nehmen Tenor, mußte Wilhelminen oft ſtunden-
lang vorſingen, und erndete ihren Beifall im vol-
len Maße.
Ehe noch ein Jahr vergieng, fuͤhlte Wilhel-
mine, daß nicht allein Dankbarkeit, ſondern auch
wahre, aͤchte Liebe ihr Franzens Umgang ſo an-
genehm und nothwendig machten. Der ſeltene
Eifer des Juͤnglings, ſeine unermuͤdete Geduld
im Unterrichte, ſeine edle Seele, ſein gutes red-
liches Herz, das ſich bei jeder Gelegenheit ſo vor-
theilhaft auszeichnete, ſeine ſanfte, melodiſche
Stimme, das allgemeine Lob ſeiner Schoͤnheit,
hatte unbemerkt ihr Herz gefeſſelt, und fieng nun
maͤchtig an, Gegenliebe zu heiſchen. Oft ſprach
ſie mit ihm von ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung, und
forſchte dann aͤngſtlich: Ob er ſich ſchon eine
Gattin auserkohren habe? Freudig klopfte ihr
Herz, wenn der gute Juͤngling dieſe Frage im
aufrichtigſten Tone verneinte, aber weh that es
auch dieſem, wenn er den ſanften Haͤndedruck,
den er zum Lohne fuͤr dieſe Nachricht erhielt,
nicht erwiederte, wohl gar die Hand zitternd zu-
ruͤcke zog.
Eben hatte die ſchmachtende Wilhelmine mit
ihrem Herzen Rath gehalten, und war belehrt
worden, daß es nicht laͤnger hoffnungslos ſchmach-
ten wolle, als Franz in ihr Zimmer trat. Sie
kannte ſeine Schritte ſchon von Ferne, und freute
ſich ſeiner Ankunft. Er machte ihr ſein gewoͤhn-
liches, ehrfurchtsvolles Kompliment, und trat
ſtillſchweigend ans Fenſter. Die tiefen Seufzer,
welche dann und wann willkuͤhrlich ſeine Bruſt
hoben, uͤberzeugten Wilhelminen, daß ihr Lieb-
ling leide, ſie forſchte theilnehmend nach der Ur-
ſache ſeines Kummers.
Franz. Der Pfarrer zu L — iſt heute Nacht
geſtorben.
Wilhelmine. Troͤſte Gott ſeine arme Witt-
we, ſeine unerzogenen Kinder.
Franz. (ſtotternd) Der Herr Baron
hatten die Gnade, mir zu verſprechen — —
Wenn ſie keine Muͤhe, keinen Fleiß im Unter-
richte meiner Tochter ſparen, ſagte er, ſo ſollen
ſie die erſte ledige Pfarrſtelle erhalten. — — Ich
weiß nun nicht, ob ich von dieſer Seite einiges
Lob verdiene, ob ich — —
Wilhelmine. (feurig) Und ſollte ich
mir auch fuͤr die Zukunft alles Vergnuͤgen, alle
Freude rauben, ſo werde ich doch ihren Verdien-
ſten das beſte Zeugniß nicht verſagen.
Franz. (traurig) Mein Vater will,
daß ich um den Dienſt anhalten ſoll.
Wilhelmine. (freudig) Ihr Vater,
nur ihr Vater will es?
Franz. Er forderts mit vollem Rechte.
Meine Erziehung, meine Studien haben ihm
viel gekoſtet, alles, was er einſt zu einem Noth-
pfennig brauchen konnte, hat er mir willig geop-
fert, es iſt billig, daß ich ihm ruhige Ausſicht
auf ſeine alten Tage gewaͤhre, und ihn, wenn
ich den Dienſt erhalte, zu mir nehme.
Wilhelmine. Es iſt hoͤchſt billig! (trau-
rig) Ich will meinen Vater ſelbſt bitten, er
verſagt mir ſelten eine Bitte, und wird dieſe ge-
wiß gewaͤhren.
Franz. (mit Thraͤnen) Ich danken,
Euer Gnaden, aufs innigſte.
Wilhelmine. Sie weinen? Sind's Thraͤ-
nen der Freude? Der Ton ihrer Stimme wider-
ſprach.
Franz. Verzeihen ſie, gnaͤdiges Fraͤulein,
ich dachte nur daran, daß es mir aͤußerſt ſchwer
fallen wuͤrde, mich von ihrem — — von ih-
nen — — von ihrem Unterrichte zu trennen.
Wilhelmine. Und dieſe Erinnerung koſtete
ihnen Thraͤnen?
Franz. O Gott, ſollte ſie es nicht?
Wilhelmine. (ſeine Hand ergrei-
fend) Franz, ſprachſt du dieß im Ernſte?
Franz. Koͤnnten ſie in meinem Herzen
leſen?
Wilhelmine. Koͤnnteſt du in dem meini-
gen leſen! (in ſeine Arme ſinkend) Nein,
Theurer, ich bitte nicht fuͤr dich! du bleibſt bei
mir! bei mir!
Ich will dieſe Scene, welche ſich endlich mit
voller Erklaͤrung, und Verſicherung einer ewigen
Liebe endigte, nicht weiter fortſetzen, ſie wuͤrde,
ſie muͤßte langweilig werden, weil nur ſelten ein-
zelne, abgebrochne Worte die uͤberſtroͤmenden Em-
pfindungen ausdruͤcken konnten. Auch Franz hat-
te ſchon laͤngſt den Reizen der ſchoͤnen Blinden ge-
huldigt, auch er hatte innige Liebe in ſeinem Her-
zen zu ihr gefuͤhlt, Ehrfurcht und Unmoͤglichkeit
der Erfuͤllung feſſelten aber ſeine Empfindung
maͤchtig, jetzt, da die Unvergeßliche ſelbſt in ſei-
nen Armen ruhte, ihm leiſe das Geſtaͤndniß ih-
rer Liebe zufluͤſterte, wichen beide ſchnell, und
machten der balſamreichen Hoffnung Platz. Ehe
Franz wieder ſchied, ward verabredet, daß er
nicht um die erledigte Pfarrſtelle anhalten, und
ſeinem Vater berichten ſolle, daß Wilhelmine in
der Haͤlfte des Unterrichts unmoͤglich ſtehen blei-
ben koͤnne, ihm aber um der betrogenen Hoff-
nung willen, jaͤhrlich hundert Thaler, ſo lange
er lebe, auszahlen wolle. Der arme Schulmei-
ſter war uͤber dieſe Nachricht hoch erfreut, er
meinte nun ſelbſt, daß es ein Beweiß der groͤß-
ten Undankbarkeit ſeyn wuͤrde, wenn ſein Sohn
jetzt ſchon Lohn fuͤr ſeinen Unterricht fordern wolle.
Der redliche Baron erinnerte ſich aber ſelbſt ſei-
nes Verſprechens, er wuͤrde es gewiſſenhaft er-
fuͤllt haben, wenn nicht Franz ſelbſt verſichert
haͤtte, daß er noch nicht fordern koͤnne, was er
nicht verdient habe.
Die Liebenden genoſſen jetzt die ruhigſten und
gluͤcklichſten Tage, welche nur ungeſtoͤrter, reiner
Genuß und ungehinderter Umgang gewaͤhren koͤn-
nen. Ungeachtet Franz Wilhelminens unzertrenn-
licher Gefaͤhrde, ihr getreuer Fuͤhrer auf allen ih-
ren Spaziergaͤngen war, ſo ahndete doch niemand
ihre Liebe, ſie konnten ungeſtoͤrt die Einſamkeit
und ihre Fruͤchte genießen, man hielts fuͤr unmoͤg-
lich, daß die reiche, einzige Erbin eines Barons
ſich bis zu dem Sohne eines armen Schulmeiſters
herablaſſen, und dieſer ſeine Augen bis zu ihr er-
heben koͤnne. Manche achteten Wilhelminen gar
der Liebe unfaͤhig, weil ſie nicht ſehen, nicht
Schoͤnheit beurtheilen koͤnne. Er ſteht ſehr bei
ihr in Gnaden! er wird einſt die beſte Pfarre
erhalten! das war die allgemeine Meinung, wenn
man ihn taͤglich an ihrer Seite erblickte.
Wahrſcheinlich wuͤrden die Augen des Vaters
heller geſehen haben, wenn er ſein Kind, wie
ehemals, haͤtte beobachten koͤnnen; aber ein hart-
naͤckiges Podagra nagte ſchon ſeit zwei Jahren an
ſeinem Koͤrper, er mußte die meiſte Zeit das Bet-
te huͤten, konnte aͤußerſt ſelten das Zimmer ver-
laſſen, er fands uͤberdieß ſehr natuͤrlich, daß
Wilhelmine immer in Geſellſchaft ihres Lehrmei-
ſters erſchien, weil ſie ihn ſtets durch ihr reizen-
des Spiel auf dem Fluͤgel zu erheitern ſuchte,
und dann allemal des erſtern Huͤlfe noͤthig
hatte.
Schon lange vorher hatte der gute Vater ſei-
ner geliebten Tochter aufs heiligſte verſprochen,
daß er ſie zu keiner Heirath bereden, vielweniger
zwingen wolle. Er billigte ſogar Wilhelminens
Mißtrauen gegen alle ihre Freier, welche ſich oft
in großer Anzahl meldeten, er verdachte es ihr
nicht, wenn ſie behauptete, daß man nur Herr
ihres reichen Erdes zu werden ſuche, und ihr ſol-
ches durch Untreue und Gleichguͤltigkeit verbittern
werde. Er liebte ſein Kind zaͤrtlich, und uͤberließ
es ganz ihrem Willen: Ob ſie einſam ihre Tage
beſchließen, oder einſt doch noch den ſeltenen fin-
den werde, mit dem ſie gluͤcklich zu leben hoffe.
Daß Wilhelmine jetzt mehr als je in Gegenwart
des Vaters an der Moͤglichkeit zweifelte, iſt leicht
zu vermuthen, weil ſie allzugut wußte, daß er
ihre Liebe zu dem armen Franz nicht billigen
koͤnne, und ihr Herz doch keiner andern faͤhig
war.
Zeit und Gelegenheit iſt die groͤßte Kuplerin
aller Verbrechen, aller Laſter. Durch ihre Huͤlfe
wird der Wunſch zum Vorſatze, der Vorſatz zur
That. Sie erzieht Diebe und Moͤrder in ihrem
erwaͤrmenden Schooſe, ſie weckt Liebe im Herzen
des ſchuldloſen Juͤnglings, ſie lockt und reizt ſeine
Sinne, und macht ihn endlich zum Verfuͤhrer
und Raͤuber der Unſchuld. So ergiengs auch
dem edlen, tugendliebenden Franz, anfangs
heiſchte ſein Herz nur Gegenliebe, anfangs war
ein geraubter Kuß ſeine groͤßte Kuͤhnheit, ein frei-
williger der hoͤchſte Wunſch ſeiner Seele, als aber
Zeit und Gelegenheit ihn des Tages hundertmal
zu dieſer Kuͤhnheit berechtigten, ihm noch oͤfterer
den hoͤchſten Wunſch gewaͤhrten, da ward er bald
kuͤhner, da wuͤnſchte er bald mehr.
Lange kaͤmpften die Liebenden, ein Jahr ver-
floß, ſie waren oft nahe dem Falle, aber ihr war-
nendes Gewiſſen, ihr edles Gefuͤhl der Tugend
durchzitterte ihre gluͤhende Nerven, und ſtaͤrkte ſie
zum neuen Kampfe, aber Zeit und Gelegenheit
mehrte ſich auch taͤglich, ſie ſaßen Stundenlang
in einer einſamen, dunklen Grotte des Gartens,
der nahe Waſſerfall betaͤubte Wilhelminens lau-
ſchendes Ohr, die ſanfte Dunkelheit umhuͤllte das
furchtſame Auge des Juͤnglings, ſie vergaßen der
Zukunft, genoſſen die Gegenwart. So faͤllt end-
lich die Sturm und Wetter trotzende Eiche, wenn
man ihren Standpunkt untergraͤbt, ihre Wurzeln
abhaut, und ſie in die Tiefe hinabſtuͤrzt, ſo ver-
dorrt die bluͤhende Roſenſtaude, wenn Mondenlang
ſie kein Regen, kein Thau erquickt, immer nur
brennende Hitze an ihren Wurzeln nagt.
Reue folgte der kuͤhnen That, Schauder und
Entſetzen geſellte ſich bald zu dieſer, als Wilhel-
mine die Folgen zu ahnden begann, und Fran-
zens forſchendes Auge ihre Vermuthung beſtaͤtigen
mußte. Laͤngſt hatte ſie im Uebermaß der Liebe
ihrem Franz geſchworen, daß ſie nach dem Tode
des Vaters all ihr Erbe verkaufen, dann mit ihm
nach einem fremden Lande ziehen, und dort ewig
in ſeinen Armen als Gattin leben wolle, jetzt
vernichtete die nahende Schande dieſe gluͤckliche
Ausſicht, drohte ihr mit des Vaters Fluche, mit
gerechter Enterbung und wahrſcheinlicher Trennung
von ihrem Allgeliebten. Sie liebte ihren Vater
zaͤrtlich und innig, ſie flehte fruͤh und Abends zu
Gott fuͤr ſein Wohl, aber jetzt miſchte ſich oft der
ſchreckliche Wunſch in ihr Gebet, daß Gott ſein
Leiden bald und fruͤher enden moͤge, ehe es ihm
bekannt wuͤrde, daß ſein einziges Kind ſein An-
denken mit Schande beflecken werde. O es iſt
wahr, aber auch ſchrecklich, daß ein einziger Fehl-
tritt das beſte Herz vergiften, es zu Wuͤnſchen,
oft auch zu Thaten faͤhig machen kann, welche
die Menſchheit entehren und Schauder erregen.
Nichts fuͤrchtet das Herz eines Maͤdchens mehr
als Schande, als Verletzung ſeines Rufs und
Spott ſeiner Freunde, daher kommts, daß dieß
holde, ſanfte Geſchoͤpf ſo oft zu groͤßern Verbre-
chen ſeine Zuflucht nimmt, ſo oft das Kind ſeines
Herzens mordet, daher kams, daß die gute Wil-
helmine den Tod ihres Vaters zu wuͤnſchen faͤhig
war.
Aber, der Gerechte hoͤrte dieſen ſchrecklichen
Wunſch nicht, es beſſerte ſich vielmehr taͤglich mit
ihrem Vater, er konnte oͤfterer als ſonſt ſein Zim-
mer verlaſſen, und an der Hand ſeiner Tochter im
Garten umherſchleichen. Die einzige Hofnung,
welche bisher die beiden Liebenden getroͤſtet hatte,
verſchwand mit dieſer Beſſerung gaͤnzlich, ſie
ſtanden oft am Rande der Verzweiflung, erblick-
ten nirgends Rettung, nirgends Huͤlfe.
Wilhelminens Zuſtand ward taͤglich ſichtbarer,
die arme Blinde war nicht faͤhig, ihn vor den
Augen ihrer Dienerinnen laͤnger zu verbergen.
Die auffallenden, oft deutlichen Fragen der letz-
tern, uͤberzeugten die Ungluͤckliche, daß nun die
letzte Stunde des unbeſcholtnen Rufes nahe, bald
alle Zungen von ihr mit Verachtung ſprechen wuͤr-
den. Sie ſuchte Troſt in den Armen des Gelieb-
ten, aber er duldete gleiche Quaal, gleiche Angſt,
konnte ſie nicht troͤſten, nur mit ihr weinen. Als
endlich der Vater ſie auch mit aufmerkſamen Auge
zu betrachten begann, als er mehr als einmal ſich
uͤber die Veraͤnderung ihrer Taille verwunderte,
und ſie durch beſorgende Fragen aͤngſtigte, da er-
reichte ihr Kummer den hoͤchſten Grad, da nahte
er ſich ganz der Verzweiflung. Rette mich!
Rette mich, ſprach ſie zu Franzen, oder ich ende
noch heute, und morde mich und den Beweiß
meiner Schande. Franz rang vergebens nach un-
moͤglichen Mitteln, endlich fanden ſie doch eins,
welches ihnen Troſt und kuͤnftige Ruhe zu ge-
waͤhren ſchien. Sie beſchloſſen, ſo bald, ſo ſchnell
als moͤglich die Flucht zu ergreifen, und in ir-
gend einem verborgenen Winkel der Erde zufrieden
und gluͤcklich zu leben. O ich will gerne, ſprach
die arme Blinde, meinem Erbe, den Vorrechten
meiner Geburt entſagen, wenn ich nur der Schan-
de entfliehen, und in deinen Armen meine Tage
enden kann.
Der freigebige Vater hatte ſeine Tochter mit
vielem Schmucke und Kleinodien beſchenkt, ihre
Schatulle war uͤberdieß mit einigen Tauſend Tha-
lern gefuͤllt, die ſie nach Willkuͤhr verwenden
konnte. Er wird mir nicht fluchen, ſagte ſie,
wenn ich unter allen ſeinen Guͤtern, nur dieß
zu meinem Erbe waͤhle, und unſere kuͤnftigen Tage
dadurch fuͤr Mangel ſichere. Das Landgut des
Barons lag nur drei Meilen von der Grenze ent-
fernt, Franz unternahms, dort fuͤr Wagen und
Pferde zu ſorgen, den Weg bis dahin wollte
Wilhelmine an ſeinem Arme zu Fuße enden, da-
mit keine Spur ihre Flucht zu fruͤh verrathe.
Wie Franz aus dieſer Abſicht am andern Tage
ſich unter einem erdichteten Vorwande aus dem
Schloſſe entfernte, und nach der Grenze reiſte,
traf er im nahen Staͤdtchen einen alten Univerſi-
taͤtsfreund, der mit ihm die Theologie ſtudiert,
ihr aber entſagt hatte, unter der Kriegsfahne ſein
Gluͤck verſuchte, und jetzt wirklich als Offizier
auf Werbung ſtand. Er vertraute dieſem ſein
Ungluͤck, und einen Theil ſeines Plans, er fand
ihn willig zum Beiſtande, und verabredete mit
ihm,
ihm, daß ſein Wagen ihn in der zweiten Nacht,
eine Stunde vom Schloſſe entfernt, in einem
Walde erwarten, und dann uͤber die Grenze fuͤh-
ren ſollte. Dort wollte der gutherzige Freund die
Poſt fuͤr ſie bereit halten, damit ſie ohne den ge-
ringſten Aufenthalt ihre Flucht fortſetzen, und je-
der moͤglichen Entdeckung entfliehen konnten, er
verſprach uͤberdieß Franzen mit einigen Briefen
zu verſehen, damit ſie in dem Lande, deſſen Mo-
narchen er diente, ſogleich Freunde und Huͤlfe
faͤnden.
Franz erfreute am andern Morgen ſchon das
Herz ſeiner Geliebten mit dieſer troſtvollen Nach-
richt. Wilhelmine ſammelte mit Eifer ihre Schaͤ-
tze, und verließ, als alles ruhte, das vaͤterliche
Schloß. Angſt und Furcht vor der nahen Schan-
de trieb ſie vorwaͤrts, ſie fuͤhlte nur dieſe, ihr
Herz hatte nicht Raum fuͤr die grauenvolle Em-
pfindung, daß ſie den beſten der Vaͤter ſo ſchaͤnd-
lich verlaſſe, ſeine Tage durch Kummer und Jam-
mer verbittere. Sie liebte ihren Franz mit einer
Innigkeit, die ſich kaum denken, vielweniger be-
ſchreiben laͤßt, ſie wandelte an ſeinem Arme dem
immerwaͤhrenden Beſitze deſſelben entgegen, und
dieſer Gedanke verſuͤßte die Bitterkeit der Flucht
um ein Großes. Die Eile befluͤgelte ihre Schrit-
te, ſie langten bald im Walde an, fanden den
Wagen des Freundes, und erreichten ſehr geſchwind
die Grenze, denn Franzens Freund war ſelbſt der
Zweit. Baͤndch. F
Kutſcher, und ſeine Freundſchaft ſchonte die Pfer-
de nicht.
Wie ſie noch immer bei Nachtszeit vor dem
Quartiere des letztern anlangten, ſtand ſchon dort
die Poſt bereit, der ſeltne Freund gab Franzen die
verſprochnen Briefe, huͤllte Wilhelminen in ſeinen
Mantel, und vertraute dem Poſtillione, daß er
zwei Offiziere ſeines Landes aufs ſchnellſte wei-
ter foͤrdern muͤſſe. Durch dieſe Vorſicht ward es
dem ungluͤcklichen Vater unmoͤglich gemacht, ſein
Kind je wieder zu finden, und ſolches aus den
Armen ſeines Entfuͤhrers zu entreißen. Wilhel-
mine blieb den folgenden Tag immer im Wagen
ſitzen, welchen ihnen Franzens Freund verkauft
hatte, ihr Mantel und ein großer Huth, der ihr
Haupt deckte, verbarg ſie vor dem Auge des
Neugierigen, alle, welche ſie fuͤhrten, verſicherten
nachher den Nachforſchern, daß ſie zwei Offiziere
gefuͤhrt haͤtten, und verhinderten dadurch die
Suchenden, der moͤglichen Spur weiter zu
folgen.
Die Fliehenden langten daher gluͤcklich und
ohne Hinderniß in P — s großer Reſidenzſtadt
an, die Briefe des Freundes waren ihnen von
großen und mannichfaltigen Nutzen. Wilhelmine
verkaufte ihren Schmuck und ihre Kleinodien ſehr
vortheilhaft, die Liebenden konnten fuͤnf und
zwanzig tauſend Thaler auf ſichere Zinſen aus-
leihen, und behielten doch noch genug, um ſich
Kleider und allen noͤthigen Hausrath zu kaufen.
Ehe ſich Wilhelminens Entbindung nahte, wohn-
ten ſie ſchon in einem ſtillen und einſamen Hau-
ſe, genoſſen die Freuden der Liebe und das Gluͤck
des haͤuslichen Lebens im vollen Maße. Sie ſeg-
neten jetzt oft den Gedanken zur ſchnellen Flucht,
und zitterten nicht mehr vor Entdeckung, weil
Franzens Freund berichtete, daß der Vater zwar
einem wuͤthenden Loͤwen gleich ſein Kind in der
Naͤhe und Ferne geſucht, aber nicht das geringſte
entdeckt habe.
Wilhelmine gebahr ihrem Franz bald nachher
einen holden Knaben, der die Freuden ihres Le-
bens um ein großes vergroͤßerte, und der Lieb-
ling ſeiner Mutter ward. Nichts ſtoͤrte von nun
an ihr Gluͤck, nur die Nachricht, daß Wilhelmi-
nens Vater ſie oͤffentlich enterbt, und einen Sohn
ſeiner verſtorbenen Schweſter an Kindesſtatt ange-
nommen habe, truͤbte es einige Tage, doch nei-
deten ſie dem Gluͤcklichen ſein Loos nicht, ſie wur-
den taͤglich mehr uͤberzeugt, daß ſie, getrennt
von einander, nicht leben koͤnnten, und begnuͤg-
ten ſich mit der Ueberzeugung, daß nicht Reich-
thum, nur Liebe die Ehe gluͤcklich mache; denn
verheirathet waren ſie ſchon lange, ein Pfarrer,
dem ſie ihr Leiden ſchilderten, ihre Noth vertrau-
ten, traute ſie kurz nach ihrer Ankunft.
Um beſſer und bequemer leben zu koͤnnen,
hatten ſie ihr ganzes Vermoͤgen einem der reich-
ſten Bankiers uͤbergeben, er zahlte ihnen ſechſe
F 2
vom Hundert, und ſetzte ſie in Stand, mit einem
jaͤhrlichen Einkommen von funfzehnhundert Tha-
lern ihre Tage in ſorgenloſer Ruhe zu genießen.
Sie gaben nie mehr aus, als ſie einnehmen konn-
ten, aber ſie erſparten auch nichts von ihrer Ein-
nahme, verwandten oft den Ueberfluß zu guten
Werken, ſie beſchaͤftigten ſich bloß mit ihrer Lie-
be und fuͤhlten ſich dann nur ganz gluͤcklich,
wenn ſie von dieſer ungehindert ſprechen, einander
ewige Dauer und auch jenſeitige Treue verſichern
konnten. Selten wird ein Paar ſich ſo innig lie-
ben, ſelten im ſtaͤrkſten Grade der Zaͤrtlichkeit ſo
lange ausgeharret haben.
Wilhelmine hatte ihrem Gatten ſchon vier
Kinder gebohren, und erzog ſie mit der groͤßten
Sorgfalt, als Franz einſt verzweiflungsvoll nach
Hauſe kam, und durch ſeine tiefen Seufzer, durch
den gebrochnen Ton ſeiner Stimme der Gattin
Argwohn weckte. Er war beim Bankier geweſen,
wollte, wie gewoͤhnlich, die halbjaͤhrigen Inter-
eſſen heben, und erfuhr zu ſeinem groͤßten Er-
ſtaunen, daß dieſer ſchon vor Monatsfriſt Ban-
kerot gemacht, und der Ahndung ſeiner Glaͤubiger
entflohen ſei. Wilhelmine hoͤrte dieſe Schreckens-
poſt mit ſtandhaftem Muthe. Der Herr hat's
gegeben, der Herr hat's genommen, der Name
des Ewigen ſei gelobt! ſprach ſie zwar wehmuͤ-
thig, aber doch nicht verzweifelnd, und ſank in
die Arme ihres Gatten. Dieſer ermannte ſich wie-
der, eilte zu einem Advokaten, und uͤbergab ihm
die Vollmacht zur Fuͤhrung des Prozeſſes, wel-
chen die zahlreichen Glaͤubiger ſchon gegen den
Entflohnen ergriffen hatten.
Zwei angſtvolle Jahre verfloſſen nun, ehe die-
ſer ſich endigte; bald war nach der Verſicherung
des Advokaten große, bald ſehr wenige Hoffnung
zum Erſatze vorhanden, bald trug der Entflohne
aus der Ferne einen vortheilhaften Vergleich an,
bald vernichtete dieſen die Hartherzigkeit der uͤbri-
gen Glaͤubiger. Immer lebten die Armen zwiſchen
Furcht und Hoffnung, mußten Schulden machen,
das Entbehrliche und endlich das Nothwendige
verpfaͤnden.
Schon herrſchte oft Mangel an ihrem Tiſche,
ſchon mehrten Nahrungsſorgen ihr Ungluͤck, als
endlich das Gericht die Finalſentenz faͤllte. Franz
bekam, weil er ſich zuletzt gemeldet hatte, anſtatt
fuͤnf und zwanzig nur dreitauſend Thaler. Auch
dieß wenige wuͤrde die ungluͤckliche Familie mit
Danke angenommen, und ſich bis zum noͤthigſten
Beduͤrfniſſe eingeſchraͤnkt haben, wenn ſie ſolches
nur fruͤher erhalten haͤtte. Als alle Prozeßun-
koſten, die uͤbrigen Schulden bezahlt, nur die
nothwendigſten Pfaͤnder eingeloͤſt waren, hatten
ſie noch fuͤnfhundert Thaler, und von dieſen ſoll-
ten ſie nun ſich und ihre vier Kinder ernaͤhren.
Sie bruͤteten in ſtummer Verzweiflung uͤber Plaͤne,
welche in der ſchreckbaren Zukunft ihre Retter
werden ſollten. Franz ſuchte in der ganzen Stadt
Schreiberdienſte bei irgend einem Advokaten, aber
alles war beſetzt, er kehrte immer hoffnungslos
wieder heim. Wilhelmine ſuchte ſich durch naͤhen,
ſtricken und Spitzen kloͤppeln zu ernaͤhren, da
aber die arme Blinde immer eines Gehuͤlfen be-
durfte, der ihr in zweifelhaften Faͤllen beiſtand,
da ihre Arbeit aͤußerſt muͤhſam von ſtatten gieng,
nie den erforderlichen Grad der Vollkommenheit
erreichte, ſo konnte ſie nichts gewinnen, hatte oft
offenbaren Schaden. Auf dieſe Art neigte ſich
ihr kleines Kapital immer mehr zu Ende, der
Augenſchein uͤberzeugte Franzen, daß ſie nur zu
bald den Bettelſtab wuͤrden ergreifen muͤſſen.
Als nur noch hundert Thaler ihr ganzes Ver-
moͤgen war, machte Franz ſeinem Weibe den Vor-
ſchlag, daß er mit ihr aufs Land ziehen, dort
eine Herberge ſuchen, und durch ſeiner Haͤnde Ar-
beit wenigſtens das taͤgliche Brod verdienen wolle.
Die arme Dulderin nahm den Vorſchlag an, und
reichte ihm ihre Hand zur Leitung. Ich habe ja,
ſprach ſie, geſchworen, mit dir Noth und Elend
willig zu tragen. Deine Liebe hat mir der
ſeligen Tage viele geſchenkt, ſie wird mir auch
die uͤbrigen verſuͤßen; angenehm wird mir das
trockne Brod ſchmecken, wenn ich mir denke,
daß deine liebende Hand es erwarb. Gott gebe,
daß nur du ausdauerſt, daß nur du mir nicht
entriſſen wirſt, dann werde ich gewiß ſtandhaft
dulden, und am Abende an meiner Kinder Hand
dem Ernaͤhrer derſelben froh entgegeneilen.
Sie verkauften nun alles, was ſie noch beſa-
ſen, vermehrten dadurch ihr Vermoͤgen auf vier-
hundert Thaler, und zogen mit der Hofnung
fort, daß Gottes Strafe ſich wieder endigen, und
ſeine Barmherzigkeit ſie nicht ganz verlaſſen wer-
de. Es war ein aͤußerſt ruͤhrender Anblick fuͤr
Franzen, als er, mit ſeinem kleinen Haabe bela-
ſtet, am fruͤhen Morgen zum Thore hinaus
ſchlich, und hinter ihm ſein blindes Weib folgte,
welches der aͤlteſte ſeiner Soͤhne leitete, indes die
zwei juͤngern ſorglos nebenher ſchlenderten, und
ſich des kommenden Tags freuten. Das kleinſte
ſeiner Kinder trug die gute Mutter auf ihrem Ar-
me, Franz bat vergebens, daß ſie dieſe Buͤrde
auch ihm anvertrauen ſollte, ſie weigerte ſich
ſtandhaft, und verſicherte ihm, daß ſolch eine
ſuͤße Buͤrde ihr nicht ſchwer falle.
Wenn ſie ruhten, und dieß geſchah der Klei-
nen wegen ſehr oft, ſo ſprachen die Ungluͤcklichen
ſtets von ihrer kuͤnftigen Lebensart. Sie beſchloſ-
ſen, den kleinen Ueberreſt ihres Vermoͤgens ſorg-
faͤltig aufzubewahren, nicht einen Thaler davon
zu nehmen, und bloß von ihrer Haͤnde Arbeit zu
leben, damit, wenn Krankheit oder irgend ein an-
drer Ungluͤcksfall Franzen am taͤglichen Verdienſte
hindere, ſie ihre Zuflucht zu dieſem Nothpfennige
nehmen koͤnnten. Leben ſo viele Tauſende, ſprach
Wilhelmine, von dem Wenigen, was ſie durch
Handarbeit gewinnen, warum ſollten wirs nicht
auch vermoͤgen? Der ſtrengſte Vorſatz wird zur
Gewohnheit, und Gewohnheit faͤllt nicht mehr
hart. Franz beſchloß dann nebenbei, ſeine drei
Knaben auch zu tuͤchtigen Feldarbeitern zu erzie-
hen, und wenn dieſe durch ihren Fleiß das Ver-
dienſt mehrten, einſt ein kleines Bauerngut zu
kaufen. Wir werden dann, ſetzte er hinzu, am
Ende unſrer Tage froh und zufrieden im Stuͤb-
chen ſitzen, und muͤſſig zuſehen, wie unſere Kinder
ſich und uns wohl ernaͤhren. Dieß waren die
Plane, mit welchen die Ungluͤcklichen ſich zu troͤ-
ſten, und die Schwere des harten Schickſals durch
heitere Ausſichten zu vermindern ſuchten.
Am dritten Tage ihrer Wanderſchaft langten
ſie in einem großen Dorfe an, die Haͤlfte deſſel-
ben war im vorigen Winter durch eine ungluͤckliche
Feuersbrunſt in die Aſche gelegt worden, die
Bauern bauten jetzt ihre Wohnungen wieder auf,
und da einige in der Schenke, wo Franz uͤber-
nachtete, uͤber den großen Mangel an Arbeitern
klagten, ſo bot er ihnen ſeinen redlichen Beiſtand
an, wenn ſie ihn auch kuͤnftig in ihrer Mitte dul-
den, und ihm vergoͤnnen wollten, ſich und ſeine
ungluͤckliche Familie durch Fleiß und Arbeit zu
ernaͤhren. Sie giengen dieſe billige Forderung oh-
ne Weigern ein, Franz fand Herberge in einem
kleinen Stuͤbchen, und ward am folgenden Tage
ſchon Handlanger der Maurer, welche in großer
Anzahl dort arbeiteten. Er verdiente ſich taͤglich
vier Groſchen, ſie reichten kaum auf Brod fuͤr
ſich und ſeine Familie, er mußte immer noch vom
Nothpfennige einige Groſchen zulegen, damit die
Armen wenigſtens des Tags einmal ein Gemuͤß,
und des Sonntags ein Stuͤckchen Fleiſch eſſen
konnten. Die ungewohnte Arbeit ſchwaͤchte ſeinen
Koͤrper, er konnte bald nicht mehr ſo fleißig, ſo
anhaltend arbeiten; wie der Herbſt nahte, und
die meiſten Gebaͤude ſchon fertig ſtanden, ſo war
er einer der erſten, welcher keine Arbeit mehr
fand, er mußte den ganzen Winter hindurch von
ſeinem wenigen Vermoͤgen zehren, und ſah zu ſpaͤt
ein, daß jede frohe Ausſicht fuͤr ihn verlohren ſei,
und noch ſchrecklichere Noth ſeiner in der Zukunft
harre. Im Fruͤhjahre und Sommer gabs zwar
wieder Arbeit, aber der Lohn derſelben reichte
abermals nicht zur Nahrung hin, taͤglich ſchmolz
nebenbei ſein kleines Kapital, taͤglich ruͤckte der
kuͤnftige Mangel naͤher. Wilhelmine duldete im
Stillen, aber der innere Gram nagte an ihrem
Koͤrper, er begann zu welken, um dieſen zu ſtaͤr-
ken, achtete Franz keiner Koſten, er betrog oft die
Aermſte mit erdichteten Geſchenken, damit ſie nur
ohne Sorge die beſſern Speiſen genoß, welche ſei-
ne Liebe ihr zur Staͤrkung bereiten ließ.
Sechs kummervolle Jahre waren auf aͤhnliche
Art verfloſſen, und in dieſer Zeit das ganze Ka-
pital, auf welches einſt die Ungluͤcklichen alle ihre
Hofnung gruͤndeten, ungeachtet Franz fleißig ar-
beitete, verzehrt worden, aber mit dem Untergan-
ge dieſer ſonſt einzigen Hofnung gieng eine neue
auf, welche mehr Licht und Waͤrme verſprach.
Die zwei aͤlteſten Soͤhne des ungluͤcklichen Paars
konnten jetzt auch ſchon mit ihrem Vater in die
Arbeit gehen, ſie verdienten eben ſo viel als er,
und die immer trauernde Mutter fieng nun feſt zu
glauben an, daß ihre Kinder ſie bis an ihren Tod
ernaͤhren wuͤrden. Der feſte und innigſte Vorſatz
dieſer guten Kinder wars auch wirklich, ſie ſpra-
chen oft davon, und freuten ſich auf die beſſere
Zukunft, aber neues Ungluͤck nahte, und endete
ſchrecklich.
Schon im vorigen Jahre waren die Feldfruͤchte
mißrathen, neuer noch ſtaͤrkerer Mißwachs drohte
im folgenden. Bis zum Winter fanden Vater
und Soͤhne noch immer Arbeit, aber von dieſer
Zeit an nicht mehr; die meiſten Bauern hatten
kaum den kuͤnftigen Saamen erbaut, ſie mußten
ſelbſt kaufen, was ſie ſonſt verkauften, und
ſchraͤnkten ſich daher aufs aͤußerſte ein. Mit je-
dem Tage ward das Getraide theuerer, das Brod
kleiner. Krankheit folgte dem Mangel und Elen-
de, kehrte zuerſt bei denjenigen ein, welche von
ihrer taͤglichen Arbeit lebten, und nun nichts zu
leben hatten. Franz kaͤmpfte gegen das unerbitt-
liche Schickſal, ſo lange ers vermochte, er verkauf-
te, was er irgend noch beſaß, um ſein Weib und
ſeine Kinder nur mit trocknem Brode laben zu
koͤnnen; als aber auch dieſe ſchwache Huͤlfe ver-
ſiegte, als ſelbſt der Bettelſtab ihnen noch
ſchwaͤchere Huͤlfe gewaͤhrte, da ergriff der Rabe
des Hungers, eine toͤdtliche Krankheit, ihre aus-
gemergelten Koͤrper. Wilhelmine ward mit allen
ihren Kindern ein Raub derſelben, nur Franz ge-
nas, weil endlich doch das allzugraͤßliche Elend
einige Herzen der Dorfbewohner ruͤhrte, welche
ihn, als er auch ſchon mit dem Tode rang, lab-
ten und zum Leben erweckten.
Kummer und Elend hatten ſeine Liebe zu Wil-
helminen nicht gemindert, er liebte ſie noch mit
gleicher Zaͤrtlichkeit; ihr bittrer, ſchrecklicher Tod,
ihr Aechzen nach Huͤlfe raubte ihm den Verſtand,
er ward mit ihrer Leiche zu Grabe getragen,
und kehrte nie mehr zuruͤck.
Als das angenehme, fruchtbare Fruͤhjahr die
Hofnung zur reichſten Ernde ſtaͤrkte, und alles
Herzen aufs neue Freude zu fuͤhlen begannen,
war Er der Einzige, welcher noch innig trauerte;
er ſprach anfangs ſelten ein Wort, gieng Ge-
dankenlos umher, arbeitete, bettelte nicht, und
ſchien es ganz der Vorſehung zu uͤberlaſſen, ob
ſie mitleidige Herzen wecken werde, welche ihm
ungebeten einige Nahrung reichen wuͤrden? Er
genoß dann nie alles, was man ihm gab, und
hob den Ueberreſt ſorgfaͤltig auf. Die ſchreckliche
Wirkung der Hungersnoth hatte ſeinen Verſtand
zerruͤttet; die Ueberzeugung, daß nur aͤußerſte
Sparſamkeit ihn dafuͤr ſchuͤtzen koͤnne, hatte die
Idee in ihm erregt, daß er alles Brauchbare
ſammeln muͤſſe, ſein Wahnſinn beſchaͤftigte ihn
die uͤbrige Lebenszeit bloß mit dieſem einzigen,
anhaltenden Gedanken.
Wenn in der Folge der Schnee weggieng, ſo
verlohr er ſich aus ſeiner Wohnung, und kehrte
erſt zu Anfang des Winters mit einer ſchweren
Buͤrde wieder heim. Er bettelte die ganze Zeit
ſeiner Abweſenheit in den nahgelegnen Doͤrfern
und Staͤdten, er nahm alles, was man ihm gab,
mit groͤßtem Danke an, er ſammelte mit nie er-
muͤdetem Eifer alle zerbrochne Scherben, und alte
Geraͤthe, welche die Hauswirthe als unbrauchbar
wegwarfen, und ſchleppte dieſe Laſt den ganzen
Sommer auf ſeinem Ruͤcken herum. Bei heran-
nahendem Winter, trug er erſt alles in ſeine
Wohnung heim, und duͤnkte ſich gluͤcklich, wenn
er dieſe unnuͤtzen Schaͤtze muſtern, und als Vor-
rath fuͤr den kuͤnftigen Mangel aufbewahren konn-
te. Ein Freund von mir, welcher vor einigen
Jahren uͤber Land reiſte, begegnete ihm in der
Naͤhe ſeines Dorfes, und ſah ſtillſchweigend zu,
wie er die Scherben eines zerbrochnen Glaſes be-
gierig ſammelte. Da ihm die Art der Beſchaͤfti-
gung, noch mehr aber die beſondere Freude, wel-
che der Sammler in allen ſeinen Mienen aͤußerte,
beſonders auffiel, ſo ſprach er mit ihm.
Mein Freund. Was ſammelt ihr denn
da ſo emſig?
Franz. Ich ſuche Vorrath! Ich ſammle
Brod auf den Winter!
M. Freund. Das ſind ja Glasſcherben.
Franz. Moͤglich! Moͤglich! Aber alles
iſt brauchbar, alles! Ach es iſt ſo gut, wenn
man etwas hat, man kann Weib und Kinder er-
naͤhren, darf ſie nicht Hungers ſterben ſehen!
Beſter Herr, folgen ſie meinem Rathe, es iſt
noch nicht aller Tage Abend, ſammeln ſie bei
Zeiten, ſonſt werden ſie einſt ſchreckliche Dinge
erleben!
M. Freund. Was tragt ihr denn ſo ſchwer
auf euerm Ruͤcken?
Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald
wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer-
de ich redlich mit den Armen theilen, damit ſie
ihre Weiber und Kinder ernaͤhren koͤnnen. (mit
Thraͤnen) O Herr, es iſt ſchrecklich, wenn
man dieſe muß verhungern ſehen, und nicht hel-
fen kann! Schrecklich, ſchrecklich iſt's! Ach,
ich muß eilen, muß die gute Zeit nuͤtzen, ehe
die boͤſe erſcheint.
Der Ungluͤckliche eilte nun unter der ſchweren
Laſt keuchend weiter; da mein Freund ihm ins
nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts
traf, ſo erkundigte er ſich bei dieſem nach dem
merkwuͤrdigen Manne. Er erfuhr durch ihn ſeine
ganze Lebensgeſchichte, welche er ihm, als Wil-
helmine noch lebte, einſt erzaͤhlt und vertraut
hatte. Das Elend der ungluͤcklichen Familie,
fuͤgte der Pfarrer hinzu, waͤre nicht zu einem ſo
ſchrecklichen Grade geſtiegen, wenn ich damals
nicht ſelbſt dem Tode nahe geweſen waͤre, ich
konnte nicht mehr fuͤr ſie ſorgen, und erfuhr erſt
nach meiner langſamen Geneſung ihren Tod.
Wie mein Freund von ſeiner Reiſe ruͤckkehrte,
und bei dem Pfarrer uͤbernachtete, berichtete ihm
dieſer, daß der arme Franz ſchon geendet habe.
Muthwillige Buben hatten ihr Spiel mit ſeinem
Wahnſinne getrieben, ihm abſichtlich unnuͤtze und
ſchwere Sachen geſchenkt, und ſeine Buͤrde da-
mit ſo gefuͤllt, daß er, ehe er ſeinen Wohnort er-
reichte, unter der Laſt derſelben zu Boden ſank.
Man fand ihn todt an der Straße, er ruht nun
neben ſeiner Wilhelmine, und wird dort ein Gluͤck
genießen, was er hier ſo emſig, aber ſtets ver-
gebens ſuchte.
Konrad G —.
Vor mehr als funfzig Jahren lebte in einem
kleinen, boͤhmiſchen Doͤrfchen ein Bauer mit ſei-
nem Weibe ſchon lange Zeit in der unzufrieden-
ſten Ehe, die geringſte Kleinigkeit gab allemal zu
dem groͤßten Zank und Hader Anlaß. Oft gluͤckte
es wohl dem Pfarrer die Erzuͤrnten zu verſoͤhnen,
aber dieſe Verſoͤhnung dauerte nicht nie lange,
endigte ſich allemal mit neuem und ſtaͤrkerem Zan-
ke, der am Ende in einen bittern Haß ausartete,
welcher alle Verſoͤhnung unmoͤglich machte. Da
drei noch unerzogene Kinder nothwendig eine Mut-
ter, und das Bauerngut eine Wirthin forderte,
ſo trennten die Unverſoͤhnlichen ſich zwar nicht
voͤllig, aber ſie lebten auch nicht als Eheleute,
ſprachen oft Wochenlang kein Wort mit einander,
ſchliefen ſogar in abgeſonderten Kammern. Zwei
Jahre nach dieſer freiwilligen Trennung kam einſt
der Bauer zu ſeinem Richter, er erzaͤhlte ihm, daß
ſeine Frau wahrſcheinlich ſchwanger ſei, und daß
er ſie mit einem Knechte im Verdachte habe.
Auf ſeine weitere Bitte ließ der Richter die Be-
ſchuldigte rufen, aber dieſe laͤugnete nicht nur
die Vermuthung, ſondern uͤberhaͤufte auch ihren
Mann mit vielen Schmaͤhungen, weil er durch
dieſen falſchen Verdacht ihre Ehre ſehr gekraͤnkt,
ihren unbeſcholtenen Ruf offenbar verletzt habe.
Der Mann ließ ſich endlich durch den Richter
zur Abbiete bewegen, und dieſer hatte die Sache
ſchon lang vergeſſen, als jener wieder bei ihm
erſchien, ihm aufs neue erzaͤhlte, daß ſein Weib
dieſe Nacht ſehr wahrſcheinlich ein Kind geboh-
ren, aber eben ſo wahrſcheinlich auch umgebracht
habe. Ungeachtet der Richter dieſer neuen Ver-
muthung keinen Glauben beimaß, ſo ließ er ſich
doch uͤberreden, mit dem Bauer nach ſeiner Woh-
nung zu gehen, weil dieſer ihm dort naͤhere Be-
weiſe zu geben verſprach.
Es war eben Sonntag und einer der kaͤlteſten
Tage eines ſehr ſtrengen Winters; der Richter
widerſprach daher der Vermuthung laut, als er,
wie ſie in der Stube anlangten, nach der Frau
fragte, und nun erfuhr, daß ſie nach einer ſtun-
denweit entfernten Kirche in die Fruͤhmeſſe gegan-
gen ſei. Dieſer Umſtand widerſprach der Moͤglich-
keit des angeſchuldeten Verdachts, aber die Be-
weiſe, welche der Bauer zu liefern verſprach,
auch wirklich lieferte, waren auf der andern Sei-
te wieder ſehr ſtark, und nur allzuwichtig, um
den Verdacht zu beſtaͤtigen. Die Wahrheit ſo
bald als moͤglich zu ergruͤnden, ſandte der Rich-
ter ſein Weib der Beſchuldeten nach, und trug
ihr auf, ſie unter irgend einem Vorwande zur
ſchleunigen Ruͤckkunft zu bewegen. Die Abgeſand-
te langte mit ihr wirklich nach einigen Stunden
im Dorfe an, ſie verſicherte aber ihrem Manne,
daß ungeachtet aller Beweiſe der Verdacht unge-
gruͤndet ſeyn muͤſſe, weil ſie an ihrer Gefaͤhr-
din nicht die geringſte Schwaͤche entdeckt, viel-
mehr Muͤhe gehabt habe, ihrem ſtarken Schritte
zu folgen.
Das Verhoͤr begann, die Beweiſe wurden vor-
gelegt, und die ſich ſicher duͤnkende dadurch ſo
uͤberraſcht, daß ſie ſogleich die unnatuͤrliche That
bekannte. Ich habe, ſprach ſie, in der Nacht
wirklich ein Kind gebohren, es zwar nicht ermor-
det; da ich aber durch ſein anhaltendes Geſchrei
Entdeckung befuͤrchtete, ihm in der Angſt den
Mund mit Stroh verſtopft, und wie ich, um al-
len Argwohn zu vermeiden, nach der Kirche gieng,
das ungluͤckliche Geſchoͤpf mit mir genommen,
und
und es unterwegs in einem hohlen Baume ver-
borgen.
Da nur die Furcht vor Entdeckung ihr ſo ſel-
tene Kraͤfte verliehen hatte, ſo ſank ſie nach die-
ſer kurzen Erzaͤhlung kraftlos nieder, war erſt
Nachmittags um zwei Uhr im Stande, den Ort,
wo ſie das Kind verborgen hatte, genau zu be-
ſchreiben. Es daͤmmerte daher ſchon maͤchtig,
als der Richter mit dem todten Kinde vor dem
herrſchaftlichen Gerichte erſchien, und die That
anzeigte. Noch ſtak im Munde des Kleinen das
Stroh, mit welchem die angſtvolle Mutter es zu
erſticken verſucht hatte, wie der Oberamtmann
nebſt dem eben anweſenden Forſtmeiſter in die Ge-
richtsſtube trat, um die Ausſage des Richters zu
protokolliren. Der Richter legte das Kind auf
einen Tiſch, ſein Geſicht war dunkelblau, und der
Koͤrper, wegen der ſtarken Kaͤlte ganz ſteif. Der
mitleidige Forſtmeiſter trat hinzu, und zog dem
Armen das Stroh aus dem Munde, ihm ſchiens,
als ob das Kind einigemal zu athmen verſuche,
er wandte ſogleich alle Rettungsmittel an, und in
einer halben Stunde gab das Kind unverkenn-
bare Lebenszeichen.
Da mich Gott, ſprach der Edle, zu deinem
Retter beſtimmte, da er mir nicht das Gluͤck ge-
waͤhrte, eigne Kinder zu erziehen, ſo will ich
Vaterspflicht an dir erfuͤllen, und dich, wenn ich
dich ganz rette, als mein eignes Kind annehmen.
Zweit. Baͤndch. G
Der Ewige hoͤrte das fromme Geluͤbde, ſegnete
es kraͤftig, und die wunderbare Rettung gelang
vollkommen. Ungeachtet die Mutter, gemaͤß ihrer
Ausſage, ſchon um Mitternacht des neugebohrnen
Knabens Mund mit Stroh verſtopft hatte, un-
geachtet dieſer von fruͤh ſieben Uhr, bis Nachmit-
tags um drei Uhr nur in einer leinenen Schuͤrze
eingewickelt, bei der ſtaͤrkſten Kaͤlte in einem hoh-
len Baume verborgen lag, ſo ruhte er doch ſchon
am andern Tage froh und munter an der Bruſt
ſeiner Amme, welche ſein neuer Vater und Wohl-
thaͤter fuͤr ihn beſorgt hatte.
Er erhielt in der Taufe den Namen Konrad,
und durchlebte die erſten Jahre der Kindheit in
vollkommner Geſundheit. Ein noch lebender Au-
genzeuge verſichert mich, daß er ein ſchoͤner und
munterer Knabe, die einzige Freude ſeiner Pfleg-
eltern war, die ihn zaͤrtlich liebten, und alles
anwandten, um ſein Herz gut und edel zu bil-
den. Schon im ſechſten Jahre ſeines Alters konn-
te er leſen und ſchreiben, und verrieth in allen
ſeinen Handlungen die deutlichen Spuren eines
großen Genies.
Er war bis in ſein neuntes Jahr anhaltend,
oft ausgelaſſen munter und froͤhlich, aber eine
tiefe, nie mehr ganz weichende Melancholie be-
maͤchtigte ſich ſeines Herzens, als er um dieſe
Zeit durch Zufall erfuhr, daß der edle Forſtmei-
ſter nicht ſein wahrer Vater ſei, daß ſeine Mut-
ter im Zuchthauſe ſchmachte, ſein wirklicher Va-
ter uͤber die Grenze entflohen ſei. Man fand ihn
oft in einem Winkel verſteckt, wo er das traurige
Schickſal ſeiner unbekannten Mutter beweinte;
nur die Verſicherung, daß ihre Gefangenſchaft
ſich bald endigen werde, konnte ihn troͤſten, aber
er verſank in neue Trauer, als er durch andre er-
fuhr, daß dieſe Verſicherung nur zu ſeinem Tro-
ſte erdichtet worden ſei. Dieſe deutlichen Beweiſe
eines guten und empfindungsvollen Herzens mehr-
ten die Liebe ſeiner Pflegeltern um ein großes,
ſie beſchloſſen, den hoffnungsvollen Knaben ſtudie-
ren zu laſſen, und ihn einſt zum Erben ihres an-
ſehnlichen Vermoͤgens einzuſetzen.
Ehe der erſtere Entſchluß ausgefuͤhrt werden
konnte, ſtarb ſeine Pflegemutter an den Folgen ei-
ner uͤbelgeheilten Lungenentzuͤndung, die unauf-
hoͤrlich an ihrem Koͤrper nagten, ſie nach und
nach zum Grabe fuͤhrten, und endlich dem Tode
ſanft in die Arme lieferten. Ihr Gatte hatte ſie
ſehr geliebt, ſeine Trauer war daher groß, aber
des guten Konrads Jammer noch groͤßer, er be-
weinte die gute Mutter noch immer, als des Va-
ters Auge ſchon trocknete, er netzte ihr Grab noch
mit Thraͤnen, als ihn dieſer auf die Schule ei-
ner benachbarten Stadt ſchickte, wo er den An-
fang zum Studieren machen ſollte.
Viele Freude empfand dann allemal der groß-
muͤthige Forſtmeiſter, wenn ſein Konrad ihn in
den Schulferien beſuchte, die herrlichſten Zeugniſſe
G 2
ſeines großen Fleißes mit ſich brachte, und da-
durch die Koſten ſeiner Erziehung ſo reichlich be-
lohnte, aber der gute Alte genoß dieſe Freude
nicht volle drei Jahre; als er um dieſe Zeit im
Forſte eine hohe Buche faͤllen ließ, zerſchmetterte
ein Aſt derſelben ſein Haupt, man trug ihn todt
nach Hauſe.
Oft hatte er in vieler Zeugen Gegenwart er-
klaͤrt, daß Konrad einſt all ſein Haabe und Ver-
moͤgen erben ſollte, da ihn aber der Tod in der
groͤßten Sicherheit uͤberraſchte, und er ſeinen Wil-
len nicht ſchriftlich hinterlaſſen hatte, ſo erklaͤrten
ſich bald ſeine naͤchſten Freunde als die Erben
ſeines Vermoͤgens, und nahmen es unter dem
Schutze der Geſetze im Empfang. Keiner gedach-
te des armen Konrads, keiner war edel genug,
des Verſtorbenen Geluͤbde an ihm zu erfuͤllen, alle
uͤberließen ihn dem zufaͤlligen Schickſale, das bald
mit voller Macht ſeine launichte Tuͤcke an ihm
uͤbte. Er mußte ſogleich den Studien entſagen,
weil niemand mehr Koſt und Wohnung fuͤr ihn
zahlte, alle Stiftungen fuͤr arme Studenten, die
ſein Profeſſor dem fleißigen Knaben ſo gerne ver-
ſchafft haͤtte, waren vergeben, er konnte den
Klagenden nur mit der Zukunft troͤſten, und
war als Moͤnch zu arm, um ihn ſelbſt zu un-
terſtuͤtzen.
Der von allen verlaßne Knabe war damals
funfzehn Jahre alt, ſein Koſtherr, ein wohlha-
bender Schuſter, verſprach ihm ſein Handwerk zu
lernen, auch mit nothduͤrftiger Kleidung zu ver-
ſehen, wenn er Luſt und Beruf zu erſterm fuͤhle;
der arme Konrad ergriff die einzige Ausſicht, wel-
che ſich ihm oͤfnete, mit großem Danke, und ar-
beitete bald eben ſo fleißig und emſig auf dem
Schuſterſchemmel, als er zuvor an ſeinem Stu-
diertiſche geleſen und geſchrieben hatte.
Seine Lehrjahre verfloſſen ſtill und ruhig, er
erwarb ſich durch ſein ſittſames, fleißiges Betra-
gen die Liebe ſeines Meiſters, die Neigung der
Geſellen; oft traͤufelte freilich eine Thraͤne, die
er dem Andenken ſeines edlen Pflegvaters weihte,
auf ſeine Arbeit, aber die rohen, unempfindlichen
Mitarbeiter achteten ſeiner Empfindung nicht, und
er genoß ungeſtoͤrt das traurige Vergnuͤgen, ſein
Herz der tiefen Melancholie zu oͤfnen. Als er
zum Geſellen ernannt wurde, gab ihm ſein Mei-
ſter das ſchoͤnſte Zeugniß ſeiner Geſchicklichkeit,
die er nun nach Handwerksbrauche durch einige
Jahre in fremden Laͤndern zu vermehren ſuchen
ſollte.
Dieſe Wanderſchaft hatte fuͤr ihn großen und
mancherlei Reiz; ſeine Wißbegierde, welche er bei
ſolch einer einfachen, mechaniſchen Arbeit ſehr
wenig befriedigen konnte, wurde dadurch maͤchtig
aufgeregt, der Hang zur Melancholie wich, ſein
Geiſt erheiterte ſich, wenn er durch ſchoͤne, an-
genehme Gefilde wanderte, oder in der Ferne die
vielen Thurmſpitzen einer großen Stadt hervorra-
gen ſah. Sein ungluͤckliches Schickſal war in
dem Staͤdtchen, in welchem er das Schuſterhand-
werk erlernte, allgemein bekannt, manche milde
Hand oͤfnete ſich in der Folge zum Beſten des
verlaßnen Knaben, ſein Meiſter verwahrte ihm
jedes Geſchenk mit ſtrenger Redlichkeit, daher
kams, daß er anſtaͤndig gekleidet, und mit eini-
gen funfzig Gulden im Sacke ſeine Wanderſchaft
antreten konnte.
So lange dieß Geld zum noͤthigen Lebensun-
terhalte zureichte, muͤhte er ſich nicht ſehr nach
anhaltender Arbeit, er durchzog alle kleinern Staͤd-
te, ohne dort auf den Herbergen einzukehren,
arbeitete in den groͤßern nur ſo lange, bis er
alles Merkwuͤrdige geſehen, und in ſein kleines
Tagebuch zur kuͤnftigen Erinnerung eingetragen
hatte.
Eben war er zwanzig Jahr alt, und ſein Beu-
tel ſchon maͤchtig geleert, als er in Strasburg
anlangte. Kinder der unehligen Liebe beſitzen mei-
ſtens beſondre Talente, ſind ſelten haͤßlich, oft
ſehr ſchoͤn. Die gute Mutter Natur ſcheint des-
wegen ſo reichlich all ihre Gaben an ſie zu ver-
ſchwenden, weil dieſe Unſchuldigen ſo manche Vor-
zuͤge entbehren muͤſſen, welche nach Sitte und
Gebrauch nur die legitimi nati genießen koͤnnen.
Daß Konrad viele Talente beſaß, habe ich mei-
nen Leſern ſchon mehr als einmal erzaͤhlt, daß
er aber auch vorzuͤglich ſchoͤn war, habe ich um
deswillen nicht erwaͤhnt, weil dieß der gute Juͤng-
ling ſelbſt noch nicht wußte, es vielleicht lange
noch nicht bemerkt haͤtte, wenn die weniger ſproͤ-
den, franzoͤſiſchen Maͤdchen ihn nicht auf dieſen
Vorzug aufmerkſam gemacht haͤtten.
Oft hatte im großen Deutſchlande, das er
der Laͤnge nach durchzog, manch ſchmachtendes
Auge mit Wohlgefallen auf ihm geruht, da er
aber die Sprache deſſelben nicht verſtand, ſo war
er ungeruͤhrt voruͤber gezogen, aber zu Strasburg
hoͤrte er aus dem Munde der ſchoͤnſten Maͤdchen
ſich laut den ſchoͤnen Schuſter nennen, ſeine ge-
weckte Eitelkeit fuͤhrte ihn oft vor ſeinem kleinen
Taſchenſpiegel, und uͤberzeugte ihn eben ſo ge-
ſchwind, daß die Maͤdchen keine Unwahrheit ge-
ſagt haͤtten. Er wandte von dieſer Zeit an meh-
rere Sorgfalt auf ſeinen Koͤrper, er buͤrſtete ſei-
nen Sonntagsrock emſiger, lockte ſein dichtes
Haar ſchoͤner. Dieſe kleine Muͤhe blieb nicht un-
belohnt, die Maͤdchen nannten ihn jetzt nicht
nur den ſchoͤnen, ſondern auch den galanten
Schuſter.
Unter allen, welche ihn freundlich gruͤßten,
willig beim Trinken die Geſundheit erwiederten,
noch williger ihm die Hand zum Tanze reichten,
behagte ſeinem Herzen am beſten die Tochter ei-
nes ſehr reichen Tuchfabrikanten. Sie konnte
zwar nicht neben ihm im Garten Platz nehmen,
oder auf dem Tanzſaale mit ihm die bunten Rei-
hen durchhuͤpfen, denn ihr ſtolzer Vater erlaubte
ihr beides nicht, aber ſie ſuchte und fand doch
immer Gelegenheit, ihn deutlich zu uͤberzeugen,
daß ſeine ſchoͤne Geſtalt auf ihre Sinne, ſein ed-
les, ſtilles Betragen auf ihr Herz mit Macht ge-
wirkt habe. Konrad wohnte mit ihr in einem
Hauſe, ſein Meiſter, bei welchem er in Arbeit
ſtand, hatte ein kleines Hintergebaͤude in der
Miethe, welches mit dem groͤßern durch einen
Gang verbunden war; uͤber dieſen mußte man
gehen, wenn man auf die Gaſſe gelangen wollte,
uͤber dieſen gieng Konrad ſelten, ohne die Toch-
ter des Hauſes ſehen und gruͤßen zu muͤſſen.
Sie erwiederte ſeinen Gruß ſtets mit großer
Freundlichkeit, als aber der ſchuͤchterne Juͤngling
nie mehr als dieſen wagte, ſo verſuchte ſies ernſt-
licher ihm Rede abzugewinnen. Sie forſchte nach
ſeinem Namen und Vaterlande, fragte nach ſei-
nen Freunden und Bekannten, und ließ ſich nach
und nach ſeine ganze, obgleich kleine, aber doch
immer merkwuͤrdige Lebensgeſchichte erzaͤhlen.
Der angenehme, empfindungsvolle Ton, mit
welchem er dieſe Geſchichte erzaͤhlte, die Thraͤnen,
welche bei der Erinnerung an ſeine theuern Pfleg-
eltern ſeinen Augen entſtuͤrzten, wirkten aͤußerſt
maͤchtig auf das unbefangne Herz des empfindſa-
men Maͤdchens. Er war ſo ſchoͤn, und nebenbei
ſo unverdient ungluͤcklich! Beides ſind Eigen-
ſchaften, an welchen Stolz und Eitelkeit des Lie-
be fuͤhlenden Maͤdchens ſehr oft ſcheitert, und der
keimenden Liebe willig weicht.
Karoline, ſo nannte ſich das reiche, aber auch
ſchoͤne Maͤdchen, hinderte dieſe Wirkung nicht,
ſie war vielmehr vollkommen mit ihrem Herzen
zufrieden, wenn es ihr in den Armen eines ſo gu-
ten Juͤnglings das ſchoͤnſte und groͤßte Gluͤck weiſ-
ſagte. Es ſteht bei dir, ſprach ſie dann zu ſich
ſelbſt, den unſchuldig Gekraͤnkten wieder mit dem
Schickſale auszuſoͤhnen, ihn zu uͤberzeugen, daß
dem unverdienten Leiden oft der ſchoͤnſte Lohn
folgt. Sie konnte zwar nie hoffen, daß ihr Va-
ter ſeine Einwilligung zur Heirath mit einem ar-
men Schuſtergeſellen geben wuͤrde, aber ſie fand
dieſe in den Stunden ihrer empfindſamen Schwaͤr-
merei ganz fuͤr uͤberfluͤßig, weil ihre verſtorbene
Mutter ihr mehr als zwanzig tauſend Thaler hin-
terlaſſen hatte, mit welchen ſie kraft des Teſta-
ments ſchon im achtzehnten Jahre ihres Alters
nach freier Willkuͤhr ſchalten konnte.
Vielleicht wuͤrde Vernunft und Zeit ſie uͤber-
zeugt haben, daß des Vaters Fluch dem unge-
horſamen Kinde nie Gluͤck, nie Ruhe bringe,
wenn dieſer nicht alles dazu beigetragen haͤtte, um
die ſchoͤne Traͤumerin in ihrem Vorſatze zu beſtaͤr-
ken. Ein noch reicherer, aber ſchon beinahe ſech-
zig Jahre alter Kaufmann ward durch Karoli-
nens bluͤhende Jugend und Schoͤnheit zu der Ver-
ſuchung gereizt, in ihren Armen neue Lebenskraft
und Waͤrme zu ſuchen. Da er uͤberzeugt zu ſeyn
glaubte, daß das Herz eines Maͤdchens gleich
jeder andern Waare kaufbar ſeyn muͤſſe, ſo be-
ſchloß er, ſich den Beſitz deſſelben etwas nam-
haftes koſten zu laſſen, und ſprach deswegen mit
ihrem Vater. Dieſer war von jeher gewohnt,
nur auf Gewinn, nie auf unbedeutende Nebenum-
ſtaͤnde Ruͤckſicht zu nehmen, er fand, ohne kalku-
liren zu duͤrfen, daß der Brautſchatz, welchen der
verliebte Alte freiwillig anbot, ſehr anſehnlich ſei,
daß in der ganzen Stadt niemand ſeiner Tochter
einen groͤßern bieten koͤnne, und ſchloß alſo auch
ganz natuͤrlich, daß dieß die ſchoͤnſte und beſte
Heirath fuͤr ſein Kind ſeyn muͤſſe. Er verſprach
daher dem Alten ſeiner Tochter Hand, und be-
ſtimmte zugleich den Tag zu ihrer Verlobung.
Nicht um ihre Einwilligung zu erhalten, denn was
bedurfte es bei ſolchem Gluͤcke einer Einwilligung,
ſondern um ſie von dem großen Gluͤcke zu unter-
richten, machte der erfreute Vater der Tochter
den geſchehnen Kauf kund, und gebot ihr, ohne
ihre Einwendung anzuhoͤren, daß ſie den Alten
als ihren Braͤutigam empfangen, als ihren kuͤnf-
tigen Gatten ehren ſolle.
Es war eben Sonntag, als ihr dieſe Hiobs-
poſt ward, Konrad war kurz vorher in ſeinem
ſchoͤnſten Kleide uͤber den Gang gegangen, ſein
wirklich huͤbſcher Anzug hatte ſeine Schoͤnheit um
vieles vermehrt, das Auge der Liebenden mehr
als jemals darauf aufmerkſam gemacht. Die
Thuͤre ihres Schlafzimmers gieng nach dieſem
Gange, ſie oͤfnete ſolche, wie ſie von der Abend-
mahlzeit ruͤckkehrte, erlaubte ihrem Maͤdchen nach
dem Tanzſaale zu gehen, und lauerte hinter der
Thuͤre auf Konrads Ruͤckkehr. Da dieſer ſchon
laͤngſt auch Karolinens Reizen gehuldigt hatte,
freilich ganz in geheim, ganz hofnungslos, aber
eben deswegen ſehr heftig liebte, ſo verzoͤgerte er
ſeine Ruͤckkehr nie uͤber zehn Uhr, weil er als-
dann gewiß war, ſeine Schoͤne immer bei der an-
genehmen Abendkuͤhle auf dem Gange zu finden,
ihr dann im Voruͤbergehen wenigſtens eine ſuͤße,
angenehme Ruhe wuͤnſchen zu koͤnnen.
Auch dießmal entriß er ſich um dieſe Zeit dem
Zirkel ſeiner luſtigen Freunde, umſonſt baten ſie
ihn, laͤnger zu bleiben, umſonſt reichten ſie ihm
das volle Glas zum weitern Beſcheide, die all-
maͤchtige Liebe winkte, er folgte, und fuͤhlte ſich
dann ſo ſelig, ſo gluͤcklich, wenn er, von der
ſchoͤnen Karoline freundlich gegruͤßt, nach ſeinem
Kaͤmmerchen ſchleichen, auf ſeinem Bette ſich un-
geſtoͤrt der Leitung ſeiner Einbildungskraft uͤber-
laſſen konnte, die ihn oft zum reichſten Manne,
und dann faͤhig machte, um die Hand der Aus-
erwaͤhlten zu werben. Spottet ſeiner nicht, liebe
Leſer! wenn ich offenherzig erzaͤhle, daß er in die-
ſen gluͤcklichen Stunden oft das große Loos in der
Lotterie gewann, oder einmalhundert tauſend Gul-
den auf offner Heerſtraße fand, ſich dann behende
Wagen, Pferde und Bediente, anſchafte, um mit
aller moͤglichen Pracht im Hauſe ſeiner Geliebten
erſcheinen zu koͤnnen. Erinnert euch aͤhnlicher
Traͤume, und verzeiht dieſe dem Aermſten willig,
denn daß ſie, meine Theuern, nie auf aͤhnliche
Art getraͤumt haͤtten, will ich nicht einmal ver-
muthen, weil ſie alsdann das ſchoͤnſte Gluͤck des
Lebens nie gefuͤhlt, nie genoſſen haͤtten.
Er trauerte, als er dießmal die Geliebte ſei-
nes Herzens nicht mehr auf dem Gange erblickte,
und verwuͤnſchte eben in Gedanken die zu große
Zudringlichkeit ſeiner Kammeraden, welche ihn am
fruͤhern Abſchiede verhindert hatten, als ein leiſer
Ruf ſeines Namens, der ſein Herz durchbebte,
ihm Ruͤckblick gebot. Es war Karoline, welche
ſich im leichten Nachtkleide hinter der Thuͤre her-
vorbog, und ihm mit der Hand naͤher winkte,
er folgte dieſem Winke mit groͤßten Freuden, aber
es bedurfte ihrer noch viele, ehe er es wagte, in
Karolinens Zimmer zu treten, haͤtte die Entſchloß-
ne nicht ſeine Hand ergriffen, ihn nicht ſelbſt mit
ſanfter Gewalt hineingezogen, er wuͤrde die edelſte
Zeit mit vielen unnuͤtzen Komplimenten verſchwen-
det haben.
Ungeachtet eben der laͤngſte Tag des Sommers
ſich naͤherte, ſo daͤmmerte es doch ſchon maͤchtig,
Karoline hatte, um nicht Verdacht zu erregen,
kein Licht angezuͤndet, ſie wollte aber doch gerne
beim Geſpraͤche Konraden ins Auge blicken, und
fuͤhrte ihn daher ans Fenſter. Seine Hand ruhte
noch immer in der ihrigen, ward oft von dieſer
ſanft gedruͤckt, aber Konrad konnte den Druck
nicht erwiedern, alle Kraft des Lebens hatte ihn
verlaſſen, Sinne und Gefuͤhle beſchaͤftigten ſich
nur mit dem großen, unerwarteten Gluͤcke, das
ſein Herz nur ahnden, nicht faſſen konnte. Eine
Thraͤne, ganz der Freude geweiht, entquoll ſeinem
großen Auge, und ſchlich langſam uͤber ſeine hoch-
geroͤthete Wangen. Sie weinen? rief Karoline
erſchrocken aus! Was iſt ihnen widerfahren?
Konrad. Mir? Widerfahren? das Gluͤck
— — die große Freude — — Weine ich denn
wirklich? — — (faͤhrt mit der Hand uͤber
ſeine Wangen) Wirklich! Wies kommt,
weiß ich nicht — — Ich habe keine Urſache da-
zu, war nie ſo gluͤcklich! Wenn das Gefuͤhl der
hoͤchſten Freude Thraͤnen erregen kann, ſo muß es
ſolch eine Thraͤne ſeyn. Ich habe das erſtere noch
nicht gefuͤhlt, und kann nicht aus Erfahrung
ſprechen.
Karoline. (unruhig) Wo waren ſie?
Wer hat ſie ſo gluͤcklich gemacht?
Konrad. Wer? Sie fragen? Gott! Bin
ichs denn wuͤrdig, in ihr Zimmer treten, mit ih-
nen ſprechen zu duͤrfen? Iſt dieß nicht das groͤß-
te, unverdienteſte Gluͤck?
Karoline. (freudig) Wohl mir, daß
meine Ahndung mich nicht betrog, als ich aͤhnli-
ches Gefuͤhl in ihrem Herzen muthmaßte! Heil
mir, daß ich meinen Entſchluß ausfuͤhrte. Die
Zeit iſt edel, die Gefahr groß, will ich Rettung
erwarten, ſo muß ich die erſtere benutzen, und jede
Bedenklichkeit unterdruͤcken. Haben Sie noch keine
Geliebte? Haben Sie noch keinem Maͤdchen
Treue verheißen?
Konrad. Noch nie! Noch nie!
Karoline. Wollen, koͤnnen ſie mir ſolche
geloben, wenn ich aufrichtig geſtehe, daß ich ſie
ſchon lange innig und zaͤrtlich liebte.
Konrad. Auch ich! Auch ich!
Karoline. Sie antworten nicht?
Konrad. Was ſoll ich antworten? Ich hoͤ-
re den ſuͤßen Ton ihrer Stimme, ich hoͤre ſie von
Liebe zu mir ſprechen. Ich kann dieß große Gluͤck
nicht faſſen, ich muß es fuͤr einen Traum hal-
ten. O Gott, wie ungluͤcklich werde ich ſeyn,
wenn ich erwache, und mich betrogen fuͤhle.
Karoline. Nein, lieber Konrad, nein!
Was ich ihnen ſagte, iſt Wahrheit, kein Traum.
Faſſen ſie ſich, ſo ſehr mir auch ihre Freude,
ihre Verwirrung angenehm ſeyn muß, ſo habe ich
doch ihres Raths und Beiſtandes noch noͤthiger.
Sie erzaͤhlte ihm alles, was ſich mit ihrem
Vater zugetragen, wie er vor einigen Stunden ſie
durch ſeinen Ausſpruch zum ungluͤcklichſten Maͤd-
chen gemacht habe, und fragte Konraden am En-
de: ob er ſich entſchließen koͤnne, ſie zu retten,
mit ihr nach Deutſchland zu fliehen, und dort ihr
Gatte zu werden? Konrad verſprach das erſtere,
und gelobte das letztere mit tauſend Freuden,
mit der Verſicherung ſeiner ewigen, innigſten Lie-
be und Treue. Geruͤhrt durch ſeine kunſtloſen,
aber um ſo tiefer wirkenden Ausdruͤcke, ſank das
holde Maͤdchen in ſeine Arme, ihre Lippen be-
ruͤhrten die ſeinigen, der Bund der Liebe ward
durch den feurigſten, aber auch reinſten Kuß ver-
ſiegelt.
Konrad. Kannſt du von all deinem Haabe
und Vermoͤgen nur ſo viel retten, daß ich mir in
meinem Vaterlande das Meiſterrecht erkaufen
kann, ſo iſt mirs nicht bange, dich mit meinen
Haͤnden zu ernaͤhren. O es wird ſich herrlich und
treflich arbeiten, wenn ich denke, daß du die
Fruͤchte meines Fleißes genießen ſollſt.
Karoline. Nicht ſo, Theurer, nicht ſo,
ich habe einen andern Plan, der dich und mich
gluͤcklicher machen wird. Das Vermoͤgen meiner
Mutter, mit welchem ich nach Gefallen und ſelbſt
unter dem Schutze der Geſetze ſchalten kann, iſt
ganz in meiner Gewalt, es beſteht in einigen
zwanzigtauſend Thalern, und wird gewiß hinrei-
chen, um uns wohl und anſtaͤndig zu ernaͤhren.
Sie erklaͤrte ihm nun, was Konrad freilich
nur halb verſtand, daß ſie nach dem Willen und
Rathe ihres Vaters mit dieſem Gelde immer fran-
zoͤſiſche Papiere oder Wechſel, welche auf einige
Monate Sicht geſtellt waͤren, einhandle, und
durch dieſe Spekulation bisher mehr gewonnen
habe, als das Kapital, ſicher angelegt, an ge-
woͤhnlicher Intereſſe tragen koͤnne. Da nun von
jeher dieſe Wechſel in ihrer Schatulle ruhten,
und ſolche ihrer Verſicherung nach ſelbſt im Aus-
lande in jeder Bank angenommen und bezahlt
wuͤrden, ſo waͤre es eben ſo leicht und moͤglich,
ſolche bei der ſchnellſten Flucht mit ſich zu neh-
men, und in jeder großen Stadt in baares Geld
zu verwandeln. So ſehr durch dieſe Verſicherung
auch Konrads kuͤnftiges Schickſal verbeſſert, und
reizender gemacht wurde, ſo hatte dieſe Ausſicht
doch keinen Reiz fuͤr das edle Herz des Juͤng-
lings, der das Gebot des Schoͤpfers: du ſollſt
dich und dein Weib im Schweiſe deines Ange-
ſichts ernaͤhren, ſo gerne erfuͤllt haͤtte, doch ſah
er eben ſo deutlich ein, daß er Karolinen nicht
ſo ernaͤhren koͤnne, wie ſie erzogen ward, und fuͤg-
te ſich ganz der Geliebten Vorſchlage.
Erſt um Mitternacht verließ er ihr Zimmer,
ſie hatte mit ihm verabredet, daß er ſogleich die
Arbeit ſeines Meiſters verlaſſen, ſich ein kleines
Zimmer in einem abgelegenen Theile der Stadt
miethen, Wagen und Pferde zur Flucht beſorgen,
und alles veranſtalten ſolle, um dieſe gluͤcklich und
ſicher auszufuͤhren. Konrad befolgte den Rath
ſeiner Geliebten aufrichtig und getreu, in zwei
Wochen war alles beſorgt, was ſie verlangt und
gefordert hatte. Unter dem Vorwande, ſeine
ehemaligen Mitgeſellen zu beſuchen, erſchien er
unter dieſer Zeit noch oft auf dem Gange, da
niemand etwas argwohnte, ſo konnte ihn Karoli-
ne auch oft in der Daͤmmerung einige Augenbli-
ke ſprechen, und immer einen kleinen Pack uͤber-
geben, in welchem ſie die nothwendigſten Kleider
und Waͤſche verborgen hatte.
Ihr
Ihr Vater und Braͤutigam ward indeß immer
dringender, der leztere eilte um ſo ſtaͤrker, weil
ſich mit jedem Tage ſein Tod ſichtbar nahte, und
er die wenigen Tage ſeines Lebens gerne noch in
den Armen des ſchoͤnſten Maͤdchens genießen woll-
te. Ungeachtet ihm Karoline nie gegruͤndete Hoff-
nung machte, ihren Vater immer um Abaͤnde-
rung flehte, ſo ward doch kurz nachher der Tag
zur Verlobung angeſetzt.
Dieſen wollte und konnte Karoline nicht er-
warten, ſie entfloh in der Nacht, welche dieſem
vorangieng, an dem Arme ihres Geliebten aus
dem vaͤterlichen Hauſe; ehe man ſie dort vermiß-
te, waren die Fluͤchtlinge ſchon gluͤcklich uͤber die
Rheinbruͤcke gegangen, hatten die deutſchen Gren-
zen erreicht, und ſetzten ſich dort in den bereitſte-
henden Wagen, welchen Konrad ſchon lange vor-
her beſorgt hatte. Sie kamen unerkannt bis
Augsburg; da Karoline aus Erfahrung wußte,
daß die dortigen Wechsler mit Frankreichs Ban-
ken in großer Verbindung ſtanden, ſo beſchloß ſie
hier, ihre franzoͤſiſchen Papiere, ſei's auch mit
Verluſt, in baares Geld zu verwandeln.
Konrad, welcher ſich ſchon zu Strasburg, von
Karolinen unterſtuͤtzt, ſchoͤnere Kleider gekauft
hatte, in dieſen einem Manne aͤhnlich ſah, den
der Beſitz ſo vieler Wechſel nicht verdaͤchtig ma-
chen konnte, uͤbernahms, von Karolinen unter-
Zweit. Baͤndch. H
richtet, die Umſetzung dieſer Wechſel zu beſorgen.
Er beſuchte einige Wechsler, als ſich dieſe aber
mit Mangel am Gelde entſchuldigten, ſo gieng er
zu dem beruͤhmteſten Bankier dieſer Stadt. Er
fand ſolchen zur Annahme bereit und willig, wie
er aber die Wechſel vorzeigte, und jener ſie ge-
nauer unterſucht hatte, ſo verließ er das Kom-
toir, und trat bald nachher, von einigen Maͤn-
nern begleitet, zu dem erſtaunten Konrad. Mein
Herr, ſprach er im ernſten Tone, alle dieſe Wech-
ſel, welche ſie mir uͤberreicht haben, ſind dem
Tuchfabrikanten L — zu Strasburg heimlich ent-
wendet worden, ich habe den gemeßnen Auftrag,
den Ueberbringer derſelben unter ſicherer Verwah-
rung wieder nach Strasburg zu ſenden, koͤnnen
ſie ſich nun uͤber den rechtmaͤßigen Beſitz derſel-
ben nicht auf der Stelle ausweiſen, ſo muß ich
meinen Auftrag ſogleich vollziehen. Konrad ſchwieg,
denn dieſe Nachricht hatte ihm alle Kraft zur
Antwort geraubt. Wahrſcheinlich, fuhr der Wechs-
ler fort, ſind ſie der Sohn meines Freundes.
Ich bedaure den ungluͤcklichen Vater, der ſeine
Hoffnung auf ſo ſchaͤndliche Art vereitelt ſieht.
Er verdient beſſern Lohn fuͤr ſeine vaͤterliche Liebe,
die auch ſolch eine That noch nicht ganz tilgen
konnte, weil er mich ausdruͤcklich bittet, ſie mit
Schonung zu behandeln, und nicht dem Gerichte
zu uͤberliefern. Sie ſchweigen? Haben gar keine
Entſchuldigung vorzubringen? Ich gehe alſo, An-
ſtalten zur Abreiſe zu treffen.
Der Wechsler verließ ihn aufs neue, nur die
Waͤchter nahmen Platz an der Thuͤre; ehe eine
Stunde verfloß, kehrte er zuruͤck, und Konrad
ward nach dem Hinterhofe gefuͤhrt, wo er in Ge-
ſellſchaft zweier Unbekannten Platz in einem Wa-
gen nehmen mußte, der ſogleich raſch fortrollte.
Als Augsburgs Thuͤrme ſchon weit hinter ſei-
nem Ruͤcken lagen, erhielt Konrad erſt ſeine Den-
kungskraft wieder, er gedachte ſeiner harrenden,
verlaßnen Karoline, und ſein Herz brach, Thraͤ-
nen des bitterſten Kummers rollten uͤber ſeine
Wangen. Schon wollte er ſeinen Begleitern alles
entdecken, ſie zur Ruͤckkehr bewegen, wie er aber
uͤberlegte, daß er Karolinen dadurch ganz ungluͤck-
lich mache, ſie auf ewig verlieren wuͤrde, ſo be-
ſchloß er, den gluͤcklichen Irrthum zu benutzen,
und zu ihrem Vortheile zu ſchweigen. Sie wird,
hoffte er, ſich bei laͤngern Ausbleiben gewiß bei
allen Wechslern nach mir erkundigen, meine Ge-
fangenſchaft erfahren, und ſich durch eine gluͤck-
liche Flucht retten koͤnnen. Er ſah nebenbei wohl
ein, daß man zu Strasburg ſtreng nach ihrem
Aufenthalte forſchen wuͤrde, er beſchloß, im er-
ſten Verhoͤre dieſen auch redlich zu entdecken,
weil er mit groͤßter Gewißheit hoffen konnte, daß
ſie ſchon laͤngſt jeder weitern Nachſtellung wuͤrde
entflohen ſeyn. Um ihr einſt wieder folgen zu
koͤnnen, beſchloß er uͤberdies, ihrer Liebe zu ihm
nicht zu erwaͤhnen, und vorzugeben, daß er ſie
H 2
unverhofft in einem Gaſthofe getroffen, von ihr
zur Mitreiſe ſei eingeladen worden, auch endlich
auf ihr Erſuchen die verraͤtheriſchen Wechſel zum
Bankier getragen habe.
Mit dieſem feſten Vorſatze langte er zu Stras-
burg an. Karolinens Vater ſtaunte hoch, als
ihm Konrads Begleiter meldeten, daß ſie vom
Bankier F — zu Augsburg abgeſandt waͤren, ihm
ſeinen entflohnen Sohn nebſt einem Briefe zu
uͤberbringen. Er eilte ſogleich hinab, und ſtaunte
noch mehr, als er einen ganz unbekannten Juͤng-
ling vor ſich ſtehen ſah.
Um in der Folge nicht unverſtaͤndlich zu wer-
den, muß ich hier zu dem Tage ruͤckkehren, an
welchem Karoline ihre Flucht aus Strasburg be-
gann. Sie wurde ſchon in den Morgenſtunden
vermißt, die Dienſtboten ſuchten ſie auf des Va-
ters Geheis vergebens bei allen Freundinnen und
Anverwandten, er ſchoͤpfte bald Verdacht, unter-
ſuchte ihr Zimmer, vorzuͤglich ihre Schatulle.
Wie er dieſe geleert fand, zweifelte er nicht mehr
an ihrer Flucht, und bot alle ſeine Freunde auf,
um die Spur derſelben entdecken zu helfen. So
ſehr ſich dieſe auch muͤhten, ſo war doch alles
Nachforſchen vergebens, niemand hatte ſie geſe-
hen, niemand konnte ihren Weg anzeigen. Der
um ſein einziges Kind tief trauernde Vater, wel-
cher nur allzuwohl wußte, und es jetzt mehr als
je fuͤhlte, daß die vorgeſchlagne Heirath die Ur-
ſache dieſer Flucht ſei, wuͤrde Verzweiflung und
Selbſtmord geargwohnt haben, wenn ihn nicht
die Mitnahme der Wechſel, deutlich belehrt haͤtte,
daß Karoline entfernt von ihrem Vater im Ver-
borgnen leben wolle.
Da die Wechſel immer durch ſeine Haͤnde gien-
gen, er ſich in ſeinen Geſchaͤften ihrer willkuͤhr-
lich bediente, Karolinen eigentlich nur die Freude
der Aufbewahrung und nebenbei den gewoͤhnlichen
Gewinn goͤnnte, ſo war das genaue Verzeichniß
derſelben, nebſt ihren Ausſtellern und Giranten
in ſeinen Haͤnden. Er ließ dieß Verzeichniß eini-
ge hundertmal kopiren, ſandte es mit den erſten
Poſten in die Weite und Ferne an alle bekannte
und unbekannte Wechsler. Er ſah ganz wohl
ein, daß dieß das einzige Mittel ſeyn wuͤrde,
fruͤh oder ſpaͤt Karolinens geheimen Aufenthalt zu
entdecken, ſchrieb uͤberdieß noch jeden Korreſpon-
denten, daß ſie den Ueberbringer anhalten, und
auf ſeine Unkoſten nach Strasburg befoͤrdern
ſollten.
Da die ſchnellſte Eile hier nur allein guten
Erfolg leiſten konnte, ſo wurden die mitgehenden
Briefe von vielen Perſonen geſchrieben, jede be-
diente ſich der Ausdruͤcke, welche ſich am ge-
ſchwindeſten darſtellten, ohne zu unterſuchen, ob
ſie auch beſtimmt genug waͤren. Der Brief an
den Augsburger Wechsler lautete alſo: „Mein
Kind iſt mir vorige Nacht entflohen, und hat
alle die franzoͤſiſchen Papiere, welche in dem bei-
liegenden Verzeichniſſe enthalten ſind, mit ſich
genommen. Ich erſuche Ew. E., wenn es anders
dieſe Wechſel bei ihnen produziren ſollte, ſolches
ſogleich anzuhalten, und es mir ſammt den Wech-
ſeln auf meine Unkoſten nach Strasburg in groͤß-
ter Eile und unter der beſten Aufſicht zuruͤckzu-
ſchicken. Ich bin Vater, es iſt mein einziges
Kind, ich bitte daher Ew. E. es zwar mit Vor-
ſicht, aber auch mit moͤglicher Schonung zu be-
handeln, und es nicht etwann dem Gerichte zu
uͤbergeben.“
Meine Leſer werden es nun leicht begreifen
koͤnnen, wie es kam, daß der Augsburger Freund
ohne weitere Unterſuchung Konraden fuͤr den ent-
flohnen Sohn ſeines Korreſpondenten anſah, ihn
ſogleich durch einige Vertraute nach Strasburg
ruͤckſandte. Karolinens Vater, welcher dieſen
Irrthum aus ſeines Freundes Briefe erkannte,
aber eben ſo wenig glaubte, daß er ſelbſt die ver-
anlaſſende Urſache dazu ſei, wunderte ſich daher
uͤber die Nachlaͤſſigkeit ſeines ſonſt ſo puͤnktlichen
Freundes ſehr, doch troͤſtete ihn die Verſicherung,
daß der gegenwaͤrtige Fremde der Ueberbringer
der Wechſel war, und folglich als ihr Abgeſandter,
ihren verborgnen Aufenthalt kennen muͤſſe.
Ehe er ihn noch daruͤber befragte, betheuerte
Karolinens Maͤdchen hoch und theuer, daß dieſer
ſo ſchoͤn gekleidete Fremde ein armer Schuſterge-
ſelle ſei, welcher noch vor einigen Wochen bei
dem im Hauſe wohnenden Meiſter gearbeitet ha-
be, da dieſer Ausſage mehrere Hausleute beitra-
ten, und der daruͤber befragte Konrad es ſelbſt
nicht laͤugnete, ſo fieng der alte Vater an, Ver-
dacht zu ſchoͤpfen. Daß ſeine reiche, ſo vornehm
erzogne Tochter ſich in dieſen armen Schuſter
wirklich verliebt habe, in ſeinen Armen aus dem
vaͤterlichen Hauſe entflohen ſei, kam ihm zwar
gar nicht in den Sinn, aber um ſo ſtaͤrker quaͤlte
ihn der Gedanke, daß ſolcher vielleicht der Un-
gluͤcklichen Raͤuber und Moͤrder ſeyn koͤnne.
Die Antworten, welche Konrad, der Karoli-
nens Ruf abſichtlich ſchonen wollte, auf die vor-
gelegten Fragen ertheilte, waren allerdings von
der Art, daß ſie dieſen Verdacht mit vollem Rech-
te zu beſtaͤrken vermochten. Er ſtotterte oft, er
widerſprach ſich mehr als einmal, kurz, es ſchien
allen unglaublich, daß die vernuͤnftige Karoline
einen unbekannten Schuſter zu ihrem Reiſegefaͤhr-
den erwaͤhlt, mit ſchoͤnen Kleidern beſchenkt, und
ſo unbeſorgt ihr ganzes Reichthum, alle dieſe
Wechſel zur Umſetzung anvertraut habe. Weil er
aber offen bekannte, daß Karoline ſeiner im Gaſt-
hofe zum drei Mohren zu Augsburg harre, und
dort noch bei ſeiner ploͤtzlichen Verhaftnehmung
gewohnt habe, ſo achtete man jede fernere Unter-
ſuchung des Moͤglichen und Wahrſcheinlichen fuͤr
uͤberfluͤßig, und war nur bedacht, ſich aufs ſchnell-
ſte zu uͤberzeugen: Ob dieſe Ausſage Wahrheit
enthalte?
Der Buchhalter des Fabrikanten mußte des-
wegen noch am nemlichen Tage mit Extrapoſt
nach Augsburg abreiſen, er hatte den ernſten
Auftrag: Karolinen in Guͤte oder mit Gewalt
zur Ruͤckreiſe zu bewegen; wenn er ſie nicht mehr
traͤfe, ihrer fernern Spur raſtlos zu folgen, wenn
aber, was alle befuͤrchteten, die Ausſage des
Schuſters falſch ſei, mit eben ſo ſchneller Eile
ruͤckzukehren, um alsdenn mit Schaͤrfe gegen Kon-
raden handeln zu koͤnnen. Man uͤbergab indeß
den letztern in gerichtliche Verwahrung, und harr-
te mit Ungeduld des ruͤckkehrenden Buchhalters.
Dieſer erſchien ſchon am ſechſten Tage, ſein Ge-
ſicht, welches ſichtbar trauerte, verkuͤndigte dem
fragenden Vater im Voraus eine Schreckenspoſt.
Er brachte die Nachricht mit ſich, daß laut der
Ausſage, welche der Wirth des Gaſthofes vor
Gerichte geleiſtet hatte, es zwar vollkommen rich-
tig ſei, daß Karoline nebſt dem Schuſter Konrad,
unter den Namen Spangenberg, ein und einen
halben Tag bei ihm gewohnt habe, ſeit dieſer
Zeit aber verſchwunden, und wahrſcheinlich von
ihrem Begleiter ſei ermordet worden. Die Gruͤn-
de, welche den Wirth zu dieſer ſchrecklichen Ver-
muthung berechtigten, waren folgende: Um
zwoͤlf Uhr des nemlichen Tages, an welchem Kon-
rad durch den Wechsler war verhaftet worden,
hatte Konrad mit Karolinen auf dem Zimmer ge-
ſpeiſt, ſie waren gegen ein Uhr Arm in Arm bei
ihm voruͤber gegangen, Konrad hatte, indem er
den Wirth gruͤßte, deutlich geſagt, daß ſie ſpa-
zieren gehen, und erſt gegen Abend heim kommen
wuͤrden. Um vier Uhr hatte eben dieſer Wirth
Konraden eiligſt die Treppen hinauf, und bald
wieder herab rennen geſehen. Weder er noch Ka-
roline waren ſeit dieſer Zeit mehr im Gaſthofe
erſchienen, und ihr Zimmer blieb ſtets verſchloſ-
ſen. Auf die Bitte des Buchhalters wurde es
durchs Gericht geoͤfnet, ein ofner Koffer ſtand
darinne, viele Waͤſche und ſelbſt einige Kleider la-
gen herausgeriſſen, und zerſtreut umher. Sie be-
wieſen deutlich, daß man in groͤßter Eile etwas
darinne geſucht, und deswegen die große Unord-
nung verurſacht habe. An des Koffers Seite la-
gen zwei weiße, noch nicht ganz entfaltete Tuͤ-
cher, welche ſtark mit Blut beſudelt waren, und
klar darthaten, daß man ſich blutende Haͤnde
daran abgewiſcht hatte, weil man in einem der-
ſelben wirklich einige blutende Finger eingedruͤckt
ſah. Alle dieſe Thatſachen ſchienen nun zu be-
weiſen, daß Konrad die argloſe Karoline abſicht-
lich im Spazierengehen nach einem abgelegenen
Orte gelockt, ſie dort ermordet habe, dann in
groͤßter Eile heimgekehrt ſei, die Wechſel aus dem
Koffer entfremdet, und ſeine Haͤnde vom Blute
gereiniget habe. Daß Karoline dieſe Wechſel
uͤberdieß nicht durch Konraden zum Verkaufe aus-
geboten habe, beweiſe, fuͤgte der Buchhalter hin-
zu, der Mangel des Giro's, welches Karoline
gewiß in dieſem Falle beigefuͤgt haͤtte.
Alle dieſe Vermuthungen wurden noch am
naͤmlichen Tage dem Richter hinterbracht, und
dieſer begann am folgenden das Verhoͤr mit Kon-
raden. Er geſtand willig und frei, daß er mit
Karolinen, ohne irgendwo einzutreten, von ein
bis gegen vier Uhr ſpazieren gegangen, dann
aber in ihrer Geſellſchaft in den Gaſthof zuruͤckge-
kehrt ſei, dort von ihr die Wechſel erhalten, und
ſie, mit der Verſicherung, daß ſie ſeiner warten
wolle, im Zimmer verlaſſen habe. Er erinnerte
ſich auch, daß er, um ſie noch einmal uͤber den
moͤglichen Nachlaß zu befragen, ruͤckgekehrt, und
bald darauf wieder fortgegangen ſei. Weiter
konnte er nichts ſagen, auch keine Zeugen beſtim-
men, welche Karolinen mit ihm in den Gaſthof
ruͤckkehren ſahen, er hielts ganz fuͤr wahrſchein-
lich, daß ſie auf die Nachricht ſeines Verhaftes
entflohen ſei, und bat den Richter, ihn wegen ei-
ner Sache, die er nicht wiſſen koͤnne, auch nicht
zur Verantwortung zu ziehen. Aber, dieſem
gnuͤgte die Entſchuldigung nicht, er forſchte wei-
ter, da aber Konrad ſichs feſt vorgenommen hat-
te, nichts von Karolinens Liebe zu entdecken, ſo
beharrte er immer auf ſeiner erſten Erzaͤhlung,
und behauptete, daß er erſt in Ulm mit Karoli-
nen zuſammentraf, und da ſie ihn ſchon zu Stras-
burg kennen lernte, von ihr zum Reiſegefaͤhrden
erwaͤhlt wurde.
Dieſer Ausſage widerſprach aber bald laut und
uͤberzeugend der Fuhrmann, welchen Konrad ſelbſt
gedungen, und der ihn und Karolinen bis Baſel
gefuͤhrt hatte. Er ſtellte ſich, als er die ganze
Geſchichte durch Zufall erfuhr, freiwillig vor Ge-
richte. Konrad war nicht faͤhig, ihm zu wider-
ſprechen, und vermehrte dadurch den großen Ver-
dacht, den man gegen ihn geſchoͤpft hatte. Da
er auf dieſe Art einer falſchen Ausſage war uͤber-
wieſen worden, den Verdacht des Mordes nicht
entkraͤften, aber auch eben ſo wenig geſtehen
konnte, ſo verurtheilte ihn das Gericht zur Folter.
Er uͤberſtand den erſten Grad derſelben, unter
den heiligſten, kraͤftigſten Betheurungen ſeiner Un-
ſchuld, als aber der zweite begann, der Henker
ihn uͤberdieß verſicherte, daß die Schmerzen der
Marter immer hoͤher ſteigen wuͤrden, da zog er
den ſchnellen Tod der langſamen und toͤdtlichen
Quaal vor, bekannte alles, was man von ihm
forderte. Ich habe, antwortete er auf die Frage
des Richters, Karolinen bis an das Ufer des
Lechs gelockt, ſie mit einem Dolche ermordet, und
ihren Koͤrper ins Waſſer geſtuͤrzt. Ich thats aus
Habſucht, weil ſie mir am Morgen vorher ver-
traute, daß ſie eine große Summe an Wechſeln
bei ſich habe, welche man bei jedem Wechsler
gegen baares Geld umſetzen koͤnne.
Dieſe Ausſage erfuͤllte das Herz des ungluͤck-
lichen Vaters mit Schmerz und Trauer. Sein
erwachtes Gewiſſen machte ihm bittere Vorwuͤrfe,
uͤberzeugte ihn, daß er die groͤßte Urſache von Ka-
rolinens ſchrecklichem Tode ſei, weil er ſie durch
ſeine Drohungen zur Flucht gezwungen und verleitet
habe. Bei ſolcher Empfindung wars daher na-
tuͤrlich und verzeihungswuͤrdig, daß er die Richter
dringend bat, ſein ermordetes Kind nach aller
Strenge der Geſetze zu raͤchen.
Schon war Konrads Todesurtheil geſprochen,
ſchon ſollte der Unſchuldige am folgenden Tage
auf der Richtſtaͤtte bluten, als Karolinens Vater
aufs neue vor Gericht erſchien. Er hielt in ſeiner
zitternden Hand einen Brief, den ihn eine Staf-
fette uͤberbracht hatte, er konnte fuͤr Uebermaaß
der Empfindung nicht ſprechen. Meine Tochter
lebt! Mein Kind iſt nicht ermordet! rief er end-
lich aus, und uͤberreichte dem Richter den Brief.
Ich habe, ſchrieb Karoline mit eigner Hand,
eben durch einen Zufall erfahren, daß der redli-
che, unſchuldige Konrad als mein Moͤrder vor
Gerichte ſei angeklagt worden, dieſe ſchreckliche
Nachricht hat mich aufs Krankenlager geworfen,
heftige Fieberhitze wuͤthet in meinem Innern, ich
zittere und bebe, ich bin kaum faͤhig zu ſeiner
hoͤchſtnoͤthigen Rettung dieſe wenigen Zeilen zu
ſchreiben. Ihr unerſchuͤtterlicher Vorſatz, theurer
Vater, mich einem alten, mir aͤußerſt verhaßten
Manne in die Arme zu liefern, war die Urſache
meiner Flucht, ich mußte ſie wagen, weil ich in
den Armen eines ſolchen Mannes verzweifelt ſeyn
wuͤrde. Der redliche Konrad, welcher meine Ab-
ſicht nicht einmal kannte, und daher nichts ſtraf-
bares waͤhnen konnte, ward mein Begleiter, er
gewann durch ſeine Treue und Aufrichtigkeit mein
ganzes Vertrauen, ich ſandte ihn in Augsburg
mit meinen eigenthuͤmlichen Wechſeln zum Ban-
kier, ich war ſchwach genug, ſchaͤndlich zu entflie-
hen, als ich mich dadurch verrathen ſah. Wie ich
aber uͤberlegte, daß der Unſchuldige in ihren Haͤn-
den ſei, und unverdientes Ungemach werde er-
dulden muͤſſen, da beſchloß ich ſtandhaft, nach
Strasburg ruͤckzukehren, und ſeine Unſchuld bei
ihnen zu vertheidigen. Erſt vor kurzem erfuhr ich
hier ſein trauriges Loos, ſtaͤrkt Gott meine Kraͤf-
te, ſo folge ich morgen mit dem fruͤhſten, und
werde durch meine Gegenwart und Ausſage des
Ungluͤcklichen Unſchuld beweiſen. Geſchehe dann
mit mir was da will, ich werde nicht murren,
aber dieß ſchwoͤre ich im voraus, daß ich mich
eher ſelbſt morden, als die Gattin des verhaßten
M — werden will. Koͤnnen heiße Thraͤnen, in-
niges Flehen eines einzigen Kindes ihr Vaterherz
erweichen, ſo hoffe ich ganz gewiß, daß ich meine
Ruͤckkehr nie bereuen, noch oft die Vaterhand,
welche vergab und nicht ſtrafte, mit Thraͤnen der
Freude netzen werde.
Der Brief war von Philippsburg datirt, der
aͤußerſt geruͤhrte, aber auch hoͤchſt erfreute Vater
war bloß zur Rettung des Unſchuldigen zum Ge-
richte geeilt, er beſtieg dort den Wagen, der ihn
noch am naͤmlichen Tage in die Arme ſeiner Toch-
ter liefern ſollte, deren Herz er mit dieſer Nach-
richt erfreuen wollte. Die Richter erſtaunten
uͤber dieſe Nachricht, ohne welche ſie die Moͤrder
eines Unſchuldigen geworden waͤren; da Karoli-
nens Vater auf ſein Ehrenwort verſichert hatte,
daß dieß ſeiner Tochter Schrift ſei, ſo eilten ſie,
wieder gut zu machen, was ihre allzugroße Haͤrte
verbrochen hatte.
Sie trafen Konraden im Gebete mit ſeinem
Beichtvater, deſſen Herz er eben durch die auf-
richtige Erzaͤhlung ſeiner Unſchuld zur innigſten
Theilnahme geruͤhrt hatte. Sie waren vorſichtig
genug, ihm die Freudenpoſt nur nach und nach
zu entdecken, ihn anfangs nur durch entfernte
Hofnung aus der Todesangſt zu erloͤſen. Ihre
Abſicht gelang vollkommen, Konrad aͤußerte uͤber
ſeine nahe Rettung zwar große Freude, aber ſie
war nicht uͤberſpannt, nicht unmaͤßig, ließ keine
Gefahr, keine uͤble Folgen fuͤr ſeine Geſundheit
muthmaßen.
Konrad hatte durch ſein eignes Bekenntniß ſich
als Karolinens Moͤrder angeklagt, es war alſo
ganz natuͤrlich, daß das Gericht noch immer vor-
ſichtig handelte, ihm zwar Hofnung, Befreiung
aus Ketten und Kerker, aber doch nicht eher voll-
kommne Freiheit gewaͤhrte, bis die lebende Karo-
line es durch ihre Gegenwart ganz uͤberzeugen
wuͤrde, daß nur Quaal und Schmerz der Folter
dieß ungerechte Bekenntniß erzwungen habe. Der
Gerettete durchwachte in einem Zimmer des Rath-
hauſes die kommende Nacht, ſeine Waͤchter waren
mehr zur Pflege als zur Sicherheit geordnet.
Um zehn Uhr des andern Tages oͤfnete ſich
ſchnell die Thuͤre, Karoline ſtuͤrzte hinein, ihr
Vater folgte langſam nach. Ohne ſprechen zu
koͤnnen, ſank ſie laut weinend in ihres Geliebten
Arme, und verkuͤndigte es allen Gegenwaͤrtigen
laut, daß er ihrem liebenden Herzen ſchon lange
theuer nun aber unſchaͤtzbar ſei. Konrad ſtand
ſprachlos da, er ſuchte vergebens ſein Gluͤck nach
Wuͤrde zu fuͤhlen, in ſeinem ganzen Umfange zu
faſſen.
Heil mir, rief endlich Karoline aus, Heil mir,
daß ich dich wieder, daß ich dich gerettet erblicke,
Verzweiflung wuͤrde mein ſchreckliches Loos gewe-
ſen ſeyn! Ich bin dir, fuhr ſie fort, Erſatz fuͤr
dein graͤßliches Leiden ſchuldig, ich will ihn nach
Kraͤften leiſten. Mein Herz, Edler! war ſchon
laͤngſt dein, aber dieſe Hand wars noch nicht.
Nimm ſie! vorher haͤtte ich ſie dir mit des Va-
ters Fluche belaſtet reichen muͤſſen, jetzt ruht ſein
Segen darauf. Komm, laß uns vereint ihm
danken, er hat mein Flehen erhoͤrt, er giebt mich
dir zum Weibe. Sie fuͤhrte den mit Recht Er-
ſtaunten zu des Vaters Fuͤßen, welcher ihn auch
wirklich laut weinend in ſein Arme ſchloß, und
in Gegenwart vieler Zeugen ſeinen Sohn nannte.
Die Freude, ſein ſchon todt geglaubtes Kind
wieder lebend zu finden, hatte maͤchtig auf ſein
Herz gewirkt, Karoline hatte dieſe Wirkung tref-
lich benutzt, ihm ihre heiße, unendliche Liebe zu
Konraden offen geſtanden, und ſein Gewiſſen,
das ihn ſchon lange ſchrecklich quaͤlte, vollendete
den Sieg.
Kannſt du, ſprach er ſchon am Abende vorher,
nicht ohne ihn gluͤcklich ſeyn, ſo ſei's mit ihm!
Ich will, ich werde deine Neigung nicht hindern,
denn ich habs zu ſtark gefuͤhlt, daß ich ohne dich
nicht frohe Tage genießen, nicht ruhig ſterben
kann. Der Himmel gab mir Vermoͤgen genug,
den aͤrmſten Schwiegerſohn anſtaͤndig ernaͤhren zu
koͤnnen, ich will daher nicht murren, wenn er dir
auch nichts mehr als ein redliches Herz zum
Brautſchatze bringt.
Dieſe Geſinnungen, welche er jetzt wiederhol-
te, erwarben ihm das Lob und den Beifall aller
Anweſenden, ihre Herzen waren durch die ruͤhren-
de Scene zum Mitleide hingeriſſen worden, ſie
goͤnnten dem edlen Juͤnglinge dieſen großen Lohn
willig, ſie verſicherten ſogar, daß nur dieſer eini-
germaßen Erſatz fuͤr ſo ſchreckliches Leiden ſeyn
koͤnne. Konrad ward im vollen Triumphe, den
nur anerkannte Unſchuld gewaͤhren kann, in Ka-
rolinens Hauſe eingefuͤhrt.
Die Geſchichte ihres Mordes war in der Stadt
ſchon lange allgemein bekannt, ſchneller noch als
dieſe verbreitete ſich ihre gluͤckliche Ankunft, ihre
edle That, mit welcher ſie dem Unſchuldigen ge-
lohnt hatte. Das Volk folgte ſchon haufenweiße
dem Wagen, welcher Konraden aus dem Gefaͤng-
niſſe fuͤhrte, es ſammelte ſich in weit groͤßerer
Menge vor dem Hauſe, und verlangte mit Un-
geſtuͤm das gluͤckliche Paar zu ſehen. Es lebe die
edle
edle Jungfrau, welche ſo herrlich lohnen kann!
Es lebe der redliche Juͤngling, der um ihrerwil-
len, Folter und Todesangſt ruhig duldete! So
rief vereint die unzaͤhlbare Menge, als Karoline
mit ihrem Geliebten ans Fenſter trat. Auf dieſe
Art will ichs ihm lohnen, antwortete Karoline,
und kuͤßte den Juͤngling in aller Gegenwart mit
voller Inbrunſt reiner Liebe. Der Jubel mehrte
ſich dadurch um ein großes, noch um Mitternacht
rief man: Heil dem edlen Paar! Lange nachher
konnte Karoline mit ihrem Konrade nicht uͤber die
Gaſſe gehen, ohne von einer großen Menge be-
gleitet zu werden, welche ihren Gluͤckwunſch im-
mer auf aͤhnliche Art wiederholte.
Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich wieder
zu Karolinen ruͤckkehren, welche Konrad, als er
die Wechſel zum Bankier trug, wirklich auf ihrem
Zimmer im Gaſthofe verlaſſen hatte. Sie waren
Arm in Arm in der Stadt umher gewallt, und
kehrten gegen vier Uhr nach dem Gaſthofe zuruͤck,
ohne daß ſie von den Hausleuten beobachtet wur-
den. Unterwegs war verabredet worden, daß
Konrad noch am naͤmlichen Tage die Wechſel ver-
kaufen ſolle.
Da er noch etwas noͤthiges im erhaltnen Un-
terrichte vergeſſen hatte, ſo kehrte er noch einmal
zu Karolinen zuruͤck, und begegnete bei dieſer Ge-
legenheit dem Wirthe auf der Treppe. Karoline
blieb indeß ruhig in ihrem Zimmer ſitzen, als es
Zweit. Baͤndch. J
aber ſchon daͤmmerte, Konrad noch nicht kam,
da ward ſie aufmerkſam, dachte der moͤglichen
Urſache nach und erinnerte ſich jetzt erſt, daß ſie
das noͤthige Giro auf den Wechſeln vergeſſen ha-
be. Sie ſah ein, daß dieß den in dieſem Ge-
ſchaͤft ganz unerfahrnen Konrad in Verlegenheit
ſetzen, vielleicht gar Verdacht erregen koͤnne, und
beſchloß ſogleich, ihn aufzuſuchen.
Da ſie ihm ſelbſt die Wechsler genannt hatte,
bei welchen er Anfrage halten ſollte, ſo wars ihr
leicht, ſeiner Spur zu folgen, ſie naͤherte ſich
eben dem Hauſe, in welchem Konrad war in
Verhaft genommen worden, als ein Wagen aus
dieſem herausrollte, in dem ſie Konraden nebſt
einigen andern Perſonen erblickte. Ihr Herz
ahndete Entdeckung, ſie wagte es, eine Haus-
magd anzureden, und uͤber die Abreiſe des
Fremden zu befragen. Dieſe erzaͤhlte ihr treu-
herzig, was ſie wußte, und Karoline erfuhr da-
durch, daß man Konraden nach Strasburg fuͤhre.
Furcht und Angſt bemaͤchtigten ſich ihrer Sin-
ne, ſie glaubte nun ebenfalls entdeckt, und auf
aͤhnliche Art fortgefuͤhrt zu werden, ſie eilte im
ſchnellſten Laufe nach dem Gaſthofe zuruͤck, riß
den Koffer auf, und nahm ihre Koſtbarkeiten nebſt
einigem baaren Gelde heraus, um dadurch ihre
Flucht beſſer foͤrdern zu koͤnnen. Wahrſcheinlich
verletzte ſie ſich durch allzugroße Eile am Schloſſe
des Koffers, denn ſie erinnerte ſich nachher,
daß ihre Hand ſtark blutete, und ſie ſolche noch
im Zimmer vom Blute reinigte. Sie entfloh end-
lich gluͤcklich aus der Stadt, die Daͤmmerung ver-
hinderte es, daß man ihr hin- und hergehen im
Gaſthofe bemerkte.
Sie reiſte nach Muͤnchen, Regensburg, duͤnk-
te ſich nirgends ſicher, nirgends ruhig, gedachte
ſtets ihres geliebten Konrads, und troͤſtete ſich
bloß mit der Hoffnung, daß ihr geiziger Vater
zufrieden ſeyn wuͤrde, wenn er ihr Vermoͤgen wie-
der erhielte. Daß er Genugthuung von Konra-
den fordern, ihn vielleicht gar als einen Verdaͤch-
tigen dem Gerichte uͤberliefern wuͤrde, kam ihr
lange nicht in den Sinn. Erſt nach und nach
ſchien ihr die Moͤglichkeit des letztern einleuchtend
zu werden, ihre Unruhe und Angſt vermehrte ſich
dadurch um ein großes. Beide trieben ſie naͤher
nach Strasburg, um wo moͤglich einige Nachrich-
ten einzuziehen. Da ihr dieß in der Ferne nicht
gelang, ſo gieng ſie bis Philippsburg, wo ſie ſich
bei dem Wirthe nach verſchiedenen Bekannten in
Strasburg, dann erſt nach ihrem Vater erkundig-
te. Man ſtelle ſich ihr Erſtaunen, die Groͤße ih-
res Jammers vor, als ſie hoͤrte, daß dieſer ſeine
ermordete Tochter troſtlos beklage, und endlich
gar erfuhr, daß Konrad, dieſes Mords beſchul-
digt, naͤchſtens ſchon auf dem Blutgeruͤſte ſterben
werde. Nun erfolgte, was ich ſchon ehe er-
zaͤhlte.
J 2
Groß war Karolinens Freude, hoch und innig
ihr Gefuͤhl, als ſie nach ſo vieler Angſt und Lei-
den im Arme des Allgeliebten ruhen, mit Gewiß-
heit hoffen konnte, daß er bald ihr ſeyn wuͤrde
auf ewig. Konrad ſuchte zwar dieſe Freude auch
zu genießen und zu fuͤhlen, aber die Kraft, wel-
che ihm ſein Leiden und die nahe Todesgefahr ge-
raubt hatte, mangelte ganz, er glaubte immer
nur zu traͤumen, immer ſchwebte noch Folter und
Bilder des Todes vor ihm, wenn er Karolinens
feurigen Kuß erwiedern wollte. Jedes Geraͤuſch,
das dem Geklirre der Ketten nur in der Ferne
glich, ſchreckte ihn hoch empor, er mußte dann
lange kaͤmpfen, ehe er ſeine erhitzte Einbildungs-
kraft uͤberreden konnte, daß er nicht mehr im
Kerker ſchmachte, nicht mehr mit Ketten belaſtet
ſei. Nach und nach verlohren ſich zwar dieſe
Vorſtellungen, er war oft froͤhlich und munter,
aber doch weit oͤfterer traurig, oft ſogar wahrhaft
melancholiſch. Unwillkuͤhrliche Thraͤnen rollten
dann uͤber ſeine Wangen, die ſelbſt Karolinens
Kuß und Bitte nicht ſtillen konnte; er war gern
allein, und traͤumte ſich dann, ſeinem eignen Ge-
ſtaͤndniſſe nach, immer wieder im Kerker.
Karolinens Vater, der ſein Leiden fuͤhlte, und
wirklich innigen Antheil daran nahm, bemuͤhte
ſich ebenfalls nach allen Kraͤften, ihn zu ermun-
tern und zu troͤſten. Er liebte Konraden jetzt
gleich einem Sohne. Vermehrung ſeines Reich-
thums war freilich eine ſeiner Hauptleidenſchaf-
ten, aber noch ſtaͤrker als dieſe beherrſchte ihn
eine gewiſſe Art Ehrgeiz, der oft in einer bloßen
Grille oder Laune die groͤßte Befriedigung fand.
Ihm wuͤrde es unertraͤglich geweſen ſeyn, und
ſeine ganze Lebenszeit verbittert haben, wenn
Konrad, als er noch in den Augen aller Karoli-
nens Moͤrder war, vor Gericht geſtanden haͤtte,
daß dieſe ihn liebte, aus Liebe zu ihm vorzuͤglich
entflohen waͤre. Dieſe edle Schonung ſeiner und
der Tochter Ehre hatte ſein Herz gewonnen, dieß
war in ſeinen Augen eine That, die er mit ſei-
nem ganzen Vermoͤgen, mit der Hand ſeiner
Tochter lange noch nicht hinlaͤnglich belohnt
glaubte.
Um Konraden zu zerſtreuen, um ihn mit ſei-
nen kuͤnftigen Geſchaͤften bekannt zu machen, er-
nannte er ihn bald nachher zu ſeinem Handlungs-
gefaͤhrden, Konrad ward als dieſer bald munterer
und thaͤtiger, ſein Geiſt fand Nahrung in den
ſpekulativiſchen Geſchaͤften des Kaufmanns, er ſah
mit dieſem bald weiter als ſein kuͤnftiger Schwie-
gervater; er unternahm einige Geſchaͤfte, bei wel-
chen jener keinen Vortheil erwartete; als ſie aber
doch gluͤckten, anſehnlichen Gewinn brachten, da
gewann er die Liebe und Achtung deſſelben noch
ſtets in ſtaͤrkerm Grade. Er ſelbſt drang jetzt mit
Heftigkeit auf die Heirath mit ſeiner Tochter, und
beſtimmte ſolche binnen Monatsfriſt. Eine un-
verhoffte neue Hinderniß ſtemmte ſich aber Kon-
rads Gluͤcke entgegen. Der Pfarrer, welcher
Konraden mit Karolinen oͤffentlich verkuͤndigen
ſollte, forderte, nach Sitte und Gewohnheit, des
erſtern Taufſchein, eben dieſe Forderung machte
der Magiſtrat, welcher ihn zum Buͤrger aufneh-
men ſollte, und fuͤgte noch hinzu, daß dieſer bei
einem Fremden um ſo noͤthiger ſei, weil die Ge-
ſetze ausdruͤcklich verlangten, daß der Buͤrger-
Kandidat kein Leibeigner, und nicht von unehli-
cher Geburt ſeyn duͤrfe.
Konrad geſtand ſogleich dem fragenden Vater,
daß dieß wirklich der Fall bei ihm ſei, er er-
zaͤhlte ihm ſeine ganze Jugendgeſchichte, erregte
zwar ſein ganzes Mitleid, kraͤnkte aber noch weit
ſtaͤrker ſeinen Ehrgeiz, der ſich dadurch ganz ver-
nichtet fuͤhlte. Haͤtte nicht Konrad ſchon ehe ſein
ganzes Herz gewonnen, nicht deutlich ſchon be-
wieſen, daß er einſt die volle Stuͤtze ſeines Alters
werden wuͤrde, dieſer einzige Umſtand haͤtte viel-
leicht den Alten bewogen, ſein Wort zuruͤck zu
nehmen, und ihm die Hand ſeiner Tochter zu
verweigern. Jetzt forderte er aber nur Rath,
und Abaͤnderung, damit die Heirath nicht allzu
lange verzoͤgert wuͤrde.
Konrad beſchloß, ſogleich ſelbſt nach Boͤhmen
zu reiſen, ſich von der Leibeigenſchaft loszukau-
fen, und den Pfarrer des Orts durch Geſchenke,
durch Vorſtellung und Bitten zu bewegen, damit
er das Wort unehlich nicht in den Taufſchein
ſetzen moͤge. Er kam eben nach Boͤhmen, als
der ſiebenjaͤhrige Krieg halb Deutſchland verheerte,
der Ort ſeiner Geburt war durch den Feind beſetzt,
er konnte ſich nicht ohne Gefahr dahin wagen,
alle ſeine Briefe, die er dahin ſchrieb, blieben un-
beantwortet, ſchon wollte er wieder zuruͤckreiſen,
und die Unmoͤglichkeit, ſeinen Taufſchein zu er-
halten, durch Zeugniſſe beweiſen, als eine gluͤck-
liche Schlacht das bedraͤngte Vaterland befreite,
und den Feind daraus vertrieb. Er reiſte nun
ohne Hinderniß nach ſeiner Heimath, und trug
vors erſte dem Amte, unter deſſen Gerichtsbarkeit
er ſtand, ſeine Bitte vor, weil er, ohne von der
damaligen Leibeigenſchaft befreit zu ſeyn, den
Taufſchein nicht erhalten konnte.
Ohngeachtet damals in einigen Schlachten die
Waffen der tapfern Oeſtreicher den Sieg errun-
gen hatten, ſo war doch ihr Heer eben durch die-
ſen Sieg ſtark geſchwaͤcht worden, die Monarchin
forderte deswegen von ihren Laͤndern neue Rekru-
ten, um dieſe den nahenden Winter hindurch in
Waffen zu uͤben, und zum kuͤnftigen Kampfe vor-
zubereiten. Damals beſtand noch die Einrichtung,
daß von jeder Herrſchaft, Amte oder Ortsgerich-
te eine gewiſſe Anzahl dienſttauglicher Leute ge-
fordert wurde, welche dieſes ohne Widerrede in
beſtimmter Friſt ſtellen, und wenn es ſolche in ſei-
nem Gerichtsbezirke nicht fand, oft mit anſehnli-
chen Koſten und Geldſummen von andern erkau-
fen mußte.
Der ungluͤckliche Konrad langte eben bei ſei-
nem Amte an, als ſolches in einem Zeitraume
von drei Tagen die Zahl ſeiner Rekruten ſtellen
ſollte. Dieſe Stellung fiel dieſem Amte um des-
willen weit haͤrter, weil es kurz zuvor in Feindes
Haͤnden war, dieſer ſelbſt alle taugliche Purſche
gehoben, oder wenigſtens verjagt hatte, und doch
war der Befehl aͤuſſerſt dringend, drohte dem
ſaumſeligen Vorgeſetzten mit ſtrenger Strafe und
Arreſte. Kein Wunder war's daher nicht, daß
Konrads Groͤße und ſchoͤne Geſtalt den Amtsvor-
ſteher ſogleich aufmerkſam machte, und viele
Freude in ſeinem Herzen erregte, als er hoͤrte,
daß dieſer junge, große Juͤngling ein Unterthan
der Herrſchaft, folglich zu einem Rekruten taug-
lich ſei. Ohne Konrads Bitte ganz zu hoͤren,
ohne ſeine Vorſtellungen und Gruͤnde zu achten,
befahl er ſogleich, daß ſolcher gleich mehrern an-
dern gefaͤnglich verwahrt, und mit dieſen zum
Regimente abgeſchickt werden ſollte. Durch die-
ſen Ungluͤcklichen war die Zahl gefuͤllt worden,
der Vorſteher konnte nun ohne Furcht vor Arreſt
und Strafe ſchlafen gehen. Der erſtaunte Konrad
ſuchte zwar durch die triftigſten Vorſtellungen das
Herz deſſelben zu erweichen, er erbot ſich ſogar,
durch eine ſehr anſehnliche Summe ſeine Freiheit
zu erkaufen, aber der Amtmann blieb ungeruͤhrt,
und verwarf jeden Antrag. Man hoͤre ihn, ehe
man ihn verurtheilt.
Sparen ſie, ſprach er zu dem Bittenden, ihr
Geld, bis ſie beim Regimente anlangen. Leich-
ter als ich kann dieſes helfen, und ihre Stelle
durch einen andern erſetzen; ich muß die Anzahl
der Geforderten ſtellen, es iſt hart, es iſt grau-
ſam, daß ich das Ungefaͤhr benutze, ihr ganzes
großes Gluͤck, wo nicht zertruͤmmere, doch hin-
dre; aber es waͤre noch weit haͤrter, weit grau-
ſamer, wenn ich ihr Geld annaͤhme, und, aus
Mangel anderer Leute, unerzognen Kindern einen
Vater, der troſtloſen Gattin einen Mann raub-
te, um ihn an ihrer Stelle mit fortzuſchicken.
Das Geſchrei, die Verzweiflung der Ungluͤckli-
chen wuͤrde mich bei Gott anklagen, und mir
meine Seligkeit rauben, die ich nicht um Geld
und Gut verkaufen will. Sie ſind, wie Sie
ſelbſt ſagen, noch nicht verheirathet, Ihre Braut
wird jammern, aber ſie hat noch kein feſtes Recht
auf Sie, kann eher als die ſchwangere oder
ſaͤugende Gattin harren. Der Krieg muß ſich
bald enden, kehren Sie gluͤcklich zuruͤck, ſo will
ich Ihnen mit Freuden unentgeldlich geben, was
Sie jetzt mit großen Summen bezahlen wollen.
Konrad hatte mehr als fuͤnfhundert Louisd'ors
mit ſich, er bat den Antmann, dieſe Summe je-
dem zum Lohne zu bieten, der freiwillig an ſeiner
Stelle Soldat werden wolle. Der Amtmann thats,
aber es fand ſich keiner, der ſein Weib und Kin-
der um dieſes Geld verlaſſen wollte.
Dem Ungluͤcklichen, aͤußerſt Trauernden blieb
nun nichts anders uͤbrig, als die ganze ſchreckli-
che Geſchichte ſeines Leidens der harrenden Ge-
liebten und ihrem Vater zu berichten. Er thats,
Thraͤnen loͤſchten oft die Buchſtaben, welche ſeine
zitternde Hand ſchrieb. Am dritten Tage wurde
er mit den uͤbrigen Rekruten der Herrſchaft nach
einer nahen Stadt gefuͤhrt, in welcher das Regi-
ment lag, bei welchem ſie dienen ſollten. Nie-
mand wirds Konraden verdenken, daß er auch
hier mit Huͤlfe ſeiner Louisd'ors Entlaſſung ſuch-
te; aber der Offizier, welcher ihn uͤbernahm, war
zu gewiſſenhaft, um ſich durch den Schein des
Goldes blenden zu laſſen, Konrad mußte in kur-
zer Zeit zu der Fahne des Regiments ſchwoͤren,
und alle Hofnung, vor Ende des Kriegs befreit
zu werden, war nun verlohren.
Karolinens Jammer war groß, ihre Trauer
unnennbar, als ſie das ungluͤckliche Schickſal ih-
res Theuern erfuhr, ſie hatte ihn ſchon jeden Tag
mit Sehnſucht erwartet, ſollte ihn jetzt lang miſ-
ſen, dieß war mehr, als ihr Herz zu ertragen
vermochte. Ihre Thraͤnen, ihr Flehen ruͤhrte den
Vater, er reiſte nach Boͤhmen, und nahm eine
große Summe Gelds mit ſich, um mit dieſer Kon-
rads Freiheit zu erkaufen. Er ward auf ſeiner
Reiſe mit einem Werboffizier bekannt, welchem
er ſeine Noth klagte, und von dieſem die Ver-
ſicherung erhielt, daß er ihm fuͤr baares Geld zwei
tuͤchtige Rekruten ſtellen wolle, wenn man ſolche,
wie er ſicher glaubte, fuͤr Konrads Entlaſſung
fordern wuͤrde.
Durch dieß Verſprechen getroͤſtet, beſchleunigte
der Alte ſeine Reiſe, wie er aber in der Stadt,
aus welcher Konrad zum letzten male ſchrieb,
anlangte, ſo war das Regiment ſchon aufgebro-
chen, und hatte ſeinen Marſch nach Schleſien ge-
nommen. Er reiſte auch dahin ab, da aber der
Krieg in dortiger Gegend eben ſehr hartnaͤckig be-
gann, und Konrads Regiment eben auf Vorpo-
ſten ſtand, ſo konnte er, aller Muͤhe ungeachtet,
nicht vordringen, ward endlich als verdaͤchtig im
Lager angehalten, und, ob er ſich gleich durch
ſeine Paͤſſe legitimirte, doch nur mit dem Ver-
ſprechen entlaſſen, daß er nie wiederkehren wolle.
Dieſe Ungluͤcksfaͤlle ſchreckten den Alten ganz ab,
mehr zu wagen, er kehrte ſchnell nach Strasburg
zuruͤck, und erfuͤllte das Herz ſeiner Tochter mit
neuer Trauer.
Unterdeſſen hatte Konrad ſchon einigemal mit
dem Feinde gekaͤmpft, er ſuchte verzweiflungsvoll
ſeinen Tod, aber er fand ihn nicht, erndete ſtatt
dieſem Ehre und Lob ſeiner Vorgeſetzten, welche
ſeine Tapferkeit bewunderten, und ihn, ehe ein
halbes Jahr vergieng, zum Unteroffizier befoͤrder-
ten. Sein Loos wuͤrde als dieſer ertraͤglich gewe-
ſen ſeyn, wenn er nicht ein beſſeres gekannt,
nicht von Karolinen haͤtte entfernt leben muͤſſen.
Sehnſucht nach ihr verbitterte jede Stunde ſeines
Lebens, verſchloß ſein Herz jeder Freude, und
machte ihn zum Genuſſe unfaͤhig. Wenn andre
zechten und ſpielten, lag er ſchlaflos in ſeinem
Zelte, und gedachte der Theuern, welche ſeiner
gewiſſen Ueberzeugung nach eben ſo ſehnſuchtsvoll
ſeiner harren wuͤrde. Als er einſt auf den Vorpo-
ſten ſtand, erzaͤhlte ihm ein Bauer, welcher
Brandwein verkaufte, wahrſcheinlich aber ein
Spion war, daß der Feind keinen Deſerteur zum
Dienſte zwinge, vielmehr mit einem Paſſe verſe-
hen ungehindert weiter ziehen laſſe.
Der Reiz dieſer Nachricht war fuͤr ſein lieben-
des Herz allzu groß, er unterlag der Begierde,
Karolinen bald wieder zu ſehen, und beſchloß,
ſogleich zu deſertiren. Da er uͤberzeugt war, daß er
auf der aͤußerſten Vorpoſt ſtehe, und auf einer ge-
genſeitigen Anhoͤhe ein feindliches Piket erblickte,
ſo erwartete er mit Ungeduld die Nacht, in wel-
cher er ſein Vorhaben ausfuͤhren wollte. Dieſe
erſchien, Gewitterwolken vermehrten zu ſeiner
groͤßten Freude die Dunkelheit um ein großes.
Sein war die Pflicht, die ausgeſtellten Wachen
zu viſitiren, und zur Aufmerkſamkeit zu ermun-
tern. Unter dieſem Vorwande entfernte er ſich
vom Pikete, ſchlich durch die Wachen durch, und
eilte nach der vom Feinde beſetzten Anhoͤhe. Er
war nicht lange gegangen, als ihm der Ruf:
Wer da? entgegen ſchallte, er antwortete: Ein
Deſerteur, und blieb ruhig ſtehen, bis die Wache
ein Zeichen gegeben, und einige Mann vom ent-
fernten Pikete herbei kamen, um ihn vorwaͤrts zu
fuͤhren. Er ſtaunte ſchon, als er ruͤckwaͤrts ge-
fuͤhrt ward, er ſank ohnmaͤchtig zu Boden, als er
ſich wieder unter den Haͤnden ſeiner Kameraden
erblickte.
Der Huͤgel, auf welchem wirklich das feind-
liche Piket ſtand, lag dem ſeinigen in ſchiefer Li-
nie gegenuͤber, in der großen Dunkelheit hatte er
ſich etwas zu weit links gewendet; dieß wuͤrde
aber ſeiner Abſicht nicht geſchadet haben, wenn
nicht der Kommandirende der Vorpoſten es kurz
vorher fuͤr noͤthig befunden haͤtte, eben dieſer
Dunkelheit wegen von einem benachbarten Pikete
eine Wache ins Thal zu ſtellen. Dieſe ſtand am
Tage nicht dort, und Konrad war ſo ungluͤcklich
auf ſolche zu ſtoßen. Er war nicht faͤhig, ſeinen
Vorſatz zu laͤugnen, auch konnte ers nicht, weil
ers der Wache zu deutlich erklaͤrt hatte, daß er
ein Deſerteur ſei, er wurde noch in der naͤmlichen
Nacht zum Staabe ſeines Regiments geliefert.
Wer die ſtrengen Geſetze des Soldatenſtandes
kennt, und dabei uͤberlegt, wie wichtig der Scha-
den ſei, den ein einziger Ueberlaͤufer einem Heere
verurſachen kann, wirds dem ſonſt menſchen-
freundlichen Obriſten nicht verdenken, daß er uͤber
den Verbrecher Standrecht zu halten befahl, wel-
ches ihn ohne Gnade zum Strange verurtheilte.
Dieß Urtheil mußte nach den Geſetzen laͤngſtens
binnen vier und zwanzig Stunden an ihm voll-
zogen werden, es war daher eine große Gnade
vom Oberſten, daß er es bis zum andern Mor-
gen verſchob, und dem Ungluͤcklichen noch ei-
nige Stunden goͤnnte, um ſich zum gewiſſen To-
de vorzubereiten. Konrad benutzte dieſe Zeit, um
ſeiner Geliebten ſein ſchreckliches Ende mit allen
Umſtaͤnden zu berichten. Ehe noch die Sonne un-
tergieng, war der lange Brief vollendet, den er
oft mit Thraͤnen benetzt hatte. Er uͤbergab ihn
dem Feldprediger, bat ihn dringend um richtige
Beſtellung, und dieſer trug ihn ſogleich, um ihn
zu beruhigen, auf die Feldpoſt, brachte ihm zur
Beſtaͤtigung ſogar ein Rezipiſſe, welches die rich-
tige Uebergabe des Briefs beſcheinigte. Konrad
dankte dafuͤr herzlich und innig, uͤberließ ſich die
uͤbrige Zeit ganz der Leitung des redlichen Prie-
ſters, der ihn mit Gott zu verſoͤhnen und zu ſei-
nem Ende vorzubereiten ſuchte.
Als die Sonne am heitern Himmel empor
ſtieg, trat der Ungluͤckliche muthig und ſtandhaft
den Weg zum Tode an. Er zagte und zitterte
nicht, er hatte ſchon laͤngſt das Ende ſeiner Lei-
den gewuͤnſcht, nur thats ſeinem Herzen weh,
daß er auf ſo ſchreckliche Art enden mußte.
Wie der Henker ihn uͤbernehmen wollte,
brachte wider alles Vermuthen ein Faͤhndrich
Gnade. Die Frau des Obriſten ward Konrads
großmuͤthige Retterin. Ihr Gatte liebte ſie zaͤrt-
lich und herzlich, er hatte ihr kurz zuvor geſchrie-
ben, daß ſie unthaͤtig und muͤßig im Lager ſtaͤn-
den, ſie nahm dieß als einen Wink zum Beſuche
an, und uͤberraſchte ihn an eben dieſem Morgen
mit ihrer Ankunft. Nach eingefuͤhrtem Gebrauche
muß allemal ein Faͤhndrich zu Pferde, wenn ein
Deliquent zum Tode gefuͤhrt wird, vor der Woh-
nung des Obriſten bereit ſtehen, um ſo ſchnell als
moͤglich Nachricht an die Richtſtaͤtte zu bringen,
wenn es jenem gefallen ſollte, Gnade zu erthei-
len. Die Obriſtin argwohnte ſogleich, als ſie
dieſen ſah, die Urſache, forſchte nach, erhielt Be-
ſtaͤtigung, und dachte edel genug, die Freude des
Wiederſehens zur Rettung des Ungluͤcklichen anzu-
wenden. Eben, als ſie der entzuͤckte Gatte um-
armen wollte, ſank ſie zu ſeinen Fuͤßen nieder,
ſie war ſchwanger, benutzte auch dieſen Umſtand,
und flehte im Namen des Kindes, welches ſie
unter ihrem Herzen trug, um Gnade. Der ge-
ruͤhrte Obriſte konnte ſolch einer Bitte nicht wider-
ſtehen, er winkte dem Faͤhndrich, und dieſer eilte
mit der freudenvollen Botſchaft zur Richtſtaͤtte.
Konrad hoͤrte dieß goͤttliche Wort ohne beſon-
dre Theilnahme, er war froh, vom ſchmaͤhlichen
Tode errettet zu werden; aber er trauerte, daß er
laͤnger noch dulden und leiden ſollte. Da die To-
desangſt, welche er ausgeſtanden hatte, ſein Ver-
brechen ganz tilgte, und alle fernere Strafe ver-
hinderte, ſo konnte er noch am naͤmlichen Tage
frei umher wallen.
Er hielts fuͤr Schuldigkeit, der Retterin ſeines
Lebens zu danken, er ward freundlich empfan-
gen, und ſprach mit voller Empfindung, die ſein
leidendes Herz fuͤllte. Die Obriſtin hoͤrte ſeinen
Dank mit Vergnuͤgen, ſie forſchte nach der Urſa-
che ſeiner Flucht, ſein Herz oͤffnete ſich, er er-
zaͤhlte ihr den groͤßten Theil ſeiner Lebensgeſchich-
te. Sie hoͤrte ſolche mit inniger Ruͤhrung, mit
groͤßter Theilnahme: ſie hatte einſt ſelbſt hof-
nungslos geliebt, und fuͤhlte daher den Jammer
und das Leiden des armen Konrads mit doppel-
ter Staͤrke. Sie belebte ſein Herz mit neuer Hof-
nung, verſprach ihm ſogar, bei dem Obriſten den
Abſchied zu erflehen, aber ſie mußte am andern
Tage ihr Verſprechen widerrufen, weil dieſer nicht
in der Macht ihres Gatten ſtand, und er keinen
Soldaten im Felde entlaſſen konnte. Doch hatte
der Obriſt verſprochen, daß er Konrads Fehler
ganz vergeſſen, ihm ſogar nicht einmal die Un-
teroffizierſtelle rauben wolle, wenn er dagegen
aufs heiligſte gelobte, treu und redlich bis ans
Ende des Krieges unter ſeiner Fahne zu kaͤmpfen,
ſie nie mehr meineidig zu verlaſſen.
Konrad leiſtete dieß Verſprechen, und trat
aufs neue ſeine Dienſte an. Eine ſeiner erſten
Beſchaͤftigungen wars, Karolinen ſein neues
Schickſal kund zu machen, ſie zur Ausdauer zu
ermahnen; er berichtete ihr in der Folge jede
Veraͤnderung, welche oft ſo wunderbar erfolgte,
aber er mußte durch zwei lange Jahre ohne Ant-
wort ſchmachten, genoß nie das ſelige Vergnuͤ-
gen, ein Wort des Troſtes von Karolinens Hand
zu leſen.
Die Ruhe, welche das Heer durch einige Wo-
chen genoſſen hatte, ſchwand mit einmal, kehrte
den ganzen Sommer nie mehr zuruͤck. Es folg-
ten blutige Gefechte, Konrad war in dieſen mei-
ſtens
ſtens gegenwaͤrtig, kaͤmpfte jederzeit mit einem
Muthe, der Verwunderung erregen, und ſeine
Vorgeſetzten zur Aufmerkſamkeit reitzen mußte.
Der Kommandirende war einſt ſelbſt Augenzeuge,
wie er mit zwanzig Mann einen kleinen Verhau
hartnaͤckig vertheidigte, und aller Wahrſcheinlich-
keit entgegen, die uͤberlegne Anzahl des Feindes
zum Weichen brachte, er beſchloß, den Tapfern zu
belohnen, und machte ihn zum Wachtmeiſter un-
ter einem Kavallerieregimente, das ſeinen Na-
men fuͤhrte.
Kurz nachher rekognoſcirte der General die
Staͤrke des Feindes, Konrad war unter den We-
nigen, welche zur Bedeckung an ſeiner Seite rit-
ten; ein ſtarker feindlicher Hinterhalt uͤberraſchte
die Sichern, alles mußte fliehen, der General
ſtuͤrzte und ward gefangen. Konrad ſahs, er ſam-
melte zwoͤlf Mann, drang mit dieſen in die Schaar
der Feinde, und befreite den General gluͤcklich aus
der Gefangenſchaft. Dieſe kuͤhne That erregte
die Dankbarkeit des Geretteten, Konrad wurde
kurz nachher zum Lieutenant und Adjutanten des
Generals ernannt.
Dieſer Lohn ermunterte ſein Herz zur Freude,
er machte ſein Gluͤck Karolinen kund, und hat ſie
dringend, es durch eine Antwort vollkommen zu
machen, aber dieſe erfolgte nicht, und wurde aufs
neue die Urſache ſeines Kummers. Er hoffte in
den Winterquartieren auf einige Monate Urlaub
Zweit. Baͤndch. K
zu erhalten, aber dieſe waren wider die Gewohn-
heit ſehr unruhig, der General liebte ihn, er
konnte ihn bei jeder Gelegenheit brauchen, und
verſagte ihm daher ſeine Bitte.
Im folgenden Feldzuge ſtieg Konrad bis zum
Rittmeiſter empor. Die gegruͤndete Hoffnung
zum Frieden leuchtete hell, ward endlich zur Ge-
wißheit. Einige Tage nachher, als er wirklich
unterzeichnet war, erhielt Konrad den ſo ſehnlich
gewuͤnſchten Urlaub, es ſtand jetzt bei ihm, ſo-
gleich auch ſeinen ehrenvollen Abſchied zu nehmen;
aber er fand Vergnuͤgen in dem Gedanken, als
Offizier vor ſeiner Karoline zu erſcheinen, und
ihrer Vaterſtadt zu beweiſen, daß die Holde ſich
keinen Unwuͤrdigen zu ihrem Gatten erwaͤhlt
habe.
Da er es ganz ihr und dem Willen ihres Va-
ters uͤberlaſſen wollte: ob er ſeine militairiſche
Laufbahn fortſetzen, oder wieder Kaufmann werden
ſollte, ſo nahm er ſeinen Taufſchein mit ſich, den
der menſchenfreundliche Pfarrer auf ſein Bitten,
ohne der unehlichen Geburt zu gedenken, ausſtell-
te. Die Entlaſſung aus der Leibeigenſchaft be-
durfte er jetzt nicht mehr, weil ſein Stand ihn
ohnehin davon befreite.
Heftige, der gluͤcklichſten Vollendung ſich ſchon
nahe waͤhnende Liebe beſchleunigte ſeine Reiſe, er
ſetzte ſie oft Tag und Nacht fort, und ſah endlich
Strasburgs hohen Dom, von der untergehenden
Sonne beleuchtet, vor ſich liegen.
Es daͤmmerte ſchon, als er ſich dem Hauſe
naͤherte, in welchem er bald ſeine Allgeliebte zu
umarmen hoffte. Um ſie zu uͤberraſchen, um aus
den Kennzeichen ihrer Freude auf die Fortdauer
ihrer Liebe ſchließen zu koͤnnen, ſchlich er ſich lang-
ſam ins Haus, betrat mit tiefer Ruͤhrung den
Gang, welcher zu Karolinens Zimmer fuͤhrte, und
oͤffnete endlich langſam die Thuͤre.
Karoline ſaß im leichten Nachtkleide auf einem
Ruhebette, ſie ſaͤugte ein kleines Kind, welches
auf ihrem Schooße ruhte, ein junger, ſchoͤner
Mann ſtand ihr zur Seite, und blickte mit Wohl-
gefallen auf Kind und Mutter herab. Konrad
ſchauderte zuruͤck, er lehnte ſich an die Mauer,
und ſtarrte nach Karolinen hin. Das Geraͤuſch,
welches Konrad verurſachte, machte die letztere
aufmerkſam, ſie erkannte ſogleich ihren Konrad,
und ſank ohnmaͤchtig zuruͤck. Der junge Mann
trat jetzt zu Konraden, verwieß es ihm beſcheiden,
aber nachdruͤcklich genug, daß er ſo geradezu in
das Zimmer einer Woͤchnerin eindringe, fuͤr wel-
che das kleinſte Schrecken gefaͤhrlich, leicht toͤdtlich
ſeyn koͤnne. Konrad hoͤrte dieſen Verweiß nicht,
er wich nicht, als jener ihn deutlicher wiederhol-
te; er ſtand angewurzelt zwiſchen Thuͤr und An-
gel, ſeine Sinne ſtaunten, ſeine Seele duldete nie
empfundene Quaalen.
Karolinens Gatte, denn dieß war der junge
Mann, mußte um Huͤlfe rufen, weil dieſe aus
K a
der Ohnmacht nicht erwachen, der Fremde, aller
Ermahnung ungeachtet, nicht weichen wollte.
Unter denen, welche auf ſeinen Ruf herbeieil-
ten, befand ſich auch Karolinens Vater. Konrad
ſchien zu erwachen, als dieſer bei ihm voruͤber-
gieng, er ſuchte ihn bei der Bruſt zu faſſen, wie
dieſer aber erſchrocken zuruͤckwich, ſank ſeine aus-
geſtreckte Hand langſam zuruͤck, und er ſtaunte
von neuem nach Karolinen hin.
Mit vieler Muͤhe gelang es den Gegenwaͤrti-
gen, ihn nach einem andern Zimmer zu fuͤhren;
er duldete es zwar, daß man ihn auf ein Ruhe-
bette legte, aber er ſprang ſogleich wieder auf,
und ſtarrte abermals um ſich her.
Karolinens Zuſtand ſchien am nemlichen Aben-
de weit gefaͤhrlicher, ſie ſprach, als ſie aus der
Ohnmacht erwachte, anhaltend irre, ein hitziges
Fieber nagte an ihrem Leben, aber die Natur ſieg-
te im fuͤrchterlichen Kampfe, ſie genaß, und er-
hielt den Gebrauch ihrer Vernunft wieder, um ihr
Elend lebhaft fuͤhlen und bejammern zu koͤnnen.
So gluͤcklich war Konrad nicht, er hatte in ſeinem
Leben manches Ungluͤck ſtandhaft erduldet, zwei-
mal uͤberſtand er die Gefuͤhle des nahen, ſchmaͤh-
lichen Todes unter des Henkers Hand, als er
aber die Geliebte, deren Andenken ihm ſein Leiden
immer ertraͤglich machte, im Augenblicke des fro-
hen Wiederſehens in den Armen eines andern, auf
ihrem Schooße den Beweiß ihrer Untreue erblick-
te, da unterlag er, ſein Verſtand entfloh, der
Verzweiflung aͤchter Bruder, der ſchreckliche
Wahnſinn, deckte ihn mit ſeinen Fittigen, und
traͤnkte ihn mit Opium, deſſen Wirkung oft wohl-
thaͤtig, oft auch ſchrecklich iſt.
Karolinens Vater duldete im Stillen, aber
ſeine Quaal war ebenfalls groß, Gewiſſensvor-
wuͤrfe vermehrten ſie, denn er war der Urheber
alles Leidens. Sein Ehrgeiz, deſſen ich ſchon ehe
gedachte, vielleicht auch andre Abſichten, hatten
ihn zum ſchaͤndlichen Truge verleitet, der jetzt ſo
unverhofft entdeckt ward.
Als Konrad ſein nahes, ſchreckliches Ende Ka-
rolinen berichtete, auf ewig von ihr Abſchied
nahm, da war ihr Leiden groß, ihr Jammer ohne
Graͤnzen. Sie fuͤhlte es deutlich, daß er aus
Liebe zu ihr deſertiren wollte, nun aus Liebe zu
ihr ſterben mußte, und dieß vermehrte ihren
Schmerz um ein Großes. Ihr Vater haͤtte ſol-
chen vierzehn Tage nachher ſchon mit der freu-
denreichen Nachricht von Konrads Rettung lindern
und enden koͤnnen, denn er hatte den Brief, in
welchem dieſer alles berichtete, wirklich erhalten;
da aber Karoline jetzt nicht mehr laut jammerte,
den Schmerz nur in ihrem Innern ſorgfaͤltig naͤhr-
te und pflegte, ſo hielt der Vater Rath mit ſei-
nem Verſtande, und dieſer rieth ihm, daß es
weit beſſer ſei, dieſe Nachricht zu verſchweigen,
weil die Ausſicht zu Konrads Wiederkehr abermals
verſchwand, ihn wahrſcheinlich einſt eine feindliche
Kugel toͤdten, und auf dieſe Art der Jammer ſei-
nes Kindes nie enden wuͤrde.
Auch war ihm von nun an der Gedanke uner-
traͤglich, daß ſeine Tochter einſt in den Armen ei-
nes Mannes ruhen ſollte, welcher ſchon unter
dem Galgen geſtanden waͤre. Seine uͤberſpannten
Begriffe von Ehre nahmen dieß fuͤr einen Schand-
fleck, den keine Zeit, keine beſſere That ausloͤſchen
koͤnne, der ihn einſt noch im Grab entehren
wuͤrde. Durch dieſe Scheingruͤnde uͤberzeugt, be-
ſchloß er, nicht allein jeden kuͤnftigen Brief Kon-
rads zu unterdruͤcken, ſondern auch Karolinen zu
uͤberreden, ſich einen andern Mann zu waͤhlen.
Das erſtere konnte er leicht und ſicher, weil
Konrad alle ſeine Briefe, welche er an Karolinen
ſchrieb, der beſſern Beſtellung wegen unter der
Addreſſe des Vaters abſandte. Das letztere ward
ihm weit ſchwerer, wuͤrde wahrſcheinlich gar nicht
gelungen ſeyn, wenn ein Zufall nicht maͤchtiger
als er gewirkt haͤtte.
Ein hoffnungsvoller, edler Juͤngling, der
Sohn eines reichen Kaufmanns, hatte ſchon
laͤngſt ingeheim Karolinens Reitzen gehuldigt, nur
die Gewißheit, daß ſie Konraden zaͤrtlich liebe,
verhinderte das Geſtaͤndniß ſeiner Liebe. Die
Nachricht ſeines Todes, welche der Vater, ohne
der Art zu gedenken, ſogleich ſelbſt verbreitet hat-
te, weckte neue Hoffnung in dem Herzen des Lie-
benden, er wagte es, Karolinen zu beſuchen, er
ſah ihren Jammer und ehrte ihn durch innige
Theilnahme, dadurch gewann er der Leidenden
Zutrauen, Freundſchaft und in der Folge auch ihre
Liebe. Wer wird, wer kanns der Guten verden-
ken, wenn ſie zwar das Andenken des Unvergeß-
lichen noch immer ehrte, aber doch den Lohn der
Liebe in eines andern Armen ſuchte, da er ihr in
den ſeinigen nicht mehr werden ſollte?
Nach Jahresfriſt, denn ſo lange betrauerte ſie
im Herzen Konrads Tod, willigte ſie endlich ein,
die Frau des reichen Erben zu werden. Der ent-
zuͤckte Vater nahm ihn, gleich Konraden, zu ſei-
nem Mitgefaͤhrden in der großen Fabrike auf, das
anſehnliche Kapital, was dieſer mitbrachte, diente
zur Vermehrung derſelben, und gab die ſicherſte
Hoffnung zum reichlichſten Gewinne.
Karoline lebte in den Armen ihres Gatten
wirklich gluͤcklich, denn er liebte ſie mit einer
Zaͤrtlichkeit, welche innig und groß war, nur
dann und wann fand er ſie nachdenkend und trau-
rig, wenn ſie ihres Konrads und ſeines ſchreckli-
chen Todes gedachte. Er war dann billig genug,
mit ihr den Edlen zu beweinen, und dies ver-
mehrte ihren Dank, ihre Liebe. Vierzehn Tage
zuvor, ehe Konrad wieder erſchien, hatte die Hol-
de ihrem Gatten einen Sohn gebohren, der ihrem
Herzen aͤuſſerſt lieb und theuer wurde. Ihr Vater
erhielte unter dieſer Zeit Konrads Briefe richtig,
aber er verbarg ſie Karolinen aͤuſſerſt ſorgfaͤltig.
Um Konraden von aller Ruͤckkehr abzuſchre-
cken, berichtete er ihm in der Folge mehr als ein-
mal, daß ſeine Tochter, von ſeinem Tode uͤber-
zeugt, ſich kurz nachher verheirathet habe, als
Gattin eines andern nun ſeine Briefe nicht mehr
beantworten koͤnne. Um ihn uͤber den Verluſt der-
ſelben einigermaßen zu troͤſten, verſprach er ihm
ein Kapital von zehntauſend Franken zu ſchenken,
welches der Gewinn war, der im gluͤcklichen Han-
del, als er mit ihm aſſoziirt war, erworben wur-
de. Er hat ihn oft, nur den Wechsler zu be-
ſtimmen, an welchen er dieſe Summe uͤbermachen
ſolle, und erſuchte ihn nebenbei, nicht mehr an
ſeine Tochter zu ſchreiben, weil jeder Brief das
Gluͤck ihrer Ehe ſtoͤhre, und doch nichts nuͤtzen
koͤnne; aber Konrad beantwortete keinen dieſer
Briefe, ſchrieb noch immer an ſeine Geliebte,
klagte oft bitter, oft auch mitleidswuͤrdig uͤber
ihr hartnaͤckiges Stillſchweigen. Es war ganz
natuͤrlich, daß dieſe Briefe allemal verlohren
giengen, nie in ſeine Haͤnde kommen konnten,
weil er zwar immer jedes Gluͤck, jede Befoͤrde-
rung emſig berichtete, aber von jeher vergeſſen
hatte, hinzuzufuͤgen, in welches Regiment er ſei
uͤberſetzt worden. Deswegen konnte Karolinens
Vater immer nur auf die Addreſſe ſetzen: An
den Lieutenant oder Rittmeiſter eines Kavallerie-
Regiments! Die unbeſtimmte Addreſſe war daher
Urſache, daß alle dieſe Briefe auf der Feldpoſt
liegen blieben, oder unnuͤtz hin und her geſandt
worden.
Konrads Zuſtand war ſchrecklich, und ganz
des innigſten Mitleids wuͤrdig. Karolinens Un-
treue hatte ihm nicht nur den Verſtand, ſondern
auch die Sprache geraubt. Ungeachtet der alte
Vater alles anwandte, ihn durch Abgeſandte zur
Abreiſe zu bewegen, ſo beantwortete er doch aller
Bitte mit keiner Silbe, ſchien ſie gar nicht zu
hoͤren. Er ſaß am andern Morgen noch mit in
einander geſchlagnen Armen auf ſeinem Ruhebette,
und ſtarrte nach einem Winkel des Zimmers;
manchmal knirſchte er fuͤrchterlich mit den Zaͤhnen,
oft ſchien er wieder angenehm zu laͤcheln. Da
alle dem Alten einſtimmig verſicherten, daß er
wahnſinnig zu ſeyn ſcheine, ſich ohne Gewalt
nicht entfernen wuͤrde, ſo flehte er die Gerichte
um Beiſtand an. Der Vorſteher der Polizei be-
handelte den Ungluͤcklichen mit aller Schonung,
als er aber ebenfalls keine ſeiner Fragen beant-
wortete, ſo ließ er ſeine Schriften unterſuchen,
unter denen ſich ein Paß befand, welcher ſein
Standquartier und Regiment anzeigte. Der aͤu-
ßerſt unruhige Alte verſprach ſogleich, alle Unko-
ſten, welche die Ruͤckbegleitung des armen Ritt-
meiſters verurſachen wuͤrde, zu erſetzen, und die
Polizei uͤbernahms, ihn anſtaͤndig und ſicher bis
in ſein Standquartier nach Boͤhmen zu fuͤhren.
Wider aller Erwartung folgte der Ungluͤckliche
ohne Murren ſeinen Begleitern, er ſchien luſtig
und froͤhlich zu ſeyn, als er den Wagen unter ſich
rollen hoͤrte, aber er ſprach nichts, und ſank in
tiefe Melancholie zuruͤck, wenn er in ein Zimmer
gefuͤhrt wurde; in jedem derſelben waͤhlte er ſich
ein Plaͤtzchen, nach welchem er ohne Unterlaß
hinſtarrte. Er verſchlang oft mit einer Art von
Heishunger jede Speiſe, welche man ihm vor-
ſetzte, noch oͤfterer aß er aber gar nichts, und
verachtete alles, was man ihm reichte. Jeder,
der ihn kannte, ſich ſeiner Verdienſte und Tapfer-
keit erinnerte, bedauerte ihn herzlich, als er beim
Regimente anlangte. Unter allen ſeinen Freun-
den nahm aber der General den thaͤtigſten Antheil
an ſeinem Ungluͤcke, er forderte die geſchickteſten
Aerzte zu ſeiner Rettung auf; wie ihn aber alle
fuͤr wahnſinnig erklaͤrten, und keine ihrer Arze-
neien wirken wollte, ſo ſandte er den Ungluͤckli-
chen nach der Hauptſtadt, wo zur Verpfle-
gung der Wahnſinnigen ein eignes Spital errich-
tet war.
Auch hier wurde er ſeinem Charakter gemaͤß,
folglich ſehr anſtaͤndig behandelt, er erhielt ein
eignes Zimmer, konnte, da er niemanden beleidig-
te, ungehindert im Saale und Garten umher ge-
hen. Der Arzt gab bald nachher Hofnung zu ſei-
ner Geneſung, weil er nicht mehr ſo anhaltend
nach einem Winkel ſtarrte, oft ſeufzte, weinte,
und einige Mal in ſeiner Gegenwart den Namen
Karoline ausſprach. Dieſe Hofnung vermehrte
ſich in der Folge, denn Konrad fieng an Beſchaͤf-
tigung zu ſuchen. Er pflanzte im folgenden Fruͤh-
linge mit vielem Eifer im Garten Blumen, er
pflegte ſie ſorgfaͤltig, wenn aber eine derſelben zu
gruͤnen und Knoſpen zu treiben begann, ſo riß er
ſie heraus, und verwandte ſeine Sorgfalt auf
diejenigen, welche in ihrem Wachsthume noch am
meiſten zuruͤck waren. Er baute unter dieſer Zeit
auch oft im Garten kleine Haͤuſer aus Sand und
Leim; jeder, der ſie ſah, mußte die Symmetrie
derſelben, und ſeine große Muͤhe bewundern;
wenn ſie aber ganz vollendet waren, ſo riß er
ſie mit haſtiger Begierde aus einander, und lachte
laut auf, wenn die Stuͤcke rings umher flogen.
Der Arzt verſuchte mit ihm die ſogenannte Eis-
kur, ſie gluͤckte vortreflich, Konrad befand ſich je-
den Tag beſſer, er fieng zu ſprechen an, die
Symptomen des Wahnſinns verlohren ſich gaͤnz-
lich, die Vernunft behauptete aufs neue ihre
Rechte. Eine voͤllige Vergeſſenheit der Urſache
ſeines Wahnſinns erfolgte endlich, er gedachte mit
keiner Silbe ſeiner Karoline. Bisher war er noch
dann und wann traurig und tiefſinnig geweſen,
hatte oft, ohne eine Urſache angeben zu koͤnnen,
im Verborgnen geweint, jetzt war er anhaltend
luſtig und froͤhlich, ſchwatzte oft Stunden lang
mit dem Arzte, und verſicherte ihn, daß er, wenn
ſeine Geſundheit anhaltend ſeyn wuͤrde, noch einſt
in den Armen einer Gattin ruhig und gluͤcklich zu
leben hoffe.
Viele Monden verfloſſen, und Konrad war voll-
kommen geſund, verrieth nicht den geringſten
Wahnſinn, der Vorſteher des Spitals erſtattete
Bericht, man erinnerte ſich ſeiner Verdienſte, er
ward wieder bei ſeinem Regimente angeſtellt. Alle,
welche ihn damals kennen lernten, verſichern ein-
ſtimmig, daß er der angenehmſte, lebhafteſte Ge-
ſellſchafter war, gerne mit Frauenzimmern ſcherz-
te, und ſie oft zu necken ſuchte. Daß er Karoli-
nen ganz vergeſſen hatte, ſich ihrer wirklich nicht
mehr erinnerte, bewieß er in der Folge oft und
vielmals, weil er alle verſicherte, daß er in ſeinem
Leben noch nicht geliebt habe, aber nun wohl ein-
ſehe, daß ohne Liebe das Leben nicht gluͤcklich
ſeyn koͤnne.
Einige ſeiner Freunde, welche von ſeiner un-
gluͤcklichen Geſchichte unterrichtet waren, wagten
es ſogar, einſt in ſeiner Gegenwart von Stras-
burg zu ſprechen, aber Konrad ward dadurch
nicht zum Nachdenken bewegt, er verſicherte zwar,
daß er einige Jahre dort gelebt habe, und die
Stadt eben nicht ſchoͤn finde, aber er gedachte
ſeiner Liebe mit keinem Worte. Nur eine einzige
kleine Erinnerung ſchien er von dieſer noch zu ha-
ben, weil ihm der Name Karoline in jedem Falle
aͤuſſerſt zuwider war. Er las gerne Buͤcher, vor-
zuͤglich Romane, aber er warf ſolche ſogleich weg,
wenn er dieſen Namen darinne fand; er tadelte oft
Frauenzimmer, welche andere ſchoͤn und geiſtreich
fanden, und daher die Urſache ſeines Tadels zu
wiſſen verlangten. Sie kann ſchoͤn und geiſtreich
ſeyn, antwortete er dann immer, aber mir bleibt
ſie unausſtehlich, denn ſie nennt ſich Karoline,
und dieſer Name klingt meinem Ohre unertraͤglich.
Dieß war aber auch die ganze und einzige Urſache,
welche er deswegen anzugeben wußte.
Einer ſeiner wahren und aufrichtigen Freunde
war gleich ihm ein Rittmeiſter ſeines Regiments,
deſſen Frau hatte eine Schweſter bei ſich, die
Konrad nach Jahresfriſt wirklich zu lieben begann,
und ihr dieſe Liebe auch bald hernach offen ge-
ſtand. Das gute Maͤdchen wuͤrde mit Freuden
dem edlen, rechtſchaffenen Juͤnglinge ihre Hand
gereicht haben, wenn der Gedanke, daß einſt ſein
Wahnſinn ruͤckkehren koͤnne, die keimende Liebe in
ihrem Herzen nicht erſtickt haͤtte. Als er dringen-
der wurde, und entſcheidende Antwort forderte,
heiſchte ſie ihres Schwagers Rath, und geſtand
ihm offen, daß nur dieſe Urſache ſie hindere, ihr
Gluͤck in Konrads Liebe zu finden.
Der Rittmeiſter ſprach nun eben ſo offen mit
ſeinem Freunde, er entdeckte ihm ſogar ſeiner
Schwaͤgerin Beſorgniß, welche aber Konrad ſo-
gleich verwarf, weil er ausdruͤcklich behauptete,
daß er ein volles Jahr nach dem Kriege wohl
ſehr krank, aber nie wahnſinnig geweſen ſei. Die-
ſe gaͤnzliche Vergeſſenheit ſchien dem Rittmeiſter
Buͤrge zu ſeyn, daß ſein Freund nie mehr in die-
ſen ſchrecklichen Zuſtand ruͤckfallen wuͤrde, doch
ſchrieb er zum Ueberfluſſe auch an den Arzt des
Spitals, und forderte ſeine Meinung. Dieſer
verſicherte bald aufs kraͤftigſte, daß Konrads Ge-
ſundheit ganz gewiß anhaltend, und von immer-
waͤhrender Dauer ſeyn wuͤrde, weil ſein ganzes
Temperament, das vorher gewiß melancholiſch ge-
weſen ſeyn muͤſſe, nun eine ganz andre Richtung
genommen haͤtte, und die ſeltne, anhaltende Ver-
geſſenheit ſeines Zuſtandes jeden Ruͤckfall unmoͤg-
lich mache. Doch rieth er am Ende, daß der
Rittmeiſter es kuͤhn wagen, und mit ihm von ſei-
ner ehemaligen Liebe ſprechen ſollte. Wuͤrde er
dann, fuͤgte er hinzu, ſich ihrer noch nicht erin-
nern, ſo ſei jede Gefahr geendigt, und eine Hei-
rath fuͤr ihn gluͤcklich und wuͤnſchenswerth.
Der Rittmeiſter befolgte dieſen Rath mit Zit-
tern, aber zu ſeinem Erſtaunen widerſprach Kon-
rad aufs lebhafteſte der ganzen Geſchichte, ließ
ſich ſolche ungeruͤhrt erzaͤhlen, und verſicherte noch-
mals am Ende, daß alles erdichtet ſei. Da er
auch nicht die geringſte Spur einer Melancholie
verrieth, vielmehr ſelbſt in der Folge daruͤber
ſcherzte, und ſeinen Freund oft fragte: Wer ihm
dieß Maͤhrchen erzaͤhlt habe? ſo bat dieſer ſelbſt
ſeine Schwaͤgerin, daß ſie aller Bedenklichkeit ent-
ſagen, und ſeinen Freund mit ihrer Liebe begluͤcken
moͤge. Marianne, ſo nannte ſich dieß Maͤdchen,
thats mit Freuden, denn ſie liebte Konraden ſchon
lange, und wuͤrde in der Folge, auch ohne Freun-
des Rath, ſeiner Bitte nicht laͤnger widerſtanden
haben.
Schon war der gluͤckliche Konrad mit ihr oͤf-
fentlich verlobt, ſchon machte man Anſtalten zur
nahen Hochzeit, als ſeines Freundes Frau mit
einem jungen Sohne entbunden wurde. Konrad
und Marianne trugen ihn zur Taufe, welche am
Ende mit einem kleinen Feſte gefeiert wurde, das
bis nach Mitternacht dauerte. Am andern Mor-
gen kam Konrad, die Woͤchnerin zu beſuchen;
wie er eintrat, verſuchte dieſe es eben, den Neu-
gebohrnen zu ſaͤugen; ihr Mann ſtand ihr zur
Seite. Dieſe aͤhnliche Gruppe weckte in Konrads
Gedaͤchtniß die Erinnerung der ehemals ſo ſchreck-
lichen Szene; er ſchauderte zuruͤck, ſtarrte wild
umher, und mußte von ſeinem Freunde nach ei-
nem andern Zimmer gefuͤhrt werden. Noch am
nemlichen Tage verwandelte ſich ſein Tiefſinn in
eine unheilbare Raſerei; er ſtarb nach ſechsjaͤhri-
gem Leiden, mit Ketten belaſtet, im Hoſpitale
der Wahnſinnigen.
Die ihn innig liebende Marianne trauerte noch
um ihn, als ſeine Karoline ſchon ihr Leiden geen-
digt hatte. Letztere ſtarb an einer unheilbaren
Abzehrung, und gedachte in der Stunde ihres To-
des noch des armen Konrads, den ſie dort wieder
zu ſehen hoffte, weil ſie ihn wirklich todt glaubte;
ſeinen Eintritt in ihr Zimmer fuͤr eine warnende
Erſcheinung hielt, und man ihr abſichtlich dieſen
Irrthum nicht raubte, weil Wahrheit ſie wahr-
ſcheinlich noch ungluͤcklicher gemacht haͤtte.
Marie A — r.
Marie war die Koͤchin eines alten katholiſchen
Pfarrers, er hatte die arme Waiſe vaͤterlich erzo-
gen, ſie ſuchte in der Folge durch treue Dienſte
zu vergelten, was er ſo großmuͤthig an ihr geuͤbt
hatte. Sie war jung, ſchoͤn und artig, ihr guter,
unbefleckter Ruf, ihre untadelhafte Auffuͤhrung
wurde im ganzen Dorfe allgemein erkannt und
geehrt, auch der Tadelſuͤchtigſte konnte ihn nicht
beflecken, weil der alte Pfarrer ſchon vollkommen
Greis, und uͤbler Verdacht unmoͤglich war. Ihre
natuͤrliche Munterkeit, ihr gefaͤlliger Scherz und
Witz war des alten Kranken einzige Zerſtreuung,
nur ſie vermochte es, den Funken der Freude in
ihm zu wecken, ihm oft ein ſanftes Laͤcheln ab-
zulocken.
Mit den Jahren mehrte ſich Ueberlegung und
Nachdenken, ſie ſah trauernd in die Zukunft,
und ſah nur allzu gut ein, daß ihr Gluͤck, ihre
Ausſicht mit dem Leben des Pfarrers enden muͤſſe.
Sie achtete des Greiſes Rath, und blickte unter
den jungen Purſchen des Dorfs nach einem Gat-
ten umher, der ihr bald und ſicher werden konnte,
weil
weil der alte Pflegvater fuͤnfhundert Gulden zu
ihrem Heirathsgute beſtimmt hatte.
Viele verſtanden den ſuchenden Blick, viele
ſuchten ihn durch Geberden und Worte zu erwie-
dern, aber Marie ſah und hoͤrte es nicht, weil
ihr Auge ſchon gefunden hatte, was es ſuchte,
und vergebens der Vernunft den Eindruck zu ver-
bergen ſuchte, welchen ein junger, ſchoͤner Ehe-
mann auf ihr Herz gemacht hatte.
Sie kannte und ſah ihn vorher nie, er war
vor kurzem erſt als Schaafmeiſter in herrſchaft-
liche Dienſte getreten, ihr Auge erblickte ihn zum
erſtenmale in der Kirche, und blieb feſt an ihm
hangen.
Vergebens zeigte ihr die Vernunft das neben
ihm ſtehende junge Weib, vergebens ſuchte ſie ihr
zu beweiſen, daß dieſes wahrſcheinlich eben ſo
lange als ſie leben koͤnne; der Gedanke: dieß iſt
dein kuͤnftiger Mann! dieß muß dein Gatte wer-
den! ſtand von dieſem Augenblicke an in ihrem
Herzen, ſchwebte vor ihren Augen, raubte ihr
Ruhe und Schlaf, quaͤlte ſie raſtlos und unauf-
hoͤrlich.
So erzaͤhlte ſie es in der Folge oft ihren Be-
kannten und Freunden, nahms fuͤr unerklaͤrbare
Ahndung, welche mit einmal ihr Herz erfuͤllt
haͤtte.
Marie war aͤußerſt ſittſam und gottesfuͤrchtig
erzogen worden, man hatte ihr die Geſellſchaft
Zweit. Baͤndch. L
der Maͤnner als hoͤchſt gefaͤhrlich geſchildert, und
doch ſuchte ſie ſolche jetzt raſtlos, wenn ſie unter
denſelben den geliebten Schaafmeiſter erblickte.
Ihr Auge weinte, ihr Herz trauerte, wenn er
ihr nur gleichguͤltig antwortete, und nicht zu fuͤh-
len ſchien, was ſie ſo lebhaft empfand.
Sie ſchloß bald enge Freundſchaft mit ſeinem
Weibe, und mehrte dadurch ihre Quaal um ein
Großes, weil ſie deutlich uͤberzeugt wurde, daß
der Gatte ſie herzlich und innig liebe.
Als er dieß einmal in ihrer Gegenwart laut
verſicherte, und ſie in tobender Eiferſucht nach
Hauſe eilte, da troͤſtete ſie aufs neue der feſte
Gedanke: Er muß doch dein Mann werden!
Von dieſer Zeit an mied ſie ſein Haus, ſeine
Geſellſchaft, ſuchte Einſamkeit, fand nur in die-
ſer Vergnuͤgen, und ſchiens ruhig zu erwarten,
wenn die wahrheitsvolle Ahndung in Erfuͤllung
gehen wuͤrde.
Schrecklich ſtuͤrmte es in ihrem Herzen, als
bald nachher der junge Ehemann auf der Pfarre
erſchien, und ihr mit dem hohen, unverkennba-
ren Freudengefuͤhle eines gluͤcklichen Vaters ver-
kuͤndigte, daß ſein trautes Weib ihm einen Sohn
gebohren habe. Sie erdichtete Krankheit, um
ungehindert weinen zu koͤnnen, und verließ ihr
Lager nur dann, wie der Gedanke: Er muß doch
dein Mann werden! aufs neue ihre Einbildungs-
kraft feſſelte und beſchaͤftigte.
Freudig und hoffend, ſo erzaͤhlte ſies nachher
noch oft, blickte ſie vom Fenſter hinab, als er
trauernd und ſchluchzend ſich einige Tage darnach
dem Pfarrhofe naͤherte, und mit wehmuͤthigem
Blicke eine Grabſtaͤtte fuͤr ſein erblaßtes Weib zu
beſtellen kam. Marie naͤherte ſich ihm jetzt theil-
nehmend, konnte mit ihm weinen, weil ſie ſein
Leiden fuͤhlte.
Sie forſchte ſorgfaͤltig nach der Urſache des
ſchnellen Todes, die Unvorſichtige hatte ſich ſol-
chen, ſeiner Ausſage nach, ſelbſt zugezogen, war all-
zufruͤh aufgeſtanden, und zuruͤckgetretener Schweiß
hatte ihr, ſo wie es ſelbſt der herbeigerufne Wund-
arzt verſicherte, eine heftige Kolik verurſacht,
die unter grauſamen Schmerzen ihr armes, jun-
ges Leben endete.
Die innige Theilnahme, welche Marie uͤber
ſeinen Verluſt aͤußerte, ihre Thraͤnen, die haͤufig
uͤber ihre Wangen floſſen, ruͤhrten ſein Herz, er
blickte zum erſtenmale forſchend in ihr Ange-
ſicht, und dachte: Solch ein Maͤdchen koͤnn-
te dir den Verluſt, wo nicht erſetzen, doch
lindern!
Eine Woche nachher kam der trauernde Witt-
wer abermals auf die Pfarre, er mußte die Lei-
chen- und Begraͤbnißunkoſten bezahlen. Der alte
Pfarrer ſchlief, Marie bat ihn in der Unterſtube
Platz zu nehmen. Trauer herrſchte noch in ſei-
nem Geſichte, er blickte ſtill zur Erde, welche
L 2
jetzt ſeine ganze Freude deckte, denn auch der
Neugebohrne war am folgenden Tage der Mut-
ter gefolgt. Marie ſaͤumte eben ein ſeidnes Hals-
tuch, und ſchielte uͤber dieſes, indem ſie oft fehl
ſtach, nach dem Trauernden hin.
Dieſer fuͤhlte, daß es unanſtaͤndig ſei, wenn
man in Gegenwart einer theilnehmenden Freundin
ſtillſchweigend da ſitze, er rang nach Stoff zum
Geſpraͤche, blickte aufwaͤrts, ſah das ſchoͤne ſeid-
ne Tuch, und lobte dieß ohne Abſicht, ohne End-
zweck.
Marie. Wenn es ſeinen Beifall erhaͤlt,
lieber Meiſter, ſo iſt mir dieß Tuch um ſo ſchaͤtz-
barer.
Der Meiſter. So wuͤrde wohl jeder junge
Purſche vergebens darum bitten?
Marie. (laͤchelnd) Leicht moͤglich, denn
ich habs zum Geſchenke fuͤr meinen kuͤnftigen Gat-
ten beſtimmt.
Meiſter. Fuͤr ihren kuͤnftigen Gatten?
Marie. (ſeufzend) Ja!
Meiſter. Wuͤrden ſie mirs verweigern, wenn
ich ſie um dieß Tuch baͤte?
Marie. (hocherroͤthend) Er kanns ja
verſuchen.
Meiſter. Ich wags noch einmal!
Marie. (zitternd) Nun! da hat ers!
Es wird mich freuen, wenn ers zu meinem An-
denken traͤgt.
In dieſem Augenblicke trat der alte Pfarrer
ins Zimmer, der Schaafmeiſter zahlte, was er
zu zahlen hatte, aber er kehrte am Abende wie-
der, und fuͤhrte nach drei Monaten Marien als
ſeine Gattin heim.
Niemand verdachte es ihm, daß er ſein erſtes
Weib ſo bald vergaß; er hatte drei Knechte im
Dienſte, mußte ihnen Koſt geben, und wuͤrde
bald merklichen Schaden in ſeiner Wirthſchaft ge-
litten haben, wenn eigennuͤtzige Fremde ſolche
laͤnger gefuͤhrt haͤtten. Jeder, der ihn kannte,
wuͤnſchte ihm vielmehr zu ſeiner neuen Heirath
Gluͤck.
Der alte Pfarrer gab der treuen Dienerin
mehr noch, als ſie hoffen konnte, er vermehrte
ihre Mitgift auf tauſend Gulden, und ſetzte da-
durch das junge Ehepaar in Stand, durch den
Pacht einiger herrſchaftlichen Grundſtuͤcke ihre
Ausſichten zu vergroͤßern.
Alle Bewohner des Dorfs waren durch Erfah-
rung uͤberzeugt, daß Marie die Wirthſchaft des
alten Pfarrers mit Einſicht und ohne den gering-
ſten Eigennutz gefuͤhrt habe, ſie ſahen voraus,
daß ſie im Hauſe des Gatten ihren Eifer ver-
doppeln wuͤrde, und beneideten oft den Allzu-
gluͤcklichen.
Dieſer fuͤhlte ſein Gluͤck eben ſo ſtark; ſein er-
ſtes Weib war ihm theuer und lieb geweſen, die
jetzige wurde es ihm bald noch weit mehr. Stets
freundlich, ſtets gefaͤllig, aͤußerſt fleißig und noch
weit gnuͤgſamer! Dieß waren die Eigenſchaften,
welche er in kurzem an ſeiner Frau mit Recht be-
wunderte.
Oft, wenn er mit ſeinen Knechten hinter der
Heerde wandelte, und ſeine Herrſchaft oder frem-
de Gaͤſte im Wagen bei ihnen voruͤberfuhren, ge-
ſtand er frei und offen, daß er ſich im Arme des
geliebten Weibes weit gluͤcklicher als dieſe duͤnke.
Seine Marie war, wenn er dieſe dankbare Ge-
ſinnung auch gegen ſie aͤußerte, ſeiner Meinung,
und verſicherte ihn hoch und theuer, daß ſie mit
der reichſten Edelfrau nicht tauſchen wuͤrde.
Die Hofnung zu groͤßerm ehlichen Gluͤcke nah-
te ſich bald hernach. Marie fuͤhlte ſich ſchwan-
ger, aber dieß ſuͤße Gefuͤhl ward ihr ohne gegruͤn-
dete Urſache zum Stoffe des nagenden Kummers.
Wenn ihr heimkehrender Gatte ſie in ſeine Arme
ſchloß, und nach der Urſache ihrer rothgeweinten
Augen forſchte, ſo geſtand ſie ihm offen, daß ſie
feſt glaube, ihre Entbindung werde gleich ſeiner
erſten Frau ihr Leben enden, und ſie aus ſeinen
Armen reißen.
Der geliebte Gatte ſuchte ſie zwar durch man-
che kraͤftige Beweiſe zu troͤſten, aber ihre anhal-
tende Melancholie wirkte auch auf ſeine Einbil-
dungskraft, er geſtand ſeinen Knechten oft, daß
er mit ihr fuͤrchte, und gewiß durch ihren Tod
aͤußerſt ungluͤcklich ſeyn wuͤrde.
Bang und zagend eilte er heim, wie Boten
ihm einſt die nahende Entbindung ſeines Weibes
verkuͤndigten. Froh und innig vergnuͤgt trug er
die neugebohrne Tochter nachher zur Taufe, als
jene uͤber alle Erwartung gluͤcklich erfolgt war,
und ſich einige Tage darauf die Gefahr durch
vollkommne Geſundheit der Mutter ganz ent-
fernte.
Der Herr des Gutes, welchem der Schaͤfer
diente, war aͤußerſt geizig; ohne zu uͤberlegen:
Ob die Erſparung einer kleinen Ausgabe ihm
nicht in der Folge weit groͤßern Schaden verur-
ſache? ſuchte er ſorgfaͤltig die erſtere zu vermei-
den. Daher kams denn auch, daß er der zahl-
reichen Heerde ſeiner Schaafe viel zu wenig Salz
reichen ließ, und eben dadurch die Krankheiten die-
ſer zarten Thiere um ein Großes vermehrte.
Vergebens hatte der Schaͤfer ihm ſchon viel-
mals dieß nachdruͤcklich vorgeſtellt, der Geizige
wollte von keiner Vermehrung der Ausgaben et-
was hoͤren, und gabs dem Schaͤfer trocken zu
verſtehen, daß er, wenn er ſeine Kunſt vollkom-
men erlernt habe, die Schaafe auch ohne Salz
vor jeder Krankheit bewahren muͤſſe.
Da dieſer ganz natuͤrlich einſah, daß fernere
Vorſtellung nichts nuͤtze, aber auch nur Genuß
des Salzes die Schaafe vor Krankheit ſichern
koͤnne, ſo zog er ſein Weib zu Rathe, und fand
nach genauer Berechnung, daß er ſelbſt, weil er
Antheil an dem Ertrage der Heerde hatte, dabei
gewinnen wuͤrde, wenn er das noch noͤthige Salz
aus Eigenem erkaufe.
Dieß ſo wohlfeil als moͤglich zu kaufen, war
unter dieſen Umſtaͤnden eine beinahe nothwendige
Sorge, und da er es jenſeits der Graͤnze um hal-
ben Preiß erhalten konnte, ſo wog eben ſo natuͤr-
lich der einleuchtende Vortheil ſtaͤrker, als die mit
dieſem Kaufe verknuͤpfte Gefahr, welche daraus
entſtand, daß es in ſeinem Vaterlande ſtreng ver-
boten war, fremdes Salz einzufuͤhren, weil der
Landesherr einen anſehnlichen Theil ſeiner Ein-
kuͤnfte aus dem Verkaufe deſſelben zog. Er hatte
ſchon mehr als einmal den Gang uͤber die nahe
Graͤnze gewagt, war nie ertappt und dadurch
ſicher gemacht worden.
Schon laͤngſt wollte er ihn wieder wagen, aber
die nahende Entbindung ſeines Weibes, die damit
verknuͤpfte Sorge hatten ihn bisher verhindert,
jetzt konnte er ihn nicht laͤnger verſchieben, weil
die Gefahr voruͤber war, und ſeine Heerde dieß
dringende Beduͤrfniß mit Ungeſtuͤm forderte.
Vergebens bat ihn ſein Weib, noch laͤnger zu
harren, er ſetzte ihrer Bitte die trifftigſten Gruͤnde
entgegen, vergebens beſchwor ſie ihn, durch dieſe
uͤberzeugt, einen andern darnach zu ſenden. Er
bewieß ihr, daß man ſich in ſolchen Faͤllen nie-
manden vertrauen muͤſſe, dann nie ruhig ſchlafen
koͤnne, weil man immer Entdeckung beſorgen muͤſ-
ſe. Alles, was ſie von ihm erhalten konnte, war
die Verſicherung, daß er bald und lieber leer zu-
ruͤckkehren, als ſich einer Gefahr ausſetzen wolle.
Seinem Verſprechen gemaͤß, wollte er am
Abende, wenns zu daͤmmern beginne, wieder zu
Hauſe eintreffen; ſein Weib fuͤhlte den langen
Tag hindurch eine unbeſchreibliche Angſt und
Ahndung eines bevorſtehenden Ungluͤcks, ſie aͤu-
ſerte beides gegen ihre Nachbarn, und jammerte
laut, als die Nacht ſchon anbrach, und ihr Gatte
noch nicht erſchien.
In der Fuͤlle ihres Jammers bat ſie den er-
ſten ſeiner Knechte dringend, ihrem Manne entge-
gen zu gehen, und nachzuforſchen: ob ihm irgend
ein Ungluͤck widerfahren ſei?
Natuͤrlich wars, daß ſie dieſen Boten zugleich
zum Vertrauten ſeines Geſchaͤfts machen, und
ihm den Weg beſchreiben mußte, welchen er neh-
men wuͤrde. Der Knecht fand ſich ganz willig,
ihm in Geſellſchaft eines Dienſtbuben entgegen zu
eilen, und nicht eher zuruͤck zu kommen, bis er
ihn gefunden habe.
Langſam und qualvoll ſchlichen nun die Stun-
den bis zur Mitternacht voruͤber, ſie zitterte und
bebte, als endlich um dieſe Zeit die wachſamen
Hunde die ferne Ankunft einiger Wanderer ver-
kuͤndigten.
Leichter und froher athmete ſie, wie ſie durchs
offne Fenſter gewahrte, daß dieſe bald ſchwiegen,
und einem Bekannten froh entgegen eilten. Bleich
und ſinnlos ſank ſie aber zuruͤck, als ſie im blaſ-
ſen Scheine des Mondes die beiden Boten er-
blickte, welche in Geſellſchaft einiger Bauern eine
Leiche zu tragen ſchienen.
Sie hatte ſich kaum durch Huͤlfe ihrer Magd
von ihrer Ohnmacht erholt, als man ihren blu-
tenden Gatten wirklich in ihr Zimmer trug. Nie-
mand unter allen, die mit ihm kamen, konnte die
Urſache ſeiner Verwundung angeben. Die Bauern
waren erſt von den Knechten herbei gerufen wor-
den, die Knechte hatten ihn ſchon blutend am Bo-
den gefunden. Er ſelbſt konnte den Thaͤter nicht
anzeigen, weil er ihn, ſeiner Ausſage nach, nicht
geſehen hatte, und, indem er einen Schuß hoͤrte,
verwundet zu Boden ſank.
Natuͤrlich wars, daß alle glaubten, der Un-
gluͤckliche ſei von einem Graͤnzwaͤchter angerufen,
und weil er nicht antwortete, auch von dieſem
niedergeſchoſſen worden. Einige Umſtaͤnde, wel-
che die Knechte erzaͤhlten, machten dieß noch
wahrſcheinlicher, ihnen war, ehe ſie ihren Herrn
fanden, ein ſolcher Waͤchter im ſchnellen Laufe
begegnet. Furcht vor der Strafe hatte ihn na-
tuͤrlich zur Flucht bewogen, weil das Geſetz nur
im Falle einer hartnaͤckigen Widerſetzung den Ge-
brauch des Gewehrs erlaubte.
Marie ſtuͤrzte weinend vor ihrem Gatten nie-
der, er blickte mit inniger Ruͤhrung auf ſie her-
ab, da er aber den Schmerz ſeiner Wunde tief
fuͤhlte, ſo bat er die Umſtehenden wehmuͤthig,
nach einem Prieſter zu ſenden, damit er ſich zu
ſeinem nahen Ende vorbereiten koͤnne. Wie dieſer
erſchien, beichtete er eine kleine Viertelſtunde,
und wie ſich ſein jammerndes Weib ihm wieder
nahte, konnte er ſchon nicht mehr ſprechen, ver-
ſchied, ehe der Tag graute, in ihren Armen.
Marie hatte ihren Gatten innig und graͤnzen-
los geliebt, ihr Schmerz uͤber ſeinen Verluſt war
daher aͤußerſt groß, ſtieg oft bis zur Raſerei.
Erſt am dritten Tage konnte man ſie bewegen,
die Leiche den Traͤgern zu uͤberlaſſen, welche ihn
zur Ruhe tragen ſollten, ſie folgte wimmernd und
haͤnderingend.
Der Gutsherr kam eben von einer kleinen
Luſtreiſe zuruͤck, und begegnete dem Leichenzuge.
Marie entriß ſich ihren Fuͤhrerinnen, rannte zum
Wagen, klagte dem Herrn ihr inniges Leid, und
fluͤſterte ihm nachher einige Worte ins Ohr, die
Niemand hoͤren konnte. Der Gutsherr befahl ſo-
gleich die Leiche zuruͤckzutragen, weil er ſeiner
Pflicht gemaͤß, dieſelbe naͤher unterſuchen laſſen
wollte. Er ſtieg aus dem Wagen, und miſchte
ſich unter die Trauernden.
Ich bin wirklich auch zu bedauern, ſprach er
zu dem Haufen, ich fuͤhle den Verluſt des Redli-
chen tief! Wo werde ich einen Schaͤfer finden,
der ihm gleicht? der mich der Verſorgung der
trauernden Wittwe uͤberhebt?
Kaum hatte er dieſe Fragen ausgeſprochen,
ſo draͤngte ſich aus dem Haufen der erſte Knecht
hervor, und bewieß mit Gruͤnden, daß er hin-
laͤngliche Kenntniſſe beſitze, das Amt zu verwal-
ten, nebenbei auch den beſten Willen habe, die
verlaßne Wittwe zu heirathen. Der Gutsherr
ſchien ſich deſſen zu freuen, und folgte der Leiche,
welche wieder zuruͤckgetragen wurde. Auf ſeinen
Befehl erſchien der Wundarzt, die Wunde ward
genau unterſucht, und bald wurden alle Anweſen-
de uͤberzeugt, daß dieſe Unterſuchung den Moͤr-
der des Ungluͤcklichen entdecken wuͤrde.
Der Wundarzt fand in der Wunde, welche
durch die linke Seite bis in den Magen drang,
zwei kleine runde Schellen, die man den Schafen
umzuhaͤngen pflegt, und durch welche die Wunde
war verurſacht worden. Erwieſen war es nun,
daß den Ungluͤcklichen kein Graͤnzwaͤchter getoͤdtet
habe, weil dieſe mit gewoͤhnlichen Kugeln verſe-
hen ſind, und ganz natuͤrlich war die Vermu-
thung, daß der Knecht, welcher ihm entgegen
gieng, der Thaͤter ſeyn muͤſſe.
Dieſer ward ſogleich vorgerufen, er bebte zu-
ruͤck, als man ihm den Beweiß vorlegte, und ge-
ſtand kurz nachher, daß er wirklich der Moͤrder
ſeines Herrn ſei. Lange ſchon: ſo erzaͤhlte er im
gerichtlichen Verhoͤre, liebte ich die Frau meines
Meiſters, ich kaͤmpfte oft mit dieſer Leidenſchaft,
aber ich konnte ſie nicht uͤberwinden. Wenn ich
hinter der Heerde gieng, und mich auf alle Art
zu zerſtreuen ſuchte, ſo ſah ich immer ihr Bild
vor mir, konnte es nicht wegbeten, nicht wegflu-
chen. Erfahrung lehrte mich, daß ſie ihren Gat-
ten zaͤrtlich liebe, und eben dieſe heftige Liebe er-
bitterte mich immer mehr, erregte Mordluſt in
meinem Herzen, die ich oft ſchon ausfuͤhren woll-
te, aber immer auszufuͤhren zu ſchwach war.
Als ich eben aufs neue mit der Ausfuͤhrung
dieſes Vorſatzes beſchaͤftigt war, lagerte ſich der
Bube, welchen der Meiſter kurz vorher zum Ge-
huͤlfen angenommen hatte, neben mir, und klagte
laut, daß ſein neuer Dienſt ihm wenig trage, daß
er, wenn er nicht Hofnung habe, Knecht zu wer-
den, bald weiter wandern werde. Ich benutzte
ſeine Geſinnungen, fachte ſeine Begierden ſtaͤrker
an, und vertraute ihm, als ihn der Meiſter einſt
geſchlagen hatte, meinen ganzen Plan.
Er erbot ſich ſogleich, ſein Moͤrder zu werden,
wenn ich dagegen ihm die gewiſſe Verſicherung
ertheile, ihn bei Erhaltung des Dienſtes zum
Knechte zu machen. Ich gelobte es, kaufte ein
Piſtol, und lud es aus Mangel der Kugeln mit
den kleinen Schellen, welche man in der Wunde
fand. Durch einen Monat trug es der Bube ver-
borgen bei ſich, fand aber nie ſchickliche Gelegen-
heit zum Morde, auch verhinderte ich dieſen ab-
ſichtlich, weil ich fuͤrchtete, daß der Schrecken
meiner Geliebten bei der nahen Entbindung toͤdt-
lich werden konnte.
Noch wollte ich die That laͤnger verzoͤgern,
als mich die Meiſterin dringend erſuchte, ihrem
Gatten entgegen zu gehen. Die Gelegenheit zur
Ausfuͤhrung meiner That war zu ſchoͤn, ich nahm
den Buben mit mir, und ſuchte durch einige Glaͤ-
ſer Brandwein, die ich ihm in der Schenke rei-
chen ließ, ſeinen Muth zu ſtaͤrken. Er verſprach
aufs neue, die That ganz ſicher auszufuͤhren,
hatte ſogar gegruͤndete Urſache dazu, weil er in
der Abweſenheit des Meiſters, durch zu wenige
Wachſamkeit Schaden im Getreide verurſacht hat-
te, Klage und neue Schlaͤge fuͤrchten mußte.
Wir giengen zwei Stunden weit, ehe wir den
Meiſter trafen, er dankte liebreich fuͤr unſere
Sorgfalt, gab mir den Sack mit Salze zu tra-
gen, und wanderte vor uns her. Oft fragte
mich der Bube heimlich: ob er ſchießen ſollte?
aber immer war mirs unmoͤglich zu antworten,
mein Wink verzoͤgerte die That oft. Als wir
aber ſchon nahe am Dorfe das Ende des Waldes
erreichten, und der vorausgehende Meiſter ſich ſo
innig freute, daß er nun bald den Kummer des
geliebten Weibes enden wuͤrde, da entbrannte
meine Eiferſucht, ich winkte dem Buben, er
ſchoß, und der Meiſter ſtuͤrzte zu Boden.
Angſt und Furcht ergriff mich, als er klaͤglich
am Boden wimmerte, uns oft fragte: womit er
uns beleidigt haͤtte? warum wir ihn ſo grauſam
ermorden wollten? Mehr als zehnmal hob ich
meinen ſchweren Stock in die Hoͤhe, um ihn vol-
lends todt zu ſchlagen, aber immer ſank er ent-
kraͤftet zuruͤck, weil der Verwundete mich ſo aͤu-
ſerſt ruͤhrend bat, mich wenigſtens ſeiner armen
Seele zu erbarmen, dieſe nicht zu morden, und
ihm
ihm Zeit zu goͤnnen, daß er ſeine Suͤnden beich-
ten koͤnne. Er ſchwur den kraͤftigſten Eid, daß
er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen
wolle, um den Verdacht zu entfernen.
Ich konnte nicht laͤnger widerſtehen, die voll-
brachte That hatte quaͤlende Reue in mir erweckt,
auch der Bube zitterte und bebte, bat mich
ſelbſt, ſeine Bitte zu erfuͤllen. Auf mein Geheiß
eilte er ins Dorf, um einige Traͤger herbei zu ru-
fen, weil Angſt und Schrecken uns unfaͤhig mach-
te, ihn fortzutragen.
Ich wollte ihn nur nach dem naͤchſten Bau-
ernhof tragen, und dorthin einen Prieſter rufen
laſſen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen,
welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunſch
aͤuſſerte, ſein Weib nur noch einmal zu ſehen, ſo
konnte ichs nicht verhindern, daß ſie ſeine letzte
Bitte ehrten. Er ſah meine Verlegenheit, merkte
meine Angſt, und lispelte mir, als ich ihn in die
Hoͤhe hob, leiſe zu, daß er ſeinen Schwur halten,
mich mit keiner Miene verrathen wuͤrde.
Dieſe neue Verſicherung ſtaͤrkte mich kraͤftig,
und machte mich faͤhig, ruhig das Ende abzuwar-
ten. Ich wich nicht von ſeinem Lager, ſo lange
er lebte; trat nur dann abſeits, als er beichtete,
und bin feſt uͤberzeugt, daß er nicht mein Verraͤ-
ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich
danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden laͤßt,
was ich vielleicht einſt dort ewig buͤßen muͤßte.
Zweit. Baͤndch. M
Wahrſcheinlich wuͤrde der Moͤrder nicht ſo ſchnell
entdeckt worden ſeyn, wenn nicht Marie den Guts-
herrn zur Aufmerkſamkeit gereizt haͤtte; ſie fluͤſter-
te ihm am Wagen heimlich zu, daß ſie Verdacht
auf den Knecht habe, und beſtaͤtigte ihre Ausſage
dadurch, daß der Prieſter, wie er des Verwunde-
ten Beichte gehoͤrt, den Knecht einigemal verach-
tungsvoll angeblickt habe. Auch wars ihr nachher
ſtark aufgefallen, daß dieſer nicht vom Lager des
Mannes weichen wollte, und munter und froͤhlich
einher gieng, wie er endlich verſchied. Sie hoͤrte
ruhig zu, als der Gutsherr ſie zu troͤſten kam,
und ihr die Verſicherung brachte, daß ihre Ver-
muthung richtig, und der Moͤrder ſchon entdeckt
ſei; aber ſie ſank ſinnlos zur Erde, wie er ihr
erzaͤhlte, daß nicht ſowol Begierde nach dem ein-
traͤglichen Dienſte, ſondern heftige Liebe zu ihr ihn
zu dem ſchrecklichen Mord verleitet habe.
Man zweifelte an ihrem Leben, weil die Ohn-
macht anhaltend war, ſich erſt, aller angewand-
ten Huͤlfsmittel ungeachtet, binnen ſechs Stunden
endigte. Die Folge uͤberzeugte alle, daß ſie in
dieſem Zuſtande ihren Verſtand verlohren habe.
Sie war einige Tage nachher vollkommen geſund,
aß und trank wie eh, aber ſie ſprach kein Wort,
und ſuchte ſich immer ſorgfaͤltig zu verſtecken. So
handelte ſie einen vollen Monden, und diejenigen,
deren Sorgfalt ſie anvertraut wurde, hatten oft
Muͤhe, ſie in den Winkeln zu finden, in welche ſie
ſich verborgen hatte.
Nach dieſer Zeit ſtarb ihr Kind, ſie ſah gleich-
guͤltig zu, wie man's zu Grabe trug, ſie folgte
ſogar freiwillig dem Sarge; wie aber dieſer mit
Erde bedeckt war, ſo ſtieg ſie auf das erhoͤhte
Grab, und rief dreimal fuͤrchterlich aus: Gott
iſt gerecht! Sie hielte nach dieſem Ausrufe
noch eine lange Anrede ans Volk, aber keiner
konnte ein Wort verſtehen, es waren leere, unver-
ſtaͤndliche Toͤne, welche oft durch den Ausruf:
Gott iſt gerecht! unterbrochen wurden.
Dieſer Ausruf, den ſie ſtets mit der groͤßten
Emphaſie ausſprach, war ihre uͤbrige Lebenszeit
hindurch das einzige verſtaͤndliche Wort, welches
man aus ihrem Munde hoͤrte.
Sie that niemanden etwas zu Leide, gieng
ſtets mit in einander geſchlagnen Armen auf der
Straße ſtill und nachdenkend einher, wenn ſie aber
irgend eine kleine Anhoͤhe, oder einen großen
Stein erblickte, ſo ſprang ſie haſtig drauf, und
rief laut aus: Gott iſt gerecht! Dann folgte alle-
mal eine lange, unverſtaͤndliche Rede, die ſie mit
den heftigſten Geberden und Geſtikulationen be-
gleitete. Ihr folgten immer die Kinder des Dorfs
nach, nannten ſie ſpottweiſe: die Predigerin! und
waren gewiß, daß ſie ihnen Stunden lang vor-
predigte, wenn ſie ihr nur einen Stein zeigten,
auf welchem ſie ſtehen konnte.
Ihr Vermoͤgen ward zinsbar angelegt, und
der Dorfhirte nahms uͤber ſich, ſie gegen Em-
pfang der Zinſen anſtaͤndig zu ernaͤhren. Nach
zehn Jahren genoß ſie noch immer das ungetheilte
Mitleid aller Dorfsbewohner, weil ſie vielen un-
ter ihnen Gutes erwieſen, keinen beleidigt, und
aller Meinung nach durch das ſchreckliche Ende
ihres Mannes, durch die ploͤtzliche Entdeckung ſei-
nes Moͤrders ihren Verſtand verlohren hatte.
Um dieſe Zeit forderte das Kriminalgerichte der
Hauptſtadt ihre Gegenwart, weil eine Gefangene
und uͤberwieſene Giftmiſcherin ſie der Theilnahme
eines Mords beſchuldige. Man ſandte ſie dahin,
ſie laͤchelte, als man ihr die Ketten anlegte, und
ſprach oft: Gott iſt gerecht!
Die Richter ſahen bald ein, daß ſie eine
Wahnſinnige nicht verhoͤren, eben ſo wenig ver-
urtheilen koͤnnten; da aber die Gefangne aus-
druͤcklich bekannte, daß dieß die Angeklagte ſei,
und auf dieß Bekenntniß ſtarb, ſo ward Marie
nicht mehr nach dem Dorfe zuruͤckgeſandt, ſon-
dern im Hoſpitale der Wahnſinnigen bis an ihr
Ende verwahrt. Dieß erfolgte erſt funfzehn Jahr
nachher.
Sie handelte dieſe lange Zeit hindurch immer
gleichfoͤrmig, rief jedem, der ſich ihrem Kaͤmmer-
chen naͤherte, mit lauter Stimme zu: Gott iſt
gerecht! und kuͤßte die Kette, an welche ſie an-
geſchloſſen war. Wie ſchon der Tod mit ihr
rang, richtete ſie ſich noch einmal auf, blickte
die neben ihr ſtehende Waͤrterin ſtarr an, faltete
ihre Haͤnde zum Gebete, und rief aus: Gott
iſt gerecht, aber auch barmherzig! Nach
dieſen merkwuͤrdigen Worten ſank ſie kraftlos zu-
ruͤck, und endete mit einem Hauche die Tage ih-
res Jammers.
Ohne zu beſtimmen: — denn wie vermoͤchte
ich dieß — ob die Ausſage der gerichteten Giftmi-
ſcherin wirklich die reine Wahrheit ſei, will ich
ſolche jetzt meinen Leſern erzaͤhlen.
Ich gieng, ſo geſtand ſie in einem ihrer vielen
Verhoͤre, einſt gegen Abend durch das Dorf
St — e, das ſchoͤne Pfarrhaus lockte mich zur
Einkehr. Ich wollte mir bei der Koͤchin des Pfar-
rers ein gutes Abendmal, und wo moͤglich einen
Zehrpfennig verdienen, und meine Abſicht gelang
vollkommen.
Anfangs ſchien die junge, ſchoͤne Koͤchin mei-
ner Bitte nicht zu achten, ſie blieb traurig und
nachdenkend am Naͤhtiſche ſitzen. Dieß gab mir
volle Gelegenheit, in ihr Herz zu blicken, ich ent-
deckte ihr ganz ingeheim, daß ich die Kunſt wahr-
zuſagen vollkommen bei einer alten Zigeunerin er-
lernt haͤtte, und wenn ſie meine Bitte achte,
ihr das ganze kuͤnftige Schickſal erzaͤhlen wolle.
Die Liſt wirkte kraͤftig, ſie reichte mir ihre Hand,
und verſprach mir ein anſehnliches Geſchenke,
wenn ich mein Verſprechen erfuͤllen wuͤrde.
Du biſt, ſagte ich dreuſt zu ihr, recht ſehr
verliebt, aber große Hinderniſſe ſtehen in der
Straße deines Gluͤcks, du wirſt es nicht eher er-
reichen, als bis ſich zwei Augen ſchließen. Die
Betrogne war mit meiner Prophezeihung vollkom-
men zufrieden, nur bat ſie mich dringend, ihr zu
entdecken, wenn ſich die zwei verhaßten Augen
ſchließen wuͤrden. Funfzig Gulden will ich dir,
fuhr ſie fort, mit groͤßten Freuden ſchenken, wenn
du mich recht bald, wenigſtens in einem Monate,
aus meiner Quaal erloͤſen kannſt.
Die Begierde nach den verſprochnen funfzig
Gulden wirkte bei mir eben ſo kraͤftig, wie bei
ihr die Liebe; ich verſprach ihr wirkſame Huͤlfe,
wenn ſie mich ganz zur Vertrauten ihres Herzens
machen wolle. Sie erzaͤhlte mir nun, daß ſie aͤu-
ſerſt in einen Schaͤfer verliebt ſei, der aber ſchon
ein Weib habe, auch dieſe zaͤrtlich liebe; und doch
hoffe ſie, daß er ſie ſicher zum zweiten Weibe waͤh-
len wuͤrde, wenn nur die erſtere bald ſterben wolle.
Ich bat mir drei Tage Bedenkzeit aus, die
ſchwere Unternehmung nach Kraͤften uͤberlegen zu
koͤnnen, beſuchte am andern Tage die Schaͤferin,
fand ſie im Wochenbette, und folglich ganz ge-
ſchickt, ohne großen Verdacht aus der Welt zu
trollen. Ich miſchte ſogleich Arſenik und Zucker
zuſammen, machte ein kleines Pulver daraus, und
uͤbergab es der Koͤchin, mit dem Bedeuten, daß
darinne ihrer Nebenbuhlerin Tod enthalten ſei,
daß es in ihrer Macht ſtehe, ſich taͤglich und
ſtuͤndlich von ihr zu befreien.
Wahr iſt es, daß ſie anfangs zuruͤckſchauderte,
den Antrag ſtandhaft verwarf, und ſogleich er-
rieth, daß das Pulver Gift enthalten muͤſſe. Als
ich ihr aber dreuſt ſagte, daß ich kein anders Mit-
tel kenne, und trotzigen Abſchied nehmen wollte,
da bat ſie mich, laͤnger zu bleiben, forderte am
andern Morgen das Pulver, forſchte: Ob es in
jeder Speiſe wirke? und gieng bald hernach, die
Schaͤferin zu beſuchen.
Wie ſie wiederkehrte, herrſchte Furcht und
Angſt in ihren Blicken, die ſich ſehr mehrte, als
man den Pfarrer zur kranken Schaͤferin rufte.
Ich troͤſtete ſie mit der Verſicherung, daß der
Wundarzt im Dorfe die Wirkung des Giftes nicht
verſtehe, auf ſie in jedem Falle kein Verdacht
fallen koͤnne, und ohne dieß Mittel keine Hoffnung
vorhanden ſei, die Frau des Schaͤfers zu werden.
Mein Troſt wirkte kraͤftig, die kuͤnftigen fro-
hen Ausſichten ſtaͤrkten ihren Muth, ſie weinte
nur einige Thraͤnen, als ich ihr die Nachricht
brachte, daß die Schaͤferin ſchon vollendet habe.
Wie und auf welche Art ſie ihr das Pulver bei-
brachte, habe ich zu fragen vergeſſen, ich war
zufrieden, daß ich von ihr das verſprochne Geld,
und uͤberdieß noch einige gute Kleidungsſtuͤcke zum
Geſchenke erhielt.
Ich wanderte ſogleich fort, und kam nach ei-
nem halben Jahre wieder nach dem Dorfe, fand
ſie ſchon mit dem Schaͤfer verheiratet, und mit
dieſem in der gluͤcklichſten Ehe. Mein Anblick
machte ihr großen Kummer; ich ließ mir von ihr
das gewiſſe Verſprechen, nie mehr wieder zu kom-
men, mit dreißig Gulden bezahlen. Ich habe
Wort gehalten, ein entdeckter Diebſtahl verſcheuch-
te mich aus der Gegend, und ich kann nicht ſa-
gen: Ob die Schaͤferin noch lebt, bin aber bereit,
dieß Bekenntniß in ihrer Gegenwart zu wiederho-
len, und ſie des Mords zu uͤberzeugen.
War Marie nun wirklich die Thaͤterin, ſo
liegt die Urſache ihres Wahnſinnes klar am Tage;
die Ueberzeugung, daß ihr mit dem Maße gemeſ-
ſen wurde, mit welchem ſie einſt maß, mußte
ſchrecklich und kraͤftig auf ſie wirken. Die merk-
wuͤrdigen Worte: Gott iſt gerecht! welche
ihre Zunge allein noch deutlich auszuſprechen faͤhig
war, ſcheinen die ſchreckliche That zu beſtaͤtigen.
Aeußerſt wahrſcheinlich iſt es uͤberdieß, daß die
lange, unverſtaͤndliche Rede, welche dieſem Aus-
rufe allemal folgte, das Bekenntniß ihres Verbre-
chens enthalten ſollte, welches die nagende Reue
zu erpreſſen, Furcht und Scham aber zu ver-
hindern ſuchte.
Gott! wie groß, wie ſchrecklich muß dann
das Leiden der Duldenden geweſen ſeyn! Wie
graͤßlich muß es in ihrem Innern geſtuͤrmt und
getobt haben, da die Organe ihrer Sprache ſich
kraͤmpften, und nur unverſtaͤndliche Toͤne lallen
konnten! Groß war ihr Verbrechen, aber auch
anhaltend die Tage ihres Jammers, und wenn
ich mir ihr jenſeitiges Loos denke, ſo erinnere ich
mich immer ihrer letzten Worte: Gott iſt ge-
recht, aber auch barmherzig!
Ende des zweiten Baͤndchens.