Die electriſche Telegraphie oder die Fernſchreibekunſt, von
dem griechiſchen tele — fern — und graphein — ſchreiben — ſo
genannt, iſt gänzlich ein Kind unſeres an großen Entdeckungen
und tief in das ſociale Leben der Menſchheit eingreifenden Erfin¬
dungen ſo reichen Jahrhunderts. Es finden ſich zwar ſchon ältere
Mittheilungen über Vorſchläge oder Einrichtungen, um mit
Hülfe der damals allein bekannten Reibungselectricität Nach¬
richten aus einem Zimmer in ein benachbartes zu ſenden, doch
waren das unfruchtbare electriſche Spielereien, die man nicht
als den erſten Schritt zur jetzigen electriſchen Telegraphie an¬
ſehen kann.
Erſt die wichtigen Entdeckungen der italieniſchen Gelehr¬
ten Galvani und Volta am Schluß des vorigen Jahrhunderts
führten zur Kenntniß des dauernden electriſchen oder galvani¬
ſchen Stromes und ſchufen dadurch die Grundlage des electri¬
ſchen Telegraphen. Aleſſandro Volta, welcher zuerſt erkannte,
daß verſchiedene Metalle durch Berührung entgegengeſetzt elec¬
triſch werden, und daß die vermittelſt eines kupfernen Hakens
am Eiſengitter aufgehängten Froſchſchenkel Galvani's deswegen
zuckten, weil ein electriſcher Strom ſie durchlief, welcher ferner
durch dieſe Erkenntniß zur Conſtruction der galvaniſchen Kette
geführt wurde und uns mit wichtigen Eigenſchaften des durch
ſie erzielten dauernden galvaniſchen Stromes bekannt machte,
verdient mithin mit Recht, als der eigentliche Stammvater des
electriſchen Telegraphen genannt zu werden.
Aus dem Vortrage des Dr. Roſenthal im 9. Hefte dieſer
Sammlung, welchen ich im Nachſtehenden als bekannt voraus¬
ſetze, iſt erſichtlich, daß eine dieſer Eigenſchaften des electriſchen
Stromes darin beſteht, daß er beim Durchgange durch geſäuer¬
tes Waſſer dieſes in ſeine chemiſchen Beſtandtheile — Sauer¬
ſtoff und Waſſerſtoff — zerſetzt. Schon wenige Jahre, nach¬
dem Volta's Entdeckungen bekannt geworden waren, im Jahre
1808, machte der Münchener Arzt Dr. Sömmering den Vor¬
ſchlag, dieſe Eigenſchaft des electriſchen Stromes zur Herſtel¬
lung einer electriſchen Telegraphenverbindung entfernter Orte
zu benutzen. Er wollte die beiden Orte durch ſo viele iſolirte
d. h. von einander und vom Erdboden überall durch Nichtlei¬
ter der Electricität getrennte Metalldrähte verbinden, als das
Alphabet Buchſtaben enthält. An jedem Orte ſollte ein mit
geſäuertem Waſſer gefülltes Glasgefäß und eine Klaviatur auf¬
geſtellt werden. Die Flüſſigkeiten der beiden Glasgefäße ſtan¬
den durch einen beſonderen Draht, deſſen Enden in das Waſ¬
ſer tauchten, in leitender Verbindung mit einander. Außerdem
waren in jedem der Glasgefäße 26 Goldſpitzen angebracht, von
denen jede mit einem Buchſtaben des Alphabets deutlich be¬
zeichnet war. Die gleichbezeichneten Spitzen ſtanden durch einen
der Drähte in leitender Verbindung mit einander. Setzte man
nun an einem der beiden Orte einen der zwei Spitzen mit ein¬
ander verbindenden Drähte durch Niederdrücken der gleichbe¬
zeichneten Taſte der Klaviatur mit dem einen Pole einer gal¬
vaniſchen Kette oder Batterie in leitende Verbindung, deren
anderen Pol mit dem 27. Drahte, welcher die in den Gefäßen
befindlichen Flüſſigkeiten leitend verband, in Verbindung: ſo
mußte ein electriſcher Strom entſtehen, welcher von dem einen
Pol der Batterie ausging, den Draht bis zur anderen Station
durchlief, dort von der Goldſpitze durch das Waſſer zum ge¬
meinſchaftlichen Rückleitungsdraht und durch dieſen zum ande¬
ren Pole der Batterie zurückkehrte. Es begann dann eine Ent¬
wickelung von Gasbläschen an der betreffenden Goldſpitze, wor¬
aus der Beobachter erkennen konnte, welche Taſte ſein Korre¬
ſpondent niedergedrückt hatte, welchen Buchſtaben er ihm mit¬
hin bezeichnen wollte. Dieſer brauchte alſo nur in langſamer
Reihenfolge die zu machende Mittheilung durch Niederdrücken
der entſprechenden Taſten abzubuchſtabiren, um ſie ihm ver¬
ſtändlich zu machen.
Sömmering ſtellte dieſen erſten electriſchen Telegraphen
der Münchener Academie vor. Zur practiſchen Anwendung iſt
er aber nicht gekommen, da die große Zahl der nöthigen Drähte,
die Schwierigkeit ihrer Iſolation und auch wohl die Neuheit
der Sache vor der Ausführung zurückſchreckten. Demohngeachtet
gebührt Sömmering das Verdienſt, zuerſt den großen practi¬
ſchen Nutzen erkannt zu haben, welchen die Entdeckung Volta's
der Menſchheit zu bringen im Stande war, und man kann ihn
daher den Erfinder des electriſchen Telegraphen nennen.
Das größte Hinderniß der Anwendung des Sömmering'¬
ſchen Telegraphen beſtand jedenfalls in der großen Zahl von
Drähten, welcher er bedurfte. Profeſſor Schweigger in Er¬
langen ſchlug daher vor, anſtatt der 26 Goldſpitzen nur zwei
zu nehmen und dieſe durch zwei Leitungsdrähte mit einander
zu verbinden. Mit Hülfe einer paſſenden mechaniſchen Vor¬
richtung ſollte derjenige, welcher eine telegraphiſche Mittheilung
machen wollte, im Stande ſein, ſeine Batterie in der einen
oder anderen Richtung zwiſchen die beiden Drähte zu bringen,
d. h. entweder den poſitiven oder Kupferpol der Batterie mit
dem erſten, und den negativen oder Zinkpol mit dem zweiten
Drahte in leitende Verbindung zu bringen, oder umgekehrt den
poſitiven mit dem zweiten und den Zinkpol mit dem erſten.
Da bekanntlich das Waſſerſtoffgas, welches ſich an derjenigen
Goldſpitze entwickelt, die mit dem negativen Batteriepole
verbunden iſt, einen doppelt ſo großen Raum einnimmt, wie
das gleichzeitig an der anderen Goldſpitze entwickelte Sauer¬
ſtoffgas, ſo konnte ein aufmerkſamer Beobachter der beiden
Spitzen aus der größeren Zahl von Gasbläschen, die ſich an
der einen oder anderen Spitze bildeten, erkennen, mit welcher
ſein Korreſpondent den negativen Pol ſeiner Batterie verbun¬
den hatte. Schweigger ſchlug nun vor, man ſolle ſich über
ein Alphabet vereinbaren, in welchem jeder Buchſtabe durch
eine beſtimmte Reihenfolge von Gasentwickelungen der beiden
Arten — alſo ſtärkerer Gasentwickelung an der erſten oder an
der zweiten Spitze — bezeichnet würde. Hatte ſowohl der Ge¬
ber der telegraphiſchen Mittheilung wie der Empfänger dies
Alphabet im Kopfe, ſo konnte mit Hülfe zweier Dräthe daſſelbe
erreicht werden, was Sömmering mit 27 Drähten erzielte.
Eine practiſche Folge konnte der Vorſchlag Schweigger's
damals ſo wenig wie der Sömmering's haben, da die Kennt¬
niß der Geſetze des galvaniſchen Stromes noch zu unvollſtän¬
dig und die Technik noch nicht weit genug vorgeſchritten war,
um alle ſich der Ausführung entgegenſtellenden Schwierigkeiten
überwinden zu können. Er war aber inſofern von großer Wich¬
tigkeit, als er zuerſt zeigte, daß man vermittelſt eines einzigen
Leitungskreiſes durch zuſammengeſetzte Zeichen für die einzelnen
Buchſtaben oder andere telegraphiſche Signale vollſtändige te¬
legraphiſche Mittheilungen machen könnte.
Eine zweite Periode der allmähligen Entwicklung der elec¬
triſchen Telegraphie knüpft ſich an die Entdeckung Oerſted's
in Kopenhagen im Jahre 1820. Oerſted fand, daß der elec¬
triſche Strom die frei ſchwebende Magnetnadel ablenkt, wenn
er parallel mit derſelben über oder unter ihr fortgeführt wird,
und daß die Richtung dieſer Ablenkung abhängig iſt von der
Richtung des electriſchen Stromes.
Hierdurch war ein neues Mittel gegeben, das Vorhanden¬
ſein und die Richtung eines electriſchen Stromes in einem
Drahte zu erkennen. Amp è re in Paris, welcher dieſe Eigen¬
ſchaft des electriſchen Stromes näher ſtudirte, machte auch be¬
reits im Jahre 1820 den Vorſchlag, die Ablenkung der Mag¬
netnadel anſtatt der Waſſerzerſetzung zur Conſtruction eines
electriſchen Telegraphen zu benutzen. Er ſchlug vor, an der
entfernten Station ſo viele Magnetnadeln aufzuhängen, wie das
Alphabet Buchſtaben hat. Unter jeder Nadel ſollte ein Draht
fortgeführt werden, welcher zur anderen Station und zurück
ging und durch den man mit Hülfe einer Klaviatur electriſche
Ströme ſenden könnte. Die Nadeln ſollten leichte Schirme
tragen, welche die dahinter ſtehenden Buchſtaben verdeckten.
Wurden die Nadeln nach einander abgelenkt, ſo wurden die
bisher verdeckten Buchſtaben in gleicher Reihenfolge ſichtbar
und man brauchte ſie nur abzuleſen, um die Nachricht zu er¬
fahren.
Fechner in Leipzig beſchäftigte ſich mit der Vereinfachung
dieſes Vorſchlages in gleichem Sinne, wie Schweigger den
Sömmering'ſchen Vorſchlag modificirte. Er wollte nur zwei
Drähte und eine Magnetnadel verwenden und die Ablenkungen
derſelben nach rechts und links als Elementarzeichen verwenden,
aus welchen ein Alphabet zuſammengeſetzt werden ſollte. Schweig¬
ger und Poggendorff hatten damals bereits gefunden, daß die
Kraft, mit der der über oder unter der Magnetnadel gleich¬
laufend mit ihr fortgeführte electriſche Strom dieſelbe ablenkt,
ſich bedeutend dadurch verſtärken läßt, daß man den Draht in
vielen Windungen in gleicher Richtung um die Nadel herum¬
führt. Um dies ausführen zu können, ohne der Electricität
Gelegenheit zu geben, von einer Windung zur anderen über¬
zugehen, wurde der Umwindungsdraht dicht mit Seide um¬
ſponnen. Da die Seide den electriſchen Strom nicht leitet,
alſo ein Iſolator für Electricität iſt, ſo konnte die Electricität
nicht direct von einer Windung zur anderen übergehen, mußte
ſie mithin alle der ganzen Länge nach durchlaufen. Mit Hülfe
eines ſolchen Schweigger'ſchen Multiplicators iſt ſchon ein ſehr
ſchwacher Strom befähigt, eine Magnetnadel ſchnell und kräf¬
tig abzulenken. Fechner erwies hieraus die Möglichkeit, auch
weit von einander entfernte Orte telegraphiſch mit einander zu
verbinden, und berechnete die Zahl und Größe der Platten¬
paare oder Zellen, welche die Batterie zu dem Zwecke haben
mußte.
Es war hiermit die wiſſenſchaftliche Grundlage für einen
brauchbaren electriſchen Telegraphen gegeben und in der That
ſind die noch jetzt an vielen Orten, namentlich in England, in
Gebrauch befindlichen Nadeltelegraphen im Weſentlichen mit
Fechner's Vorſchlage übereinſtimmend.
Eine dritte Periode der Entwickelung der Telegraphie
knüpft ſich an die Entdeckungen Arago's in Paris und Fara¬
day's in London. Arago fand, daß der electriſche Strom be¬
nachbartes Eiſen magnetiſch macht, daß gehärteter Stahl den
in ihm ſo erzeugten Magnetismus größtentheils dauernd behält,
weiches Eiſen ihn jedoch ſofort faſt vollſtändig wieder verliert,
wenn der electriſche Strom aufhört. Dieſe Wirkung tritt be¬
ſonders kräftig auf, wenn man den Strom wie beim Schweig¬
ger'ſchen Multiplicator, in vielen Windungen um einen Eiſen¬
ſtab herumlaufen läßt. Der Eiſenſtab wird dadurch ein kräf¬
tiger Magnet, welcher benachbartes Eiſen anzieht. Wird die
leitende Verbindung des Umwindungsdrahtes mit den Polen
der Batterie irgendwo unterbrochen, ſo hört auch der Magne¬
tismus des Eiſenſtabes auf und dieſer läßt das angezogene
Eiſen wieder fallen. Die beſchriebene Wirkung eines ſolchen
Electromagnetes iſt beſonders kräftig, wenn man dem mit iſo¬
lirtem Draht umwundenen Eiſenſtabe die Form eines Hufeiſens
giebt und deſſen beide End- oder Polflächen der anzuziehenden
Eiſenplatte gegenüberſtellt.
Ebenſo wichtig iſt die Entdeckung Faraday's. Wenn
man zwei Metalldrähte gleichlaufend in geringer Entfernung
von einander ausſpannt und die Enden des einen Drahtes
in einem weiten Bogen mit einander verbindet, ſo entſteht
in dieſem ein kurzer electriſcher Strom, wenn man die Enden
des anderen Drahtes mit den Polen einer galvaniſchen Bat¬
terie verbindet, alſo einen electriſchen Strom in ihm er¬
zeugt. So lange dieſer Strom fortdauert, bemerkt man keinen
Strom in dem Nebendrahte, unterbricht man ihn aber, ſo entſteht
im Nebendrahte wieder ein kurzer Strom von gleicher Stärke
wie der erſte war, aber von entgegengeſetzter Richtung. Man
drückt dies auch ſo aus, daß ein electriſcher Strom beim Ent¬
ſtehen in benachbarten Leitern einen kurzen Strom von entge¬
gengeſetzter, beim Aufhören einen eben ſolchen Strom von glei¬
cher Richtung erzeugt oder inducirt. Eben ſolche vorübergehende
Ströme wechſelnder Richtung werden in Leitern der Electrici¬
tät durch entſtehenden und verſchwindenden Eiſen- oder Stahl¬
magnetismus hervorgebracht. Beſonders kräftig tritt dieſe Er¬
ſcheinung auf, wenn man eine Rolle aus überſponnenen Kup¬
ferdraht auf eine magnetiſche Stahlſtange ſteckt oder den Stahl¬
magnet ſchnell aus ihr herauszieht. Man kann aber auch ſtatt
deſſen eine Stange von weichem Eiſen in der Drahtrolle ſtecken
laſſen und die Stange auf die vorher beſchriebene Weiſe durch
den electriſchen Strom einer galvaniſchen Kette magnetiſiren
und durch Unterbrechung der Kette den Magnetismus wieder
verſchwinden laſſen. In beiden Fällen erhält man in der Draht¬
rolle kurze Ströme wechſelnder Richtung, welche man inducirte
oder auch magneto-electriſche Ströme nennt.
Gauß und Weber in Göttingen benutzten dieſe Entdeckung
Faraday's zur Conſtruction eines electriſchen Telegraphen. Der¬
ſelbe unterſchied ſich von den bisherigen weſentlich dadurch, daß
die electriſchen Ströme nicht durch eine galvaniſche Batterie, ſon¬
dern durch Stahlmagnete erzeugt wurden. Im übrigen befolgten
ſie den Vorſchlag Fechner's, nur einen Leitungskreis anzuwen¬
den und das Alphabet aus Gruppen zweier Elementarzeichen,
der Nadelablenkung nach rechts und nach links, zuſammenzu¬
ſetzen. Anſtatt der leichten Magnetnadel wandten Gauß und
Weber jedoch einen ſtärkeren Magnetſtab mit einem kleinen
Spiegel an, in welchem ſie das Bild eines beleuchteten Ma߬
ſtabes mit enger Theilung vermittelſt eines Fernrohrs beobach¬
teten. Da hiermit auch die kleinſte Drehung des an einem
Seidenfaden aufgehängten Magnetſtabes deutlich zu erkennen
war, ſo brauchte die an dem andern Orte zwiſchen den Polen
zweier kräftiger Magnetſtäbe aufgeſtellte Drahtrolle, welche
mit den dortigen Enden der beiden Leitungsdrähte verbunden
war, nur ein wenig nach dem einen oder andern Magnetpol
hin- und wieder zurückbewegt zu werden, um ein deutliches Zucken
des Maßſtabes im Spiegel nach rechts oder links ſichtbar zu
machen.
Dieſer Telegraph von Gauß und Weber verdient noch des¬
wegen beſondere Beachtung, weil er zuerſt wirklich ausgeführt
wurde und vom Jahre 1833 bis zum Jahre 1844 zur telegra¬
phiſchen Verbindung zwiſchen dem magnetiſchen Obſervatorium
in Göttingen und der Sternwarte diente. In dieſem Jahre
ſchlug ein Blitz in dieſe erſte über die Stadt Göttingen fort¬
geführte Leitung und zerſtörte ſie vollſtändig.
Angeregt durch die glänzenden Erfolge Gauß und Weber's,
beſchäftigte ſich Steinheil in München mit der practiſchen Aus¬
bildung des electriſchen Telegraphen. Seine Telegraphenanlage,
welche das Academiegebäude in München mit der in dem be¬
nachbarten Orte Bogenhauſen befindlichen Sternwarte verband
und zwei Zwiſchenſtationen hatte, war im Jahre 1837 vollen¬
det und ſomit die zweite, welche wirklich ins Leben trat. Stein¬
heil bediente ſich ebenfalls der durch Stahlmagnete erzeugten
oder magneto-electriſchen Ströme anſtatt der galvaniſchen. Bei
den empfangenden Apparaten führte er den Multiplicatordraht
um 2 kleine, ſo hinter einander ſtehende, Magnetnadeln, daß
der Südpol der einen und der Nordpol der andern einander
ſehr nahe ſtanden. Ging mithin ein electriſcher Strom durch
die Leitung und den Multiplicatordraht, welcher in ſie einge¬
ſchaltet war, alſo einen Theil derſelben bildete, ſo wurden
beide Nadeln in gleichem Sinne nach rechts oder links — je
nach der Richtung des Stromes — gedreht, es trat mithin
immer eins der benachbarten Enden derſelben aus dem Multi¬
plicator hervor, während das andere ſich zurückbewegte. Stein¬
heil verſah nun dieſe mittleren Nadelenden mit kleinen Farbe¬
behältern, die an der äußeren Seite fein durchbohrte Spitzen
hatten. Vor dieſen Spitzen ward durch ein Uhrwerk ein
Papierſtreifen vorbeigeführt. Wurde nun eine Depeſche ge¬
geben, ſo berührte die eine oder andere Spitze, je nachdem
ein poſitiver oder negativer Strom die Leitung durchlief, das
Papier und hinterließ auf demſelben einen farbigen Punkt.
Die Depeſche wurde auf dieſe Weiſe auf dem Papierſtreifen
niedergeſchrieben. Steinheil gebührt daher das Verdienſt,
den erſten Schreibtelegraphen erdacht und practiſch ausgeführt
zu haben. Auch acuſtiſche Signale benutzte Steinheil zuerſt,
indem er den nicht mit einem Farbebehälter verſehenen äu¬
ßeren Enden ſeiner Magnetnadeln kleine Glöckchen von ver¬
ſchiedener Tonhöhe gegenüberſtellte. Dieſelben dienten nicht nur
dazu, die Aufmerkſamkeit des Empfängers zu erregen. Dieſer
konnte auch den Inhalt der Mittheilung durch das Gehör ver¬
ſtehen. Endlich gelang es Steinheil auch, die Zahl der noth¬
wendigen Leitungsdrahte auf einen einzigen herabzuſetzen, in¬
dem er den Schließungskreis des electriſchen Stromes durch
die Erde ſelbſt vervollſtändigte. Bekanntlich leitet das Waſſer
die Electricität, wenn auch im reinen Zuſtande nur ſchwach.
Verſenkt man daher an jedem Ende einer iſolirten Drahtleitung
eine hinlänglich große Metallplatte in ein offenes Waſſer oder in
den feuchten Erdboden, ſo erſetzt der die Electricität leitende feuchte
Erdboden den zweiten oder Rückleitungsdraht. Da ein Draht
— ſowie jeder andere Leiter — die Electricität um ſo beſſer
leitet, je größer ſein Querſchnitt iſt und der von einer verſtärk¬
ten Platte zur anderen gehende Strom ſich beliebig in der feuch¬
ten Erdrinde ausbreiten kann, ja ſtreng genommen, ſie immer
in allen ihren Theilen durchlaufen muß — ſo vertritt biedie Erde
die Stelle eines Leitungsdrahtes von ungeheurer Dicke, der
alſo ſehr gut leitet, obſchon er aus ſchlecht leitendem Material
beſteht.
Gleichzeitig mit Steinheil beſchäftigte ſich auch Schilling
von Cannſtedt aus den ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen mit der Ver¬
beſſerung des electriſchen Telegraphen. Im Principe war ſein
Telegraph mit dem Fechner'ſchen Vorſchlage übereinſtimmend,
doch führte er mehrere practiſche Verbeſſerungen ein. Nament¬
lich verband er mit ihm einen Wecker, ein Uhrwerk mit Glocken,
welches durch die erſte Ablenkung der Nadel ausgelöſt wurde.
Wie aus dem bisherigen erſichtlich, hat der Gedanke des
electriſchen Telegraphen ſich langſam im Laufe eines viertel
Jahrhunderts entwickelt. Jeder wiſſenſchaftlichen Entdeckung,
durch welche beſſere Mittel zu ſeiner Verwirklichung gegeben
wurden, folgten ſofort Vorſchläge zur verbeſſerten Conſtruction
des electriſchen Telegraphen. Es iſt daher die Frage, wer der
eigentliche Erfinder deſſelben iſt, nicht zu beantworten. Die
Erfindung war das Product des Geiſtes unſeres Jahrhunderts,
welcher ſich dadurch ſo weſentlich von allen früheren Jahrhun¬
derten unterſcheidet, daß er auf das Studium der Naturerſchei¬
nungen gerichtet iſt, ihre Geſetze zu ergründen und ſie dem
Menſchen dienſtbar zu machen ſucht. Wenn auch in älteren
Zeiten ein gleiches Streben vielfach vorhanden war und auch
damals ſchon ein weſentlicher Schatz von Erfahrungen und
Kenntniſſen angeſammelt wurde, ſo blieb derſelbe doch nur im
engen Kreiſe bekannt. Erſt nachdem der Buchdruck erfunden
war und in Folge deſſen der Gedanke oder die Beobachtung
des Einzelnen ſchnell Gemeingut der ganzen gebildeten Welt
wurde, konnte ſich der gewaltige Schatz des Wiſſens und Kön¬
nens anſammeln, welcher den wahren Reichthum des Menſchen¬
geſchlechtes und die unerſchöpfliche Quelle bildet, die ihm mit
jedem Jahre neue Kräfte und neue Mittel zur Verbeſſerung
und Verſchönerung ſeines Daſeins zuführt!
Während der Gelehrte die Beobachtungen ſammelt, er¬
weitert und ſyſtematiſch zur Naturwiſſenſchaft ordnet und ent¬
wickelt, ſinnt der Gewerbtreibende, der Techniker darüber nach,
wie er dieſe Erweiterung des Wiſſens zur Verbeſſerung ſeines
Gewerbes oder zu neuen Erzeugniſſen verwenden kann. Jeder
Gedanke wirkt befruchtend und erzeugt in andern Köpfen neue,
die, wenn auch an und für ſich vielleicht unbrauchbar, doch
ihrerſeits wieder den Ausgangspunkt wichtiger Erfindungen
bilden können. So iſt auch die Telegraphie entſtanden und nach
und nach zu ihrer jetzigen, noch vor einigen Decennien kaum
zu faſſenden Bedeutung herausgebildet.
Bis zum Schluſſe der 3. Periode, vor etwa 30 Jahren,
waren es namentlich deutſche Gelehrte, welche den Gedanken
der electriſchen Telegraphie erfaßten und pflegten. Jetzt be¬
mächtigte ſich die Induſtrie dieſes Gedankens und wir ſehen
einen Wettlauf aller gebildeten Nationen beginnen, um ihn prac¬
tiſch zu entwickeln und zu verwerthen. In dieſer nun beginnen¬
den 4. oder practiſchen Periode übernimmt zuerſt die angloſäch¬
ſiſche Race, welche ſich durch eine mehr practiſche Richtung vor
andern auszeichnet, die Führung. Der Amerikaner Morſe und
der Engländer Wheatſtone erwarben ſich beſondere Verdienſte
um die Conſtruction practiſch brauchbarer Telegraphenapparate,
die zweckmäßige Anlage der Leitungen und die Einführung des
electriſchen Telegraphen ins öffentliche Leben. Da der Mor¬
ſe'ſche Telegraph die Grundlage des jetzigen großen Welttele¬
graphen-Netzes geworden iſt, ſo ſoll er hier eingehender beſchrie¬
ben werden, während der beſchränkte Raum dieſer Blätter nur eine
flüchtige Ueberſicht über die unzähligen übrigen Conſtructionen
geſtattet. Morſe benutzte zur Conſtruction ſeines Telegraphen
die ſchon erwähnte Entdeckung Arago's, daß der electriſche
Strom benachbartes Eiſen vorübergehend magnetiſirt. Iſt der
Umwindungsdraht eines Electromagnetes zwiſchen das Ende
einer Telegraphenleitung und die Erde eingeſchaltet, ſo wird
der Anker ſo lange von ihm angezogen, wie ein Strom die
Leitung durchläuft, und fällt wieder ab, wenn der Strom un¬
terbrochen wird. Nach Steinheil's Vorgange führte Morſe
einen Papierſtreifen vor einer abgerundeten Spitze vorüber,
welche am Ende eines um einen Zapfen drehbaren Hebels be¬
feſtigt war. An dieſem Hebel war der Anker des Electromag¬
netes befeſtigt. Durchlief ein Strom die Windungen deſſelben,
und ward der Anker dadurch angezogen, ſo ward die Spitze in
das Papier etwas eingedrückt und bildete auf demſelben einen
Punkt, wenn die Anziehung nur einen Augenblick dauerte, einen
Strich dagegen, wenn der Strom eine größere Dauer hatte.
Am andern Ende der Leitung befand ſich ein Drücker, auch
Schlüſſel oder Taſter genannt. Durch Niederdrücken deſſelben
ſetzte derjenige, welcher eine Nachricht telegraphiren wollte, die
mit dem Drücker verbundene Leitung in leitende Verbindung
mit dem einen Pole einer galvaniſchen Batterie, deren anderer
Pol mit der Erde verbunden war. Der Schließungskreis der
Batterie war nun hergeſtellt, der Strom durchlief den ganzen
Leitungskreis, mithin auch die Windungen des am andern Ende
des Leitungsdrahtes eingeſchalteten Magnetes. Dieſer zog ſei¬
nen Anker an und es begann auf dem durch das Laufwerk fort¬
gezogenen Papierſtreifen ein Strich, welcher ſich ſo lange fort¬
ſetzte, bis der Strom durch Loslaſſen des durch eine Feder zu¬
rückgezogenen Drückers wieder unterbrochen wurde.
Der Telegraphiſt konnte mithin nach Belieben Punkte und
Striche auf dem Papierſtreifen erzeugen und dieſelben durch
beliebig lange Zwiſchenräume von einander trennen. Hatte er
nun ein aus zwei Elementarzeichen — hier alſo aus Punkten
und Strichen — combinirtes Alphabet, wie Schweigger es
vorſchlug, im Kopfe, ſo konnte er ſich ſeinem Korreſpondenten
leicht und ſicher verſtändlich machen.
Der Morſe'ſche Telegraph unterſchied ſich vom Stein¬
heil'ſchen alſo weſentlich dadurch, daß erſterer Electromagnete
anſtatt der Magnetnadeln benutzte und ſeine auf dem Papier¬
ſtreifen verzeichneten Buchſtaben und ſonſtigen Zeichen aus Punk¬
ten und Strichen, anſtatt aus Punkten in zwei Linien zuſam¬
menſetzte. Man nennt daher daher alle Telegraphenapparate,
welche dieſe Eigenſchaften haben, Morſe'ſche Telegraphen, wie
verſchieden ſie auch ſonſt vom urſprünglichen Morſe'ſchen Tele¬
graphen ſein mögen.
Da der electriſche Strom dadurch ſehr geſchwächt wird,
daß er lange und dünne Drähte zu durchlaufen hat, ſo be¬
durfte man ſehr ſtarker Batterien, um dem Electromagnete die
zur Eindrückung des Papierſtreifens nothwendige Kraft mitzu¬
theilen. Dieſer Uebelſtand ward dadurch beſeitigt, daß man
ein ſogenanntes relais oder Uebertrager mit dem Schreib-Appa¬
rate verband. Dies relais beſteht aus einem kleinen Electro¬
magnet, welcher in die Leitung eingeſchaltet wird. Ueber den
Polen dieſes Magnetes befindet ſich ein Anker, welcher ſich
leicht um eine ſeitlich angebrachte Axe dreht. Die Bewegung
des Ankers wird durch zwei Anſchläge, von denen der eine
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aus Metall beſteht, auf ein enges Maaß begränzt und, während
der Magnetismus ihn an dieſen Anſchlag heranzieht, zieht eine
Feder ihn wieder zum anderen zurück, wenn der electriſche Strom
aufhört. Zur Ausführung dieſer geringen Bewegung genügt ein
äußerſt ſchwacher Strom durch die Leitung und die Windungen
des relais. Der Ankerhebel des relais und der metalliſche An¬
ſchlag oder Contact deſſelben bilden nun Theile des Schließungs¬
kreiſes einer zweiten, am Orte des Empfängers befindlichen,
Batterie, in welcher auch der Electromagnet des Schreib-Appa¬
rates eingeſchaltet iſt. Dieſe Hülfskette iſt alſo geſchloſſen und
der Anker des Schreibmagnetes, die Eindrücke auf dem
Papierſtreifen ausführt, kräftig angezogen, ſo lange ein Strom
die Hauptkette, alſo die Leitung und das relais, durchläuft. Hört
dieſer Strom auf, ſo hört auch der Strom in der Hülfskette
auf und der durch dieſe während der Schließung gemachte Strich
wird unterbrochen.
Wenn auch in neuerer Zeit in Deutſchland Mittel gefunden
ſind, mit Hülfe derer man die Punkte und Striche der Morſe¬
ſchrift nicht mehr durch Eindrücken des Papierſtreifens, ſondern
vermittelſt ſchwarzer oder farbiger Oelfarbe auf dem Papier
verzeichnet, und daher jetzt das relais entbehren kann, ſo iſt es
doch ſeiner Anwendung beim Morſe'ſchen Telegraphen vorzugs¬
weiſe zuzuſchreiben, daß dieſer Telegraph zu ſo allgemeiner Ver¬
wendung gekommen iſt.
Doch auch mit Hülfe des relais iſt die Länge der Leitung,
welche man zum Schließungskreiſe einer Batterie benutzen kann,
eine begränzte. Erſt durch die in Deutſchland erfundene Trans¬
lation iſt die Wirkungsſphäre des Morſe'ſchen Telegraphen eine
unbegränzte geworden. Ohne Zeichnungen und ſpecielle Be¬
ſchreibung läßt ſich dieſe Einrichtung im Detail nicht faßlich
beſchreiben. Es genüge hier anzudeuten, was mit derſelben er¬
reicht wird. Ohne Translation iſt, wie ſchon geſagt, die Sprech¬
weite des Morſe'ſchen Telegraphen eine begränzte. Sollten die
Depeſchen über dieſe Gränze hinausgehen, ſo mußte der Tele¬
graphiſt der erſten Empfangſtation die Depeſche vom Papier¬
ſtreifen ableſen und ſie mit der Hand auf einen neuen Leitungs¬
kreis weiter geben. Dies wiederholt ſich am Ende des zweiten
Leitungskreiſes u. ſ. f. Natürlich werden durch dies häufige
Ableſen und Weitergeben der Depeſchen ſich häufig Irrthümer
einſchleichen, die ſie ſchließlich oft ganz unverſtändlich machen.
Die Translationseinrichtung bewirkt nun, daß der empfangende
Apparat ſelbſt automatiſch die Punkte und Striche, welche er
erhält, als kurze und lange Ströme wiedergiebt, daß alſo der
Apparat ſelbſt die Thätigkeit des weitergebenden Telegraphiſten
ausübt.
In Deutſchland iſt das Morſe'ſche Syſtem ſpäter noch
weiter entwickelt, indem man auch die Depeſchengabe durch die
Hand des Telegraphiſten ganz beſeitigt hat. Es geſchieht dies
dadurch, daß man Typen, wie zum Buchdruck, gießt, welche
mit paſſenden Vorſtänden an der oberen Kante vorſtehend ſind.
Dieſe Typen ſind mit dem Buchſtaben bezeichnet, welchen ſie
im Morſe'ſchen Alphabete hervorbringen, wenn ſie unter einem
kleinen Hebel fortgeführt werden, der die Hand des Telegra¬
phiſten zu erſetzen beſtimmt iſt. Sind die Typen nun in
richtiger Reihenfolge in einen geeigneten Mechanismus ge¬
bracht, ſo braucht man ſie mit Hülfe deſſelben nur ſchnell
unter dem Hebel fortzuführen, um die Depeſche dem Orte des
Adreſſaten zuzuſenden. Es wird hierdurch allerdings eine
größere Arbeit bedingt, da das Zuſammenſetzen der De¬
peſche und das ſpätere Auseinanderlegen der Typen mehr Zeit
erfordert wie das Fortgeben der Depeſche mit der Hand, da¬
gegen ſind aber Irrthümer ausgeſchloſſen, da man die Depeſchen
vor der Fortgabe nachleſen kann und da die ankommende Schrift
mechaniſch correct, alſo immer ſicher lesbar iſt. Außerdem ge¬
2*
währt dieſe mechaniſche Depeſchengabe den großen Vortheil,
daß man ſie ſehr viel ſchneller ausführen kann, wie es mit der
Hand möglich iſt, man alſo durch einen diſponibelen Draht in
derſelben Zeit ſehr viel mehr — etwa 5 bis 6 mal ſo viel —
Depeſchen geben kann. Die läſtige Arbeit des Setzens und
Sortirens der Typen wird zuverläſſig in nächſter Zeit durch
Conſtruction geeigneter Setz- und Sortirungsmaſchinen bedeu¬
tend vereinfacht werden.
Wie man ſieht, iſt auch bei der Telegraphie das Beſtreben
vorherrſchend, die Handarbeit durch die gleichmäßigere und
ſchnellere Maſchinenarbeit zu erſetzen.
Gleichzeitig mit Morſe beſchäftigte ſich Wheatſtone in Eng¬
land mit der Ausbildung und Einführung des electriſchen Tele¬
graphen. Er verfolgte dabei zwei weſentlich verſchiedene Rich¬
tungen, indem er zuerſt den Fechner'ſchen Nadeltelegraphen we¬
ſentlich verbeſſerte und ſpäter Zeiger- und Drucktelegraphen
conſtruirte. Die Nadeltelegraphen Wheatſtone's ſind noch jetzt
in England und einigen anderen Ländern vielfach in Anwendung
und zwar theils als einfache Nadelapparate, theils als Doppel¬
nadel-Telegraphen mit zwei Magnetnadeln, von denen jede mit
einem beſonderen Leitungsdrahte communicirt. Die Ablenkungen
der Nadeln ſind durch elfenbeinerne Stifte, gegen welche die
Nadeln ſchlagen, auf ein enges Spiel begränzt, ſo daß ein ge¬
übtes Auge an ihren Stellungen ſchnell und ſicher den Buch¬
ſtaben erkennen kann, welcher mitgetheilt wird.
Die große Einfachheit dieſer Apparate verſchaffte ihnen in der
Kindheit der Telegraphie eine ausgedehnte Anwendung. Man iſt
von ihnen aber ſpäter größtentheils zum Morſe'ſchen Syſtem über¬
gegangen, da die dauernd auf dem Papierſtreifen verzeichnete
Morſeſchrift größere Sicherheit der richtigen Wiedergabe der
Nachrichten bietet wie das flüchtige Nadelſpiel. Wheatſtone
ſelbſt ſuchte einige Jahre ſpäter dieſe Unſicherheit der Ableſung
der Depeſchen durch die Conſtruction des Zeigertelegraphen zu
beſeitigen. Bei dieſem ſind die Buchſtaben des Alphabets auf
einem Zifferblatte im Kreiſe verzeichnet, ähnlich wie die Zahlen
auf dem Zifferblatte einer Uhr. Durch eine Reihenfolge von
kurzen electriſchen Strömen, welche durch die Leitung geſchickt
werden, wird ein Zeiger auf denjenigen Buchſtaben geführt, auf
welchen die Aufmerkſamkeit des Empfängers gelenkt werden ſoll.
Es geſchieht dies vermittelſt eines Zahnrades, das auf der Axe
befeſtigt iſt, um welche ſich der Zeiger dreht, und welches eben
ſo viele Zähne hat, wie Buchſtaben oder ſonſtige Zeichen ſich auf
dem Zifferkreiſe befinden. In die Zähne des Zahnrades greift
ein kleiner Haken, welcher an dem Anker eines Electromagnetes
befeſtigt iſt. Durchläuft nun ein Strom die Windungen des
Electromagnetes, ſo wird das Rad und mit ihm der Zeiger
um einen Schritt fortbewegt. Wird der Strom unterbrochen, ſo
geht der Anker in ſeine urſprüngliche Stellung zurück, indem er
über den nächſten Zahn des durch einen Sperrkegel feſtgehalte¬
nen Rades hinfortgeht. Ein zweiter Strom bringt den Zeiger
um einen zweiten Schritt weiter u.ſ. f., jeder Strom einen Schritt.
Die gebende Station kann alſo den Zeiger des Apparates der
Empfangſtation durch eine geeignete Anzahl von kurzen Strö¬
men, die ſie durch die Leitung ſchickt, auf jedes beliebige Zei¬
chen des Zifferblattes ſtellen. Folgen ſich die kurzen Ströme
in einem ſchnellen Tempo ſo lange, bis der Zeiger ſein Ziel er¬
reicht hat, und tritt dann eine kleine Pauſe ein, ſo kann der
Empfänger leicht erkennen, welche Buchſtaben oder anderweitige
Zeichen ſein Korreſpondent bezeichnen wollte. Die Erzeugung
der nöthigen Zahl von Strömungen, um den Zeiger von dem
zuletzt mitgetheilten Buchſtaben auf den zunächſt mitzutheilenden
fortzubewegen, bewirkte Wheatſtone durch Drehung einer Kurbel
auf einem Theilkreiſe, welcher dieſelben Buchſtaben und ſonſtigen
Charactere in gleicher Reihenfolge trug, wie ſie auf dem Ziffer¬
blatte des Empfangsapparates ſich befanden. Die Kurbel war
durch einen Nichtleiter der Electricität, wie Elfenbein oder Holz,
vom metallenen Theilkreiſe iſolirt. Die Oberfläche deſſelben be¬
ſtand abwechſelnd aus leitenden und nichtleitenden, d. i. mit
Elfenbein ausgelegten Feldern. An der Kurbel befand ſich eine
Metallfeder, welche über dieſe Felder des Theilkreiſes fortſchleifte,
wenn ſie gedreht wurde. War nun der Theilkreis des Gebers
mit dem freien Pole einer zur Erde abgeleiteten Batterie und
die Kurbel mit dem Leitungsdraht leitend verbunden, ſo entſtand
jedesmal ein Strom in derſelben, wenn die Feder ein metalli¬
ſches Feld paſſirte, und derſelbe hörte wieder auf, wenn ſie auf
ein nichtleitendes überging. Bewegte man alſo die Kurbel von
einem Buchſtaben bis zu irgend einem andern fort, ſo mußte auch
der Zeiger des Empfängers bis zu demſelben Buchſtaben fort¬
rücken, oder mit andern Worten Kurbel und Zeiger mußten
ſtets auf denſelben Buchſtaben zeigen. Das Telegraphiren be¬
ſtand alſo einfach darin, daß der Geber der Depeſche die Kurbel
nach einander auf alle Buchſtaben der mitzutheilenden Nachricht
ſtellte und der Empfänger die Buchſtaben ablas, auf welchen
der Zeiger einen Augenblick ſtill ſtand.
Dieſer einfachſte Zeigertelegraph Wheatſtone's wurde theils
ſchon von ihm ſelbſt, theils von Andern vielfach verändert und ver¬
beſſert. Durch Einführung eines Uhrwerkes, welches den Zeiger des
Empfängers fortbewegte und eine Einrichtung, welche man in der
Uhrmacherei ein Echappement nennt, konnte die Zahl der nöthigen
Ströme, um den Zeiger von einem Buchſtaben zu einem andern
zu bewegen, auf die Hälfte reducirt werden, indem der Anzug
des Ankers ſowohl wie ſein Abfall den Zeiger um einen Schritt
vorwärts bewegte. Anderſeits wurde die Wheatſtone'ſche Kurbel
ganz beſeitigt, indem man die Herſtellung und Unterbrechung
des Stromes durch den Electromagnet ſelbſt ausführen ließ.
Bei dieſer, hier nicht näher zu beſchreibenden, Einrichtung waren
die Electromagnete der an beiden oder mehreren Stationen be¬
findlichen Empfangsapparate gleichzeitig in die Leitung einge¬
ſchaltet. Die Apparate bildeten ſelbſtthätige elektromagnetiſche
Maſchinen, deren Zeiger immer gleichzeitig den Buchſtabenkreis
durchliefen. Jeder Apparat war mit Taſten verſehen, welche
mit den entſprechenden Buchſtaben des Zifferkreiſes verſehen
waren. Ward eine Taſte niedergedrückt, ſo durchliefen die
Zeiger ſämmtlicher im Leitungskreiſe befindlichen Apparate den
Theilkreis des Zifferblattes bis zu dem Buchſtaben, deſſen
Taſte niedergedrückt war und blieben hier ſo lange ſtehen, wie
die Taſte niedergedrückt erhalten wurde. Die Depeſchengabe
geſchieht bei dieſem ſelbſtthätigen Zeigertelegraphen mithin da¬
durch, daß der, welcher eine Depeſche geben oder ſprechen will,
wie man es gewöhnlich ausdrückt, auf den Taſten ſeines Appa¬
rates die Depeſche abſpielt. Die Zeiger aller eingeſchalteten
Apparate ſtehen dann bei jedem zu gebenden Zeichen einen
Augenblick ſtill und machen es dadurch den Beobachtern er¬
kenntlich.
An die Zeigertelegraphen ſchließen ſich die eigentlichen
Drucktelegraphen an. Schon Wheatſtone verband mit ſeinem
noch ſehr unvollkommenen Zeigertelegraphen eine Druckvor¬
richtung. Daſſelbe thaten auf andere Weiſe die Conſtructeure
ſpäterer Zeigertelegraphen. Sie beſteht im Weſentlichen immer
darin, daß anſtatt des Zeigers eine Scheibe gedreht wird,
an deren Peripherie ſich gewöhnliche Buchdrucktypen befinden.
Durch Mechanismen, deren Beſchreibung hier übergangen wer¬
den muß, wird der Buchſtabe, bei welchem der Apparat einen
Augenblick ſtill ſteht, auf einem Papierſtreifen abgedruckt, wel¬
cher nach Ausführung des Abdrucks etwas vorrückt, um dem
nächſten Buchſtaben Platz zu machen. Die Depeſche erſcheint
dann auf dem Papierſtreifen wie gewöhnlicher Buchdruck.
Eine weitere Verbeſſerung des Wheatſtone'ſchen Zeigertelegra¬
phen beſteht in der Einführung magnetoelectriſcher Ströme zur
Fortbewegung der Zeiger anſtatt der galvaniſchen Batterieſtröme.
Wenn man die Pole eines Electromagnetes den Polen eines
kräftigen Stahlmagnetes ſchnell nähert, ſo entſteht in den Win¬
dungen des Electromagnetes während der Annäherung ein kurzer
electriſcher Strom. Entfernt man den Electromagnet wieder,
ſo entſteht ein eben ſolcher Strom von entgegengeſetzter Richtung.
Bringt man nun mit der Kurbel des Wheatſtone'ſchen Zeiger¬
telegraphen einen Electromagnet in derartige mechaniſche Ver¬
bindung, daß die Pole deſſelben ſich beim Fortgang der Kurbel
von einem Buchſtaben zum nächſten den Polen eines Stahl¬
magnetes nähern und beim nächſten Schritt der Kurbel wieder
von ihm entfernen, ſo erhält man ſo viel Ströme, wie Buch¬
ſtabenfelder von der Kurbel durchlaufen werden. Durchlaufen
dieſe Ströme anſtatt der Batterieſtröme die Leitung und
die Windungen der Electromagnete der eingeſchalteten Em¬
pfangsſtationen, ſo iſt dadurch das Mittel gegeben, die Zeiger
der letzteren in gleicher Weiſe in Uebereinſtimmung mit der
Kurbel zu erhalten, wie es bei Anwendung galvaniſcher Ströme
der Fall war.
Die bisher beſchriebenen Zeiger- und Drucktelegraphen er¬
halten ſämmtlich den übereinſtimmenden Gang des Empfängers
mit dem Geber durch eine Reihe von kurzen Strömen, von welchen
jeder einzelne oder jedes Paar entgegengeſetzter Ströme die
Zeiger oder Druckräder um einen oder zwei Schritte weiterführt.
Der Engländer Bain conſtruirte einen Drucktelegraphen nach
einem andern Principe. Er ließ die Typenſcheiben durch Uhr¬
werke drehen, welche einen genau gleichen Gang hatten. Durch
einen electriſchen Strom, der den Telegraphendraht durchlief, wur¬
den dieſe Uhrwerke gleichzeitig ausgelöſt und durch Unterbrechung
des Stromes wieder angehalten. Gingen die Uhrwerke wirklich
gleich ſchnell, ſo mußten die Zeiger oder Druckwerke immer
auf demſelben Buchſtaben ſtehen bleiben, wenn ſie vor der In¬
gangſetzung eine gleiche Stellung hatten. Es iſt daher hier nicht
die Zahl der Ströme, ſondern die Zeitdauer der Ströme, welche
die Stellung des Zeigers oder Druckrades beſtimmt. Durch
den Amerikaner Hughes iſt dieſer Apparat in neuerer Zeit we¬
ſentlich verbeſſert und druckt jetzt telegraphiſche Nachrichten mit
einer überraſchenden Sicherheit und Schnelligkeit, die ihm eine
dauernde Verwendung neben dem Morſe'ſchen Schreibtelegraphen¬
ſyſtem zu ſichern ſcheint.
Außer den bisher beſchriebenen drei Telegraphenſyſtemen,
welche in größerem Maßſtabe zur Anwendung gekommen ſind.
dem Nadeltelegraphen, dem Schreib-, und dem Zeiger- und
Drucktelegraphen ſind noch mehrere andere in Vorſchlag gebracht
und auch zur Anwendung gekommen. So ſchlug Vorſſelmann
de Heer ſchon 1839 einen auf die phyſiologiſche Wirkung des
electriſchen Stromes baſirten Telegraphen vor. Die Finger
des Empfängers ſollten bei demſelben in den telegraphiſchen
Schließungskreis eingeſchaltet werden durch Berührung metalli¬
ſcher Knöpfe, welche das Ende der Leitungen bildeten. Jeder
Strom, welcher eine Leitung durchlief, erzeugte dann ein krampf¬
haftes Zucken des betreffenden Fingers, woraus erkannt werden
konnte, in welcher Leitung ein electriſcher Strom erzeugt war
und wie lange derſelbe dauerte. An Stelle des Weckers ſollte
der Telegraphiſt an ſeinem Körper zwei mit den Drähten in
leitender Verbindung ſtehende Metallplatten tragen, welche ihm
dann die fühlbare Aufforderung brachten, ſeine Finger zum
Empfang einer Depeſche auf die Metallknöpfe zu legen!
Wie bereits früher mitgetheilt, verband ſchon Steinheil
mit ſeinen Telegraphen kleine Glocken von verſchiedener Tonhöhe,
durch welche der Empfänger einer Depeſche befähigt wurde, die¬
ſelbe durch das Gehör zu verſtehen. Solche acuſtiſche Telegraphen
ſind ſpäter von Andern mehrfach conſtruirt, ſie konnten aber
ebenſo wenig wie die Nadel- und Zeigertelegraphen den Schreib-
und Drucktelegraphen gegenüber, welche die Depeſchen dauernd
lesbar machen, das Feld behaupten. Dagegen haben ſolche
acuſtiſche Telegraphen, welche nicht vollſtändige Nachrichten,
ſondern einige beſtimmte Signale geben ſollen, eine ſehr allge¬
meine Anwendung gefunden. Man bedient ſich ihrer als Wecker,
um die Aufmerkſamkeit des Telegraphiſten auf ſeinen Empfangs¬
apparat zu lenken, als electriſche Glockenzüge, und beſonders in
Deutſchland in großem Maßſtabe als Signalapparate für die
Beamten der Eiſenbahn, um denſelben den Abgang eines Zuges
von der nächſten Station anzuzeigen. Bei dieſen Läutewerken
der Eiſenbahnen wird die Bewegung der ſchweren Hämmer,
welche die großen auf den Häuschen der Bahnwärter angebrachten
Glocken ertönen laſſen, natürlich nicht vom electriſchen Strome
direct ausgeführt, ſondern durch das Gewicht eines Uhrwerkes,
deſſen Auslöſung durch die Anziehung eines kleinen Magnet¬
ankers durch den electriſchen Strom bewirkt wird.
Auch die zerſetzende oder chemiſche Wirkung des electriſchen
Stromes iſt zur Conſtruction verſchiedenartiger Telegraphen¬
apparate benutzt worden. Bekanntlich war der erſte electriſche
Telegraph, der Sömmering'ſche, ein electrochemiſcher, indem die
Signale durch Waſſerzerſetzung ſichtbar gemacht wurden. Außer
dem Waſſer zerſetzt aber der electriſche Strom auch viele
in Waſſer gelöſte Metallverbindungen, indem er das Metall
aus denſelben abſcheidet. So kann man durch den electriſchen
Strom Kupfer, Silber, Gold, Nickel und andere Metalle auf
der Oberfläche anderer metallener Körper oder auf leitenden
Formen ablagern, wie es bei der galvaniſchen Verſilberung,
Vergoldung und der Galvanoplaſtik geſchieht. Beſonders leicht
und ſchon durch ſehr ſchwache Ströme wird unter andern das
Jodkalium, ſo wie das blauſauere Eiſen durch den electriſchen
Strom zerſetzt. Tränkt man einen Papierſtreifen mit einer Lö¬
ſung derartiger Salze und läßt denſelben im feuchten Zu¬
ſtande durch ein Uhrwerk unter einer Metallſpitze fortziehen,
welche ihn gegen ein unter dem Papierſtreifen befindliches Me¬
tallſtück drückt, ſo hinterläßt die Spitze auf dem Papiere ſo lange
einen dunklen Strich, wie ein Strom von der Spitze durch
das Papier geht. Man kann alſo eine ſolche Einrichtung nach
des Engländers Bain Vorſchlage anſtatt des Morſe'ſchen Tele¬
graphenmechanismus zur Fixirung der Morſeſchrift benutzen.
Der Engländer Bakewell begründete hierauf ſchon im Jahre
1847 ſeinen electrochemiſchen Copirtelegraphen. Dieſer Apparat
erregt dadurch beſonderes Intereſſe, daß er die Handſchrift des
Abſenders der Depeſche ſelbſt oder auch bildliche Darſtellungen
zu reproduciren im Stande iſt. An jedem der beiden Orte,
welche durch einen iſolirten Leitungsdraht mit einander verbunden
ſind, befindet ſich eine metallene Walze. Auf der einen iſt mit
einer iſolirenden Lackdinte die Depeſche geſchrieben oder das zu
telegraphirende Bild gezeichnet. Die Walze der andern Station
iſt mit einem Blatte chemiſch präparirten feuchten Papiers be¬
kleidet. Durch ſorgfältig regulirte Uhrwerke können beide Walzen
in genau gleicher Geſchwindigkeit um ihre Axe gedreht werden.
Auf der Oberfläche jeder Walze ſchleift eine Metallſpitze, welche
mit der anderen durch den iſolirten Leitungsdraht verbunden iſt.
Stehen nun die beiden Metallwalzen ſelbſt durch einen zweiten
Draht oder die Erde in leitender Verbindung mit einander
und iſt in dem ſo hergeſtellten Leitungskreiſe irgendwo eine gal¬
vaniſche Batterie eingeſchaltet, ſo würde er ſtets von einem
Strome durchlaufen und hierdurch auf dem Papierſtreifen ein
ununterbrochener farbiger Strich gebildet werden, wenn nicht durch
die Lackſchicht der Schrift jedesmal eine kurze Unterbrechung des
Stromes herbeigeführt würde, wenn die Spitze über einen
Schriftzug fortgeht. Dieſe Uebergänge über die Schriftzüge
zeigen ſich mithin auf dem Papier als weiße Punkte in der
ſchwarzen Linie. Durch eine einfache Vorrichtung werden die
Spitzen nach jeder Umdrehung der Walzen etwas ſeitwärts
geſchoben. Es wird ſich alſo auf dem Papierblatte eine Schraf¬
firung aus dunklen Linien bilden, in welcher die Buchſtaben oder
die Zeichnung in der hellen Farbe des Papiers ſichtbar ſind.
Ebenſo kann man auch den ganzen Cylinder mit Lackfarbe über¬
ziehen und das zu übertragende Bild oder die Schriftzüge in
den Ueberzug einradiren. Es wird der Strom jetzt nur cirkuliren,
wenn die Spitze eine radirte Stelle trifft und dadurch in me¬
talliſche Verbindung mit der Walze tritt. Das Bild auf dem
Papierblatte wird dann aus ſchwarzen Punkten auf weißem
Grunde beſtehen.
Dieſer Bakewell'ſche Copirtelegraph hat das Intereſſe
des Publicums durch ſeine auf den erſten Blick wunderbar
ſcheinende Leiſtung ſtets in hohem Grade in Anſpruch genom¬
men. Er iſt häufig neu erfunden und vielfach verändert,
ohne dadurch weſentlich verbeſſert zu werden, und man könnte
ihn mit einigem Rechte die telegraphiſche Seeſchlange nennen,
die die Welt von Zeit zu Zeit durch ihr Auftauchen aus der
Vergeſſenheit in Bewegung ſetzt, um dann wieder ſpurlos zu
verſchwinden! In der That wird dies Syſtem nie eine größere
practiſche Bedeutung erlangen, wenn auch die mechaniſchen
Schwierigkeiten vollſtändig überwunden werden. Die Gründe
liegen theils in ſpäter zu erörternden Eigenthümlichkeiten der
Leitungen, welche die Anwendung der electrochemiſchen Tele¬
graphen ſehr erſchweren, hauptſächlich aber darin, daß die Nach¬
bildung der für die Menſchenhand, aber nicht für die telegra¬
phiſche Uebertragung zweckmäßigen Schriftzeichen einer weit grö¬
ßern Zahl von telegraphiſchen Elementarzeichen bedarf, wie ein
Steinheil'ſches oder Morſe'ſches Schriftzeichen, welches ſpeciell
für dieſen Zweck combinirt iſt. Bei Anwendung ſolcher tele¬
graphiſchen Schriftzeichen, welche aus den einfachſten Combi¬
nationen zweier Elementarzeichen beim Morſe'ſchen Alpha¬
bet — des Punktes und Striches — beſtehen, wird man alſo
durch einen Leitungsdraht in derſelben Zeit eine weit größere
Zahl von Depeſchen geben können, wie bei der Copirung der
gebräuchlichen Schriftzeichen der Hand durch den Copir-Tele¬
graphen Bakewell's oder die ſeiner Nachfolger.
Dieſer theoretiſche Vorzug derjenigen Telegraphen, welche
die einfachſten Combinationen von Elementarzeichen für die
Bildung der telegraphiſchen Zeichen benutzen, giebt ihnen auch
den Zeiger- und Lettern-Drucktelegraphen gegenüber ein blei¬
bendes Uebergewicht. Um den Zeiger oder das Typenrad
vom erſten zum letzten Buchſtaben des Alphabetes zu bringen,
ſind, wie früher auseinandergeſetzt iſt, mindeſtens halb ſo viel
Ströme erforderlich, wie daſſelbe Buchſtaben enthält, alſo be¬
darf auch die Herſtellung eines telegraphiſchen Zeichens bei ihnen
einer größeren durchſchnittlichen Zahl von Strömungen wie beim
Morſe'ſchen Telegraphen. Der letztere iſt daher einer größeren
Transmiſſionsgeſchwindigkeit fähig, da die Menge der durch
eine Leitung in einer beſtimmten Zeit zu gebenden Ströme eine
begränzte iſt. Auch der Bain'ſche und der auf daſſelbe Princip
begründete Hughes'ſche Drucktelegraph machen hiervon keine
Ausnahme, obgleich ſie nur eines Stromwechſels zur Darſtel¬
lung eines Letterndruckes bedürfen, da es für die Transmiſſions¬
geſchwindigkeit ganz gleichgültig iſt, ob die Zeit der Drehung
des Typenrades durch einen dauernden Strom oder durch eine
Reihe kurzer Ströme ausgefüllt wird. Entſcheidend iſt nur
die Dauer des einzelnen Stromes, welcher ein Elementar¬
zeichen, alſo den Fortgang des Druckrades, um einen Schritt,
auszuführen im Stande iſt und die mittlere Zahl oder das
ihr entſprechende Zeitintervall ſolcher Strömungen, das zur
Herſtellung eines telegraphiſchen Zeichens durchſchnittlich erfor¬
derlich iſt. Bei kürzeren Telegraphenlinien, bei welchen die Koſten
der Anlage und Erhaltung der Leitung nicht, wie bei langen
Linien, ſehr überwiegend über die Koſten der Arbeit der De¬
peſchenbeförderung ſind, kommt es jedoch weniger darauf an,
möglichſt viele Depeſchen in einer beſtimmten Zeit durch einen
Leitungsdraht ſchicken zu können, als vielmehr darauf, die Ar¬
beit des Gebens und Empfangens möglichſt klein zu machen.
Die Richtung, in welcher die Telegraphie ſich weiter entwickeln
wird, muß alſo aller Wahrſcheinlichkeit nach die ſein, daß für
die Korreſpondenz entfernter Orte und Länder mit einander die
Uebertragung der Morſeſchrift auf mechaniſchem Wege, für die
Korreſpondenz näher an einander liegender Orte dagegen der
Letterndruck in allgemeine Anwendung kommen wird.
Wie aus der obigen Schilderung der allmähligen Ent¬
wickelung des Gedankens der electriſchen Telegraphie zu den
jetzt gebräuchlichen Inſtrumenten hervorgeht, waren es haupt¬
ſächlich practiſche Schwierigkeiten, welche erſt im Laufe der Zeit
überwunden wurden. Der Gelehrte konnte leicht Methoden und
Combinationen erſinnen, welche telegraphiſche Mittheilungen
möglich machten und welche ſich auch, im Zimmer verſucht, treff¬
lich bewährten. In Wirklichkeit trat aber ein neues ſchlimmes
Element hinzu, welches ſeine Pläne durchkreuzte — die iſolirte
Leitung zwiſchen den telegraphiſch zu verbindenden Orten.
Um die großen Schwierigkeiten, welche dieſe herbeiführte, rich¬
tig würdigen zu können, muß man ſich klar machen, welche Anfor¬
derungen an eine gute Leitung geſtellt werden müſſen und wel¬
chen Gefahren aller Art dieſelbe ausgeſetzt iſt. Der Leitungs¬
draht muß nicht nur in ununterbrochenem metalliſchen Zuſam¬
menhange von einem Ende bis zum anderen ſtehen, er darf
auf dieſem ganzen langen Wege an keinem einzigen Punkte in
gut leitender Verbindung mit dem Erdboden ſtehen. Eine ſolche
leitende Verbindung wird durch jeden metalliſchen oder auch
nur feuchten Körper, welcher gleichzeitig den Draht und die Erde
berührt, ja ſogar durch die benetzte Oberfläche eines nichtleiten¬
den Körpers hergeſtellt! Hätte man alſo auch den Draht mit
Glas, Porzellan oder Kautſchouk von den hölzernen, im trocknen
Zuſtande ſelbſt ſchon ziemlich gut iſolirenden Pfoſten, die ihn
vom Erdboden entfernt halten, getrennt, ſo benetzte doch jeder
an irgend einer Stelle der Leitung eintretende Regenfall die
Oberfläche der Iſolatoren und ſtellte eine leitende Verbindung
mit dem Erdboden her, durch welche die Electricität dieſem
direct zugeführt wurde, anſtatt den großen Umweg durch den
Apparat der entfernten Station hindurch zu machen. Selbſt
bei trocknem Wetter gefährden die leitenden Blätter der Bäume,
wenn ſie durch den Wind an den Draht getrieben werden, deſ¬
ſen Iſolation. Jede Gewitterwolke, die ſich an irgend einer
Stelle der Leitung dieſer nähert oder von ihr entfernt, jede
Störung des magnetiſchen Gleichgewichtes der Erde, wie ſie
namentlich bei Nordlichten ſtark auftritt, erzeugt electriſche Ströme
in der Leitung, welche ebenſo wie die unvollſtändige und ver¬
änderliche Iſolation derſelben die regelmäßige Function der Ap¬
parate ſtören. Ein in die Leitung irgendwo einſchlagender Blitz
zerſtört oft ganze Strecken derſelben und mit ihr die Apparate
der benachbarten Stationen, wenn ſie nicht durch gute Blitzab¬
leiter vor ſeiner Wirkung geſchützt ſind. Berückſichtigt man hier¬
bei noch die unzähligen Ereigniſſe aller Art, welche Drähten,
Iſolatoren und Pfoſten Zerſtörung drohen, ſo erſcheint es noch
jetzt oft wunderbar, daß Leitungen, welche ununterbrochen die
halbe Erdperipherie umkreiſen, in oft längere Zeit ungeſtör¬
tem Betriebe ſein können.
Erſt allmählig lehrte Nachdenken und Erfahrung dieſe ſtö¬
renden und zerſtörenden Einflüſſe entweder zu beſeitigen oder
doch unſchädlich zu machen. Durch die Glockenform der Iſola¬
toren wurde eine ſtets trocken bleibende Oberfläche des Iſola¬
tors gebildet, welche die Iſolirung des Drahtes auch bei Re¬
genwetter ſicherte. Dicke Eiſendrähte, die man anſtatt der kupfer¬
nen verwendete, widerſtanden dem Sturme, dem Reife und der
Zerſtörung durch den Blitz und Muthwillen beſſer wie die frü¬
heren kupfernen Daſſelbe thaten ſtarke Pfoſten, die man an
Stelle der früheren dünnen Stangen verwendete. Endlich lernte
man die telegraphiſchen Apparate ſo zu conſtruiren, daß ſie auch
bei großen Schwankungen der Stromſtärke noch ungeſtört und
richtig functionirten.
Nicht mit Unrecht erſchien den Männern, welche zuerſt den
Gedanken des electriſchen Telegraphen faßten und pflegten, die
eben geſchilderten Schwierigkeiten der oberirdiſchen Leitungen
ſo unüberwindlich groß, daß ſie es viel leichter ausführbar hiel¬
ten, die Leitungsdrähte mit einem iſolirenden Ueberzuge zu ver¬
ſehen und ſo in den Boden einzugraben. Sömmering wollte
ſeine 27 Drähte einzeln mit Seide überſpinnen und dann zu¬
ſammen durch Glas- oder Thonröhren vom Erdboden iſoliren.
Gauß und Weber, ſo wie auch Steinheil, benutzten zwar
ſchon oberirdiſche Leitungen, doch widerſtanden dieſelben nur
kurze Zeit den zerſtörenden Einflüſſen aller Art und gaben auch
während ihrer Dauer zu fortwährenden Störungen der Depeſchen¬
beförderung Veranlaſſung.
Den Amerikanern und Engländern gelang es zuerſt, die
Schwierigkeiten der oberirdiſchen Drahtführung einigermaßen
zu überwinden. Auf dem europäiſchen Continente verſuchte man
dagegen anfänglich das unterirdiſche Leitungsſyſtem practiſch
durchzuführen, da man hier mehr wie in jenen Ländern muth¬
willige Zerſtörung der aller Welt ſichtbaren und zugänglichen
oberirdiſchen Leitungen fürchtete. Jacobi in Petersburg machte
ausgedehnte Verſuche mit Kupferdrähten, die durch Umwindung
mit Kautſchouk und durch übergezogene Glasröhren vom Erd¬
boden iſolirt wurden. Es zeigte ſich aber bald, daß auf die¬
ſem Wege keine ausreichende Iſolation erreicht wurde, da die
Feuchtigkeit des Bodens durch die Nähte des Kautſchouks und
die Verbindungsſtellen der Glasröhren ſich einen Weg zum
Drahte bahnte und die letzteren auch häufig zerbrachen. In
Preußen begann man zwar mit oberirdiſchen Drähten, ward
aber durch die häufig eintretenden Störungen wieder davon
zurückgeſchreckt. Nachdem man dann den von Jacobi betretenen
Weg geprüft und ebenfalls als unbrauchbar erkannt hatte, ver¬
ſuchte man auf einem anderen, vielverſprechenden Wege die
Herſtellung ſicherer unterirdiſcher Leitungen. Es war im Jahre
1846 ein neues Material, die gutta percha, bekannt geworden,
welche viele Eigenſchaften, worunter die ausgezeichnete iſolirende
Eigenſchaft, mit dem Kautſchouk gemein hat, ſich aber von dem¬
ſelben weſentlich dadurch unterſcheidet, daß ſie im erwärmten
Zuſtande einen plaſtiſchen Teig bildet. Die Schwierigkeit, die¬
ſen Teig zu einer den Draht eng umſchließenden Röhre ohne
Naht zu formen, wurde durch eine eigenthümliche Maſchine be¬
ſeitigt, welche die weiche gutta percha durch ſtarken Druck con¬
tinuirlich um die die Maſchine paſſirenden Drähte legte. Die
ſo hergeſtellten Leitungen waren in der That vollſtändig aus¬
reichend iſolirt und functionirten auf den ausgedehnten Linien,
die in Norddeutſchland in den nächſten Jahren in zu großer
Uebereilung angelegt wurden, mit vollſtändiger Sicherheit. Die
Schwierigkeiten der Auffindung fehlerhafter Stellen und un¬
zählige andere wurden zwar ebenfalls glücklich überwunden —
es ſtellte ſich aber trotzdem bald heraus, daß die Leitungen, die
ohne beſonderen äußeren Schutz in den Boden gelegt wurden,
unhaltbar waren. Die gutta percha wurde von Ratten und
Mäuſen zernagt und wurde namentlich durch den Sauerſtoff der
Luft, welcher durch den lockeren Boden bis zu den Drähten ge¬
langte, dergeſtalt verändert, daß ſie ihren Zuſammenhang und
ihre iſolirende Fähigkeit ſchon nach wenig Jahren einbüßte.
Seit dieſen ungünſtigen Erfahrungen iſt man überall, wo
22. 3
ſie irgend anwendbar ſind, zu oberirdiſchen Leitungen überge¬
gangen, die inzwiſchen weſentliche Verbeſſerungen erfahren ha¬
ben. Faſt alle europäiſchen Bänder ſind jetzt von einem eiſer¬
nen Drahtnetz überſpannt, durch welches der electriſche Bote die
Gedanken und Nachrichten der Menſchen in wunderbarer Ge¬
ſchwindigkeit von Ort zu Ort, vom atlantiſchen Meere zum in¬
diſchen und ſtillen Ocean befördert! Der ſtets wachſende tele¬
graphiſche Verkehr macht natürlich eine immer größer werdende
Zahl von Leitungsdrähten erforderlich, die in manchen Ge¬
genden ſchon ſchwer an den Pfoſten, welche ſchon alle Eiſen¬
bahnen und viele Straßen begleiten, in der für die ſichere Iſo¬
lirung nöthigen Entfernung von einander anzubringen ſind.
Dieſe Schwierigkeit und die Erfahrung, daß mit der Zahl der
Drähte die Sicherheit jedes einzelnen ſich vermindert, wird
wahrſcheinlich mit der Zeit wieder zum verlaſſenen unterirdiſchen
Syſteme zurückführen. Für dieſes iſt jetzt durch die Entwickelung
der unterſeeiſchen oder ſubmarinen Telegraphie eine beſſere Er¬
fahrungsgrundlage gegeben. Verſuche, breite Flüſſe und kleine
Meeresarme durch Verſenkung iſolirter Drähte telegraphiſch zu
unterbrücken, waren ſchon vor den preußiſchen Verſuchen mehr¬
fach angeſtellt, doch immer mit ungünſtigem Erfolge. Erſt die
um die Drähte gepreßte gutta percha bot ein Mittel der ſicheren
Iſolirung und machte ſubmarine Leitungen möglich. Die erſten
auf dieſe Weiſe hergeſtellten Unterwaſſerleitungen waren eine
im Frühjahr des Jahres 1848 ausgeführte Leitung im Kieler
Hafen zur Entzündung von unterſeeiſchen Minen, welche gegen
die däniſchen Kriegsſchiffe angelegt wurden, und der Uebergang
über den Rhein bei Cöln. Bald darauf bemächtigten die Eng¬
länder ſich dieſes Mittels zur Herſtellung größerer ſubmariner
Leitungen. Die mit gutta percha umpreßten Drähte wurden
zu dem Zwecke erſt mit getheertem Hanf und dann mit Eiſen¬
drähten dicht umwunden, wodurch ſie eine große Feſtigkeit er¬
hielten und vor äußeren Beſchädigungen geſchützt waren. Ein
ſolches electriſches Drahtſeil oder Kabel wird in ähnlicher Weiſe,
wie die Schiffer ihre Seile zuſammenrollen, in den Raum des
zum Auslegen beſtimmten Dampfſchiffes eingelegt. Iſt das Schiff
an dem Küſtenpunkte angekommen, von wo die Legung beginnen
ſoll, ſo wird zuerſt vom Lande aus, durch die Brandung hin¬
durch bis zum tiefen Waſſer, ein mit ſehr dicken Eiſendrähten
umwundenes, ſogenanntes Küſtenkabel gelegt, welches der Zer¬
ſtörung mehr widerſteht wie das dünnere, für das tiefe Waſſer,
wo dieſe Gefahren weit geringer ſind, beſtimmte Kabel. Nach¬
dem das Ende dieſes Küſtenkabels mit dem zuletzt eingelegten
Ende des auf dem Schiffe befindlichen Kabels ſicher verbunden
iſt, beginnt das Schiff ſeine Fahrt zum anderen Küſtenpunkte.
Iſt es hier wieder glücklich in flachem Waſſer angekommen, ſo
wird das Ende des Tiefſeekabels wieder mit dem ſchon im
Voraus gelegten Küſtenkabel verbunden, wodurch die telegra¬
phiſche Verbindung dann vollendet iſt.
Dieſe ſo einfach erſcheinende Operation iſt aber trotzdem
ein ſehr ſchwieriges und gefahrvolles Unternehmen, beſonders
dann, wenn die Waſſertiefe groß iſt. Während das Schiff durch
die Kraft ſeiner Maſchine dem Ziele zueilt, und das Kabel über
eine neben dem Steuer angebrachte Rolle dem Meere zugeführt
wird, ſinkt es hinter dem Schiffe in Folge der Schwerkraft
langſam bis zum Boden des Meeres. Würde das Kabel durch
keine dieſer Schwere entgegenwirkende Kraft auf dem Schiffe
zurückgehalten, ſo würde es in großer Geſchwindigkeit auf der
vom Waſſer gebildeten ſchiefen Ebene in die Tiefe hinabgleiten.
Um dies zu verhindern, muß es durch Bremsvorrichtungen mit
einer Kraft zurückgehalten werden, welche dem Gewicht eines
ſenkrecht vom Schiffe bis zum Meeresboden hinabhängenden
Kabelſtückes möglichſt genau gleich iſt. Bei großer Meerestiefe,
die oft eine halbe geographiſche Meile überſteigt, iſt dieſe Kraft
3*
ſo bedeutend, daß die Gefahr des Reißens des Kabels bei der
geringſten Störung groß wird. Wird die Auslegemaſchine auch
nur einen Augenblick unbrauchbar, oder wird das Kabel durch
andere Gründe, durch Verwickelung oder in Folge des häufig
vorkommenden Brechens eines Umhüllungsdrahtes, auf dem
Wege aus dem Schiffsbauche bis zum Waſſer feſtgehalten, ſo
iſt es in tiefem Waſſer gewöhnlich verloren. Doch auch ohne
zu reißen, kann das Kabel unbrauchbar werden, wenn die iſo¬
lirende Hülle des Drahtes die geringſte Beſchädigung hat
oder erhält, durch welche das Waſſer Zutritt zum Leitungsdrahte
findet. Durch die ſorgfältigſte Prüfung, während und nach der
Anfertigung, hat man ſich zwar vorher überzeugt, daß der iſo¬
lirende Ueberzug fehlerfrei iſt, aber der ſtarke Zug, dem das
Kabel während der Legung ausgeſetzt wird, bringt doch hin
und wieder Iſolationsfehler zum Vorſchein, die vorher nicht zu
bemerken waren. Es muß das Kabel daher während der Le¬
gung einer unausgeſetzten elektriſchen Prüfung unterworfen wer¬
den. Zeigt ſich ein Iſolationsfehler, ſo muß die Legung ſofort
unterbrochen und der zuletzt gelegte Theil des Kabels wieder
in das Schiff zurückgewunden werden. Aus den angeſtellten
electriſchen Strommeſſungen muß dann die Lage des Fehlers
beſtimmt und die Reparatur darauf ausgeführt werden. Reißt
das Kabel hierbei, ſo iſt zwar der bisher gelegte Theil deſſel¬
ben verloren, aber doch wenigſtens der noch auf dem Schiffe
befindliche Theil gerettet.
Auf eine nähere Beſchreibung der Einrichtungen und Unter¬
ſuchungsmethoden, mit Hülfe deren es gelungen iſt, die große
Unſicherheit der Anfertigung und Legung der ſubmarinen Ka¬
bel nach und nach ſo weit zu beſeitigen, daß im Laufe dieſes
Jahres ſogar das große bisherige Problem der Telegraphie,
die Herſtellung einer directen telegraphiſchen Leitung zwiſchen
Europa und Amerika glücklich gelöſt werden konnte, kann we¬
gen des begränzten Raumes und Zweckes dieſer Blätter hier
nicht näher eingegangen werden.
Dieſe telegraphiſche Verbindung der Weſtküſte Irlands mit
der Küſte von New-Foundland iſt nicht nur bemerkenswerth
wegen der glücklich durchgeführten fehlerfreien Anfertigung und
Legung des ca. 300 deutſche Meilen langen Kabels, ſondern auch
wegen der unerwartet großen Geſchwindigkeit und Sicherheit, mit
welcher die Depeſchenbeförderung durch daſſelbe erfolgt!
Bereits im Jahre 1848 erkannte man eine eigenthümliche
Eigenſchaft der von Berlin ausgehenden unterirdiſchen Leitun¬
gen. Dieſe beſteht darin, daß der electriſche Strom nicht, wie
bei oberirdiſchen Leitungen, in ſeiner ganzen Länge gleichzeitig
und im ſelben Augenblicke, in welchem man den Leitungskreis
mit dem freien Pole einer electriſchen Batterie berührt, auf¬
tritt, ſondern daß der Strom etwas ſpäter am entfernten Ende
der Leitung beginnt wie an dem der Batterie zugewendeten.
Es hat dies darin ſeinen Grund, daß der Draht mit der ſeine
iſolirende Hülle umgebenden feuchten Erde eine Leydener Flaſche
bildet, in welcher die Electricität ſich anſammelt. Die aus der
galvaniſchen Batterie in den unterirdiſchen oder unterſeeiſchen
Draht eintretende Electricität muß daher zunächſt dazu ver¬
wandt werden, die große Leydener Flaſche, welche er bildet, mit
Electricität zu füllen oder ſie zu laden, und erſt nachdem dies
geſchehen iſt, kann der Strom am entfernten Ende der Leitung
beginnen. Wird die Verbindung des Drahtes mit der galvani¬
ſchen Batterie unterbrochen, ſo hört die Urſache der Ladung auf
und die auf der Oberfläche des Drahtes angeſammelt ruhende
Electricität fließt nun durch das entfernte Ende der Leitung
zur Erde, wodurch die Flaſche ſich wieder entladet. Der
Strom beginnt alſo nicht nur ſpäter am entfernten Ende der
Leitung, ſondern hört auch ſpäter wieder auf. Man kann ſich
dieſen Vorgang ungefähr ſo vorſtellen, als wenn man durch ein
langes dünnes Rohr mit elaſtiſchen Wänden Luft pumpen wollte.
In der Nähe der Pumpe würde ſich das Rohr bei jedem Pum¬
penſtoße durch den elaſtiſchen Druck der hineingetriebenen Luft
erweitern. Dieſe Erweiterung würde in abnehmendem Maaße
bis zum andern offenen Ende des Rohres fortgehen und der
Austritt der Luft aus demſelben würde erſt in voller Stärke
beginnen, wenn das Rohr eine kegelförmige Form angenommen
hätte. Nach Vollendung des Pumpenſtoßes würde das Rohr
ſich wieder auf ſeinen normalen Durchmeſſer zuſammenziehen
und die überflüſſige Luft aus dem entfernten Rohrende hin¬
ausgehen. Würde ein zweiter Kolbenſtoß beginnen, bevor dieſe
Ausſtrömung vorüber iſt, ſo würde die Luft nicht ſtoßweiſe
aus dem entfernten Ende hervortreten, ſondern der Strom
würde gar nicht mehr aufhören, und ſtets Luft ausfließen, wenn
auch in wechſelnder Geſchwindigkeit.
Aehnlich iſt das Verhalten der Electricität in der unter¬
irdiſchen Leitung oder dem unterſeeiſchen Kabel. Folgen die
electriſchen Strömungen, durch welche man eine Nachricht
geben will, zu ſchnell auf einander, ſo wird ein ununter¬
brochener Strom am anderen Ende zum Vorſchein kommen,
welcher zwar kleine Schwankungen in ſeiner Stärke zeigt,
aber die Dauer der einzelnen gegebenen Ströme nicht mehr
klar erkennen, geſchweige mechaniſch dauernd ſichtbar machen
läßt. Man muß alſo auf unterſeeiſchen Linien weit langſamer
ſprechen als auf oberirdiſchen, um klare Zeichen zu erhalten.
Durch Anwendung von Wechſelſtrömen, das heißt von ab¬
wechſelnd poſitiven und negativen Strömen, hat man dieſe
ſtörenden Einflüſſe zwar weſentlich vermindert und das Spre¬
chen durch lange unterſeeiſche Leitungen ſicherer gemacht und
beſchleunigt; ſie ganz zu beſeitigen, wird aber nie möglich
werden. Beim atlantiſchen Kabel wendet man jetzt Empfangs-
Inſtrumente an, welche im Princip ganz mit denen, welche
Gauß und Weber benutzten, übereinſtimmen. Es ſind dies
Spiegelgalvanometer, d. h. Magnetnadeln, an welchen kleine
Spiegel befeſtigt ſind. Der Beobachter ſieht in dieſem Spiegel
das Bild einer kleinen Flamme — wie du Bois-Reymond dies
bei ſeinen Vorleſungen zur Sichtbarmachung ſchwacher Nerven
und Muskelſtröme zuerſt benutzte. Aus dem Hin- und Zurück¬
zucken des Flämmchens, das durch die ſehr ſchwachen Ströme
bewirkt wird, die als Endreſultat der kräftigen Wechſelſtröme,
welche in die Leitung geſchickt werden, am empfangenden Ende
der Leitung zum Vorſchein kommen, muß der Beobachter den
Sinn der Depeſchen entziffern.
Bei oberirdiſchen Leitungen ſind die Ladungserſcheinungen,
welche die Benutzung langer unterſeeiſcher und unterirdiſcher
Leitungen ſo ſehr erſchweren, wie ſchon geſagt, kaum bemerkbar.
Man kann aber dennoch auch eine oberirdiſche Leitung als eine
Leydener Flaſche anſehen, bei der der Draht und der Erdboden
die Belegungen und die zwiſchen Draht und Erde befindliche
Luft die iſolirende Glaswand vertritt. Auch der oberirdiſche
Leitungsdraht muß mithin mit Electricität geladen werden, be¬
vor der Strom am entfernten Ende beginnen kann. Der hier¬
durch bedingte Zeitverluſt iſt aber wegen des geringen Faſſungs¬
vermögens dieſer Drahtflaſche ſo gering, daß er beim Telegra¬
phiren durch die Hand nicht in Betracht kommt. Dagegen
tritt er ſchon merklich auf beim mechaniſchen Telegraphiren, bei
welchem man ſich der Gränze der Leiſtungsfähigkeit des Lei¬
tungsdrahtes ſchon nähert. Je länger und dünner dieſer iſt,
deſto geringer iſt die Zahl der telegraphiſchen Zeichen, die man
durch ihn in derſelben Zeit befördern kann. Auch aus dieſem
Grunde iſt es nicht zweckmäßig, zu lange Leitungskreiſe zu be¬
nutzen, und vortheilhafter Translationsſtationen einzuſchieben,
wenn die Depeſchen ſehr lange Wegſtrecken zu durchlaufen haben.
Die Frage, welches die größte Geſchwindigkeit iſt, mit
welcher ein Draht Depeſchen zu befördern im Stande iſt, kann
nach Obigem nicht allgemein beantwortet werden, da dieſelbe
von der Zeit, welche der electriſche Strom gebraucht, um am
anderen Ende der Leitung aufzutreten, oder, wie man es auch
mit Unrecht ausdrückt, von der Geſchwindigkeit der Electricität
im Drahte abhängt, und da dieſe Zeit von der Länge und dem
Querſchnitte des Drahtes und von ſeiner Entfernung von anderen
Leitern, ſowie auch von der größeren oder geringeren Leitungs¬
fähigkeit des Metalles, aus dem er beſteht, abhängig iſt. Durch
Rechnung hat man gefunden, daß die wirkliche Geſchwindigkeit
der Electricität ſelbſt größer iſt wie die des Lichtes, alſo über
40,000 deutſche Meilen in der Secunde. Da man aber keinen
Draht ausſpannen kann, der keine Flaſchenwirkung hat, ſo iſt
die Fortpflanzung der electriſchen Wirkung in allen telegraphi¬
ſchen Leitern eine weit geringere, beſonders bei unterſeeiſchen
Drähten, bei welchen jene beſonders groß iſt. Zuverläſſige
Verſuche über die wirkliche Größe derſelben liegen noch nicht vor.
Wie man ſieht, haben Wiſſenſchaft und Technik noch ein
weites Arbeitsfeld vor ſich, um die Telegraphie theoretiſch und
practiſch ſo fortzubilden, daß ſie den täglich größer werdenden
Anforderungen, welche das ſociale Leben an ſie ſtellt, dauernd
genügen könne!