Erſte Scene
Edelhof des Freiherrn von Attinghauſen
Ein gothiſcher Saal mit Wappenſchildern und Helmen verziert. Der
Freiherr ein Greis von fuͤnf und achtzig Jahren, von
hoher edler Statur, an einem Stabe worauf ein Gemſenhorn,
und in ein Pelzwams gekleidet. Kuoni und noch ſechs
Knechte ſtehen um ihn her mit Rechen und Senſen —
Ulrich von Rudenz tritt ein in Ritterkleidung.
Rudenz
Hier bin ich Oheim — Was iſt euer Wille?
Attinghauſen
Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch
Den Fruͤhtrunk erſt mit meinen Knechten theile.
(er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herum-
geht)
Sonſt war ich ſelber mit in Feld und Wald,
Mit meinem Auge ihren Fleiß regierend,
Wie ſie mein Banner fuͤhrte in der Schlacht,
Jezt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen,
Und kommt die warme Sonne nicht zu mir,
Ich kann ſie nicht mehr ſuchen auf den Bergen.
Und ſo in enger ſtets und enger’m Kreis,
Beweg’ ich mich dem engeſten und lezten,
Wo alles Leben ſtill ſteht, langſam zu,
Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Nahme.
Kuoni
(zu Rudenz mit dem Becher)
Ich bring’s euch, Junker.
(da Rudenz zaudert den Becher zu nehmen)
Trinket friſch! Es geht
Aus Einem Becher und aus Einem Herzen.
Attinghauſen
Geht Kinder, und wenn’s Feierabend iſt,
Dann reden wir auch von des Land’s Geſchaͤften.
(Knechte gehen ab)
Attinghauſen und Rudenz
Attinghauſen
Ich ſehe dich geguͤrtet und geruͤſtet,
Du willſt nach Altorf in die Herrenburg?
Rudenz
Ja Oheim, und ich darf nicht laͤnger ſaͤumen —
Attinghauſen (ſezt ſich)
Haſt du’s ſo eilig? Wie? Iſt deiner Jugend
Die Zeit ſo karg gemeſſen, daß du ſie
An deinem alten Oheim mußt erſparen?
Rudenz
Ich ſehe, daß ihr meiner nicht beduͤrft,
Ich bin ein Fremdling nur in dieſem Hauſe.
Attinghauſen
(hat ihn lange mit den Augen gemuſtert)
Ja leider biſt du’s. Leider iſt die Heimat
Zur Fremde dir geworden! — Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangſt du,
Die Pfauenfeder traͤgſt du ſtolz zur Schau,
Und ſchlaͤgſt den Purpurmantel um die Schultern,
Den Landmann blickſt du mit Verachtung an,
Und ſchaͤmſt dich ſeiner traulichen Begruͤßung.
Rudenz
Die Ehr’, die ihm gebuͤhrt, geb’ ich ihm gern,
Das Recht, das er ſich nimmt, verweigr’ ich ihm.
Attinghauſen
Das ganze Land liegt unter’m ſchweren Zorn
Des Koͤnigs — Jedes Biedermannes Herz
Iſt kummervoll ob der tyranniſchen Gewalt
Die wir erdulden — Dich allein ruͤhrt nicht
Der allgemeine Schmerz — Dich ſiehet man
Abtruͤnnig von den Deinen auf der Seite
Des Landesfeindes ſtehen, unſrer Noth
Hohnſprechend nach der leichten Freude jagen,
Und buhlen um die Fuͤrſtengunſt, indeß
Dein Vaterland von ſchwerer Geiſſel blutet.
Rudenz
Das Land iſt ſchwer bedraͤngt — Warum mein Oheim?
Wer iſt’s, der es geſtuͤrzt in dieſe Noth?
Es koſtete ein einzig leichtes Wort,
Um augenblicks des Dranges los zu ſeyn,
Und einen gnaͤd’gen Kaiſer zu gewinnen.
Weh ihnen, die dem Volk die Augen halten,
Daß es dem wahren Beſten widerſtrebt.
Um eignen Vortheils willen hindern ſie,
Daß die Waldſtaͤtte nicht zu Oeſtreich ſchwoͤren,
Wie ringsum alle Lande doch gethan.
Wohl thut es ihnen, auf der Herrenbank
Zu ſitzen mit dem Edelmann — den Kaiſer
Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu haben.
Attinghauſen
Muß ich das hoͤren und aus deinem Munde!
Rudenz
Ihr habt mich aufgefodert, laßt mich enden.
— Welche Perſon iſt’s, Oheim, die ihr ſelbſt
Hier ſpielt? Habt ihr nicht hoͤhern Stolz, als hier
Landammann oder Bannerherr zu ſeyn
Und neben dieſen Hirten zu regieren?
Wie? Iſt’s nicht eine ruͤhmlichere Wahl,
Zu huldigen dem koͤniglichen Herrn,
Sich an ſein glaͤnzend Lager anzuſchließen,
Als eurer eig’nen Knechte Pair zu ſeyn,
Und zu Gericht zu ſitzen mit dem Bauer?
Attinghauſen
Ach Uly! Uly! Ich erkenne ſie
Die Stimme der Verfuͤhrung! Sie ergriff
Dein ofnes Ohr, ſie hat dein Herz vergiftet.
Rudenz
Ja ich verberg’ es nicht — in tiefer Seele
Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns
Den Baurenadel ſchelten — Nicht ertrag’ ich’s,
Indeß die edle Jugend rings umher
Sich Ehre ſammelt unter Habsburgs Fahnen,
Auf meinem Erb’ hier muͤſſig ſtill zu liegen,
Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz
Des Lebens zu verlieren — Anderswo
Geſchehen Thaten, eine Welt des Ruhms
Bewegt ſich glaͤnzend jenſeits dieſer Berge —
Mir roſten in der Halle Helm und Schild,
Der Kriegstrommete muthiges Getoͤn,
Der Heroldsruf,der zum Turniere ladet,
Er dringt in dieſe Thaͤler nicht herein,
Nichts als den Kuhreih’n und der Heerdeglocken
Einfoͤrmiges Gelaͤut vernehm’ ich hier.
Attinghauſen
Verblendeter, vom eiteln Glanz verfuͤhrt!
Verachte dein Geburtsland! Schaͤme dich
Der uralt frommen Sitte deiner Vaͤter!
f
Mit heißen Thraͤnen wirſt du dich dereinſt
Heim ſehnen nach den vaͤterlichen Bergen,
Und dieſes Heerdenreihens Melodie,
Die du in ſtolzem Ueberdruß verſchmaͤhſt,
Mit Schmerzensſehnſucht wird ſie dich ergreifen,
Wenn ſie dir anklingt auf der fremden Erde.
O maͤchtig iſt der Trieb des Vaterlands!
Die fremde falſche Welt iſt nicht fuͤr dich,
Dort an dem ſtolzen Kaiſerhof bleibſt du
Dir ewig fremd mit deinem treuen Herzen!
Die Welt, ſie fodert andre Tugenden,
Als du in dieſen Thaͤlern dir erworben.
— Geh’ hin, verkaufe deine freie Seele,
Nimm Land zu Lehen, werd’ ein Fuͤrſtenknecht,
Da du ein Selbſtherr ſeyn kannſt und ein Fuͤrſt
Auf deinem eignen Erb’ und freien Boden.
Ach Uly! Uly! Bleibe bei den Deinen!
Geh’ nicht nach Altdorf — O verlaß ſie nicht
Die heilge Sache deines Vaterland’s!
— Ich bin der lezte meines Stamms. Mein Nahme
Endet mit mir. Da haͤngen Helm und Schild,
Die werden ſie mir in das Grab mitgeben.
Und muß ich denken bei dem letzten Hauch,
Daß du mein brechend Auge nur erwarteſt,
Um hinzugeh’n vor dieſen neuen Lehenhof,
Und meine edeln Guͤter, die ich frei
Von Gott empfieng, von Oeſtreich zu empfangen!
Rudenz
Vergebens widerſtreben wir dem Koͤnig,
Die Welt gehoͤrt ihm, wollen wir allein
Uns eigenſinnig ſteifen und verſtocken,
Die Laͤnderkette ihm zu unterbrechen,
Die er gewaltig rings um uns gezogen?
Sein ſind die Maͤrkte, die Gerichte, ſein
Die Kaufmannsſtraßen, und das Saumroß ſelbſt,
Das auf dem Gotthardt ziehet, muß ihm zollen.
Von ſeinen Laͤndern wie mit einem Netz
Sind wir umgarnet rings und eingeſchloſſen.
— Wird uns das Reich beſchuͤtzen? Kann es ſelbſt
Sich ſchuͤtzen gegen Oeſtreich’s wachſende Gewalt?
Hilft Gott uns nicht, kein Kaiſer kann uns helfen.
Was iſt zu geben auf der Kaiſer Wort,
f 2
Wenn ſie in Geld- und Krieges-Noth die Staͤdte,
Die unter’n Schirm des Adlers ſich gefluͤchtet,
Verpfaͤnden duͤrfen und dem Reich veraͤuſern?
— Nein Oheim! Wohlthat iſt’s und weiſe Vorſicht,
In dieſen ſchweren Zeiten der Partheiung,
Sich anzuſchließen an ein maͤchtig Haupt.
Die Kaiſerkrone geht von Stamm zu Stamm,
Die hat fuͤr treue Dienſte kein Gedaͤchtniß,
Doch um den maͤcht’gen Erbherrn wohl verdienen,
Heißt Saaten in die Zukunft ſtreu’n.
Attinghauſen
Biſt du ſo weiſe?
Willſt heller ſeh’n als deine edeln Vaͤter,
Die um der Freiheit koſtbar’n Edelſtein
Mit Gut und Blut und Heldenkraft geſtritten?
— Schiff nach Lucern hinunter, frage dort,
Wie Oeſtreich’s Herrſchaft laſtet auf den Laͤndern!
Sie werden kommen, unſre Schaaf’ und Rinder
Zu zaͤhlen, unſre Alpen abzumeſſen,
Den Hochflug und das Hochgewilde bannen
In unſern freien Waͤldern, ihren Schlagbaum
An unſre Bruͤcken, unſre Thore ſetzen,
Mit unſrer Armuth ihre Laͤnderkaͤufe,
Mit unſerm Blute ihre Kriege zahlen —
— Nein, wenn wir unſer Blut dran ſetzen ſollen,
So ſey’s fuͤr uns — wohlfeiler kaufen wir
Die Freiheit als die Knechtſchaft ein!
Rudenz
Was koͤnnen wir,
Ein Volk der Hirten gegen Albrechts Heere!
Attinghauſen
Lern’ dieſes Volk der Hirten kennen, Knabe!
Ich kenn’s, ich hab’ es angefuͤhrt in Schlachten,
Ich hab’ es fechten ſehen bei Favenz.
Sie ſollen kommen, uns ein Joch aufzwingen,
Das wir entſchloſſen ſind, nicht zu ertragen!
— O lerne fuͤhlen, welches Stamm’s du biſt!
Wirf nicht fuͤr eiteln Glanz und Flitterſchein
Die aͤchte Perle deines Werthes hin —
Das Haupt zu heißen eines freien Volks,
Das dir aus Liebe nur ſich herzlich weiht,
f 3
Das treulich zu dir ſteht in Kampf und Tod —
Das ſei dein Stolz, des Adels ruͤhme dich —
Die angebohr’nen Bande knuͤpfe feſt,
An’s Vaterland, an’s theure, ſchließ dich an,
Das halte feſt mit deinem ganzen Herzen.
Hier ſind die ſtarken Wurzeln deiner Kraft,
Dort in der fremden Welt ſtehſt du allein,
Ein ſchwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.
O komm, du haſt uns lang’ nicht mehr geſehn,
Verſuch’s mit uns nur Einen Tag — nur heute
Geh’ nicht nach Altorf — Hoͤrſt du? Heute nicht,
Den Einen Tag nur ſchenke dich den Deinen!
(er faßt ſeine Hand)
Rudenz
Ich gab mein Wort — Laßt mich — Ich bin gebunden.
Attinghauſen
(läßt ſeine Hand los, mit Ernſt)
Du biſt gebunden — Ja Ungluͤcklicher!
Du biſt’s, doch nicht durch Wort und Schwur,
Gebunden biſt du durch der Liebe Seile!
(Rudenz wendet ſich weg)
— Verbirg’ dich wie du willſt. Das Fraͤulein iſt’s,
Bertha von Brunek, die zur Herrenburg
Dich zieht, dich feſſelt an des Kaiſers Dienſt.
Das Ritterfraͤulein willſt du dir erwerben
Mit deinem Abfall von dem Land — Betruͤg’ dich nicht!
Dich anzulocken zeigt man dir die Braut,
Doch deiner Unſchuld iſt ſie nicht beſchieden.
Rudenz
Genug hab’ ich gehoͤrt. Gehabt euch wohl.
(er geht ab)
Attinghauſen
Wahnſinn’ger Juͤngling bleib’! — Er geht dahin!
Ich kann ihn nicht erhalten, nicht erretten —
So iſt der Wolfenſchießen abgefallen
Von ſeinem Land — ſo werden andre folgen,
Der fremde Zauber reißt die Jugend fort,
Gewaltſam ſtrebend uͤber unſre Berge.
— O ungluͤckſel’ge Stunde, da das Fremde
In dieſe ſtill begluͤckten Thaͤler kam.,
Der Sitten fromme Unſchuld zu zerſtoͤren!
Das Neue dringt herein mit Macht, das Alte
Das Wuͤrd’ge ſcheidet, andre Zeiten kommen,
Es lebt ein andersdenkendes Geſchlecht!
Was thu’ ich hier? Sie ſind begraben alle,
Mit denen ich gewaltet und gelebt.
Unter der Erde ſchon liegt Meine Zeit,
Wohl dem, der mit der Neuen nicht mehr braucht zu leben!
(geht ab)Zweyte Scene
Eine Wieſe von hohen Felſen und Wald umgeben. Auf den
Felſen ſind Steige, mit Geländern, auch Leitern, von denen
man nachher die Landleute herabſteigen ſieht. Im Hintergrunde
zeigt ſich der See, über welchem anfangs ein Mondregenbogen
zu ſehen iſt. Den Proſpekt ſchließen hohe Berge, hinter wel-
chen noch höhere Eisgebirge ragen. Es iſt völlig Nacht auf
der Scene, nur der See und die weißen Gletſcher leuchten im
Mondenlicht.
Melchthal, Baumgarten, Winkelried,
Meier von Sarnen, Burkhardt am Buͤhel,
Arnold von Sewa, Klaus von der Fluͤe
und noch vier andere Landleute, alle bewaffnet
Melchthal (noch hinter der Scene)
Der Bergweg oͤffnet ſich, nur friſch mir nach,
Den Fels erkenn’ ich und das Kreutzlein drauf,
Wir ſind am Ziel, hier iſt das Ruͤtli.
(treten auf mit Windlichtern)
Winkelried
Horch!
Sewa
Ganz leer.
Meier
’s iſt noch kein Landmann da. Wir ſind
Die erſten auf dem Platz, wir Unterwaldner.
Melchthal
Wie weit iſt’s in der Nacht?
Baumgarten
Der Feuerwaͤchter
Vom Selisberg hat eben zwey gerufen.
(man hört in der Ferne läuten)
Meier
Still! Horch!
Am Buͤhel
Das Mettengloͤcklein in der Waldkapelle
Klingt hell heruͤber aus dem Schwytzerland.
Von der Fluͤe
Die Luft iſt rein und traͤgt den Schall ſo weit.
Melchthal
Geh’n einige und zuͤnden Reisholz an,
Daß es loh brenne, wenn die Maͤnner kommen.
(zwey Landleute gehen)
Sewa
’s eine ſchoͤne Mondennacht. Der See
Liegt ruhig da als wie ein ebner Spiegel.
Am Buͤhel
Sie haben eine leichte Fahrt.
Winkelried (zeigt nach dem See)
Ha ſeht!
Seht dorthin! Seht ihr nichts?
Meier
Was denn? — Ja warlich!
Ein Regenbogen mitten in der Nacht!
Melchthal
Es iſt das Licht des Mondes das ihn bildet.
Von der Fluͤe
Das iſt ein ſeltſam wunderbares Zeichen!
Es leben viele, die das nicht geſehn.
Sewa
Er iſt doppelt, ſeht, ein blaͤſſerer ſteht druͤber.
Baumgarten
Ein Nachen faͤhrt ſo eben drunter weg.
Melchthal
Das iſt der Stauffacher mit ſeinem Kahn,
Der Biedermann laͤßt ſich nicht lang erwarten.
(geht mit Baumgarten nach dem Ufer)
Meier
Die Urner ſind es, die am laͤngſten ſaͤumen.
Am Buͤhel
Sie muͤſſen weit umgehen durch’s Gebirg,
Daß ſie des Landvogts Kundſchaft hintergehen.
(Unterdeſſen haben die zwey Landleute in der Mitte des Platzes
ein Feuer angezündet)
Melchthal (am Ufer)
Wer iſt da? Gebt das Wort!
Stauffacher (von unten)
Freunde des Landes.
(Alle gehen nach der Tiefe, den Kommenden entgegen. Aus
dem Kahn ſteigen Stauffacher, Itel Reding,
Hans auf der Mauer, Joͤrg im Hofe, Kon-
rad Hunn, Ulrich der Schmidt, Joſt von
Weiler, und noch drey andre Landleute, gleichfalls be-
waffnet)
Alle rufen
Willkommen!
(indem die übrigen in der Tiefe verweilen und ſich begrüßen,
kommt Melchthal mit Stauffacher vorwärts)
Melchthal
O Herr Stauffacher! Ich hab’ ihn
Geſehn, der mich nicht wiederſehen konnte!
Die Hand hab’ ich gelegt auf ſeine Augen,
Und gluͤhend Rachgefuͤhl hab’ ich geſogen
Aus der erloſchnen Sonne ſeines Blicks.
Stauffacher
Sprecht nicht von Rache. Nicht geſchehnes raͤchen,
Gedrohtem Uebel wollen wir begegnen.
— Jezt
— Jezt ſagt, was ihr im Unterwaldner Land
Geſchaff’t und fuͤr gemeine Sach’ geworben,
Wie die Landleute denken, wie ihr ſelbſt
Den Stricken des Verraths entgangen ſeid.
Melchthal
Durch der Surennen furchtbares Gebirg,
Auf weit verbreitet oͤden Eiſesfeldern,
Wo nur der heiſ’re Laͤmmergeier kraͤchzt,
Gelangt’ ich zu der Alpentrift, wo ſich
Aus Uri und vom Engelberg die Hirten
Anrufend gruͤßen und gemeinſam weiden,
Den Durſt mir ſtillend mit der Gletſcher Milch,
Die in den Runſen ſchaͤumend niederquillt.
In den einſamen Sennhuͤtten kehrt’ ich ein,
Mein eigner Wirth und Gaſt, bis daß ich kam
Zu Wohnungen geſellig lebender Menſchen.
— Erſchollen war in dieſen Thaͤlern ſchon
Der Ruf des neuen Greuels der geſchehn,
Und fromme Ehrfurcht ſchaffte mir mein Ungluͤck
Vor jeder Pforte, wo ich wandernd klopfte.
Entruͤſtet fand ich dieſe graden Seelen
g
Ob dem gewaltſam neuen Regiment,
Denn ſo wie ihre Alpen fort und fort
Dieſelben Kraͤuter naͤhren, ihre Brunnen
Gleichfoͤrmig fließen, Wolken ſelbſt und Winde
Den gleichen Strich unwandelbar befolgen,
So hat die alte Sitte hier vom Ahn
Zum Enkel unveraͤndert fort beſtanden,
Nicht tragen ſie verwegne Neuerung
Im altgewohnten gleichen Gang des Lebens.
— Die harten Haͤnde reichten ſie mir dar,
Von den Waͤnden langten ſie die roſtgen Schwerter,
Und aus den Augen blizte freudiges
Gefuͤhl des Muths, als ich die Nahmen nannte,
Die im Gebirg dem Landmann heilig ſind,
Den eurigen und Walther Fuͤrſts — Was euch
Recht wuͤrde duͤnken, ſchwuren ſie zu thun,
Euch ſchwuren ſie bis in den Tod zu folgen.
— So eilt ich ſicher unterm heilgen Schirm
Des Gaſtrechts von Gehoͤfte zu Gehoͤfte —
Und als ich kam in’s heimatliche Thal,
Wo mir die Vettern viel verbreitet wohnen —
Als ich den Vater fand, beraubt und blind,
Auf fremdem Stroh, von der Barmherzigkeit
Mildthaͤtger Menſchen lebend —
Stauffacher
Herr im Himmel!
Melchthal
Da weint’ ich nicht! Nicht in ohnmaͤchtgen Thraͤnen
Goß ich die Kraft des heißen Schmerzens aus,
In tiefer Bruſt wie einen theuern Schatz
Verſchloß ich ihn und dachte nur auf Thaten.
Ich kroch durch alle Kruͤmmen des Gebirgs,
Kein Thal war ſo verſteckt, ich ſpaͤht’ es aus,
Bis an der Gletſcher eisbedeckten Fuß
Erwartet’ ich und fand bewohnte Huͤtten,
Und uͤberall, wohin mein Fuß mich trug,
Fand ich den gleichen Haß der Tyrannei,
Denn bis an dieſe lezte Grenze ſelbſt
Belebter Schoͤpfung, wo der ſtarre Boden
Aufhoͤrt zu geben, raubt der Voͤgte Geiz —
Die Herzen alle dieſes biedern Volks
g 2
Erregt’ ich mit dem Stachel meiner Worte,
Und unſer ſind ſie all mit Herz und Mund.
Stauffacher
Großes habt ihr in kurzer Friſt geleiſtet.
Melchthal
Ich that noch mehr. Die beiden Veſten ſind’s,
Roßberg und Sarnen, die der Landmann fuͤrchtet,
Denn hinter ihren Felſenwaͤllen ſchirmt
Der Feind ſich leicht und ſchaͤdiget das Land.
Mit eignen Augen wollt’ ich es erkunden,
Ich war zu Sarnen und beſah die Burg.
Stauffacher
Ihr wagtet euch bis in des Tigers Hoͤhle?
Melchthal
Ich war verkleidet dort in Pilgerstracht,
Ich ſah den Landvogt an der Tafel ſchwelgen —
Urtheilt, ob ich mein Herz bezwingen kann,
Ich ſah den Feind und ich erſchlug ihn nicht.
Stauffacher
Fuͤrwahr das Gluͤck war eurer Kuͤhnheit hold.
(Unterdeſſen ſind die andern Landleute vorwärts gekommen,
und nähern ſich den beiden)
Doch jetzo ſagt mir, wer die Freunde ſind,
Und die gerechten Maͤnner, die euch folgten?
Macht mich bekannt mit ihnen, daß wir uns
Zutraulich nahen und die Herzen oͤffnen.
Meier
Wer kennte Euch nicht, Herr, in den drey Landen?
Ich bin der Mei’r von Sarnen, dieß hier iſt
Mein Schweſterſohn, der Struth von Winkelried.
Stauffacher
Ihr nennt mir keinen unbekannten Nahmen.
Ein Winkelried war’s, der den Drachen ſchlug
Im Sumpf bei Weiler und ſein Leben ließ
In dieſem Strauß.
Winkelried
Das war mein Ahn, Herr Werner.
Melchthal (zeigt auf zwey Landleute)
Die wohnen hinter’m Wald, ſind Kloſterleute
Vom Engelberg — Ihr werdet ſie drum nicht
Verachten, weil ſie eigne Leute ſind,
Und nicht wie wir frei ſitzen auf dem Erbe —
Sie lieben’s Land, ſind ſonſt auch wohl berufen.
g 3
Stauffacher (zu den beiden)
Gebt mir die Hand. Es preiſe ſich, wer leinem
Mit ſeinem Leibe pflichtig iſt auf Erden,
Doch Redlichkeit gedeiht in jedem Stande.
Konrad Hunn
Das iſt Herr Reding, unſer Altlandammann.
Meier
Ich kenn’ ihn wohl. Er iſt mein Widerpart,
Der um ein altes Erbſtuͤck mit mir rechtet.
— Herr Reding, wir ſind Feinde vor Gericht,
Hier ſind wir einig.
(ſchüttelt ihm die Hand)
Stauffacher
Das iſt brav geſprochen.
Winkelried
Hoͤrt ihr? Sie kommen. Hoͤrt das Horn von Uri!
(Rechts und links ſieht man bewaffnete Männer mit Wind,
lichtern die Felſen herabſteigen)
Auf der Mauer
Seht! Steigt nicht ſelbſt der fromme Diener Gottes,
Der wuͤrdge Pfarrer mit herab? Nicht ſcheut er
Des Weges Muͤhen und das Grau’n der Nacht,
Ein treuer Hirte fuͤr das Volk zu ſorgen.
Baumgarten
Der Sigriſt folgt ihm und Herr Walther Fuͤrſt,
Doch nicht den Tell erblick’ ich in der Menge.
Walther Fuͤrſt, Roͤſſelmann der Pfarrer,
Petermann der Sigriſt, Kuoni der Hirt,
Werni der Jaͤger, Ruodi der Fiſcher und noch
fünf andere Landleute, alle zuſammen, drey und dreißig an der
Zahl, treten vorwärts und ſtellen ſich um das Feuer.
Walther Fuͤrſt
So muͤſſen wir auf unſerm eignen Erb’
Und vaͤterlichen Boden uns verſtohlen
Zuſammen ſchleichen wie die Moͤrder thun,
Und bei der Nacht, die ihren ſchwarzen Mantel
Nur dem Verbrechen und der ſonnenſcheuen
Verſchwoͤrung leihet, unſer gutes Recht
Uns hohlen, das doch lauter iſt und klar,
Gleichwie der glanzvoll offne Schooß des Tages.
Melchthal
Laßt’s gut ſeyn. Was die dunkle Nacht geſponnen,
Soll frey und froͤhlich an das Licht der Sonnen.
Roͤſſelmann
Hoͤrt was mir Gott in’s Herz giebt Eidgenoſſen!
Wir ſtehen hier ſtatt einer Landsgemeinde,
Und koͤnnen gelten fuͤr ein ganzes Volk,
So laßt uns tagen nach den alten Braͤuchen
Des Lands, wie wir’s in ruhigen Zeiten pflegen,
Was ungeſetzlich iſt in der Verſammlung,
Entſchuldige die Noth der Zeit. Doch Gott
Iſt uͤberall, wo man das Recht verwaltet,
Und unter ſeinem Himmel ſtehen wir.
Stauffacher
Wohl, laßt uns tagen nach der alten Sitte,
Iſt es gleich Nacht, ſo leuchtet unſer Recht.
Melchthal
Iſt gleich die Zahl nicht voll, das Herz iſt hier
Des ganzen Volks, die Beſten ſind zugegen.
Konrad Hunn
Sind auch die alten Buͤcher nicht zur Hand,
Sie ſind in unſre Herzen eingeſchrieben.
Roͤſſelmann
Wohlan, ſo ſei der Ring ſogleich gebildet,
Man pflanze auf die Schwerter der Gewalt.
Auf der Mauer
Der Landesammann nehme ſeinen Platz,
Und ſeine Weibel ſtehen ihm zur Seite!
Sigriſt
Es ſind der Voͤlker dreye. Welchem nun
Gebuͤhrt’s, das Haupt zu geben der Gemeinde?
Meier
Um dieſe Ehr’ mag Schwytz mit Uri ſtreiten,
Wir Unterwaldner ſtehen frei zuruͤck.
Melchthal
Wir ſteh’n zuruͤck, wir ſind die Flehenden,
Die Huͤlfe heiſchen von den maͤchtgen Freunden.
Stauffacher
So nehme Uri denn das Schwert, ſein Banner
Zieht bei den Roͤmerzuͤgen uns voran.
Walther Fuͤrſt
Des Schwertes Ehre werde Schwytz zu Theil,
Denn ſeines Stammes ruͤhmen wir uns alle.
Roͤſſelmann
Den edeln Wettſtreit laßt mich freundlich ſchlichten,
Schwytz ſoll im Rath, Uri im Felde fuͤhren.
Walther Fuͤrſt
(reicht dem Stauffacher die Schwerter)
So nehmt!
Stauffacher
Nicht mir, dem Alter ſei die Ehre.
Im Hofe
Die meiſten Jahre zaͤhlt Ulrich der Schmidt.
Auf der Mauer
Der Mann iſt wacker, doch nicht freien Stands,
Kein eigner Mann kann Richter ſeyn in Schwytz.
Stauffacher
Steht nicht Herr Reding hier der Altlandammann?
Was ſuchen wir noch einen wuͤrdigern?
Walther Fuͤrſt
Er ſei der Ammann und des Tages Haupt!
Wer dazu ſtimmt erhebe ſeine Haͤnde.
(Alle heben die rechte Hand auf)
Reding (tritt in die Mitte)
Ich kann die Hand nicht auf die Buͤcher legen,
So ſchwoͤr’ ich droben bei den ew’gen Sternen,
Daß ich mich nimmer will vom Recht entfernen.
(Man richtet die zwey Schwerter vor ihm auf, der Rins
bildet ſich um ihn her, Schwytz hält die Mitte, rechts
ſtellt ſich Uri und links Unterwalden. Er ſteht auf ſein
Schlachtſchwert geſtüzt)
Was iſt’s, das die drei Voͤlker des Gebirgs
Hier an des See’s unwirthlichem Geſtade
Zuſammenfuͤhrte in der Geiſterſtunde?
Was ſoll der Innhalt ſeyn des neuen Bunds,
Den wir hier unterm Sternenhimmel ſtiften?
Stauffacher (tritt in den Ring)
Wir ſtiften keinen neuen Bund, es iſt
Ein uralt Buͤndniß nur von Vaͤter Zeit,
Das wir erneuern! Wiſſet Eidgenoſſen!
Ob uns der See, ob uns die Berge ſcheiden,
Und jedes Volk ſich fuͤr ſich ſelbſt regiert,
So ſind wir Eines Stammes doch und Bluts,
Und Eine Heimat iſt’s, aus der wir zogen.
Winkelried
So iſt es wahr, wie’s in den Liedern lautet,
Daß wir von fern her in das Land gewallt?
O theilt’s uns mit, was euch davon bekannt,
Daß ſich der neue Bund am alten ſtaͤrke.
Stauffacher
Hoͤrt, was die alten Hirten ſich erzaͤhlen.
— Es war ein großes Volk, hinten im Lande
Nach Mitternacht, das litt von ſchwerer Theurung.
In dieſer Noth beſchloß die Landsgemeinde,
Daß je der zehnte Buͤrger nach dem Loos
Der Vaͤter Land verlaſſe — das geſchah!
Und zogen aus, wehklagend, Maͤnner und Weiber,
Ein großer Heerzug, nach der Mittagſonne,
Mit dem Schwert ſich ſchlagend durch das deutſche Land,
Bis an das Hochland dieſer Waldgebirge.
Und eher nicht ermuͤdete der Zug,
Bis daß ſie kamen in das wilde Thal,
Wo jezt die Muotta zwiſchen Wieſen rinnt —
Nicht Menſchenſpuren waren hier zu ſehen,
Nur eine Huͤtte ſtand am Ufer einſam,
Da ſaß ein Mann, und wartete der Faͤhre —
Doch heftig wogete der See und war
Nicht fahrbar; da beſahen ſie das Land
Sich naͤher und gewahrten ſchoͤne Fuͤlle
Des Holzes und entdeckten gute Brunnen,
Und meinten, ſich im lieben Vaterland
Zu finden — Da beſchloſſen ſie zu bleiben,
Erbaueten den alten Flecken Schwytz,
Und hatten manchen ſauren Tag, den Wald
Mit weitverſchlungnen Wurzeln auszuroden —
Drauf als der Boden nicht mehr Gnuͤgen that
Der Zahl des Volks, da zogen ſie hinuͤber
Zum ſchwarzen Berg, ja bis an’s Weißland hin,
Wo hinter ewgem Eiſeswall verborgen,
Ein andres Volk in andern Zungen ſpricht.
Den Flecken Stanz erbauten ſie am Kernwald,
Den Flecken Altorf in dem Thal der Reuß —
h
Doch blieben ſie des Urſprungs ſtets gedenk,
Aus all den fremden Staͤmmen, die ſeitdem
In Mitte ihres Lands ſich angeſiedelt,
Finden die Schwytzer Maͤnner ſich heraus,
Es giebt das Herz, das Blut ſich zu erkennen.
(reicht rechts und links die Hand hin)
Auf der Mauer
Ja wir ſind eines Herzens, eines Bluts!
Alle (ſich die Hände reichend)
Wir ſind Ein Volk, und einig wollen wir handeln.
Stauffacher
Die andern Voͤlker tragen fremdes Joch,
Sie haben ſich dem Sieger unterworfen.
Es leben ſelbſt in unſern Landesmarken
Der Saſſen viel, die fremde Pflichten tragen,
Und ihre Knechtſchaft erbt auf ihre Kinder.
Doch wir, der alten Schweitzer aͤchter Stamm,
Wir haben ſtets die Freiheit uns bewahrt.
Nicht unter Fuͤrſten bogen wir das Knie,
Freiwillig waͤhlten wir den Schirm der Kaiſer.
Roͤſſelmann
Frei waͤhlten wir des Reiches Schutz und Schirm,
So ſteht’s bemerkt in Kaiſer Friedrichs Brief.
Stauffacher
Denn herrenlos iſt auch der Freiſte nicht.
Ein Oberhaupt muß ſeyn, ein hoͤchſter Richter,
Wo man das Recht mag ſchoͤpfen in dem Streit.
Drum haben unſre Vaͤter fuͤr den Boden,
Den ſie der alten Wildniß abgewonnen,
Die Ehr’ gegoͤnnt dem Kaiſer, der den Herrn
Sich nennt der deutſchen und der welſchen Erde,
Und wie die andern Freien ſeines Reichs
Sich ihm zu edelm Waffendienſt gelobt,
Denn dieſes iſt der Freien einzge Pflicht,
Das Reich zu ſchirmen, das ſie ſelbſt beſchirmt.
Melchthal
Was druͤber iſt, iſt Merkmal eines Knechts.
Stauffacher
Sie folgten, wenn der Heribann ergieng,
Dem Reichspanier und ſchlugen ſeine Schlachten.
Nach Welſchland zogen ſie gewappnet mit,
h 2
Die Roͤmerkron’ ihm auf das Haupt zu ſetzen.
Daheim regierten ſie ſich froͤhlich ſelbſt
Nach altem Brauch und eigenem Geſetz,
Der hoͤchſte Blutbann war allein des Kaiſers.
Und dazu ward beſtellt ein großer Graf,
Der hatte ſeinen Sitz nicht in dem Lande,
Wenn Blutſchuld kam, ſo rief man ihn herein,
Und unter offnem Himmel, ſchlicht und klar,
Sprach er das Recht und ohne Furcht der Menſchen.
Wo ſind hier Spuren, daß wir Knechte ſind?
Iſt einer, der es anders weiß, der rede!
Im Hofe
Nein, ſo verhaͤlt ſich alles wie ihr ſprecht,
Gewaltherrſchaft ward nie bei uns geduldet.
Stauffacher
Dem Kaiſer ſelbſt verſagten wir Gehorſam,
Da er das Recht zu Gunſt der Pfaffen bog.
Denn als die Leute von dem Gotteshaus
Einſiedeln uns die Alp in Anſpruch nahmen,
Die wir beweidet ſeit der Vaͤter Zeit,
Der Abt herfuͤrzog einen alten Brief,
Der ihm die herrenloſe Wuͤſte ſchenkte —
Denn unſer Daſeyn hatte man verhehlt —
Da ſprachen wir: „Erſchlichen iſt der Brief,
Kein Kaiſer kann was unſer iſt verſchenken.
Und wird uns Recht verſagt vom Reich, wir koͤnnen
In unſern Bergen auch des Reichs entbehren.”
— So ſprachen unſre Vaͤter! Sollen wir
Des neuen Joches Schaͤndlichkeit erdulden,
Erleiden von dem fremden Knecht, was uns
In ſeiner Macht kein Kaiſer durfte bieten?
— Wir haben dieſen Boden uns erſchaffen
Durch unſrer Haͤnde Fleiß, den alten Wald,
Der ſonſt der Baͤren wilde Wohnung war,
Zu einem Sitz fuͤr Menſchen umgewandelt,
Die Brut des Drachen haben wir getoͤdet,
Der aus den Suͤmpfen giftgeſchwollen ſtieg,
Die Nebeldecke haben wir zerriſſen,
Die ewig grau um dieſe Wildniß hieng,
Den harten Fels geſprengt, uͤber den Abgrund
Dem Wandersmann den ſichern Steg geleitet,
Unſer iſt durch tauſendjaͤhrigen Beſitz
h 3
Der Boden — und der fremde Herrenknecht
Soll kommen duͤrfen und uns Ketten ſchmieden,
Und Schmach anthun auf unſrer eignen Erde?
Iſt keine Huͤlfe gegen ſolchen Drang?
(eine große Bewegung unter den Landleuten)
Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedruͤckte nirgends Recht kann finden,
Wenn unertraͤglich wird die Laſt — greift er
Hinauf getroſten Muthes in den Himmel,
Und hohlt herunter ſeine ewgen Rechte,
Die droben hangen unveraͤuſerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne ſelbſt —
Der alte Urſtand der Natur kehrt wieder,
Wo Menſch dem Menſchen gegenuͤber ſteht —
Zum lezten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, iſt ihm das Schwert gegeben —
Der Guͤter hoͤchſtes duͤrfen wir vertheid’gen
Gegen Gewalt — Wir ſtehn vor unſer Land,
Wir ſtehn vor unſre Weiber, unſre Kinder!
Alle
(an ihre Schwerter ſchlagend)
Wir ſtehn vor unſre Weiber, unſre Kinder!
Roͤſſelmann (tritt in den Ring)
Eh’ ihr zum Schwerte greift, bedenkt es wohl.
Ihr koͤnnt es friedlich mit dem Kaiſer ſchlichten.
Es koſtet euch ein Wort und die Tyrannen,
Die euch jezt ſchwer bedraͤngen, ſchmeicheln euch.
— Ergreift, was man euch oft geboten hat,
Trennt euch vom Reich, erkennet Oeſtreichs Hoheit —
Auf der Mauer
Was ſagt der Pfarrer? Wir zu Oeſtreich ſchwoͤren!
Am Buͤhel
Hoͤrt ihn nicht an!
Winkelried
Das raͤth uns ein Verraͤther,
Ein Feind des Landes!
Reding
Ruhig Eidgenoſſen!
Sewa
Wir Oeſtreich huldigen, nach ſolcher Schmach!
Von der Fluͤe
Wir uns abtrotzen laſſen durch Gewalt,
Was wir der Guͤte weigerten!
Meier
Dann waͤren
Wir Sklaven und verdienten es zu ſeyn!
Auf der Mauer
Der ſei geſtoſſen aus dem Recht der Schweitzer,
Wer von Ergebung ſpricht an Oeſterreich!
— Landammann, ich beſtehe drauf, dieß ſey
Das erſte Landsgeſetz, das wir hier geben.
Melchthal
So ſei’s. Wer von Ergebung ſpricht an Oeſtreich,
Soll rechtlos ſeyn und aller Ehren baar,
Kein Landmann nehm’ ihn auf an ſeinem Feuer.
Alle
(heben die rechte Hand auf)
Wir wollen es, das ſey Geſetz!
Reding (nach einer Pauſe)
Es iſt’s.
Roͤſſelmann
Jezt ſeid ihr frei, ihr ſeid’s durch dieß Geſetz,
Nicht durch Gewalt ſoll Oeſterreich ertrotzen
Was es durch freundlich Werben nicht erhielt —
Joſt von Weiler
Zur Tagesordnung, weiter.
Reding
Eidgenoſſen!
Sind alle ſanften Mittel auch verſucht?
Vielleicht weiß es der Koͤnig nicht, es iſt
Wohl gar ſein Wille nicht, was wir erdulden.
Auch dieſes lezte ſollten wir verſuchen,
Erſt unſre Klage bringen vor ſein Ohr,
Eh’ wir zum Schwerte greifen. Schrecklich immer
Auch in gerechter Sache iſt Gewalt,
Gott hilft nur dann, wenn Menſchen nicht mehr helfen.
Stauffacher (zu Konrad Hunn)
Nun iſt’s an euch, Bericht zu geben. Redet.
Konrad Hunn
Ich war zu Rheinfeld an des Kaiſers Pfalz,
Wider der Voͤgte harten Druck zu klagen,
Den Brief zu hohlen unſrer alten Freiheit,
Den jeder neue Koͤnig ſonſt beſtaͤtigt.
Die Boten vieler Staͤdte fand ich dort,
Vom ſchwaͤbſchen Lande und vom Lauf des Rheins,
Die all’ erhielten ihre Pergamente,
Und kehrten freudig wieder in ihr Land.
Mich, Euren Boten, wies man an die Raͤthe,
Und die entlieſſen mich mit leerem Troſt:
„Der Kaiſer habe dießmal keine Zeit,
„Er wuͤrde ſonſt einmal wohl an uns denken.”
— Und als ich traurig durch die Saͤle gieng
Der Koͤnigsburg, da ſah ich Herzog Hanſen
In einem Erker weinend ſtehn, um ihn
Die edeln Herrn von Wart und Taͤgerfeld.
Die riefen mir und ſagten: „Helft euch ſelbſt,
„Gerechtigkeit erwartet nicht vom Koͤnig.
„Beraubt er nicht des eignen Bruders Kind,
„Und hinterhaͤlt ihm ſein gerechtes Erbe?
„Der Herzog fleht’ ihn um ſein Muͤtterliches,
„Er habe ſeine Jahre voll, es waͤre
„Nun Zeit, auch Land und Leute zu regieren.
„Was ward ihm zum Beſcheid? Ein Kraͤnzlein ſezt ihm
„Der Kaiſer auf: das ſei die Zier der Jugend.”
Auf der Mauer
Ihr habt’s gehoͤrt. Recht und Gerechtigkeit
Erwartet nicht vom Kaiſer! Helft euch ſelbſt!
Reding
Nichts andres bleibt uns uͤbrig. Nun gebt Rath,
Wie wir es klug zum frohen Ende leiten.
Walther Fuͤrſt (tritt in den Ring)
Abtreiben wollen wir verhaßten Zwang,
Die alten Rechte, wie wir ſie ererbt
Von unſern Vaͤtern, wollen wir bewahren,
Nicht ungezuͤgelt nach dem Neuen greifen.
Dem Kaiſer bleibe, was des Kaiſers iſt,
Wer einen Herrn hat, dien’ ihm pflichtgemaͤß.
Meier
Ich trage Gut von Oeſterreich zu Lehen.
Walther Fuͤrſt
Ihr fahret fort, Oeſtreich die Pflicht zu leiſten.
Joſt von Weiler
Ich ſteure an die Herrn von Rappersweil.
Walther Fuͤrſt
Ihr fahret fort, zu zinſen und zu ſteuern.
Roͤſſelmann
Der großen Frau zu Zuͤrch bin ich vereidet.
Walther Fuͤrſt
Ihr gebt dem Kloſter was des Kloſters iſt.
Stauffacher
Ich trage keine Lehen als des Reichs.
Walther Fuͤrſt
Was ſeyn muß, das geſchehe, doch nicht druͤber.
Die Voͤgte wollen wir mit ihren Knechten
Verjagen und die feſten Schloͤſſer brechen,
Doch wenn es ſeyn mag, ohne Blut. Es ſehe
Der Kaiſer, daß wir nothgedrungen nur
Der Ehrfurcht fromme Pflichten abgeworfen.
Und ſieht er uns in unſern Schranken bleiben,
Vielleicht beſiegt er ſtaatsklug ſeinen Zorn,
Denn billge Furcht erwecket ſich ein Volk,
Das mit dem Schwerte in der Fauſt ſich maͤßigt.
Reding
Doch laſſet hoͤren! Wie vollenden wir’s?
Es hat der Feind die Waffen in der Hand,
Und nicht fuͤrwahr in Frieden wird er weichen.
Stauf-
Stauffacher
Er wirds, wenn er in Waffen uns erblickt,
Wir uͤberraſchen ihn, eh er ſich ruͤſtet.
Meier
Iſt bald geſprochen, aber ſchwer gethan.
Uns ragen in dem Land zwei feſte Schloͤſſer,
Die geben Schirm dem Feind und werden furchtbar,
Wenn uns der Koͤnig in das Land ſollt’ fallen.
Roßberg und Sarnen muß bezwungen ſeyn,
Eh man ein Schwert erhebt in den drey Landen.
Stauffacher
Saͤumt man ſo lang, ſo wird der Feind gewarnt,
Zu viele ſinds, die das Geheimniß theilen.
Meier
In den Waldſtaͤtten findt ſich kein Verraͤther.
Roͤſſelmann
Der Eifer auch, der gute, kann verrathen.
Walther Fuͤrſt
Schiebt man es auf, ſo wird der Twing vollendet
In Altorf und der Vogt befeſtigt ſich.
i
Meier
Ihr denkt an euch.
Sigriſt
Und ihr ſeid ungerecht.
Meier (auffahrend)
Wir ungerecht! Das darf uns Uri bieten!
Reding
Bei eurem Eide! Ruh!
Meier
Ja, wenn ſich Schwytz
Verſteht mit Uri, muͤſſen wir wohl ſchweigen.
Reding
Ich muß euch weiſen vor der Landsgemeinde,
Daß ihr mit heftgem Sinn den Frieden ſtoͤrt!
Stehn wir nicht alle fuͤr dieſelbe Sache?
Winkelried
Wenn wirs verſchieben bis zum Feſt des Herrn
Dann bringts die Sitte mit, daß alle Saſſen
Dem Vogt Geſchenke bringen auf das Schloß,
So koͤnnen zehen Maͤnner oder zwoͤlf
Sich unverdaͤchtig in der Burg verſammeln,
Die fuͤhren heimlich ſpitzge Eiſen mit,
Die man geſchwind kann an die Staͤbe ſtecken,
Denn niemand kommt mit Waffen in die Burg.
Zunaͤchſt im Wald haͤlt dann der große Haufe,
Und wenn die andern gluͤcklich ſich des Thors
Ermaͤchtiget, ſo wird ein Horn geblaſen,
Und jene brechen aus dem Hinterhalt,
So wird das Schloß mit leichter Arbeit unſer.
Melchthal
Den Roßberg uͤbernehm ich zu erſteigen,
Denn eine Dirn’ des Schloſſes iſt mir hold,
Und leicht bethoͤr ich ſie, zum naͤchtlichen
Beſuch die ſchwanke Leiter mir zu reichen,
Bin ich droben erſt, zieh ich die Freunde nach.
Reding
Iſt’s aller Wille, daß verſchoben werde?
(die Mehrheit erhebt die Hand)
Stauffacher (zählt die Stimmen)
Es iſt ein Mehr von zwanzig gegen zwoͤlf!
Walther Fuͤrſt
Wenn am beſtimmten Tag die Burgen fallen,
i 2
So geben wir von einem Berg zum andern
Das Zeichen mit dem Rauch, der Landſturm wird
Aufgeboten, ſchnell, im Hauptort jedes Landes,
Wenn dann die Voͤgte ſehn der Waffen Ernſt,
Glaubt mir, ſie werden ſich des Streits begeben,
Und gern ergreifen friedliches Geleit,
Aus unſern Landesmarken zu entweichen.
Stauffacher
Nur mit dem Geßler fuͤrcht ich ſchweren Stand,
Furchtbar iſt er mit Reiſigen umgeben,
Nicht ohne Blut raͤumt er das Feld, ja ſelbſt
Vertrieben bleibt er furchtbar noch dem Land,
Schwer iſts und faſt gefaͤhrlich, ihn zu ſchonen.
Baumgarten
Wo’s halsgefaͤhrlich iſt, da ſtellt mich hin,
Dem Tell verdank ich mein gerettet Leben,
Gern ſchlag ichs in die Schanze fuͤr das Land,
Mein’ Ehr hab ich beſchuͤzt, mein Herz befriedigt.
Reding
Die Zeit bringt Rath. Erwartets in Geduld.
Man muß dem Augenblick auch was vertrauen.
— Doch ſeht, indeß wir naͤchtlich hier noch tagen,
Stellt auf den hoͤchſten Bergen ſchon der Morgen
Die gluͤh’nde Hochwacht aus — Kommt, laßt uns ſcheiden,
Eh uns des Tages Leuchten uͤberraſcht.
Walther Fuͤrſt
Sorgt nicht, die Nacht weicht langſam aus den Thaͤlern.
(Alle haben unwillkührlich die Hüte abgenommen und be-
trachten mit ſtiller Sammlung die Morgenröthe)
Roͤſſelmann
Bei dieſem Licht, das uns zuerſt begruͤßt
Von allen Voͤlkern, die tief unter uns
Schwerathmend wohnen in dem Qualm der Staͤdte,
Laßt uns den Eid des neuen Bundes ſchwoͤren.
— Wir wollen ſeyn ein einzig Volk von Bruͤdern,
In keiner Noth uns trennen und Gefahr.
(alle ſprechen es nach mit erhobenen drei Fingern)
— Wir wollen frey ſeyn wie die Vaͤter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtſchaft leben.
(wie oben)
i 3
— Wir wollen trauen auf den hoͤchſten Gott
Und uns nicht fuͤrchten vor der Macht der Menſchen.
(wie oben. Die Landleute umarmen einander)
Stauffacher
Jezt gehe jeder ſeines Weges ſtill
Zu ſeiner Freundſchaft und Genoßſame,
Wer Hirt iſt, wintre ruhig ſeine Heerde,
Und werb’ im Stillen Freunde fuͤr den Bund,
— Was noch bis dahin muß erduldet werden,
Erduldets! Laßt die Rechnung der Tyrannen
Anwachſen, bis Ein Tag die allgemeine
Und die beſondre Schuld auf einmal zahlt.
Bezaͤhme jeder die gerechte Wut,
Und ſpare fuͤr das Ganze ſeine Rache,
Denn Raub begeht am allgemeinen Gut,
Wer ſelbſt ſich hilft in ſeiner eignen Sache.
(Indem ſie zu drei verſchiednen Seiten in größter Ruhe
abgehen, fällt das Orcheſter mit einem prachtvollen
Schwung ein, die leere Scene bleibt noch eine Zeitlang
offen und zeigt das Schauſpiel der aufgehenden Sonne
über den Eisgebirgen.