Herrn Berthold Auerbach in Berlin.
Mein hoch verehrter Freund,
Herzlichsten Dank für Ihren Brief und Ihr Buch, das ich
mit erneutem und gesteigertem Genuß wieder gelesen
habe, nachdem ich es früher schon, in der zerstückelnden und
zerstreuenden Form des Feuilletons, mit dreifachem An-
theil, dem des Freundes, des Kunstfreundes und des Lexiko-
graphen gelesen hatte. Ich hoffe und wünsche, daß Sie mit der
empfehlenden Anzeige, die ich gestern Abend bereits an das
„Deutsche Montags-Blatt“ gesendet, zufrieden sein werden.
Ich habe mich allerdings nach dem mir von der Redaktion
zugemessenen Raume kurz fassen müssen; aber der kurze
Raum genügt ja vollständig zu einer warmen Empfeh-
lung, derer es freilich bei einem Werke aus Ihrer
Feder
Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf.
Die Zeit ist allerdings verstim̃end und niederschlagend,
aber Mäñer, wie Sie, dürfen sich nicht verstim̃en und niederschlagen
lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (S.Seite 97 Ihrer
Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste
obsingen, weñ solche Mäñer müde werden könnten und wollten,
die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, das Dauernde,
Ewige im irdischen Wechsel, „den ruhenden Pol in der Er-
scheinungen Flucht“
zu suchen und ihren Führeramte ge-
mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun
u.und im̃er wieder der Welt zu verkünden. Mir ist es, als
seien Schiller’s Worte des Glaubens im Worte des WahnsSchiller, Friedrich: Die Worte des Glaubens. Die Worte des Wahns. In: J. G. Cotta'sche Buchhandlung (Hg.): Gedichte von Friedrich von Schiller, Stuttgart 1883, S. 349–351. [Online verfügbar: Internet Archive, abgerufen am 29.01.2019.](https://archive.org/details/gedichtevonfrie00schigoog)
ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien.
Doch genug hiervon! Doch kañ ich nicht schließen, ohne
Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für
die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab
unseres gemeinsamen Freundes H. B.Heinrich Bernhard Oppenheim
gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und
ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen
verlogen. „Soldatendienst hat der Mensch auf Erden.“
Er ist nach tapfer u.und treu vollendetem Dienst vom
Posten abberufen, aber wir, die wir noch im
Dienst sind, müssen auf dem Posten mañhaft stehen und des Dien-
stes warten.
Mit den besten Grüßen und Wünschen für Sie und die
Ihrigen und mit der Bitte, mir Ihre Freundschaft zu erhalten
getreu ergeben der Ihre
Dan.Daniel Sanders.
Altstrelitz, den 23.5.80.