Ein Lehrgedicht
von
Friedrich Rückert.
Die
Weisheit des Brahmanen,
ein Lehrgedicht in Bruchſtücken.
Von
Friedrich Rückert.
Viertes Bändchen.
Leipzig,
Weidmann'ſche Buchhandlung.
1838.
IX.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 1
1.
Die Sonne ſteigt, mit Gott! und golden iſt der Oſten;
Sie tritt ihr Tagwerk an, und ich an meinen Poſten.
Sie will der Welt herauf neu fuͤhren einen Tag;
Und Schoͤnes bring' ich euch, ſo viel ich noch vermag.
O bring es ſchnell, mein Geiſt! der Tag iſt kurz gemeſſen,
Herbſt iſt nun, doch ſo klar, daß ich mich freue deſſen.
Kahl iſt der Roſenſtrauch, die Roſen ſind vergeſſen,
Doch ſanft im Fruͤhglanz wankt der Wipfel der Zipreſſen.
1*
2.
Wenn nur fuͤr fremde Luſt dein Wirken iſt beſtrebt,
Kein Frohgefuͤhl die Bruſt dabei dir ſelbſt erhebt,
Auch du nicht deine Luſt am Thun der andern haſt,
So iſt dir, was du thuſt und ſie thun, eine Laſt.
Komm, und mit Heiterkeit den Drang des Lebens wuͤrze!
Nicht uͤber Hals und Kopf dumpf in den Wirbel ſtuͤrze!
Es ſteht bei dir, daß aus der Welt Muͤhſeligkeit
In jedem Augenblick dir aufbluͤh' Seligkeit.
3.
Am Ende, wann du nun dich an der Welt genung
Gefreut haſt, freuet dich noch die Erinnerung;
Noch die Erinnerung, wie du dich ſonſt gefreut,
Wann das die Welt dir bot, was ſie noch immer beut;
Wie du dich ſonſt gefreut, wann ſich der Kranz erneut
Des Fruͤhlings, wie ſich heut ſein voller Glanz erneut.
Freut dich nicht mehr der Kranz? Noch immer! doch nur ganz,
Wenn du dazu denkſt, wie dich ſonſt gefreut der Glanz.
4.
Ein nachgeſprochenes Gebet kann etwa nuͤtzen,
Als Zauberſegen, dich mit Wunderkraft beſchuͤtzen.
Ein nachgebetet Wort der Lehre nuͤtzet nicht,
Wenn in dir ſelbſt den vorgeſprochnen nichts entſpricht.
Der eingepflanzte Stab mag wohl die Pflanze tragen,
Die Pflanze doch muß, um zu wurzeln, Wurzel ſchlagen.
5.
Kein Kampf und keine Noth, kein Leiden, keine Fahr,
Die zu beſtehn du haſt, wird bleiben unfruchtbar,
Wenn ſie dir andre Frucht und Ausbeut' auch nicht gaben,
Als die Beruhigung, beſtanden ſie zu haben.
6.
Wenn du im Schmerz, den du empfindeſt, ſchon die Ruh
Empfaͤndeſt die ihm folgt, nicht Schmerz empfaͤndeſt du.
Doch kannſt du nicht im Schmerz die Ruh ſchon mitempfinden;
Sonſt wuͤrde hier der Schmerz und dort die Ruhe ſchwinden.
7.
Am groͤßten iſt alsdann des Fleißigen Behagen,
Wenn er des Tags zuvor hat doppelt eingetragen.
Er freut ſich daß er heut nun duͤrfte muͤßig ſeyn,
Und in der Freude traͤgt er wieder doppelt ein.
8.
Das Gaͤhnen, das, mein Sohn, beim Lernen dich beſchleicht,
Ein Zeichen iſt es, daß Aufmerkſamkeit entweicht.
Es zu verbeißen hilft auch gar nicht mit den Zaͤhnen,
Wenn du nicht innerlich bezwingen kannſt das Gaͤhnen.
Bei aufgeſperrtem Mund iſt ſelbſt das Ohr geſchloſſen
Das aͤußre, mehr noch iſt das innre dann verdroſſen.
Noch einmal denn verſuch' in muthiger Ermannung,
Ob du erhalten kannſt den Geiſt in rechter Spannung;
Wo nicht, ſo laſſen wir es lieber heute ruhn:
Denn beſſer iſt, als ſchlecht, die Arbeit gar nicht thun.
9.
Verſchweig ein Gluͤck, verbirg ein Ungluͤck, das du haſt!
Im Gluͤck und Ungluͤck ſind die Menſchen nur zur Laſt.
Noch ſchlimmer als im Gluͤck der gift'ge Blick des Neiders,
Im Ungluͤck iſt das Wort das froſt'ge des Mitleiders.
10.
Kaum haſt du dich gefreut fehlloſer Jugendbluͤthe
Des ſchoͤnſten, theuerſten, mit dankbarem Gemuͤthe;
So haucht ein Unheil, und der Luſtglanz iſt vorbei,
Alsob gefallen drein ein boͤſer Mehlthau ſei.
Darf man ſich loben nichts, aus Furcht es zu berufen?
An nichts ſich freuen, was zur Freude Goͤtter ſchufen?
Nein, danke Gott, daß dir nicht laſtet aufs Genick
Feindſelige Goͤttermacht und neidiſches Geſchick.
Nein, danke Gott, der dir die Freude goͤnnen wollte
Am Schoͤnen eben noch als es verbluͤhen ſollte.
Nicht deine Freude hat den Schaden angebahnt,
Du freuteſt dich nur ſo, vom droh'nden vorgemahnt.
11.
Das rechte Maß, wie man den Lehrling vorwerts treibt,
So daß er doch dabei in rechten Schranken bleibt,
Iſt, einen Fortſchritt, den er that, ihn laſſen merken,
Um zu dem weitern, den er thun ſoll, ihn zu ſtaͤrken,
Nicht daß er glaube, ſchon ein Großes ſei gethan,
Doch fuͤhle, daß er thun das Groͤſte ſoll und kan;
Dazwiſchen unvermerkt, ihn nicht im Weiterſchreiten
Zu ſtoͤren, aus dem Weg zu raͤumen Schwierigkeiten,
Doch ihm zu goͤnnen auch dabei von Zeit zu Zeit
Das lohnende Gefuͤhl beſiegter Schwierigkeit.
12.
Nur ein Gedanken iſts, an welchen du gewoͤhnen
Dich mußt, um dein Geſchick im Geiſte zu verſoͤhnen.
Und an wie mangerlei Gedanken haſt du dich
Nicht ſchon gewoͤhnt! man denkt zuletzt in Alles ſich.
Das Unverhoffteſte, wenn es getreten ein,
Sieht endlich aus als koͤnnt' es gar nicht anders ſeyn.
Und wenn gleichguͤltig uns durch die Gewohnheit werden
Am Ende Freuden ſelbſt, warum nicht auch Beſchwerden?
13.
So hilflos zu der Welt wird nie ein Thier geboren
Alswie der Menſch, der ſich ſo hoch fuͤhlt auserkoren.
Warum? Es hat Natur dadurch uns ſagen wollen,
Daß wir uns ſelber und einander helfen ſollen.
Die Mutter hilft zuerſt dem Kind, der Vater dann;
Dann hilft es ihnen, und ſich ſelber hilft der Mann.
14.
Mein Sohn, erwarte nicht, daß dich die Leute warnen
Vor Boͤſem, eh davon du laͤſſeſt dich umgarnen.
Sie werden zuſehn bis um dich es ſchlug zuſammen,
Um zu beklagen dann dich oder zu verdammen,
Und ſich zu freuen, daß ſie beſſer ſind als du,
Wo nicht, doch gluͤcklicher; drum ſieh beizeiten zu,
Mein Sohn, die Welt kann dich nur fuͤhren in Gefahren;
Dich huͤten mußt du ſelbſt, und Gott muß dich bewahren.
Mein Sohn, ich lehre dich, was ich an mir erfuhr:
Die Welt nimmt Theil mit Luſt an unſerm Schaden nur.
15.
Soll tragen mit Geduld dein Lehrling Lernbeſchwerden,
So mußt du Lehrer ſelbſt nicht ungeduldig werden.
Denn Schweres hat zu thun der Lehrling wie der Lehrer,
Das leichter durch Geduld, durch Ungeduld wird ſchwerer.
16.
Du fragſt, ob du zum Heil der Welt und Wiſſenſchaft,
An, was dir widerſteht, ſollſt wenden deine Kraft?,
Weil uͤberzeugt du ſeiſt, es ſei nun an der Zeit,
Und doch daran zu gehn kein andrer ſei bereit.
Mein Sohn, was irgend an der Zeit iſt, das wird kommen;
Der Welt und Wiſſenſchaft mag gar Verſchiednes frommen.
Drum rath' ich dir, nur was dir ſelber taugt, zu treiben;
Weil vielen vieles taugt, wird keines unterbleiben.
So wird am ſicherſten zum Weltheil beigetragen,
Und keinem braucht die Welt beſonders Dank zu ſagen.
Ein jeder baue nur mit Luſt ſein eignes Zelt;
Durch Gottes Segen wird daraus ein Bau der Welt.
17.
Nur eine Waffe gab jedwedem Thier Natur,
Nicht allen alle, dir, o Menſch, gar keine nur.
Sie gab auch eine Kunſt nur einem, und nicht allen
Jedwede, wieder dir iſt keine zugefallen.
Warum? waͤr' eine Waff' und Kunſt dir angeboren,
So waͤre der Gebrauch der andern dir verloren.
Doch brauchen ſollteſt du ſo alle Kuͤnſt' als Waffen,
Dir ſelber ſchaffend, was dir nicht iſt anerſchaffen.
18.
Das Leben iſt ein ſolch unſchaͤtzbar Gut, mein Kind,
Weil alle Guͤter mit darin begriffen ſind.
Denn Theil an allen hat, wer Theil am Leben nimmt,
Ob ihm ein groͤßrer Theil, ein kleinrer ſei beſtimmt.
Des Ganzen Mitgefuͤhl iſt ganz im kleinſten Theil,
Und dein beſondres Gluͤck das allgemeine Heil,
Zu fuͤhlen rings um dich, ſtets aus ſich ſelbſt erneut,
Ein Leben tauſendfach, das ſich des Lebens freut.
Wer dieſes lebhaft fuͤhlt in jedem Augenblick,
Dankt fuͤr ſein Leben Gott und ſegnet ſein Geſchick.
19.
Hat die Unendlichkeit nicht Raͤume ungeheuer?
Doch uͤberall iſt Raum geſpart, als ſei er theuer.
Der Drang des Lebens, wenn er ſich waͤr' uͤberlaſſen,
Selbſt die Unendlichkeit vermoͤcht' ihn nicht zu faſſen.
Drum iſt des Lebens Fuͤll' ins Engeſte gezwaͤngt,
Weil uͤberall ihr Trieb ins Weitere ſie draͤngt.
Zur Raumerſparung hat Baumeiſterin Natur
Das Bienenvolk gelehrt ſechseckig bauen nur,
Daß Zell' an Zelle paßt und aller Zellen Enge
Zur Noth bequem nur faßt die arbeitſelige Menge.
Verkruͤppelt zwitterhaft ſind drin die fleiß'gen Horden,
Von denen jeder frei ſonſt waͤr' ein Weiſel worden.
So wuͤrd' ein Bauer, wenn ihn nicht von allen Seiten
Die Nachbarn zwaͤngten, ſich als Patriarch ausbreiten.
Mit raſcher Fruchtbarkeit hat er ein Land beſetzt,
Bis die Bevoͤlkerung ſich ſelber Schranken ſetzt.
Alswie im dichten Wald von tauſend Saamenkoͤrnern
Nur eines ſich empor arbeitet aus den Doͤrnern;
Doch wird er ausgehaun, mag eine Tanne ſtreun
Die Saamen weit umher, und bald den Wald erneun.
Der Baum des Lebens iſt von Saamen ganz erfuͤllt,
Und uͤberall ein Trieb im andern eingehuͤllt.
Die Knoſpe wartet nur auf Platz hervorzudringen,
Sobald die alte weicht, wird gleich die neu' entſpringen.
Wie an der Eidechſ', ob du Fuß ihr oder Hand
Abhiebeſt, Hand und Fuß am ſelben Ort entſtand;
Alsob die Glieder ſchon verborgen fertig lauern,
Und koͤnnen nur nicht vor, ſo lang' die alten dauern.
So uͤberquillend iſt auch Menſchenfaͤhigkeit;
Gib Spielraum ihr, ſie tritt hervor zu rechter Zeit.
Drum fuͤge dich der Zeit, erfuͤlle deinen Platz,
Und raͤum' ihn auch getroſt, es fehlt nicht an Erſatz.
20.
Dem der fuͤr Ungluͤck haͤlt, was ihn als ſolches gruͤßt,
Wird bitter ſo die Welt, daß nichts ſie wieder ſuͤßt.
Du muſt, wenn du ihm willſt den herben Stachel brechen,
Durchaus das Ungluͤck nicht fuͤr eine Macht anſprechen.
Ei Ungluͤck, beſſer ſollſt du als das Gluͤck nicht ſeyn;
Wenn es ein Schein nur iſt, biſt du auch nur ein Schein.
21.
Ein Irrthum abgethan ficht dich nicht weiter an,
Du geh'ſt an ihm vorbei ohn' Anſtoß deine Bahn.
Und Wunder nimmt dichs faſt, wie man in vorigen Tagen
Sich mit ſo ſchwachem Feind ernſthaft herumgeſchlagen.
Doch haͤtten ſie geſcherzt, ſo waͤr' er nicht beſiegt;
Gut ſcherzen haſt du nun, da er zu Boden liegt.
22.
Wie manchen prieſeſt du, was er nicht war, begluͤckt,
Weil er mit falſchem Schein den innern Fehl geſchmuͤckt.
Ob einer wirklich ſei zu preiſen, zu beklagen,
Sagt er ſich ſelber nur, dir braucht ers nicht zu ſagen.
Ich aber ſag' es dir, wie du mich immerhin
Bedauerſt, wiß daß ich beneidenswerth noch bin.
23.
Wer einem Freunde klagt, erleichtert ſich das Herz,
Und wer vor Gott ihn ſagt, verſoͤhnet ſeinen Schmerz.
Doch wer mit ſanftem Laut ihn dem Geſang vertraut,
Iſt auch davon zugleich getroͤſtet und erbaut.
O wunderbares Bild, o Kraft des Seelenlichts!
Du ſieheſt Herbes mild im Spiegel des Gedichts.
Und wie ſich in dem Schein erblickt die Schreckerſcheinung,
Wird ſelber ſie zu Stein, die dir gedroht Verſteinung.
24.
Des Geiſtes Flitterſtaat, mein Sohn, iſt Neubegierde,
Allein die Wißbegier iſt ſeine wahre Zierde.
Die Neubegier iſt aufs Beſondre gleich befliſſen,
Die Wißbegierde will erſt das Gemeinſte wiſſen.
Die Neubegierde ſpielt, die Wißbegierde zielt;
Die Wißbegierde ſchaut, die Neubegierde ſchielt.
Des Strebens Unterſchied, haupt- oder nebenſaͤchlich,
Macht gruͤndlich Wißbegier und Neugier oberflaͤchlich.
25.
Zwei Einverſtandene haben ſich nichts zu ſagen;
Die Antwort wiſſen ſie zum voraus eh' ſie fragen.
Wo aber zweie ſich in keinem Punkt verſtehn,
Wird die Verſtaͤndigung in leeren Streit ausgehn.
Was alſo fordert und ermoͤglicht Menſchenwort?
Halb Misverſtaͤndnis, halb Verſtaͤndnis, hier und dort.
26.
Das Angenehme thut, wenns keine Frucht auch trug,
Durch augenblicklichen Genuß uns ſchon genug.
Unangenehmem, dem wir koͤnnen nicht entrinnen,
Wollen wir wenigſtens Belehrung abgewinnen.
27.
Deiner Beduͤrfniſſe Befriedigung gereicht
Dir zum Genuſſe wol, doch zur Beſchwer auch leicht.
Gebietriſch fordern ſie einmal-Gewohntes immer:
Gib oder weigre nun! was iſt von beidem ſchlimmer?
28.
Wo Ueberlieferung ununterbrochen waltet,
Wird an der Bildung Stamm leicht Blatt aus Blatt entfaltet.
Der Schuͤler nimmt getreu von ſeinem Lehrer an,
Was der von ſeinem, der von ſeinem hat empfahn.
So bis zum letzten laͤuft der Funken durch die Kette,
Alsob unmittelbar er ihn vom erſten haͤtte.
Iſt nun der gliedernde Zuſammenhang geſprengt,
Weiß keiner mehr, von wem, was und wie ers empfaͤngt.
Zu ſeinen Lehrern hat ein Schuͤler dieſer Zeit
Die ganze Gegenwart und die Vergangenheit.
29.
Den alten Malerſpruch erkoren hab' auch ich
Zum Wahlſpruch fuͤr mein Buch: Kein Tag ohn' einen Strich.
So laſſ' ich ohne Strich nun keinen Tag verſtreichen,
Sei mangmal es auch nur ein Strich um auszuſtreichen.
30.
Auswendig lernen ſei, mein Sohn, dir eine Pflicht;
Verſaͤume nur dabei inwendig lernen nicht.
Auswendig iſt gelernt, was dir vom Munde fließt,
Inwendig, was im Sinn lebendig ſich erſchließt.
31.
Wenn an einander wir, o Freund, nicht oͤfter daͤchten
Als ſchrieben, zweifelt' ich an unſrer Liebe Maͤchten.
Ich aber zweifle nicht, ich weiß mit Zuverſicht:
Du gibſt mir, wie ich dir, tagtaͤglichen Bericht.
Und ich empfang' ihn auch, wie du empfaͤngſt den meinen;
Wir unterreden uns, wenn wir zu ſchweigen ſcheinen.
Du weißt ja, wie ich war, drum weißt du, wie ich bin;
Und wie ich kannte dich, kenn' ich dich immerhin.
Doch wenn man ohne Schrift das Innre kann gewahren,
Von Zeit zu Zeit will man was Aeußres auch erfahren.
Denn unſre Freundſchaft iſt Gefuͤhl ins Ferne zwar,
Jedoch kein Ferngeſicht, wovor uns Gott bewahr!
Drum geb' ich Nachricht dir, daß du mir Nachricht gebeſt,
Nicht, ob du mich noch liebſt, nur, ob du auch noch lebeſt.
Ich leb' und freue mich noch jeder guten Stunde,
Und von der boͤſen nehm' ich lieber keine Kunde.
Noch minder gaͤb ich dir davon die Kunde gern,
Nah bliebe dir nur, was derweil mir ſchon iſt fern.
Wie ſollt' ich Dauer dem verleihn auf dieſem Blatt,
Was in der Wirklichkeit zum Gluͤck nicht Dauer hat!
32.
Schon wieder hat der Baum der Hoffnung fehlgetragen,
Und abermal das Reis des Wunſches fehlgeſchlagen.
Was iſt zu thun? geſchwind, bevor der Tag vergeht,
Schlag auf das Tagebuch, worin ſoviel ſchon ſteht.
Trag ein den Fehlertrag, er fehle nicht darin;
Und ſchlag dir dann das Fehlgeſchlagne aus dem Sinn.
33.
Der Kaͤmpe wappne ſich, eh er zum Kampfe geht;
Es iſt zu ſpaͤt, wann er in Feindes Mitten ſteht.
So mit Grundſaͤtzen magſt du wappnen dich und ſchirmen
Vor Leidenſchaften, eh ſie ſelber dich beſtuͤrmen.
Oft leider wird auch ſo, was du bei kaltem Blut
Dir nahmeſt vor als Schild, zerſchmelzen in der Glut.
34.
Vier Zeichen lehr' ich dich, ſie ſind wol lernenswerth,
Wer dich liebt, oder ſcheut, verachtet oder ehrt.
Dich fuͤrchtet, wer von dir ſchlimm hinterm Ruͤcken ſpricht,
Und dich verachtet, wer dich lobt ins Angeſicht.
Dich ehrt, wer dich, wo du's verdienſt, zu tadeln wagt,
Und liebt, wer lieber Gut- als Boͤſes von dir ſagt.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 2
35.
Lern zweierlei, mein Sohn, zu thun nach Ort und Zeiten:
Stoff beizuſchaffen und den Stoff zu verarbeiten.
Bald wird das eine, bald das andre mehr gelingen,
Doch beide ſuche ſtets ins Gleichgewicht zu bringen.
Das rechte iſt, wenn eins ſo gleich dem andern laͤuft,
Daß fort die Arbeit geht, indeß der Stoff ſich haͤuft.
36.
Dich wundert, daß geſinnt ein jeder anders iſt?
Da du, der eine, ſelbſt geſinnt ſtets anders biſt.
Nicht ſo viel Sinne nur, als Koͤpfe, ſind gefunden,
Da jedes Kopfes Sinn ſich aͤndert alle Stunden.
37.
Erwaͤg' an jeder Frucht, was dient zu deinem Male?
Von einer iſts der Kern, von anderer die Schale.
Verſtaͤndig iſt, wer das genießet, was ihm taugt,
Den markigen Kern aufknackt, das ſaftige Fleiſch anſaugt.
Ein Thor, wer dieſes Fleiſch und jenes Mark wegſchmeißt,
Dafuͤr hier harten Stein, dort herbe Rinde beißt.
38.
Im eignen Hauſe kann man leichter ohne Licht
Zurecht ſich finden, doch im fremden geht es nicht.
Da wo du blindlings dich zurecht zu finden weißt,
Das iſt ein Zeichen daß du recht zu Hauſe ſeiſt.
2*
39.
Ein Feld iſt das Gemuͤth, und du biſt ſein Beſteller;
Bauſt du es gut, ſo waͤchſt darauf das Gute ſchneller.
Doch nicht waͤchſt Nichts darauf, weil du es nicht gebaut;
Das Unkraut ſtellt von ſelbſt ſich ein, wo fehlt das Kraut.
Und auszuraufen auch das Unkraut, hilft dir nimmer,
Denn ſeine Wurzeln doch laͤßt es im Boden immer.
Und willſt du es im Grund entwurzeln ganz und gar,
Zu untergraben mit das Kraut laͤufſt du Gefahr.
Was alſo bleibt zu thun? das Unkraut niederhalten,
Daß oben finde Raum das Kraut, ſich zu entfalten.
Und hat das Kraut ſein Netz dicht uͤbers Feld geſtrickt,
Darunter iſt zuletzt das Unkraut ſelbſt erſtickt.
40.
Ein Kindchen, das zuerſt auf ſeinen Fuͤßchen ſteht,
Erſt zagend einen Schritt, dann wagend einen geht,
Wie hat es mich gefreut, wie hat es mich geruͤhrt,
Und die Vorſtellungen mir weit hinaus gefuͤhrt,
In ſeine Zukunft, wann der Mann die Kraft gewann,
Die geiſtig ſtehn und gehn auf eignen Fuͤßen kann.
41.
Laß gelten, lieber Sohn, was irgend gelten mag,
Fuͤr dieſen juͤngſten, wenn nicht bis zum juͤngſten Tag!
Laß andre gelten, und dich laſſen andre gelten;
Das iſt viel beſſer als einander niederſchelten.
Will dir nicht alles auch, was gilt, gleich guͤltig ſcheinen;
Sieh's recht nur an! was gilts? dir wirds gleichguͤltig ſcheinen.
Gleichguͤltigkeit derart iſt goͤttlicher Natur;
Gleichguͤltig nicht allein glaubt Goͤtter Epikur;
Gleichguͤltig glaub' ich ſelbſt auch Gott in dieſem Sinn,
Daß ich ihm guͤltig gleich wie alle Weſen bin.
42.
Viel wichtiger als was du haſt gelernt, mein Sohn,
Iſt was du haſt gethan, und mehr haſt du davon.
Was du gelernet, mußt du fuͤrchten zu vergeſſen;
Was du gethan, von ſelbſt erinnerſt du dich deſſen.
Es mag dich nun erfreun, es mag dich nun gereun,
Von ſelber wird ſich die Erinnrung dir erneun.
Einmal geſchrieben, iſts nicht wieder auszuſtreichen,
Und in des Lebens Buch ſteht es als ewiges Zeichen.
Drum was du ſchreibeſt, denk, ob du es immer ſehn
Vor Augen moͤchteſt, nie es wuͤnſchen ungeſchehn.
Einmal geſchrieben, iſts nicht wieder umzuſchreiben;
Und ſtreicheſt du's auch aus, ſo wird der Strich doch bleiben.
Und kratzeſt du es aus, ſo bleibet doch der Kratz,
Und Neues laͤßt ſich nie rein ſchreiben an dem Platz.
43.
Thuſt du dir was zu gut, ſo iſt dir wohl zu Muth,
Doch beſſer thuſt du, was auch wohl den andern thut.
Das Leben iſt nur dem an ſteten Wonnen reich,
Der frohbewußt es ſich und andern lebt zugleich.
44.
Der Mond am Himmel iſt der Sonne beigegeben,
Damit ſie beid' ein Bild vorhalten unſerm Leben.
Der Mond bedeutet, daß im Wechſel alles treibt;
Die Sonne deutet, was im Wechſel gleich ſich bleibt.
Am Monde troͤſte dich bei Gluͤckes Unbeſtand,
Und um Beſtaͤndigkeit blick auf zum Sonnenrand.
Nimm ab und zu an Luſt, dem Mond gleich, in Geduld;
Und wie die Sonne ſei unwandelbar voll Huld.
45.
Nur ſelten oder nie begegnen auf der Fahrt
Hienieden zweie ſich von gleicher Sinnesart.
Was jenem wichtig ſcheint, haͤlt dieſer fuͤr entbehrlich,
Und was der wichtig nennt, iſt jenem nur beſchwerlich.
Daher ein Lehrender und Lernender ſich nie
Im Grunde ganz verſtehn, doch lehren, lernen ſie.
Was aber wird von dem gelehrt, von dem gelernt?
Ein Mittleres, was ſich von keinem weit entfernt?
Nein, Eignes gibt man nur, nur Eignes wird genommen;
Die Anbequemung mag von keiner Seite frommen.
Der Lehrer, der ſich anbequemt, wirkt ſchwach und flach;
Der Schuͤler, der es thut, ſpricht Unverſtandnes nach.
Der Lehrer ſtrebe nur ſich ſelber zu entfalten,
Der Schuͤler lerne nur ſein Eignes zu geſtalten.
Wenn jeder ſo ſich nur beſtaͤrkt in ſeinem Sinn,
So bleibt fuͤr beide Theil' Erregung der Gewinn.
Durch Lehren lernen wir; das Sprichwort bleib' in Ehren,
Doch wahr iſts auch, daß wir durch Lernen ſelbſt uns lehren.
46.
Wen unerwartet Gluͤck mit Unmaß uͤberſchuͤttet,
Gefoͤrdert wird dadurch ſein Heil nicht, nur zerruͤttet;
Wie uͤberſtroͤmt mit Oel, ſtatt maͤßig angefriſcht,
An ihrer Lebensfuͤll' oft eine Lamp' erliſcht.
47.
Hier geb' ich dir, mein Sohn, Gluͤck moͤge ſie dir ſchlagen,
Die dein Großvater einſt, dein Vater dann getragen,
Die Uhr, nun trag du ſie, und moͤge ſie dein eigen
Noch ſchoͤnre Stunden dir als deinen Vaͤtern zeigen!
Ob ernſtbeſchaͤftigte, ob heiter aufgeraͤumte,
Sie zeige dir nur nie die Stunde, die verſaͤumte!
Denn niemals, ob die Uhr du ſtellen magſt zuruͤck,
Kehrt die verſaͤumte Zeit und ein vertraͤumtes Gluͤck.
Ein Bild des Lebens iſts, was dir dein Vater gab:
Das Leben wie die Uhr laͤuft unaufhaltſam ab.
Die abgelaufne Uhr laͤßt wieder auf ſich ziehn;
Fuͤr die des Lebens iſt kein Schluͤſſel uns verliehn.
48.
Wenn dir ein Schritt entſchluͤpft iſt ein unebener,
So ſorge daß auch der ſei kein vergebener.
Nachſichtiger mach' er dich fuͤr Unebenheiten
In fremden Haus- und Stadt- und Weltbegebenheiten.
Denn lerne, weil die Welt iſt ſo uneben nun,
Vorſichtiger den Schritt ein andermal zu thun.
So bleibt der Fehltritt dir in jeder Hinſicht werth,
Weil er ſo Vorſicht hat als Nachſicht dich gelehrt.
49.
Den Kruͤppel ſchilt man nicht, daß er nicht wandeln kann;
Und auch ein Kruͤppel iſt der haltungsloſe Mann.
Wer nun kann heißen gehn den Kruͤppel und den Lahmen,
Der fordre Haltung auch von dem in Gottes Namen.
Wer aber das nicht kann, der moͤge ſich bedenken,
Ob er dem armen Mann nicht muße Nachſicht ſchenken.
50.
Du haſt ein gleich Gefuͤhl nicht immer deiner Kraͤfte,
Doch ſchaffen mußt du, was einmal iſt dein Geſchaͤfte.
Wenn du bei deinem Werk nicht fuͤhlſt die friſche Luſt,
Doch denke darum nicht, daß du nichts rechtes thuſt.
Vertrau dem guten Geiſt auch in der ſchlechten Stunde,
Der, ohne daß du's weißt, doch iſt mit dir im Bunde.
51.
Statt vieler gebe Gott dir Einen Freund, getreuen,
In jeder Lage dich, und ſich mit dir, zu freuen;
Der dein Gefaͤhrte ſei zu Fahrt und zu Gefahr,
Und dein Geſelle, wo du ſiedelſt, immerdar;
Dann aber dein Genoß in jeglichem Genuß,
Und niemals ſei der Troß der Welt dir zum Verdruß.
52.
Am Tag des Gluͤckes wird ein kuͤhner Sprung dir gluͤcken,
Am Tag des Ungluͤcks ſtuͤrzt ein Fehltritt von der Bruͤcken.
Drum meide jeder Friſt den Fehltritt! denn du biſt
Nie ſicher, ob dein Ungluͤcks- oder Gluͤckstag iſt.
Am Ungluͤckstage wirſt du deſto ſichrer wallen,
Und auch am Gluͤckstag macht Vorſichtigkeit nicht fallen.
53.
Warum verehrſt du den? Weil ihn ſoviel verehren.
Das Beiſpiel iſts wodurch einander Thoren lehren.
Hier ehrt dich einer erſt, und dort ein andrer dann,
Und endlich biſt du ein verehrungswuͤrdiger Mann.
Warum? weiß keiner zwar, doch jeder glaubt gewis,
Der andre wiſſ' es ſchon, und ihm genuͤge dis.
54.
O ſchaͤme dich, zuruͤck von einem Wandelgang
Zu kommen durch den Wald, die Fruͤhlingsflur entlang,
Und nicht in deiner Bruſt ein Lied mit dir zu bringen,
Mag es nun oder nicht hervor nach außen klingen.
Das ſchoͤnſte Lied iſt ja nicht das man druckt und ſchreibt,
Vielmehr das wie die Perl' in ſeiner Muſchel bleibt.
55.
Du freueſt dich, mein Sohn, daß du in dieſem Orden,
In dem du ſtehſt, nunmehr der erſte biſt geworden.
Den Ehrgeiz lob' ich zwar, doch ſein Bereich iſt klein,
Denn hier der erſte nicht noch letzte ſollſt du ſeyn.
Zu hoͤherm Orden ſoll dein Ehrgeiz dich befiedern,
Des letzter hoͤher ſteht als du der erſt' im niedern.
56.
Du thuſt, da du dir ſollſt die Unart abgewoͤhnen,
Als ſollte dir entgehn das Schoͤnſte von dem Schoͤnen.
Wie ſchoͤn ſie duͤnke dir, doch gib die Unart mir,
Und zum Erſatze geb' ich meine Liebe dir.
Biſt du's zufrieden? Gut! geſchloſſen iſt der Kauf,
Die Unart iſt nun mein, du haſt die Liebe drauf.
Der Handel freut mich ſehr; moͤg' er dich auch erfreun!
Bedenke dieſes nur, und nie wird es dich reun:
Einſt naͤhme doch die Welt die Unart nach Gebuͤhr
Dir ab und gaͤbe nichts als ihren Spott dafuͤr.
57.
Nimm es dem Freunde nur nicht uͤbel, der ergrimmt
Ein Freundeswort ein gutgemeintes uͤbel nimmt.
Bedauer' ihn! gewis iſt uͤbel ihm zu Muth,
Recht uͤbel, weil ſo gar nichts Gutes gut ihm thut.
58.
Der Ueberſetzung Kunſt, die hoͤchſte, dahin geht,
Zu uͤberſetzen recht, was man nicht recht verſteht.
Mit allem Lernen iſt es ebenſo beſtellt;
Denn was man ganz verſteht, iſt wenig auf der Welt.
Drum lerne zeitig nur zu lernen, wo du gehſt,
Auch manches was du halb und auch nicht halb verſtehſt.
59.
In was du bildend dich wirſt ganzer Seele tauchen,
Das kannſt du fetzenweis am wenigſten verbrauchen.
Was im Voruͤbergehn den Geiſt beruͤhrt und ſtreift,
Das iſts wovon zum Schmuck er dis und das ergreift.
Nicht wo du Einzelnes aufzaͤhlſt das du gewannſt,
Das meiſte lernſt du da, wo du's nicht zaͤhlen kannſt.
60.
Du biſt, mein Juͤngling, nun in den Erobrungsjahren,
Wo man erwerben will, und noch nicht muß bewahren.
Erwirb ſoviel du kannſt, wend' an was du gewannſt,
Und freue dich, daß du ſtets weitern Kreis umſpannſt.
Dann aber, um nicht ins Unendliche zu fließen,
Wirſt du genoͤthigt ſeyn dich endlich abzuſchließen;
Dann gluͤcklich, wenn du aus dem Weitern, das zerſcheitert,
Den heitern Geiſt gewannſt, der Enges dir erweitert.
61.
Nicht Neugier rath' ich dir, die giert nur nach dem Neuen,
Doch Neuluſt, die ſich wohl des Neuen mag erfreuen.
Ohn' immer Neues kann die Neugier nicht erhalten
Ihr Leben, Neuluſt lebt vergnuͤgt auch bei dem Alten.
62.
Was giebt es hier, um was des Volks Gedraͤng ſich haͤuft?
Frag's oder warte bis es wieder ſich verlaͤuft.
Doch wenn du's dann erfaͤhrſt, haſt du vielleicht erfahren,
Daß du dein Fragen und dein Warten konnteſt ſparen.
Drum lieber geh mit mir voruͤber dem Geſchrei,
Und denk im Stillen, was es wol geweſen ſei?
Wir koͤnnen mangerlei Anlaͤſſe dem Geſchrei
Erdenken, keinen doch, der viel zu gut nicht ſei.
63.
Freigebig biſt du nicht, wenn du, was du nicht braucheſt,
Gleichguͤltig gibſt, und nicht zuvor in Lieb' es taucheſt.
Selbſt brauchen koͤnnteſt du's, doch brauchſt du ſo es eben
Am beſten, wenn du es dem, der es braucht, gegeben.
64.
Auf einen muͤden Tag wie labt die ſtille Nacht,
Wenn auch geendet nur du haſt und nicht vollbracht.
Vollbracht iſt doch, was dir der Tag gebracht von Muͤhe,
Und in der Nacht noch ruht, was bringen wird die Fruͤhe.
65.
Villeicht, doch nur villeicht vollkommener vollendet
Waͤr' eines, haͤtteſt du darauf mehr Zeit verwendet.
Doch kuͤmmre dich nur nicht! was etwa dieſem fehlt,
Erſetzt ein andres, das dein Fleiß inzwiſchen waͤhlt.
Der Dinge ſind ſoviel zu thun in dieſer Welt,
Daß gar zuviel verſaͤumt, wer lang beim einen haͤlt.
Rath' ich dir Sudelei drum und Eilfertigkeit?
Nein, aber Eilfahrt! denn mit Eilfahrt faͤhrt die Zeit.
Eilfertiger als je die Eilfuhr mit den Gaͤſten,
Faͤhrt meine Wolkenpoſt ſtets zwiſchen Oſt und Weſten.
66.
Begriffen haſt du, doch damit iſts nicht gethan;
Nun lern' es auch, dann erſt gehoͤrt es ganz dir an.
Es iſt ein Unterſchied, begriffen und gelernt;
Beim erſten Schritt iſt man noch weit vom Ziel entfernt.
Doch, iſt auf rechter Bahn der erſte Schritt gethan,
So kommt das Ziel von ſelbſt, halt nur den Schritt nicht an!
Das recht begriffene iſt leicht zu lernen nun;
Doch lernen mußt du es, ſonſt kannſt du es nicht thun.
67.
Du mußt nach oben ſchaun, zu ſehn, wie viel noch Stufen
Des Beſſern uͤbrig ſind, wozu du biſt berufen.
Du mußt nach unten ſchaun, um auch zu ſehn zufrieden,
Wieviel dir Beſſres ſchon als Andern iſt beſchieden.
68.
Ich rathe dir, wenn eng iſt deines Gartens Raum,
Zuerſt zu pflanzen drin fruchttragend einen Baum;
Dann aber, wenn noch Raum daneben iſt, daneben
Zu pflanzen einen Baum, der auch mag Schatten geben.
Sei nur zufrieden, wenn der eine dir den Schatten,
Der andre gibt die Frucht, ſo wirſt du nie ermatten.
Doch dann biſt du begluͤckt, wenn dir den engen Raum
Des Herzens fuͤllet ein Zugleich-Frucht-Schatten-Baum.
69.
Du ſchoͤpf' aus deinem Brunn und laß auch andre ſchoͤpfen!
Ihr ſchoͤpfet ihn nicht aus mit Eimern, Kannen, Toͤpfen.
Doch miß nicht ſeine Tief', und laß auch andre nicht
Ihn meſſen, weil dadurch ihm die Quellader bricht.
Dein gottgegebnes Gut ſei, dein mit Luſt beſeßnes,
Ein dem Beduͤrfnis angemeßnes, ungemeßnes.
70.
Wen man gern anerkennt, der wird gern anerkennen;
Wem man das Seine goͤnnt, mag Andern Ihres goͤnnen.
Wenn ihr dagegen mir mein Recht nicht wollt zugeben,
So leugn' ich eures ab, und ſtreit' euch ab das Leben. —
Von dieſem Sinne bin ich ſelber zwar entfernt,
Doch ihn begreifen hab' ich leider wohl gelernt.
71.
Die Hand, die dich begabt, ſieh an, nicht nur die Gaben;
Mehr als Erworbnes gilt wie wir's erworben haben.
Wenn gute Goͤtter dir geſchenkt und Geiſter hold
Staub oder duͤrres Laub, wird dir's im Buſen Gold.
Und von Unholden wenn mit Silber oder Golde
Du dich bereichert glaubſt, wird's in der Hand zu Molde.
72.
Man ſchlaͤgt die Kinder nicht mit ſchon gebrauchten Beſen,
Aus friſchen Zweigen muß man dazu Ruthen leſen.
Denn nicht aufs Ohngefaͤhr geuͤbt wird Kinderzucht,
Das Werkzeug ſei dazu mit Sorgfalt ausgeſucht.
Vom Kinde, das ſie ſchlug, ſoll ſie den Namen tragen,
Und mit der Ruthe ſollſt du dann kein Thier mehr ſchlagen.
73.
Druͤck manchmal zu ein Aug'! es iſt nicht ſchwer, der Flor
Der Wimper haͤngt daran, zieh ihn nur leiſe vor!
Doch lerne ſchließen auch, was ſchwerer iſt, das Ohr!
Von innen ſchließ es! denn kein Schloß iſt außen vor.
Laß dich die Uebung in der Kunſt nur nicht verdrießen,
Zu rechter Zeit das Aug' als wie das Ohr zu ſchließen;
Sonſt haſt du keine Ruh, weil, wie die Leute ſprechen,
All wiſſen Kopfweh macht, all hoͤren Ohrenſtechen.
74.
Wie uͤbel ihr vergleicht! des Einen Wirklichkeit,
Des Andern Ideal, die Kluft iſt freilich weit.
Den Wuchs nicht wie er iſt, doch ſollt' und koͤnnte ſeyn,
Bringt ihr in Anſchlag hier, Auswuͤchſe dort allein.
Die Todtenaſchen dort, und hier die Lebensflammen;
Da koͤnnt ihr freilich leicht hier preiſen, dort verdammen.
Laßt ſehn, ob nicht die Glut ſich auch in Aſche legt,
Und ob die Aſche nicht noch einen Funken hegt!
75.
Ich lehre dich, mein Sohn! Nie uͤbe das, was uͤber
Das Maß iſt! Ueberall vom Uebel iſt das Ueber.
Ich uͤberliefr' es dir, wie's mir iſt uͤbermacht:
Nicht gut iſt Ueberfluß, nicht gut iſt Uebermacht.
Denn haſt du's uͤberdacht, wie oft die Uebermacht
Und Ueberpracht der Welt vergangen uͤber Nacht?
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 3
Und wie den Ueberfluß Uebergenuß verſchlingt,
Und wie der Ueberdruß aus Ueberfluß entſpringt?
Wie Drang zu Ueberdrang, Schwung wird zu Ueberſchwang,
Und ſchnell zum Boͤſen iſt des Beſten Uebergang?
Leicht ſtumpf wird uͤberfein, leicht thoͤricht uͤberklug,
Weil ſtets ein Gegentheil ins andre uͤberſchlug.
Schoͤn ſei nicht uͤberſchoͤn, und hold nicht uͤberhold!
Denn Uebergoldung iſt im Werth nicht uͤber Gold.
Um wirklich gut zu ſein, ſei ſelbſt nicht uͤbergut;
Und wenn der Muth iſt dein, werd' er nicht Uebermuth.
Denn jeder Trieb verdirbt, wann er wird uͤbertrieben:
Auch uͤberſchaͤtzen ſollſt du nichts noch uͤberlieben.
Bei Ueberlegung nur darfſt du was uͤber-legen;
Denn Ueberlegenheit entſpringt aus Ueberlegen.
Die Ueberlegung doch iſt unnuͤtz auch, woruͤber?
Mein Soͤhnchen, uͤber das, was einmal iſt voruͤber.
76.
Zwei Bettler liefen rechts und links am Reiſewagen,
Und ein Almoſen wollt' ich ihnen nicht verſagen.
Dem einen warf ichs zu im ſchnellen Vorwertseilen,
Und rief: Ihr beiden theilt! Es war genug zum Theilen.
Der aber nahm es ganz, dem's zugefallen war,
Und leer vondannen gieng der andre ganz und gar.
Der hat mir wol geflucht, und jener mich geſegnet;
So iſt mir denn geſchehn, was oft dem Gluͤck begegnet,
Das ſeine Gaben auch uns Bettlern im Enteilen
Zuwirft, und denkt daß wir als Bruͤder ſollen theilen.
Zureichen wuͤrden auch getheilt die Gaben allen;
Doch ganz ſteckt jeder ein, was ihm iſt zugefallen.
3*
77.
Dein Gegner hat gemach ein ſchoͤnes Ziel erreicht,
Doch hoͤher liegt, das du erreichen wirſt vielleicht.
Schoͤn iſt es, fertig ſeyn ſchnell ohne viel Beſchwerden;
Doch auch ein ſchoͤnes Gluͤck iſts, niemals fertig werden.
78.
Wenn dir ein weiſes Wort zu denken und zu ſchreiben
Sich darbot heute, laß es nicht bis morgen bleiben.
Noch minder aber wenn Gelegenheit zu thun
Du haſt ein gutes Werk, laß es auf morgen ruhn.
Ein unterdruͤcktes Wort kommt wieder neugeboren,
Die unterlaſſne That doch iſt und bleibt verloren.
Und geht verloren auch ein Wort, ſo iſts nicht viel;
Denn nur die That iſt Ernſt, und der Gedank' ein Spiel.
Du aber, wenn dir Zeit und Ort und Kraft nicht bleiben
Den Ernſt zu thun, magſt du mit Ernſt dein Spielwerk treiben.
79.
O wiege dich nicht ein in traͤumenden Gefuͤhlen,
Fehlhoffend Sturm und Brand mit goldnem Duft zu kuͤhlen.
Gerade wo den Feind du waͤhneſt uͤberwunden,
Im innerſten Gemuͤth wirſt du von ihm gebunden.
Denn heimlich mit der Luſt im Bund iſt die Empfindung,
Im Kampfe mit der Welt nur iſt Weltuͤberwindung.
Drum leb' aus dir hinaus, und ſteig in dich nur nieder
Um auszuruhn und neu hinaus zu leben wieder.
Wie ſelbſt den Athem Gott dir dazu hat verliehn,
Ihn auszuathmen auch, nicht nur ihn einzuziehn;
So wechſelweiſe mag in ſich der Geiſt ſich ſenken,
Um deſto ruͤſtiger ſich auf die Welt zu lenken.
Nur wenn er gluͤcklich ſich erhaͤlt in dieſer Schwebe,
Geht unbeſtrickt er durch ein doppelt Irrgewebe.
80.
Verzage nicht, o Herz! die Luſt entſpringt aus Trauer;
Dem Sonnenaufgang geht voraus ein Morgenſchauer.
In dieſem Schauer wird, was geſtern bluͤhte, ſterben:
Was heute ſoll erbluͤhn, wird davon Kraft erwerben.
Verzage nicht, wenn ab die welke Hoffnung fiel;
Die neue ſchon erhebt ſich jung auf friſchem Stiel.
81.
Du biſt zu ſchwach, der Welt Ungleichheit auszugleichen,
Nicht machen kannſt du rings die Armen all zu Reichen.
Nicht jeden Thoren kannſt du zu 'nem Weiſen machen,
Zum Guten jeden Wicht, zum Helden jeden Schwachen;
Nicht decken jede Bloͤß' und jeden Fehl verhuͤllen,
Nicht ſtillen jeden Durſt und jeden Wunſch erfuͤllen.
Doch laß ſoweit du kannſt nur deine Liebe reichen,
Nach allen Seiten, Ungleichheiten auszugleichen;
Und in dir ſelber dann gleich' aus den großen Reſt,
Feſt im Vertraun auf Gott, auf dem die Welt ſteht feſt.
82.
Du kanſt, wenn etwa dir ein Großes iſt gelungen,
Die angeſtrengte Kraft ein Hohes hat erſchwungen,
Dir nicht deswegen nun nachgeben auszuruhn,
Dir nachſehn gar dafuͤr was Schlechteres zu thun.
Dir auf legt jede Pflichterfuͤllung neues Joch,
Zu leiſten immer das, und immer mehr nur noch.
Nicht eigenmaͤchtig kanſt du dir den Freibrief ſchreiben,
O Gottes Knecht, du mußt in deiner Knechtſchaft bleiben.
83.
Gewinnen kan man nichts, ohn etwas zu verlieren;
Man kan ſich nicht zumal mit jedem Vorzug zieren.
Wer feſt das eine haͤlt, dem iſt das andr' entgangen;
Und gar nichts fangen wird, wer da will alles fangen.
84.
Laß nur ein Staͤubchen Mehl beim Fegen im Mehlkaſten,
Im Beutel ein Stuͤck Geld auch beim Ausgeben raſten.
Wo noch ein Reſt iſt, ſtellt die Fuͤlle bald ſich her;
Doch voͤllig ausgeleert, das fuͤllt ſich nimmermehr.
85.
Es iſt ein Gluͤck ganz unverhofft dir zugefallen;
Nun der zufriedenſte wirſt du wol ſeyn von allen.
Doch nein, es hat in dir den Wunſch nur aufgeregt,
Den Saamen der Begier dir in die Bruſt gelegt.
Du haͤltſt das Gluͤck nur fuͤr ein Gluͤckverheißungszeichen,
Weil ſoviel ſei erreicht, ſei alles zu erreichen.
Gib acht, daß uͤbernacht es dir nicht komm' abhanden,
Weil unſer Zeichen du haſt ſchmaͤhlich misverſtanden.
86.
Man ſagt: ein ſaͤugend Kind, wonach zuerſt es ſtreckt
Die Haͤndchen, daran wird ſein kuͤnft'ger Sinn entdeckt.
Drum Gutes, Schoͤnes, ſoll man nur dem Kind vorhalten,
Um ſchlechte Neigungen in ihm nicht zu entfalten.
87.
Die Maske, die ein Thor zu eitlem Putz erkor,
Nimmt zur Bequemlichkeit und Luſt ein Weiſer vor,
Der ſie nur leicht vorhaͤlt, ſolang es ihm gefaͤllt,
Und fallen laͤßt, ſobald ſie ihm beſchwerlich faͤllt.
88.
Wenn du gefaͤllſt der Welt, wird dir die Welt gefallen;
Doch wer ſich ſelbſt gefaͤllt, das iſt ein Gluͤck vor allen:
Sich zu gefallen, nicht wie ſich ein Thor gefaͤllt,
Ein Eitler, der allein ſich duͤnkt die ganze Welt.
Der ſchwache Wahn geht wie ein Glas vom Stoß entzwei,
Und merkt, indem er bricht, daß außer ihm was ſei.
Doch du gefalle dir, weil dir die Welt gefaͤllt,
Weil du die Welt in dir und dich fuͤhlſt in der Welt.
89.
Vergleiche dich nur oft nach unten und nach oben,
Daß du demuͤtig hier und dort dich fuͤhlſt erhoben;
Demuͤtig, wenn du fuͤhlſt, den Schwaͤchſten gleicheſt du,
Erhoben, weil du ſtrebſt mit Hoͤchſten Hoͤchſtem zu.
90.
Wenn dir ein Gluͤck will nahn, o nenne nicht das Gluͤck
Bei ſeinem Namen! ſcheu vor'm Namen weicht's zuruͤck.
Und droht ein Ungluͤck dir, ſo nenn' es nicht beim Namen,
Sonſt ſiehſt du zwei, die auf des Einen Namen kamen.
So uͤbel iſts beſtellt, mein Sohn, um dieſe Welt,
Daß Boͤſes bei dir zieht, was Gutes ab dir haͤlt.
Doch dich nicht lehren will ich dieſes, o mein Sohn;
Ich ſelber lernt' es nur, du lerne nichts davon!
Ich wuͤnſche, daß du nie ſo eingeſchuͤchtert werdeſt,
Frei immer, wie es dir ums Herz iſt, dich geberdeſt.
91.
Wer aus dem Hauſe geht bei fruͤher Morgenhelle
Zu wichtigem Geſchaͤft, und ſtoͤßt ſich an die Schwelle,
Verachten ſoll er nicht die Warnung, ſondern lenken
Zuruͤck, um noch einmal den Ausgang zu bedenken.
Wenn du haſt recht bedacht, ſchlag das Bedenken nieder,
Geh aus und ſtoße dich an keinen Anſtoß wieder.
Nur dazu ſind geſandt den Menſchen uͤble Zeichen,
Daß ſie davor zuruͤck von uͤblen Pfaden weichen;
Und guͤnſtige dazu, daß ſie den guten Mut
Dir ſtaͤrken, wenn der Weg, auf dem du gehſt, iſt gut.
Mit Vogelfluge winkt und mahnt mit Vogelſtimmen
Selbſt die Natur dich an zum Guten, ab vom Schlimmen.
92.
Weltklugheit raͤth dir an: verachte keinen Mann!
Du weißt nicht, wie er dir noch nuͤtzen, ſchaden kann.
Die Liebe gibt dir ein: lieb' alles groß und klein!
Der hoͤchſten Liebe werth wirſt du dadurch allein.
O ſieh, den Streit der Welt verſoͤhnt ein Gotteshauch!
Wer Himmelsliebe hat, der hat Weltklugheit auch.
93.
Am ſchoͤnen Tage nimmſt du dir die Reiſe vor;
Denn an dem haͤßlichen mag reiſen nur ein Thor.
Allein das Wechſeln iſt dem Wetter unerlaͤßlich;
Dein Reiſetag, weil ſchoͤn dein Ruͤſttag war, wird haͤßlich.
94.
Du ſtehſt am Strand, und ſiehſt noch ringen mit den Wogen
Sie, die ein gleicher Trieb nach dieſem Strand gezogen.
Erinnre dich, wie du einſt ſelber deine Hand
Getreckt aus Wogenkampf nach denen hoch am Strand;
Und wie es dich verdroß, wenn jene dich verließen,
Und, um allein zu ſtehn, dich in die Fluten ſtießen.
Entgegen ſtrecke der geſtreckten deine Hand;
Am Strande neben dir iſt noch fuͤr viele Stand.
Der ausgeſtreckten ſtreck' entgegen deine; ſiehe
Nur zu, daß keine ſelbſt vom Strand dich niederziehe!
Nein, dieſe Vorſicht laß der Vorſicht Hand ob dir!
Du ſtehſt durch ſie und faͤllſt, und faͤllſt niemals aus ihr.
95.
Der Raſen, geſtern duͤrr, verſengt von Sonnenglut,
Wie ward er heute gruͤn, beſprengt von Regenflut!
Der Regen konnte nicht verdorrtes Gras erfriſchen,
Duͤrr iſt es noch, es wuchs nur junges Gruͤn dazwiſchen.
96.
Dein iſt nicht, was du haſt; das was du thueſt, iſt
Mehr dein; am meiſten dein ſcheint, was du ſelber biſt.
Doch biſt du, was du biſt, am wenigſten durch dich;
Was, dich zu ruͤhmen, bleibt dir eignes alſo? ſprich!
97.
Ein Grund der Bildung iſt dir an- und eingeboren,
Zu dem du nichts gewannſt, von dem du nichts verloren;
Den aus- und durch- und umzubilden du verſucht,
Und deines Anbaus Fleiß vermehrt des Grundes Frucht.
Ausgeheſt du von ihm und kehrſt zu ihm zuruͤck;
Und dis erkennen iſt dein hoͤchſtes letztes Gluͤck.
98.
Wir alle ſind getaͤuſcht von einer Zauberbinde,
Die waͤhnen, daß die Lieb' auf Erden Goͤttlich's finde.
Was lachſt du uͤber den, der minder ſchoͤn's erkor?
Die Binde ſchwebet ihm nur etwas dichter vor.
99.
Die gute That befreit, die boͤſe That beſtrickt;
Weit fuͤhlt ſein Herz, wer die, und eng, wer die beſchickt.
Ein jedes Band, in das du noch dich fuͤhlſt geſchlagen,
Haſt du gewirkt, und mußt es zu entwirken wagen.
Hier iſt des Wirkens Zeit, drum wirk' und ſei befreit!
Wer frei von hinnen geht, der iſts in Ewigkeit.
100.
Und ſaͤheſt du auch Tod und Weh im Leben nie,
Es iſt in deiner Sprach', in deiner Fantaſie.
Du ſiehſt es innerlich, und hoͤrſt es geiſtig immer;
Den Schatten uͤbertuͤncht kein Luft- und Lebensſchimmer.
Gewohnheit dumpfe nur macht dich vom Schreckbild frei,
Du hoͤreſt es und ſiehſt, und denkeſt nichts dabei.
101.
Sei wie die Biene nur zu keiner Stunde muͤßig!
Sie ſammelt Wachs, wann noch der Honig nicht iſt fluͤſſig.
Doch wann der ſuͤße Duft im Sonnenbrande raucht,
Sofreut ſie ſich daß ſie nicht Wachs zu ſammeln braucht.
102.
Du fuͤhlſt, durch Irrthum nur kannſt du zum Ziele kommen;
Doch nur ein Thor hat ſich zu irren vorgenommen.
Du fuͤhlſt, erheben kannſt du dich, wo du gefallen;
Doch nur ein Toller wird dem Fall entgegen wallen.
Mit Maͤngeln kommt man zwar, doch nicht durch ſie zum Ziel,
Nicht weil man fiel und irrt', obgleich man irrt' und fiel.
103.
Ein Bruchſtuͤck immer iſt des einzlen Mannes Wiſſen,
Das er als Ganzes darzuſtellen iſt befliſſen;
Zu loben, wenn er es von innen will ergaͤnzen,
Zu tadeln, wenn mit Schein der Ganzheit uͤberglaͤnzen.
In dieſem Fall iſt doch, wer lehren will und ſoll,
Eh alle Faͤcher noch des Wiſſens er weiß voll.
Er darf dem Lernenden nicht zeigen ſeine Luͤcken,
Mit mehr und minder Kunſt muß er denn ſchlagen Bruͤcken,
Daß alles ſcheine nur zuſammen fein zu hangen,
Vom einen End der Welt zum andern zu gelangen.
Der arme Mann muß ſich mit fremden Federn ſchmuͤcken,
Weil er kein Lehrgedicht darf geben in Bruchſtuͤcken.
104.
O ſeliges Gefuͤhl, zu fuͤhlen daß du lebeſt,
Empfangeſt Leben von der Welt und Leben gebeſt;
Ein Glied des Leibs zu ſeyn, der tauſendfach ſich gliedert,
Wo Herrſchen nicht erhoͤht und Dienen nicht erniedert.
Denn alles iſt Gefaͤß, das immer feiner ſeigert,
Wodurch ſich Nahrungsſaft zum Nervengeiſte ſteigert.
Die Stell', an die du biſt geſtellt, beſtelle du,
O Werkzeug im Gewerk des Lebens wirke zu!
Und fuͤhle, daß du nicht entaͤußernd dich verlierſt,
Daß du die Welt aus dir, dich aus der Welt gebierſt.
Du zieheſt ſie in dich, um ſie dir anzugleichen,
Und gehſt in ſie um aufzudruͤcken ihr dein Zeichen.
Ein Puͤnktchen und zugleich ein Mittelpunkt, ein Ich;
So unterordne dir und unterordne dich!
105.
Geldhunger nicht allein hat nie geſtopft den Mund,
Der Ruhmdurſt noch vielmehr hat immer trocknen Schlund.
Er ſchlinget Strom auf Strom, und fuͤhlt ſich nicht geletzt;
Das Troͤpflein brennet ihn, das fremde Gaumen netzt.
106.
Aus Saadi's Reiſeſpruͤchen.
Geh auf die Reiſe, Freund! Der dir das Reiſen preiſt,
Der hat es auch erprobt, der Saadi war gereiſt.
Nicht Eine Roſe gibts, nicht Einen gruͤnen Baum;
Voll Baͤume ſteht die Welt, voll Roſen bluͤht der Raum.
Was willſt du wie ein Huhn im Hofe Koͤrner klauben,
Wenn du dich ſchwingen kannſt frei in die Luft wie Tauben?
Die Schnecke reiſt bequem, ſie reiſt mit ihrem Haus,
Dafuͤr ſieht ſie nicht viel, und kommt nicht weit hinaus.
Gefaͤhrten ſuch' ich mir, die etwas mit mir wagen,
Nicht einen Reiſefreund, des Buͤndel ich ſoll tragen.
Der Seele Kraft beſteht im Trachten und Betrachten;
Betrachten ſollſt du viel, doch nicht nach allem trachten.
Durcheilſt du alles ſchnell, ſo wirſt du vieles ſehn;
Das Eine ſiehſt du recht, bleibſt du beim Einen ſtehn.
Ein kluger Wandersmann ruht aus am Scheidewege;
Da ruh' ich nicht umſonſt, indes ich uͤberlege.
Viel beſſer aber iſts auf gut Gluͤck irre gehn,
Als bis zum Untergang der Sonn' am Scheidweg ſtehn.
Ich habe viel geirrt, ich hab' auch viel getroffen
Beim Irren, was nicht war auf gradem Weg zu hoffen.
Ich ſehs, daß ich gefehlt; was hilft, daß es mich reute?
Das Geſtern fraß der Fehl, ſoll freſſen Reu das Heute?
Mach' es ſogut du kannſt; und haſt du's ſchlecht gemacht,
So preiſ' in Demuth Gott, der Alles recht gemacht.
107.
Auf Reiſen willſt du gehn? was willſt du ſehn auf Reiſen?
Laß dir die Luſt vergehn, die Luſt zu gehn auf Reiſen!
Die Welt iſt immer jung, du biſt geworden alt,
Das merkſt du weniger am alten Aufenthalt.
Das ſagt im fremden Raum dir jeder friſche Baum:
Dein Lenz iſt abgebluͤht, und ausgetraͤumt dein Traum.
Drum rath' ich dir, wenn Rath du willſt annehmen: Reiſe,
Nicht gradaus wie der Wind, nur wie die Sonn im Kreiſe!
Heb in Gedanken dich zu ihr empor, und ſchau
Herab: die Erd' iſt gruͤn, ſoweit der Himmel blau.
108.
a.
Von Ueberzeugungen ein feſter Grund gelegt
Muß erſt ſeyn, der den Bau der ganzen Bildung traͤgt.
Auf ſchwebendem Geruͤſt mag dann der Zweifel ſchwanken
Beim Hoͤherbaun, es wird davon der Grund nicht wanken.
b.
Wer ſelber zweifelt, kann nicht fremde Zweifel heben,
Und Ueberzeugung nur kann Ueberzeugung geben.
Wenn du der Lehre nicht willſt allen Nachdruck rauben,
Muſt du zum wenigſten ſolang du lehrſt dran glauben.
c.
Das Roß am Wagen merkt des Fuhrmanns Unbeſtand,
Reißt widerſpenſtig ihm das Lenkſeil aus der Hand.
Und ſicher wird der Zucht dein Zoͤgling ſich entziehn,
Zuchtmeiſter, meiſterſt du mit Sicherheit nicht ihn.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 4
109.
Komm nur, du biſt ein Knecht, und ſei ein fleißig treuer!
Beſtell den Acker, ſtreu die Saat und fuͤll die Scheuer.
Du thuſt es durch den Herrn, du thuſt es fuͤr den Herrn,
Und dieſes ſei dein Lohn, daß du es thueſt gern.
110.
Die Locken, die du jung dir von der Stirn mußt ſtreichen,
Im Alter ſieheſt du von ſelbſt zuruͤck ſie weichen.
Der Sitz des Denkens dort, verhangen ſonſt vom Schleier,
Die Stirne zeiget nun ſich offener und freier,
Der Wald gelichtet, der die Ausſicht einſt verſchattet:
Das Alter nimmt dir nichts, was es dir nicht erſtattet.
111.
Was iſt das Licht, das hold des Daſeyns Nacht erheitert?
Der Athem, der die Bruſt zum Himmel dir erweitert?
Die Freude, die dich gut und weiſe macht, vollkommen;
Ihr Gegentheil allein macht eng und dumpf, beklommen.
Solang du Freude fuͤhlſt, fuͤhlſt du dich in Zunahme,
Und in Abnahme nur, wenn du erliegſt dem Grame.
Wem noch in Zunahm' iſt das Leben, der iſt jung;
Und ſo iſt alterlos der Freude Jugendſchwung.
Die ew'ge Jugend laß vom Kummer dir nicht rauben;
Du mußt mit Freudigkeit nur an dich ſelber glauben.
4*
112.
Der Seele Saiten, wann ſie dir am feinſten ſind
Geſtimmt, o huͤte ſie vorm allerkleinſten Wind!
Denn auch ein ſolcher kann verſtimmen dann die Saiten,
Der ohne Eindruck ſonſt daruͤber wuͤrde gleiten.
Wenn der Begeiſterung Erwachen ſchauernd ſpuͤrt
Der Geiſt, fuͤhlt unſanft er von Ird'ſchem ſich beruͤhrt;
So daß der Andacht Glut oft, nebenaus vom Zug
Der Luft gewendet, wild in Zornesflamm' ausſchlug.
Nicht nur dem Altar iſt ſein Opfer dann entzogen,
Du ſelber fuͤhleſt um die Stille dich betrogen.
113.
Wer ſich als Menſchen fuͤhlt, und tief in ſich empfindet,
Daß mit der Menſchheit ihn die Menſchlichkeit verbindet,
Der wird nicht wollen, wird nicht koͤnnen auch, die Leiden
Und Freuden des Geſchlechts von ſeinen eignen ſcheiden.
Wes irgend einer vom Geſchlecht ſich freut' und litt,
Mitfreuen wird es ihn, und leiden wird ers mit.
Doch Freud' iſt Geiſtesthat, zur Freud' iſt er berufen;
Ein Thor nur glaubt, daß ihn zum Leiden Goͤtter ſchufen.
Vernunft will freie That; wer ihre Stimme hoͤrt,
Raͤumt freudig weg, was ihm Freiheit und Freude ſtoͤrt,
Raͤumt weg die Leidenſchaft, und mit ihr ſeine Leiden;
Wird er nun auch darum den Anblick fremder meiden?
Ja, wenn er, dumpf genug, nicht fuͤhlt, was er nicht ſieht,
Auch der Vorſtellung mit dem Anblick ſich entzieht.
Viel lieber kaͤmpfen wird er mit des Geiſtes Waffen,
Vom Leiden frei wie ſich auch andere zu ſchaffen.
Hat er in ſich bekriegt das Leid und es beſiegt,
Daß uͤberwunden es zum Fuß der Freude liegt;
So wird er ihren Krieg auch andern helfen kriegen,
Daß ſie, von ſeinem Sieg geſtaͤrkt, ſich ſelbſt beſiegen.
Nicht weil er fuͤhlt, daß ers in ſich allein vollbracht,
Wird er die ſchwaͤcheren verlaſſen in der Schlacht.
Wes er ſich ſelb ſchaͤmt, wird er ſich fuͤr ſie nicht ſchaͤmen,
Mit Freuden wird er Theil an fremden Leiden nehmen:
Ob er den Gipfel auch der Goͤttlichkeit erſtiegen,
Wo Erdendunſtgewoͤlk' in Aetherduft verfliegen;
Um wie vielmehr wenn er ſich ſagen muß, er ſei
Noch ſelbſt von Leiden nicht und Leidenſchaften frei.
114.
Der ſchlimmſte Neider iſt, der das ſich laͤßt verdrießen,
Wenn, was er nicht mehr kann, nun andere genießen.
Kann einen hungrigen der ſatte wol beneiden,
Und moͤchte lieber ſelbſt noch einmal Hunger leiden?
Begierde — ſchlimm genung, daß ſie Befriedigung
Begehrte, da ſie war am Leben friſch und jung;
Nun ſie geſtorben iſt, ſo ſei ſie auch begraben!
Wir freun uns, daß wir Ruh, die Unruh andre haben.
115.
Ein tugendhafter Mann denkt nie, weil es vergebens
Zu denken iſt, des Tods, er denkt allein des Lebens.
Des Todes nie, weil nie der Tod ihm ſchaden kann;
Des Lebens nur, weil nur im Leben wirkt der Mann.
So denkt ein Tapfrer nicht, weil er zuvor bedacht
Ihn ein fuͤr allemal, des Todes in der Schlacht.
Und alſo in der Schlacht des Lebens, die wir kaͤmpfen,
Laß nie des Todes Furcht die Ruͤſtigkeit dir daͤmpfen.
Und wenn des dunklen du gedenken ſollſt, ſo thu
Es ſo wie wer gedenkt am heißen Tag der Ruh;
Den der Gedanke ſtaͤrkt, daß er die Nacht ſoll ruhn,
Und fruͤh erwachen, neu geſtaͤrkt ſein Werk zu thun.
116.
Was dir mit Einem Mund bewundernd alle preiſen,
Woran ſich dir nichts will Bewundernswerthes weiſen;
Es muß doch etwas ſeyn daran, wonach ſie rennen,
Du aber raſte nicht daſſelbe zu erkennen;
Nicht, um es ſelber nun in gleichem Schein zu ſehn,
Nur die Bewundrung als vernuͤnftig einzuſehn.
117.
Was gibt Behaͤglichkeit dir in des Lebens Kreiſen?
Weiſe Vertraͤglichkeit mit Thoren und mit Weiſen;
Friede mit aller Welt, mit dir Zufriedenheit,
In gottbeſeligter Weltabgeſchiedenheit.
118.
Wer hat es nicht erlebt, daß etwas tief ihn kraͤnkt,
Und ſich den Augenblick ſein Haupt in Unmut ſenkt?
Doch oft nach einem Tag, oft ſchon nach einer Stunde,
Belaͤchelſt du den Schmerz, und fuͤhlſt nicht mehr die Wunde.
Darum, zur Stunde wo dich etwas kraͤnkt, o denke
Der naͤchſten Stunde gleich, damit dichs gar nicht kraͤnke.
Doch leichter iſt geſagt dergleichen als gethan;
Die Gegenwart ruͤhrt hart, die Zukunft leiſer an.
Da wo der Stoß dich trifft, wird ihn der Sinn empfinden,
Doch die Erſchuͤttrung hilft der Geiſt dir uͤberwinden.
119.
Nichts ſonderliches wird er lernen, der verſtehn
Will alles was er lernt, und auf den Grund ihm ſehn.
Nur wenig foͤrdert dich ein leicht Bezwingliches,
Den Blick der Forſchung ſchaͤrft nur Undurchdringliches.
Dem Raͤthſelhaften, das vielſinnig iſt zu deuten,
Wirſt du mit Sinnigkeit den tiefſten Sinn entbeuten.
120.
Unſer Gedaͤchtniß iſt wie eines Wirthes Zimmer,
Das doch, wie weit es ſei, beſchraͤnkt von Raum iſt immer.
Von Gaͤſten gehn darein nicht zuviel auf einmal,
Und von Vorſtellungen nur immer eine Zahl.
Doch nach einander gehn der Gaͤſte viele drein,
Und alle ſchreiben auch wol ihre Namen ein.
Die in das Fremdenbuch, die auf die Fenſterſcheiben,
Das ſind Erinnrungen die von den Gaͤſten bleiben.
Erneun kann ſich der Wirth die Zuͤge nach Belieben,
Wenn zu-unleſerlich nicht einer hat geſchrieben.
Doch mancher lief auch durch auf fluͤchtigem Beſuch,
Der weder an die Wand ſich einſchrieb noch ins Buch.
Das iſt was du gelernt und ſchnell vergeſſen haſt,
Nicht im Gedaͤchtniß hat verewigt ſich der Gaſt.
121.
Von keinem fuͤhlſt du mehr als einem dich beſchwert,
Der an dem Leben nur des Lebens Formen ehrt.
Mit ſeiner Foͤrmlichkeit tritt er in deine Kreiſe,
Und nichts drin geht ihm recht, weil nicht auf ſeine Weiſe.
Die mangelhafte Form verdecket ihm den Sinn;
Und endlich glaubſt du ſelbſt, es ſei kein Takt darin.
Weiſ' ihn aus deinem Kreis und laß ihn weiter wallen,
Der nur an deinem Seyn dir ſtoͤrt dein Wohlgefallen.
122.
In einem Irrthum biſt du immer noch befangen,
Alsob es gelte hier was eignes zu erlangen,
Alsob es gelte durch Anſtreben, Kaͤmpfen, Ringen,
Zu einem hoͤhern Werth mit Macht empor zu dringen.
Beſcheide dich! hier iſt nichts hoͤhers zu verlangen,
Als am Gemeinſamen Gemeinſchaft zu erlangen,
An dem, was klein und groß den Menſchen iſt gemein,
Ein Menſch zu ſeyn, das iſt nicht groß und iſt nicht klein.
Nicht, weil du klommeſt, biſt du auf zu hoͤherm Grade,
Geſtiegen biſt du nur empor auf ſteilerm Pfade.
Begluͤckt iſt, der empor auf leichterem gekommen,
Der oben iſt und ſelbſt nicht weiß, daß er geklommen.
123.
Ich weiß es nicht, ob ſo ſich allgemein verhaͤlt
Das menſchliche Gemuͤt, wie meines iſt beſtellt,
Das in der Freude ſchon das Ende fuͤhlt der Luſt,
Und in der Trauer ſich des Troſtes iſt bewuſt;
Sodaß im Gegenſatz von ungewiſſer Dauer
Verſchwimmen alswie Licht und Schatten Luſt und Trauer.
124.
Weißt du, was Liebe ſei? Daß eine dir gefallen,
Iſts nicht, auch das nicht, daß ſie dir gefiel vor allen.
Doch andere zu ſehn, und ſchoͤner ſie zu finden,
Geiſtreicher auch, und doch nicht Luſt noch Neid empfinden,
Und fuͤhlen, daß es nur zur Einen hin dich zieht;
Die Lieb' iſt das, die fuͤhlt, nicht denket oder ſieht.
125.
Die beſſre Seel' iſt nicht, die nur hat beſſre Kraͤfte,
Wie von Geburt ein Leib vorm andern beſſre Saͤfte.
Die beſſre Seel' iſt, die von den auf ihrer Flur
Gewachſnen Kraͤften mehr gebraucht die beſſern nur;
Die mehr die beſſern und ſie beſſer braucht zum Siegen,
Daß ihnen, nochſo ſtark, die ſchlechteren erliegen:
Wie von zwei Ringern, zwei gleichſtarken, der danieder
Den andern ringt, der am geſchicktſten braucht die Glieder.
126.
Erkenneſt du, wohin auf oder niederſtrebt
Der Zeitgang, gib nur nach, o Herz, das widerſtrebt!
Kein Widerſtreben hilft; du mußt dich ihm bequemen,
Wo nicht, mit deinem Thun vom Schauplatz Abſchied nehmen.
In jeder Jahreszeit kommt andres an die Reihe;
Begehre nicht, daß man nur Wetter dir verleihe!
Wenn du im Wetter, das nun kommt, nicht bluͤhen kannſt,
So freue dich daß du ſchon deine Frucht gewannſt.
Das worin du erſtickſt, iſt andern Lebensluft;
Der Zukunft Odem weht aus des Vergangnen Gruft.
Was alſo bleibet dir? theilnehmende Betrachtung,
Dem Werden zuzuſehn ohn' Aerger und Verachtung.
Gluͤckſelig ein Gemuͤth, in deſſen Heiligthumen
Jedwede Jahreszeit hervorbringt Himmelsblumen.
127.
Nur auf die Lebensfahrt nicht viel Gepaͤck-Geſchleppe!
Denn uͤber manchen Berg geht ſie und manche Steppe.
Nicht von Spielwaaren ſei ein Wagen mitgefahren,
Genug zu ſchaffen macht ein Wagen Eſſenswaaren.
Auch von Andenken ſei nicht mitgefuͤhrt ein Kaſten,
Die Bilder gnuͤgen dir, die ſchon im Hirne raſten,
Und im Schreibtaͤfelchen beſonders eingeſchrieben
Ein Abſchiedsliebesgruß nur von beſonders lieben.
128.
Ich denke, daß auch dich zu Zeiten noch verwirret,
Was in der Jugend mich ſo manichfach geirret;
Wenn den Ausſpruͤchen ich der Weiſen aller Zeiten
Gieng glaͤubig nach und mich von ihnen gern ließ leiten;
Da ſtellt' ich jeden mir als einen Leitſtern vor,
Und jede Perle nahm ich freudig in mein Ohr.
Wenn meine Spruͤche nun, die goldnen, ich verglich,
Mit Staunen nahm ich wahr: ſie widerſprachen ſich.
Und weil ich konnte nun nicht alle mehr zuſammen
Annehmen, hatt' ich Luſt ſie alle zu verdammen.
Denn welchen haͤtt' ich Recht dem andern vorzuziehn,
Da mir an ſeinem Platz jeder der rechte ſchien?
Bis mir die Einſicht kam, daß alle Weisheit bringt
Bedingte Wahrheit nur, nicht Wahrheit unbedingt;
Daß alles, was iſt wahr in eigener Verbindung,
Und wie hervor es gieng aus eigener Empfindung,
Falſch wird, ſobald man der Verbindung es entzieht,
Und mit veraͤnderter Empfindung es beſieht.
Seitdem ließ ich geſtellt, und ſo magſt dus auch laſſen,
Jedes an ſeinem Ort, und ſah ein jedes paſſen,
Dankbar den Weiſen all' fuͤr ihre Weisheitsſpendung,
Und vorbehaltend mir die eigne Nutzanwendung.
Ich raͤume gleiches Recht dir ein auf dieſes Buch;
So widerſpricht ſich nicht der Spruͤche Widerſpruch.
129.
Ich preiſe laut die Stadt, die nicht zwar mich geboren,
Und doch zum Buͤrger hat in Ehren mich erkoren,
Nicht weil ich irgend mich verdient gemacht um ſie
Durch etwas anders als durch meine Poeſie.
Durch meine Poeſie war mirs zuvor gelungen,
Daß in derſelben Stadt ich mir ein Weib errungen.
Die Himmelspoeſie hat eine ird'ſche Kraft,
Die zu Hauswirthſchaft mir verhalf und Buͤrgerſchaft.
130.
Den hoͤchſten Menſchenſinn, das Augenlicht zu miſſen,
Gefangen wohnend in beſtaͤnd'gen Finſterniſſen,
Iſt doch, Erfahrung ſpricht, das hoͤchſte Ungluͤck nicht,
Weil inneres erſetzt das aͤußerliche Licht.
Der blindgewordene ſieht in Erinnerungen,
Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen;
Dolmetſchen kannſt du ihm den Stral, der ihn beruͤhrt,
Daß der ein geiſtig Bild der Welt in ihm auffuͤhrt.
Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weiſen,
Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preiſen.
Doch dieſen andern Sinn zu miſſen, den im Ohr,
Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor;
Verluſt, der ſchwerer ſchien, erſetzen kann auch ihn
Theilnahme doch der anſchaubaren Harmonien.
Des Menſchen Auge ſpricht dir und des Fruͤhlings Trift,
Die Sprache ſpricht dir ſelbſt in ihrem Bild, der Schrift.
Dem taubgebornen auch, und darum ſtumm geboren,
Iſt alle Faͤhigkeit der Bildung nicht verloren.
Zum handeln kannſt du ihn, zum denken auch erziehn;
Gewiß zum Dichter nur erziehſt du niemals ihn.
Wer aber blind und taub zugleich iſt uranfaͤnglich,
Der hoͤhern Menſchheit ſcheint er Menſchen unempfaͤnglich.
Gott, der ihn ſo gemacht, empfaͤnglich wird er machen
Ihn aus der Doppelnacht hier oder dort erwachen.
Wer blind und taub nur ward, kann fort das Feuer ſchuͤren
Im Innern, mag man auch nach außen es nicht ſpuͤren,
Der Muſchel gleich im Schlamm, Licht ſaugen mit Begier,
Das zu viel ſchoͤnrer Perl' in ihm wird als in ihr.
So ſah ich einen Greis, an Aug' und Ohr verwittert,
Von Luſtentzuͤckungen im Fruͤhlingshain durchzittert.
Der Bluͤten Duftgeruch, der Abendluͤfte Wehn,
Macht ihm den Mund voll Preis, das Aug' in Thraͤnen ſtehn.
Er ſog, was er nicht ſah, und roch, was er nicht hoͤrte,
Und fuͤhlte Vollgenuß und Andacht ungeſtoͤrte.
So ſchoͤn iſt Gottes Welt, daß auch ein leiſes Fluͤſtern
Von ihr der Blindheit kann und Taubheit Nacht entduͤſtern.
131.
Was man nicht aͤndern kann, ſoll man nicht aͤndern wollen;
Gott hat es ſo gefuͤgt, wie wirs ertragen ſollen.
Den ſtarren Dingen nicht allein bequeme dich,
Den Menſchen auch, wenn ſie ſind unverbeſſerlich.
132.
Mit Staunen ſeh' ich, daß ihr zwei Geſichter macht,
Ein grollendes und eins das nur gezwungen lacht.
Wer ſchuldig, frag' ich nicht, und wer unſchuldig ſei;
Zwei Liebende, entzweit, ſind ſchuldig alle zwei.
Hab' ich in gleichem Fall nicht auch gemacht Geſichter?
Deswegen bin ich nur ein guͤltigerer Richter.
Mein Richterſpruch iſt, daß ihr diesmal euch verſoͤhnt,
Und die Geſichter euch in Zukunft abgewoͤhnt.
133.
Den Einzelheiten mußt du nie ſoviel erlauben,
Den ſichern Grundbegriff des Ganzen dir zu rauben.
Im Ganzen nimm die Welt, die groß' und jede kleine,
Im Ganzen das Gemuͤt des Freundes, wie das deine.
Sowie du Launen haſt, ſo hat die Welt ſie auch,
Und auch die Freundſchaft ſchuͤrt kein Feuer ohne Rauch.
Weh dir, wenn dich verſtimmt, was auftaucht und verſchwimmt,
Und das Gefuͤhl von dem, was dableibt, dir benimmt.
Du fuͤhlſt die heilge Glut, halt ihr den Rauch zu gut,
Werd' uͤber Freund und Welt und dich nicht ungemut!
Du kannſt durch Liebeskraft einmal die Beiden klaͤren,
Daß ſie ein andermal dir gleichen Dienſt gewaͤhren.
Die Welt iſt gut, der Freund iſt gut, und gut biſt du;
Und wenn ihr boͤſe ſcheint, gib es dem Schein nicht zu.
134.
In dieſem Spiel des Gluͤcks, in welchem keiner kann
Gewinnen, ohne daß verlor ein Gegenmann;
In dieſem Spiel des Gluͤcks, in dem auch keiner kann
Verlieren, ohne was ein Gegenmann gewann;
In dieſem Spiel des Gluͤcks verliert an ruh'gen Sinnen
Der Spieler, ob er mag verlieren, ob gewinnen;
Und Luſt gewinnt allein, wer als Zuſchauer ſteht,
Und ſiehet daß im Grund hier nichts verloren geht;
Daß eines Lebens Tod des andern iſt Belebung,
Und jedes Sinken hier wird dort zu einer Hebung;
Daß dieſes Schwanken ſelbſt ſich haͤlt im Gleichgewicht:
Wer ſich im Ganzen fuͤhlt, der haͤngt am Einzlen nicht.
Und will das Gluͤck dich ſelbſt in ſeine Wirbel ziehn,
Laß nur die ruhige Betrachtung nicht entfliehn:
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 5
Daß nur, was du verlierſt, ein andrer hat einſtweilen,
Und das was du gewannſt, du kannſt mit andern theilen.
Ungluͤcklich iſt nur, wer ſein Gluͤck mit keinem theilt,
Und vor dem Ungluͤck bangt, noch ehr es ihn ereilt.
135.
Du biſt zu ſehr geneigt, andre nach dir zu richten,
Jedwedem dein Gefuͤhl im Buſen anzudichten.
Danach benenneſt du den einen hochbegluͤckt,
Und einen andern tief in Noth hinabgedruͤckt.
Du ſetzeſt nur voraus, daß ſie in ihren Lagen
Sich fuͤhlen muͤßten ſo wie du ſie wuͤrdeſt tragen.
Bedenke: jeder lebt in ſeinem Element,
Ob dumpf ob licht es ſei, wie wer kein andres kennt.
Ihr Leben fuͤhlen ſie in angemeſſner Lage
Nicht als beſondre Luſt, noch als beſondre Plage.
In dem Gefuͤhle ſollſt du ſie durch deins nicht ſtoͤren,
Und nicht das deinige durch Traͤumerei bethoͤren.
136.
Das Schlimme laͤßt nicht gut ſich machen, aber immer
Ertraͤglich durch Vernunft, und durch Unweisheit ſchlimmer.
Der Weiſ' iſt, wer, ſo gut es gieng, zurecht ſich machte
Die Lag', in die er ſich, in die das Gluͤck ihn brachte.
Bracht' ihn das Gluͤck hinein, ſo bring' er ſich heraus;
Und bracht' er ſelber ſich hinein, ſo halt' er aus.
137.
Wenn ſich ein Lehrer muͤht, um etwas dir begreiflich
Zu machen durch Beweis, erwaͤgſt du alles reiflich;
Auf der Gedankenfart ſuchſt du ihm nachzuſchiffen,
Und endlich glaubeſt du, du habeſt es begriffen.
Haſt du die Sache dann begriffen? Nur die Art
Haſt du begriffen, wie der Lehrer ſie gewahrt;
Bis dir begreiflich wird, daß, um ſie zu gewahren
Auf deine Art, du ſelbſt ganz anders mußt verfahren.
5*
138.
Weißt du, was jedem frommt? Laß, was ihn mag ergoͤtzen,
Dem Kind ſein Steckenpferd, dem Poͤbel ſeine Goͤtzen.
Der Goͤtz' iſt auch ein Gott, der Stecken auch ein Roß;
Er will nicht Weſenheit, Schein will der Thorentroß.
139.
Halt ein Paar Freund' im Haus, das Wiſſen und den Glauben,
Und laß von keinem dir des andern Freundſchaft rauben.
Vom einen ſei genaͤhrt dein Geiſt und aufgeklaͤrt,
Vom andern dir in Noth und Zweifel Troſt gewaͤhrt.
140.
O uͤberheb dich nicht wie jener Phariſaͤer,
Als ſtehe Gottes Huld dir, als dem Suͤnder, naͤher!
Wenn er dich beſſer ſchuf, haſt du nicht dich erſchaffen;
Und kaͤmpfſt du beſſer dich, ſo gibt er dir die Waffen.
141.
Wo in Behaglichkeit ſich darf die Seele wiegen,
Verliert der Geiſt den Trieb zur Heimat aufzufliegen.
Was dich zum Himmel ſpornt, daruͤber willſt du klagen?
Nimm an mit Dank auch gottgeſandtes Unbehagen!
142.
Die Luſt der Welt iſt durch das Chriſtenthum verdorben;
Wir alle ſind am Kreuz, an dem Er hieng, geſtorben.
Und ſoll die Luſt der Welt nie wieder ſich gebaͤren?
Ja, der ſie uͤberwand, der wird ſie auch verklaͤren.
Neu wird die Roſe bluͤhn am Ziel der Dornenbahn.
Erfuͤllt das Chriſtenthum! ſo iſt es abgethan.
Einſetzen werden dann das Fleiſch in ſeine Rechte
Des Geiſtes Freie, nicht, wie jetzt, der Suͤnde Knechte.
143.
Wir ſind in einem Streit, der nicht zu ſchlichten iſt,
Der neu erwacht, wann er geſchlummert eine Friſt.
Die Wunde, bricht ſie auf, iſt ſchlimmer als geweſen;
Dem Tode ſind wir nah, und glaubten uns geneſen.
Sie eitert innen, wenn ſie außen ſcheint geheilt,
Die Wunde, die uns tief ins Mark des Lebens theilt,
An der, o Vaterland, du krankeſt lang genug,
Die nicht des Feindes Schwert, die dir der Glaube ſchlug.
Laßt endlich, um den Streit ums Wahre zu verſoͤhnen,
O laßt zum Guten uns vereinigen im Schoͤnen!
Ein friedliches Gebiet iſt groß genug verliehn;
Laßt aus dem ſtreitigen dahin zuruͤck uns ziehn!
Nicht was in Kirch' und Staat heillos die Menſchheit ſpaltet,
Wir lehren Menſchliches, vom Goͤttlichen durchwaltet,
Damit zum Himmliſchen das Ird'ſche ſei entfaltet.
144.
Ihr geht, und glaubet euch vollkommen Herr im Haus,
Von eures chriſtlichen Bewußtſeyns Thatſach' aus.
Urſpruͤnglich glaubet ihr von Gott und von Natur
Euch eingepflanzt, was ihr habt von der Mutter nur.
Mit eurer Amme Milch habt ihr es eingeſogen,
Mit ihrem Wiegenſang iſt es euch angeflogen,
Und mit dem Gaͤngelband ward es euch angezogen.
Nicht ſag' ich, daß ihr dem euch ſollt und koͤnnt entziehn;
Ein Maßſtab ſei es euch, gebraucht mit Maßen ihn!
Und legt ihn nicht an dem, dem andrer iſt verliehn.
Gott, der in Haͤnden haͤlt das Richtmaß fuͤr die Welt,
Hat jedem das ihm Angemeßne zugeſtellt.
145.
Der ſchoͤpferiſche Geiſt fuͤhlt ſich nicht in der Welt
Befriedigt, wo er nicht ſich ſchoͤpferiſch verhaͤlt.
Arbeiten muß er drum entweder alle Friſt,
Weil Arbeit eine Art von Schoͤpfung immer iſt;
Wo nicht, ſo traͤumen wird er, denken oder dichten,
Schoͤpfungen aus ſich ſelbſt vorrufen und vernichten.
Doch nur ein Zeitvertreib iſt dieſes und ein Spiel,
Ein Wirken hoͤhrer Art iſt ſein geſtecktes Ziel,
Wo nicht die Wirklichkeit einengend mich umringt,
Geſchaffenheitsgefuͤhl die Schoͤpferkraft bedingt.
Willſt du der Schoͤpfer ſeyn? Nein, aber dem Verein
Der Schoͤpfungsgeiſter mitbeſeligt mich anreihn.
Wo iſt der Weg dazu? In Demut hin zu wallen,
Bis aus der Pruͤfung dich ruft Gottes Wohlgefallen.
Im Kleinen wirke recht und bilde treu das Schoͤne,
Damit an Hoͤheres ſich ſanft der Trieb gewoͤhne.
146.
Wenn du von Seel' und Leib dich fuͤhlſt im Gleichgewicht,
Und um dich ſiehſt die Welt im reinen Sonnenlicht;
Dann hoͤrſt du einen Ruf, der aus dem Innern toͤnt:
Der Zwieſpalt von Natur und Geiſt iſt ausgeſoͤhnt.
Doch nur ein Augenblick! er iſt nicht feſt zu halten.
O halt ihn feſt, und lern' ihn ewig zu entfalten!
Bald hat die Sonnenruh der Schoͤpfung aufgehoͤrt,
Und in dir ſelber fuͤhlſt du wieder dich verſtoͤrt.
Du aber halt es feſt: im Himmel und auf Erden,
Und in dir ſelber ſoll einſt ew'ger Sonnſchein werden.
147.
Dem Kinde magſt du ſchwer den Mond am Himmel zeigen,
Es iſt als koͤnne nicht ſein Blick die Hoͤh' erſteigen.
Den Vater ſelber, der herab vom Fenſter ſchaut,
Entdeckt es nicht, wiewol es kennt der Stimme Laut.
Vom Anfang iſt der Blick der Erde zugekehrt,
Und wird nur nach und nach emporzuſchaun gelehrt.
148.
Wer lehrt der jungen Schwalb' im Neſt die Fliege kennen,
Nach deren Raub ſie ſoll beſchwingt die Luft durchrennen?
Die Mutter bringt dem Kind die Beute, die ſie haſchte,
Und es ſieht nicht, was es vom Mutterſchnabel naſchte.
Die Schwalbe kann nicht ſo zum Futter ihre Brut
Anfuͤhren, wie die Henn' im Huͤnerhofe thut.
Sie muß dem Trieb vertraun, und laͤſſet ihn gewaͤhren,
Der einſt ihr fluͤckes Kind wird treiben ſich zu naͤhren.
149.
Des Kindes Unart ſcheint dir artig im Beginn;
Du nennſt es ſinnig, und am End' iſts Eigenſinn.
Du kennſt im zarten Keim das Unkraut nicht vom Kraut,
Dann raufſt du's zornig aus, warum haſt du's gebaut?
150.
Mit Kindern brauchſt du nicht dich kindiſch zu geberden;
Wie ſollen ſie, wenn du ein Kind biſt, Maͤnner werden?
Alswie der Mann das Kind, liebt auch das Kind den Mann;
Nur der erziehts wer es zu ſich heraufziehn kann.
151.
Ich ſaß am Buſch und ſah hervor ein Haͤslein ſchlupfen,
Das fieng im Abendſchein ſein Graͤslein an zu rupfen.
Die Loͤffel reckt' es hoch, und ſchob die Augen glaͤſern
Umher, ſobald ein Hauch ſich regte in den Graͤſern.
Mich ward es nicht gewahr, und ſah nicht die Gefahr,
Nicht weil ich ihm verdeckt, nur weil ich reglos war.
Da dacht' ich: o Natur, was dachte dein Verſtand,
Als deiner Schoͤpferhand ſich dies Geſchoͤpf entwand?
Begabt mit jedem Sinn, mit jedem blind und taub,
Vorm Feinde raſch zur Flucht, doch ſtets des Feindes Raub.
Es lockt der Abendſchein aus dumpfem Wald hervor,
Mit Zittern graſ't's und blickt vom Futter nicht empor.
Ich blick' empor zu Gott und dank' ihm dieſe Gabe,
Daß ich nicht wie das Thier vorm Tod zu zittern habe.
152.
Du wuͤnſchteſt wol ein Stuͤck der Erde dein zu nennen;
Von deinem liebſten Wunſch, o Herz, mußt du dich trennen.
Er war ein irdiſcher! und von der Erde gab
Zum dauernden Beſitz dein Loß dir nur ein Grab.
153.
Im ſchoͤnſten Herbſt, wo klar ſo Mond als Sonne war,
Klar uͤber Sonn' und Mond ſah ich ein Sternenpaar
Von Bruderjuͤnglingen, die, wenn ſie Fuͤrſtenſoͤhne
Nicht waͤren, edel doch ich nennt' an Guͤt' und Schoͤne.
Den Vater preiſ' ich nicht um ſeinen Fuͤrſtenhut,
Als Vater preiſ' ich ihn der Soͤhne ſchoͤn und gut.
Ich will euch profezein, euch aber bitt' ich fein
Es ſo zu machen, daß die Profezie treff' ein:
Ihr werdet wuͤrdig ſeyn des Ranges, weil, entfernt
Vom Fuͤrſtlichen, ihr erſt habt Menſchliches gelernt.
X.
1.
Mir iſt im Muͤßiggang ein Monat hingegangen,
Mit neuer Arbeit ſei ein neuer angefangen.
September war ein Glanz an Himmel und Gefild;
Oktober ſtuͤrme nun! dich macht die Arbeit mild.
2.
Jahrpflanze, die du lebſt und ſtirbſt im Jahreskreiſe,
Sei dir ein mildes Jahr beſchert zu Trank und Speiſe,
Ein langer lauer Lenz, ein linder langer Herbſt,
Daß fruͤherbluͤht du dich auslebend ſpaͤt entfaͤrbſt.
3.
Einſt wird die Poeſie zur Kinderkrankheit werden,
Und nur Filoſofie erwachſen ſich geberden.
Dann wird der Knab' abthun ſein Luſt- und Trauerſpiel,
Mit Mannesernſt dann gehn luſttrauerlos zum Ziel.
Dann wird die Menſchheit ſich zur hoͤchſten Wuͤrd' erheben,
Du aber freue dich die Zeit nicht zu erleben.
4.
In einem Irrthum ſeh' ich euch befangen alle,
Alsob nichts feſt mehr ſteh' und alles ruhlos walle.
Wol unaufhaltſam geht voran das Weltgeſchick,
Und etwas Neues bringt auch jeder Augenblick.
Doch was der eine bringt, das nimmt der andre wieder,
Wie eine Blaſ' im Strom aufſteigt und ſinket nieder.
Ihr Blaſen auf dem Strom des Tages, blaͤhet euch!
Blaͤht euch und blaſ't nur auf die Backen mit Gekeuch!
Blaſ't, Blaſen, bis ihr platzt, und macht einander Platz!
Denn noch von Blaſen liegt im Strom ein ganzer Schatz.
Doch eine Muſchel ruht, gefuͤllt mit Weh und Luſt,
Und bildet wie ein Herz die Perl' in ihrer Bruſt;
In welchem das Gefuͤhl von Erd' und Himmel ſchlaͤgt,
In welchem Ewiges iſt endlich-ſchoͤn gepraͤgt,
Dis Herz, wann es ſchon laͤngſt hat aufgehoͤrt zu ſchlagen,
Gibt einſt, ihr gebt es nicht, ein Zeugniß dieſen Tagen.
Ihr aber, lernt einmal, ihr Leute der Bewegung,
Daß ewig niemals iſt des Augenblicks Aufregung.
5.
Willſt du geheiliget, vergoͤttert ſeyn in Schriften,
So mußt du neue Lehr' und neuen Glauben ſtiften.
Doch Ehre voͤllig rein iſt ſolchem nicht verliehn;
Weil ihn ſein Anhang lobt, ſchelten die Gegner ihn.
Doch der, nach welchem Schul' und Sekte ſich nicht nennt,
Mag hoffen daß zuletzt ihn jede anerkennt.
6.
In einem Stuͤcke ſind mit euch wir einverſtanden:
Daß es nicht bleiben ſoll bei dem was iſt vorhanden.
Zu einem Neuen ſolls, und einem Beſſern gehn;
Gern rennen ſehn wir euch, und bleiben auch nicht ſtehn.
Doch was den Weg betrifft, ſind wir nicht eurer Meinung,
Daß durch Zerſtoͤrung er nur gehn ſoll und Verneinung.
Wir lieben nun einmal Erbauung und Bejahung,
Und halten Gutes werth, das Beſſerm dient zur Nahung.
7.
Was einen Dichter macht? das hohe Selbſtgefuͤhl
Und froͤliche Vertraun im bunten Weltgewuͤhl.
O Freund, mir aber kam allbeides faſt abhanden,
Nicht durch Unbilden, die ich reichlich ſelbſt beſtanden;
Was einem widerfuhr, der groͤßer iſt als ich,
Und ohne den ich ſelbſt nicht waͤre, kraͤnket mich:
Daß Goethe werden darf mishandelt ungerochen,
Das hat mein Selbſtgefuͤhl und Weltvertraun gebrochen.
8.
„Der Lorberkranz iſt, wo er dir erſcheint, ein Zeichen
Des Leidens mehr als Gluͤcks.“ Laß dir zum Troſte reichen,
Wenn es dich troͤſten kann, des alten Meiſters Wort,
Und ſtrebe, wenn du mußt, nur nach dem Kranze dort!
Ich moͤchte, waͤr' es auch in meine Hand gegeben,
Des eignen Kampfes nicht, o Freund, dich uͤberheben.
Geh nur, wie ich ſie gieng, mit Gott die Dornenbahn,
Wenn du zum Lohne willſt die Dornenkron' empfahn.
Doch von dem Martyrthum laß dir noch eines ſagen:
Nur Einer ward zum Heil der Welt ans Kreuz geſchlagen;
Du aber, wenn man nun ans kritiſche dich ſchlaͤgt,
Sieh zu, ob es der Welt, ob dir ein Heil es traͤgt!
9.
Im fuͤrſtlichen Palaſt des Feſtes Schaugepraͤnge,
Und auf dem Platz davor des Volkes Schaugedraͤnge;
Beſcheiden nehmen ſie, und ſind damit zufrieden,
Den Abfall von der Luſt, der ihnen iſt beſchieden,
Den Glanz der Lichter, der durch Fenſter bricht hervor,
Der Inſtrumente Klang, berauſchend Aug' und Ohr:
Beſcheiden, wie nur ſonſt die Glaͤubigen hienieden,
Die mit dem Abglanz ſind der Seligkeit zufrieden;
Und viel beſcheidner noch, weil dieſe wollen kommen
Zum Himmel, jene nicht beim Feſt ſeyn aufgenommen.
10.
Was wirkte groß und wirkt, kann in ſich ſeyn nicht nichtig:
Solang es dis dir ſcheint, ſahſt du es noch nicht richtig.
Doch richtig ſiehſt du nie, wo du dich ſelbſt verblendeſt,
Und nichts erkenneſt du, wo du dich ſtolz abwendeſt.
Komm, Sohn, und laß uns unbefangen, ohne voran
Abzuurtheilen, auch urtheilen uͤbern Koran.
Wol eine Zauberkraft muß ſeyn in dem, woran
Bezaubert eine Welt ſo haͤngt wie am Koran.
Laß naͤher treten uns und zuſehn zauberfrei,
Ob es in Wahrheit nur ein boͤſer Zauber ſei.
Ob nicht in dieſer Form auch eine Offenbarung
Des ewigen Geiſtes ſei, fuͤr unſern Geiſt zur Nahrung.
11.
Wenn wir erwaͤgen Zeit und Ort, wo jeder ſteht,
So darf uns gelten auch Mohammed als Profet.
Fuͤr andre Statt und Zeit waͤr' er vielleicht ein ſchlechter,
Doch fuͤr die eigene war er gerad' ein rechter.
Du aber danke Gott, daß er an beßrem Ort
(Ehr's und verdirb es nicht!) dir gab ein beßres Wort.
12.
Der Raum wird in der Welt nach Eiſenbahnanlegung
In der Geſchwindigkeit verſchwinden der Bewegung.
Dann wird uns in der Welt die Zeit nur uͤbrig bleiben,
Die durch Umtreiben dann im Raum wir auch vertreiben.
So laßt uns, uͤber Zeit und Raum durch Dampf und Eiſen
Erhoben, nun den Kreis der Ewigkeit durchkreiſen.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 6
13.
Die Jugend und die Macht berauſchen ſchon allein;
Ein jugendlicher Fuͤrſt vermeide nur den Wein.
Schwer iſt Beſonnenheit in jener beiden Mitte;
Wie erſt, wenn ihnen ſich der Rauſch geſellt, der Dritte?
14.
Ein edler Koͤnig ſprach: des Fuͤrſten Schaͤtze ruhen
In ſeiner Buͤrger, nicht in ſeinen eignen Truhen.
Er hat es ſo gemeint, der groͤſte Reichthum ſei
Des Fuͤrſten, deſſen Volk iſt reich und ſorgenfrei.
Allein der Fuͤrſtenſohn hat ſo es ausgelegt:
Mein von Rechtswegen iſt, was jeder Kaſten hegt.
15.
Auch mir will oft das Haupt der Greiſenwahn umduͤſtern,
Von alter beßrer Zeit und neuer ſchlechtren fluͤſtern.
Doch gleich danieder ſchlaͤgt den Wahn, und die Verachtung
Der Gegenwart zerſtreut die doppelte Betrachtung:
Daß ich doch ſchlechter nicht geworden, als geweſen,
Ja beſſer als es war zu hoffen, bin geneſen;
Und daß nun andre nicht ſind ſchlechter als ich war,
Und koͤnnen darum noch viel beſſer werden gar.
6*
16.
In Mekka, floh er nicht, ſie haͤtten ihn geſteinigt;
Bald in Medina war die Schaar um ihn vereinigt:
Bewieſen hat ſo gut wie der von Nazaret
Mit ſeinem Beiſpiel der arabiſche Profet:
Daß der Profet nicht gilt in ſeiner Vaterſtadt,
Noch der Poet in der, die ihn geboren hat.
17.
Des Landes Grenz' iſt nicht geſchickt ein Fluß zu bilden,
Der immer abnimmt hier, dort zuſetzt den Gefilden.
Es koͤnnte ſeyn zuletzt dem einen Volk genommen
Das ganze Land, und ganz dem andern angeſchwommen.
Doch wenn daſſelbe Volk an beiden Ufern wohnt,
Trifft es kein Schaden hier, der dort nicht iſt belohnt.
Wie wenn in einem Haus der Haushalt wird geruͤckt;
Hier wird ein Eckchen leer, ein andres dort geſchmuͤckt.
18.
Ein alt baufaͤllig Haus kann man durch Pfeiler ſtuͤtzen,
Durch Balkenwerk, das wird noch eine Zeitlang nuͤtzen.
Am Ende faͤllt es doch mit allen ſeinen Kruͤcken,
Und dieſe helfen es zu Boden ſelber druͤcken.
Und deſto groͤßer wird der Truͤmmerfall dann ſeyn;
Doch Niemand reißt, was er mit Muͤh gebaut, gern ein.
Im Unbequemen hat man ſichs gemacht bequem,
Und haͤlt, ſolang man kann, ein unhaltbar Syſtem.
19.
Die Zukunft ſteht verhuͤllt ſchon in der Gegenwart,
Wo ſie der ſtumpfe Blick des Menſchen nicht gewahrt.
Wir alle ſtreben zwar zu heben ihren Flor,
Doch ſtaunen werden wir, wann ſie nun tritt hervor.
Sie hat, mein Ahnen ſpricht, ein ander Angeſicht,
Als mancher glaubt, der nun fuͤr ſeinen Abgott ficht.
Sie laͤchelt und ſie zuͤrnt, wie ihrs euch nicht laßt traͤumen,
Ein Blick von ihr wird euch und euern Wahn wegraͤumen.
Das ſei euch profezeit: ſie gleicht in nichts der Zeit,
Am allerwenigſten doch der Vergangenheit.
O weh, betrogner Gaſt, der du der Goͤttin Glaſt
Mit ſolchem nebligen Geſpenſt verwechſelt haſt.
Du biſt des Lohnes baar, da ſie im Reich erſchienen,
Weil du ihr dienteſt zwar, doch wollteſt ihr nicht dienen.
20.
Ihr Fuͤrſten, die ihr euch der Erde Goͤtter nennt,
Was ſeid ihr, wenn ihr nicht der Menſchheit Wuͤrd' erkennt?
Ein blindes Ohngefaͤhr, gleich rauher Stuͤrme Wuͤthen.
Weh den in eure Hand gegebnen zarten Bluͤten!
21.
Die Hoͤlle Dante's hat mich weiland ſehr empoͤrt,
Und nun gefaͤllt mir die Mohammed's, unerhoͤrt!
Iſt minder graͤßlich ein Gebilde die als jene?
Nein, aber weiter iſt hinaus gelegt die Scene.
Gewaltig heizt er ſie, doch macht ſie mir nicht heiß,
Weil ich ſie nicht beſtimmt fuͤr meinesgleichen weiß.
Zwar hat er grade fuͤr Unglaͤubige ſie beſtimmt,
Doch muß ein Glaͤubiger ſchon ſeyn, wer ſie annimmt.
22.
Wo nicht, wie Moſis Stab die andern Staͤbe fraß,
Womit ſich gegen ihn die Gaukelei vermaß,
Wo ſo nicht ein Profet jetzt auch die andern frißt,
Damit ihr, welchem ihr zu glauben habet, wißt;
So werdet ihr im Lerm erblinden und ertauben,
Daß ihr am Ende nichts und alles werdet glauben.
23.
Wie zu vereinigen iſt all der Sekten Heer?
Jeder Verſuch dazu gibt eine neue mehr.
Wie wenn verſchiedene Hundarten ſich vermiſchen;
Die alten bleiben, und die neue waͤchſt dazwiſchen.
24.
Zwei Kampfparteien ſtehn im Feld der Gegenwart,
Gewaffnet jede mit beſondrer Waffenart.
Wie heißen die Partein? und worum iſt ihr Streit?
Die Zukunft heißen ſie und die Vergangenheit.
Die kaͤmpfet fuͤrs Beſtehn, und jene fuͤr das Werden;
Wer profezeit, wie es mit ihnen wird auf Erden?
In ihrem Namen iſt der Ausgang profezeit:
Nie vor der Zukunft haͤlt Stand die Vergangenheit.
25.
Nichts Greuelvollres iſt berichtet im Berichte
Der zwar von Greueln ganz erfuͤllten Weltgeſchichte,
Als wenn ein fremdes Volk, an Glauben fremd' und Sitt',
Eroberiſch ein unbekanntes Land betritt.
Der Sieger, ſei er auch von Hausaus mild und guͤtig,
Doch die Beſiegten wuͤrgt er ſchonungslos kaltbluͤtig.
Warum? es machet wild ihn ein wildfremd Gefild,
Und nicht als ſeins erkennt er andrer Menſchheit Bild.
In fremdgekleideten, fremdblickend fremdgefaͤrbten,
Fremdredenden vernimmt er nichts vom Angeerbten.
Nicht die Bewegung fuͤhlt er ſeiner Eingeweide,
Die jeder Bruder fuͤhlt bei ſeines Bruders Leide.
Gottes Gepraͤge mit dem Stempel der Natur,
In ſeiner Schrift und Form haͤlt er fuͤr echt ſie nur.
Und fragt er ſich, ob ſie ſein Schoͤpfer auch erſchaffen,
Gibt ers nur zu im Grimm und ſich zum Spott als Affen.
Wie Tiger nicht und Wolf bei Rehes Mord und Lamms
Gewiſſensbiſſe fuͤhlt, weil ſie ſind andern Stamms.
Wie ſeit Jahrhunderten Mohammedaner hetzten
Harmloſe Indier, die kaum ſich widerſetzten.
Die, wann ſie erſt im Kampf die Maͤnner uͤbermannten,
Wehrloſe Staͤdte drauf und Tempel niederbrannten;
Und wo ein Haͤuflein ſich entzog durch ſcheue Flucht,
Auch dieſem Wilde gab nicht Freiſtatt Wald und Schlucht:
Gehalten ward auf ſie ein ordentliches Jagen,
Erlegtes Menſchenwild gezaͤhlt mit Wohlbehagen.
Wer hat der wilden Jagd geſetzet Ziel und Friſten?
Geſegnet ſeien, die zuletzt es thaten, Chriſten;
Zuletzt es thaten, als ſie beſſer ſich beſonnen,
Nachdem ſie beſſer nicht, und ſchlechter faſt begonnen.
Geſegnet ſeien ſie, nicht weil ſie Chriſten ſind,
Doch Menſchen, weniger fuͤr fremde Menſchheit blind.
Geſegnet aber ſei, die langſam langſam ſchreitet,
Bildung, doch durch die Welt ſich weiter weiter breitet.
Die Bildung, die dazu will alle Sprachen lernen,
Und Voͤlkerſitte ſehn in allen Laͤnderfernen,
Damit die Menſchheit einſt, von einem Band umſchlungen,
In allen Farben ſich erkenn' und allen Zungen.
26.
Mein Europaͤer, wenn du einen Weg dir bahnen
Zur Achtung willſt und Anerkennung beim Brahmanen;
Mußt du von deinen Vorurteilen erſt dich heilen,
Und Anſtoß nehmen nicht an ſeinen Vorurteilen.
Nicht das ihm heil'ge Rind mußt du zur Malzeit ſchlachten,
Wenn er nicht ſoll ein Thier ein reißendes dich achten.
Nicht duften darf dein Mund von Rauſchgetraͤnkes Duft,
Damit nicht ſchon dein Hauch verunreint ſeine Luft.
Wird dann Unmaͤßigkeit vom Himmelſtrich gerochen,
Von ſeinen Goͤttern glaubt er dir den Tod geſprochen.
Und du, jemehr dir all die Goͤtter ſind ein Spott,
Je weniger bekehrſt du ihn zum einen Gott.
27.
Leicht waͤre chriſtliche Religion zu gruͤnden
Im Lande, wo ſich frei darf jeder Gott verkuͤnden;
Wo alle Herzen ſtehn und alle Tempel offen
Fuͤr jedes Gottgebild aus Erd- und Himmelſtoffen.
Leicht waͤre Chriſtenthum in Indien auch zu ſtiften,
Wenn keine Chriſten nur es kaͤmen zu vergiften.
Aus Glaubensbotenmund was wir mit Luſt vernahmen
Ward uns verleidet als die Glaubensbruͤder kamen;
Beſchmutzt mit jedem Schmutz, unſchuldig keiner Schuldung,
Eigen dem Eigennutz, ohne Geduld und Duldung.
Belehr uns beſſer doch, bevor wir uns bekehren,
Daß beſſer, als wir ſind, euch machten eure Lehren!
Und gebt dem Heidenthum bei uns noch ein'ge Friſten,
Bis ihr bei euch bekehrt zum Chriſtenthum die Chriſten.
28.
Die Glaubenseiferer, geſendet aus dem Weſten,
Um zu erſchuͤttern hier uralte Glaubensveſten;
Geſegnet ſei der Bau, der neue, den ſie gruͤnden,
Die Lehre, die ſie auf den Straßen laut verkuͤnden!
Nichts Neues ſagen ſie den eingeweihten Brahmen,
Die aus der Vaͤter Mund ein Gleiches laͤngſt vernahmen;
Was jeder Vater ſagt ins Ohr dem Sohne nur,
Wann dieſem umgethan wird der Einweihung Schnur:
Mein Sohn, es iſt ein Gott, ein einz'ger Gott allein,
Und alle Goͤtter ſind ein Bild nur und ein Schein.
Denſelben einen Gott ſollſt du im Stillen ehren,
Doch das Geheimniß nie ans Licht des Tages kehren.
Des Volkes Aug' iſt fuͤr das reine Licht nicht reif,
Und freut der Taͤuſchung ſich am bunten Farbenſtreif.
Das iſt das Licht, das wir im Innern allzeit hatten,
Das wirft nach außenhin die euch verhaßten Schatten.
Licht und Geheimnis wollt ihr kehren nun heraus;
Und geht nicht aus das Licht, geht das Geheimnis aus.
29.
Die Mutter gibt zum Feſt den lieben Kindern Gaben,
Und alle danken ihr, was ſie empfangen haben.
Sie draͤngen ſich mit Dank um ſie, und ſagen nichts
Dem Vater, der dabei ſteht ernſten Angeſichts.
Den Vater wird es wol verdrießen, daß die Kinder
Nur auf die Mutter ſchaun, und nicht auf ihn? Nichts minder.
Ihn freut die kindiſche, die gluͤckliche Beſchraͤnkung,
Und was die Mutter ehrt, gereicht ihm nicht zur Kraͤnkung.
Ihn freut die gluͤckliche, die kindiſche Beſchraͤnkung,
Die nach dem erſten Grund nicht fragt der Feſtbeſchenkung,
Nicht nachdenkt, daß dazu, was unter ihrem Titel
Die Mutter gibt, ihr ſelbſt der Vater gab die Mittel.
Wer ſind die Kinder? wer die Mutter? und wer iſt
Der Vater? rathe das, wenn du ein Rather biſt.
30.
Am Weihnachtabend ſind die Kinder zu beneiden,
Daß ihnen Baͤume ſich in Gold und Zucker kleiden.
Sie glauben kindlich, was ihr kindiſch Herz begehrt,
Das hab' unmittelbar das Himmelskind beſchert.
Die Mutter iſt dabei, der Vater auch im Spiel,
Sie ahnen es, allein es kuͤmmert ſie nicht viel.
Und in den Hintergrund tritt Vater und Mutter gerne,
Und laͤßt aus Kindermund die Ehr dem Himmelſterne.
Dem Himmelſterne, der das ganze Jahr beſchert,
Doch als Beſcherer wird an Einem Tag geehrt.
Ja, Kinder, glaubt euch nur beſchenkt vom Himmelskind;
Gluͤckſelig, die wie ihr im Glauben Kinder ſind!
31.
Wikramaditia, Hinduſtans Oberkoͤnig,
Dem ſieben Koͤnige, die maͤchtigſten ſind froͤhnig,
Nicht darauf iſt er ſtolz, ſtolz iſt er darauf bloß;
Daß ſieben Dichter hat vereint ſein Fuͤrſtenſchloß.
An ſeiner Krone ſind ſie ſieben Edelſteine,
Die dadurch ewig ſtralt mit unverwelktem Scheine.
In Truͤmmer hat die Zeit gelegt ſein Koͤnigthum,
Allein ſein Name ſteht mit Kalidaſas Ruhm;
Des Kalidaſa, der Sakuntala gedichtet,
Von der im Abendland nun auch der Ruf berichtet;
Im Abendlande, wo zu gleichem Preis und Lob,
Wie Indiens groͤſter Fuͤrſt, ein kleinſter ſich erhob:
Der ſoviel ſtralende Geſtirn' um ſeinen Thron
Verſammelt, daß auch er auf ewig ſtralt davon;
In deſſen Fuͤrſten-Pfleg' ein Fuͤrſt der Genien
Eleonoren ſchuf und Ifigenien:
Der Fuͤrſt verdiente, daß gerechnet, gleich der Aere
Wikramaditias, nach ihm auch eine waͤre;
Der ſeine Stimme nicht ließ mit im Chor erſchallen,
Doch ſtill der Mittelpunkt war der Begeiſtrung allen;
Ihr Fuͤrſt nicht, ſondern Freund (den Ruhm ſoll ihm entreißen
Kein andrer) ſtolz darauf, und wuͤrdig, es zu heißen.
War etwa Fuͤrſtenprunk und Eitelkeit der Hebel?
Dagegen zeugen laut die Briefe gnug an Knebel.
Seit ich die las, ſteht hier im Heiligthum der Bruſt
Ein Bild der Andacht mir, von Weimar Karl Auguſt.
32.
Das ſtille Volk, das ſonſt im Fruͤh- und Abendſtral
Aus ſeinen Bergen zu den Menſchen kam ins Thal,
Der ſtillen Feldarbeit zuſah und half gewogen,
Hat ſich zuruͤck, wohin? man weiß es nicht, gezogen.
Warum? wovon ward hier das Huldenvolk verſcheucht,
Von dem verlaſſen nun die Arbeit ſchwerer keucht?
Einmal von wachſender Treuloſigkeit der Boͤſen,
Dann von zunehmenden Pochhammerwerkgetoͤſen.
Ehr die Treuloſigkeit ertruͤgen ſie wol noch,
Doch hielten ſie nicht aus das taͤubende Gepoch.
Es wird das ſtille Volk der Muſen auch ausziehn,
Waͤr' ihnen nur ein Schlupf wie Zwergen auch verliehn!
Auch vor den Boͤſen waͤr' im Lande noch zu bleiben,
Doch vor Getoͤſen nicht, die werden uns vertreiben,
Wann erſt durchs ganze Land ſich Eiſenbahnen kreuzen,
Sich hoͤrbar ſtundenweit Dampfwagen raſſelnd ſchneuzen.
Dann wird die Himmelskunſt mit Schmach am Boden liegen,
Wann wolkenhoch der Dampf der irdiſchen geſtiegen.
33.
Zuerſt erſchaffen ſind die Zwerg' im oͤden Grauen
Der Schoͤpfung, um die Berg' und Grotten anzubauen.
Doch ſie bedraͤngten Wuͤrm' und Drachen, und um dieſen
Zu ſteuern, wurden dann im Sturm erſchaffen Rieſen.
Die Rieſen ſchlugen mit dem Ger die Drachen todt,
Doch brachten ſie vielmehr die Zwerge ſelbſt in Noth.
Zum Schutz der Zwerge ſind die Menſchen dann erſchaffen,
Die Zwerge ſchmiedeten geſchwind den Helden Waffen.
Sie ſchmieden Waffen, die ſie ſelbſt nicht koͤnnen brauchen,
Daß Menſchenhelden ſie ins Blut der Rieſen tauchen.
Die Helden ſchlugen nun die Rieſen todt, und blieben
Der Zwerge Freunde, bis ſie endlich ſie vertrieben.
Die Rieſen ſtarben und die Zwerge zogen aus,
Nun iſt im Erdenrund der Menſch allein zuhaus.
Die Zwerge ſind zu klein, die Rieſen ſind zu groß,
Das rechte Maß der Welt iſt Menſchengroͤße bloß.
34.
In Perſiſch und Sanskrit, in Griechiſch und Latein,
In Deutſch und Slaviſch ſiehſt du Eine Sprach' allein.
Wie weit die Gegenſaͤtz' auch auseinander wichen,
Du haſt ſie innerlich zur Einheit ausgeglichen.
Warum nicht auch, wie in den Sprachen offenbart,
Willſt du das gleiche ſehn in Denk- und Glaubensart?
Wieweit die Gegenſaͤtz' auch auseinander weichen,
Vermagſt du nicht auch ſie zur Einheit auszugleichen?
In Wahrheit noch nicht kund ward dir der Menſchheit Grund,
Und Weisheit fuͤhreſt du und Lieb' umſonſt im Mund.
35.
Du kannſt in der Natur nicht ein Gebilde ſtreichen,
Und ſiehſt Zuſammenhang in allen ihren Reichen,
Vom Stein zur Pflanze, von der Pflanze bis zum Thier,
Und von dem Thier hinan, o ſtolzer Menſch, zu dir.
Du ſiehſt das Hoͤhere vom Niederen getragen;
Nimm dis, und jenem ziehſt du weg die Unterlagen.
Warum denn irrt es dich, daß in des Geiſtes Reich
Vorſtellungsweiſen auch nicht ſind an Hoͤhe gleich?
Du ſelber haſt dich noch zur hoͤchſten nicht erhoben,
Wenn du nicht einſiehſt, daß Gott auch die niedern loben.
36.
Entweder iſt mein Blick nur gegen euern ſtumpf,
Oder auch euer Ohr iſt gegen meines dumpf.
Ich ſeh' ein Ganzes, wo ihr ſehet manchen Bruch,
Und hoͤr' Einklingendes, wo ihr hoͤrt Widerſpruch.
Wenn mein die Taͤuſchung iſt, ſo goͤnn' ich euch die Wahrheit;
Iſt aber mein das Licht, ſo kommt in meine Klarheit!
37.
Nicht eine Stimme nur in dir warnt dich vorm Boͤſen,
Die du, wie leiſe, hoͤrſt trotz lauteſten Getoͤſen;
Dieſelbe Stimme mahnt dich auch zum Guten an,
Die Zuͤgel iſt zugleich und Sporn auf deiner Bahn.
Nicht das Geſetz nur ſpricht in dir, das du gebrochen;
Daſſelbe hat in dem, der nie es brach, geſprochen.
Du fuͤhlſt, das dis Geſetz Gott ſelber in dir ſei;
Und daß du ihm gehorchſt, das macht von ihm dich frei.
Wie ein gelehrig Roß nicht Zuͤgel fuͤhlt noch Sporn;
Das widerſpenſt'ge nur fuͤhlt ſeines Meiſters Zorn.
38.
Die Strenge ſagt, der Grund des Irrthums ſei die Suͤnde;
Die Milde: daß die Suͤnd' auf Irrthum nur ſich gruͤnde.
Was nun von beiden auch Stamm oder Wurzel ſei;
Bet' und arbeite, mach dein Land vom Giftbaum frei!
39.
Nun dieſes fehlte dir allein, um froh zu werden;
Nun haſt du es, und biſt nicht froher von Geberden.
Du ſiehſt, daß dieſes nicht das, was dir fehlte, war,
Das aber, was dir fehlt, dir nie wird ganz und gar.
40.
Das Wiſſen iſt ein Quell, der unverſieglich quillt,
Den nie der Durſt erſchoͤpft, und der den Durſt nie ſtillt.
Jemehr er Luſt dir gab, jemehr du luͤſtern biſt;
Ich weiß nicht, ob ſein Lob dis oder Tadel iſt.
41.
Es gibt ein Jenſeit, das herein ins Diſſeit reicht;
Kein Herz iſt, das davon nicht ein Gefuͤhl beſchleicht.
Umſchlungen haͤlt es dich, umrungen und durchdrungen;
Du fuͤhlſt, es iſt nicht dir, du ſelbſt biſt ihm entſprungen.
Du weißt nicht, was es iſt, doch hoͤrſt du daß es ſpricht,
Lieb' iſt es und nicht Haß, nicht Finſter, ſondern Licht.
Es iſt das Wirkliche, das Wahrheit in dir wirkt,
Das Unerklaͤrliche, des Klarheit dich umzirkt.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 7
Du kannſt den Mittelpunkt der Seele dir nicht rauben,
Und mußt dem innern Sinn, wie deinen aͤußern, glauben.
Siehſt du dafuͤr dich um nach Zeugnis der Erfahrung,
So nennſt du, was damit einſtimmet, Offenbarung.
Nichts wird dir offenbart, wo du nicht offen biſt;
Und außen ſiehſt du nichts, was dir nicht innen iſt.
Das Aeußre dient dir nur, dein Innres zu entfalten,
Dein Innres, weiter dann das Aeußre zu geſtalten.
Dann ſiehſt du ausgemalt aus deinem Farbenſchatze
Dein Jenſeit leibhaft als Verklaͤrung oder Fratze.
42.
Ob Himmliſche das Leid zu deinem Beſten ſenden?
Zu deinem Beſten ſollſt du wenigſtens es wenden.
Zu deinem Beſten haſt du aber es gewandt,
Wenn du es dazu glaubſt von Himmliſchen geſandt.
43.
Wo wareſt du? Ich ſchlief. So wird an dir ſich ſtrafen,
Was du verſchlafen haſt. Was hab' ich denn verſchlafen?
Viel große Dichter, die indes verklungen ſind,
Und Weiſe, die vom Urungrund verſchlungen ſind,
Weltneurungsblaſen die lautlos zerſprungen ſind,
Und alte Groͤßen, die verhoͤhnt von Jungen ſind.
Bedauerſt du es nicht? Ja wohl, ich armer Mann
Bedaure, daß ich nicht noch laͤnger ſchlafen kann.
7*
44.
Was iſt unwandelbar als Wahrheit ausgemacht?
Von Allem Nichts fuͤrwahr, was Menſchenwitz erdacht.
Die Wunder der Natur, die Thaten der Geſchichte,
Erſcheinen jeden Tag dem Geiſt in neuem Lichte.
Wie dort Erſcheinungen und hier Eraͤugniſſe,
So wechſeln Meinungen und Ueberzeugniſſe.
Glaubensbekenntniſſe und Wiſſenſchaftsgebaͤude,
Des ewig wandelnden Weltgeiſtes Spiel und Freude.
Du aber laß, was ihn erfreut, dich nicht betruͤben!
Er ſpielt ſein Spiel mit dir, um deine Kraft zu uͤben.
Wo ihn dein Ringen hat mit geiſt'ger Form gebunden,
Da haſt du Wahrheit fuͤr den Augenblick gefunden.
45.
Laß troͤſten dich, mein Sohn, fuͤr eines Augs Verluſt!
Bewahre doppelt rein den Sinn in deiner Bruſt!
So wird der Himmel voll dir durch Ein Auge ſtralen,
Und ſanft auf Seelengrund das Bild der Welt ſich malen.
Das iſt dir beſſer als wenn unverſehrt vom Leide,
Von Leidenſchaft getruͤbt, du haͤtteſt alle beide.
46.
Als die Erſcheinungen dir allererſt erſchienen,
Sahſt du ſie regellos, und kein Geſetz in ihnen.
Mit Freude wurdeſt du dann ein Geſetz gewahr,
Und unterordnen willſt du ihm nun Alles gar.
Warum bedenkſt du nicht?: da wo du haſt entdeckt
Der Regeln eine, ſind wol andre noch verſteckt.
47.
Im Allgemeinen wird der Geiſt mir ſchwindeldumpf,
Und vorm Beſondern gar iſt jeder Sinn mir ſtumpf.
Wo bleibt ein Spielraum mir, von hier und dort vertrieben?
Ein artig Grenzgebiet in Mitten iſt geblieben,
Wo Allgemeines im Beſondern Farben ſpielt,
Und ein Beſonderes auf's Allgemeine zielt.
48.
Triumf! das Leben ſiegt; Triumf! der Tod erliegt,
Ein Wolkenſchatten, der vorbei der Sonne fliegt.
Wie hell aus Wolkenflor die Sonne bricht hervor,
So bricht aus Kummernacht mein Freudenlicht hervor.
Ich preiſe dich, mein Gott, und will dich ewig preiſen,
Du ewiger Mittelpunkt in allen Lebenskreiſen!
Im Raume ſtehſt du nicht, Raum ſteht und Zeit in dir;
In allem was dich fuͤhlt, ſtehſt du, und ſtehſt in mir.
Dich fuͤhlt das Menſchenherz, das ſtolze, nicht allein,
Dich fuͤhlt das Thier, dich fuͤhlt die Pflanze, fuͤhlt der Stein.
Sie alle haben ſtumm ihr Loblied angeſtimmt,
Das du nicht uͤberhoͤrſt, da es mein Ohr vernimmt.
Dich preiſend kommen ſie, und gehn dich preiſend wieder;
Die Schoͤpfung wacht in dir und legt in dir ſich nieder.
Ich bin in dir erwacht, und werd' in dir entſchlafen;
Ich ſchweb' in dir, mein Meer, und ruh' in dir, mein Hafen.
Ich klage nicht, daß ich dahingehn werd' im Nu;
Ich jauchze daß ich bin, und ewig bleibeſt du.
Ich klage nicht, was ich durch fruͤhen Tod verloren;
Ich jauchze, daß auch es zum Leben war geboren.
Ich freue mich, daß es des Lebens ſich gefreut,
Und dieſe Freude mir im Herzen lebt noch heut.
49.
Der Menſch iſt nicht gemacht, zum Himmel aufzufliegen;
Die Fluͤgel fehlen ihm, ſich vogelgleich zu wiegen,
Und haͤtt' er Fluͤgel auch, und fehlt' ihm nichts am Schwunge,
Kein Vogel wuͤrd' er doch mit ſeiner Menſchenlunge.
Auf hohen Bergen ſchon geht ihm der Athem aus,
Behaglich iſt er nur auf mittlern Hoͤhn zuhaus.
Und fuͤllt er ſeinen Ball mit Luͤften oder Feuern,
Und lernt durchs Meer der Luft alswie durchs andre ſteuern;
Was hilfts ihm, wenn er auch nicht fuͤllen zum Verbrauch
Der Luftfart kann mit Luft zum Athmen einen Schlauch?
Alswie ein Schiffer, eh er auf die bittern Bronnen
Hinaus ſich wagt, zuvor mit ſuͤßen fuͤllt die Tonnen,
Bis er ſein Schifflein legt an einem Eiland an,
Wie jener an dem Rand des Mondes ſeinen Kahn!
Drum lieber laſſet uns von fern des Mondes Nachen
Beſchauen in der Nacht, wann wir gerade wachen,
Und wann wir ſchlafen, uns, gefittiget vom Traum,
Schwingen empor zu ihm und jedem hoͤhern Raum.
50.
Anſchauung, wo ſie fehlt, mag etwa Geiſt erſetzen;
Bei Geiſtes Mangel wird Anſchauung nie dich letzen.
Doch nur wo Geiſt ſich haͤlt zuſammen mit Anſchauung,
Entſteht vor dir die Welt in glaͤnzender Erbauung.
51.
Sag': Ich bin Ich! Und wie du ſageſt, fuͤhl' es auch:
In deinem kleinen Ich des großen Iches Hauch.
Sag': Ich bin Ich! und dich in den Gedanken ſenke:
Ich denke was ich bin, und bin das was ich denke.
Ich von mir ſelber kann nicht unterſchieden ſeyn,
Mein Seyn vom Denken nicht, mein Denken nicht vom Seyn.
Ich unterſcheide mich, nicht mich von mir zu trennen,
Ich unterſcheide mich, als Eins mich zu erkennen.
Dann wenn du eingeſenkt dich haſt in den Gedanken,
Erheb dich auch daraus, und fleug ob allen Schranken.
Sag': Ich bin Ich! und wer wie ich ſagt Ich bin Ich,
Iſt Ich wie ich, von ihm wie unterſcheid' ich mich?
Ich unterſcheide mich, nicht mich von ihm zu trennen,
Ich unterſcheide mich, als Eins uns zu erkennen.
So iſt geſchieden ungeſchieden Ich vom Ich:
Alle zuſammen Eins, und jedes Eins fuͤr ſich.
Ein Ganzes in ſich ſelbſt das Groͤſte wie das Kleinſte,
Und das Beſonderſte zugleich das Allgemeinſte.
Gott iſt das Große Ich, das ſelb ſich ſeiend denkt,
Sein Selbſt in jeglichen Gedanken ſo verſenkt,
Daß der Gedanke, der geworden aͤußerlich,
Nur wieder zu ſich kommt, wenn er ſagt Ich bin Ich;
Wenn du dich ſelber denkſt als ewigen Gedanken
Des ewig Denkenden, um ewig ihm zu danken.
Darum nur Ich bin Ich ſag' ewig, o Brahman,
Weil ewig Ich bin Ich dir Brahma ſagt voran.
Was ſagt Bruwann Aham? Es ſaget: Sagend Ich
Und davon, o Brahman, gekuͤrzt nennt Brahma ſich.
52.
Wer etwas weiß, der iſt darum kein Weiſer noch,
Ein Wiſſer iſt er nur; was iſt ein Weiſer doch?
Der iſt ein Weiſer, wem ſich Weſenheit gewieſen
In allen Weiſen, voll Gewisheit, unbewieſen.
Der iſt ein Weiſer, wer der Weisheit hohen Geiſt
An ſeinem Weſen ſelbſt in eigner Weiſe weiſ't.
53.
Ich wußte nichts, da glaubt' ich etwas doch zu wiſſen;
Nun weiß ich etwas, und der Wahn iſt mir entriſſen.
Konnt' ich um ſolchen Preiß nicht ſparen meinen Fleiß?
Das Wiſſen all weiß nichts, und nur der Glaube weiß.
54.
Es gibt der Dinge viel, von denen, ſtatt zu wiſſen,
Die Weiſen irgendwas zu meinen ſind befliſſen:
Dem Meinen haͤnget zwar das Irren an gemeinlich,
Und was dir halbwahr ſcheint, das iſt halbfalſch wahrſcheinlich.
Doch ohn' ein hier und dort vorlaͤufig Ausgedachtes,
Waͤr' endlich nirgendwo ein wirklich Ausgemachtes.
Darum entſchließe dich zu Schluͤſſen kurz und gut,
Und zu Vermuthungen verliere nicht den Muth.
Seis nur ein mit Vernunft nicht Unvereinliches,
Wo noch ein Wahres fehlt, ſteh' ein Wahrſcheinliches!
Du mußt nur immer fein bereit ſeyn und nicht ſaͤumen,
Sobald das Wahre kommt, den Platz ihm einzuraͤumen.
55.
Ihr wollt doch uͤberall etwas Apartes haben,
Unſterblichkeit ſogar ſoll vorzugsweis euch laben.
Als denkenſtarke bald und bald als glaubenfeſte
Sprecht ihr ſie an fuͤr euch, und ſprecht ſie ab dem Reſte.
Gemeine Menſchen ſind mit Seelen nur begabt,
Thierſeelen gleich, indes ihr Geiſter Geiſt nur habt.
Ich fuͤrchte, dieſer Geiſt des Duͤnkels ſprengt die Flaſche,
Verpufft, verdunſtet ſo daß Nichts ihn wieder haſche;
Und weder droben wird zum Lohn euch noch hienieden
Unſterblichkeit dafuͤr von Gott und Welt beſchieden.
56.
Es nutzt nicht daß du rein und klar wie Waſſer ſeiſt,
Wenn dich dem Waſſer gleich treibt ein unruhiger Geiſt.
Du muſt von keinem Sturm auch laſſen dich aufwiegeln
Wenn du den Himmel willſt in glatter Flaͤche ſpiegeln.
Das Waſſer hat nicht Kraft dem Sturm zu widerſtreben,
Du aber, wenn du willſt, kanſt ruhig ſeyn und eben.
57.
Wie ſich ein Hausherr freut zu ſehn ein Kinderpaar
Des Daſeyns froh und froh auch die Geſindeſchaar;
Er freut ſich, wenn ſie treu ihr Tagwerk freudig thun,
Und mehr noch, wenn vergnuͤgt ſie vom gethanen ruhn:
Wie muͤßte ſich erſt freun ein Fuͤrſt, der ebenſo,
Im weitern Kreiſe nur, ſaͤh' all die Seinen froh;
Wenn auch dem Landesherrn Gott wie dem Hausherrn goͤnnte,
Daß jeden Wunſch er ſo zufrieden ſtellen koͤnnte!
Darum iſt ſelig nur der hoͤchſte Herr im Himmel,
Weil er beſeligen kann alles Weltgewimmel.
58.
Zwei, die ſich lieben, ſind einander ſo unaͤhnlich,
Daß der Verſtand nicht weiß, was ſie bewegt ſo ſehnlich,
Und endlich meint, daß von Unaͤhnlichkeit getrieben
Sie ſey'n, einander zur Veraͤhnlichung zu lieben.
Allein mit Kuͤnſtlerblick, mit liebesfaͤhigem Auge,
Sieh recht die beiden an, und ihre Seelen ſauge;
So ſiehſt du aus der Zuͤg' Unaͤhnlichkeiten ſteigen
Geiſtige Aehnlichkeit, wie Bluͤtenduft ſich zeigen;
Der, wenn Einbildungskraft ihn walten und entfalten
Sich laͤßt, die Beiden wird zu Einem umgeſtalten.
Wenn ich ein Maler waͤr', und haͤtt' ein Lieb ein feines,
Ich malt' uns ohne Zwang als zwei zugleich und eines.
59.
Es iſt ein ſchoͤner Traum, im Anfang der Natur
Sei alles Lebende geweſen harmlos nur.
Und mit der Geiſter erſt, oder des Menſchen Falle,
Hab' auch hervorgekehrt die Schoͤpfung Klau' und Kralle.
Erſt friedlich wandelten Hirſch, Elefant und Stier,
Kamel und anderes unſchuldiges Gethier.
Hervorgeſprungen dann ſei ſpaͤter Loͤw' und Tieger,
Wie aus der Menſchheit Schooß der Moͤrder und der Krieger;
Die nun von Blut und Raub ſich ihrer Bruͤder naͤhren,
Da jene ſich mit Laub und Gras begnuͤgt und Aehren.
Die goldne Zeit wird neu, wann ſeinen Fraß vergißt
Der Leu einmal und Heu alswie der Ochſe frißt.
War eine Unſchuld das, zu eſſen Pflanzenſpeiſe?
Doch eine Unſchuld war es nur vergleichungsweiſe.
Alsob nur Leben ſei, wo Athem iſt und Hauch!
Die Thiere nicht allein, die Pflanzen athmen auch.
Einſt hatten deſto mehr die armen aufzuſchuͤſſeln
Den uranfaͤnglichen mit ungeheuern Ruͤſſeln.
Und wo ein Lebendes noch hat der Nahrung Noth,
Da mit dem Leben iſt gegeben auch der Tod.
Der Schmetterling allein, der fraͤß'gen Raup' entſtammt,
Ißt Duft nur und beſchaͤmt die andern alleſammt.
Ein Vorbild iſt er drum des Menſchen hoͤherm Streben,
Wenn aus dem Raupenſtand er einſt ſich wird erheben.
Inzwiſchen ſteht er hier, wie er vom Anfang ſtand,
Die Thiere beider Art zu recht- und linker Hand.
Die edlen Raͤuber hier, und dort die Pflanzenfreſſer;
Er thut es beiden gleich, und Niemand kann es beſſer.
Dazu ſind ihm verliehn die beiderart'gen Zaͤhne,
Die einen von dem Lamm, die andern der Hyaͤne.
Er kann, nach Zeit und Ort, mehr die, mehr jene brauchen,
Ins irdiſch ſchwere ſich mehr oder minder tauchen.
Unſchuld'ger machet ihn unſchuld'ge Pflanzenſpeiſe,
Doch dieſe Unſchuld auch iſt nur vergleichungsweiſe.
60.
Wenn jene haben Recht, die in des Lebens Mitte
Das Boͤſe ſehn, den Feind lauernd auf Tritt und Schritte;
Die Seele, Straͤfling-gleich, geſchmiedet an den Karren,
Und allzeit fertig zum Verbrecher oder Narren;
Im ungluͤckſeligen verhaͤltnisloſen Streite
Das lichte Puͤnktchen mit der breiten Schattenſeite:
Wenn das die Weiſen ſind, ſo ſind wir bloͤde Knaben,
Die wir am heitern Schein von außen Luſt noch haben;
Daß wir nach Blumen gehn, von Kroͤtengift beſpritzt,
Und nach den Fruͤchten ſehn, vom innern Wurm beſchmitzt.
Doch wenn wir haben Recht, wie Recht wir haben muͤßen,
Am Schoͤnen uns zu freun, zu laben uns am Suͤßen;
So droht es unſerem Genuſſe doch Verſtoͤrung,
Zu ſehn ſtets jener dort unſelige Bethoͤrung.
Alswie ein Wachender ganz aus dem Sinn nicht ſchlagen
Die dummen Fratzen kann, die ihn im Traume plagen.
Und wie ein Denkender im Denken wird geſtoͤrt,
Wenn er Wahnſinnige mit Ketten raſſeln hoͤrt.
Doch wie geſund zum Trotz dem Kranken der Geſunde
Sich fuͤhlt, ſo fuͤhle dich mit Gott im Seelengrunde.
Arbeitſam, liebevoll, beſcheiden und enthaltſam;
Nicht zuͤgel-ſchrankenlos, in keinem Ding gewaltſam;
Vertrauend ihm, der dir den Himmelsfunken gab,
Daß unverfinſtert du ihn trageſt uͤbers Grab;
So beut dem Nachtſpuk Trotz in lichter Zuverſicht,
Und fuͤrchte als Geſpenſt dich ſelbſt und andre nicht.
61.
Der Welt Anſchauungen, der Dinge Sinnabdruͤcke,
Sind ſchoͤn daß ſich damit das Haus der Seele ſchmuͤcke.
Je kuͤnſtleriſcher ſie anordnet und verklaͤrt
Die Seele, je mehr Wonn' ihr Wohnhaus ihr gewaͤhrt.
Doch keins der Bilder dient zu gruͤndlicher Erbauung
Wie das Altarbild nur geweihter Gottanſchauung.
Jeweiter ſeinen Glanz ergießt dis Mittelbild,
Erfuͤllend immermehr das innere Gefild;
Jeweiter tritt zuruͤck das zeitliche Gewuͤhl,
Und geht beſeligt auf in Ewigkeitsgefuͤhl.
Gedaͤchtniswiſſenſchaft, Dichtkunſteinbildungskraft,
Sind vor der Seele Gottbewußtſeyn kummerhaft.
In ihm wird ihr, die ſich gefuͤhlt nach außen endlich,
Ihr eigenſt-innerſtes Unſterbliches verſtaͤndlich.
62.
Du ruͤſteſt dich umſonſt mit allgemeinen Saͤtzen,
Um ein Beſondres draus mir folgernd anzuſchwaͤtzen.
Dir gieng der Vorderſatz nur als unſchuldig hin,
Weil ich die Tuͤcke die ſich barg nicht ſah darin.
Nun ziehſt du Waffen vor aus ſeinem holen Bauch,
Und brauchſt ſie gegen mich, ein ſchlechter Kriegsgebrauch.
Doch hilft dir darum nicht dein Leeres voller Tuͤcke;
Den Frieden, den ich ſchloß, nehm' ich mit Fug zuruͤcke.
Ich ſchlage nur zuruͤck die wirkliche Gefahr,
Und frage gar nicht nach dem Grund der ſie gebar.
Beweiſen koͤnnteſt du, ich muͤßt' es dir erlauben,
Der Tag ſei Nacht; allein was zwingt mich es zu glauben?
Du folgerſt aus dem Grund die Wahrheit deines Fundes,
Doch ich aus deinem Fund die Falſchheit nur des Grundes.
63.
Was jegliches Gemuͤt als klaren Kern enthaͤlt,
Daß Gott die Wurzel und der Schluͤſſel iſt der Welt,
Verſucht Philoſophie vielnamig zu benennen,
Damit die Schulen nur ſich an Merkzeichen kennen.
Unendliche Subſtanz, beſtimmte Harmonie,
Realitaͤten-Inbegriff erſinnen ſie;
Gewisheit des Gefuͤhls, Bewußtſeyns feſte Grenzen,
Das Ich im Ich, Indifferenz der Differenzen;
Selbſtwerdender Begriff, und wie von Froſt zu Froſt
Die Namengebung ſteigt, iſt alles ohne Troſt.
Es thut nicht noth daß du Sternwarten erſt erbauſt,
Wenn du im Seelengrund den klaren Himmel ſchauſt.
64.
Gewis iſt was der Mund der heil'gen Lieder ſpricht,
Ob einſtimmt fremde Kund' und ob ſie widerſpricht.
Gewis, allein fuͤr wen? fuͤr den allein der glaubt;
Denn durch Unglauben iſt Gewisheit gleich geraubt.
So iſt denn dir gewis, was in den Wedas ſteht,
Dem Moslem, was hervor ihm aus dem Koran geht,
Dem Chriſten aber nur, was ſeine Bibel ſagt;
Nun ſeht, wie dreierlei Gewisheit ihr vertragt.
Gewis iſt fuͤr den Geiſt Gewiſſes nichts zu ſtiften,
Wenn die Gewisheit ruht auf ungewiſſen Schriften.
65.
Der Fruͤhling gruͤßt die Erd' und macht die Hoffnung gruͤn,
Der Liebe Ruͤhrung thaut, und meine Graͤber bluͤhn.
Das liebſte was ich hab', iſt Gottes Liebesgabe,
Ob ich es nun im Grab', ob ichs im Herzen habe.
Das beſte was ich bin, wird immer Gottes bleiben,
Und nur mein Boͤſes muß ich ganz mir ſelbſt zuſchreiben.
Verſuch es nur und ſchreib es einem andern an,
Du fuͤhlſt in dir, dadurch iſt dirs nicht ausgethan.
Wer nicht das Rechte weiß, gut iſts wenn ers nur thut;
Doch wenn er recht es weiß, ſo iſt es doppelt gut.
Wer Boͤſes weiß und thuts, der thut viel Boͤſres noch;
Doch wer unwiſſend auch es thut, thut Boͤſes doch.
Gott iſt was Gutes iſt an jedem guten Triebe,
Der Glanz am Mond, die Bluͤt' am Baum, in dir die Liebe.
In jedem Geiſte, der nicht zagt fuͤrs Licht zu kriegen,
Iſt ſichtbar Gottes Geiſt zur Welt herabgeſtiegen.
Wenn er im Kampf erliegt, kehrt er als Sieger heim,
Hier laſſend den mit Blut gepflanzten Friedenskeim.
Den Geiſt mit der Natur ſollſt du zuſammendichten,
Die Erd' in Himmelsglanz verklaͤren, nicht vernichten.
Kehr auf die Sinnenwelt ſo deine Thaͤtigkeit,
Daß nicht die Luſt an ihr dich mit dir ſelbſt entzweit.
An keinem niedern Stoff laß die Gedanken haften;
Der Sinn vom Gegenſtand nimmt an die Eigenſchaften.
Betrachte liebend Gott, willſt du gottaͤhnlich werden;
Denn das Gemuͤt nimmt an vom Liebſten die Geberden.
Doch willſt du an der Welt unſchuldig dich erbaun,
Mußt alles du in Gott und Gott in Allem ſchaun.
Und das iſt gar nicht ſchwer; der hoͤchſten Liebe Spur
Im Niederſten zu ſchaun, hab' Liebesaugen nur!
Die Liebe ſiehſt du dann, wie dort im Reigen gehn
Der Stern', in Blumen ſo hier auf den Gruͤften ſtehn.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 8
66.
Du geheſt ein in mich, und ich geh in dich ein;
Dich athm' ich ein und aus, ein Hauch von dir mein Seyn.
Ich hoͤre dich in mir, und in dir fuͤhl' ich mich,
Und Alles ſieht mein Aug' in dir, in Allem dich.
Du biſt das Licht von mir, ich bin von dir der Schatten;
Ich moͤcht' in dir zergehn, die Welt will's nicht geſtatten.
Du biſt das Licht in mir, und zehreſt auf von innen
Den Schatten, daß er muß der Welt zum Trotz zerrinnen.
O zehr die Welt in mir nur auf mit deinem Glanz,
Die mir nur halb genuͤgt, nur du genuͤgſt mir ganz.
67.
Du fuͤhlſt, du biſt aus Gott, doch haſt du nicht vernommen,
Wie, wenn, warum, wozu du biſt aus ihm gekommen.
Ob du von ihm verbannt, ob von ihm ausgeſandt,
Ob ausgewandert biſt, es iſt dir unbekannt.
Biſt du verbannt, ſo wird er die Verbannung wenden;
Biſt du geſandt, ſo wird er wieder dich beſenden.
Biſt du gewandert, wird die Wanderluſt vergehn,
Und deine Heimat wirſt du freudig wiederſehn.
68.
Wie Bluͤten aus dem Baum, wir Stralen aus der Sonne,
So tritt aus Gott hervor der Welten lichte Wonne.
Die Bluͤten fallen ab, die Stralen ſind verglommen,
Und Niemand ſieht, wie ſie zuruͤck zur Wurzel kommen.
Sie kommen ungeſehn zur Wurzel doch zuruͤck,
Und treten neu hervor, ein ew'ges Fruͤhlingsgluͤck.
8*
69.
Die Sonne ſtralet Glanz, der ſie als Wolk' umſchwebt,
In welche ſie die Welt als Regenbogen webt.
Die Sonne ſpiegelt ſich mit Luſt im farbigen Bogen,
Sie hat ihn angeregt, ſie hat ihn eingezogen.
Im Regenbogen bin auch ich von dir ein Glanz;
Denn Blumen jeder Art brauchſt du zu deinem Kranz.
Die Blumen freuen ſich, fuͤr dich ſich zu verhauchen,
Die Tropfen zu verſpruͤhn, die Welten zu verrauchen.
Wenn ſie verhauchen ſich in dich, biſt du ihr Hauch;
Und tauchen ſie in dich, in dir doch ſind ſie auch.
Sie werden frei vom Rauch, wenn ſie in dir verrauchen;
So laß in dich nur auch mich tauchen und verhauchen.
70.
Was ruͤhmſt du dich, daß du nach Geld und Gut nicht trachteſt,
Wenn du nicht minder doch nach Ruhm und Ehre ſchmachteſt?
Zur vollen Seligkeit, o Seele, gieng nicht ein,
Wer etwas auf der Welt noch ſucht als Gott allein.
71.
An Kindern hab' ich oft bewundert, wie in Bildern
Sie gleich den Gegenſtand erkennen, den ſie ſchildern.
Ein nur gemaltes Pferd, ja gar ein nur in Strichen
Gezeichnetes, worin hats einem Pferd geglichen?
So Groͤß' als Umfang fehlt, ſo Leben als Bewegung;
Was iſt im Bilde denn zu des Begriffs Anregung?
Der Geiſt muß innerlich voll ſeyn von ſolchen Bildern,
Die dann nach ihrer Kunſt die Kuͤnſtler außen ſchildern.
Und ſolche Bilder ſind dem Kind ſchon eingeboren,
Sie werdem ihm nicht erſt durch Bildung anerkoren.
Ganz ſinnlich ſcheint das Kind, und iſt ſchon geiſtig ganz,
Und die Entwicklung ſtreift nur Huͤllen ab vom Glanz.
72.
Die Goͤtter lieb' ich nicht, die uns die Sagen gaben,
Die bald zuviel ein Aug' und bald zuwenig haben.
Die Gottheit lieb' ich, die mich unſichtbar umfließt,
Ein ew'ger Liebesblick der Schoͤpfung Bluͤt' erſchließt.
Die Gottheit lieb' ich, die allgegenwaͤrtig waltet,
Geſtaltenlos, der Welt Geſtalten umgeſtaltet.
Und nimt ſie ſelbſt Geſtalt, und es ſoll mir nicht graun,
So muß ſie menſchlich aus zwei Augen an mich ſchaun.
73.
Die Goͤtter nahen gern dem Menſchenaufenthalt,
Und ſtellen uns ſich dar in menſchlicher Geſtalt.
Doch koͤnnen ſie ſo ganz den Menſchen niemals gleichen,
Daß nicht von Goͤttlichkeit an ihnen blieb' ein Zeichen.
Sie tragen eine Spur von goͤttlicher Natur,
Doch dem geweihten Aug' erkennbar iſt ſie nur.
Und wenn nicht ſichtbar beim Erſcheinen auch ihr Zeichen
Dem Auge ward, ſo wird es ſichtbar beim Entweichen.
Und wer ihr Zeichen ſelbſt nicht ſpuͤrt mit dumpfem Sinne,
Wird doch die Goͤtternaͤh' an einem Schauder inne.
74.
Voll Goͤtter iſt die Welt, die alle ſind zuſammen
Ein Goͤttliches, daraus, darein zuruͤck ſie ſchwammen.
Und wem die Sinne ſind von ihrer Gunſt erſchloſſen,
Iſt uͤberall umweht von ihnen und umfloſſen.
Wer achtet ihren Wink, und auf ihr Zeichen merkt,
Fuͤhlt ſich auf jeder Bahn gefoͤrdert und geſtaͤrkt.
Und wer entgegen ihrem Willen ſeinen ſtemmt,
Fuͤhlt ſich in jedem Werk gehindert und gehemmt.
75.
Was iſt wahr oder falſch an innrer Offenbarung?
Es iſt damit alswie mit aͤußerer Gewahrung.
Was deine Augen ſehn, was deine Ohren hoͤren,
Das glaubeſt du, daran wird dich kein Zweifel ſtoͤren.
Und wozu dir verſagt ſind Augen oder Ohren,
Sei es fuͤr andre da, fuͤr dich iſt es verloren.
So offenbart auch das der Geiſt dem Geiſte nur,
Wofuͤr empfaͤnglich iſt die geiſtige Natur.
Er glaubt daran und ſchwoͤrt, er hats geſehn, gehoͤrt;
Warum nun glaubeſt du, daß ihn ein Wahn bethoͤrt?
Gott hat nur anders ihn als dich es ſehen laſſen;
Weißt du, auf wieviel Art ſich Gott laͤßt ſehn und faſſen?
Faſſ' ihn auf deine Art, faſſ' ihn auf deine recht!
So gut als ſolchen Herrn kann faſſen ſolch ein Knecht.
Und dank' ihm, daß ins Aug' ihn jeder faſſen darf,
Ob ſcharf ob bloͤd' es ſei, was iſt hier bloͤd' und ſcharf?
In weſſen Auge ſich ein Stral vom Herren ſpiegelt,
Der dient dem Herrn, ſein Dienſt iſt ihm vom Herrn beſiegelt.
76.
Ich hab' ein ſchlichtes Buch geleſen, unverziert,
Unverſchraubt, unverfaͤlſcht, unverfiloſofirt.
Anſichten, Ruͤckſichten, Abſichten waren nicht,
Aus Umſicht aber ward Einſicht und Ueberſicht.
Man ſah, der Sache war geſehen auf den Grund;
Des Kenners Kunde gab ſich dem Unkenner kund.
Das iſt Filoſofie, doch andere als die
So hoch nun ſteckt ihr Ziel, daß ſie's erreichet nie.
Filoſofie, die man nicht fertig mit ſich bringt,
Die aus der Forſchung ſelbſt dem Forſcher erſt entſpringt.
Filoſofie, die will nicht machen ſelbſt die Sachen,
Fein zuſieht ernſt und ſtill, wie ſich die Sachen machen.
77.
O wende dich an das, mein liebendes Gedicht,
Im Menſchen, was vereint, an das, was trennet, nicht!
An das nicht, was nur trennt, und ewige Trennung ſtiftet,
Der beiden Welten Heil mit heiligem Gift vergiftet;
Was als das einzige Heil fuͤr hier des Staates Norm
Aufſtellen und fuͤr dort will eines Glaubens Form;
Daß vor dem heiligen unheiligen Kriege Frieden
Und Gluͤck zu finden ſei nicht droben noch hienieden.
Von dieſes Fiebers Froſt, von dieſes Fiebers Glut,
Erſtarrt der Menſchheit Herz, verſiegt ihr Lebensblut.
In dieſen Todesfroſt blaſ' einen warmen Hauch,
Und einen klaͤrenden in dieſen dumpfen Rauch!
Das reine Menſchliche im Menſchen wend' hervor,
Der ewigen Sonne zu den Liebesfruͤhlingsflor!
Daß ſich die Menſchheit einſt fuͤhl' Eins, wie einſt ſie war,
Und wie ſie noch ſich fuͤhlt in jedem jungen Paar.
Dis liebende Gefuͤhl, aufs Leben ausgedehnt,
Und auf die Welt erſtreckt, iſt was der Geiſt erſehnt.
Hinweg, was zwaͤngt und engt! herbei, was Bande ſprengt,
Und nur mit Liebesband Geiſt und Natur umfaͤngt!
78.
Die Welt iſt Gottes unausdenklicher Gedanke,
Und goͤttlich der Beruf zu denken ohne Schranke.
Nichts in der Welt, das nicht Gedankenſtoff enthaͤlt,
Und kein Gedanke, der nicht mitbaut an der Welt.
Drum liebt mein Geiſt die Welt, weil er das Denken liebt,
Und ſie ihm uͤberall ſoviel zu denken giebt.
79.
Ungluͤcklich iſt nicht, wer der Erde Gluͤck verlor,
Und himmliſches dafuͤr im Glauben ſich erkor,
Ungluͤcklich auch nicht, wer zufrieden ſich behagt
An dieſer Welt, und nicht nach einer andern fragt.
Ungluͤcklich iſt nur, wer die Luſt ſich ſieht geraubt
Am Irdiſchen, und nicht an Ueberird'ſches glaubt.
80.
Die Ewigkeit umfaßt die Ewigkeit allein;
Was in dir Ew'ges denkt, das muß unſterblich ſeyn.
Unſterblichkeitsgefuͤhl im Menſchen war erwacht,
Sobald nur ſeinen Gott unſterblich er gedacht.
Mocht' er im Gegenſatz zum Gott ſich ſterblich nennen,
Sein eignes Goͤttliches konnt' er vom Gott nicht trennen.
Doch als den Goͤttern er Geſtalt und Leib gegeben,
Zu Menſchen ſie gemacht, die nur viel laͤnger leben;
Da war Unſterblichkeitsgefuͤhl ihm ſelbſt entſchwunden,
Mit koͤrperloſem Gott erſt wieder klar empfunden.
81.
Was thut ihr denn alsob ihr neu die Welt gemacht,
Weltweiſe, wenn ihr neu ins Fachwerk ſie gebracht?
Was iſt, iſt immer eins, eins auch was ihr erkennt,
Der ganze Unterſchied iſt daß ihrs anders nennt.
82.
Unendlich iſt zugleich und endlich jedes Ding;
Dort achteſt du es groß, hier ſchaͤtzeſt du's gering.
Das was du liebeſt, lern' als ewig feſt zu halten,
Gewurzelt im Gemuͤt, um niemals zu veralten.
Doch was Unliebes dir macht Aerger und Verdruß,
Das wirf entſchloſſen in der ird'ſchen Dinge Fluß.
Dich troͤſt' es, daß im Fluß es wird voruͤbertreiben,
Im Meer der Ewigkeit wird deine Liebe bleiben.
83.
Das Allgemeine ſchwebt dem Geiſt beſtaͤndig vor,
Nur wie ein Bild verhuͤllt von des Beſondern Flor.
Doch wenn der Geiſt einmal ſich, durch den Flor zu dringen,
Gewoͤhnt hat, ſieht er klar das All in allen Dingen.
Das iſt die Aehnlichkeit, die Bild mit Bild verknuͤpft;
Feſt haͤlt die Dinge, wem der Faden nie entſchluͤpft.
Das was ſie aͤhnlich macht, das macht ſie auch verſchieden;
Wer dis Geheimniß kennt, iſt ſelig und zufrieden.
84.
Nur eine Liebe giebts auf Erden ohne Leid,
Weil ohne Eiferſucht, weil ohne Groll und Neid,
Und ohne Eigennutz; weil, wer ſie liebt auf Erden,
Fuͤr ſeine Liebe nicht geliebt will wieder werden.
Welch eine Lieb' iſt das? zu welchem Liebesgut?
Zu einem, das der Geiz nicht nehmen kann in Hut.
Zu einem, das nicht wird durch kleinſte Theilung kleiner,
Das tauſend in Beſitz ganz haben, ganz wie einer.
Die Lieb' iſt es zu Gott, die keinen aus will ſchließen,
Vielmehr ſich vielfach in Mitliebenden genießen.
Das iſt die Liebe, die noch nicht das Volk gewann,
Das einen eignen Gott zu ſeinem Hort erſann.
Die hat auch nicht der Mann, der den zum allgemeinen
Gewordnen Hort der Welt neu machen will zum ſeinen.
Die Liebe hat nur, wer mit Liebesandacht ſieht
Jedweden Liebenden, der vorm Geliebten kniet.
Auf welcher auch er kniet der tauſend Tempelſtufen;
Ins Allerheiligſte wird er mit Lieb' ihn rufen.
Nur lieblos wird er nicht ihn noͤth'gen einzutreten,
Noch minder wehren ihm auch draußen anzubeten.
85.
Vier Kraͤfte nenn' ich dir am Menſchen, mangelhaft
Zu nennen ſind die vier vor einer fuͤnften Kraft.
Der Trieb im Menſchen, wenn er einen Gegenſtand
Ergreifen will, ſtreckt er zuerſt danach die Hand.
Und iſt der Gegenſtand der Hand nicht zu erlangen,
So iſt anſtatt der Hand der Fuß danach gegangen.
Wo auch das Flieh'nde dort will deinem Fuß entweichen,
Da mag es noch dein Wort, dein Rufen es erreichen.
Doch weiter als dein Wort, als deine Stimme, dringt
Dein Auge, das dir nah heran das fernſte bringt.
In Fernen aber, die du mit des Blickes Schweifen
Nicht kannſt ermeſſen, kannſt du mit Gedanken greifen.
Drum uͤbe Hand und Fuß, und Red'- und Sehekraft,
Vor allem uͤbe doch dich in Denkwiſſenſchaft.
86.
In allen Zonen liegt die Menſchheit auf den Knien
Vor einem Goͤttlichen, das ſie empor ſoll ziehn.
Verachte keinen Brauch und keine Flehgeberde,
Womit ein armes Herz emporringt von der Erde.
Ein Kind mit Laͤcheln kaͤmpft, ein andres mit Geſchrei,
Daß von der Mutter Arm es aufgenommen ſei.
87.
In einer Wuͤſte fließt ein Quell durch Gottes Kraft,
Der hat fuͤr Durſtige des Wegs die Eigenſchaft:
Wer im Voruͤbergehn nur ſchoͤpfet mit der Hand,
Der geht erquickt und kuͤhl hinweg im Sonnenbrand.
Doch wer ſich niederlaͤßt am Quell und trinkend ruht,
Der trinkt ſich durſtig, und verdurſtet an der Flut.
Ihr Pilger dieſes Wegs, laßt es geſagt euch ſeyn!
Schoͤpft im Voruͤbergehn nur mit der Hand allein.
88.
Den Menſchen gnuͤget nie, was Menſchen wiſſen koͤnnen,
Kein Vorrecht wollen ſie darin den Goͤttern goͤnnen.
Doch hat ſolch Wiſſen nie ſie goͤttergleich gemacht,
Um ihren menſchlichen Verſtand nur oft gebracht.
Laß uns, was vor uns ſteht, gewahren und erfahren,
Und was daruͤber geht, auf dahinuͤber ſparen.
Es iſt ja gut daß uns bleib' etwas vorbehalten,
Das wir zu ſeiner Zeit mit neuer Luſt entfalten.
Ich ſage dir auch nicht, du ſollſt dich gar nicht ſchwingen
Hinan, hinuͤber nur mit Hals und Kopf nicht ſpringen.
Es iſt ein Unterſchied, ob man hinuͤber blicke,
Ob man hinuͤberſpring' und breche das Genicke.
Schwing dich empor und hol' herab von dort die Ahnung,
Die gnuͤgt zur Mahnung dir, die gnuͤget dir zur Bahnung,
Zur Mahnung deines Wegs, daß du nicht ſinkſt in Ruh,
Zur Bahnung eines Stegs dem hoͤhern Ziele zu.
Inzwiſchen, wenn du weißt, du biſt im Weg zum Ziel,
Sieh rechts und links dich um! auf Reiſen ſieht man viel.
Die dumpf verrannten ſinds, die nur im Auge haben
Das Ziel, und unbeſchaut die ſchoͤne Welt durchtraben.
Kurzſichtige, die ſich als gar fernſichtige preiſen;
Denn nur aufs Ziel zu ſehn, verdirbt die Luſt am Reiſen.
89.
Du biſt in Gottes Rathsverſammlung nicht geſeſſen,
Als er den Plan der Welt nach ſeinem Maß gemeſſen;
Nun thuſt du doch als ſei dir vorgelegt der Plan,
Und deinen Maßſtab legſt du unbekuͤmmert an.
Nur zu! Es iſt darauf der Großplan angelegt,
Daß jedes kleinſte Maß paßt das man angelegt,
Daß jeder deutet ſich die Welt in ſeinem Sinn,
Und jeder deutet recht; ſoviel iſt Sinn darinn.
90.
Wer immer auf der Hut, ſich zu vertheidigen,
Nicht reizen darf den Feind und nicht beleidigen;
Der hat wohl ſchlimmen Stand und uͤblen Feldwachpoſten,
Wobei er wenig Ruh und ſuͤßen Schlaf wird koſten.
Er moͤchte wuͤnſchen, wenn er duͤrfte, kurze Dauer
Der Kampfentſcheidung ſtatt der langgeſpannten Lauer.
So iſt des Menſchen Stand genuͤber dem Geſchick,
Vor dem er ſicher iſt nicht einen Augenblick.
Angreifen darf er nicht, und nicht zuruͤck ſich ziehn,
Nur ſtets gewaͤrtig ſeyn, daß an der Feind greif' ihn.
91.
Botaniker zugleich wer iſt und Aſtronom,
Betrachtet wechſelweis Erdflur und Himmelsdom.
Und eines wuͤrd' er oft beim andern gar verſaͤumen,
Bluͤhte zu gleicher Zeit ſein Flor in beiden Raͤumen.
Doch ihm zum Gluͤcke gehn die Stern' auf in der Nacht,
Und zu am Morgen, wann der Blumen Aug' erwacht.
Mir iſt es nicht wie ihm geworden ganz ſo gut,
Da wol mein Doppelkram einander Eintrag thut:
Poetiſche Blumenleſ' und hohes Spekuliren,
Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren.
Das eine wuͤrd' ich denn verlieren uͤberm andern,
Wenn ich von dieſem weit zu jenem muͤßte wandern.
Die Auskunft traf ich drum hier beides zu vereinen,
Wo Stern' und Blumen durch einander bluͤhn im Kleinen.
92.
Der Wahrheit treu zu ſeyn, die du in dir empfindeſt,
Das iſt der Schwur, von dem du nie dich ſelbſt entbindeſt.
Dem Irrthum feind zu ſeyn, das geht unmittelbar
Daraus hervor, und bringt ſogleich dich in Gefahr.
Denn von dem Irrthum laͤßt ſich dieſe Welt nicht ſcheiden;
Wer ihn nicht leiden will, dem muß ſie ſelbſt verleiden.
Die Wahrheit iſt der Welt durchaus nicht aufzudringen,
Ein Irrthum iſt nur durch den andern zu bezwingen.
Ein Aeußerſtes wird ſtets ein Aeußerſtes verdraͤngen,
Und immer wird das Volk an andern Goͤtzen haͤngen.
Doch aͤrgern ſoll ſich nicht an dieſem Dienſt der Goͤtzen,
Wer ſich im ſtillen kann an ſeinem Gott ergoͤtzen.
93.
Ob gut ob boͤſe ſei ein Geiſt, von dem du dich
Getrieben fuͤhleſt, weißt du nie ſo eigentlich.
Daß Großes, Schoͤnes er, ja Gutes thun dich heißt,
Damit iſts nicht gethan, das thut auch boͤſer Geiſt;
Des Hochmuths boͤſer Geiſt, des Scheins, der Heuchelei,
Der ſelbſt ſich bildet ein, daß er ein guter ſei.
Nur wo der Geiſt dich treibt zu dulden und zu lieben,
Da hat dich ganz gewiß ein guter Geiſt getrieben.
94.
Wenn du Vertrauen haſt, gereicht es dir zum Heile,
Und ſicher gehſt du, wie der Taͤnzer auf dem Seile;
Und ſicherer, weil du was beſſeres begannſt,
Wobei mit beſſerm Recht du Gott vertrauen kannſt.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 9
95.
Such' alles, was du machſt, aufs beſte nur zu machen;
Was aber, fragſt du, iſt die beſte Art der Sachen?
Iſt etwas gut genug, ſo laß es fein dabei,
Und frage nicht, ob es noch beſſer moͤglich ſei.
96.
Nie auf den Gegenſtand wird ganz ein Urtheil paſſen,
Drum lieber allgemein mag ich Urtheile faſſen,
Damit ſich, was davon nicht zu dem Falle paſſe,
Der hier zu Grunde liegt, beziehn auf andre laſſe;
Denn immer wahr wird ſeyn, was du als wahr erkannt,
Wenn du es auch villeicht auf Falſches angewandt.
97.
Beim Hauch des Morgens und der Mitternaͤchte Schauer
Fuͤhlt' ich die Trauer, daß die Welt hat keine Dauer;
Daß wir am Anfang ſchon dem End' entgegen gehn,
Und doch am Ende noch beim Anfang immer ſtehn.
Bald haben wir's verwacht, bald haben wir's vertraͤumt,
Nie ſaͤumend Tag und Nacht, das Gluͤck iſt ſtets verſaͤumt.
Wie uns zuſchauerhaft vorbeigeht ſchauerlich
Die Welt undauerhaft, iſt wohl bedauerlich.
Wohl zu bedauern ſind leichtſinnige Vertrauer,
Die hier ins Luſtſpiel gehn, und finden das der Trauer.
Und zwei nur ſind begluͤckt, der den kein Trug beruͤckt,
Und der dem es genuͤgt, daß ihn ein Trug begluͤckt.
9*
98.
Mit Andacht lis, und dich wird jedes Buch erbauen;
Mit Andacht ſchau, und du wirſt lauter Wunder ſchauen.
Mit Andacht ſprich nur, und man hoͤrt dir zu andaͤchtig;
Mit Andacht biſt du ſtark, und ohn' Andacht ohnmaͤchtig.
99.
Statt dich zu zanken mit den eigenen Gedanken,
Iſt dirs zuweilen gut mit fremden dich zu zanken.
Zwar kommt ſo wenig auch bei dieſem Zank heraus
Im fremden, als bei dem in deinem eignen Haus.
Doch wenn mit fremden du dich recht herumgeſchlagen,
Wirſt du villeicht dich mit den eignen ehr vertragen.
Mit deinen eigenen Gedanken leb' in Frieden!
Denn, iſt er nicht in dir, wo iſt der Fried' hienieden?
100.
Der Menſch ſoll alles, nur ſich ſelber nicht, aufgeben;
Die Menſchheit iſt das Selbſt, das ſoll im Menſchen leben.
Aufgeben ſollſt du nur das Selbſt das du nicht biſt,
Nicht jenes das in dir die Menſchheit ſelber iſt.
101.
Die Haltung fehlt; was hilfts ob ein Gehalt ſich findet,
Der, haͤlt er ſich nicht feſt an Haltung, haltlos ſchwindet!
Der Toͤne Fuͤll' iſt da, doch wenn der eine Ton
Nicht wird gehalten, iſt der Einklang auch entflohn.
Des Tanzes Wirbel rauſcht, der Takt wird nicht gehalten,
Und nicht zur Anmuth kann das Chaos ſich entfalten.
Der rechte Weg wird falſch, wenn du nicht haͤltſt die Richte;
Und wenn du es nicht haͤltſt, wird das Geſetz zunichte.
Behalt und halte dis bei jeglichem Verhalten:
Die Haltung haͤlt die Welt, ſuch' Haltung zu erhalten!
102.
Was du ſolang erhofft, wann es nun endlich kam,
Wie ſchnell iſt es vorbei, und ewig bleibt der Gram,
Daß es nie wieder kommt, weil's da nun einmal war;
Doch ſterbend laͤßt es dir ein Kind, das es gebar:
Ein neues Hoffen, das zu ſeiner Zeit gebiert
Ein neues wieder und ſein Leben dran verliert.
Das ſind die Hoffnungen, verloren wie geboren,
Durch die uns unvermerkt das Leben geht verloren.
Das ſind die Hoffnungen, geboren wie verloren,
Durch die das Menſchenherz iſt immer neugeboren.
103.
In Allahs Paradies, wie ſein Profet verhieß,
Soll ſproßen jede Frucht den Glaͤub'gen zum Erſprieß.
Doch in zwiefacher Art iſt jede Frucht vorhanden,
Die eine, wie ſie gern auf Erden hier ſie fanden,
Die andere, wie ſie auf Erden niemal ſahn;
Mit beiden aber wird es alſo ſeyn gethan:
Die eine welche ſie als langbekannte finden,
Laͤßt einen voͤllig unbekannten Schmack empfinden;
Die andre aber, die ſie als ganz neu entdecken,
Wird ihnen ganz bekannt, nur etwas beſſer ſchmecken.
Das heißt: ſie werden ſich im Alten ſtets des Neuen
Und in dem Neuen dort des Alten ewig freuen.
Der Fruͤchte denk' ich gern, ſo oft es mir behagt,
Am liebſten, wenn die Welt dergleichen mir verſagt.
Wollt' auch bekannte Frucht nur immer Gott mir ſchenken,
An Allahs Paradies wollt' ich bei Gott nicht denken.
Der Datteln wollt' ich gern entbehren und der Pfirſchen,
Haͤtt' ich das ganze Jahr nur Trauben oder Kirſchen.
104.
So oft du wieder treibſt, was du einmal getrieben,
So oft du wieder ſchreibſt, was du einmal geſchrieben;
Scheint ein Verſtaͤndnis erſt der Sache dir erſtanden,
Als haͤtteſt du ſie gar vom Anfang nicht verſtanden.
Verſtehſt du wirklich ſie nun erſt, und damals nicht?
Ich denke ſie erſcheint dir nur im neuen Licht.
Thu denn nicht Unrecht dem, was du geweſen biſt,
Noch zuviel Ehre dem, was draus geworden iſt!
Und mache dann von dir auf andre die Anwendung:
Steh auch das Licht, in dem ſie ſehn, nicht an fuͤr Blendung!
105.
Leichtglaͤubigkeit iſt nicht nur Mangel an Verſtand,
Auch von Einbildungskraft iſt ſie ein Unterpfand.
Wer wenig faßt, wird ſchnell Unfaßliches verneinen;
Wer viel ſich denken kann, dem wird viel moͤglich ſcheinen.
106.
Zu ſeinem Ebenbild ſeit Gott den Menſchen ſchuf,
Wie ungehorſam konnt er werden ſeinem Ruf?
Weil er war Gottes Kind, und werden ſollt' ein Mann,
Ein freier Mann, der nur ſich ſelbſt gehorchen kann.
Darum den Willen hat ſein Vater ihm gegeben,
Sich zu gehorchen und ihm ſelbſt zu widerſtreben;
Kraft deſſen an ſich ſelbſt verzieren und unzieren
Er nun mag Gottes Bild, und nur nicht ganz verlieren;
Kraft deſſen er auch mag das Bild herſtellen klar,
Daß er durch ſich nun ſei, was er durch Gott nur war.
107.
Wie wenig iſt was die einander hier doch geben,
Die in des aͤußern Weltverkehrs Beruͤhrung leben;
Die ſich erregen meiſt nur um ſich zu verwirren,
Und ſich begegnen um ſich gegenſeits zu irren;
Die ſelten oder nie einander weiter bringen
In großen Dingen, und ſich ſtreiten in geringen;
Wie wenig gegen das, was ein Gemuͤt durchbebt,
Das mit der Menſchheit eins in hoͤherm Chore lebt!
Die Menſchheit ſtellt ſich klar nur in der Ganzheit dar,
Und in der Einzelheit, doch niemals in der Schaar.
Und von der Einzelheit iſt Ganzheit nicht verſchieden;
Der Ganzheit Traͤger iſt die Einzelheit hienieden.
Das iſt das Selbſt, das ſelbſuchtlos der Weiſe ſucht,
Das Selbſt, vor dem der Thor iſt immer auf der Flucht.
Er flieht zum Lerm der Welt, ſich ſelbſt zu uͤbertaͤuben,
Ins Leer ſein leeres Selbſtbewuſtſeyn zu zerſtaͤuben.
Du aber ſamml' in dir der Menſchheit Bluͤtenſtaub,
Und gib die Bluͤte nicht dem Wind der Welt zum Raub.
Aufreg' ein Liebeshauch in dir den Bluͤtenſtaub,
Daß deine Bluͤte nicht unfruchtbar ſei und taub.
108.
Nun nachgerade bin ich dieſes Daſeyns ſatt,
Des engen, das den Geiſt ſolang umrungen hat.
Und mich begeben moͤcht' ich auf Entdeckungsreiſen,
Doch in Welttheilen nicht, noch auch in Sternenkreiſen.
Denn Weltentheile ſind nur Theile dieſer Welt,
Und auch nur Zeit und Raum umſpannt das Sternenzelt.
In einer Welt, o Geiſt, worin die Zeit zum Nu,
Der Raum zum Punkte wird, zu kreiſen luͤſteſt du.
In Gottes Geiſterwelt zu kreiſen luͤſteſt du,
In Gottes Geiſterwelt zu reiſen ruͤſteſt du.
Was iſt die Ruͤſtung denn dahin und Vorbereitung?
Erharren in Geduld Fahrwind und Segelſpreitung.
Wo iſt die Himmelsluft, vor deren Hauch erbluͤht
Das Segel, das gewelkt umflattert mein Gemuͤt?
Derſelben harre du, und ſammle kein Gewicht
Zur Reiſe, ſammle dich! die Reiſ' entgeht dir nicht.
Ganz ſammle nur, mein Geiſt, dich in Vergeiſtigung!
Die Reiſ' entgeht dir nicht, wann du biſt Geiſt genung.
109.
Schon oͤfter hab' ich dir in Raͤthſeln vorgetragen
Antworten, die ſich gibt die Seel' auf Zweifelsfragen,
Auf Fragen, die ſie an ſich ſelbſt thut uͤber ſich:
Woher, woraus, wovon, wofuͤr, wozu bin ich?
Wozu kam ich hieher? von welchem Trieb getrieben?
Und warum bin ich nicht dort wo ich war, geblieben?
Bin ich herabgeſandt? bin ich herabgebannt?
Hab' ich, und weiß nicht mehr, mich frei herabgewandt?
Herabgeflogen wol? villeicht herabgeſtiegen?
Herabgefallen gar? am beſten waͤre Fliegen.
Wenn ich herab einſt flog, werd' ich hinauf einſt fliegen;
Wenn ich herunter fiel, wie lange ſoll ich liegen?
Das, Seelchen, ſag' ich dir: du biſt gewis geflogen,
Wenn als ein Vogel nicht, doch wie ein Pfeil vom Bogen.
Vernimm den Ernſt von mir: Zwei Schwingen dienten dir,
Die eine Langeweil, die andre Neubegier.
Langweile war es muͤd' im ew'gen Chor zu ſchweben,
Neugierde fuͤhlte Luſt was andres zu erleben.
So trugen ſie dich her, zu buͤßen ihre Luſt,
Und immer fuͤhlſt du noch die beiden an der Bruſt.
Ihr Nagen in der Bruſt fuͤhlſt du mit Unbehagen,
Und wuͤnſcheſt daß ſie dich nur immer weiter tragen.
Ich rathe dir, wann du kommſt einmal heim zu ruhn,
Die beiden Schwingen ganz und gar dann abzuthun.
Doch, bleibt noch Trieb in dir, wird er ſie wieder treiben,
Und wieder wirſt du dort nicht lange koͤnnen bleiben.
So fleug denn, weil du mußt! Ich aber, wenn Gefieder
Mir ſproßte, floͤg' ich auf, und nie herunter wieder.
Denn, ob ich es zur Zier ſag' oder Schande mir:
Mit Langeweile fehlt mir auch die Neubegier.
Ich bliebe fort und fort gar gern an einem Ort,
Solang es ſeyn ſoll, hier, und wann es ſeyn kann, dort.
110.
Aus zwei Verneinungen wird eine Wortbejahung,
Aus zwei Entfernungen doch niemals eine Nahung,
Aus zwei Abneigungen nie eine Liebumfahung.
Aus zwei Bejahungen wird nie im Wort Verneinung,
Doch in der Sache wol; wenn bringen in Vereinung
Du willſt zwei Meinungen, erhaͤltſt du keine Meinung.
111.
Nicht von Unwiſſenheit genuͤgt es frei zu ſein;
Wer ſelbſt ſich hat befreit, will andre auch befrein.
Durch Mitbewuſtſein ſoll ſich dein Bewuſtſein mehren;
Darum, was du gelernt, willſt du alsbald auch lehren.
112.
Nun ward es dir, wonach du Jahrlang dich gegraͤmt;
Es ward dir, und du biſt, mehr als erfreut, beſchaͤmt.
Beſchaͤmt, zu ſehn, wie du ſo kindiſch haſt verlangt
Nach Etwas, das nun iſt ſo Nichts, da du's erlangt.
113.
Zweifl' und verzweifle nicht an deines Gottes Huld;
Er gab dir manches Gut, vergab dir manche Schuld.
Und was er dir verſagt, das war dir nicht zum Heil;
Einſt wirſt du's einſehn ganz, und ſiehſt es ſchon zum Theil.
114.
Mein Sehnen ſtrebet vor, und ſtrebet nicht zuruͤck;
Nicht die Vergangenheit, die Zukunft iſt mein Gluͤck.
Mein Sehnen ſtrebet vor und eilet mir voraus,
Es ſchwebet dort empor, und iſt ſchon dort zuhaus.
Es iſt ſchon dort zuhaus, wann ich ihm komme nach,
Dann zeigt es dort mir das, was hier es mir verſprach.
115.
Und meineſt du daß dich die meiſten hoͤren werden,
Die ihres Weges gehn im Staube wie die Herden?
Der Hirte dieſer Welt fuͤhrt ſie zu Luſt und Leide,
Zur Schlachtbank fuͤhrt er ſie, zuvor zur Sinnenweide.
Laß ihrer blinden Luſt ſie nachgehn, der zu ſchwach
Sie ſind zu widerſtehn, und geh nicht ihnen nach.
Nach geh du jeder Spur, die nur das Auge ſpuͤrt
Des Geiſtes, wo der Geiſt je Geiſtige gefuͤhrt.
Auf, ehr am Boden wo die leiſe Spur erliſcht,
Sei ſie von deinem Tritt nacheifernd angefriſcht.
Das wird zu Statten nicht nur dir, auch jenen kommen,
Die nach dir gleichen Wegs mit gleichem Sehnen kommen.
116.
Beim Lichtanzuͤnden ſprich: Willkommen ſei die Nacht,
Geſegnet der das Licht im Finſtern hat gebracht!
Gott iſt das Licht des Tags, der ohn' ihn kann nicht leuchten,
Und mit ihm wird die Nacht uns auch nicht finſter deuchten.
117.
Du biſt der Naͤchte Licht und biſt des Tages Schatten,
Laß mich verzagen nicht, und laß mich nicht ermatten!
O der du biſt mein Licht und biſt mein Schatten du,
Ich fluͤchte meinem Licht und meinem Schatten zu.
Der Mitternacht Ruhlicht, des Mittags Schattenruh,
Ich fluͤchte dir, du Licht, dir, du mein Schatten, zu.
118.
Menſch, ruͤhme dich nicht ſtolz, daß du ein Gut gewannſt,
Weil du nicht weißt wiebald du es verlieren kannſt.
Auch ruͤhme dich nur nicht, daß du ein Wiſſen haſt;
Wer's nicht zu brauchen weiß, dem iſt es eine Laſt.
Wie leiblicher Beſitz kann auch dein geiſtiger ſchwinden;
Dann, wenn du ſonſt nichts haſt, wirſt du dich arm empfinden.
Doch wenn du gut biſt, das allein wird nie geraubt;
Des ruͤhme dich nicht, doch freu dich! das iſt erlaubt.
119.
Was Menſchen Vorſicht heißt, iſt ſchlecht von Menſchen denken;
Nie woll', o Vorſicht, mir die ſchlechte Vorſicht ſchenken!
Die Vorſicht blickt herab, du ſchau zu ihr empor!
Vorſichtig ohne ſie, biſt du ein bloͤder Thor.
120.
O fuͤhle dich, du fuͤhlſt, du biſt von allen Seiten
Abhaͤngig, wo du ſtehn magſt, liegen oder ſchreiten.
Vom Stoß der aͤußern Welt von jeder Seit' abhaͤngig,
Der Kraft des Elements zugaͤngig, ja durchgaͤngig.
Nicht einmal wie ein Erz dem Waſſer undurchdringlich,
Nicht einmal wie ein Stein dem Feuer unbezwinglich.
Dich trinkt der Hauch der Luft, dich ißt der Wittrung Zahn,
Dich wandelt Tag und Nacht, und wandelt deine Bahn.
O fuͤhle dich, und ſprich, in deiner Engigkeit
Wie kommſt du zum Gefuͤhl der Unabhaͤngigkeit?
Du fuͤhleſt, daß ein Hauch dich jenes Odems traͤgt,
Von dem im Gleichgewicht die Schoͤpfung iſt gewaͤgt;
Von dem im Gleichgewicht die Schoͤpfung iſt gewaͤgt,
So daß nach keiner Seit' um eine Schale ſchlaͤgt.
Wie dich die Wage waͤgt, wo dich die Schale traͤgt,
Wohin dich Element ins Element verſchlaͤgt;
Sag ihnen: Was verſchlaͤgt es mir, wie ihr mich waͤgt?
Ich fuͤhle mich ein Geiſt, mit Geiſt vom Geiſt gepraͤgt.
Wer dis Gepraͤge traͤgt, der weiß daß man ihn waͤgt,
Pruͤft, laͤutert, umſchmelzt, doch als unrecht nie verſchlaͤgt.
121.
Was feindlich iſt der Welt, das magſt du feindlich haſſen;
Was aber feindlich dir nur iſt, ertrag gelaſſen.
Das iſt das Gegentheil von dem was viele thun,
Die ihres mit dem Heil der Welt verwechſeln nun.
122.
Sprich, wie der Muſelman im Ungluͤck und im Gluͤck
Spricht: Wir ſind Gottes und kehren zu ihm zuruͤck.
Was ihn erfreut, ergetzt, was ihn betruͤbt, verletzt,
Was ihn bedroht, erſchreckt, verwundert und entſetzt;
Was ihn ergreift, entzuͤckt, was ihn bethoͤrt, beruͤckt,
Was ihn zum Himmel hebt und ihn zu Boden druͤckt;
Er ſprach und ſpricht noch jetzt ſein Bannwort, und zuletzt
Hat alles dieſes Wort ins Gleichgewicht geſetzt.
Drum, wie mit Gleichmut er im Ungluͤck und im Gluͤck,
Sprich: Wir ſind Gottes und kehren zu ihm zuruͤck.
123.
Singvoͤgel ſind es nicht, die lernen Woͤrter ſprechen,
Es ſind die ſchreienden, die Rede radebrechen,
Der Papagei, dem man vorhaͤngt die Spiegelwand,
Die Elſter, wenn man ihr geloͤſt der Zunge Band.
Doch die mit freier Kunſt dichten die freien Strofen
Im dichten freien Wald, ſind nicht Schulfiloſofen.
124.
Ich weiß wol einiges und weiß es ganz gewis,
Doch Niemand glaubt es mir, es iſt ein Aergernis.
Beweiſen kann ichs nicht, mir hat ſichs nur gewieſen,
Villeicht nach meiner Zeit wird es einmal bewieſen.
125.
Surat Alforkan v. 34.
Und wenn ihr fragt, warum wir euch kein Ganzes geben?
Wir geben euch es ſo wie wirs empfangen eben.
Mir zur Erquickung gab in einzlen Augenblicken
Es Gott, und alſo moͤg' es einzeln euch erquicken.
b.
v. 35.
Auf alle Fragen die ich thun mag, hoͤrt ein Geiſt,
Der bald mich deutlicher bald dunkler unterweiſt.
Und auf die Fragen die nun ihr moͤgt thun hinwieder,
Antworten deutlicher und dunkler dieſe Lieder.
Und wenn die deutlichen Antworten euch erfreuten,
Freun dunkle mehr noch euch, wenn ihr ſie wißt zu deuten.
126.
Es iſt ein alter Spruch: das beſte Leichentuch
Iſt Redlichkeit, ſie wuͤrzt den Tod mit Wohlgeruch.
Es iſt ein alter Spruch: wenn ſie mit dir nun ſchreiten
Zu Grabe, werden ſie verſchieden dich begleiten.
Dein einer Freund, dein Gut, bleibt hinter dir im Haus;
Dein andrer Freund, dein Ruhm, fliegt in die Welt hinaus.
Dein dritter Freund, dein Freund, begleitet dich ans Grab,
Und kehret um, ſobald er warf die Scholl' hinab.
Die Liebe ſchickt villeicht dir ein Paar Thraͤnen nach,
Doch auf der großen Reiſ' iſt dis Geleite ſchwach.
Ein gut Gewiſſen nur wird bei der Hand dich faſſen,
Nur der Geleitsmann wird dich nimmermehr verlaſſen.
Und was du Gutes haſt vorausgeſandt mit Beten,
Tritt dir entgegen dort, und wird dich dort vertreten.
127.
Flieh hier Leichtglaͤubigkeit, und dort die Zweifelſucht!
Doch von der einen ſchlimm zur andern iſt die Flucht.
Und doch, wer irgend naht der erſten oder letzten,
Den ſendet die zu der entgegen ihr geſetzten.
Kanſt du den Mittelweg nicht treffen zwiſchen beiden,
So rath' ich dieſe mehr als jene dir zu meiden.
Denn die Leichtglaͤubigkeit ſteht an des Glaubens Thuͤren,
Der Zweifel aber kann nur zur Verzweiflung fuͤhren.
128.
Gar viele Wege gehn zu Gott, auch deiner geht
Zu Gott, geh ihn getroſt mit Preiſen und Gebet.
Und laß dich nicht darin von denen irre machen,
Die andre Wege gehn, und mach nicht irr die Schwachen.
Wer mit auf meinem Weg will gehn, der ſei willkommen;
Und geh' ich auch allein, doch geh' ich unbeklommen.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 10
129.
O fuͤhle dich, mein Geiſt, von Geiſtern ſtets umgeben,
Von guten Geiſtern, die dich uͤberall umſchweben;
Von guten Geiſtern der Natur, die Roſenkronen
Dem Fruͤhling weben und in Lilienzelten wohnen;
Von guten Geiſtern, die in Himmeln Sterne leiten,
Dem Morgenrothe vor und nach dem Spaͤtroth ſchreiten;
Den guten Geiſtern, die der Menſchen Sinne lenken
Und alle Seelen hie, die dein in Liebe denken;
Die du mit Lieb' hier ſahſt, die dort mit Lieb' hernieder
Nun ſehn auf dich, und die du dort wirſt ſehen wieder.
Wo gute Geiſter ſo in Schaaren dich umfahen,
Darfſt du nicht fuͤrchten, daß zu nah die Boͤſen nahen,
Die Geiſter der Begier, die dumpf in Raum und Zeit
Befangnen, eitler Luſt und eitler Traurigkeit.
130.
Unbillig klageſt du, zu wenig ſei dir kund
Der Dinge dieſer Welt geheimnisreicher Grund.
Die naͤchſten Gruͤnde nur der Dinge ſiehſt du nicht,
Den letzten hoͤchſten Grund fuͤhlſt du mit Zuverſicht.
Du fuͤhlſt, die Kette reicht von Gott zu dir hernieder,
Nur in der Mitte ſiehſt du nicht die Mittelglieder.
Was brauchſt du ſie zu ſehn? Du fuͤhlſt der Kette Zug,
An der dich durch die Welt Gott zieht, das iſt genug.
10*
131.
Die Weisheit lehr' ich dich, die mich das Leben lehrte;
Denn Weisheit anderwerts gelernt iſt nicht von Werthe.
Deswegen alſo wird von Werth und von Gewicht
Fuͤr dich beſonders auch nicht ſeyn mein Unterricht.
Allein ich will dir auch nicht mein Gelerntes geben,
Dich lehren will ich nur, zu lernen ſelbſt vom Leben.
Denn, ob das Leben wol iſt aller Lehre voll,
Erſt muß man lernen, wie von ihm man lernen ſoll.
132.
Du thuſt, begluͤckter Freund, ein Buͤchlein leichter ab,
Sobald ſich dir der Gruͤnd' Unhaltbarkeit ergab.
Ich habe laͤnger mich damit herumzuſchlagen,
Weil mich die Meinungen mehr als die Gruͤnde plagen.
Die Meinungen, ob auf ob ohne Grund ſie ſtehn,
Ziehn oder ſtoßen mich, dem kann ich nicht entgehn.
Ich frage nicht, warum, nur was und wie man's meint,
Und wie dis Meinen dann mit meinem ſich vereint.
Und dieſer Meinungſtreit iſt ſchwerer mir zu ſchlichten,
Als ſiegreich dir ein Heer von Gruͤnden zu vernichten.
133.
Um Neujahr hatteſt du, wie mir dein Buͤchlein ſagt,
Gedanken, die mich auch um jene Zeit geplagt;
Nur mit dem Unterſchied: du haſt daraus erſonnen
Ein Lehrgebaͤud' und ich nur Lieder draus geſponnen.
Nun aber find' ich, daß bei dir gar wirr und kraus
Das ausſieht, was bei mir ſich nimmt ganz menſchlich aus.
Warum? Du haſt umſonſt geſucht Zuſammenhang
Des Sinns, wo mir genuͤgt des Tons Zuſammenklang.
134.
Wenn du dich lebenslang beſchaͤftigeſt mit Woͤrtern,
Verachten dich mit Recht, die lieber Ding' eroͤrtern.
Wenn du dich wenigſtens beſchaͤftigeſt mit Worten,
Aus welchen aufgebaut ſind der Begriffe Pforten!
Doch wenn du wirklich dich beſchaͤftigſt mit dem Wort;
Es iſt nichts hoͤheres zu finden hier noch dort.
135.
Mit Freuden greifeſt du nach allen neuen Bildern
Der Welt und der Natur, was ſie auch moͤgen ſchildern,
Nicht, um mit Bilderkram dein Zimmer auszuſchmuͤcken,
Sondern um deinen Sinn mit ihnen auszudruͤcken.
Ob ein Gedanke nun vom Bild ſei angeregt,
Ob in das Bild ein ſchon Gedachtes ſich gelegt;
Laß nur das ſchoͤne Spiel der Kunſt dich nicht verdrießen,
Dein eignes Innres dir in Bildern aufzuſchließen!
Denn, wie dein Auge ſelbſt ſich ſieht im Spiegel nur,
So dein Gemuͤt allein im Bilde der Natur.
136.
Du kannſt denſelben Sinn in viele Bilder ſenken,
Und kannſt im ſelben Bild gar viele Sinne denken.
Denn der Gedanke muß ſich in viel Huͤllen kleiden,
Daß er ſich lerne von ſich ſelber unterſcheiden.
Und viel Gedanken ſind in Einem Glanz erbrannt,
Wo die verſchiedenen als Eines ſich erkannt.
137.
Dich irrt der ew'ge Krieg in Waſſer, Luft und Erden,
Das Freſſen der Geſchoͤpf' und ihr Gefreſſenwerden.
Du fragſt, ob keine Welt geſchaffen konnte ſeyn,
Ganz Leben, ohne Tod? mein Sohn, ich denke, nein!
Ich frage: Fuͤhleſt du dich ſelbſt nicht wohlgemacht?
Denk alles andre denn fuͤr dich hervorgebracht,
Um dich und alle, die du liebeſt, zu ernaͤhren.
Nun aber: kann der Tod das Leben wol gebaͤren?
Drum lebt und naͤhret ſich, was dir ſoll Nahrung geben;
Du freue dich, wieviel' um deinetwillen leben!
Und was nicht deinem Leib, gibt Nahrung deinem Geiſt;
Du freu der Tafel dich, der reichen, die dich ſpeiſt!
138.
Du glaubſt, was ich nicht glaub', und glaubſt nicht, was ich glaube;
Erlaub mein Glauben mir, wie ich dir deins erlaube.
Wer noch nichts glaubt, iſt leicht zum Glauben zu bekehren,
Wie die Gefaͤße leicht zu fuͤllen ſind, die leeren.
Doch dem, der etwas glaubt, faͤllt andres glauben ſchwer;
Gibt er es einmal auf, ſo glaubt er gar nichts mehr.
139.
Das Jenſeits kannſt du in beliebigen Farben malen,
Die doch den Widerſchein von deinem Innern ſtralen.
Wie dumm ſeid ihr, um nicht zu ſagen: wie verrucht,
Die ihr, zu malen es, ſo kraſſe Farben ſucht.
140.
Dein hoͤchſtes Leben ſei zu leben gottbewußt;
Darin iſt zweierlei: gottwiſſend, gottgewußt:
Daß du dich wiſſeſt ſtets von Gott gewußt, gekannt,
Gemahnt, geſtraft, gepruͤft, geliebt und Kind genannt.
141.
Nicht triftig ſchienen mir von Gottes Guͤt' und Macht
Beweiſe nur aus Endurſachen vorgebracht;
Warum ein Angeſicht der Augen habe zwei,
Da alles doch zu ſehn gnug eins der Sonne ſei.
Schoͤnheit und Ebenmaß ließ ich als Grund mir gnuͤgen,
Sie aber wollten noch dazu den andern fuͤgen,
Daß dieſer edelſte und himmelnaͤchſte Sinn
Sei doppelt angelegt dazu von Anbeginn,
Damit ein Auge doch, wann eines ward gekraͤnkt,
Noch blieb', in welches nun die ganze Kraft ſich ſenkt.
Des Grundes Richtigkeit vermocht' ich nicht zu faſſen,
Nun aber will ich ihn und muß ihn gelten laſſen,
Seitdem ein Auge, mir nicht minder lieb als meines,
An einem theuern Haupt zu Schaden kam, nur eines.
Nun dank' ich Gott, daß ihm noch eines blieb geſchenkt,
Und bete, daß darein ſei Doppelkraft geſenkt,
Gedoppelt Himmelslicht, gedoppelt Seelenluſt,
Daß innen zum Gewinn werd' außen der Verluſt.
Die Endurſache mag im Dinge ſelbſt nicht ſeyn,
Mit Recht traͤgt ſie der Menſch zu ſeinem Troſt hinein.
142.
Das Leben iſt zu kurz, um alles zu erlernen,
Was lernenswuͤrdig iſt im Nahen und im Fernen.
Allein die Ewigkeit iſt lang genug dazu;
Der Ausſicht freue dich, Geiſt, ewig lerneſt du.
Und ewig lerneſt du nicht aus, denn ewig ſtreckt
Das Ew'ge weiter ſich, das Ziel um Ziel dir ſteckt.
Nicht Ein Ziel, ſondern eins ums andre zu gewinnen,
Beginne muthig nur das endloſe Beginnen!
Lern' alles was du magſt! nichts iſt ganz unerheblich;
Auch das Vergebliche gelernt iſt nicht vergeblich.
Du lernteſt wenigſtens die große Kunſt daran,
Zu lernen. Alles lernt, wer erſt das Lernen kan.
143.
Wie oft nicht hab' ich ſchon, von dunklem Drang getrieben,
Das Gegentheil von dem, was ich gedacht, geſchrieben.
Aus Ungeſchicklichkeit? aus Falſchheit? nicht doch! weil
Das Denken immer ſucht ſein eignes Gegentheil.
144.
Du nimmſt die Gruͤnde nach einander einzeln vor,
Und freuſt dich wie ſo leicht jeder die Kraft verlor.
Doch wenn ihr ganzes Heer dir in geſchloſſnen Gliedern
Entgegenruͤckt, was kanſt du ihrem Stoß erwidern?
145.
Die Liebe, wie ein Kind, liebt art'ge Plauderei,
Doch eine weiß ich von der Kinderunart frei,
Zuneigung herzliche, die ſich dir nicht zu zeigen
Braucht, um erkannt zu ſeyn, weil du verſtehſt ihr Schweigen.
146.
Such' etwas Schoͤnes dir nur immer aus vom Gang
Zu denken der Natur und Weltzuſammenhang,
Was du ausdenken magſt, es iſt ein Traum allein;
Laß wenigſtens den Traum ſinnreich und troſtreich ſeyn!
147.
Wenn du verachten willſt, was andre vor dir dachten;
Wie ſollen, was du denkſt, die nach dir denken, achten?
Ja, deinem Denken ſelbſt kanſt du kein Zutraun ſchenken,
Wenn du kein Zutraun haſt zu andrer Denker Denken.
148.
Zu eurer Finſtrelei bekehret ihr mich nicht;
Ich weiß, die Schoͤpfung ſei ein heitres Gotteslicht.
Dem Lichte ward geſellt ein Schatten zum Geleite,
Und ihr habt euch geſtellt auf dieſe Schattenſeite.
Nein, ſelbſt von der Natur ſeid ihr die Schattenſtelle;
Verzehrt euch ſelber nur, ſo geht ſie auf in Helle.
149.
Dein Geiſt kann nicht umhin, aus allem was gelungen
Zu ſehn ihm iſt, ſofort zu ziehn Schlußfolgerungen,
Und ſie auf alles Ungeſehne zu erſtrecken,
Um, wenn er dis dann ſieht, den Fehlſchluß zu entdecken.
Laß dich den Schluß zuruͤck zu nehmen nicht verdrießen,
Um, was du neu geſehn, nun auch mit einzuſchließen!
Nie falſch iſt, was dein Geiſt ſich bei den Dingen denkt;
Es gilt nur nicht, wie du wol meinſt, uneingeſchrenkt.
150.
Die Groͤßenlehre wol und Verskunſt hat gleichlaͤufig
Zeilen und Linien, doch die Natur nicht haͤufig.
Nicht nur wird ein zuweit getriebnes Gleichnis fehlen,
Mehr fehl gehn noch zu weit gefuͤhrte Parallelen.
151.
Ich ſehe klar genug, was ich zu ſehen brauche:
Die ganze Schoͤpfung lebt von Gottes Lebenshauche.
Wie ſie den Hauch empfing, das iſt von Nacht umhangen,
Wir aber preiſen Gott, daß ſie den Hauch empfangen.
Hauchen wir, ich und du, uns unſerm Urhauch zu!
Zur Ruh der Seligkeit fuͤhrt ew'ger Lieb' Unruh.
152.
Um Misverſtaͤndniſſe, ihr Freunde, zu vermeiden,
Verſtaͤndigt euch nur, wo ſich eure Wege ſcheiden.
Soweit ihr einig denkt, ſucht ganz euch zu verſtehn;
Und wo die Grenz' angeht, da laßt einander gehn.
153.
Der Menſch weiß mehr, als er von ſelber wiſſen koͤnnte;
Wo haͤtt' er dieſes her, wenn ihm nicht Gott es goͤnnte?
Bedenk' einmal nur recht, wie wenig durch Erfahrung
Sich laͤßt erfahren, und du glaubſt an Offenbarung.
154.
Du biſt, mein Filoſof, vollkommen uͤberzeugt,
Daß jeder irrgeht, wer von deinem Pfad abbeugt.
Und deine Zuverſicht ſchlaͤgt das mitnichten nieder,
Daß jener, was von ihm du glaubſt, von dir glaubt wieder.
Ich aber, ungewis, nach welchem Stern ich lenken
Mein armes Schifflein ſoll, muß eins von beiden denken:
Entweder daß ihr beid' irr ſeid auf eurer Fahrt,
Oder jeder von euch Recht hat auf ſeine Art.
Nun wuͤrd' es alle Luſt am Wiſſen gar mir rauben,
Glaubt' ich das erſte, drum laß mich das andre glauben.
155.
Der Dichter waͤr' ein Gott, und zu begluͤckt ſein Loß,
Der kleine Welten ſchafft, wie Gott ſchuf Welten groß;
Zu gluͤcklich waͤr' er, wenn das was er ſchuf im Spiele,
Ihm auf die Dauer ſo, wie Gott ſein Werk, gefiele.
Am Abend meint er zwar, daß wohlgemacht es ſei,
Doch die Zufriedenheit iſt uͤber Nacht vorbei.
Dann wendet er ſich ab dem, was er abgethan;
Gott aber ſieht ſein Werk mit neuer Luſt ſtets an,
Und Neues ſchaffend, will er Altes nicht vergeſſen,
Nur ſeiner Liebesmacht Unmeßbarkeit ermeſſen.
156.
Die Selbſthochachtung wird zur Selbſtverachtung treiben,
Wie endlich Aſche wird vom Feuer uͤbrig bleiben.
Ein Goͤttliches, o Menſch, mußt du in dir erkennen,
Doch mußt du's nicht dein Selbſt, du ſelbſt mußt ſein dich nennen.
157.
Weltweisheit iſt ein Wort, hat weder Sinn noch Kraft;
Der Weisheit hoͤchſter Hort iſt Gotteswiſſenſchaft.
Weltweisheit aber ſoll, damit ſie Sinn erhaͤlt,
Die Weisheit Gottes nur im Spiegel ſchaun der Welt.
158.
Die Lehre, wenn ſie dir von Herzen widerſtrebt,
Wenn du nur fuͤhleſt daß ſie dem im Herzen lebt,
Der dieſe Lehre lehrt, mußt du ſie gelten laſſen,
Und ſuchen deinem Sinn ſie irgend anzupaſſen.
Belebend uͤberall iſt der Begeiſtrung Hauch,
Und mag begeiſtern dich, wenn zu was anderm auch.
159.
Du ſagſt, und weißt nicht was du ſagſt: Vielgoͤtterei!
Alsob nicht uͤberall ein Gott der Goͤtter ſei.
Ein Gott, der uͤberall iſt ſchweigend anerkannt,
Vorausgeſetzt, wennauch mit Namen nicht benannt.
Ein Gott, der ſtill geahnt ruht hinter den Tapeten,
Aus denen bunt hervor der Goͤtterchor getreten.
Wie unabhaͤngig auf der Buͤhne vorn erſcheine
Der Chor, vom Hintergrund hervor lenkt ihn der Eine.
Befangen ſei der Sinn von ſinnlichen Geſtalten,
Doch unbefangen fuͤhlt der Geiſt des Geiſtes Walten.
Und ſelbſt dem Geiſte, der den hoͤchſten Geiſt nur ehrt,
Erſcheinen heilige Vermittler wuͤnſchenswerth;
Ob Goͤttliches herab ins Menſchliche von oben
Entſtiegen, oder dis zu jenem ſich erhoben:
Es ſei nur Goͤttliches und Menſchliches vermittelt;
Nicht darauf kommt es an, wie es nun ſei betitelt.
160.
Von allen Dingen der Natur der Menſch iſt eines,
Ein im unendlichen Großen unendlich kleines;
Ein Theilchen Gotteskraft, das eng ſich fuͤhlt umzirkt
Vom Ganzen dieſer Kraft, die durch das Ganze wirkt;
Vielfaͤltig eingeſchraͤnkt und tauſendfach bedingt,
Von uͤbermaͤchtigen Einwirkungen umringt.
Allein nach Freiheit ringt er aus der Engigkeit,
Der allabhaͤngige nach Unabhaͤngigkeit.
Der Tropfen in dem Meer, gewaͤrtig der Verſchwimmung,
Macht unabweislichen Anſpruch auf Selbſtbeſtimmung;
Der Menſch, der nur was ihm von Gott beſtimmt iſt, nimmt,
Die Selbſtbeſtimmung auch iſt ihm von Gott beſtimmt.
161.
Ich wuͤnſche, daß dein Gluͤck ſich jeden Tag erneue,
Daß eine gute That dich jede Stund' erfreue!
Und wenn nicht eine That, ſodoch ein gutes Wort,
Das ſelbſt unſterblich wirkt zu guten Thaten fort.
Und wenn kein Wort, doch ein Gedanke ſchoͤn und wahr,
Der dir die Seele mach' und rings die Schoͤpfung klar.
Nichts anders kann erfreun den Menſchen und erheben,
Wie dieſe Zeugniſſe von eignem hoͤherm Leben.
Und was das Gluͤck von Lohn ihm zu von außen ſpuͤlt,
Erfreut ihn nur, wenn er ſich deſſen wuͤrdig fuͤhlt.
162.
Wenn alles Menſchenthuns iſt Wurzel Eigennutz,
Komm, laß uns reinigen die Wurzel von dem Schmutz!
Auf dieſem Grunde laß uns ſtehn nur und erklaͤren,
Wie jene Wurzel ſelbſt das Hoͤchſte muß gebaͤren.
Ein jedes Weſen eingepflanzt hat von Natur
Den Grundtrieb: wie es iſt, ſich zu erhalten nur.
Was dieſer dunkle Trieb nun in der Thiere Zunft,
Das iſt im Menſchen ſelbſt erleuchtete Vernunft.
So kann Vernunftmacht nie ſeyn mit Naturgewalten
Im Widerſpruch; ihr Trieb iſt auch, ſich zu erhalten.
Wodurch ſie ſich erhaͤlt, iſt Tugend, That und Kraft,
Davon das Widerſpiel iſt Schwaͤch' und Leidenſchaft.
Nicht Leiden, ſondern Thun, nicht Ohnmacht, ſondern Staͤrke,
Das ſind des menſchlichen Naturtriebs Tugendwerke.
In dieſem Streben nun, von innen frei durchgaͤngig
Zu wirken, fuͤhlt der Trieb ſich außen rings abhaͤngig.
Zur Nahrung kann er nie der Außenwelt entbehren,
Und ihrer Uebermacht muß er ſich ſtets erwehren.
In dieſem Daſeynskampf, mit Kraft, dazu verliehn,
Sucht er von außen her, was frommt, an ſich zu ziehn.
Zwei Kraͤfte gleicher Art, zu gleichem Zweck verbunden,
Vermoͤgen doppeltes, das haben ſie empfunden.
Drum menſchliche Vernunft, zu Menſchenſelbſterhaltung
Befand nichts nuͤtzlicher als Menſchenbundgeſtaltung.
Sie unterordnen ſelbſt dem Leibe ſich zu Gliedern,
Nur um ſich zu erhoͤhn, nicht um ſich zu erniedern.
Und alſo iſt der Menſch von der Natur getrieben,
Weil er ſich ſelber liebt, den andern auch zu lieben.
Getrieben iſt er, gut zu ſeyn, mild und gerecht,
Großmuͤthig ſelber ſich zu opfern dem Geſchlecht.
Dem Grundtrieb Eigennutz iſt alles dies entſproſſen,
Die dunkle Wurzel iſt zum Himmel aufgeſchoſſen.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 11
163.
Was iſt Verneinung wol im Denken und im Wort?
Bejahung nur, die ruͤckt von dem zu jenem fort.
Dies Weiterruͤcken ſelbſt erſcheinet dreierlei,
Doch leicht erkenneſt du: im Grund iſt eins das drei.
Das Gehn wird zum Vergehn, das Schlagen zum Erſchlagen;
Aufhebt ſich jede Kraft, zu ihrem Ziel getragen.
Von dem du jetzo ſagſt: es iſt, ſagſt du: es war,
Im naͤchſten Nu; das Seyn ſtellt ſich als Nichtſeyn dar.
Worauf du denkend ſiehſt, das wird von dir empfunden
Als etwas; ſiehſt du weg, zum Nichts iſt es geſchwunden.
Im Ruͤcken alſo durch die Zeit und durch den Ort,
Und durch Gedanken, ruͤckt zum Tod das Leben fort.
In dieſer Ruͤckſicht nur wird dir zum Nein das Ja
Nicht fuͤr ſich ſelbſt iſts nicht, fuͤr dich nur iſts nicht da.
164.
Ob Gott verborgen dir erſcheint in der Natur,
Ob außer, uͤber ihr, iſt eins im Grunde nur,
Ein Wortſpiel-Formelkram, vergebens drum zu zanken,
Ein Kruͤckennothbehelf gebrechlicher Gedanken.
Gott iſt, was er will ſeyn, wo er will ſeyn und wie,
Anders in jedem Ding und jeder Fantaſie.
Anders in jedem Nu, derſelb' in Ewigkeit,
Die Vielheit ewig eins, die Einheit ſtets entzweit.
Ob du Weltſchoͤpfer ihn, ob ihn Weltordnung nenneſt,
In ihm iſt ungetrennt, was im Begriff du trenneſt.
Geordnet iſt die Welt, du ordne dich ihr ein;
Das wird am Goͤttlichen dein rechter Antheil ſeyn.
11*
165.
Aus Einer Wurzel ſprießt, aus Einer Quelle fließt,
Was weit ins Leben ſich erſchließt und ſich ergießt.
Die Zweige wiſſen nicht, was unten ſie verflicht,
Sie ſchwanken wohlgemuth und tauchen auf ins Licht.
Die Wellen merken kaum, was ſtill ſie haͤlt im Zaum,
Sie ſchwanken auf und ab, und kroͤnen ſich mit Schaum.
Am Zaume haͤlt ſie doch und unterm goldnen Joch
Die Liebe, der nichts iſt zu nieder noch zu hoch.
Ihr ſeid nicht klein, noch groß, Kinder aus meinem Schoß,
Seid nichts in euch, in mir ſeid ihr ein Etwas bloß.
166.
Wie von der Sonne gehn viel Stralen erdenwerts,
So geht von Gott ein Stral in jedes Dinges Herz.
An dieſem Strale haͤngt das Ding mit Gott zuſammen,
Und jedes fuͤhlet ſich dadurch von Gott entſtammen.
Von Ding zu Dinge geht ſeitwerts kein ſolcher Stral,
Nur viel verworrene Streiflichter alzumal.
An dieſen Lichtern kanſt du nie das Ding erkennen,
Die dunkle Scheidewand wird ſtets von ihm dich trennen.
An deinem Stral vielmehr mußt du zu Gott aufſteigen,
Und in das Ding hinab an ſeinem Stral dich neigen.
Dann ſieheſt du das Ding, wie's iſt, nicht wie es ſcheint,
Wenn du es ſieheſt mit dir ſelbſt in Gott vereint.
167.
Die Weſen unter ſich ſind ſtets im Widerſtreit,
Das Leben, eins in Gott, iſt außer ihm entzweit.
In Gott ſind wir geeint, und außer ihm geſchieden;
Ohn' ihn iſt ew'ger Krieg, und durch ihn ew'ger Frieden.
168.
Verzeiht, was ich gefehlt, ich hab' es gut gemeint,
Daß ich euch nichts verhehlt, was meinem Geiſt erſcheint.
Ihr moͤgt es anders ſehn, im eignen Licht erwacht;
Ich freue mich, wenn ihr nur auf die Augen macht.
169.
Sie ſagen, werther Freund, du ſeiſt ein großer Heuchler;
Das weiß ich nicht, doch das: du biſt ein loſer Schmeichler.
Wie weit nun Heuchler ſich und Schmeichler unterſcheiden?
Zuſammen reimen doch, wenn unrein auch, die beiden.
170.
Woher nimmſt du den Muth, von neuem vorzutragen,
Was laͤngſt ſchon beſſer ward geſagt in alten Tagen? —
Weil alles Alte neu und immer neu muß werden,
So traͤgt die Dichtung auch ſtets ihrer Zeit Geberden.
Verwandeln muß ſie ſich, beharren kann ſie nimmer;
Nicht beſſer wird ſie ſtets, zuweilen wird ſie ſchlimmer.
Ein angeſtammtes Recht hat jedes Zeitgeſchlecht,
Der Zeiten Weisheit ſich zu machen mundgerecht.
Und jeder hat dies Recht fuͤr ſich auch und ſein Haus;
Und er macht es nicht ſchlecht, wenn er damit kommt aus.
Nur hat er nicht das Recht, es andern aufzudringen,
Sein eigen Hausgemaͤcht auch auf den Markt zu bringen.
Bring' ich das Meine doch, ſo bild' ich wol mir ein,
Es ſei fuͤr andre noch, und nicht fuͤr mich allein.
171.
Ein Koͤnig moͤcht' ich ſeyn, ein Herr der Morgenlande,
Der ſo zu geben als zu nehmen waͤr' im Stande.
Der keinen vor ſich ließ' erſcheinen ohne Gaben,
Und keinen von ſich gehn, ohn' ihn beſchenkt zu haben.
Wer ſein Geſchenk empfaͤngt, den wird es nicht beſchaͤmen,
Und ſelber ohne Scham kann er Geſchenk' annehmen;
Weil alles ihm gehoͤrt, was Menſchen freut und frommt,
So einzig zu ihm geht, wie einzig von ihm kommt.
Des Gabentauſches wie ſollt' er ſich ſcheun und ſchaͤmen,
Da Goͤtter Segen ſtreun und Opferduft annehmen?
Ein ſolcher moͤcht' ich ſeyn, um ohne Scheu und Bangen
Geſchenke ſelbſt noch mehr zu geben als empfangen;
Daß Reichempfangenes nicht muͤßte mich erniedern
Durch das Gefuͤhl, ich ſei zu arm es zu erwiedern.
172.
Der Markwart Perſiens, als er zum Omar kam,
Wie ſtaunt' er, als er nichts von Koͤnigspracht vernahm.
Von aller Pracht, die ſcheint den Fuͤrſten zu gebuͤhren,
War da beim Fuͤrſten nichts der Glaͤubigen zu ſpuͤren.
Er klopft' an Omars Haus. „Grad' iſt er ausgegangen.“
„„Wohin?““ Die Kunde war von Niemand zu erlangen.
Die Gaſſen geht er durch, und fragt, wo Omar ſei,
Und uͤberall wird ihm geſagt: Er ging vorbei.
Hier hat er das gemacht, hier hat er das befohlen;
Hier hat er was gebracht, hier kam er was zu holen.
Der Perſer Markwart denkt in ſeinem ſtolzen Muth:
Was iſt das fuͤr ein Fuͤrſt, der alles ſelber thut;
Was fuͤr ein Fuͤrſt, der ſich bedienen ſelber muß,
Der ohne Leibwach' aus dem Hauſe geht zu Fuß;
Der uͤberall gehoͤrt, und nirgends wird gefunden,
Und deſſen Spuren ſo ſind unterm Volk geſchwunden? —
Zuletzt umfragend nun kommt er zum Bethaus hin;
Der Fuͤrſt der Glaͤubigen, ſo hoͤrt er, ſchlaͤft darin.
Und ſchlafen ſieht er ihn am Boden in der Ecke,
Und wundert ſich, daß ihn kein goldner Himmel decke.
Was iſt das fuͤr ein Fuͤrſt, ſpricht er in hehrem Muth,
Der ohne Menſchenhut im Gotteshauſe ruht?
Doch Omar wachet auf, und zeigt in ſeinem Blicke
Das ſeiner Macht von Gott vertraute Weltgeſchicke.
173.
In allen Zonen hat gebluͤht und bluͤht noch jetzt
Ein Allgemeines, nur mit Oertlichem verſetzt.
Die Menſchen ſind getheilt in Volks- und Glaubenszunft,
Doch ihr Gemeinſames iſt menſchliche Vernunft.
Je mehr vom Zwang der Zunft ſich die Vernunft befreit,
Je weitres Feld gewinnt die reine Menſchlichkeit.
Zwei Wege aber ſind zur Freiheit, gut und boͤſe,
Hier daß man Formen brech', und dort daß man ſie loͤſe.
Nicht die Verſchiedenheit ſoll ausgeſtrichen ſeyn,
Doch des Verſchiednen Streit ſoll ausgeglichen ſeyn.
174.
Den Aberglauben auch, den ich durchaus nicht preiſe,
Ehr' ich als einer Zeit und Stufe Glaubensweiſe.
Wo er unſchuldig galt, da will ich ihn nicht ſchelten;
In der Erkenntnis Licht kann er nunmehr nicht gelten.
Ein ahnungsreicher Traum aus unſrer Kindheit Nacht,
Dem Mann unbrauchbar, der zum Denken iſt erwacht.
Der Vorzeit Maͤrchenſtyl, der Phantaſie zum Spiel
Zu goͤnnen, doch fuͤr Geiſt und Herz kein wuͤrdig Ziel,
Scherzhafte Dichtungsart, die wol zum Scherz gefaͤllt,
Doch laͤcherlich ſich macht, wenn ſie ſich ernſthaft ſtellt.
175.
Was ungeleſen ich zu laſſen mir erlaube?
Ein Buͤchlein, das mir will beweiſen, was ich glaube.
Wie ſollt' ich, was ich glaub', erſt mir beweiſen laſſen?
Derweilen kann ich mich mit Nuͤtzlicherm befaſſen.
Ich denke, ſolches Buch iſt nicht fuͤr mich geſchrieben,
Es iſt fuͤr andre, die bis jetzt unglaubig blieben.
Allein auch dieſe wird es nicht zum Glauben treiben;
Drum ohne Schaden konnt' es ungeſchrieben bleiben.
176.
Dein Streben ſei, o Sohn, ein innres Gutes frei
Zu machen ſo, daß es ein aͤußres Schoͤnes ſei.
Warum ſoll gleißneriſch ein Schlechter ſich beſtreben,
Mit falſchem Scheine ſich des Guten zu umgeben,
Ein Guter aber ſich im Gegentheil befleißen,
Zu ſcheinen ſchlechter als er iſt, um nicht zu gleißen?
Durch beſſer Scheinen wird kein Schlechter beſſer werden,
Doch ungeſtraft kann ſich kein Guter ſchlecht geberden.
Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigenſinnig
In dir verſchließen kannſt, ſo iſt es nicht recht innig.
Denn, waͤre voll ſein Drang, ſo braͤch' es aus der Huͤlle,
Wie aus der Knoſpe bricht der Roſe Liebesfuͤlle.
Die Knoſpe aber, die ſich dumpf verſtockt, und wagt
Nicht aufzugehn, iſt wol im Kern vom Wurm genagt.
Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Bruſt,
So bluͤh auf unverzagt, dir und der Welt zur Luſt!
Nur nichtig iſt der Schein, doch wichtig die Erſcheinung,
Vollkommen iſt allein des Seyns und Scheins Vereinung.
Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur iſt gelungen,
Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgeſtalt entſprungen.
177.
Es iſt nicht immer noth, (der Meiſter hats geſprochen)
Daß Wahres werd' ein Leib, ein Leib mit Fleiſch und Knochen.
Wenn geiſtig in der Luft es ſchwebt, genuͤgt es ſchon,
Wie, Herzen ſtimmend, ſanft und ernſt, ein Glockenton.
178.
Es iſt ein wahres Wort: der Kuͤnſtler wird geboren;
Doch jede Wahrheit wird Irrthum im Mund der Thoren.
Geboren wird mit ihm der Kunſttrieb, nicht die Kunſt;
Die Bildung iſt ſein Werk, die Anlag' Himmelsgunſt.
Geboren zur Vernunft, iſt auch nicht gleich vernuͤnftig
Der Menſch, doch wenn er fein dazu thut, wird ers kuͤnftig.
179.
Befreie deinen Geiſt! Dies iſt dein hoͤchſter Hort,
Doch wenn du ihn befreiſt, denk an des Meiſters Wort,
Dies Wort: Verderblich iſt, was deinen Geiſt befreit,
Und nicht zu gleicher Friſt Selbſtherrſchaft dir verleiht.
180.
Der alte Meiſter ſpricht: Die Schwaͤch' iſt zu bedauern
Der Menſchen, die der Welt Vergaͤnglichkeit betrauern.
Sind wir doch dazu da, mit Kraft begabt hinlaͤnglich,
Um das Vergaͤngliche zu machen unvergaͤnglich.
181.
O Wunder, oft ſchon ſtand hart an des Abgrunds Rand
Ein Menſch, zum Sturz bereit, den er nicht vorempfand.
Ihm gegenuͤber ſteht das drohende Geſchick,
Er wird es nicht gewahr mit unbefangnem Blick.
Was ſchließeſt du daraus? das arme Menſchenkind
Sei gegen ſein Geſchick unmaͤchtig, ſchwach und blind?
Wie oder ſchließeſt du, daß Gottes Gnad' ihm goͤnne
Die Blindheit, da kein Schaun Verhaͤngnis wenden koͤnne?
Ich ſchließe dies daraus: es muͤſſe gar nicht ruͤhren
Den Geiſt ein aͤußeres Geſchick, ſonſt wuͤrd' ers ſpuͤren.
Ich ſchließe dies daraus: daß unabhaͤngig frei
Von aͤußerem Geſchick des Geiſtes Leben ſei.
182.
Du trugeſt, daß der Freund verreiſt war, ohne Klagen;
Nun er geſtorben iſt, ſcheint es dir nicht zu tragen.
So denke doch, er ſei verreiſet immerfort,
Und troͤſte wieder dich des Wiederſehns wie dort.
Und iſt er nicht verreiſt? Zwar kommt er nie zuruͤck,
Du aber kommſt ihm nach, und findeſt ihn im Gluͤck.
183.
Gelegenheitsgedicht iſt zu verachten nicht,
Das der Gelegenheit Bedeutung recht ausſpricht.
Genuͤgt es nur dem Tag, ſo iſt es ſchon zu loben,
Doch fuͤr die Ewigkeit wird es nicht aufgehoben.
Nur wenn es Ewiges im Zeitlichen enthaͤlt,
Iſt heut es fuͤr das Feſt, und morgen fuͤr die Welt.
184.
Der Buͤcher ſind zu viel, um noch ſo viel zu gelten;
Denn wohlfeil iſt die Meng', und theuer nur was ſelten.
Mit ihnen iſts wie mit den Menſchen ſelbſt gethan;
Den, der mit vielen lebt, gehn wenig naͤher an.
Man ſieht ſie an, allein wer kann ſie alle nennen,
Erkennen ihren Werth, wie ſie voruͤber rennen?
Ich leb' in kleiner Stadt, ſie iſt mir faſt zu groß;
All ſeine Nachbarn liebt man auf dem Dorfe bloß.
Dort hat man keine Wahl, man braucht die ganze Zahl;
Hier ſtellt zumal die Qual ſich ein mit Zahl und Wahl.
Ich aber ungequaͤlt hab' einen Freund gewaͤhlt,
Der mir die Buͤcher waͤhlt, daß mich die Zahl nicht quaͤlt.
185.
Den Nachbar halte werth, den Nachbar halt in Ehren!
Was ein beim Nachbar kehrt, kann auch bei dir einkehren.
Man wird nach deinem Werth nicht in der Fremde fragen;
Dem wird man glauben, was von dir die Nachbarn ſagen.
Dein Boͤſ' und Gutes kann die Ferne nicht beruͤhren,
Dein Nachbar rechts und links wird dies und jenes ſpuͤren.
Mit ſeiner Nachbarſchaft wer friedlich ſich vertraͤgt,
Kommt aus mit aller Welt; dies ſei dir eingepraͤgt:
„Mit wem zwei Nachbarn hier beſtaͤndig ſind zufrieden,
Dem iſt Vergebung dort all ſeiner Schuld beſchieden.“
186.
Zu guter Nachbarſchaft gehoͤrt nicht das allein,
Nicht weh zu thun, auch dem, der weh that, zu verzeihn.
Ein boͤſer Nachbar ſelbſt mag nicht den guten plagen,
Ein guter aber wird den boͤſen ſelbſt ertragen.
187.
Sonſt da mich jeder ſchalt, und keiner faſt mich lobte,
Ich dachte Wunder welch ein Ungluͤck ich erprobte.
Nun jeder faſt mich lobt, und keiner mehr mich ſchilt;
Nicht wenig koſtet mich, was mir ſo wenig gilt.
Denn wenn ich durfte ſonſt doch, die mich ſchalten, ſchelten,
So muß ich jetzo, die mich loben, laſſen gelten.
188.
Demuͤtigung iſt auch von Demut eine Art;
Du uͤberbieteſt recht Hochfart mit Hoͤherfart,
Wenn du (nur pruͤfe dich) nicht ſelbſt dich willſt erheben,
Dem Ueberhobnen nur heilſame Lehre geben.
189.
Wer ſtolz auf Vorzuͤg' iſt, fuͤhlt irgend ein Gebrechen,
Und wer ſich bruͤſten mag, iſt ſich bewußt der Schwaͤchen.
190.
Ein niedrer Sinn iſt ſtolz im Gluͤck, im Leid beſcheiden;
Beſcheiden iſt im Gluͤck ein edler, ſtolz im Leiden.
191.
Vollendet wird hier nichts, nichts aber kann gelangen
Dort zur Vollendung, was nicht hier ward angefangen.
192.
Die Pflanze hat das Jahr zum Leben das ſie lebt,
Wo ſie der Fruͤhling weckt, der Winter ſie begraͤbt.
Ihr Sproßen und ihr Bluͤhn, Vergehn und Neuentſtammen
Faͤllt mit des Jahres Kreis unwandelbar zuſammen.
Jung iſt ſie, wenn die Welt iſt jung, und alt, wenn alt,
Des Großen kleines Bild in wandelnder Geſtalt.
Des Menſchen Leben iſt nicht ſolch ein Kreis geſchloſſen,
Mit dem Naturumlauf zuſammen ſo gefloſſen.
Es lenzet, ſommert zwar, es herbſtet, wintert auch,
Nicht aber mit dem Jahr, nicht mit der Luͤfte Hauch.
Es ſetzt ſich davon unabhaͤngig ſeine Grenzen,
Vermag, ob wintern mag die Schoͤpfung, noch zu lenzen.
Und legt es einmal ſich zum Winterſchlummer nieder,
So weckt kein Fruͤhlingshauch auf dieſer Welt es wieder.
193.
Manch falſches Wiſſen auch ſollt ihr bei mir nicht miſſen;
Warum? damit ihr ſeht: es kommt nicht an aufs Wiſſen.
Ein Irrthum irret nicht den wahren Drang des Strebens;
So ſei mit Gott dies Buch, und ſo das eures Lebens.
194.
Im Steigen iſt die Zeit, auch wo ſie ſcheint im Sinken;
Das Ziel, nach dem ſie ſteigt, das hohe ſeh' ich winken.
Anhoͤhn und Tiefen ſind abwechſelnd auf der Bahn,
Doch jede Senkung iſt Erhebung dort hinan:
Zum Ziel geht jeder Schritt, der vorwaͤrts wird gethan.
XI.
1.
Gar manches ſagt nicht rein brahman'ſches der Brahman;
Sei es rein menſchlich nur, ſo nehmen wir es an.
Doch dieſes, was aus gar zu fremden Augen ſchaut,
Hat ein europiſcher Bekannter ihm vertraut.
2.
Erbauen laͤßt ſich nicht, ſo daß ſie ſteht und haͤlt,
Aus epikuriſchen Atomen eine Welt.
Aus Sonnenſtaͤubchen iſt die Sonne nicht entſtanden;
Die Staͤubchen ſind nur, weil die Sonne ſcheint, vorhanden.
Viel ehr gefallen mir Leibnitziſche Monaden,
Die eine Urmonad' unſichtbar haͤlt am Faden;
Ein Sphaͤrenwirbel von beſeelten Einzelheiten,
Wie aus Bruchſtuͤcken hier ſich will ein Lied bereiten.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 12
3.
In der Neujahrsnacht fuhr ich durch verſchneite Flur,
Vom Jahreswechſel war im Schnee da keine Spur.
Die zwoͤlfte Stunde nur ſchlug meine Taſchenuhr,
Doch rings blieb theilnahmlos die ſchweigende Natur.
Die Zeitabſchnitte ſind vom Menſchen nur erdacht,
Ununterbrochen geht die Weltuhr Tag und Nacht.
Jahrſtunden rufet Lerch' und Schwalb' und Kukuk aus,
Und Perpendikelgang iſt Sturm und Wogenbraus.
Der Sommer macht dem Herbſt, der Winter Platz dem Lenze,
Doch nirgends abgeſteckt iſt ſichtbar eine Grenze.
Der Zeiten Wagen rollt gleich uͤber Au'n und Haiden,
Ohn' Anſtoß uͤber Jahr' auch und Jahrhundertſcheiden.
So rollet mein Geſang mit mir die Welt entlang,
Den Zeitenwechſel durch, mit immer gleichem Klang.
Von Lebensſtation zu Station begleitend,
Der Himmelsſonne gleich, durch alle Zeichen ſchreitend.
4.
Der Millionen, die nun auf der Erde wohnen,
Und aller ſchon zuvor gegangnen Millionen,
Wie viele ſind es, die nachließen eine Spur?
Viel Tauſende ſind im Verhaͤltnis wenig nur.
Die allermeiſten ſind verſchollen ohne Namen,
Auch denen ungekannt, die hart nach ihnen kamen.
Und jene Wenigen, die nicht ſind namenlos,
Sie leben auch im Buch und dem Gelehrten blos.
Von tauſend einer nur lebt in des Volkes Munde;
Und dieſem auch was hilft die undankbare Kunde?
Gewohnheit nennet ihn, kein Wunſch doch kennet ihn;
Schad' um die Todtenruh, von der man trennet ihn.
12*
5.
Der Tod ein Schauder und Entſetzen der Natur,
Dem Anblick fuͤrchterlich, hold dem Gedanken nur.
Suͤß iſt Geſtorbenſein, und bitter nicht iſt Sterben,
Doch Sterbenſehen iſt der Lebensluſt Verderben.
Und um wie hoͤher ſteht ſchon auf der Stufenleiter
Ein Leben, um ſo mehr ſind widerlich die Scheiter.
Der Stein, lebendigtodt, iſt drum ſich immer gleich,
Ihn macht der Tod nicht kalt, ihn macht der Tod nicht bleich.
Die Blum' auch welket zwar, vom Stengel abgepfluͤckt,
Doch iſt die welke noch mit Farb' und Duft geſchmuͤckt.
Und jene Bluͤthe, die an keinem Stiel darf raſten,
Der Schmetterling iſt ſchoͤn noch in des Sammlers Kaſten.
Der Vogel, dem das Herz nicht unter'm Flaum mehr klopft,
Und ſteif den Fittig haͤngt, iſt artig ausgeſtopft.
Die groͤßern Thiere, die naͤchſt an den Menſchen reichen,
Sind widerwaͤrtiger, je groͤßer ihre Leichen.
Doch nur den Menſchen, weil er iſt des Lebens Krone,
Macht voͤllig ſchauderhaft das Leben, das entfloh'ne.
Darum verhuͤllte, den der Freunde Dolch erſtach,
Sein Haupt vor'm Himmelsaug', eh' ihm das Auge brach.
Wie auf Naturgeheiß die Thier' auch, wenn ſie ſiechen
Am letzten Weh, in Schluͤft' und Hoͤhlen ſich verkriechen.
Und ein mit Schoͤnheitſinn begabtes Volk bedeckt
Den Sarg mit Blumen, daß ſein Anblick minder ſchreckt,
Nachahmend der Natur, die, uͤberall erfuͤllt
Von Graͤbern, jedes Grab in Blumenteppich huͤllt.
6.
Dem Lichte, daß es brenn', iſt noͤthig Fett und Docht;
Fehlt ihm von beiden eins, ſo hat es nichts vermocht.
Und beide muͤſſen rein auch aufgehn miteinander,
Daß ſeines Elements froh ſei der Salamander.
Wo Docht zu kurz iſt, da erſtirbt im Fett der Klumpen;
Und wo das Fett ausgeht, verlodert ſchnell der Stumpen.
Die Schwindſucht iſt es hier, und dort die Waſſerſucht,
Des Mißverhaͤltniſſes mißliche Doppelfrucht.
Erfreulich leuchtet da allein des Lebens Licht,
Wo Geiſt und Koͤrper iſt im rechten Gleichgewicht.
7.
Das Bischen Dichterruhm, die ſpaͤte Spaͤtherbſtaſter,
Waͤr' ein unnuͤtzes Kraut und unwirkſames Pflaſter,
Wenn eine eigne Kraft nicht ſelber wohnte bei
Der Poeſie, zu ſein des Herzens Arzenei.
In großer Truͤbſal hab' ich dies Hausmitt'l erprobt,
Und wenig kuͤmmert mich, ob es ein Kritler lobt.
8.
Groß iſt die Aehnlichkeit von Seel' und Schmetterling.
Doch die Verſchiedenheit von beiden nicht gering.
Die Puppenmaske zeigt ein Todtenangeſicht,
Aus deſſen Ernſt ein Strahl von hoͤherm Leben bricht;
Das iſt das Gold, wovon die Chryſalide traͤgt
Den Namen, darin iſt Verklaͤrung vorgepraͤgt;
Nur daß der Schmetterling noch in dem Sarge liegt,
Indeß vom Kerker frei die Pſyche druͤber fliegt.
Die Pſyche, die, wie ſie ſich unſichtbar geſtaltet
Im Leben, ſo im Tod unſichtbar ſich entfaltet.
Der Schmetterling erhebt ſein himmliſches Gefieder,
Senkt nieder es, und heckt am Boden Raupen wieder.
Ich aber hoffe, wenn mein Schmetterling ſich hebt,
Daß ewig erdenfrei er durch die Himmel ſchwebt.
Denn keine Blume bluͤht hienieden, die aus Luͤften
Mich locken koͤnnte gleich dem Schmetterling mit Duͤften.
9.
Der Poſtbot' in ein Haus mit zweien Briefen rennt,
Verſiegelten, davon er nicht den Inhalt kennt.
Er merkt auch nicht darauf, ob außen in den Siegeln
Sich die Verſchiedenheit des Inhalts moͤge ſpiegeln.
Der eine freudenroth geſiegelt meldet Luſt,
Der andre trauerſchwarz verkuͤndiget Verluſt.
Der Bote gibt ſie ab, nimmt dafuͤr in Empfang
Den Lohn, und ſetzet fort gleichguͤltig ſeinen Gang.
Er fragt nicht, wie ſie nun ſich werden hier vertragen,
Die ja vertraͤglich auch im Poſtfelleiſen lagen.
So bringt das Schickſal oft zuſammen Luſt und Schmerz,
Und fragt nicht, wie ſie ſich vertragen um ein Herz.
10.
Erhebe dich, mein Herz, mit Wogenſchlag, und gleiche
Dem Meere, das bei ſich nicht leidet eine Leiche.
Es wirft die Leichen aus; ſo du mit heil'gem Braus
Erhebe dich und wirf fort allen Todesgraus.
Wie Foͤbos Eiland, wo kein Todter ward begraben,
So ſoll in dir der Tod auch keine Staͤtte haben.
Und war's ein theuerſtes, was todt iſt das iſt ab;
Im Himmel fliegt der Geiſt, der Moder liegt im Grab.
Du ſei die Grube nicht, worin Verweſung liegt;
Sei du der Himmel, drin der reine Geiſt ſich wiegt.
11.
Ich dachte nun erſt warm im Alter dich zu pflegen,
Und muß ſtatt aller Pfleg' ins kalte Grab dich legen.
Die Zinſen dacht' ich erſt der Schuld dir abzutragen
Der Sohnesdankbarkeit, ſtatt dich ins Grab zu tragen.
Gott nimmt den Willen fuͤr die That; nicht mir beſchieden
War's, dir zu ſchaffen Ruh; er ſchuf dir Ruh und Frieden.
12.
Oft zu verſpotten ſcheint das Schickſal unſern Plan,
Doch wir verſpotten es, es iſt uns unterthan.
Mit Liebe dacht' ich dein an einem ſtillen Abend,
Den Lebensabend malt' ich dir ſo ſtill und labend.
Du ſollteſt leben, bis ich meinen Sohn vermaͤhlte,
Und ein Urenkel noch ein Maͤhrchen dir erzaͤhlte.
Das ſollte troͤſten dich fuͤr jeglichen Verluſt,
Und bluͤh'n ſeh'n ſollteſt du noch einmal deine Luſt.
Am ſelben Abende, mir ungeahnet, fern,
Biſt du gegangen, abgerufen von dem Herrn.
Ward von dem Schlage ſo der Lebensbaum vernichtet?
So wenig nichtig iſt, was Liebe je gedichtet.
In einem Augenblick hab' ich ein langes Leben
Mit dir gelebt, und kann der Gruft dich ruhig geben.
13.
Die Mutter haſt du mir, den Vater noch vorab,
Die Schweſter zwiſchenein, geleitet all' zu Grab.
Den allen wareſt du nicht Arzt allein des Leibes,
Ein Seelentroſt und Freund; das ſei auch mir und bleib' es.
Nenn' ich dich Aeskulap? ich nenne ruͤſtig heiter
Dich Hermes mit dem Stab, den Seelenheimgeleiter.
Du legeſt ja nicht auf, erhebeſt nur den Zoll,
Und hilfſt gewiſſenhaft ſterben, was ſterben ſoll.
Ihr Aerzte ſeid einmal verordnet uns zu Moͤrdern;
Heil denen, die geſchickt und freundlich uns befoͤrdern.
14.
Weil ich kein Weltkind bin, nicht habe Weltverſtand,
Der rechte Sinn mir fehlt fuͤr Weltbetrieb und Tand;
Scheint jeder auf der Welt berufen mit Behagen
Von Weltgut laͤſtigem mir etwas abzujagen.
Doch fuͤhlt kein Freund ſich aufgelegt, von unbequemen
Geſchaͤften weltlichen mir auch was abzunehmen.
15.
Soviel hab' ich gelernt: ich darf auf gar nichts zaͤhlen;
Worauf ich zaͤhlte, das gerade wird mir fehlen.
Gezaͤhltes wird nicht mehr, gezaͤhltes Gut wird minder;
Ja Wolf und Loͤwe frißt gezaͤhlte Schaf' und Rinder.
Gezaͤhltes wird nicht mehr; je mehr der Geiz'ge zaͤhlt
Wie viel er hat, je mehr meint er, daß ihm noch fehlt.
Drum zaͤhle nicht, die Gott gezaͤhlet hat, die Zahl
Der Haare deines Haupts; wer ſie erſt zaͤhlt, wird kahl.
Zaͤhl' deine Freuden nicht! es moͤchte dir hienieden
Beduͤnken, wenige nur ſeien dir beſchieden.
Doch deine Leiden, wenn du ſie willſt zahllos meinen,
Zaͤhle ſie nur, damit ſie dir gering erſcheinen.
Wie manchmal mit Bedacht die Rechnung wird gemacht,
Die Rechnung iſt am End' ohne den Wirth gemacht.
Die Summe willſt du ziehn, und machſt ſchon deinen Strich,
Da macht das Schickſal durch die Rechnung einen Strich.
Mit goldnen Guͤlden glaubſt du dich bezahlt, die blechnen
Erkenneſt du zu ſpaͤt, die Pfennige bei'm Rechnen.
16.
Kein Schaden kann dich je betreffen in der Nacht,
Den nicht zu Nutzen ſich gemeine Habgier macht.
Wo ſie nur eine Leich' erwittern in dem Hauſe,
Da ſammeln alſogleich die Raben ſich zum Schmauſe.
Erleichtern wollen ſie dir recht die Weltentſchlagung;
Doch den Brahmanen ziemt gemaͤßigte Entſagung:
Nur die Begierden, nicht die Kleider auszuziehn,
Weil ich noch nicht gereift zum nackten Buͤßer bin.
17.
Du mußt zuviel nur von den Freunden nicht verlangen,
Sie moͤgen gerne Dank fuͤr Weniges erlangen.
Nicht helfen wollen ſie, doch wollen ſie dir rathen;
Lohn' ihnen Gott, was ſie um Gotteswillen thaten.
18.
Es iſt ein wahres Wort: Wer glaubt, der wird betrogen;
Wer aber Keinem glaubt, hat ſich noch mehr entzogen.
Wenn Niemand ihn betruͤgt, wenn Niemand ihn beraubt;
Wie elend, wer ſich ſtets beraubt betrogen glaubt!
19.
Wie ſchwer entſchlaͤgſt du dich, ein gleiches andern an
Zu thun, wie andere dir ſelber angethan.
Wen man von oben druͤckt, der druͤckt nach unten weiter,
Und Unterdruͤckung wird dadurch auf Erden breiter.
Wer in der Jugend ſich durch Muͤhſal mußte ſchlagen,
Den ruͤhrts im Alter nicht, wenn ſich die Jungen plagen.
Und wen Gleichguͤltigkeit gekraͤnkt und Unbeachtung,
Zieht fremdes Schickſal nicht in herzliche Betrachtung.
Das alles iſt gewiß natuͤrlich, doch das Heil
Der Menſchheit forderte das grade Gegentheil.
20.
Ungleich geſtellt ſind Gluͤck und Ungluͤck in dem einen,
Daß einen Gipfel jen's wohl hat, doch dieſes keinen.
So gluͤcklich kannſt du ſchon geworden ſeyn, daß nun
Ein Zuwachs kein Gewicht kann in die Wage thun.
Doch ſo ungluͤcklich nie, daß nicht die Schale ſchwerer
Noch werden kann, wodurch? vernimm's von deinem Lehrer:
Dadurch, daß, wenn du ſchon verloreſt jedes Gut,
Du obendrein verlierſt Faſſung und Lebensmuth.
21.
Ja, ja, du ließeſt gern dir jede Noth abnehmen
Des Lebens, wollte ſich dazu ein Freund bequemen.
Sag an, ob jede Luſt des Lebens auch? mitnichten.
Nun, wenn du hier nicht willſt, mußt du auch dort verzichten.
Des Lebens Luſt und Noth nimmt keiner keinem ab,
Sie traͤgt ein jeder ſelbſt und legt ſie ab am Grab.
22.
Auch in der boͤſen Zeit iſt Gutes nicht verſchwunden,
Bei den Verfolgten wird es wenigſtens gefunden.
Die Zeit iſt aber gut, wo herrſchend ſich bezeugt
Das Gute, und verzagt ſich ihm das Boͤſe beugt.
23.
Die hier am lauteſten erſchollen und erklungen,
Wo ſind die Namen hin? verſchollen und verklungen!
Wo ſind, die ſich ſo voll erſchloſſen und erbluͤht,
Die Knospen unſres Ruhms? verſchloſſen und verbluͤht.
Wo, die ſo freudenhell erglommen und erſtrahlt,
Die Sonnen unſrer Luſt? Verglommen und verſtrahlt.
Wohin iſt alles das, woruͤber und worbei
Wir waren ſtolz und froh? voruͤber und vorbei.
24.
Nein, nein! weil alles ſchlimm dir iſt bisher ergangen,
Vor'm allerſchlimmſten darfſt du nur nicht auch noch bangen.
Vielmehr das Schlimmre wird einmal genug nun ſeyn,
Wie auf die Regenzeit folgt endlich Sonnenſchein.
25.
Vergeblich alles, was du fuͤr die Welt gebildet,
Hat es dich ſelber nicht geſchmeidigt und entwildet.
Erſt muß dich das Gefuͤhl der eignen Bildung laben,
Dann mag es dich erfreu'n, die Welt geſchmuͤckt zu haben.
26.
Wie unertraͤglich dir die leeren Tage waren,
Die vollen haſt du nun zur Uebergnuͤg' erfahren.
O nie beklage mehr dich uͤber Tage leer,
Sei froh, wenn, wie von Luſt, ſie ſind von Plage leer.
27.
Nicht der iſt gluͤcklich, den ein Ungluͤck nie geſchlagen;
Wer weiß, wann es ihn trifft, wie er es wird ertragen.
Nur der iſt gluͤcklich, der mit Faſſung eines trug,
Und noch manch andres iſt zu wagen ſtark genug.
Denn mancher Sturmwind tobt, der unſer Schifflein probt,
Und wenn die Pruͤfung wir beſtehn, ſei Gott gelobt.
28.
Das Sprichwort auch iſt wahr: wer ſitzet in dem Roͤhricht
Und keine Pfeife da ſich ſchneidet, der iſt thoͤricht.
Und wer die guͤnſtige Gelegenheit verdaͤmmert,
Der iſt es, der das kaltgewordne Eiſen haͤmmert.
29.
Die Heerde weidet und der Hirte weidet ſie;
Wie eins iſt Heerd' und Hirt, wer unterſcheidet ſie?
Er blickt, alsob er ſie mit ſeinen Augen weide,
Und daß ſie weiden, das iſt ſeine Augenweide.
Die ſtille Huͤrde dort ſteht am bekannten Ort,
Da iſt des Hirten Herd, und ſeiner Horden Hort.
Dann wird er ſcheren ſie im Sommer, wenn ſie wollen;
Und ihm beſcheren ſie die uͤberfluͤſſ'gen Wollen.
Wie eines Wehr und Werth dem andern ſo gewaͤhrt,
O wenn ihr, Herr und Heer, wie Hirt und Heerde waͤrt!
30.
Den Ausſpruch hat zuerſt ein ſtarr Geſetz gethan:
Gleiches um Gleiches, Aug' um Auge, Zahn um Zahn.
Ein milderes Geſetz der Liebe ſprach dagegen:
Liebt euren Feind und gebt dem, der euch flucht, den Segen.
Doch weil faſt uͤber's Maaß der Menſchheit dieſes geht,
Hielt ſo die Mitte der arabiſche Prophet:
Vergeltet, wie man euch vergolten, aber treiben
Daruͤber ſollt ihr's nicht, darunter duͤrft ihr bleiben.
Vergeltet! aber wenn ihr wollt euch vom Vergelt
Enthalten, beſſer iſt's fuͤr den, der ſich enthaͤlt.
31.
Was willſt du mit der Welt? Du kannſt ſie nicht durchmeſſen,
Und in dein enges Herz ſie nicht zuſammenpreſſen.
Du loͤſeſt ſie nicht auf, der Raͤthſel ſind zu viele,
Noch lenkeſt ihren Lauf, ſie rennt nach eignem Ziele.
Wohlauf, ſo viel du kannſt, mit Lieb' und Geiſt zu faſſen,
Und was du nicht begreifſt, dahin geſtellt zu laſſen.
Wie Kraͤmer ihre Waar', auch deine ſollſt du tauſchen,
Verſenden Liebesgruͤß', und der Erwidrung lauſchen.
Ich ſende dieſen Gruß, und ſage nicht, wohin?
Doch wiſſen moͤcht' ich, ob ich dort willkommen bin.
32.
Das Eine, das du liebſt, wird dir vom Tod entzogen,
Und um das Andre hat die Ferne dich betrogen.
Ein Drittes lebt, und iſt dir nah, und doch getrennt;
Das iſt die Trennung, die ein Herz am meiſten brennt.
33.
Die Sterne moͤgen dir aus Winternaͤchten blinken,
Und Blumen einen Gruß von Sommerhuͤgeln winken.
So bleibt dir liebend nah von unten und von oben,
Was dir der Tod in Erd' und Himmel aufgehoben.
Doch wenn ein Lebender den Gruß mir ſchuldig bleibt;
Schaͤmt er ſich nicht vor dem, was Blum' und Strom mir ſchreibt?
34.
Ich unterhalte mich ſo oft in meinen Liedern
Mit Freunden, die darauf ſo wenig mir erwiedern.
Als ob nicht jedes Lied, dem keinen Namen bei
Ich ſchrieb, an jeden, dem's gefaͤllt, gerichtet ſei.
Doch mit dem Dank darauf will keiner ſich befaſſen,
Das bleibt dem Kritiker, wie billig, uͤberlaſſen;
Der wie ein Sekretaͤr ſchreibt in des Goͤnners Namen,
Daß deine Opfer zur Behoͤrde richtig kamen.
35.
Gott theilet, wie er will, die Guͤter aus hienieden;
Fragſt du, warum er dem hat mehr als dem beſchieden?
Wenn du nur wenig haſt, ein andrer hat noch minder;
Du biſt bei weitem nicht das aͤrmſte ſeiner Kinder.
Doch ſeiner Kinder auch das aͤrmſte fuͤhlt ſich reich,
Das Gottes Kind iſt, dies Gefuͤhl macht alles gleich.
Du moͤchteſt theilen mit den Reichen wohl auf Erden
Die Fuͤlle, nicht auch mit den Armen die Beſchwerden?
Wenn Alles aber gleich getheilet Allen wuͤrde,
Leicht kaͤm' auf dich von Gut noch minder, mehr noch Buͤrde.
Drum laß, wie's iſt getheilt, und nimm an Luſt und Leid
Der Bruͤder Antheil ohn' Hartherzigkeit und Neid.
Den Reichen laß ſein Gut, wenn er's allein will tragen,
Und tragen hilf ſo viel du kannſt des Armen Plagen.
36.
Gott leitet, wen er will, und laͤſſet irre gehn,
Und ſelbſt fuͤr ſeinen Weg muß jeder Rede ſtehn.
Was alſo bleibt dir, als um Leitung ihn zu bitten:
Herr, uͤberlaß mich nicht den eignen irren Tritten!
Ja wohl! mein Rath allein kann irre gehn, nicht deiner;
Drum ſoll dein Rath allein an mir ergehn, nicht meiner.
37.
Nie ſicher iſt, wer um mit falſchen Liſten ſpringt,
Daß nicht der Boden gaͤhnt und ihn hinunterſchlingt.
Denn uͤberall Verrath muß der Verraͤther ſcheuen,
Auftreten mit Vertrau'n kann nur der Fuß des Treuen.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 13
38.
Seht, wann die Sonn' aufſteht, bis wann ſie untergeht,
Wie ſich von Berg und Baum umher der Schatten dreht.
Weil ihre Starrheit nicht will Niederfall geſtatten,
Anbetend werfen ſie zur Erde doch den Schatten.
Wenn nicht wie Berg und Baum ihr ſtarr ſeid, werfet nieder,
Wie ihren Schatten ſie, anbetend, eure Glieder!
39.
Laß deinen Arm nicht ſchlapp am Leibe niederhangen,
Und laß ihn auch zu weit aus in die Luft nicht langen.
Denn nichts erlangen wird, wer nicht den Arm ausſtreckt,
Und der verrenket ihn, wer ihn zu weit ausreckt.
40.
O geh nicht ſtolz einher auf Erden! denn nicht birſt
Der Boden, wo du trittſt, wie ſtark du treten wirſt;
Und zu der Berge Haupt wird dein's empor nicht reichen.
Bei Gott und Menſchen ſind verhaßt des Hochmuths Zeichen.
41.
Wir haben, ſpricht der Herr, der Erde Schmuck bereitet,
Damit daran gepruͤft ſei, wer durch's Leben ſchreitet.
Wer nach dem Schmucke haſcht und ſich darin verfaͤngt,
Gelangt zum Himmel nicht, weil er am Ird'ſchen haͤngt.
Doch wer mit Fuͤßen tritt den Schmuck und ihn verachtet,
Hat hoͤhern Sinn, nur daß er zu gewaltſam trachtet.
Wer mit dem Schmuck ſich ſchmuͤckt, und, wie er Blumen pfluͤckt,
Sein Ziel haͤlt unverruͤckt, nur der iſt ganz begluͤckt.
13*
O freue dich, daß, wo du gehſt, an deinen Pfaden
Die kuͤhlen Schatten ſtehn, die dich zur Ruh einladen.
Erquick' und ſtaͤrke dich, doch nicht in traͤger Raſt
Vergiß des Weges, den du noch zu machen haſt.
42.
Die Welt iſt oͤd' und leer, und grenzenlos der Raum,
Wo nicht die Liebe wohnt mit einem Himmelstraum, —
Wo nicht die Liebe wohnt, von der, zu der du gehſt,
Um deren Mittelpunkt du dich im Geiſte drehſt.
Drum denke, wo du gehſt, damit nicht oͤd' erſcheine
Die Welt, daß eine Lieb' auch dort wohnt, irgend eine, —
Daß irgend einer dort traͤumt ſeinen Liebestraum;
Den goͤnn' ihm, traͤume mit, und voll ſei dir der Raum.
43.
Was iſt zu wiſſen werth, was iſt nicht werth zu wiſſen?
Des Wiſſenswuͤrdigſten haͤtt' ich mich gern befliſſen.
Gleichwerth iſt alles wohl zu wiſſen, waͤre nur
Das Leben lang genug, zu gehn auf jeder Spur.
Darum verlier' nicht Zeit zu fragen, was nun frommt
Zu lernen, ſondern lern', was in den Wurf dir kommt.
Am beſten aber, was gleich friſch iſt, zu verbrauchen;
Denn was du lang' aufſparſt, wird uͤber Nacht verrauchen.
44.
In einem biſt du mit dir uneins fort und fort,
Daß bald die Sache mehr dir gilt und bald das Wort.
Bald ſcheint das Wort dir leer, die Sache nur vorhanden,
Und bald die Sache todt, das Wort allein verſtanden.
Und nur wo Poeſie ihr ſchoͤnes Bild des Scheins
Dir vorhaͤlt, fuͤhleſt du, wie Wort und Sach' iſt eins.
So, wort- und ſachgelehrt, ein Dichterſprachgelehrter,
Sei du vielfach gelehrt, und nicht ein Fachgelehrter.
45.
Gemeinverſtaͤndlich ſei ein Buch, das zur Erbauung
Das Volk hat in der Hand, zu taͤglicher Beſchauung.
Doch etwas darf darin und ſoll ſeyn unverſtaͤndlich,
Damit die Andacht ſich daran erbau' unendlich.
Denn ein Verſtaͤndliches iſt endlich auszubeuten,
Ein Unverſtaͤndliches unendlich umzudeuten.
46.
Wie oft verirrteſt du, wie oft verirrſt du noch,
Und kommſt zu einem Ziel mit allem Irren doch.
Nicht ſei entſchuldiget dein Irregehn, geprieſen
Sei einzig Gottes Macht, die dich zurecht gewieſen.
47.
Leicht iſt's, mit der Natur im Einklang dich empfinden,
Wenn ſie im wonn'gen Schooß dich wiegt mit weichen Winden.
Doch anders, wenn ſie an dich haucht mit eiſ'gem Sturm,
Und ſchauernd du vor ihr dich kruͤmmeſt wie ein Wurm.
Dann fuͤhleſt du, daß ſie das Leben nicht allein,
Der Tod auch iſt, und ihr gleichguͤltig Herz und Stein.
Dann danke Gott, der dich nicht gab in ihre Macht,
Und nimm dich kuͤnftig auch vor ihrer Huld in Acht.
48.
Was haͤlt den Vogel, der in Luͤften ſchwebt, am Band,
Daß er zur Erde nicht herabfaͤllt? Gottes Hand.
Dieſelbe Gottes Hand haͤlt auch am Band dein Leben,
An welchem Abgrund auch es der Gefahr mag ſchweben.
Mach', wie der Vogel, des Vertrauens Fittig feſt!
Vom Irrflug traͤgt er dich noch heut' in's ſichre Neſt.
49.
Der Finke, der am Weg ein trocknes Koͤrnlein haſcht,
Hat Kirſchen wohl im Lenz, Trauben im Herbſt genaſcht.
Er nimmt es wie es kommt, bleibt friſch an Leib und Seele,
Nur ſingt er nicht, und blaß ward ihm das Roth der Kehle.
Einſt ſingt er wieder, und ſein blaſſer Hals wird roth,
Wann wieder Kirſch' und Traub' ihm gibt ſein taͤglich Brod.
Auf, ſchwinge dich, mein Geiſt, aus dieſen Kummerſchranken,
Wie mit den Fluͤgeln er, mit muthigen Gedanken.
50.
Das weiße Grabtuch, das der Schnee auf's Gruͤn gedeckt,
Lockert im Lebenstrieb, darunter ſtill erweckt.
Und alſo ſchwellen mir im Herzen neue Keime,
Und alſo quellen mir aus Schmerzen neue Reime.
Das Herz will hoffnungsvoll verſuchen noch ein Jahr,
Ob es ihm beſſer ſei, als das vergangne war.
Das hat am laͤngſten Tag und um die laͤngſte Nacht
Ein Ungluͤck, jedes ohn' ein gleiches, mir gebracht.
Nun bringe dieſes mir in lang- und kurzen Tagen,
Wenn nicht beſondre Luſt, doch Ruhe ſonder Plagen.
51.
Wer in dem Winter ſtirbt, warum ſollt' er nicht ſterben,
Wo alle Blaͤtter von des Froſtes Hauch verderben?
Und wer im Sommer ſtirbt, wo alle Blumen bluͤhn,
Wie waͤr' er todt? ſein Grab macht Lebenshoffnung gruͤn.
Drum wer im Sommer dir und wer im Winter ſtarb,
Natur hat einen Troſt, Heil dem, der ihn erwarb.
52.
Wieder ein Strebender, der hohes wol und vieles
Erſtrebte, ging dahin, und unerreichten Zieles;
Und hat, indem er es verfehlt, erreicht das Ziel,
Wie jeder, der mitſpielt dies Weltluſttrauerſpiel.
53.
Ja ſuch' in deines Volks Ruhmtempel nur zu prangen,
Wo lebend nicht hinein, im Tod doch, zu gelangen.
Daß, wann viel Namen, die nun klingen, ſind verklungen,
Noch deiner ſei genannt von ſpaͤter Enkel Zungen.
Nicht wecken wird dich das, noch ſtoͤren deine Ruh,
Doch Troſt und Lohn dir ſeyn: Noch ruhend wirkeſt du.
Im Tode wirkſt du, was du nicht gekonnt im Leben,
Zu ſittigen die Welt und Herzen zu erheben.
54.
Schoͤn iſt es uͤberall, ein Stellvertreter ſeyn,
Zu gelten fuͤr die Welt, und nicht fuͤr ſich allein.
Die vielen gehn dahin, vom Drang des Tags getrieben,
Und wo ſie gingen, iſt nicht ihre Spur geblieben.
Stehn bleiben wenige, das Zeugniß nachzutragen
Vom Streben ihrer Zeit, wann andre Zeiten tagen.
Das ſind die Geiſter auf der Menſchheit hoͤchſten Stufen,
Bei deren Namen ſind die Zeiten aufgerufen.
Doch wie ein weit Gebirg am Horizonte ſinkt,
Und endlich ſichtbar nur der hoͤchſte Gipfel blinkt;
Die vielen Gipfel, die im Ferneduft verſchwammen,
Sind gleichſam unſichtbar im Einen nun beiſammen;
So von den Geiſtern auch wird Einem aufgetragen,
Im Namen aller, die hinuntergehn, zu ragen;
Und alles ſammelt ſich, was groß nur iſt und ſchoͤn,
Um die am Horizont geblieb'nen Menſchheitshoͤhn.
55.
Nun hab' ich erſt gelernt, daß ich bin Staub und Erden,
Da ich, die mich gebar, ſah Staub und Erde werden.
Da hat das greifliche Gefuͤhl mich erſt durchdrungen,
Daß ich nichts anders bin, als woraus ich entſprungen.
56.
Wie eine lange Nacht die Feldwacht auf dem Poſten
Ausharret mit Geduld, bis roth es wird im Oſten;
So vierzehn Tage hab' ich harrend hingebracht,
Die alle waren mir nur eine lange Nacht.
Nun iſt, ich danke Gott, auch dieſe Nacht voruͤber,
Doch reicht ihr Schatten weit noch in den Tag heruͤber.
Ach daß gemenget ſind, wem ſollen wir es klagen,
So lange Naͤchte zu ſo kurzen Lebenstagen!
57.
Ein Freund, um irdiſchen Gewinnſtes Opferung
Erkauft, ein ſolcher Kauf iſt wohlfeil, ſcheint's, genung.
Doch was man wohlfeil kauft, iſt, ſagt das Sprichwort, theuer;
Was iſt ein Freund, den feil muß machen Gab' und Steuer?
Drum fein auf deinem Recht beſteh', und ſei nicht bang;
Ein Freund, den das verdrießt, der iſt nicht von Belang.
58.
Wohl iſt's ein ſuͤß Gefuͤhl, etwas gethan zu haben,
Doch ſchon auch etwas nur gelitten, mag dich laben;
Wenn du auch weiter nichts vollbracht, nur haſt erfahren,
Was deine Faſern auszuhalten faͤhig waren.
59.
Dich ruͤhrt auch gar nichts an von all' den Herrlichkeiten,
Um welche ruͤhmen ſich Weltkinder oder ſtreiten.
So wenig aber ſie dich ruͤhren, ruͤhreſt du
Sie wieder, ihr gehoͤrt einander gar nicht zu.
Die unverſtandne Welt durchirrſt du unverſtanden,
Und bleibeſt ſtets allein, wo gleich und gleich ſich fanden.
Woran ſie ihren Theil von Lebensfreude haben,
Das iſt dir abgethan, geſtorben und begraben.
Und was vor'm Auge dir ſteht als ein ernſtes Ziel,
Gilt ihnen Eitelkeit und muͤßig Thorenſpiel.
Drum laß ſie gehn des Wegs, und aus dem Weg geh' ihnen;
Warum zum Aergerniß wollt ihr einander dienen?
60.
In meiner Einſamkeit da kann ich ohne Schaden,
Wen ich am liebſten will, bei mir zu Gaſte laden, —
Nicht unvertraͤgliche Geſellſchaft ſo gemiſcht,
Wie ſtreitende Gericht' auf einmal aufgetiſcht, —
Nicht ſo unleidlicher Geſichter Schofel, Pafel,
Womit die Eßluſt mir benimmt die Gaſtwirthstafel, —
Nicht Hof- und Staatslivreen, der Uniform Unformen,
Von meinem Ideal enorm abnorme Normen; —
Die Weiſen alter Zeit, die mir vom Ruhm genannten,
Und die in Laͤndern weit geahnten, unbekannten;
Und alle Lieben mir und Abgeſchiedenen;
Wie labt das Mienenſpiel mich der Zufriedenen!
Die Unterhaltung kreiſ't, die nicht in Pauſen ſtockt,
Wie ew'ger Fruͤhlingshauch aus Bluͤthen Bluͤthen lockt.
Sie reden nicht, was heut' der Tag zu reden beut,
Sie reden, was das Herz der Ewigkeit erfreut,
Nicht Spekulation und Aktien-Eiſenbahn,
Feuerverſicherung, Stadtſchuldentilgungsplan.
Hoch uͤber Qualm und Koth, irdiſchem Drang und Noth,
Am Himmel geht ein Weg durch Morgenabendroth.
Und wann ich zugelauſcht, und mit darein getauſcht
Ein Woͤrtchen, ſchweig' ich ſatt von Duft und wohlberauſcht.
Und wie ich winke, gehn beiſeit die frommen Schaͤfchen,
Und geben gerne Raum mir fuͤr ein Mittagſchlaͤfchen.
61.
Wie alt iſt Gottes Welt? Die Rechnung magſt du ſparen;
Ihr Lebensalter zaͤhlt ſich nicht nach tauſend Jahren.
Wenn Gott iſt ewig, muß die Welt auch ewig ſeyn;
Denn Gott iſt unſer Licht, und Welten deſſen Schein.
Kein Licht kann ſeyn, ohn' auch mit Schein ſich zu umzirken,
Und kein Werkmeiſter, ohn' ein Meiſterwerk zu wirken.
Warum muß aber hier ſich Gutem Boͤſes gatten?
Weil, wenn der Schein vom Licht ſich trennt, er wird zum Schatten.
Darum, wenn Gottes Glanz, nicht Schatten ſeyn willſt du,
So wende nicht dem Licht dich ab, dir ſelber zu.
Dein ſchoͤnſtes Streben ſei, dem Lichte zuzuwenden
Dich und die Welt, ſo daß euch nicht die Strahlen blenden.
62.
Mag doch aus Neubegier und Luſt am Wechſel reiſen
Die Jugend, treu bleibt gern das Alter ſeinen Kreiſen.
Nach fernem Schoͤnen laß dich locken nicht das Sehnen;
Zieh es im Geiſt heran, und ſchmuͤcke deine Scenen.
Dann aber, wann dich nah ein Unertraͤgliches
Umdraͤngen will, ein wuͤſt und truͤb Alltaͤgliches;
Dann, eh' den hellen Sinn der Truͤbſinn dir umgraut,
Der Wahnſinn, auf und fort, ſoweit der Himmel blaut!
Und ſchaue dich nach dem nicht um, dem du entrennſt,
Du moͤchteſt ſonſt dir nach beſchwoͤren das Geſpenſt.
Nicht ſtille ſteh, bis du biſt weit genug davon,
Dann ſteh, und athme nur, und fuͤhle dich entflohn.
Blick um! wie hinter dir in blau Geduͤft die Berge
Sich huͤllen, ſo verhuͤllt die Ferne Gruͤft' und Saͤrge.
Und kehrſt du wieder ein, ſo iſt der Dunſtkreis rein,
Und uͤber'm Moder wird das Gras gewachſen ſeyn.
63.
Juͤngſt ruͤhrte zwiſchen Schlaf und Wachen mich ein Schimmer,
Ich ſah die Meinigen im kerzenhellen Zimmer.
Sie trieben ihr Geſchaͤft und trieben ihre Spiele,
Mich freut' es, wie ſo froh ſie waren und ſo viele.
Doch nebenaus von dem Getriebe war ein Niſchchen
Gewoͤlbet in der Wand, darin geſtellt ein Tiſchchen.
Bei daͤmmerlichem Schein dort ſaßen zwo Geſtalten,
Die Jugendliche ſchlank mit vorgebuͤckter Alten.
Die ſchienen ihr Geſpraͤch und ihr Geſchaͤft zu treiben
Fuͤr ſich, doch theilnahmlos umher auch nicht zu bleiben.
Ich kannte ſie gar wol, es war die ſchlichte Guͤte
Der alten Mutter und der Schweſter Jugendbluͤte.
Auch wundert' ich mich nicht, wie ſie hieher gekommen,
Die nacheinander Beid' ein Grab hatt' aufgenommen.
So habt ihr nun gemacht die vorgehabte Reiſe,
Und ſeid, wo ihr gewollt, in meinem Lebenskreiſe.
Dort ſitzen ſie und ſehn ſtill in den Kreis herein,
Aus welchem Niemand ſie gewahrt als ich allein.
Nicht Miene machen ſie noch Regung, herzuſchreiten,
Zufrieden, mit dem Blick von dort uns zu begleiten.
Schutzgeiſtern aͤhnlich, die uns ungeſehn umwalten,
Und Bildern an der Wand, die ihren Platz behalten.
So laͤcheln ſie herein, begnuͤgt und unbeklommen,
Froh, im Familienkreis zu ſeyn mitaufgenommen.
64.
Johannis 1835.
Fruͤhzeitig wardſt du in die Schule dieſes Lebens
Geſandt, und durchgemacht haſt du ſie nicht vergebens.
Jung, jede Pruͤfung haſt du ruͤhmlich ſo beſtanden,
Daß ſie dich wuͤrdig bald zum Weiterruͤcken fanden.
Erhebung ohne Stolz, Ergebung ohne Beugniß:
Der Schul' entlaſſen biſt du mit dem beſten Zeugniß.
Du haſt viel ſpaͤter als wir ſelbſt den Gang begonnen,
Und unerwartet uns den Vorſprung abgewonnen.
Du haſt die Hoͤh' erreicht, nach der dich's fruͤh getrieben;
Wir ſind hier unten auf der Schulbank ſitzen blieben.
Ein Zeichen, daß wir noch genug gelernt nicht haben,
Fuͤr jene Klaſſ', in die ſie dir den Zutritt gaben.
65.
Neujahr 1836.
Und nur durch Eines haſt du dich als Kind verrathen,
Daß du dem Muͤtterlein nicht konnteſt lang' entrathen.
Ein halbes Jahr iſt's nur, daß du biſt hingegangen,
Und ſchon haſt du ſie nachgezogen mit Verlangen.
Wie oder hat ſie ihr Verlangen nachgezogen?
Entgegen ſind ſich zwei Verlangen nur geflogen.
Die deine Mutter war, war ſie doch meine auch;
Wie haben wir getheilt mit ſo ungleichem Brauch?
Dein Theil iſt dort mit ihr zu lachen im Vereine,
Und mein's hier, daß getrennt ich von euch beiden weine.
Ich bin wol alt genug, der Mutter zu entwoͤhnen,
Du jung und ſchoͤn, um dort mit Palmen ſie zu kroͤnen.
Doch bitt' ich, daß du mir den Schaden dadurch buͤßeſt,
Daß du den Vater auch und Bruder ſchoͤn mir gruͤßeſt.
Denn Vater, Bruder auch, ſie gingen dir voraus,
Und wenig fehlt, ſo haſt du dort dein ganzes Haus.
66.
Der Mutter.
Wol goͤnnen darf ich's dir, daß du vor mir gegangen,
Nicht dieſen Schmerz von mir, den ich von dir, empfangen;
Daß du mich bleiben ſah'ſt, und ich dich ſah verſcheiden;
Denn ſeh'n Geliebter Tod iſt mehr als eigne Leiden.
67.
Gott, der dir manches Leid im langen Leben gab,
Und endlich Ausruh dir von allen gab im Grab,
Hab' ich gebeten oft, dich nur zu uͤberheben
Des einen, daß du mich auch muͤſſeſt uͤberleben.
Mit Gott nun hab' ich dir die Augen zugethan,
So daß ich, ohne dich zu kraͤnken, ſterben kann.
68.
O weg von deiner Stirn die Gramumduͤſterung,
Von deiner Seel' hinweg die Wahnumfluͤſterung.
Was woͤlkſt du dich ſo zu? Wo biſt du und wozu?
Du biſt auf rechtem Weg, geh' deinem Weg froh zu!
69.
Was du noch nicht erſchwangſt, das kannſt du noch erſchwingen;
Und was du ſchon errangſt, laß dir nie mehr entringen.
Von ſolchem Ehrgeiz wo ſich laͤßt ein Schuͤler treiben,
Der wird der erſte bald geworden ſeyn und bleiben.
70.
Das Opferfeuer brennt, das nie erloͤſchen darf,
Und wir ſind's alle, die man drein als Brennſtoff warf.
Der eine, Weihrauchduft, hinlodernd, leicht und heiter,
Und andre ſchwerere, der Kohle Nahrung, Scheiter.
Befeuchtet von dem Giſcht des gruͤnen Reiſigs ziſcht
Der Brand, der nicht erliſcht, vom Windzug angefriſcht.
Die Flamme laͤuft im Nu von einem andern zu;
Und wenn ich bin zur Ruh', kommſt an die Reihe du.
Laßt uns, wie man uns ruft, verlodern in die Luft,
Zum Himmel Opferduft, und Aſchen in die Gruft.
Aus todter Aſche ſtammt, was lebend wieder flammt.
Und Gottes Wolkenzelt iſt weben Rauches Amt.
Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 14
71.
Wenn du fuͤr dich allein und deinen Frieden ſorgteſt;
Wozu daß von der Welt du noch die Flitter borgteſt?
Du haͤtteſt andres nun und beſſ'res nicht zu thun
Als abzuthun die Welt und ſtill in Gott zu ruhn.
Allein dein Streben iſt nicht fuͤr dein enges Zelt,
Dein Streben iſt zugleich fuͤr Gottes weite Welt.
Dein heilig Streben ſei, das Sinnliche zum Schoͤnen
Zu laͤutern, um Geſchoͤpf und Schoͤpfung zu verſoͤhnen.
Loͤſ' auf den Widerſpruch, gleich' aus den Zahlenbruch,
O Geiſt der Lieb', und wandl' in Segen nun den Fluch.
In Zukunfts Furchen wird der Ernte Segen ſproſſen,
Und in das Heil der Welt iſt meins miteingeſchloſſen.
72.
Sprich es nicht aus, noch mit Gedanken denk' es aus,
Was dir die Seele fuͤllt mit dunkler Ahnung Graus.
Genug, daß Todesſchreck dem Sinn entgegentritt,
Wenn auch die Phantaſie ihn nicht zum Voraus litt.
Den furchtbar'n Augenblick ertrag, und ſei nicht ſchwach;
Nicht bilde dir ihn vor, noch bilde dir ihn nach.
Der Wirbel faßt das Schiff, es geht villeicht in Scheiter,
Doch, kommt es gluͤcklich durch, ſo ſchwimmt es ruhig weiter.
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73.
Wohl mag es dir Verdruß erwecken oder Bangen,
Wenn Irrthum ſo ſich gibt fuͤr Wahrheit unbefangen.
Denn wie erkennſt du, daß dich lauter Wahrheit ſaͤugt,
Wenn auch der Irrthum von ſich ſelbſt iſt uͤberzeugt?
Gewiß wird euern Streit einmal die Zeit entſcheiden;
Allein zu jener Zeit, wo ſeid ihr dann, ihr Beiden?
Doch wenn die Wahrheit dir mehr gilt, als Recht zu haben,
So troͤſte dich und ſtirb! denn ſie wird nicht begraben.
74.
Nicht minder als verſtehn, will man verſtanden ſeyn;
Wie ſelten aber iſt von beiden der Verein!
Doch koͤnnen zwei ſich ſchon vertragen, die ſich fanden,
Wenn von dem einen nur der andre wird verſtanden.
Der eine fuͤhlt ſich klug, den andern zu verſtehn;
Dem andern iſt's genug, verſtanden ſich zu ſehn.
75.
Die Welt ohn' Arbeit waͤr' ein Freudenaufenthalt,
Und mit der Arbeit iſt ſie eine Strafanſtalt.
Wie mit dem Paradies die Freiheit ward verloren,
So wird ſie wieder mit dem Paradies geboren.
Wann ſelbſt die Element' erſt dienſtbar ſich bequemen,
Dem freien Menſchen ganz die Arbeit abzunehmen,
Dann iſt, daß ſie dem Wink des Zauberſtabes dienen,
Der Menſchengeiſt nur noch der Lenker der Maſchinen.
Drum ringt nur muthig loszuloͤthen eure Feſſel,
Um aufzuklimmen zum verlornen Herrſchaftſeſſel;
Wenn erſt der Arbeit ihr zum eignen Heil entbehren
Lernt, und zu Lenkern taugt aus Sklaven der Galeeren.
76.
Welch eine Sprach' iſt ſchoͤn? Welch eine Sprach' iſt reich?
Verſchieden an Getoͤn, im Sinn ſind alle gleich.
Nicht dieſ' und jene Sprach' entzuͤckt, erfreuet mich;
Was mich erfreut, entzuͤckt, das iſt die Sprach' an ſich:
Daß eine Sprach' es gibt, die, was du fuͤhlſt und denkeſt,
Dir deutlich macht, jemehr du dich in ſie verſenkeſt;
Daß eine Sprach' es gibt, kraft deren du verkuͤndeſt
Der Welt geheimen Sinn, ſo weit du ſie ergruͤndeſt:
Drum iſt die ſchoͤnſte Sprach' und beſte, die du nennſt
Die Mutterſprache, weil du ſie am beſten kennſt.
77.
In beſſern Zeiten war die Poeſie im Frieden
Mit Proſa, weil Gebiet war von Gebiet geſchieden.
Mit Kunſt und Weisheit wollt' in ihren eignen Grenzen
Sich jede ruͤnden, und mit eigner Schoͤnheit glaͤnzen.
Ohn' etwas von dem Gut der Nachbarin genommen
Zu haben, jede hielt auf ihr's und war vollkommen.
Was hat ſie nun bethoͤrt, den Haushalt ſo verſtoͤrt,
Daß keine recht mehr weiß, was recht ihr angehoͤrt?
Anmaßend haben ſie begonnen auszuſchweifen,
Und jede will in's Reich der andern uͤbergreifen.
Daraus entſtanden iſt Grenzſtreitigkeit und Irrung,
Und draußen uͤberhand und drinnen nimmt Verwirrung.
Was eignes keine mehr will keiner mehr erlauben;
Wie eine was erwarb, wird ihr's die andre rauben.
Daraus entbluͤhn nun hie troſtloſe Zwitter, wie
Poetiſche Proſa und proſaiſche Poeſie.
Und der ſie ruͤgt, mein Ton, biſt du nicht auch ein Zwitter?
Aus zweien nicht gemiſcht, einſt du die zwei als dritter.
78.
Wie kommt es, da du doch gern hoͤrſt das Waſſer rauſchen,
Die Luͤfte fluͤſtern und die Zweige Gruͤße tauſchen;
Wie kommt es, da du gern die unverſtandnen Lieder
Des Vogels hoͤrſt, daß dir iſt dieſes Lied zuwider?
Iſt kein Verſtand darin, betracht' als Klang es nur,
Und nimm es eben auch als Stimme der Natur. —
Gern hoͤr' ich die Natur in allen Stimmen reden,
Und fuͤhle jeden Ton, verſteh' ich auch nicht jeden.
Doch das iſt eine Pein, was klingt wie Voͤgelein,
Flut, Luft und Zweig, und will doch Menſchenſprache ſeyn.
79.
Das Allgemeine zum Beſondern zu geſtalten,
Zum Allgemeinen auch Beſondres zu entfalten;
Das iſt die Kunſt, dein Ich weltguͤltig auszupraͤgen,
Und den Gehalt der Welt dir richtig zuzuwaͤgen.
80.
Wenn du ergreifen kannſt des Augenblickes Stimmung,
Die Woge des Gefuͤhls anhalten in der Schwimmung,
Und uͤber alles was dich regt und uͤbermannt,
Das zauberkraͤftige Wort ausſprechen das es bannt;
Dann magſt du frohbewußt den Augenblick entlaſſen,
Begluͤckt, in Schmerz und Luſt dich ſelber zu erfaſſen.
81.
Bewieſen hat ein Freund von Geiſterſeherei,
Daß jeder Dichter auch ein Geiſterſeher ſei.
Fuͤr einen Dichter hab' ich mich bisher gehalten,
Und wohl hab' ich geſeh'n auch geiſtige Geſtalten.
Doch Geiſter, was die Herrn mit ihren Geiſtern meinen,
Nie ſah ich einen Geiſt, und will auch nie ſeh'n einen.
Entweder bin ich denn kein Dichter, ſeh' ich ein,
Oder ein Dichter muß kein Geiſterſeher ſeyn.
82.
Umſonſt ereiferſt du dich gegen etwas heftig,
Das todt fuͤr dich, doch fuͤr die Welt iſt zauberkraͤftig.
Ein Wirkliches iſt da, das Wirkungen verkuͤnden,
Nicht laͤugnen magſt du es, nur ſuchen zu ergruͤnden.
Ob es ein weißer nun, ob ſchwarzer Zauber ſei,
Begreifen mußt du ihn, ſo biſt du zauberfrei.
83.
Sieh, wie der Schieferſtift auf Schiefertafeln geht,
Sodaß die graue Schrift auf ſchwarzem Grunde ſteht;
Die Tafel und der Stift, ſind ſie nicht gleichentſtammt?
Doch wie iſt ihr Beruf verſchieden und ihr Amt!
Doch wirken beide, wie ſie gleichem Grund entſtammen,
Verſchieden wirkend, auch zu gleichem Werk zuſammen.
Und in der Schrift iſt Stift und Tafel nicht zu ſcheiden;
Das Lamm iſt wie die Trift, und eins iſt Thun und Leiden.
Du trag, ob du der Stift, ob magſt die Tafel ſeyn,
Das Deine bei zur Schrift, daß ſie ſei ſchoͤn und fein.