Jm Zeichen des Sozialismus.
Mehr als hundert Jahre sind verflossen, seit in dem Frank-
reich der großen Revolution Frauen ihre Hände schwesterlich
ineinander haben. Die Vereinigung sollte ihre Stärke
sein. Und deren bedurften sie, die einzeln schwach waren.
Wollten sie nicht eine neue gesellschaftliche Welt schaffen
helfen, die eben in schweren Kämpfen aus einem Chaos von
Gegensätzen der Jnteressen und Meinungen zwischen den
Menschen emporzusteigen begann?
Die Welt war noch unfertig, so meinten die Frauen,
aber sie konnte vollkommen werden, ja sie musste vollkom-
men werden, wenn nur ihr wahres Wesen zum Durchbruch
kam. Und das lag unverletzlich, unzerbrechlich in der Natur
der Menschen selbst beschlossen: es war das mit ihnen ge-
borene Recht auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ver-
nunft und Gerechtigkeit erhoben es zum obersten Gesetz, das
die Beziehungen der Menschen untereinander, also die ge-
sellschaftlichen Einrichtungen regieren musste.
Die große französische Revolution war am Werke, das
Reich der Vernunft und Gerechtigkeit aufzurichten. Sie hatte
die Macht des Gottesgnadentums, des Adels, der Geistlich-
keit durch Aufstände erschüttert, die verbrieften Vorrechte
dieser Stände mit papierenen Erlassen beseitigt und, wenn
es nicht anders ging, mit der Guillotine. Die Standesunter-
schiede waren vor der Erklärung der Menschen- und Bürger-
rechte in den Staub gesunken. Nun blieb nur noch ein gesell-
schaftlicher Unterschied zwischen den Menschen zu vernichten
übrig: der Gegensatz zwischen des Mannes Vorrecht und des
Weibes Rechtlosigkeit. Das Recht der menschlichen Natur
mußte auch über ihn triumphieren: das Geschlecht durfte
nicht länger eine Schranke sein, vor der Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit Halt machten. Die Gleichberechtigung der Frauen
war die Krönung des neuen Vernunft- und Rechtsstaates.
Unter den Männern selbst fehlte es im Zeitalter der
französischen Revolution nicht an berühmten Denkern, die
unbeirrt durch altersgraues Vorurteil und versteckte Selbst-
sucht den Weg dieser logischen Schlußfolgerungen bis zu
Ende gingen. Nicht bloß in Frankreich, auch in den Ver-
einigten Staaten, in England und Deutschland erhoben sie
ihre Stimme in flammender Entrüstung gegen die Unter-
drückung und Rechtlosigkeit der Frau, gegen das Unrecht und
die Unvernunft, „dieser letzten Form der Sklaverei“. Jhre
Worte erweckten allerwärts Frauen, rüsteten Frauen, die
mit scharfem Verstand und glutvoller Seele darum gerungen
haben, die sozialen und rechtlichen Fesseln ihres Geschlechts
zu lösen und damit das Reich der Vernunft zu vollenden.
Und weit über die Grenzen ihrer Zeit hinaus ist vieles vom
Werke dieser Vorkämpfer und Vorkämpferinnen befreiten
Weibtums lebendig geblieben.
Denn wie unvollständig und verworren diese Bahnbrechen-
den auch in ihren Tagen viele gesellschaftlichen Verhältnisse
sehen mußten, in einem hatte sich ihr Blick nicht getäuscht:
die erträumte neue gesellschaftliche Welt der Vernunft und
des Rechtes trug wirklich die Emanzipation des weiblichen
Geschlechts in ihrem Schoße. Was war sie verwirklicht an-
ders als der bürgerliche Rechtsstaat, dessen die Bourgeoisie
bedurfte, damit sie die Tore weit für den Siegeszug des
Kapitalismus zu öffnen vermochte? Der mittelalterlichen
Bindungen ledig, dehnte er seine Herrschaft über den Men-
schen aus und machte sie so vollständig wie möglich. „An die
Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Frei-
heiten setzte er die gewissenlose Handelsfreiheit“, die im
Grunde auf dem Zwange zu dem einen großen Schacher
beruht: dem Kauf und Verkauf der Arbeitskraft. Zwang
als Freiheit maskiert, Warenhandel, der zum modernisierten
Menschenhandel wird. Die Arbeitskraft kann nicht vom Men-
schen getrennt und aus Flaschen gezogen werden. Mit ihr
Frauenwahlrecht
„verkauft der Proletarier sich selbst, sein Weib und seine Kin-
der in die Sklaverei“.
Je reicher, kräftiger sich die „Vernunft“ der kapitalistischen
Wirtschaft entfaltete, in um so größeren Scharen ward auch
die Frau Gegenstand dieses einen großen Handels und zu-
gleich „freie“ Händlerin mit ihrer Arbeitskraft, mit sich selbst.
Zu Millionen erscheint sie heute auf dem Arbeitsmarkt:
das Mühen von Frauenhänden, das Sorgen von Frauen-
hirnen hilft alle Güter und Werte schaffen, die das Leben er-
halten, ihm Glanz und Tiefe verleihen. Unaufhaltsam und
in steigendem Maße erfüllt sich, was die ersten Vorkämpfe-
rinnen und Freunde des Frauenrechts geheischt haben. Es ist
der Schein zerstört, als ob das Weib seinen Unterhalt und
seinen Pflichtkreis nur im Schatten des Mannes und dank
seiner Arbeit finden könnte. Berufstätig steht es mitten in
der gesellschaftlichen Produktion, die ohne sein Schaffen un-
denkbar wäre. Jn Jndustrie und Landwirtschaft, in Handel
und Verkehr öffnen sich der Frau immer neue größere Er-
werbsgebiete. Jn den höheren Berufen erzwingt sie sich den
Zutritt zu den Tätigkeitsfeldern, auf denen zu wirken früher
das Vorrecht des Mannes war. Und nun, da sie auf der
festgegründeten dauernden Erde ihrer wirtschaftlichen Un-
abhängigkeit von Mann und Familie steht, beginnt die wei-
tere, die wichtigste Forderung der Bahnbrecher für volles
Weibesrecht Leben und Gestalt zu gewinnen, ihr „Endziel“.
Das Frauenwahlrecht hat seinen Siegeslauf durch die Kul-
turwelt angetreten. Wir brauchen heute nicht mehr in die
australischen Kolonialländer Großbritanniens zu reisen, um
der Frau als Wählerin und Gewählter in Parlamenten und
Gemeindevertretungen zu begegnen. Jn der nordamerika-
nischen Union ist das Frauenwahlrecht zur Gesetzgebung
seit 1867 nach und nach in 10 Bundesstaaten eingeführt
worden, es besteht für eine wachsende Zahl von kommunalen
Verwaltungskörperschaften. Es hat sich auf dem einen oder
anderen Gebiet in Finnland, Schweden und Dänemark ein-
gebürgert. Jn Norwegen ist die Frau in der Gemeinde und
im Staat gleichberechtigt geworden, und in England hat nur
der Parteieigennutz der Liberalen verhindert, daß den seit
40 Jahren erprobten kommunalen Frauenwahlrechten in
diesen Tagen die politische Emanzipation des weiblichen Ge-
schlechts gefolgt ist. Heute ist es nicht mehr weitfliegende,
kühne Prophezeiung, heute ist es tödliche Sicherheit, daß es
nur noch eine Frage der Zeit ist, daß in allen Kulturländern
das Weib erhobenen Hauptes als politische Vollbürgerin
neben dem Manne steht, nicht mehr sein Mündel im öffent-
lichen Leben, sondern seine Gleichgeordnete und Gehilfin.
Denn heute sind es nicht mehr die ersten Zwölf, die mit
feurigen Zungen von der politischen Gleichberechtigung der
Frau reden. Auch die Hunderte und Tausende der kleinen
Gemeinden sind längst überholt. Es sind Millionen, die
wissen, wollen und kämpfen. Von den Skorpionen äußerer
und innerer Lebensnöte getrieben, erscheinen Frauenmassen
ihr Recht fordernd vor den Parlamenten, ihre schwielen-
harten Hände und verhärmten Gesichter als Urkunden ihres
arbeitsreichen Daseins zeigend, den Rechtstitel für ihr Be-
gehren. Zwar stößt dieses noch auf den zähesten Widerstand
gerade in den Ländern, wo – wie im Deutschen Reiche –
die Entwicklung der Dinge und der Wille der Frauen am
reifsten für die Reform sind. Jndessen steht hier die Rechts-
verweigerung in der Hauptsache und in Wirklichkeit auf
einem anderen Blatte als dem, wo einst im Namen Gottes,
der Natur und Moral die grundsätzliche Gegnerschaft wider
die politische Gleichberechtigung des Weibes mit feierlichen
Eiden beschworen wurde. Und dieses Blatt trägt in festen,
großen Zügen die Worte: Kein Recht für die arbeitenden,
ausgebeuteten Massen!
So ist das Ziel erreicht oder doch in greifbare Nähe ge-
rückt, das vor mehr als hundert Jahren denen leuchtend
winkte, die die Gleichwertung und Gleichberechtigung des
weiblichen Geschlechts verkündeten. Aber ist damit tatsächlich
ihr letztes und höchstes Jdeal verwirklicht? Nein! Denn das
war voll erblühte, harmonische Menschlichkeit auch für das
Weib, die Mutter. Was ist`s mit diesem herrlichen Jdeal nun,
da bürgerliche Natur und Vernunft zu ihrem Recht gekom-
men sind? Befragen wir die arbeitenden Frauen in den
Ländern, wo das Wahlrecht kein Vorrecht des Mannes ist!
Forschen wir dort nach, wo der Arbeiter nicht mehr durch
Standes- und Besitzunterschiede im Genuß vollen Bürger-
rechts beschränkt wird! Männer und Frauen zeigen trotzig
die Wunden, die die Herrschaft der „einen gewissenlosen
Handelsfreiheit“, die der große Menschenhandel der kapita-
listischen Ausbeutung dem Leib und der Seele auch der Voll-
bürger schlägt. Das Weib, das dank seiner produktiven Ar-
beit in der Gesellschaft der Abhängigkeit vom Manne ent-
geht, wird die Beute des Kapitalisten. Der unvermeidliche
Handel mit ihrer Arbeitskraft bringt sie in neue Knecht-
schaft, und Knechtschaft besagt Verkümmerung, ja Vernich-
tung. „Nicht Linnen ist`s, das ihr verschleißt, nein, warmes
Menschenleben!“ Nicht das Los einer Proletarierin, das
Los der Proletarierin ist es, das die bürgerliche Ordnung
im „Lied vom Hemde“ anklagt.
Die Frauen und Männer, die an der Wende von der feu-
dalen zur kapitalistischen Wirtschaft Sturm wider die Recht-
losigkeit des weiblichen Geschlechts liefen, sahen diesen Zu-
sammenhang der Dinge nicht, der ihrer logischsten Gedanken-
gänge spottete und ihre teuersten Hoffnungen zertrat. Sie
ahnten nicht, daß ein und die nämliche Macht im Wider-
spiel ihre Träume vom gleichberechtigten und freien Weibe
rief und doch nicht reifen ließ. So konnten, so mußten sie
den Frauen einschärfen: Das Vorrecht des Mannes, das ist
der Feind! An diesem Punkte ist es, wo sich von ihren
Wegen die unseren scheiden müssen, gerade um deswegen,
weil uns die Freiheit, das Recht des Weibes nicht minder
heilig ist als ihnen. Nur in der Sonne der Freiheit können
die Mütter von Geschlechtern erblühen, die über uns hin-
auswachsen. Liegt so die Gleichberechtigung unseres Ge-
schlechts nicht auf dem Wege zur höheren Vollendung der
ganzen Menschheit, ist sie nicht eine Stufe für das Empor-
steigen von Weib und Mann?
Was den träumenden Philosophen und revolutionären
Kämpfern verborgen blieb, das ist den proletarischen Frauen
offenbar geworden. Sie haben die Wirklichkeit der Dinge
in den Gefilden des bürgerlichen Rechtsstaats kennen ge-
lernt. Der Kapitalismus ist in ihnen in die Mannesjahre
gekommen, er hat in der Gier seiner Ausbeutung alle
Hüllen abgeworfen, und die Lebenserfahrung hat den Blick
der proletarischen Frau für sein Wesen geschärft. Und je
inbrünstiger ihre Sehnsucht nach voller Menschlichkeit empor-
lodert, um so leidenschaftlicher wird ihr Ruf: Der Kapita-
lismus ist der Feind! Der Feind für Weib und Mann.
Doch siehe! Wenn die Proletarierin sich aufrichtet, um
zum Schlag gegen den Feind auszuholen, so empfindet sie
die rechtlichen Fesseln, die sie als Weib noch trägt. Ketten
umflirren Fuß und Arm, so daß sie nicht rüstig mit dem
Manne ausschreiten, nicht wie dieser zu kämpfen vermag. Für
ihr Menschentum gegen den Kapitalismus ringend, wird ihr
klar: die Rechtlosigkeit der Frau ist ein Feind. Ein Feind für
das Weib und auch für den Mann! Lähmt sie nicht die Kraft
seiner Kampfesgenossin? Überwinden wir diesen Feind!
Das ist der Ruf, der am sozialistischen Frauentag erklingt.
Ein Gelöbnis der Genossinnen, der erwachten Proletarie-
rinnen aller Länder, die eins sind in dem gleichen Ziel. Ein
Eidschwur der werktätigen Männer, die wissen, daß auch
dieser Kampf der ihre ist. Dankbar wollen wir uns derer
erinnern, die für ihn lange vor uns Waffen geschmiedet
haben. Und wenn wir, diese Waffen kritisch prüfend, uns
der Erkenntnisse freuen dürfen, an denen wir jener himmel-
stürmenden Vorhut im Kampfe überlegen sind, so sei es
unsere Sorge, daß wir ihn an Kühnheit, Selbstvertrauen
und begeisterter Hingabe nicht nachstehen. Wir bedürfen
dieser Kampfestugenden, denn heute steht unser Ringen im
Zeichen der sozialen Revolution, heute geht es auch in ihm
um das Ganze:
Um den Sozialismus, der Menschenrecht ist!