Von der Ode .
Ein Versuch . D ie Ode ist eines von denjenigen Gedichten , deren Schönheiten man wohl empfunden und bewundert ; nie aber die Quellen und Regeln derselben untersucht hat . Man findet in den ältern Kunstrichtern einige zerstreute Anmerkungen , die aber nur einzelne Schönheiten berühren . In den kritischen Schriften des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts trifft man das , was Aristoteles , Horaz , Longin etc. gesagt haben , gesammelt an . Allein man unterstand sich nicht , weiter zu gehen ; man trat ängstlich in die Fußstapfen dieser großen Geister Alle diejenigen , welche entweder über den Aristoteles oder Horaz Erklärungen oder selbst von der Dichtkunst geschrieben haben , bestätigen diesen Satz . Man darf nur den Petr . Victorius , Franc . Robortellus etc. über die Poetik des Aristoteles ; den Jac. Grifolus , Franc . Luisinus , Vincentius Madius , Achilles Statius etc. über des Horaz Schreiben an die Pisonen nachschlagen . Was die Ode anbetrifft , so findet man in des Scaligers Poetices L. I. C. 44. u. ff. S. 116-127 . nichts , als die Etymologien , die Arten und die historischen Umstände der lyrischen Gedichte . Thom . Campanella hat in seiner Poetica , die zu Paris 1638 in 4. herausgekommen und den vierten Theil der Philosophia rationalis ausmacht , S. 176. u. f. bloß den Gegenstand und das Sylbenmaaß der Ode , und noch dazu sehr unvollständig , abgehandelt . Gerh. Jo. Vossius hat in seinen Poeticarum Institutionum Libris III. Amst. 1647 . in 4. im 3. B. S. 60-94 . Vossius, Garardus Joannes: Poeticarum institutionum libri tres. Amsterdam, 1647, S. 60-94. [Online verfügbar: Bayerische StaatsBibliothek digital, abgerufen am 20.08.2018.](http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10522658.html) die Etymologie der lyrischen Poesie , er hat die Stellen der Alten gesammelt , in welchen von dem Gegenstande der Ode geredet wird , die Arten derselben angeführt , die Schreibart und das Sylbenmaaß charakterisirt , und die verschiedenen Odendichter der Griechen und Römer genennt . . Ist es aus Vorurtheil , aus Ehr-
erbietung gegen diese Kunstrichter , oder aus Armuth des Geistes , aus einer seichten Einsicht in die Philosophie , geschehen ? Die Neuern haben sich endlich mit ihren Untersuchungen an die Ode gewagt . Sie haben uns aber weiter nichts als einen Theil von ihrer Kleidung , nichts als einige Wendungen in ihrem Gange gezeigt La Motte hat seinen Oden eine Abhandlung von dieser Art von Gedichten beygefüget , in welcher es ihm aber nicht gefällig gewesen ist , seinen Lesern zu sagen , was eigentlich die Ode ist , sondern er hat bloß von der Begeisterung und dem Erhabenen in der Ode geredet , und sehr unvollständig die Charaktere vom Pindar , Anakreon , Horaz , Ronsard und Malherbe entworfen . Herr Dacier hat gleichfalls in der Vorrede zu seiner Uebersetzung des Horaz von dieser Art von Gedichten gehandelt . Wir werden bald seine Erklärung davon anführen . Muratori della perfetta Poesia , in Venezia 1730 . in 4. redet von eben diesem Gegenstande Tomo II. C. 7. Ingleichen Trapp in Praelectionibus poeticis . Lowth de Poesi sacra Hebraeorum Praelect. XXV- XXVIII . Batteux hat in der Einleitung in die schönen Wissenschaften , nach der Uebersetzung des Herrn Pr. Ramlers im 3ten Bande S. 3-86 . mehr als seine Vorgänger , von dieser Materie gesagt , aber auch ziemlich a la Françoise . Die Anmerkungen , welche Herr Schlegel zu seiner Uebersetzung des Batteux Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz , hinzugefügt , S. 193-209. und 415. f. verdienen gelesen zu werden . Man kann davon auch Herrn Cramers Vte Abhandlung von dem Wesen der biblischen Poesie , die sich in seiner poetischen Uebersetzung der Psalmen im Isten Theile befindet , nachlesen . . Allein wir wünschten sie noch näher zu kennen ; vielleicht erscheint sie zuweilen in einem veränderten Kleide ; vielleicht gefällt es ihr , nicht allezeit gleiche Schritte zu thun , und alsdann sind wir in Gefahr , sie gar zu verkennen . Und dieß würde geschehen , wenn wir mit den gemeinen Kunstrichtern annähmen , daß der unterscheidende Charakter der Ode darinn bestehe , daß sie aus Strophen zusammengesetzt sey , oder welches eben so viel sagt ,
daß sie könne gesungen werden . Wer könnte uns wohl untersagen , eine Fabel in ein Sylbenmaaß , welches kann gesungen werden , einzukleiden ? und so kostete es wenig Mühe , die meisten Gedichte in Oden zu metamorphosiren . Ja man hat in der That viele Fabeln , die aus Strophen bestehen . Verliehrt deswegen eine Ode ihr Wesen , wenn sie von einem treuen Uebersetzer in Prose , oder in ein Sylbenmaaß , das nicht lyrisch , übergetragen wird ? Man weis , daß die alten Völker ihre Gesetze , ihre merkwürdigsten Begebenheiten in Versen abgesungen haben . Man darf sich nur an die Griechen , an die Germanier , an die amerikanischen Völker erinnern . Aber das waren nichts weniger als Oden . Auch Heldengedichte können gesungen werden . Zum wenigsten ist es in Griechenland geschehen . Die Rapsodisten , welche Stücke aus der Iliade und Odyssee des Homers , die doch nimmermehr Oden sind , häufig abgesungen , geben einen augescheinlichen Beweis , daß die gewöhnliche Erklärung der Ode mangelhaft sey Hier ist die Beschreibung , die Herr Dacier gegeben hat : " Die Ode ist eine kurze Art eines Gedichtes , das man zu den Tönen der Leyer absingt , oder welches doch könnte abgesungen werden , und welches alle Versarten ohne Unterschied annimmt , und in einem einzigen Stücke derselben öfters verschiedene zu Beförderung des Wohlklangs unter einander mischt ; welches sich alle Gegenstände gerecht macht , und die niedrigen auf eine zwar muntre , aber doch edle Weise , und die großen mit so einer Erhebung abhandelt , welche mehr die Wirkung einer Begeisterung , als eines ruhigen Verstandes zu seyn scheint , und dennoch zur Sittenlehre nützlich ist . " Vielleicht sind einige von unsern Lesern bey dieser Beschreibung müde worden . Wenn sie sich erholen , oder vielmehr noch weiter ihre Geduld üben wollten , so könnten sie eine lustige Zergliederung davon in Gottfr. Ephr . Müllers historisch-kritischen Einleitungen zu nöthiger Kenntniß und nützlichem Gebrauch der alten lateinischen Schriftsteller , im 3ten Theile S. 448-455 . lesen . . Kaum zweifle ich , wenn Aristoteles keine Erklärung von einem Heldengedichte gegeben hätte ,
daß dergleichen Kunstrichter nicht sagen würden : eine Epopee sey ein Gedicht in Hexametern geschrieben . Doch wir wollen diese Herren verlassen , welche sich nicht weiter , als bis zum Sylbenmaaße eines Gedichtes geschwungen , und selbst das Wesen der Ode untersuchen Wir wünschten , daß durch diesen Versuch der Verfasser der philosophischen Schriften angereizt werden möchte , seine vortreffliche Abhandlung von der Ode bekannt zu machen . .
Das Wesen der Ode . Laßt uns einmal eine wahre Ode unserm Freunde zum Beurtheilen vorlegen , den die Natur zum schönen Geiste gebildet hat . Es mag Hallers Doris oder die Ewigkeit seyn . Was wird er wohl sagen ? ohnstreitig : die Ode ist schön ; wenn wir ihn aber fragen , warum er sie schön nennet , so wird er uns antworten : deswegen , weil sie rührt , und uns noch einen nähern Grund davon angeben , weil sie empfindungsvoll ist . Alle diejenigen , welche mit Geschmack die Doris , die Ewigkeit , oder auch den Pindar , Horaz und Anakreon gelesen , werden mit diesem Urtheile übereinstimmen . Also ist die eigentliche Wirkung der Ode , die sie in der Seele eines jeden , der fähig ist , die Schönheiten der Gedichte zu empfinden , zurückläßt , – die Rührung . Der Grund von dieser Veränderung der Seele liegt also in der Ode . Es muß folglich in derselben eine Menge von Bildern enthalten seyn , welche Abdrücke von starken und lebhaften Empfindungen sind . Diese Empfindungen , wenn sie sich in einen Punkt vereinigen , welches die Hauptempfindung ist , verursachen eine gewisse Veränderung in der Seele , welche der Affekt genennet wird . Sie müssen sich aber vereinigen , denn sonst wäre es wider die eigenthümliche Schönheit des Gedichts . Da nun die Empfindungen einfach oder zusammengesetzt , rein oder vermischt , lebhaft , stark , erhaben
sind ; die Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten der menschlichen Seele , des Körpers und äußern Zustandes , die Schönheiten der Natur und Kunst zum Gegenstande haben ; die Affekten aber aus der Vereingung derselben entstehen ; die Ode aber zu allen Arten der Empfindungen fähig ist ; so folgt , daß sie auch zu allen Arten der Affekten aufgelegt ist . Die Affekten können entweder alle zu einem Hauptaffekt sich vereinigen oder nicht ; in dem ersten Falle ist der Affekt zusammengedrängt , stark , von kurzer Dauer . Ein Gedicht aber , worinn ein zusammengedrängter Affekt herrscht , nennet man eine Ode .
Laßt uns noch aus einem andern Gesichtspunkte zeigen , daß das Wesen der Ode im Affektvollen oder in der Zusammendrängung des Affekts bestehe . Das Gedicht überhaupt betrachtet , ist eine vollkommen sinnlich schöne Rede . Also besteht es aus undeutlichen Vorstellungen in allgemeiner Bedeutung genommen . Diese werden aber von den untern Seelenvermögen bewirkt . Diese Seelenvermögen sind der Grund , entweder von den eigentlichen sinnlichen Vorstellungen , oder von den sinnlichen Begierden und Verabscheuungen . Also theilen sich alle Gedichte überhaupt in zwo Gattungen . Entweder in die , worinn eigentlich sinnliche Vorstellungen herrschen , oder wo Neigungen und daraus entstehende Affekten angetroffen werden . Diese Neigungen können entweder schwach seyn , sich ausdehnen , der Affekt kann sanft die Seele einnehmen , oder heftig in Bewegung setzen . Diese Art von Gedichten , worinn die Bilder starker und die Seele heftig erschütternder Affekten befindlich , welche also in einem hohen Grade affektvoll sind , können wir am bequemsten mit dem Namen der Ode bezeichnen . Also ist der Unterscheidungscharakter derselben das vollkommen Affektvolle . Ein starker , heftiger Affekt wird , ohne daß er mit andern Empfindungen abwechselt , von keiner langen Dauer seyn . Folglich ist die Ode ein kurzes vollkommen affektvolles Gedichte .
Aus dieser Erklärung erhellet der Unterschied der Ode von der Elegie , dem dramatischen und epischen Gedichte , der Satyre . Die Elegie ist der Ode am nächsten verwandt ; allein doch darinn unterschieden , daß sie nicht zu allen Arten der Affekten aufgelegt ist , z.E. zum Erhabenen , und daß sie diejenigen Affekten , deren sie fähig ist , nicht stark , nicht heftig , nicht erschütternd vorträgt , sondern mit sanften Bildern der Einbildungskraft mildert , und also mehr vergesellschaftete Empfindungen hat Man sehe die Briefe , die neueste Litteratur betreffend , 13. Th. S. 70-83 . wo man eine lesenswürdige Untersuchung des H. Nicolai von der Elegie findet . . Die Tragödie kann eben so erschütternde Affekten äußern , als die Ode ; allein sie wechseln in derselben mit andern Affekten ab , sie machen einzeln genommen kein Ganzes aus , z.E. die Monologen in des Shakspears Trauerspielen . Diese könnten an und für sich betrachtet als Oden angesehen werden ; allein in der Verbindung , da sie nur ein kleiner Theil von einem großen Ganzen sind , hören sie auf , es zu seyn . Eben so wechseln die starken Affekten in der Komödie und Satyre , wenn dergleichen in derselben vorkommen , mit andern Empfindungen ab , und sind also nicht ein Ganzes , oder sie dehnt die heftigen Neigungen aus , und schwächet dadurch dieselben . Doch aus der Betrachtung der Eigenschaften der Ode werden wir fähig seyn , dieselbe noch genauer von allen andern Gedichten , besonders denjenigen , die eine große Aehnlichkeit mit ihr zu haben scheinen , zu unterscheiden .
Die Eigenschaften . Man wird hier die Eigenschaften anzeigen , die allen Oden gemein sind . Die zufälligen Bestimmungen , in Verhältniß der Ode überhaupt , welche aber Eigenschaften einer gewissen Gattung von Oden seyn können , und es auch wirklich sind , werden bey der besondern Untersuchung bemerkt werden .
Der Enthusiasmus . Diese Eigenschaft ist die Quelle , woraus alle andere Bestimmungen der Ode hergeleitet werden können . Weil sie so nahe an das Wesen derselben grenzt und gleichsam damit zusammen zu fließen scheinet , so müssen wir dieselbe zuerst betrachten . Genau gezeichnete Empfindungen , die ihren nächsten Grund in der aufwallenden Einbildungskraft haben , machen den Enthusiasmus der Ode aus . Die Empfindungen werden folglich stark seyn , nach der Beschaffenheit des Gegenstandes ; sie werden einander drängen , und in einem gewissen Punkte sich durchschneiden ; daraus wird ein Ganzes entstehn , das den empfindenden Leser mit sich fortreißt , und welches einen Dichter entdeckt , den Horaz schildert : Cui mens divinior atque os magna sonaturum . Der Affekt wird auf derjenigen Seite gemahlt werden , wo er am schönsten ist , er ist es aber , wenn er am lebhaftesten vorgestellt wird . Ein hoher Grad des lebhaften Affekts ist das Feuer desselben . Eine jede Ode aber besteht aus affektvollen Bildern , die lebhaft gemacht sind , weil es die wesentliche Schönheit dieses Gedichtes erfordert . Sie muß also den bestimmten Grad des lebhaften Affekts haben , den der Gegenstand fordert . Dieser Grad aber ist das Feuer . Man muß daher in jeder Ode einen Enthusiasmus entdecken . Wenn der Dichter sich in dieser Situation befindet , dann wird er sagen :
Bacchum in remotis carmina rupibus
Vidi docentem , credite , posteri ,
Nymphasque discentes , et aures
Capripedum Satyrorum acutas .
Evoe , recenti mens trepidat metu ,
Plenoque Bacchi pectore turbidum
Laetatur . Evoe , parce , Liber ,
Parce , gravi metuende thyrso .
Dann wird er begeistert ausrufen :
Wohin , wohin reißt ungewohnte Wuth
Mich auf der Ode kühnen Flügeln ,
Fern von der leisen Fluth
Am niedern Helikon und jenen Lorbeer-Hügeln ?
Ich fliehe stolz der sterblichen Revier ;
Ich eil in unbeflogne Höhen .
Wie keichet hinter mir
Der Vogel Jupiters , beschämt , mir nachzusehen !
In Gegenden , wo mein entzücktes Ohr
Der Sphären Harmonie verwirret ,
O Muse ! fleug mir vor ,
Du , deren freyer Flug oft irrt , sich nicht verirret !
Ich folge dir bald bis zur Sonnen hin ,
Bald in den ungebahnten Haynen ,
Mit Libers Priesterinn ,
Wo keine Muse gieng und andre Sterne scheinen .
Der Enthusiamus hat seine Grade . Er muß sich nach der Beschaffenheit des Gegenstandes äußern . Daher folgt : in einer Ode , die stärkere Affekten hat , muß mehr Begeisterung angetroffen werden , als in der , wo der Affekt nicht so heftig ist .
Der odenmäßige Schwung . Aus der Begeisterung läßt sich der Schwung der Ode am nächsten herleiten . Dieser verhält sich zum Enthusiasmus , wie ein Theil zu seinem Ganzen . Ueberall muß man in einer wahren Ode Merkmale der Begeisterung antreffen ; aber nicht in jeder Stelle den Schwung . Man sagt von einem Dichter , er schwinge sich in die Höhe , wenn er sich der ordentlichen Sphäre unserer Denkungsart entzieht ; wenn er sich aus unserm Gesichte zu verliehren scheint , und wenn man aus dem Glanze der Bilder in seinen Gedichten die Größe des Gegenstandes am lebhaftesten empfindet . Da er aber nicht beständig , sondern nur einige Augenblicke in dieser Fassung bleiben kann , wo er nicht das Schicksal des Ikarus erfahren , und seine Leser in eine blendende Verwirrung setzen will ; so werden wir auch nur in einzelnen Stellen der Ode die Spuren des Schwunges entdecken . Dieses sind aber diejenigen , wo der Vereinigungspunkt der Schönheit sich befindet . Die schönsten Stellen in einer Ode machen folglich
diesen Schwung aus . So wird man zugestehn , daß in der Ode des Horaz : Justum et tenacem etc. folgende Stellen einen Schwung enthalten :
Si fractus illabatur orbis
Impavidum ferient ruinae .
— — —
Ilion , Ilion
Fatalis incestusque iudex
Et mulier peregrina vertit
In pulverem —
— — —
Troiae renascens alite lugubri
Fortuna tristi clade iterabitur ,
Ducente victrices catervas
Coniuge me Iovis et sonore .
Ter si resurgat murus aëneus
Auctore Phoebo , ter pereat meis
Excisus Argivis , ter uxor
Capta virum puerosque ploret .
In Hallers Ode über die Ehre :
Als Philipps Sohn , dem Tode nahe ,
Sein göttlich Blut entlaufen sahe ,
Wog Fama jeden Tropen ab ;
Allein das Werkzeug seiner Siege ,
Die Mitgefährten seiner Kriege ,
Verscharrt mit ihrem Ruhm ihr Grab .
— — —
Baut , eitle Herrscher unterm Süden ,
Die unzerstörbarn Pyramiden ,
Gepflastert mit des Volkes Blut .
Komm , schneller Cäsar , siege , siege !
Es sey der Schauplatz deiner Kriege ,
Die ganze Welt , dein Unterthan ;
Doch wisse , Dolche , dich zu morden ,
Sind , eh du warst , geschliffen worden ,
Dawider nichts dich schützen kann .
In Uz Ode , die wahre Größe :
Zeug , Alexander ! hin , bis zu den braunen Scythen ,
Irr um den trägen Phrat , wo heißre Sonnen wüthen ,
Und reiß dein murrend Heer
Zum Ganges hin , bis ans entfernte Meer !
Du kämpfest überall , und siegest , wo du kämpfest ,
Bis du der Barbarn Stolz , voll größern Stolzes , dämpfest ,
Und die verheerte Welt
Vor ihrem Feind gefesselt niederfällt .
— — —
Mit Lorbeern wird von ihr der beßre Held bekränzet ,
Der für das Vaterland in furchtbarn Waffen glänzet ,
Und über Feinde siegt ,
Nicht Feinde sucht , nicht unbeleidigt kriegt .
— — —
Der ächte Menschenfreund , der bloß aus Menschenliebe
Die Völker glücklich macht , und gern verborgen bliebe ;
Der nicht um schnöden Lohn ,
Nein , göttlich liebt , wie du , Timoleon !
Zu dir schrie Syrakus , als unter Schutt und Flammen
Und Leichen , die zerfleischt in eignem Blute schwammen ,
Der wilde Dionys
Sein eisern Joch unleidlich fühlen ließ .
Du kamst , und stürzest ihn , zum Schrecken der Tyrannen ,
Wie wenn ein Wintersturm die Königinn der Tannen
Aus tiefen Wurzeln hebt ,
Von ihrem Fall ein weit Gebirge bebt .
Die schöne Unordnung . Wenn man von der schönen Unordnung in einer Ode redet , so versteht man darunter die Verknüpfung der gemahlten Empfindungen , also die Folge des schönen Verhältnisses der Bilder in einer Ode . Man hat diese Eigenschaft deswegen so genennt , weil sie mit den auf einander folgenden Gedanken und Schlüssen in der Seele nicht eben die Regeln beobachtet . Und es wäre der größte Fehler , wenn sie dieses thäte . In Betracht der Entwicklung der Affekten ist sie die vollkommenste Ordnung . In der Ode muß eine Unordnung herrschen . Die Ode ist ein lebhaftes Gemälde der Affekten ; also der auf einander folgenden Empfindungen im Affekt , diese aber sind der Folge der Vorstellungen , in genaue-
ster Bedeutung genommen , unähnlich , also unordentlich . Sie ist also ein Gemälde der , in Vergleichung mit den Vorstellungen , unordentlichen Veränderungen des Affekts . Diese Unordnung besteht demnach darinn , daß man von einer Empfindung auf die andere übergeht , ohne daß uns der nächste Grund davon gleich in die Augen fällt . Diese Unordnung muß schön seyn . In der Ode müssen die Affekten natürlich , also in der möglichsten Aehnlichkeit , also vollkommen geschildert werden . Dieses Sinnlich vollkommne aber ist das Schöne .
Wenn die Uebereinstimmung dieser Unordnung im Gemählde mit dem wirklich gehabten Affekt lebhaft empfunden werden kann , so wollen wir es eine schöne Unordnung der Nachahmung nennen . Wenn aber die Bilder von dem Dichter so vortheilhaft verknüpft werden , daß sie die nachgeahmte Unordnung noch erhöhen , so nenne ich es die schöne Unordnung in der Zusammensetzung . Diese letzte unterscheidet sich demnach von der ersten darinn , daß sie mehrere Bilder von Empfindungen anbringt , als man ordentlich bey dem Affekte fühlt , oder daß sie eine vollkommnere Verknüpfung macht , oder daß sie mannichfaltigere Bilder in einer größern Uebereinstimmung mahlt .
Diese Eigenschaft kann auch aus dem Begriffe des Enthusiasmus hergeleitet werden . In der Begeisterung sehen wir den Gegenstand in einem so hellen Lichte , daß wir mit einer gewissen Geschwindigkeit zu demselben eilen , unsre Empfindungen sind zusammengedrängt , und die kleinen Nebenempfindungen ganz verdunkelt . Wir können also den nächsten Grund der Verbindung dieser lebhafen Bilder nicht augenblicklich entdecken . In dieser Verbindung aber besteht die schöne Unordnung .
Die Grade dieser Unordnung sind in einer jeden Ode unterschieden . Denn in der einen Ode kann mehr Enthusiasmus seyn , als in der andern . Also muß auch in der einen mehr Unordnung angetroffen werden , als in der andern .
Die Unordnung ist größer , wenn mehrere kleine Bilder , die in einem andern Gedichte Schönheiten gewesen wären , übergangen worden ; wenn Dinge mit einander verbunden werden , die sich einander aufzuheben scheinen , und wenn die Verknüpfung derselben schöner ist .
Die Kürze . In dem Enthusiasmus wird die Seele plötzlich von dem Gegenstande hingerissen , sie heftet sich an demselben an , und wird ganz innere Empfindung . Die Bilder sind alsdann von einer so großen Lebhaftigkeit , daß sie in diesem Zustande sich nicht lange befinden kann , ohne niederzusinken und matt zu werden . Der Enthusiasmus kann also nicht lange dauren . Die Ode spricht allezeit begeistert . Also muß sie verhältnißmäßig kurz seyn . Es ist wahr , man hat Oden , die an Länge noch ein Lehrgedicht übertreffen ; allein man frage seine eigne Empfindungen , wenn man dergleichen lieset , ob nicht der Affekt nach und nach aufhört ; ob nicht diese Gedichte mehr die kalte Miene des Dogmatischen , als die glühende Hitze des Affekts haben .
Eine Ode , die einen einfachen , reinen Affekt hat , muß kürzer seyn als die , wo ein zusammengesetzter , ein vermischter herrscht . Aus dieser Eigenschaft mit der unmittelbar vorhergehenden verbunden , fließt ein Begriff der Ode . Es ist folgender : Die Ode ist ein kurzes Gedicht , worinn eine schöne Unordnung herrscht .
Die Wahrscheinlichkeit . Diese Wahrscheinlichkeit ist von derjenigen , die andern Gedichten eigen ist , verschieden ; so wie sich die Ode von diesen Gedichten unterscheidet . Wir verstehen darunter die Wahrscheinlichkeit der Empfindungen oder des Affekts . Sie besteht darinn : wenn der Gegenstand einen gewissen Affekt hat verursachen können , ( Wahrscheinlichkeit der Veranlassung ) wenn die Bilder mit dem Affekt übereinstimmen , ( Wahrscheinlichkeit des Gemäldes ; wenn die Bilder unter einander
selbst sich nicht widersprechen , ( Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung ) . Von allen diesen Arten findet man häufige Beyspiele beym Pindar , Horaz , Hagedorn , Uz , Ramler . Die Wahrscheinlichkeit der Empfindung oder des Affekts ist die mögliche Verbindung derselben . Diese kann so beschaffen seyn , daß man keinen Grund angeben kann , das Gegentheil anzunehmen , oder daß man selbst Gründe von dieser Möglichkeit zu zeigen im Stande ist ; wenn diese Gründe zahlreich und lebhaft sind , so entsteht daraus ein Schein der Nothwendigkeit , welches eine vorzügliche Schönheit , besonders der Ode , ist . Die erste Art der Wahrscheinlichkeit findet sich zu Anfang einer Ode , und die andere muß in der Folge bis zu Ende angetroffen werden . Es kann etwas wahrscheinlich seyn , als eine Empfindung betrachtet , welches unwahrscheinlich seyn würde , wenn es eine bloße Vorstellung wäre , und umgekehrt . Man muß also die Wahrscheinlichkeit in der Ode nach den Gesetzen der untern Begehrungsvermögen der Seele beurtheilen . In einer jeden Ode muß so viel Wahrscheinlichkeit seyn , als der Affekt erfordert ; weil eine jede die schöne Unordnung haben muß . Je größer und vorzüglicher der Gegenstand ist , je lebhafter er gezeichnet worden , und je genauer die Verbindung der Bilder ist ; je größer ist die Wahrscheinlichkeit .
Die Einheit . So wie in einer Epopee , in einer Tragödie nur Eine Handlung seyn kann ; so kann auch nur Ein Hauptaffekt in einer Ode seyn . Diese Eigenschaft folgt aus dem Begriffe des Enthusiasmus und der Wahrscheinlichkeit , wenn sie mit einander verglichen werden . Diese Einheit erfordert , daß alle einzle Gemählde in dem Hauptaffekt , als in ihrem Mittelpunkt , zusammenfließen . Wenn ein Nebenumstand zu stark gezeichnet ist ; wenn die Ausschweifungen zu weitläuftig sind , so ist es ein Fehler , wodurch die Einheit leidet . Und sie wird völlig aufgehoben , wenn zween Affekten so stark gemahlet werden , daß beyde ein Ganzes für sich ausmachen .
Derjenige Dichter , welcher sich einfallen läßt , Oden zu schreiben , ohne zu lebhaften , starken Empfindungen aufgelegt zu seyn , wird kleine Bilder sorgfältig mahlen , und den Hauptpunkt der Schönheit mit einer merklichen Schwäche zeichnen . Man wird bey Lesung desselben zweifelhaft werden , ob er sich eigentlich einen bestimmten Gegenstand vorgestellet habe . Und eine ausschweifende Einbildungskraft wird von einem Affekt zum andern hinüberflattern , die verschiedenen Gegenstände mit gleichhellen Farben mahlen , und uns statt einer Ode zwo zu lesen geben .
Diese Einheit ist größer , nachdem die Mannichfaltigkeit , das Lebhafte der Bilder , stärker ist , und nachdem alle zusammen gleich den Strahlen eines Zirkels sich in dem Mittelpunkt der Schönheit merklich vereinigen .
Aus der Vergleichung dieser Eigenschaften entspringen die Regeln der Vollkommenheit einer Ode . Je größer die Begeisterung , folglich je höher der Schwung , und je merklicher die schöne Unordnung ist , je mehr die Wahrscheinlichkeit der Empfindungen , die Kürze und die Einheit beobachtet , und je genauer alles dieses mit einander verknüpft worden ; je vollkommner ist die Ode .
Die zufälligen Eigenschaften . Wir untersuchen hier Bestimmungen der Ode , welche nur einer gewissen Art derselben wesentlich sind , und die sie , was die Beschaffenheit anbelangt , mit andern Gedichten gemein hat , sich aber , in Absicht auf den Grad , von derselben unterscheidet .
Das Erhabne . Wie viel hat man von diesem höchsten Grade des Schönen geschrieben , und wie wenig Bestimmtes findet man bey den meisten Schriftstellern ! Man hat ganze Werke davon , und dennoch sucht man die Erklärung desselben darinn vergebens . Entweder sind nur einige Bestimmungen gesetzt worden , die andern Schönheiten ebenfalls zukommen , oder
man hat die Wirkung anstatt der Beschaffenheit gesetzt . Wenn man das Erhabene denkt , so wird man allezeit den Begriff einer gewissen Größe in der Seele haben : allein dieses Große muß so beschaffen seyn , daß es nicht gemein ist , es muß den Stempel des Außerordentlichen zeigen . Das Erhabne ist demnach , was über unsre Sphäre geht . Der Gegenstand ist also erhaben , welcher so groß ist , daß er außer unserm Gesichtspunkt sich erstreckt . Das Erhabne in den Empfindungen ist dasjenige , welches so groß ist , daß es über die Sphäre unsrer Empfindungen zu gehen scheint .
Wenn wir Gegenstände denken oder empfinden wollen , die von der Größe sind , daß sie über unsre Sphäre hinausreichen , so müssen wir sie , wenn wir anders Ideen davon erlangen wollen , durch Vergleichung oder Unterscheidung uns vorstellen ; also nicht anders , als durch Witz oder Scharfsinnigkeit , erkennen . Da nun diese Gegenstände von der ersten Größe sind , und eine wahre Empfindung der empfundenen Sache proportionirt seyn muß ; dieses aber nur durch Hülfe des scharfsinnigen Witzes geschehen kann ; so wird allezeit ein sehr hoher Grad des Witzes und der Scharfsinnigkeit dazu erfordert werden . Eine erhabene Empfindung ist also diejenige , welche durch Hülfe eines sehr hohen Grades des Witzes und der Scharfsinnigkeit in der Seele hervorgebracht wird . Daher folgt , daß eine erhabne Empfindung , wenn sie einem andern mitgetheilet wird , allezeit Erstaunen bey demselben verursacht La Motte hat bereits eine Erklärung von dem Erhabnen in seiner Abhandlung von der Ode gegeben . Er sagt , das Erhabene ist die Vereinigung des Wahren und Neuen in einer großen Idee , die zierlich und kurz ausgedrückt ist . Bodmer hat in den kritischen Briefen , Zürch 1746 , eine Abhandlung von dem Wesen der erhabnen Schreibart und vom Erhabnen in der Sprache S. 94-108 . Gegenwärtig ist man in diesen Gegenstand , vermittelst scharfsinniger Beobachtungen und einer gründlichen Philosophie , tiefer eingedrungen . Die zween vorzüglichsten Schriftsteller sind : Moses in seiner Ab- . Die Eigenschaften der erhabnen
Empfindungen sind das Lebhafte , der Adel , Reichthum , die Gewißheit und Richtigkeit in einem hohen Grade . Das Erhabne des Affekts ist der größte Grad des Erhabnen . Laßt uns vorher beweisen , daß jede erhabne Empfindung ein Affekt seyn müsse . Sie ist der Abdruck eines erhabnen Gegenstandes . Jede Größe steigt nach der Menge der einzelnen Theile und nach derselben Größe . Diese Theile sind von einer so großen Verschiedenheit , daß die Empfindung davon , in so fern sie wahr ist , ebenfalls aus einer Menge einzelner Empfindungen besteht , die aber nicht deutlich seyn können . Die ganze Empfindung bekömmt durch diese Menge ihre Stärke . Es wird demnach durch das Erhabne allezeit eine starke Empfindung , welche aus vielen einzelnen verworrnen zusammengeflossen ist , verursacht . Eine starke Empfindung aber von der Beschaffenheit ist ein Affekt . Also ist eine jede Empfindung ein Affekt . Man kann demnach behaupten , daß eine jede starke Empfindung , welche durch einen hohen Grad des natürlichen oder moralischen Schönen verursacht worden , eine erhabne Empfindung sey . Denn das natürliche oder moralische Schöne ist von den erhabnen Empfindungen unzertrennlich ; weil keine wahre Erhabenheit ohne natürliche oder moralische Größe , in Absicht der Empfindung , seyn kann . Die größte Empfindung ist der größte Grad des Erhabnen . Bey einer jeden Empfindung stellt sich die Seele mehr Verschiedenheit vor , als bey jedem Gedanken von gleicher Beschaffenheit . Also sind mehr Schönheiten da , folglich ist das Bild lebhafter ; also sind mehrere Vollkommenheiten , als bey einem erhabnen Gedanken , in so fern er von der Empfindung unterschieden ist . Da nun bey der
handlung vom Erhabnen , die sowohl in der Bibliothek der schönen Wissenschaften im 2ten B. als auch in den philosophischen Schriften befindlich ist ; und der englische Philosoph in der Philosophical Inquiry in to the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful , the second edition . London 1759 in 8. davon H. Secret . Leßing eine Uebersetzung mit eignen Abhandlungen begleitet herausgeben wird .
Empfindung der größten Vollkommenheit , außer dem scharfsinnigen Witz , noch Triebfedern hinzukommen , welche das lebhafte Bild zu der größten Höhe erheben , und nicht mehr Wege möglich sind , auf denen wir zu dem Erhabnen gelangen , nämlich entweder durch die Gedanken , in genau bestimmter Bedeutung genommen , oder durch die Empfindungen ; so folgt , daß die größte Empfindung der höchste Grad des Erhabnen ist . Der höchste Grad des Erhabnen ist der größte Affekt . Eine Ode aber , wo der größte Affekt herrscht , ist die vollkommenste ; also ist die erhabne Ode die vollkommenste . Also muß in der Ode , mit allen andern Gedichten verglichen , die größte Erhabenheit herrschen . Man wird diese vorzügliche Eigenschaft in vielen Davidischen Psalmen , in den Oden des Pindars , Horaz , und einigen neuen Dichtern antreffen . Besonders aber ist des H. v. Hallers Ode über die Ewigkeit reich an erhabenen Gemälden .
Das Wunderbare . Die Kunstrichter , welche ihre Begriffe von den Schönheiten eines Gedichtes nur aus dem Homer und Virgil geschöpft haben , geben uns eine so enge Erklärung von dieser Eigenschaft , daß man sich nicht einmal einfallen lassen könnte , wenn man ihnen folgen wollte , in der Ode diese Schönheit zu finden . Weil sie in dem griechischen und römischen Dichter kein ander Wunderbares finden konnten , als das Wunderbare der Maschinen , ( ministerium Deorum , Petron . ) ; so glaubten sie berechtigt zu seyn , alles andere davon auszuschliessen . Laßt uns einen bestimmtern Begriff festsetzen . Das Wunderbare gränzt am nächsten an das Erhabne , es wird also etwas mit demselben gemein haben . Das Außerordentliche , welches die uns bekannten Kräfte zu übersteigen scheint , ist das Wunderbare . Es mögen Handlungen , Begebenheiten , oder Vorfälle seyn ; wenn sie uns unglaublich vorkommen , so haben sie die Eigenschaften des Wunderbaren an sich . Die Empfindungen , welche durch außerordentliche Wirkungen unbekannter Kräfte verursacht worden , sind wunderbar .
Eine außerordentliche Sache kömmt uns dem ersten Anscheine nach unglaublich , folglich unwahrscheinlich , also widersprechend vor . Die Empfindungen demnach , welche einander zu widersprechen scheinen , sind wunderbar . Das Wahrscheinliche muß allezeit bey diesen Empfindungen seyn , wenn es nicht ein falsches oder verfehltes Wunderbares seyn soll . Es ist wahr , die Wahrscheinlichkeit ist hier in einem Nebel verhüllt , sie muß aber doch durch eine genaue Untersuchung können entdeckt werden . Dieses Wunderbare der Empfindungen ist von dem Wunderbaren der Maschinen , der Geschichte , der dramatischen Poesie und der Fabel darinn unterschieden , daß es keine versteckten Zubereitungen von weitem braucht . Es ist heftiger , und überrascht uns , ohne daß es einmal nur zu der Vermuthung Anlaß gebe , itzt würden wir etwas zu erwarten haben . Je plötzlicher , je unvermutheter die Veränderung des Affekts ist , je mehrere Folgen daraus entstehn , je mehr widersprechend die verbundenen Empfindungen zu seyn scheinen ; je größer ist dieses Wunderbare . Jedes Erhabne ist wunderbar , aber nicht jedes Wunderbare erhaben .
Das Unerwartete . Dasjenige ist unerwartet , was wir durch unser Vorhersehungsvermögen uns nicht vorgestellt haben . Folglich ist jede Empfindung , die nicht ihren Grund in der Vorhersehung gehabt , unerwartet . Also , die wir nicht als eine Folge der vorhergehenden gekannt , mithin deren Verbindung wir uns nicht bewußt gewesen ; folglich , die wir uns nur dunkel vorgestellet haben . Also kann unter diesen Umständen die Empfindung selbst , oder auch die Aehnlichkeit mit den gehabten Empfindungen , in das Reich der Dunkelheit gehören . Es kann uns etwas unerwartet seyn , weil wir dasselbe entweder als unter oder außer unserm Gesichtskreise uns vorgestellt , oder weil wir , wegen unsrer Einschränkung , mit unsern Vorstellungen nicht darauf kommen konnten . In beyden
Fällen kann entweder der Gegenstand selbst schon , oder die Verbindung , in welcher er steht , unerwartet seyn . Der unerwartete Gegenstand kann entweder eine eigne Empfindung oder eine mitgetheilte seyn . In dem ersten Falle wird der erste Eindruck davon , uns wider unsern Willen einnehmen ; in dem andern aber nur alsdann , wenn er betrachtungswürdig ist . Der erste Eindruck kann weniger reizende Merkmale haben , als der mitgetheilte . Es muß demnach jede mitgetheilte Empfindung von der Beschaffenheit seyn , daß sie unsre Aufmerksamkeit zu reizen vermögend ist . Dieses aber wird geschehen , wenn sie in unsre Sphäre gehöret . In der Ode müssen folglich nur solche Empfindungen seyn , die einen Reiz bey sich führen .
Das Unerwartete ist größer , nachdem wir weniger Empfindungen gehabt , die mit dem Gegenstande eine Aehnlichkeit hatten , und je größer diese Aehnlichkeit ist . Je unerwarteter der Gegenstand , je unvermutheter die Verbindung , in welche derselbe eingeflochten ist , desto unerwarteter ist die Empfindung . Das Unerwartete kann seinen Ursprung von der Zeit , Veranlassung , Gegend , Nation , dem Charakter , den Sitten , der Religion haben . Auch nach diesen kann man die Beschaffenheit untersuchen , und die Größe des Unerwarteten messen . Wenn alle diese Quellen in einem besondern Grade vereinigt sind , so entsteht daraus das Unerwartete von vorzüglicher Art . Jedes Erhabne , jedes Wunderbare ist unerwartet . Die Beschaffenheit dieser Schönheiten kann also daraus noch weiter bestimmt , und die Größe derselben nach dem vorher angezeigten Maaßstabe abgemessen werden . Das Ueberraschende ist ein hoher Grad des Unerwarteten . Diese Schönheit haben sich die Neuern , besonders in den Oden , eigen gemacht , und dadurch einen Vorzug vor den Alten erreicht . In der Sammlung vermischter Schriften findet man verschiedene vortreffliche Stücke von der Art . Hier sind einige Stellen :
Daß Mops darum auf Neure schmählet ,
Weil sie nicht jener Geist beseelet ,
Der nicht der Alten Liedern fehlet ,
Das räum ich ein .
Doch sollt er diesen Geist wohl kennen ,
Nicht nur der Alten Werke nennen ,
Auch ihre Schönheit fühlen können ?
Ich glaube , nein . 1 B. S. 261 .
Ein Reimer fühlt es , daß ich denke .
Er seufzt : " Das Denken stürzet dich !
Wo denken Neukirch , Hank und ich ?
Sey sicher , daß ich niemals mich
Auf eures Hallers Seite lenke ,
So oft ich auch die Welt beschenke .
Das Denken wird zwar sehr gemein ;
Doch willst du groß , wie Stoppe , seyn :
So sage nichts , und reime rein ! "
Ich denke . 2 B. S. 384 .
Mich rührt der Musen heitre Kunst .
Doch kaum buhl ich um ihre Gunst ,
So spricht er : " Solcher Ruhm ist Dunst .
Schreibt , soll euch ein Gelehrter lesen ,
Von Mitteln , Zwecken und von Wesen . "
Drauf lehrt er mich , wie man beweist ,
Und bringt mir sein System . Ich folge meinen Pflichten ;
Ich les ihn , den soliden Geist , — —
Um auf ihn Satyren zu dichten .
Zum wenigsten sind , wie er spricht :
" Die Verse für Gelehrte nicht .
Schreibt zu der Jugend Unterricht !
Wen rühret Klopstock ? Wer lobt Kleisten ?
Wer klug ist , dichtet für die meisten .
Den , der nicht logisch denken kann ,
Erbaut ein Neukirch noch . " So gleich laß ich mich lenken ;
Und ihm zu folgen , fang ich an — —
In reimlosen Versen zu denken . Ebendas. S. 387 .
Das Neue . Die entdeckte Bestimmung eines Dinges ist das Neue . Wir können entweder auf den Gegenstand an sich betrachtet , oder auf das Verhältniß , darinn er steht , sehen . Im ersten Falle ist es das Neue des Gegenstandes , im andern das Neue der Verbindung . Das Neue hat zur unzertrennlichen Folge das Vergnügen ; weil allezeit aus der erlangten Erkenntniß von Dingen , und aus der gesättigten Neubegierde ein Vergnügen entspringt . Die neuen Empfindungen aber begleitet eine vorzügliche Art desselben , welches das rührende Vergnügen ist : da die neuen Gedanken nur ein stilles und ruhiges Vergnügen zur Folge haben . Jeder Gegenstand ist eine Quelle des Neuen . Diese Eigenschaft ist eine Schönheit , welche , mit allen andern verglichen , am unerschöpflichsten ist . Sie kann allgemein angebracht werden . Dem Odendichter , welcher das Aufgeklärte der Wissenschaften kennt , die ihren Glanz auf jede große Seele in gleicher Stärke ausbreiten ; den die wahre Bestimmung der Dinge und ihre Vollkommenheit mit nicht gemeinen Empfindungen erfüllt , wird allezeit das Neue , als ein Hauptzug seines poetischen Charakters , eigen seyn . Allein er wird niemals den Fehler begehn , daß man ihm ansehen könnte , er mache das Neue zu seiner ersten Absicht , er zwinge sich , das noch nie Empfundene und Gesagte aufzuspüren ; denn das Neue muß jederzeit von dem Gekünstelten unterschieden werden ; also nie gezwungen seyn . Dem wahrhaftschönen Geiste wird sich das Neue von selbst darbieten ; er wird es allezeit nach seinem Belieben in seiner Gewalt haben ; und es wird ein Sklave des Dichters seyn : da der unwitzige Kopf allezeit ein Sklave des Neuen ; folglich des Gekünstelten , ist Doch dieser Fehler ist unter den poetischen Insekten nicht allzuhäufig , oder vielmehr noch selten ; weil sie entweder allzuschwach sind , das Neue nachzuäffen ; oder weil es ihnen noch nicht eingefallen , daß ein vorzügliches Gedicht auch das Gepräge des Neuen haben müsse . .
Das Neue des Gegenstandes mit dem Neuen der Verbindung vereinigt , ist der wahre Punkt der Schönheit dieser Eigenschaft . Je unbekannter der Gegenstand gewesen ; folglich je weniger Aehnlichkeit die gehabten Empfindungen mit den gegenwärtigen haben , je schöner die neue Verknüpfung ist ; desto größer ist die neue Empfindung . Zu dem Neuen gehört nie das Unvermuthete , als eine Eigenschaft desselben betrachtet . Denn es kann etwas neu seyn , welches wir auf das stärkste vermuthet ; also unterscheidet sich dadurch das Neue von dem Unerwarteten . Allein , alles Unerwartete ist neu . Da nun erwiesen worden , daß das Erhabne und Wunderbare unerwartet ist ; so muß auch jedes Erhabne und Wunderbare neu seyn . Durch diese Schönheit wird das Erhabne und Wunderbare mit einem verzüglichen Glanze erhellet , und nachdem dasselbe bekannter und gemeiner wird , folglich nachdem es seine Neuheit verliehrt ; nachdem fällt es auch selbst und verwelkt .
Wenn diese zufälligen Eigenschaften unter einander verglichen , und die verglichnen mit den wesentlichen Bestimmungen zusammen gehalten werden ; so kann sowohl die Beschaffenheit als der Grad , folglich die Merkmale der Schönheit , also das Vorzüglichste , nämlich die Charakteristik der Ode , näher bestimmt werden .
Die Methode . Nachdem die besondern Schönheiten dieses schönen Ganzen untersucht worden , welches zu der vollständigen Einsicht in die wahre Vollkommenheit dieser Gattung von Gedichten unentbehrlich war ; so laßt uns zu der Betrachtung der Methode übergehen . Wir verstehen darunter die Art , Gegenstände mit einander zu verbinden : also einzelne Theile eines Ganzen genau zu verknüpfen .
Die Methode der Ode ist demnach die bestimmte Art , die einzelnen Züge des Affekts in ihrem richtigen Verhältnisse zu setzen . Da es so verschiedene Affekten und so mannich-
faltige Abwechslungen derselben , so viel abändernde Empfindungen , und unendliche Arten giebt , den rührenden Gegenstand sich vorzustellen ; so wird die odenmäßige Methode an Abwechslung alle andere Arten von Gedichten übertreffen . Das Wesen dieser Methode besteht in der Aehnlichkeit des Entstehens , der abwechselnden Fortdauer und des Aufhörens des Affekts . Diese Aehnlichkeit wird wegen der stark abändernden Bilder , und derselben nicht gewöhnlichen , also unordentlich scheinenden Verknüpfung , nicht so gleich in die Augen fallen . Diese Methode wird demnach in einzelnen Fällen schwer zu entdecken seyn . Nur der Empfindungsreiche , welcher seinen Geschmack bis zu dem Grade des Genauen und Feinen erhöhet hat , wird richtig davon urtheilen können . So wie das Gedicht überhaupt von einer philosophischen Untersuchung verschieden ist , so ist die Methode der Ode von den übrigen Arten der Gedichte unterschieden . Die Ode hat nicht den gleichen und abgemessenen Gang des Lehrgedichtes , noch die erzählende Miene der Epopee ; sie beobachtet nicht so genau den Weg , welchen das Schäfergedicht nimmt ; sie entwickelt nicht in einer merklichen Folge die Theile einer ganzen Handlung , wie das dramatische Gedicht , sondern bezeichnet die Fußstapfen , welche der Affekt , die lebhaft zusammengedrängte Empfindung , eingedrückt hat . Ihr Inneres gleicht der Seele eines großen Geistes , der sich zu allen würdigen Gegenständen hinschwingt , und den Punkt der Vollkommenheit in einem hellen Lichte sieht ; da niedrige Geister an der Erde hin sich nur mit kleinen Gegenständen kriechend beschäfftigen . Ihre Auszierungen sind dem Putze eines geschmackvollen Mägdchen ähnlich , welche durch die mannichfaltigen Abänderungen in gut gewählten Kleidungen ihre Schönheit erhöhet .
Der Plan . Bey dieser bestimmten Art , das Verhältniß der Bilder des Affekts richtig zu wählen , können entweder die vorzüglich-
sten Bilder eines Ganzen besonders in Erwägung gezogen werden , wovon die übrigen ihren Glanz erhalten ; oder es kann der ganze Umfang aller einzelnen Züge betrachtet werden : im ersten Falle ist es der Plan ; im andern die Ausbildung des Plans . Der Plan der Ode ist demnach die verhältnißmäßige Verknüpfung der Grundbilder des Affekts . Wenn man in die eigentlichen Schönheiten eines Gedichtes eindringen will , so muß uns der bestimmte Endzweck desselben bekannt seyn . Der Odendichter sagt uns nicht gleich zu Anfange , wie der Heldendichter , den Innhalt und den Endzweck seines Gedichtes . Wir müssen also den Endzweck selbst aufsuchen . Dieses aber kann nicht anders geschehen , als aus dem bestimmten Verhältniß der Bilder . Folglich muß man aus dem Plane den Endzweck schließen . Wenn in der Ode der Endzweck gleich zu Anfange angezeigt worden , so liegt uns die gleiche Verbindlichkeit ob , den Plan des Gedichtes richtig einzusehen , um denselben mit dem Endzwecke zu vergleichen , und daraus die Schönheit des Gedichtes zu beurtheilen . Hieraus fließt : die Einsicht in den Plan des Gedichtes ist zur Empfindung der eigenthümlichen Schönheiten desselben unentbehrlich . Der Odendichter , wenn er von einem rührenden Gegenstande eingenommen ist , fühlt in seiner Seele die starken Empfindungen , wovon die Grundbilder , die den Plan ausmachen , getreue Abdrücke sind . Es liegt demnach , wenn er sich eine Ode zu schreiben entschließt , allezeit der Plan vorher in seiner Seele . Er mag denselben aufs Papier niederschreiben , oder nur denken , so wird es uns gleich viel seyn ; wenn er nur den Plan nicht lange liegen läßt , ohne ihn auszubilden : denn in diesem Falle wird entweder die Ode zu leer , oder zu gekünstelt werden , wenn er nicht ähnliche Empfindungen zu der Zeit gehabt hat . Das Verhältniß der Grundbilder muß sich nach dem Affekt richten . Das Verhältniß dieser Bilder muß also den Empfindungen proportionirt seyn .
Nachdem der Affekt heftig , also die Ode stärker ist , nachdem muß auch der Plan mit hellern Bildern gezeichnet seyn . Je lebhaftere Empfindungen , je hellere Bilder sind , je natürlicher und genauer die Verknüpfung derselben ist , desto vollkommner ist auch der Plan .
Die Ausbildung des Plans . Die Ausmalung des Plans ist die Verbindung der bezeichneten Nebenempfindungen mit den Hauptempfindungen ; oder das ganze Verhältniß der Grund- und Nebenbilder . Hier wird die eigentliche Schönheit erreicht werden , wenn der Dichter ein Meister in den schönen Empfindungen und der Einrichtung der schönen Verhältnisse der kleinen Bilder ist . Diese Bilder werden klein genennt in Absicht derjenigen , welche eigentlich den Plan ausmachen . Sie müssen , außer und in dem Zusammenhange betrachtet , nie von der Größe und Schönheit seyn , als die Bilder des Plans ; denn sonst würden sie zum Plan selbst gehören , oder die Einheit der Ode würde dadurch verletzt werden . Ihre Schönheit bekommen sie erst durch die Verknüpfung ; sie theilen wechselsweise ihr Licht , welches sie von den großen Bildern erhalten , einander , und alsdann vereinigt dem Plane wieder , mit . Sie sind das in der Ode , was die Episodien in der Epopee sind ; und so wie die Epopee durch die geschickte Verknüpfung der Episodien mit der Haupthandlung eine größere Schönheit erhält ; so wird auch die Ode durch die schöne Verbindung der kleinen Bilder vollkommner . So wie jeder Odendichter , wenn er ein Original ist , einen eignen Plan in seinen Werken haben wird ; so wird sich auch ein jeder in der Ausmalung des Plans von dem andern unterscheiden . Es wird entweder die Mannichfaltigkeit dieser kleinen Bilder , oder die verschiedene Verknüpfung derselben , oder das Majestätische , Große , Ernsthafte , Malerische , Unerwartete , Flüchtige , Leichte , Feine , Neue , Zusammengedrungne
den Unterschied derselben ausmachen . Wir werden dieses ausführlicher untersuchen , wenn wir in der Folge den Charakter der Originaldichter in der Ode , sowohl der Alten als Neuern , bestimmen .
Je mannichfaltiger diese kleinen Bilder sind , je genauer sie gewählt , je schöner sie verbunden worden ; desto vorzüglicher ist die Ausbildung des Plans .
Aus unsern entwickelten Begriffen und daraus hergeleiteten Sätzen , kann man die Richtigkeit folgender Regel aus der Mechanik der Ode beurtheilen : Im Anfange muß die Ode Affekt zeigen ; in der Folge muß der Affekt bald zu , bald abnehmen , oder in Graden steigen ; das Ende muß am stärksten seyn .