19 Köln, 1. Sept. (Die Debatte über Aufhebung der Standesprivilegien. Schluß.) Es kann uns nicht überraschen, daß nach der lyrischen Vorlesung des alten Bonner Professors über die Heiligkeit des „Idealischen, Träumerischen, Wunderbaren im deutschen Volk“ die nächsten Reden schier alle Bedeutung verlieren.
Die Versammlung läßt in Geduld verschiedene prosaische und poetische Deklamationen für und wider den Adel über sich ergehen, als der Präsident Hrn. Rösler von Oels aufruft.
Hr. Rösler erscheint auf der Tribüne: allgemeines Gelächter.
Diese merkwürdige Begrüßung von Seiten der tiefsinnigen Versammlung ist indeß nicht sowohl den geistigen Kräften des verehrlichen Abgeordneten, als vielmehr seiner äußern ausdrucksvollen Erscheinung gewidmet. Hr. Rösler trägt einen gelben Nankingrock, eine gelbe Nankingweste, dito Beinkleider, germanisch blond-gelbe Haare, und einen gelblich-rothen Bart in einem röthlich leuchtenden Angesicht. Nichts könnte Hrn. Rösler dazu bringen, dies freundliche Aussehen in irgend einer Lebenslage aufzugeben. Nichts kömmt in der That dieser angenehm in die Augen springenden Tracht gleich, mit welcher Hr. Rösler selbst den hohen Reichsverweser bei seiner Ankunft in Frankfurt überraschte, und man sagt, daß sogar der tyroler Biedersinn des bürgerthümlichen Fürsten nicht wenig erstarrt gewesen sei, als er unter der Empfangsdeputation diesen gelben Reichsvogel neben dem schwarzen Predigerfrack Robert Blum's erblickte.
Hr. Rösler weiß indeß den Schwachheiten der Versammlung zu begegnen. „Meine Herren! Lachen Sie immerhin über Aeußerlichkeiten, ich hoffe, Sie werden nicht so lachen über das, was ich sagen werde.“
Und Hr. Rösler hat Recht. Wiewohl zuweilen konfus in seiner Ausführung, ist Hr. Rösler wenigstens praktisch und entschieden in seinen einschlagenden, derben Argumenten, was um so mehr anzuerkennen ist, als sonst gerade die „äußerste“ Linke, zu welcher er gehört, mit wenigen Ausnahmen, lediglich in stelzenhafter Deklamation trivialer Tagesphrasen und Floskeln einherstolziert. Während der „reine Denker“ Arnold Ruge docirt, daß die „demokratische Monarchie“ und die „reine Demokratie“ im Grunde dasselbe seien, hat Hr. Rösler u. A. in der Diskussion über die Unabhängigkeit der Kirche bereits in dem zukünftigen Kampf der republikanischen Parteien sich zum Berg bekannt, indem er erklärt, daß er nur die „Eine und untheilbare Republik“, oder gar keine wolle.
In der vorliegenden Debatte ist Hr. Rösler der Einzige, der entschieden von revolutionären Grundsätzen ausgeht, und die Frage praktisch angreift. Er verlangt die Abschaffung des Adels nicht aus idealen oder gar bürgerlich-aristokratischen Gründen im Interesse der Töchter des Geldsackes, sondern als einen Akt revolutionärer Gerechtigkeit für das Volk. Er begibt sich auf den „historischen Boden“ insoweit, als er die Argumente der Adelsfreunde in Betreff der „idealen Erinnerungen“ und „großen historischen Rechte zu verfolgen und aus der „wunderlichen, träumerischen, idealischen“ deutschen Geschichte zu beweisen hat, daß das Volk dem Adel nichts verdankt, daß im 13. und 14. Jahrhundert „die adeligen Schnapphähne“ die Kaufleute beraubten, daß bis in's 18. Jahrhundert der Adel, voll Neid gegen die Städte, die ständische Freiheit an die Fürsten verrathen habe, und später in übermüthiger Erhebung über das Volk als Speichellecker der Fürsten sich in den Besitz von Amt und Staatsgewalt zur Knechtung des Volkes geschlichen habe. Er erinnert endlich über die heutige praktische Bedeutung des Adels daran, daß der Haß des Volkes gegen den Adel, der namentlich im Osten (Schlesien) schroff hervortrete, durch dessen kastenartige Abschließung in gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnissen, namentlich im Militärstande vollkommen gerechtfertigt sei, daß von dem Adel in neuester Zeit überall, wie in Potsdam und Innsbruck, die reaktionären Bestrebungen ausgegangen, und daß den Regierungen die Adelsverleihung meist nur als Belohnung für Volksverrath gedient, wie der preußische Demagogenfänger Tschoppe, als er der allgemeinen Verachtung zum Opfer fiel, zur Belohnung seiner Schurkerei den Adel erhalten.
„M. H.! Ich sage: wir verlangen Abschaffung des Adels, das Volk verlangt sie als Genugthuung für den vielen Schimpf, der uns mit der Verleihung angethan wurde, für den vielen Schimpf, daß man Manche unserer bessern Männer aus uns nehmen und adeln konnte, als wenn sie dann was Besseres würden, für den vielen Schimpf, daß der Adelige, der in's Zuchthaus kam, vorher zum Bürgerlichen gemacht wurde. Wenn Sie den Adel nicht abschaffen, so darf ich verlangen, daß auch der Bürgerliche, wenn er in das Zuchthaus kommt, zum Adeligen gemacht werde, damit Gleichheit herauskomme.“
Hr. Rösler erklärt, man dürfe sich nicht beklagen, daß die Maitreffen der Fürsten und ihre Bastarde geadelt würden; er hätte in Betreff des alten Arndt, der den Adel „zur höheren Tugend berufen“ proklamirte, auch den Ausspruch Franklin's wiederholen können: Wenn der Adel ein Verdienst sein soll, so adele man lieber die Eltern, welche den „ausgezeichneten Bürger“ erzeugt, als die Nachkommen, deren „Tugend“ problematisch ist.
Hr. Rösler hatte Recht darin, daß die Versammlung seine Worte nicht belachen werde; aber die Komik folgt ihm auf dem Fuße.
Ex-Fürst Lichnowsky aus Ratibor besteigt die Tribüne.
Hr. Lichnowsky, der ritterliche Freund der Posener zinsleihenden Deutsch-Juden, hat von dem hallischen Lichtfreund, Herrn Schwetschke, gelernt, daß die Aufhebung des Adels das „Aufhören der Familiennamen“ begründe; er erklärt daher begreiflicher Weise sehr entschieden, daß er „so recht eigentlich pro domo, pro aris et focis“, so recht für seine Interessen kämpfen wolle. Was sollte aus den „Interessen“ des Junker Lichnowsky werden, wenn sein fürstlicher Name aufhörte? Ist nicht der fürstliche Name des Hrn. Lichnowsky sein Kapital und seine Interessen zugleich?
Junker Lichnowsky beginnt mit der Bemerkung, daß einige Redner gegen die Abschaffung des Adels gesprochen, „obschon“ sie nicht zum Adel gehörten; er selbst aber sei so „ehrlich“ zu sagen, daß er den Adel vertheidige, „gerade weil“ er zum Adel gehöre. „Ich sehe nicht ein, daß ich aus dem Grund, weil ich Edelmann bin — (zur Linken:) Lachen Sie, meine Herren — und zwar aus einem alten Haus, meinen Standesgenossen nicht das Wort reden soll“.
Was die Phrase des «parce-que» und «quoique» betrifft, die von deutschen Literaten bereits auf der breitesten Grundlage platt getreten ist, so hat schon der Ex-Poet Wilhelm Jordan die biedere Versammlung damit entzückt, und wir werden sie wohl noch öfter bewundern können. Auch das „alte Haus“ des scharfsinnigen Junkers aus der deutsch-jüdischen Mancha rührt uns nur wenig, zumal wir nicht wissen, wie weit an ihm noch die praktischen „Interessen“ des Ritters haften. Was uns einzig an diesem „ehrlichen“ Bekenntniß interressirt, ist, daß der Ex-Fürst Lichnowsky nicht als Volksrepräsentant sondern als „Standesgenosse“ der Adligen spricht.
Hr. Lichnowsky unterscheidet in dem Antrag auf Abschaffung des Adels zweierlei, den rechtlichen und den faktischen Punkt. Das historische Recht, welches keinen Datum nicht hat, ist Alles, „was dem Adel anklebt“, „Privilegien, Exemtionen, Gewohnheiten“, darunter „das Recht, den Degen nicht zu tragen“, ein Recht, welches Hr. Lichnowsky ein flebile beneficium nennt, und gern preisgeben will. Mußte der edle Ritter erst nach Frankfurt kommen, um es preiszugeben?
Anders ist es mit dem faktischen Recht, der Führung der Adelstitel.
Hr. Lichnowsky beginnt zuerst resignirend: „Meine Herren! Die Abschaffung der Titel ist nichts Neues; dazu ist man in Frankreich schon längst geschritten, und wenn sie glauben, hierin dem Beispiel der beiden französischen Revolutionen nachfolgen zu müssen, ‥ nun, so nehmen Sie diese Titel weg, und seien Sie überzeugt, daß kein Edelmann auf diese Tribüne gehen und Sie bitten wird, daß Sie seine Titel (wenn sie „weggenommen“ sind) ihm lassen sollen; wenn er das thäte, wäre er nicht würdig, in der Paulskirche zu sitzen.“
Wie wunderbar plötzlich der „Standesgenosse des Adels“ sich als Mitglied der aus der Revolution, aus der Zerstörung des „historischen Rechts“ hervorgegangenen Versammlung in der Paulskirche fühlt! „Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust“: Die Interessen des „alten Hauses“, und das Bewußtsein einer revolutionären Stellung! Wenn Hrn. Lichnowsky nicht der wohlfeile Beifall der gerührten Linken tröstete, er würde selbst als ein flebile beneficium dieser trostreichen Versammlung unserer theilnehmen-Zähren gewiß sein.
„Aber,“ — fährt dann wieder der Standesherr auf seine revolutionären Tiraden fort, — „aber wenn Sie diese Titel wegnehmen wollen, so täuschen Sie sich nicht mit der Hoffnung, daß Sie dadurch den Adel abgeschafft haben. Die alte französische Revolution hat sich nicht begnügt, die Titel wegzunehmen, sie hat auch noch den Trägern der adligen Titel die Köpfe weggenommen. Das war eine wirksamere Maßregel. Zehn Jahre darauf suchte Napoleon mit der Laterne die Träger historischer Namen und zog sie an sich.
Die Träger „historischer“ Namen! Napoleon gab, als er Kaiser wurde, einem Montmorency, Talleyrand u. s. w., die damals simple „Bürger“ hießen, zuerst ein „de“ vor ihren Namen, dann den Titel Vicomte, Comte, Prince. Er that dies aus denselben Gründen, aus denen er eine östreichische Prinzessin sich zur Seite nahm; sein eigentlicher Adel war nicht der alte, dem er nie den vollen Titel wiedergab, sondern der neue Soldatenadel. Aber die Träger „historischer“ Namen, — was versteht Hr. Lichnowsky darunter? Die Träger des sicherlich „historischen“ Namens: Danton sind Getraidehändler an: Boulevard Bourdon, die Träger des „historischen“ Namens: Barbaroux haben eine Modehandlung in der Rue St. Honoré zu Paris, und ein Mann, der den historischen Namen Couthon trägt, verkauft baumwollene Schlafmützen in der Rue St. Denis. Versteht Hr. Lichnowsky unter den „historischen“ Namen die Adelstitel? Identifizirt der scharfsinnige Junker die „Geschichte“ mit dem Adel? Wo sind die großen „historischen“ Namen der deutschen und anderen Geschichte? Ist nichr Wat Tyler, der grobe Schmiedemeister, der mit seinem Hammet einen Thron erzittern machte, ein „historischer“ Name? Sind nicht Thomas Münzer, Luther und der aus dem Adel gestoßene Ulrich hatten „historische“ Namen?
Herr Lichnowsky aber versichert, daß trotz alledem und alledem