17 Paris, 8. Juli. Wie weit diese Thermidorier von 1848 den Abhang hinunter rutschen werden, wer kann es wissen? Aber sehr tief und jählings bereits geht es bergab. Schon spricht Thiers in den Berathungsbureaus dreist aus: „Das Recht auf Arbeit sei ein Unding, dürfe folglich nicht in die Konstitution aufgenommen werden, er halte es für heilige Pflicht jedes Repräsentanten, sich gegen einen Paragraphen zu erklären, welcher dem Wohlbestehen und Kredit der Privatunternehmer zuwider laufe, auf Erden sei ohnehin keine Vollkommenheit u. s. w.“ Ziemlich belacht wurde sein Brief an den Bischof von L. worin er als verirrter Sohn der Kirche Buße wimmert. In dem Zirkel von Repräsentanten dem der kleine Monsieur präsidirt und wo die Rollen jedesmal einstudirt werden für die konservative Majorität, wird bereits ohne Hehl von der Herzogin von Orleans gesprochen, von neuer Auflage der Septembergesetze, von Widerruf sämmtlicher Erlasse der provisorischen Regierung. Thiers, Dupin, Barrot, sind die drei Stimmführer dieses Zirkels. Mit ihnen kokettirt bereits die legitimistische Partei, die „Gazette du Midi“ und andere Blätter z. B. haben kürzlich dem kleinen Thiers Verbeugungen gemacht.
Das Landvolk im Gironde-Departement, in der Provence, in der Bretagne wird von der Legitimität stark bearbeitet, und Freiheitsbäume sind dort eine Rarität. Dagegen sind die Vendeebauern keineswegs Royalisten; „wir haben uns für die Bourbons einst todtschlagen lassen, sagte man daselbst einem Reisenden, aber das ist jetzt vorbei.“ In Marseille, Bordeaux, Toulouse und Nimes tauchen die girondinischen Decentralisirungswünsche hier und da wieder auf. Ein Blatt von Montpellier versichert: „die Handels- und Agrikulturinteressen des südlichen Frankreich ständen von Natur- und Industriewegen denen des nördlichen unvereinbar entgegen, und nur eine Verfassung wie die helvetische oder amerikanische könne nützen; zudem seien zwei Kammern nöthig, schon um auch die äußere Aehnlichkeit mit dem so verderblichen Nationalkonvent zu meiden.“ Die Verhaftungen gehen jetzt in den Provinzen los; in Lyon und Toulon liegen manche brave Arbeiter im Kerker. Die Presse wird auch dort attakirt, seitdem der Prokurator der Republik die alten Preßmarterwerkzeuge für noch rechtsgültig erklärt hat. Die Kautionen sind in der Provinz von manchen „honneten Beamten“ so prompt eingefordert worden, daß mehrere demokratische Blätter aufhörten; so in Lyon und St. Etienne, Rheims etc. Für Paris ist der Termin auf den 12. Juli angesetzt; wer bis dahin nicht kautionirt ist, wird unterdrückt.
12 Paris, 8. Juli. Die alte Linke ist wieder vollständig konstituirt und Thiers steht an ihrer Spitze. In dem sogenannten Cirkel der „rue Poitiers“ hält sie ihre Berathungen, und Thiers lenkt und leitet dieselben mit seiner allbekannten „Ueberlegenheit“. Alle extra-legalen Maßregeln, die jetzt genommen, waren im Cirkel vorbereitet, diskutirt und beschlossen worden und Thiers hatte hierin seine „Ueberlegenheit“ bekundet und bewährt. Ihr glaubt etwa, Cavaignac habe die Auflösung der Nationalwerkstätten beschlossen; falsch! Thiers hatte es vorhin beschlossen, er hatte die Nothwendigkeit erkannt, die Faubourgs zu entwaffnen und ein Lager von 80,000 Mann vor Paris zu errichten. Thiers ist's, der verlangt, daß die Klubs provisorisch geschlossen, und die Freiheit der Presse, der „antisozialen“ Presse, beschränkt werde. Ein Glück, daß Herr Thiers nicht noch weiter geht mit seinen Forderungen, und wenn die Regierung nur den Fantasien des Hrn. Thiers nachkommt, so wird er ihr seine Stütze nicht entziehen. „Herr Thiers, sagen die Debats, ist wirklich einer jener würdigen Männer, die das Gute wollen, ohne Geräusch, ohne Prunk; seine Haltung ist so gemäßigt, wie sie nur sein kann, und wenn die exekutive Gewalt sich nicht mit ihm verständigt, so könnte es geschehn, daß die Versammlung mit der Vorlegung einer Unmasse von Dekreten zu thun bekäme.“
Glücklicher Weise wird die Versammlung mit dieser Unmasse von Dekreten verschont bleiben; denn die exekutive Gewalt verständigt sich mit Herrn Thiers auf eine wahrhaft herzliche, innige Weise.
Wenn Herr Thiers in den öffentlichen Debatten noch sehr zurückhaltend ist, so tritt er desto ungehaltener in den Privat-Versammlungen und den Büreaus auf. Herr Remilly ist der Herold des Herrn Thiers; Herr Remilly war bestimmt gewesen, den Lastträ-
ger der Thiers'schen Propositionen in der Kammer zu sein. Aber wenn der Lastträger Remilly nicht durchdrang, so war der Erfolg des Herrn Thiers um so viel zuverläßiger.
Herr Thiers also ist der Chef der Reaktion, und die Reaktion ist siegreich. Wenn man auch nicht mehr von Regence spricht, so sperrt man doch alle Thüren der Republik ab, und setzte sich ihrer weitern Fortbildung entgegen.
Auf die Versammlung der Repräsentanten darf man nicht zählen; denn der Augenblick ist nahe, wo man alle Diskussionen unterdrücken wird, um schneller zum Ziele zu eilen. „Die Repräsentanten, sagt das Journal des Debats, thun weislich daran, sich mit der öffentlichen Gewalt zu berathschlagen und zu verständigen, und ihr nur dann öffentlich entgegenzutreten, wenn sie nicht zu einem patriotischen und freundschaftlichen Verständnisse gelangen können.“
Paris, 8. Juli. Paris war seit dem 24. Februar ohne Gemeinderath. Es stand so zu sagen unter dem Scepter Marrast's. Cavaignac macht auch dieser Konkurrenz ein Ende, indem er im heutigen Moniteur einen Befehl erläßt, der die sofortige Bildung eines provisorischen Gemeinderathes verordnet. Derselbe besteht aus 35 Gliedern, die größtentheils dem alten Gemeinderathe und den bedeutendsten Notabilitäten der Stadt angehören. Viele Leute sehen in dieser Verordnung den ersten Schritt zum Sturze Marrast's.
‒ Tourret, der neue Ackerbau- und Handelsminister, hat ein Rundschreiben an alle Präfekten erlassen, worin es bezüglich der Arbeiter heißt: „Die Anziehungskraft bekämpfen, welche die Städte auf das platte Land üben, dem unüberlegten Drange ein Ziel setzen, welche dem Ackerbau jene Hände entzieht, deren Ueberfluß in den fabrik- und manufakturreichen Städten leicht zu Finanzkrisen und blutigen Zusammenstößen führt; jedem Arbeitszweige nur diejenige Arbeitermenge zuwenden, deren er bedarf, um sich und dem Wohle der Arbeiter zu genügen: Das ist das Ziel, dem mein Departement nachstrebt und zu dem auch Sie beizutragen berufen sind u. s. w.
‒ Der Seidenertrag während des Monats Juni betrug in Lyon laut der diesfälligen offiziellen Bulletins über Seidenbau 95,565 Kilogramme im Ganzen.
‒ Ueber das Gefecht in den Steinbrüchen und Weingärten von Montmartre sind die Angaben verschieden. Die Debats geben die Zahl der Verwundeten auf 24 an. Die Union legt dagegen den einzelnen Schüssen gar keine Wichtigkeit bei. Offizielle Berichte fehlen.
‒ Lamartine liegt seit einigen Tagen auf dem Krankenbett.
‒ Drouin de Lhuys wird als Minister des Auswärtigen genannt, da General Bedeau sich immer noch weigert, dieses Portefeuille anzunehmen.
‒ Cavaignac hat gestern der Nationalversammlung angezeigt, daß er bereits eine Truppenmacht von 50,000 Mann um Paris zusammengezogen habe. Die Hauptpunkte derselben seien Auxerre, Tonnerre, Avallon, Semur, Sens u. s. w. Auf den ersten Wink könnten sie den 200,000 Mann der Bürgerwehr von Paris nebst Weichbild zu Hülfe eilen.
‒ Die Theater, d. h. die subventionirten, werden Montags ihre Vorstellungen wieder beginnen.
‒ Im Laufe der gestrigen Nationalversammlung äußerte Cavaignac: daß er ihr nächstens die zur Befestigung der französischen Küsten nöthigen Kredite abverlangen werde.
‒ Andryane, der Leidensgefährte Silvio Pellico's und Verfasser der Memoiren des Spielbergs, befindet sich unter den Opfern der Junirevolution.
‒ Die Bank hat endlich 100,000 Fr. für die Blessirten der Junirevolution unterzeichnet.
‒ Proudhon macht in seinem Blatte den erbaulichen Vorschlag, allen Haus-, Grund-, Hypotheken- und Staatsfonds-Besitzern, vom 15. Juli 1848 bis 15. Juli 1851, also während drei Jahren, ein Drittel ihrer Forderungen abzuzwacken und mit den hierdurch gewonnenen Milliarden den öffentlichen Kredit herzustellen. O Luftschlösser!
‒ Auszug aus der gestrigen Nationalversammlung. Delongrais, eines der Glieder des Finanzausschusses: ‚Alle Diejenigen, welche dem Kurslaufe der letzten Zeit folgten, werden bemerkt haben, daß die 3 proz. in demselben Maßstabe als die 5proz. in die Höhe stiegen. Das kam daher, daß die Börsenwelt sagte: man will die Schatzbons in 3 proz. Rente (und nicht in 5proz.) zum Tageskurse verwandeln (consolidiren). Wir wären also große Thoren, wenn wir den Kurs, den man zu 48 bis 52 angeschlagen hat, nicht so niedrig als möglich zu erhalten strebten. Wohlgemerkt, die 3 proz. Rente dient ausschließlich zum Börsenspiele.
Die Börsenspieler sind aber auch gleichzeitig die Inhaber der Schatzbons, mithin würden wir eine Ungerechtigkeit begehen, wenn wir diesen Plänen nicht durch einen möglichst hohen Kurs begegneten.“
Diese Rede trug viel dazu bei, daß Goudchaux, der höchstens 52 zugeben wollte, sich mit 55 begnügte.
[#]‒ Nationalversammlung. Keine öffentliche Sitzung wegen Saalreparatur.
In dem Bureaux wurde ausschließlich der neue Verfassungsentwurf geprüft und einige Blicke in das Unterrichtsgesetz und die neue Progressivsteuer geworfen.
‒ Die Gazette des Tribunaux giebt folgende Details über die Verhaftung des Eskadronschefs Konstantin, der als beigeordneter Rapporteur mit im Kriegsrathe zur Untersuchung der Juniereignisse saß.
„Der Kommandant Konstantin, der in der Straße Saint Antoine, nahe bei der Kirche Saint Marie und dem Platze der Bastille wohnt, soll am 24. und 25. Juni mitten unter den Insurgenten gesehen worden sein, wie er als Ouvrier mit einer Bluse und einer Mütze verkleidet, dieselben zum Kampfe aufmunterte und selbst mitkämpfte. Mehrere Beschuldigten aus dem Faubourg Saint Antoine sollen dieses Geständniß abgelegt haben.
„Man versichert ferner, daß dieser Offizier, der früher am Ministerium attachirt war, sich schmählicher Aeußerungen gegen den erlauchten General Cavaignac habe zu Schulden kommen lassen. Die Kommission hat auf den Grund dieser Erklärungen die Verhaftung des Kommandanten zu verordnen für gut erachtet, und Konstantin ist also angeklagt, Einer der Urheber, Anst fter oder Aufwiegler zu sein, welche die Insurgenten vorbereitet oder aufgemuntert haben, die Waffen gegen ihre Mitbürger und gegen die aus der Volkssouveränität hervorgegangene Regierung zu ergreifen.
Der Kommandant Konstantin, der nach der Februarrevolution vom Kriegsminister Subervie zu seinem Kabinetschef ernannt worden, hatte sich als Kandidat zur Nationalversammlung im Seinedepartement gestellt. Als Nachbar des Faubourg Saint Antoine war er den Bewohnern dieses Quartiers sehr bekannt; er besuchte die Klubs, wo sein demokratisches Glaubensbe enntniß häufig zur Sprache kam.
„Auf Befehl der Untersuchungskommission sind alle Aktenstücke in Betreff der Individuen, gegen welche der Kommandant Constantin die Instruktion eingeleitet und überwacht hatte, der Nationalversammlung überbracht worden.
„Ein sonderbarer Umstand fand übrigens bei der Verhaftung Statt. Constantin, als Mitglied der Untersuchungskommission, war nahe daran mit der Vollstreckung des ihn betreffenden Verhaftungsbefehl selbst beauftragt zu werden.“