Kuratel!
Der Koadjutor der Wiener Erzdiözeſe, Doktor
Nagel, hat an alle Vereine, welche ſich „katho-
liſch“ nennen oder als „katholiſch“ gelten wollen,
einen Erlaß gerichtet, welcher für alle, die ſich jenem
kirchlichen Dekrete beugen wollen, nichts anderes
bedeutet als die vollkommene bürgerliche Ent-
rechtung.
Wenn der Plan gelingt, den die Herrſchſucht
des Verweſers der Wiener Erzdiözeſe ausgeheckt hat,
geht es nimmer tiefer, iſt die Verknechtung am
Ziele. Fürſtbiſchof Nagel hat über alle „katholiſchen“
Vereine der Erzdiözeſe Wien die Kuratel verhängt,
die Möglichkeit auch nur der leiſeſten Regung bür-
gerlicher Selbſtändigkeit „katholiſcher“ Körperſchaſten
brutal erwürgt, alles, was da den Namen einer
„katholiſchen“ Vereinigung tragen will, entmündigt,
entmannt.
Man könnte, müßte es für einen blutigen Faſt-
nachtsulk eines Cynikers halten, wenn es nicht im
Wiener Diözeſanblatt und in der Reichspoſt ſtünde.
Zum Dank für ſeine Gläubigkeit, für die rührende
Einfalt, in der das klerikal geſinnte Volk dem Klerus
gab, was es ihm nur geben konnte; zum Dank für
ſeine Selbſtentäußerung, in der es ſeiner Nöte ver-
gaß, für den politiſchen Klerus frondete, vor deſſen
Mandataren auf die Knie fiel und ihnen mit den
müden wunden Rücken eine Leiter machte, auf denen
die „Diener Gottes“ von den Altären nach den
Höhen dieſer Welt, zu irdiſcher Macht und reich-
beſtellten Tafeln klimmen konnten; zum Dank und
Lohn für Opfer über Opfer an Treue, Selbſtver-
geſſenheit, Demut drückt der hochwürdigſte Herr
Nagel den „katholiſchen“ Vereinen vor der ganzen
Welt das Sklavenmal auf, indem er folgendes
„verordnet“:
1. Jeder Verein, welcher der katholiſchen Sache
dienen und den Schutz und Segen des Oberhirten
der Erzdiözeſe genießen will, hat für ſeine Sta-
tuten die Genehmigung des fürſterzbiſchöf-
lichen Ordinariats anzuſuchen. Wo dies bei be-
ſtehenden Vereinen unterlaſſen worden wäre, ſoll es
baldmöglichſt, wenigſtens aber innerhalb dreier Mo-
nate nachgeholt werden. So oft das Anſuchen um
ſtaatliche Genehmigung eines katholiſchen Vereines
(Kongregation) notwendig und förderlich erſcheint,
hat dieſes Anſuchen nach erfolgter kirchlicher
Genehmigung der Statuten zu geſchehen.
2. Jeder Verein hat nach Schluß eines jeden
Vereinsjahres einen kurzen Tätigkeitsbericht an das
fürſterzbiſchöfliche Ordinariat einzuſenden.
3. Vereine, welche Vereinsnachrichten mittels
der Preſſeoder Schreibmaſchine (!) veröffentlichen oder
Zeitſchriften zur Förderung des Vereinszweckes
publizieren, haben ein Exemplar dieſer Publikationen
an das Vereinsarchiv des fürſterzbiſchöflichen Ordi-
nariates einzuſenden.
4. Kein Verein darf aufgelöſt werden,
bevor das fürſterzbiſchöfliche Ordinariat nicht
hiezu ſeine Zuſtimmung gegeben hat, weshalb
vor der eventuellen Auflöſung eine motivierte Ein-
gabe an das fürſterzbiſchöfliche Ordinariat zu machen
iſt. (Alſo nicht einmal auflöſen dürfen ſich dieſe
Vereine, ganz gegen das ſtaatliche Vereinsgeſetz!)
5. Jeder Pfarrer ſoll ein genaues Verzeich-
nis der in ſeiner Pfarre beſtehenden katholiſchen
Vereine führen und wenigſtens einmal
im Jahre die in ſeiner Pfarre beſtehenden Vereine
beſuchen und durch Worte der Aufmunterung die
Vereine ſeiner Pfarre fördern. Bei den kanoniſchen
Viſitationen ſollen die Dechanten auf die Pflege des
katholiſchen Vereinslebens jedesmal ihr Augenmerk
hinrichten. Das fürſterzbiſchöfliche Ordinartat reſer-
viert ſich das Recht, durch eigens hiezu beſtellte
fürſterzbiſchöfliche Kommiſſäre die Vereine zu
überwachen.
6. Gleichartige Vereine ſollen (ähnlich wie es
beim Katholiſchen Geſellenverein iſt). Diözeſanver-
bände gründen und die diesbezüglichen Statuten
dem fürſterzbiſchöflichen Ordinariat vorlegen. — —
— Was bedarf es im bürgerlichen Leben, um einen
einzigen armen Trottel unter Kuratel zu ſtellen!
Welche Sicherungen ſind da geſchaffen, was muß
da alles an Erhebungen und Verhandlungen ge-
ſchehen, ehe ein Menſch entmündigt werden kann.
Herr Nagel aber ſtellt Hunderte von Vereinen mit
vielen tauſend Mitgliedern mit einem einzigen Ukas
im Handumdrehen unter Kuratel und — macht ſich
ſelbſt zum Kurator.
Der k. k. Richter, der einen einzigen Menſchen,
der im Beſitze ſeiner fünf Sinne iſt, entmündigen
würde, würde geſtäupt; der römiſche Agent darf
Tauſende öſterreichiſcher Staatsbürger unter Kuratel
ſtellen, entmannen und mit den Eunuchen ein Heer
organiſieren, das jederzeit bereit ſein muß, ſelbſt
gegen den Staat zu marſchieren, da in ſeinem Re-
glement die römiſche Agentur dem Staate überge-
ordnet iſt.
Und dieſe ſchimpfliche Kuratel hat man nicht
irgendwo in einem ſlawiſchen Analphabetenwinkel zu
verhängen gewagt; ihr Schauplatz iſt das Herz
Deutſchöſterreichs! Deutſche ſollen als erſte in
die tiefſte Tiefe ſchimpflicher Knechtſchaft getrieben
werden.
Würde die Staatsgewalt in irgend einem Staate
eine derartige moraliſche Niederwerfung der primärſten
Rechte der Bevölkerung wagen, ſo würde ein Sturm der
Entrüſtung durch alle Lande gehen und wenn jene Re-
gierung zufällig keine klerikale wäre, würden auch die
Klerikalen ſich nicht genug tun können mit Ausbrüchen
der Entrüſtung über eine derart ungeheuerliche Ent-
rechtung und Niederknüppelung der Bevölkerung. Aber
dem Verweſer der Erzdiözeſe Wien, die einſt einen
Kardinal Rauſcher zu den ihren zählte, der an-
ſcheinend darauf bedacht iſt, die letzten, nervöſer
Angſt entſprungenen und das katholiſche Leben
lähmenden Diktaturerläſſe des römiſchen Biſchofs
noch weit zu vergröbern, der darf den Staatsbürgern
Öſterreichs Derartiges bieten!
Auf der Bergleite.
Gebirgsroman von Luiſe Cammerer.
Nachdruck verboten. 11
Breitſpurig lehnte er ſich jetzt an den Tiſch.
„Siehſt es ja ſelbſt, daß niemand in der
Hütten herinnen iſt, kein Bub’ — kein Dirndl!
Du biſt ſchon falſch berichtet. Dein Quirin bringt
ſein wertvolles Leben nit in Gefahr!“ lächelte
Bartl ſpaßhaft. Ich täts ihm auch nit raten! Einer
der aufs Wildern ausgeht, der ſcheut die helle
Tageszeit und die geraden Wege, — der ſchleicht
auf krummen Wegen im Dunkeln umeinand’!“
„Willſt Du etwa gar ſagen, daß mein Quirin
aufs Wildern ausgeht?“ fragte Hinterhuber im
drohenden Tone.
„Ach beileib’ nit, Armenpfleger, da könnt’ ich
ja geſtraft werden!“ erwiderte Bartl mit freundlicher
Ruhe. „Eine Sach’, die man nit gewiß weiß, darf
man nit nachreden und zur Nachtzeit komm’ ich im
Winter nit vom Häuſel fort. So wars nit gemeint!
Nur das Wildern auf mein Dirndel, ’das ſollt er
halt bleiben laſſen, der Quirin!“
„Mei, der Burſch’ hat’s Militär hinter ſich
und ſeinen eigenen Willen! Wenn er die Kuni ernſt
nimmt, — ich könnt’ nix dagegen tun!“ meinte
Hinterhuber mit verſtelltem Lächeln. „Hat ſchon
mancher hausgeſeſſene Bauernſohn ein armes Dirndel
gefreit und iſt damit nit ſchlecht gefahren und Deine
Kuni iſt ein ſauberes, ein richtiges Dirndl.“
Bartl ſtutzte; wo ſollte das hinaus? Er kannte
den alten Fuchs bis in die Seele hinein, ihm konnte
Hinterhuber kein X für ein U vormachen.
„A na, ſo ein Glück ſteht meiner Kuni nit zu!
Da tät’ doch Deine ganze Freundſchaft rebelliſch
werden!“ gab er ſcherzhaft zur Antwort. „Ich
möcht’s meinem Dirndel auch gar nit ſo gut wünſchen!
Weißt, das Beſte vom Leben tut man nit ſo leicht
fortgeben und mein Kindl iſt der helle Sonnenſchein
für mein Alter. Allein wär’ ein ſchlechtes Hauſen
da herinnen! Brauchſt Dir keine unnützen Sorgen
machen unſertwegen, Hinterhuber; Dein Quirin
nimmt meine Kuni nit, — — und meine Kuni
nimmt Deinen Quirin erſt recht nit!“
„Biſt Du ein grantiges Mannsbild, Bartl!“
Mit unruhigen Schritten ging Hinterhuber in dem
kleinen, niedrigen Stübchen hin und her; ſein
ſpionierender Blick ſtreifte jeden Winkel ab, ver-
mochte aber nichts Ungehöriges zu entdecken. Er
war innerlich aufgebracht über den notigen Fretter
und hätte ihn am liebſten in geringſchätziger Weiſe
abgefertigt, doch rechtzeitig beſann er ſich noch
eines Beſſeren.
„Ich bin doch nit zu einem Streithandel zu
Dir in die eiſige Wildnis herausgekommen! Eine
Gefälligleit könnteſt Du mir tun! Du haſt einen
großen Anhang unter den Leuten, biſt um und um
in der Gegend gut bekannt um weißt um ſo manche
Familienſach’, die man nit gern unter die Leut’
bringt. In deinen jungen Jahren biſt Du als
Schneidergeſell auch allweil in „Grün“ beim Riedel-
bauern aus- und eingegangen und mit der Bürger-
meiſterin, mit der Bergleitnerin, haſt Du Dich auch
vertraulich geſtanden. Bürgermeiſter will ich werden!
Aber man könnt’ ſchon meinen, der Bergleitner, der
könnt’ noch aus ſeinem Grab heraus das Amt ver-
walten und kein anderer dürft’ ſich an ſeine Seit’
hinſtellen“, fuhr er in giftigem Tone fort. „Du
ſollſt ein Bißl für mich ſprechen da und dort und
dem Bergleitner ein Bißl was von ſeinen Tugenden
und ſeiner Rechtſchaffenheit herunter tun, damit ich
durchgeh’ bei der Wahl! Auf einen Ster Buchen-
holz und ein Stückl Geld ſolls mir nit ankommen.
Dein Häuſel kriegt ein neues Dach, Du ein neues
Gewand und ein Bißl Aufbeſſerung, wenn Du etwas
aufbringſt, was gegen Ehr’ und Anſehen des Toni
handelt!“
Bartl drückte das eine Auge zu und pfiff ſtill-
vergnügt vor ſich hin. „Mit Speck fängt man
Mäuſe“, ging es ihm durch den Sinn. Wohlweislich
ſprach er es aber nicht aus.
„Aha, ſo weht der Wind? Deswegen bemühſt
Du Dich in die eiſige Wildnis, Hinterhuber?!“
fragte er beluſtigt. „Reden könnt’ ich gar manches,
— — aber —“
„Aber?“ drängte Hinterhuber lauernd und
hielt den Bartl freundſchaftlich am Joppenärmel feſt.
„Aber ich will halt nit!“ verſicherte Bartl mit
lächelndem Gleichmut. „Eine Freundſchaft um die
andere! Gelt, jetzt könnteſt Du mich brauchen?
Doch damals vor acht Jahren, wie ich als Zieler
am Scheibenſtand mein Aug’ verloren und mit der
Gegen ein windiſches Genoſſenſchafts-
inſtruktorat.
Letzten Samstag abends fand in der Gam-
brinushalle die von uns angekündigte, vom deutſchen
Handwerkervereine und dem Genoſſenſchaftsverbande
einberufene Proteſtverſammlung gegen die etwaige
Errichtung eines ſloveniſchen Genoſſenſchaftsinſtruk-
torates in Laibach, dem auch unterſteiriſche
Genoſſenſchaften untergeordnet werden ſollen, ſtatt.
Da die Montagsblätter über dieſe Verſammlung
bereits ausführlich berichteten, können wir uns da-
mit begnügen, die weſentlichſten Punkte der Ver-
ſammlung hervorzuheben.
Gemeinderat Herr Kral eröffnete namens der
genannten Körperſchaften die Verſammlung, be-
grüßte insbeſondere die Abg. Marckhl und
Waſtian, verwies kurz auf die Gründe, aus
welchen die Verſammlung einberufen wurde und
erteilte hierauf dem Abg. Marckhl das Wort.
Abg. Marckhl bezeichnete als das erſte greif-
bare Auftauchen des Planes, in Laibach ein windiſches
Genoſſenſchaftsinſtruktorat zu errichten, jene von
den windiſchen hochwürdigen Abg. Krek und
Zitnik und dem kraineriſchen Landeshauptmanne
Schuklje am 18. Mai 1909 im Abgeordneten-
hauſe eingebrachte Interpellation, in welcher aus-
geführt wurde, daß der Genoſſenſchaftsinſtruktor in
Trieſt ſeiner Aufgabe in Krain nicht genügend
nachkommen könne und daß daher „für Krain und
die angrenzenden Gebiete ein eigenes Genoſſen-
ſchaftsinſtruktorat mit dem Amtsſitze in Laibach er-
richtet werden ſolle. Unter dem plauſiblen Vor-
wande ſoll ein für uns außerordentlich gefährlicher
Gedanke eingeſchmuggelt werden, deſſen Realiſierung
die Auslieferung des unterſteiriſchen deutſchen Ge-
noſſenſchaftsweſens an die ſloveniſchen politiſchen
Machthaber bedeuten würde Die Folge davon würde
ſein, daß in den Genoſſenſchaften an die Stelle
ſachlicher Arbeit der Kampf um die nationalpolitiſche
Macht und der ſtete tiefſte Unfriede treten würden,
welche gerade das verhindern würden, was der
Zweck der Genoſſenſchaften ſein ſoll. Das
wäre die Auslieferung an eine Machthaber-
ſchaft, welche wohl den Befähigungsnachweis für
die maßloſe politiſche Agitation und für die natio-
nale Volksverhetzung, nie aber für erfolgreiche wirt-
ſchaftliche Arbeit erbracht hat, es ſei denn, daß man
die ſkrupelloſe politiſche Ausnützung mit nachfol-
gendem Zuſammenbruch der Poſojilnicas und ähn-
licher Geldinſtitute als einen ſolchen Befähigungs-
nachweis betrachten wolle. (Lebhafter Beifall.)
Dieſer Plan ſowie eine Reihe anderer Beſtre-
bungen, welche der Redner anführte, bezwecken durch-
wegs, das künftige Großſlowenien, den Trialismus
auf dem Verwaltungswege vorzubereiten und die
deutſche Bevölkerung dieſem allſlawiſchen Plane auf-
zuopfern. Redner begrüßte die rechtzeitige Stellung-
nahme der Deutſchen im Unterlande; wenn auch
das Handelsminiſterium erklärte, von einem ſolchen
Plane nichts zu wiſſen, ſo müſſe dem entgegenge-
halten werden, daß andere Faktoren emſig an deſſen
Verwirklichung arbeiten. Abg. Marckhl ſchloß
mit den Worten:
Seit einiger Zeit wird von gewiſſen (neuen)
Blättern in Marburg und beſonders in Clli
mit der deutſchen Sprache journaliſti-
ſcher Mißbrauch getrieben, um in den deut-
ſchen Gewerbekreiſen Mißtrauen gegen die übrigen
Mitbewohner zu erregen und in dem Streben, ſich
einen unlauteren Broterwerb zu ſchaffen, in die
deutſche Bewohnerſchaft Verwirrung zu bringen.
Man möge aber überzeugt ſein, daß an der ſtrammen
Einigkeit der Deutſchen aller Stände derartige Ver-
ſuche einer politiſchen Brunnenvergiftung erfolglos
abprallen werden. Dies iſt meine Überzeugung und
mein Wunſch, der in Erfüllung gehen möge. Ich
bitte, auch dieſer Angelegenheit Ihre ernſte Aufmerk-
ſamkeit zuzuwenden. — Stürmiſcher Beifall folgte
den Schlußworten des Redners.
Abg. Waſtian kritiſierte zuerſt das Miniſte-
rium Bienerth III, welches eine ſtarke Schwenkung
nach rechts und ein moraliſches ſlawiſches
Übergewicht zeige. Redner befaßte ſich auch mit dem
ſchwarzen Grafen Stürgkh und mit der Ernen-
nung des Grafen Franz Thun zum Statthalter
von Böhmen, die ein böſes Zeichen ſei. Auf das
geplante windiſche Genoſſenſchaftsinſtruktorat über-
gehend, teilte der Redner mit, daß in dieſer Ange-
legenheit bereits amtliche Erhebungen durchgeführt
wurden.
Im letzten Budget wurde die Gewerbeförderung
gedroſſelt; das gewerbliche Fortbildungs- und
Lehrlingserziehungsweſen und das gewerbliche Kredit-
weſen werden dadurch gehemmt; einer ſprachlich-
nationalen Marotte willen werden aber ſofort Er-
hebungen durchgeführt, deren Durchführung ebenfalls
Mittel auf Staatskoſten erfordert. Die ruhige Ent-
wicklung des Gewerbeſtandes würde durch jenen
Plan auf das ſchwerſte bedroht. Gerade hier im
Unterlande, wo Deutſche und Slowenen nebenein-
ander wohnen und alle Intereſſen gegenſeitig ver-
ankert ſind, gerade hier würde eine neue Entflam-
mung des nationalen Haſſes nicht ertragen werden.
Abg. Waſtian beleuchtete dann jene hoch-
würdigen nationalen Antragſteller unter Anführung
ihrer eigenen haßerfüllten Ausſprüche (Pfarrer
Krek: Auf unſerer Erde iſt noch genug Platz für
die Gräber unſerer Feinde! Der hochwürdige
Koroſchetz: Die deutſche Kultur iſt eine Schnaps-
kultur!), verwies ſodann auf die von windiſchkleri-
kalen Abg. Verſtovſchek eingebrachte Interpella-
tion hinſichtlich der Volkszählung in Marburg,
deren Inhalt von A bis Z erlogen iſt und richtete
ſchließlich an die Regierung eine ernſte Mahnung,
dem Gedanken des windiſchen Genoſſenſchaftsinſtruk-
torates unter Einbeziehung Unterſteiers nicht näher
zu treten, weil ſie ſonſt auf die entſchloſſenſte, ein-
mütige Abwehr aller deutſchfreiheitlichen Abgeord-
neten ſtoßen würde. Den Ausführungen des Abg.
Waſtian folgte lange anhaltender ſtürmiſcher Beifall.
Marburger Nachrichten.
Hauptverſammlung der freiwilligen Feuer-
wehr und Rettungsabteilung.
Letzten Samstag hielt die Marburger Feuerwehr
und Rettungsabteilung im Kaſino die Jahresverſamm-
lung ab. Sie wurde durch den Wehrhauptmann
Herrn Alois Heu eröffnet welcher die erſchienenen
Gemeindefunktionäre, Herrn Bürgermeiſter Doktor
Johann Schmiderer, Stellvertreter Herrn Kaiſ.
Rat Dr. Artur Mally, den Landtagsabgeordneten
und Gemeinderat Herrn Franz Neger, die Stadt-
räte Herren Julius Pfrimer und Chriſtoph
Futter, alle in großer Anzahl anweſenden Mit-
glieder und Feuerwehrfreunde herzlich begrüßte. Nach
Verleſung der Verhandlungsſchrift der letzten ordent-
lichen Hauptverſammlung durch Schriftwartſtellver-
treter Herrn Joſef Klauda erſtattete der Schrift-
führer des Vereines Herr Johann Leyrer den
umfangreichen allgemeinen Tätigkeitsbericht, dem
wir folgende Ausführungen entnehmen:
Leider iſt es unſere Pflicht, in erſter Linie
Männern zu gedenken, welche ſeinerzeit ausgezeichnete
Mitglieder waren und im vergangenen Jahre uns
durch den Tod entriſſen wurden. Wir beklagen das
Ableben des Herrn Scherbaum, Gründer der
Feuerwehr und einſtiger Hauptmannſtellvertreter,
welcher beſonders in den erſten Jahren der Wehr
eine Hauptſtütze des Vereines war. Weiter iſt der
langjährige Kaſſier Herr Franz Frangeſch ge-
ſtorben. Auch letzterer hat ſich als Zahlmeiſter um
das Feuerwehrweſen von Marburg große Verdienſte
erworben. Beide Mitglieder werden in dankbarer
Erinnerung der Feuerwehr bleiben. Bei den Leichen-
begängniſſen wurde in Parade ausgerückt.
Für die Feuerwehr und Rettungsabteilung war
das Jahr 1910 ein beſonders arbeitsreiches. Durch
volle Pflichterfüllung des Wehrausſchuſſes, der
Hauptleute, Chargen und Mannſchaft iſt es ge-
lungen, daß die Feuerwehr Marburg auf einer
Stufe blieb, welche ſie in der zweiten Stadt des
Landes einnehmen muß. Beſonderer Dank gebührt
den arbeitenden Mitgliedern, die bei Ausrückungen
und Bränden oft in Lebensgefahr kommen. Trotz
der Gefahren, welche der Beruf eines Wehr- oder
Rettungsmannes mit ſich bringt, unterziehen ſich
alle Mitglieder mit Todesverachtung getreu dem
abgelegteu Handſchlage ihrer ſchweren verantwortungs-
vollen Pflicht. Allen Mitgliedern muß daher die
belobende Anerkennung ausgeſprochen werden mit
der Bitte, ſie mögen auch in der Zukunft feſte
Stützen des Vereines bleiben. Wenn auch der Wehr-
und Rettungsmann von der Offentlichkeit keinen
beſonderen Dank erhält, ſo möge ſich jeder mit
dem Gedanken zufrieden geben, daß er bereit iſt, in
den Stunden der höchſten Gefahr für die All-
gemeinheit einzutreten. Unſerem Volke Gutes zu
tun, ſei unſere Loſung. Bedauerlich iſt es daher,
daß verſucht wurde, verdienſtvolle Mitglieder
der Rettungsabteilung durch Entſtellung von
Tatſachen durch ein Blatt in ihrem Anſehen
herabzuſetzen. Wir erklären hiemit öffentlich,
daß auf einen nichtsſagenden Zeitungstratſch nicht
reagiert wird und betonen nochmals, daß wir ohne
Rückſicht auf Lob oder Tadel eines mit der Wahr-
heit es nicht ernſt nehmenden Blattes
unſere Pflicht nach wie vor erfüllen werden.
Wir heben aus dem Berichte ferners noch
folgendes hervor: Beſonderes Augenmerk wurde
der Schlafertigkeit der Wehr zugewandt. Der Land-
Mannſchaftswagen wurde in ein Landuniverſalgerät
umgewandelt. Dafür konnten zwei alte Abprotz-
ſpritzen weggegeben werden. Aus dem Sprungtuche
wurde ein zweckmäßiges Sprungrutſchtuch gemacht
und zu einem Vordergeſtelle der verkauften Spritze
wurde ein Schlauchwagen angekuppelt. Alle Umge-
ſtaltungen erwieſen ſich als praktiſch und nützlich.
Die Beſpannung lag wieder in den bewährten
Händen des Hauptmannſtellvertreters Herrn Karl
Fritz. Leider fand im Berichtsjahre eine beſonders
ſtarke Abnützung des Pferdemateriales ſtatt, hervor-
gerufen durch die ſchnellen Ausfahrten. Selbſt-
verſtändlich vernrſachte der Pferdeerſatz bedeutende
Auslagen. Zur Klärung auswärtiger Brände hat
ein geſchulter Radfahrer dem Löſchzug vorzufahren,
damit Ausfahrten nach entlegenen Orten, wenn
keine Notwendigkeit vorliegt, vermieden werden können.
Nicht mindere Sorgfalt wurde der Rettungs-
abteilung der Wehr gewidmet. Der gegenwärtige
Rettungswagen ſteht ſchon ſeit drei Jahren in Ver-
wendung. Durch die vielen Ausfahrten bei jeder
Witterung iſt er ſchon ſehr hergenommen und daher
ausbeſſerungsbedürftig. Es kam auch vor, daß die
Rettungsabteilung faſt zur gleichen Zeit zu zwei
Unfällen gerufen wurde und da man mit einem
Wagen nicht doppelte Dienſte leiſten kann, ſo kamen
dadurch im Rettungsdienſte oft unangenehme
Störungen vor. Der Wehrausſchuß mußte daher,
wenn auch mit ſchwerem Herzen, für einen Erſatz
Sorge tragen.
Nach mehreren Sitzungen wurde die Anſchaffung
eines neuen Rettungswagens beſchloſſen, über deſſen
Herſtellung die Marburger Zeitung bereits berichtete.
Der Bericht gedachte dann der durch Preis-
ſteigerungen (Heu, Stroh ꝛc.) hervorgerufenen
finanziellen Notlage der Feuerwehr und der Hilfs-
aktion des Gemeinderates und dankte dieſem ſowie
allen Faktaren, welche die Wehr unterſtützten, u. a.
auch der Marburger Zeitung. Nach dem allgemeinen
Teile des Berichtes führte dieſer die Tätigkeit der
Wehr und ihrer Rettungsabteilung im beſonderen
an. Den Ausführungen des verdienſtvollen Schrift-
führers Herrn Leyrer folgte lebhafter Beifall.
Nach Kenntnisnahme dieſes Berichtes trug der
Zahlmeiſter Herr Joſef Reichenberg ſeinen um-
fangreichen, mit Sorgfalt ausgearbeiteten Kaſſa-
bericht vor. Die ganze Geldgebarung des Vereines
wurde in 641 Poſten geregelt. Die Einnahmen be-
liefen ſich auf 24.397 K. 78 H. und die Ausgaben
auf 23.270 K. 27 H., ſo daß ein Überſchuß von
1127 K. 51 H. verblieb. Namens der Kaſſaprüfer
Herren Franz Neger und Hans Sachs erſtattete
erſterer den Bericht, welcher erklärte, daß die Kaſſe
in vollſter Ordnung befunden wurde. Seinem An-
trage entſprechend wurde dem Kaſſier die Ent-
laſtung erteilt.
Bei Neuwahl der Rechnungsprüfer brachte der
Vorſitzende den Entſchluß des infolge Krankheit nicht
erſchienenen Herrn Hans Sachs zur Kenntnis,
daß er ſein Mandat mit Rückſicht auf ſeine Unpäß-
lichkeit nicht mehr ausüben kann. An deſſen Stelle
wurde das Mitglied der Schutzmannſchaft Herr
Albert Lontſchar gewählt, welches erklärte, die
Stelle anzunehmen. Herrn Hans Sachs, welcher
das mühevolle Amt eines Kaſſaprüfers durch nahezu
20 Jahre innehatte, iſt der beſte Dank durch das
Wehrkommando ſchriftlich auszudrücken. Herr Haupt-
mann Heu dankte den Berichterſtattern Herren
Leyrer, Reichenberg und Klauda für ihre ſorgfältigen
Berichte und bat um weitere Unterſtützung. Nament-
lich Herr Klauda iſt für den Wehrausſchuß eine
außerordentliche Stütze. Hierauf gab Herr Bürger-
meiſter Dr. Johann Schmiderer ſeine An-
erkennung im Namen der Stadtgemeinde der Feuer-
wehr und Rettungsabteilung kund. Redner betonte,
daß nach dem Bericht des Wehrausſchuſſes alle ihre
Pflicht erfüllt haben, nicht nur bei Bränden, ſondern
auch bei Unfällen und Waſſergefahren. Dreißig
Fälle ſind vorgekommen, bei welchen ſich die Feuer-
wehr hilfsbereit wie immer zeigte. Auch der Rettungs-
abteilung gebührt volles Lob. Bei 700 Fällen
intervenierte dieſelbe und trat für das Wohl des
Nächſten und für die leidende Menſchheit ein. Der
Bericht des Säckelwartes enthält große Einnahmen,
aber auch große Ausgaben, welche zumeiſt für Aus-
geſtaltung der Wehr verwendet wurden. Mit er-
hobener Stimme betonte der Herr Bürgermeiſter:
Was nützen gute Geräte, wenn nicht Herzen da
ſind, welche ſie bedienen. Er fühle ſich daher ver-
pflichtet, allen Wehrmännern ſeinen innigſten Dank
auszuſprechen. Der Gemeinderat habe bereits ſeine
Anerkennung durch Erhöhung der Subvention bekannt-
gegeben. Dr. Schmiderer widmete ſein Glas der
ſtrammen Wehrmannſchaft. Dieſen Worten folgten
Heilrufe. Bei Freie Anträge ſtellte Herr Fila-
pitſch im Namen der Chargen die Anfrage über
das Verhältnis der Feuerbereitſchaft im Theater zu
dem ebenfalls dienſtlich anweſenden Kaminfegemeiſter,
worüber auch im Gemeinderate eine Debatte ge-
führt wurde. Der Bürgermeiſter gibt darüber eine
für die Feuerwehr günſtige Erklärung ab. In dem-
ſelben Sinne äußerten ſich die Stadträte Herren
Futter und Pfrimer. Hauptmann Heu ver-
ſprach, daß dieſe Angelegenheit im Wehrausſchuſſe
ſorgfältig behandelt werden wird und es wird jeden-
falls bis zur kommenden Spielzeit darüber eine
Entſcheidung gefällt werden. Der Wehrhauptmann
betonte noch das Wirken des Maſchiniſten Herrn
Mlaker, der auch die Aufſicht über die Fuhrwägen
führt, und die Emſigkeit des Zeugwartes Herrn
Richa. Auch ſprach er allen Mitgliedern nochmals
ſeinen Dank aus. Herr Makotter, Zugsführer
der Schutzmannſchaft, hob die Verdienſte des Haupt-
mannes Heu hervor und betonte unter lebhafter
Zuſtimmung, daß alle Mitglieder ſeinem Kommando
zu jeder Zeit gerne folgen werden. Hierauf wurde
die Hauptverſammlung, welche zeigte, daß alle Wehr-
männer die Intereſſen der Feuerwehr tüchtig ver-
treten und beſtrebt ſind, den Körper zu heben, ge-
ſchloſſen. Im gemütlichen Teile erfolgten fröhliche
Lieder und erſt nach Mitternacht wurde Schluß
gemacht. L.
Probeu für die Jubiläumsaufführung
des Philharmoniſchen Vereines. Anläßlich
des 30jährigen Beſtandes des Philharmoniſchen
Vereines wird anfangs April Max Bruchs großes
Orcheſter- und Chorwerk Die Glocke zur Aufführung
gebracht. Die Proben hiefür beginnen Mittwoch den
25. Jänner für Damen, Donnerstag den 26. Jänner
für Herren abends 8 Uhr im Vereinsheime, Saal-
Marburger Zeitung Nr. 10, 24. Jänner 1911
bau Götz, zweiter Stock. Es ergeht an alle ſanges-
kundigen Damen und Herren der Stadt das Er-
ſuchen, ſich an der Aufführung des Werkes zu be-
teiligen und die Kunſtbeſtrebungen des Vereines
unterſtützen zu helfen.
Faſchingsfeſt des Marburger Männer-
geſangvereines. Wir werden erſucht, nochmals
darauf aufmerkſam zu machen, daß jene Damen und
Herren, die aus Verſehen noch nicht im Beſitze
einer Einladung ſind, erſucht werden, ihre Adreſſen
in den Geſchäften der Herren Heu (Burggaſſe) und
Hollitſchek (Herrengaſſe) oder an den Adreßausſchuß
zuhanden des Obmannes Herrn Verwalter Rudel
bekanntzugeben. Die Eintrittskarten können im Vor-
verkaufe bei dem Zahlmeiſter des Vereines Herrn
Hollitſchek (am 1. Februar von 9 bis 12 Uhr vor-
mittags und 2 bis 5 Uhr nachmittags) oder an
der Abendkaſſe gelöſt werden. Die Einladung iſt am
Abende ſelbſt vorzuweiſen. Der Koſtümausſchuß er-
ſucht uns mitzuteilen, daß bei Herrn Priſternik
(Burggaſſe 8) Einſicht in die Koſtümkataloge ge-
nommen werden kann; hier werden auch Beſtellungen
von Koſtümen entgegengenommen. Der Feſtzug-
ausſchuß, dem die Herren Ruß als Obmann, ferner
die Herren Dr. Draſch, Filapitſch, Dr. Jörg,
Nonner, Sachs d. j., Prof. Sepperer, Voit, Waidacher
und Wießler angehören, hält heute abends nach der
Probe eine Sitzung ab. Freitag findet eine Feſt-
ausſchußſitzung ſtatt. In dieſer Woche werden die
mit peinlichſter Gewiſſenhaftigkeit durchgeführten
umfangreichen Vorarbeiten abgeſchloſſen werden und
der Marburger Männergeſangverein kann hoffen,
daß auch dieſe Veranſtaltung ſeinen Ruf, den er ſich
durch ſeine glänzend verlaufenen Narrenabende er-
worben hat, neu befeſtigen werde.
Von der Lehrerbildungsanſtalt. Übungs-
ſchullehrer Jakob Marin der hieſigen Lehrerbil-
dungsanſtalt wurde in die achte Rangsklaſſe be-
fördert.
Die Marburger Gaſtgewerbegenoſſen-
ſchaft hielt geſtern nachmittags in der Gambrinus-
halle unter dem Vorſitze ihres Vorſtandes Herrn
Roſchanz ihre Hauptverſammlung ab. Herr
Wiesthaler erſtattete den Kaſſabericht. Der
Saldovortrag betrng 215 K. 11 H., die Schul-
geldeinhebung 146 K., Aufdingungs- und Frei-
ſprechungsgebühr 80 K., Einſchreibungsgebühr
720 K., Jahresumlage 720 K. Behebungen 344 K.
Die Einnahmen betrugen insgeſamt 2225 K. 11 H.,
die Ausgaben 1970 K. 96 H., das Saldo 254 K.
15 H. Dem Rechnungsleger wurde die Entlaſtung
erteilt. Der Vermögensſtand beträgt an Barkaſſa
254 K. 15 H., an Spareinlage 849 K. 78 H.,
insgeſamt 1103 K. 93 H. Der Voranſchlag für
1911 ſieht vor insgeſamt 1490 K. Ausgaben. Ob-
mann Herr Roſchanz erſtattete hierauf den
Tätigkeitsbericht. Dieſer gedachte zuerſt des Hin-
ſcheidens des Cafetiers Azzola und des Gaſtwirtes
Jauk. Die Genoſſenſchaft zählte zu Beginn des
Berichtsjahres 110 Mitglieder; im Laufe des
Jahres wurden 22 neue Mitglieder inkorporiert.
Gelöſcht wurden 7 Konzeſſionen und 10 wieder
verliehen. Pachtungen wurden 10 gelöſt und 22
genehmigt; davon 2 Stellvertretungen. In 24
Fällen wurden in Konzeſſionsangelegenheiten Gut-
achten an die Gewerbebehörde abgegeben. Auf-
gedungen wurden 7 Lehrlinge und 1 freigeſprochen.
Auch auf organiſatoriſchem Gebiete hat ſich die
Vorſtehung bemüht, für das Gewerbe Erſprießliches
zu leiſten. Der Bericht gedachte des Landes- und
des Reichsverbandstages, deren Beratungen ein-
gehende Würdigung im Berichte fanden. An
beiden Tagungen war die Genoſſenſchaft vertreten
durch den Obmann Roſchanz, Vorſtandſtellver-
treter Käfer und Vorſtandsmitglied Matzhold.
In mehreren Fällen wurde unbefugter Ausſchank
zur Kenntnis der Gewerbebehörde gebracht und
die betreffenden Parteien der Beſtrafung zugeführt.
Herr Roſchanz beſchäftigte ſich ſodann, veran-
laßt durch eine Anfrage des Herrn Stauder, ein-
gehender mit den organiſatoriſchen Aufgaben der
Gaſtwirte, insbeſondere ſprach er über die not-
wendige Einführung des Befähigungsnachweiſes,
welcher dem jetzigen Andrang zum Gaſtgewerbe und
damit die ſtets drückender werdende Konkurrenz
mildern werde. Es werde für die Organiſation des
Gaſtgewerbes noch zu wenig getan, wenn man ſich
vor Augen halte, was andere Stände in dieſer
Hinſicht tun. Erfolge können freilich nicht im Hand-
umdrehen erzielt werden, ſondern nur durch ſtetige,
zähe Arbeit. Der Redner wies u. a. darauf hin,
daß unſere Gaſtwirte das Recht errungen haben,
durch den Landesverband im k. k. Gewerbebeirat
vertreten zu ſein. Der Redner gedachte ſodann
noch des Entgegenkommens der Marburger Ge-
werbebehörde. insbeſondere des anweſenden Herrn
Dr. Valentin, in allen Angelegenheiten der
Genoſſenſchaft, insbeſondere hinſichtlich des un-
befugten Ausſchankes. Ganz ausrotten wird ſich
die unbefugte Ausſchenkerei nicht laſſen, aber jedes
Genoſſenſchaftsmitglied kann zu ihrer Bekämpfung
beitragen, wenn es nachweisbare Fälle unter
Zeugenanführung bei der Genoſſenſchaftsvorſtehung
zur Anzeige bringt. (Lebhafter Beifall.) Zum Be-
fähigungsnachweis ſprach noch Herr Sokolik.
Die Jahresumlage wurde in der bisherigen Höhe
(4 K.) belaſſen. Als Erſatzmänner für die Vor-
ſtehung wurden gewählt die Herren Jellek und
Skallak. Unter den freien Anträgen wurde durch
die Ausführungen des Herrn Sokolik eine
Wechſelrede über die Fachſchule der Genoſſenſchaft
eingeleitet, nach deren Beendigung Herr Roſchanz
die Verſammlung ſchloß. Der Vertaeter der Ge-
werbebehörde, Herr Dr. Valentin, nahm während
der Verſammlung wiederholt Gelegenheit, auf-
klärend in die Wechſelreden einzugreifen.
Beim Leichenbegängniſſe des Tapezierer-
meiſters Herrn Erneſt Bubak hat die löbl. Süd-
bahn-Liedertafel zwei Trauerchöre geſungen, was
wir hiemit nachtragen wollen.
Bioſkop Theater. Wirklich herrlich ſchöne
Augenweiden bietet das jetzige Schlagerprogramm;
ganz beſonders zu erwähnen ſind die ungemein rei-
zenden Naturſzenerien von Amalfi und Salerno
und die Fahrt mit der Zahnradbahn auf den Pilatus
in der Schweiz. Großen Beifall findet das rührende
lebenswarme Drama Die zweite Mutter und das
große hiſtoriſche Schauſpiel Die Schuld aus der
Zeit der erbitterten Kämpfe zwiſchen Katholiken und
Hugenotten. Ergreifenden Gehalt hat der deutſch-
amerikaniſche Kunſtfilm Der dankbare Indianer.
Eine Varieténummer erſten Ranges ſind die Luft-
künſtler Zitras. Die beliebten Komikergrößen Tan-
tolini, Müller und Moriz ſorgen in neuen Rollen
ausgiebigſt für Unterhaltung; auch Fritz Reuter,
der berühmte Humoriſt, iſt im Kalbsbraten ver-
treten. — Vorſtellung iſt jeden Tag um acht Uhr
im ſehr gut temperierten Kinematographenſaale.
Südbahner-Unterſtützungsverein. Der
Verein zur Unterſtützung in Sterbe- und Erkran-
kungsfällen für Südbahnbedienſtete hielt am 15.
Jänner nachmittags in der Gambrinushalle ſeine
diesjährige ordentliche Mitgliederverſammlung ab.
Der Vereinsobmann, Herr Johann Voit, begrüßte
die zahlreich erſchienenen Mitglieder und erſtattete
den Bericht über die Mitgliederbewegung im abge-
laufenen Jahre. Der Ausſchuß faßte im Juni 1910
den Beſchluß, den Verein, der bisher nur in Mar-
burg wohnende Südbahner vereinigte, auf das
ganze öſterreichiſche Netz der Südbahn auszudehnen.
Dadurch wurde dem Vereine ein großes Arbeitsfeld
aufgeſchloſſen und ihm im Laufe eines halben Jahres
über 1800 Mitglieder zugeführt, ſo daß er jetzt
einen Stand von von 4534 Mitgliedern aufweiſt.
Herr Voit gedachte hiebei der raſtloſen, uneigen-
nützigen Tätigkeit der Herren Lokalbevollmächtigten
und ſprach ihnen im Namen der Vereinsleitung den
beſten Dank aus. Weiters berichtet der Redner, daß
die von der außerordentlichen Mitgliederverſammlung
vorgenommene Statutenänderung von der k. k.
Statthalterei nicht bewilligt wurde. Es wurde der
Vereinsleitung nämlich bedeutet, daß die Änderung
vom k. k. Miniſterium des Innern nur dann ge-
nehmigt werden wird, wenn ſich der Verein in einen
Verſicherungsverein umgeſtaltet. Da aber eine ſolche
Umbildung des Vereines für dieſen viele Nachteile
mit ſich bringen würde, fand es der Ausſchuß für
beſſer, bei den alten Satzungen zu bleiben und zog
die angeſtrebte Satzungsänderung zurück. Nachdem
Herr Voit ſeine Ausführungen beendet hatte, erteilte
er dem Rechnungsführer Herrn Brauchardt das
Wort zur Erſtattung des Rechenſchaftsberichtes.
Unter anderem iſt den Worten des Redners zu ent-
nehmen, daß die Einnahmen des Vereines 39.848
K. 66 H., die Ausgaben 24.842 K. 90 H. betrugen
und daß der Kaſſareſt von 15.005 K. 76 H. frucht-
bringend angelegt iſt. Hierauf ſtellte Herr Brau-
chardt den mit allgemeiner Zuſtimmung angenom-
menen Antrag, es möge dem Rechnungleger Herrn
Voit die Entlaſtung erteilt werden. Auf den nächſten
Punkt der Tagesordnung übergehend, ergreift der
Referent des Ausſchuſſes das Wort und beantragt
die Erhöhung der Sterbequote von 800 K. auf
1000 K. Obwohl die Mitgliederbeiträge die gleichen
bleiben (für Sterbefall 25 Heller), entſpann ſich darob
eine mit aller Heftigkeit geführte Wechſelrede. Die
Herren Wukowitz und Dobey ſtellten einen
Gegenantrag, der jedoch infolge der Ausführungen
des Herrn Jenitſchek in der Minderheit blieb.
Der Ausſchußantrag drang mit großer Mehrheit
durch. Nachdem die Tagesordnung erſchöpft war,
ſchloß der Obmann die Verſammlung.
Der deutſchvölkiſche Verband „Drau-
wacht“ hält morgen Mittwoch um 8 Uhr abends
im Verbandsheim, Schneiders Gaſtwirtſchaft, ſeine
Monatsverſammlung ab und werden die geehrten
Mitglieder höflichſt erſucht, vollzählig zu erſcheinen.
Gäſte ſind herzlichſt willkommen.
Panorama International. Die Welt-
ausſtellung Brüſſel 1910 wird uns dieſe Woche im
Panorama im Martinzhof vorgeführt und geben die
ſchönen Aufnahmen ein anſchauliches Bild derſelben.
Wir können heute, ohne den Wohnort zu verlaſſen,
alles in Naturtreue ſchauen und ſo unſer Wiſſen
bereichern.
Bauvergebung des Ortsſchulrates
Brunndorf. Der Ortsſchulrat Brunndorf hat in
ſeiner Sitzung vom 21. Jänner beſchloſſen, den
Bau der neuen Mädchenſchule in einer gemeinſchaft-
ſchaftlichen Sitzung des Ortsſchulrates und der Ge-
meindevertretung Brunndorf zu vergeben. Dieſelbe
findet im Februar ſtatt. Damit bei den Vertrags-
abſchlüſſen keine Schwierigkeiten entſtehen, können
die Herren Gewerbetreibenden, welche Offerte über-
reicht haben, in die Baubedingniſſe bis 10. Februar
in der Gemeindekanzlei nochmals Einſicht nehmen.
Der Theater- und Kaſinoverein hält
am nächſten Freitag im Kaſino, 1. Stock, ſeine
Hauptverſammlung ab, auf deren Tagesordnung die
Erſtattung der verſchiedenen Jahresberichte. Neu-
wahlen, Anträge ꝛc. ſtehen. Beginn 8 Uhr abends.
Spenden. Der Rettungsabteilung der frei-
willigen Feuerwehr ſind in letzter Zeit folgende
Spenden zugekommen: vom löbl. ärztlichen Be-
zirksverein 100 Kronen, von einer Frau im Gaſt-
hofe Grund 1 Kr. Den geehrten Spendern wird
der herzlichſte Dank ausgeſprochen. Gleichzeitig er-
geht die Bitte, der Rettungsabteilung auch ferner-
hin gedenken zu wollen. — Für die arme Witwe
mit den ſechs Kindern erhielten wir noch von Un-
genannt 10 Kronen.
Von der eigenen Gattin vergiftet?
Am 24. Dezember ſtarb in Lukanje bei Gonobitz
der bei einem Holzhändler bedienſtete Pferdeknecht
Joſef Bodenik. Obwohl ein Gerücht auftauchte,
daß Vodenik von ſeinem Weibe vergiftet worden
ſei, wurde die Leiche anſtandslos beerdigt. Da dieſes
Gerücht nunmehr beſtimmtere Formen annahm,
wurde die Enterdigung und die gerichtsärztliche
Öffnung der Leiche verfügt. Dieſe ergab Arſenik-
vergiftung durch vergiftete Speiſen.
Ein vornehmer Fahrgaſt. Vor einigen
Tagen fuhr ein eleganter Herr in einem für ihn
allein reſervierten Abteil erſter Klaſſe
von Bruck nach Wien. Er fühlte ſich auf ſeinem
weichen Sitze ſo wohl. Wie er durch das Fenſter
Bahnarbeiter erblickte, überflog, wie wir im Grazer
Tagblatt leſen, ſein Geſicht ein Schimmer froher
Genugtuung. Er hatte es weit gebracht. Auch er
mußte ſeinerzeit mühſam arbeiten. Für einen Augen-
blick verſchwand von ſeinem Geſicht der Ausdruck
der Freude, denn er dachte daran, wie er in der
Südbahnwerkſtätte in Knittelfeld für ſeine Arbeit
als Schloſſer nicht die erhoffte Anerkennung fand,
da man behauptete, er verſtehe zu wenig. Aber ſo-
fort erhellte ſich wieder ſeine Miene. Von ſtolzer
Höhe konnte er jetzt auf ſeine damaligen Vorgeſetzten
herabſchauen. Vergnügt rieb er ſich ſeine weißen,
wohlgepflegten Hände. Vielleicht wäre der nornehme
Fahrgaſt nicht ſo frohgelaunt geweſen, wenn er ge-
hört hätte, wie ein Bahnarbeiter in Bruck, als er
ihn in das Abteil erſter Klaſſe einſteigen ſah, fluchte:
„Teufel noch einmal, das iſt ja der Reichsratsab-
geordnete Tomſchik, der Obmann unſerer Gewerk-
ſchaft. Auch ein Proletarier!“ Und in weitem
Bogen flog der Ausfluß ſeiner „guten Meinung“
in den weißen Schnee.
Vermißter Schweinehändler. Der
Schweinehändler Simon Pepelnik aus Poberſch
hat ſich am 14. d. M. beiläufig 7 Uhr früh aus
ſeiner Wohnung, Wagnergaſſe Nr. 282, ohne ſeiner
Ehegattin Roſa Pepelnik irgendwelche Mitteilung zu
machen, unbekannt wohin entfernt und iſt ſeither
verſchollen. Der Verſchollene war in letzter Zeit ſehr
mißgeſtimmt und trug ein ungewöhnliches Benehmen
zur Schau, weshalb auch Selbſtmord nicht aus-
geſchloſſen erſcheint. Pepelnik iſt 32 Jahre alt, in
Nr. 10, 24. Jänner 1911 Marburger Zeitung
Schiltern, Bezirk Pettau, geboren und nach Poberſch
bei Marburg zuſtändig, groß, ſtark gebaut, hat
ſchwarze Haare, ſolchen kleinen Schnurrbart, mageres
Geſicht, ſchwarze Augen und geſunde Zähne; am
Hinterhaupte mehrere Stellen ohne Kopfhaar. Be-
kleidet war mit kurzem Überrock, dunkler Weſte und
ſolchem Rock, dunkelgrüner Hoſe und geſtreiften
Hemd. Auch trägt er eine Nickeluhr mit Pakfong-
kette bei ſich.
Neuer Telephonanſchlnß. Die Wohnung
des Stadtarztes Herrn Dr. Albert Leonhard,
Tegetthoffſtraße Nr. 35, wurde unter der Nummer
178 dem Telephonverkehre angeſchloſſen.
Stadtverſchönerungsverein. Donnerstag
den 26. Jänner um 4 Uhr nachmittags wird ein
Eisfeſt am Stadtteich abgehalten.
Eiſenbahntag in Wies. In Wies findet
im Gaſthofe Kurz mit dem Beginne um 2 Uhr
nachmittags am 29. Jänner ein von den Gemeinde-
vertretungen Wies, Feiſternitz, Jagernigg, Limberg,
Oberhaag, Oberhart, Pitſchgau, Schwanberg, Stam-
mernegg, St. Ulrich, Vordersdorf, Wernersdorf und
Wielfreſen im Einvernehmen mit dem Marburg—
Wieſer Bahnbauausſchuſſe einberufener Eiſenbahn-
tag ſtatt, auf dem der Referent Landtagsabg. Neger
und die Abg. Waſtian und Schweiger ſprechen
werden. Es handelt ſich darum, den Bau der Mar-
burg—Wieſer Bahn neuerdings zu betreiben.
Der Unteroffiziersball der Marburger
Garniſon findet am Donnerstag den 23. Februar
unter dem Protektorate des Herrn Brigadiers
Generalmajor v. Brudermann in den neuen
Götz’ſchen Brauhausſälen ſtatt.
So rächt ſich alles ſchon hienieden.
Vor zwei Jahren tagte im Laibacher Meſtni dom
jene Verſammlung, in welcher Hribar ſeine, in
der Broſchüre „Kranjka hranilica“ niedergedruckte
Hetzrede gegen die Krainiſche Sparkaſſe hielt.
Während jener Rede ertönte der Zwiſchenruf:
„jim ze einglet zvoni“ — d. h. „es läutet ihnen
ſchon das Zügenglöcklein“ — den deutſchen Teil-
habern der krainiſchen Sparkaſſe nämlich. Der
Zwiſchenrufer war Herr Dr. Turk, der nämliche
Dr. Turk, der am 8. d. M. im ſelben Saale die
Hauptverſammlung der Glavna poſojilnica eröffnete,
welche die Liquidation dieſes Bankinſtitutes ein-
leitet. Es muß den Herren bitter zu Mute ge-
weſen ſein. Ja — einglet zvoni — Herr Dr. Turk
— aber nicht der Krainiſchen Sparkaſſe!
Die langen Hutnadeln. In Wien hat
geſtern zum erſtenmal eine Gerichtsverhand-
lung gegen eine Dame ſtattgefunden, die mit
ihrer modernen, überlangen Hutnadel einen Paſſan-
ten verletzt hatte und deshalb wegen U Ü bertretung
gegen die körperliche Sicherheit angeklagt worden
war. Im Laufe der Verhandlung erklärte die An-
geklagte: Die Mehrzahl der Wiener Damen trägt
heute die großen Hüte, die ja entſprechend mit
langen Hutnadeln befeſtigt werden müſſen. Warum
werde gerade ich angeklagt? Richter: Jede Dame,
die durch ihre Hutnadel die Sicherheit anderer
Perſonen gefährdet, wird, wenn eine Anzeige bei
Gericht erſtattet wird, angeklagt werden. Nach durch-
führter Verhandlung wurde die Angeklagte unter
Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes
zu 2 Kronen Geldſtrafe eventuell 12 Stunden
Arreſt, verurteilt. Die Angeklagte meldete die Be-
rufung an. — Ein derartiges Verbot langer Hut-
nadeln, wie es ſeit einiger Zeit in Wien beſteht,
wäre auch anderswo, auch in Marburg, am Platze.
Vor einigen Tagen erſt hat ſich am Eislaufplatz
am Stadtteiche dadurch ein Unfall ereignet, daß
eine Eisſchuhläuferin, die geſtürzt war, von einer
anderen Läuferin, natürlich unabſichtlich, mit der
langen Hutnadel derart geſtochen wurde, daß die
Hutnadel durch die Lippe hindurchdrang. Daß
mit dieſen langen Nadeln noch ärgeres Unheil an-
gerichtet werden kann — wir erinnern an die
Möglichkeit, daß durch ſie Augen ausgeſtochen wer-
den können — liegt auf der Hand und deshalb
würde ein ſolches Verbot mit Straffolgen auch hier
vollkommen gerechtfertigt ſein.