Vorbericht.
Allen edeln Seelen widm’ ich dieſes Buch,
die beym Leſen etwas mehr, als blos
Befriedigung der Neugierde, und Beſchaͤfti-
gung der Einbildungskraft ſuchen. Faſt jeder
Schriftſteller, und der Dichter beſonders —
deſſen Beruf ich fuͤr einen der erhabenſten hal-
te — ſollte hauptſaͤchlich auf das Herz ſei-
ner Leſer Ruͤckſicht nehmen. Dadurch bahnt
er ſich am leichteſten den Weg zum Unterricht
und zur Belehrung. Wer Empfindungen
erhoͤht und beſſert, der erreicht gewiß einen
eben ſo erhabnen Zweck, als der, welcher blos
fuͤr den Verſtand ſorgt. Der letztere Schrift-
ſteller kann auch nicht ſo ausgebreitet wir-
ken. Er hat immer nur eine kleinere An-
zahl von Leſern, weil er Menſchen vorausſetzt,
die ſchon in den Wiſſenſchaften geuͤbt ſind.
Jeder Roman — ein Wort, das, leider!
vielleicht durch ſchlechte Muſter veraͤchtlich wor-
den iſt — ſollte, meinem Jdeal nach, zugleich
unterrichten. Der Romanſchreiber hat ſich
Leſer von verſchiednen Staͤnden, von verſchied-
nem Geſchlecht, von verſchiedner Denkungsart
u. ſ. w. zu verſprechen, daher ſollte er, ſoviel
als moͤglich, Allen alles werden. Daher
muß ſein Unterricht mannigfaltig, und an kei-
ne gewiſſe Form gebunden ſeyn.
Jeder Schriftſteller wuͤnſcht nach dem Zweck
ſeiner Arbeit beurtheilt zu werden. Jch habe
dieſes, wegen gewiſſer Stellen meines Buches,
beſonders zu wuͤnſchen, bey denen man, wenn
man billig urtheilen will, am erſten das be-
denken muß: fuͤr welche Menſchen, und fuͤr
welche Gegenden von Deutſchland ich zunaͤchſt
geſchrieben habe. Dann werden viele Einwuͤrfe
wegen ſchon bekannter, oft geſagter Sachen,
oder wegen anſcheinender Weitſchweifigkeiten
wegfallen.
Siegwart, ein edelgeſinnter Juͤngling, war
auf einem Oettingiſchen Dorf in
Schwaben, an der Donau gebohren.
Sein Vater, ein Mann von aͤcht deutſch-ſchwaͤ-
biſchem Charakter, war ſeit vier und zwanzig Jah-
ren Amtmann auf dem Dorfe. Von ſeiner, ihm
zu fruͤh verſtorbnen Frau hatte er zwo Toͤchter,
und drey Soͤhne, wovon unſer Siegwart der juͤng-
ſte war; ein geſclligergeſelliger Knabe, der ſich nie mehr
fuͤhlte, als wenn er andre Kinder luſtig ſah, ih-
nen Freude machen, und tauſend kleine Gefaͤllig-
keiten erweiſen konnte. Wenn der Winter ihn
ins Zimmer einſchloß, ſo war ihm nirgends wohl,
die Geſellſchaft ſeiner aͤltern Bruͤder, und zwoer
muntrer Schweſtern war ihm nicht groß genung;
er rief alle Baurenkinder, die ſein Haus vorbey-
giengen, zu ſich, und tummelte ſich mit ihnen auf
dem Saal herum. Dann ſchlich er ſich wieder
in den Stall, beſah die Pferde, ritt ſie an die
Traͤnke, warf ſich mit Schneeballen, oder fuhr
auf ſeinem kleinen Schlitten den ſteilſten Berg
herab, und thats an Kuͤhnheit, oft auch an Ver-
wegenheit, den kuͤhnſten Baurenknaben zuvor.
Sobald die Fruͤhlingsſonne ſchien, konnt’ ihn
gar nichts mehr zu Hauſe halten. Er trieb den
Kreiſel, warf den Ball, ſtellte mit den Bauren-
jungen Jagden an, theilte immer die Rollen aus,
machte den einen zum Jaͤger und den andern
zum Hirſch, und umzingelte den ganzen Wald mit
jungen Jaͤgern, wie ers bey der fuͤrſtlichen Jagd
geſehen hatte. Dann ſpielte er wieder den Sol-
daten, warb alle Jungen des Dorfs an, und be-
ſtellte ſie am Sonntag auf das Feld hinaus.
Da gab er ihnen hoͤlzerne, ſelbſt geſchnitzte Flin-
ten; hoͤlzerne Saͤbel; drey Kindertrommeln, die ihm
und ſeinen Bruͤdern gehoͤrten; papierne Fahnen,
und ein altes Jaͤgerhorn. Jeder Knabe mußte
zugleich eine Schlehenbuͤchſe, und zwanzig Kugeln
dazu haben. Damals wuͤthete der Krieg der Oeſter-
reicher mit den Preußen. Obgleich ſein Fuͤrſt
auf der oͤſterreichiſchen Seite war, ſo hielt ers doch
mit den Preußen, weil er in den Zeitungen ge-
leſen hatte, daß dieſe immer mehr den Sieg da-
von truͤgen. Er theilte ſein Heer in zwey Thei-
le, und waͤhlte immer die ſtaͤrkſten Knaben fuͤr
die Preußen aus, deren Anſuͤhrer er beſtaͤndig war,
und an deren Spitze er die Oeſterreicher mehren-
theils zuruͤckſchlug. Er machte ſelbſt ein Kriegs-
lied, das ſeine Krieger, nach ihrer Weiſe, abſan-
gen. Beym Nachſetzen muſten die Knaben mit
den Schlehenbuͤchſen ſchieſſen; wer getroffen war,
muſte fallen, und am Ende der Schlacht wurden
die Todten gezaͤlt; da denn immer die Preußen die
wenigſten hatten.
Wenns waͤrmer wurde, badete er ſich in der
Donau, und ſchwamm unter allen Jungen am be-
ſten. Ein paarmal war er in Lebensgefahr, und
wurde von den Fiſchern gerettet; dieß hielt ihn
aber nicht ab, gleich den andern Tag ſich wieder
zu baden. Halbe Tage brachte er im Walde zu,
wo er Vogelneſter aufſuchte. Er hielt ein ordent-
liches Verzeichnis davon, und fand alle Tage neue.
Kein Baum, auf dem er ein Neſt ſah, war fuͤr ihn zu
hoch; er klomm wie ein Eichhoͤrnchen hinauf und wag-
te ſich auf die duͤnnſten Aeſte. Demohngeachtet war
er nicht grauſam gegen die Voͤgel. Er nahm nie ein
Neſt ganz aus, ſondern nahm nur den ſchoͤnſten
Vogel, den er zu Hauſe aͤtzte, und groß zog; die
andern ließ er ihren Eltern. Beſonders holte er
die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den
hohlen Baͤumen, weil er gehoͤrt hatte, daß man
dieſe ſprechen lehren koͤnne, und gab ſich mit de-
ren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Muͤhe.
Aus dieſer Anlage des jungen Siegwart
ſchloß ſein Vater, der kein unvernuͤnftiger Mann
war, daß ſein Sohn wol am beſten zum Jaͤger
oder Soldaten taugen moͤchte. Er hatte auch ſchon
bey ſich den Plan gemacht, ihn in ſeinem 15ten
Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu ſeinem
Bruder, einem Forſtmeiſter in der Gegend, zu
thun, und ihn die Jaͤgerey erlernen zu laſſen; da-
her drang er auch nicht ſehr in ihn, das Lateini-
ſche, und gelehrte Wiſſenſchaften zu lernen. Er
ſuchte nur ſeine Anlage zum rechtſchaffnen deutſchen
Mann zu entwickeln, und durch gute moraliſche
Grundſaͤtze, die aus der Religion hergeleitet waren,
mehr zu befeſtigen; denn, obgleich der alte Sieg-
wart ein Katholik war, ſo hatte er ſich doch die
Erlaubnis erkauft, in der Bibel leſen zu duͤrfen,
deren Geſchichten und Lehrſaͤtze er ſeinen Kindern
fruͤhzeitig einzupraͤgen ſuchte. Und dieß legte
wirklich den Grund zu der fruͤhen Rechtſchaffen-
heit des jungen Siegwart, die ſich nachher ſo oft
in ſeinem Leben aͤuſſerte, ihn bey allen ſeinen Wi-
derwaͤrtigkeiten unterſtuͤtzte, und zulezt ſo ruhig
ans Grab wandeln lehrte.
Siegwart wuſte den Plan ſeines Vaters
wohl, und freute ſich daruͤber; Er war in ſeinem
Sinne ſchon ein Jaͤger, und legte oft, wenn der
Vater ausgeritten war, ſeinen Hirſchfaͤnger an,
hieng die Flinte um, und ſpazierte ſo, mit ſchwerem
Tritt, das Zimmer auf und ab; oder ſchlich ſich
wol, wenn der Vater nicht ſobald zuruͤckkommen
koͤnnte, in den Wald, und ſchoß einmal zu ſeinem
innigen Vergnuͤgen einen Haſen, den er aber,
weil er ihn nicht mit nach Hauſe bringen durfte,
einem armen Mann ſchenkte.
Allein ein Zufall vernichtete auf einmal ſei-
ne Hofnungen, und aͤnderte den ganzen Plan ſei-
nes Vaters um.
Obwol Siegwart fuͤr das maͤnnliche und
charakteriſtiſche des Deutſchen geſchaffen war, ſo
liebte er doch auch das Sanfte, und die ſchoͤne ſtil-
le Natur. Beydes iſt ſehr oft beyſammen,
und bildet einen liebenswuͤrdigen, fuͤr die Welt ſehr
brauchbaren Charakter; er iſt mehrentheils ein Ei-
genthum des Dichters; und zu dieſem hatte Sieg-
wart alle Anlage, die, bey gluͤcklicheren aͤuſſerlichen
Umſtaͤnden noch mehr emporgeflammt ſeyn, und
die Herzen ſeiner Mitbuͤrger noch mehr erwaͤrmt
haben wuͤrde.
Oft ſchlich er ſich im Fruͤhling, mitten im
Spiel, von ſeinen Kameraden weg, ſammelte
Blumen, und band ſie in einen Strauß zuſam-
men; beobachtete alle Auftritte und Veraͤnderun-
gen der Natur; gab auf jedes Wuͤrmchen acht;
ſah der Biene zu, wie ſie in die Blumenkelche
ſchlupfte, und Honig oder Wachs an ihren Bein-
chen heraustrug; er horchte jedem Vogel, am mei-
ſten aber der Lerche, der Graſemuͤcke und der Nach-
ligall: die letzte gefiel ihm am beſten, ob er wol ihren
Namen noch nicht gehoͤrt hatte. Oft lag er an der
Quelle, die durch Tropfſtein und Moos, und nieder-
haͤngendes Gras am Berg herabmurmelte; da fuͤhl-
te er ein ungewohntes Sehnen und eine nie em-
pfundne Wehmuth in der Seele; mit glaͤnzendem
Auge gieng er weg, druͤckte jedem Baurenjungen,
der ihm begegnete, die Hand ſtaͤrker, und gab ihm
von ſeinem Abendbrod. Oft gieng er an das
Grab ſeiner Mutter, wo er Roſen und Jeſmin
und Todtennelken gepflanzt hatte, und weinte da.
Kein Geraͤuſch weckte ihn ſo leicht aus dem Schlaf;
aber wenn vor Sonnen Aufgang an ſeinem Kam-
merfenſter, das in den Garten gieng, die Nach-
tigall auf einem Apfelbaume ſang, da wachte er
ſchnell auf, ward munter, ſprang aus dem Bette,
hoͤrte ihr unbeweglich zu, und ſah mit Entzuͤcken
die Sonne hinter den Baͤumen aufgehn. Noch
lieber hoͤrte er die Nachtigall des Abends, wenn
die Blumen und die Apfelbluͤthen ſuͤſſer dufteten,
und alles ſtille war, und der Mond herabſah. Da
hatte er Gefuͤhle, die beym Juͤngling, der ihm
gleich iſt, zu Liedern werden. Da dachte er oft
an ſeinen Bruder, der vor 4 Jahren in ſeinem
6ten Jahr geſtorben war, und machte einſt ein
Lied auf ihn; da vergaß er oft ſich und die gan-
ze Welt; da rief man ihn oft zum Abendeſſen,
und er hoͤrte nichts, bis ihn ſein Bruder oder Va-
ter fand, und zu Tiſche holte, wo er wehmuͤthig
ſaß, und nichts ſprach. Nach dem Abendeſſen lag
er wieder unter ſeinem Kammerfenſter, hoͤrte bis
11 Uhr oder 12 Uhr der Nachtigall zu; wuͤnſchte
nichts, als wie ſie ſingen zu koͤnnen, und traͤumte
ſich im Schlaf in paradieſiſche Gegenden zu ſei-
nem Bruder.
Einen Abend nahm ihn ſein Vater zu ei-
nem Spaziergange nach einem Kapuzinerkloſter
mit, wo dieſer einen alten guten Freund hatte.
Der Abend war einer der ſchoͤnſten. Sie kamen
aus einem kuͤhlen Wald’ heraus, wo die Gra-
ſemuͤcken, Amſeln, und Nachtigallen in Geſaͤngen
wetteiferten, und die Holztauben drein gurrten.
Das Dunkel des Waldes, und der melancholiſche
Geſang der Amſel hatten die Seele des jungen
Siegwart zum Wehmuͤtigen und Feyerlichen ge-
ſtimmt, worein ihn das ernſihafte Geſpraͤch ſeines
Vaters uͤber die Schoͤnheit der Natur und die
Liebe des Schoͤpfers noch mehr verſenkte. Jhr
Geſpraͤch kam auf das Kloſter. Du wirſt, mein
Sohn, viel ehrwuͤrdige Leute drinnen antreffen; gu-
te ehrliche Maͤnner, die die Thorheiten und Be-
truͤgereyen der Welt kennen lernten, und ſich bey
Zeiten von ihr los machten, um im Frieden Gott
zu dienen, ihr Herz zu beſſern, und ſich fuͤr die
Ewigkeit vorzubereiten. So iſt mein Freund, der
alte Pater Anton, der deine ganze Hochachtung
verdient; aber nicht alle Paters denken ſo;
andre werden dir weniger gefallen. Jch ſage dir
dieſes nur, damit du dich nicht daran ſtoͤſſeſt, und
nicht lauter Engel drinnen ſuchſt. — Es iſt ei-
ne eigne Sache um das Moͤnchsleben. Eigentlich
ſollten nur Leute da ſeyn, die den Menſchen ſonſt
nicht mehr dienen koͤnnen. Doch, das geht uns
nichts an! — Sieh, dort liegt das Kloſter ſchon;
bey den Tannenbaͤumen dort! —
Sie waren nun, auſſerhalb dem Wald’ auf
eine Anhoͤhe gekommen, an deren Fuß das Klo-
ſter gebaut war. Rechterhand an einem Eichen-
walde gieng die Sonne ganz golden unter. Sie
ſpielte noch auf den umgebognen Spitzen der
Saat, die vor ihnen, wie ein ſanfter Strom da-
hin ſchwamm. Druͤber hin waren Geſpinnſte von
Spinneweben wie ein Teppich ausgebreitet, die
im Stral der Sonne alle Regenbogenſarben tru-
gen. Hoch in der Luft ſangen noch die Lerchen,
deren Fluͤgel, wenn ſie ſich ein Bischen wende-
ten, wie Gold glaͤnzten. Ein Arm der Donau,
der ganz ſtill zwiſchen Weiden hin floß, faßte das
Bild des rothen Abendhimmels auf, und man
konnte die ganze rotdaͤmmernde Gegend drin-
nen ſehen. Zur linken Seite ward der Himmel
ſchon dunkler; unten am Tannenwalde war er grau,
und oben gelbroth. Vor ihnen lag das Kloſter
in ruhiger Stille. Die, mit weiſſem Blech beleg-
ten Dachkuppeln glaͤnzten noch ein wenig; hinter
dem Gebaͤude erhuben ſich zwanzig oder dreißig ho-
he ſchwarzgruͤne Tannen; alles war jezt ſtill, da
die feyerliche harmoniſche Bethglocke erklang, und
die ganze Gegend um den jungen Siegwart her
zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt
weich wie Wachs; unwillkuͤhrliche Thraͤnen, die
das Mittel zwiſchen Wehmuth und Freude hielten,
glaͤnzten ihm im Auge. Er ſprach nichts; mit
halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem
Kloſter immer naͤher, und nun waren ſie am
Thor. Ein alter ehrwuͤrdiger Kapuziner in ſchnee-
weiſſen Haaren empfieng ſie mit der Freundlich-
keit eines Engels, und fuͤhrte ſie, weil er den al-
ten Siegwart kannte, in den Speiſeſaal. Hier
ſaßen dreißig Vaͤter, mehrentheils ehrwuͤrdige Grei-
ſe mit einer Glatze, und langen ſilberfarbnen
Baͤrten. Sie ſtanden alle auf, bewillkommten
mit einem ſtillen heitern Laͤcheln den alten Sieg-
wart, und umarmten ihn, einer nach dem andern,
mit bruͤderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jun-
gen Siegwart die Hand, dem das Herz laut
ſchlug. Die beyden Ankoͤmmlinge muſten ſich mit
zu Tiſche ſetzen, und das kleine maͤßige Mahl mit
genieſſen. Stille heitre Zufriedenheit ſaß auf allen
Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlich-
keit und Liebe. Der junge Siegwart ſah einen nach
dem andern an, und verlohr ſich in dem Gedanken von
dem Gluͤcke dieſer Vaͤter; er fieng jeden an zu
lieben, und freute ſich, wenn er bald von dieſem,
bald von jenem angelaͤchelt, oder angeredet wurde.
Beſonders nahm der ehrwuͤrdige Vater Anton, ne-
ben dem er ſaß, ſeine ganze Seele ein, denn er
ſah wie ein Apoſtel aus, und begegnete ſeinem Va-
ter mit der treuherzigſten Liebe.
Wie lange ſind Sie nun, ſagte dieſer zu dem
eisgrauen Pater Gregor, der die zwote Stelle an der
Tafel einnahm, hier im Kloſter? Vier u. funfzig Jah-
re ſinds, Gottlob! antwortete Gregor, daß ich von
der Welt mich abgeſondert habe, und hier im Klo-
ſter meinem Gott diene, und dem Tod entgegen
ſehe. Jn meinem zwanzigſten Jahre that ich Pro-
feß, und ſeitdem weiß ich von der boͤſen Welt nichts
mehr. Jch bin niemals krank geweſen, aber nun
fuͤhl ichs, daß mein ende nahe iſt. Es ſind mir ſo
viele vorgegangen, von denen ich geglaubt habe,
daß ſie mich begraben wuͤrden: endlich muß die
Reihe doch auch an mich kommen. Die naͤchſte
Leiche wird wol mir gelten, meine Bruͤder! und
hier ſah er alle, heiterlaͤchelnd, an. Das wolle
Gott nicht, ſprachen die Paters einmuͤthig; nein,
das wolle Gott nicht, daß wir dich ſo bald verlie-
ren! Der alte Mann ſah mit einem Blick gen
Himmel, und wiſchte ſich die Augen. Nun ward
ein lange Stille, welche keiner unterbrechen wollte,
bis der Guardian vom Tiſche aufſtand, dem die
andern alle nachfolgten. Anton und noch ein an-
drer Pater baten den alten Siegwart, die Nacht
im Kloſter zu ſchlafen, weil der Mond, den er ab-
warten wollte, doch erſt um halb 10 Uhr aufgien-
ge. Wir haben zwar im Kloſter keine weiche Bet-
ten, ſagte er, aber unſer Verwalter drauſſen ſoll
Sie gut beherbergen. Wir muͤſſen wieder einmal
einen Abend mit einander genieſſen, wer weiß, wie
lange uns dieß auf der Welt vergoͤnnt iſt? Der alte
Siegwart wars zufrieden.
Nach dem Abendgebeth gieng man in den
Garten, wo die Levkoje und die Nachtviole mit der
Apfelbluͤthe ſuͤſſer duͤftete. Viele Gaͤnge zwiſchen
hohen Hecken durchkreuzten ſich. Jn der Mitte
des Gartens plaͤtſcherte das Waſſer des Spring-
brunnens lieblich. Von hier konnte man alle Gaͤn-
ge uͤberſehen, in die ſich die Vaͤter, je Paar und
Paar, vertheilt hatten. Die ſich gleich geſchaffen
waren, ſchloſſen ihre Herzen vor einander auf, ent-
deckten ſich ihre Gedanken, ſahen zum geſtirnten
Himmel, ſprachen vom Grabe, von der Trennung,
vom Wiederſehen, und der Ewigkeit. Andere, die
die Freundſchaft in der Jugend ſchon vereinigt hatte,
ſprachen von den Tagen ihrer Kindheit, von ih-
ren Freuden oder Leiden, von den Freunden, wel-
che ſie verlaſſen hatten, ob ſie wol noch lebten, oder
ſie im Himmel ſchon erwarteten?
Sie theilten ſich ihre Beſorgniſſe wegen an-
drer mit, von denen ſie wuſten, daß ſie ehedem
der Welt und ihren Leidenſchaften zu ſehr nachge-
hangen, und nicht rechtſchaffen gedacht und gehan-
delt haͤtten; und nun beteten ſie gemeinſchaftlich
mit Worten, oder auch mit Blicken fuͤr ihr Wohl
und ihre Beſſerung.
Jn andern Gaͤngen ſchlichen weniger edelge-
ſinnte Maͤnner, die der Neid gegen andre, oder
das Misvergnuͤgen uͤber ihre Vorgeſetzten vereinigt
hatte, und die ſich mit den Fehlern oder Schwach-
heiten ihrer Mitbruͤder beſchaͤftigten, und boshafte
Kraͤnkungen fuͤr ſie ausſannen — Weg von dieſen
Unedeln, deren es leider in dem Kloſter, das ein
Sitz der Unſchuld ſeyn ſollte, nur zu viele gibt!
Aber laſt uns die bedauren, die einſam, ohne
Gefaͤhrten in den dunkelſten und engſten Gaͤn-
gen wandelten, um ihre Seufzer dem Ohr ihrer
Bruͤder zu entziehen; die zu lebhaften Seelen, die,
aus Ueberdruß der Welt, in der nur Ungluͤck ſie
verfolgte, ſich in einer Stunde des Unwillens und
B
der aufgebrachten Leidenſchaft entſchloſſen, ihr auf
ewig zu entſagen, und ein Geluͤbde zu beſchwoͤren,
welches ſie nachher ſo oft bereut hatten. Sie
glaubten, dem Elend zu entgehen, und fanden
neues groͤſſres Elend. Wie mancher beweinte jetzt
noch die Stunde des Taumels und der Trunkenheit
der Seele, worein ihn der Pomp eines Kloſters,
die feyerliche und himmliſche Muſik der Vaͤter,
die Ruhe und die Heiterkeit, die auf ihren Ange-
ſichtern zu wohnen ſchien, verſetzt, und die den Ent-
ſchluß, den falſche, oder einfaͤltige Freunde noch be-
ſtaͤrkten, hervorgebracht hatte, nach der gemeinen
Redensart, die Welt zu verlaſſen. Nun wuͤthete
die Melancholie in ihrer Seele, die jene Vaͤter in
der Gegenwart von Fremden immer hinter der Mi-
ne der Heiterkeit und Ruhe zu verbergen wuſten.
Sie kannten nun kein ander Gluͤck mehr als den
Tod, um den ſie mit ſtummen Thraͤnen, und mit
unterdruͤckten Seufzern zu Gott beteten.
Jn einem ſolchen Taumel, der ſie ehedem ins
Kloſter getrieben hatte, ſchwamm jetzt unſer junger
Siegwart, der den langen Gang hinab mit ſeinem
Vater und dem guten Pater Anton, dem kleinen
dunkeln Tannenwaͤldchen zugieng, das den Kloſter-
garten begraͤnzte. Die beyden Freunde giengen
Hand in Hand, und vertieften ſich in vertrauliche
Geſpraͤche, wozu ſie die ſchweigende Fruͤhlingsnacht
einlud. Lauſchend gieng der junge Siegwart ne-
ben her. Sie kamen nun ans Tannenwaͤldchen,
deſſen Wipfel in der Abendluft ſanft ſaͤuſelten; hin-
ten, wo der Wald am dunkelſten war, ſetzten ſie
ſich in die kuͤhle Grotte, neben der ein kleiner Bach
vorbeyrieſelte.
Hier ſitz ich nun, ſagte Pater Anton, ſeit
vierzig Jahren jeden ſchoͤnen Fruͤhlings- oder Som-
merabend, und uͤberdenke da mein Tagwerk und
die Fuͤhrungen des Himmels. Oft, mein guter
Siegwart, denk ich auch an dich, und die Tage,
die wir in der Welt zuſammen lebten. Ach, wie iſt
mein Herz ſeitdem ſo ruhig geworden! Du weiſt,
Lieber, was ich ausgeſtanden habe; wie das Un-
gluͤck uͤber mich her ſtuͤrmte; wie die Menſchen
mich verfolgten; und wie viel ich mit mir ſelbſt
und meinen Leidenſchaften zu kaͤmpfen hatte! —
Hier ſprach er leiſer, und mit mehr gebrochner
Stimme. — Man hat lang zu ſtreiten, bis man
ſich von allen Schlacken losreiſt, zumal wenn das
Herz den Eindruͤcken der Sinnlichkeit offen, und
heftig iſt. Jch glaube, daß man faſt nur in der
Einſamkeit dazu gelangen, ſeine Seele reinigen,
vom Jrrdiſchen abziehen, und in Gottes Liebe ver-
ſenken kann; und da iſt die Kloſterregel gewiß das
beſte Mittel dazu. Jch ſage nicht, daß alle Men-
ſchen das Geluͤbde ablegen ſollen, aber wer es thun
und halten kann, der thut wol, und ſorgt fuͤr ſeine
Ruhe.
Aber, fiel der alte Siegwart ein, auch fuͤr
das Gluͤck der Welt, fuͤr ſeine Bruͤder? denn das
ſind doch alle Menſchen. Vergib mir dieſen Ein-
wurf, ich weiß wol, daß man ihn bey uns nicht
laut machen darf, aber bey Dir darf ichs wol.
Du haſt Recht, ſagte Anton, ich hab oft druͤ-
ber nachgedacht, und anfangs konnt ich mich nicht
ſogleich beruhigen; aber, ich denke, wenn man ſo
lebt wie ich, und es ſo gut meynt, dann thut man
ſeiner Pflicht genug. Sieh’ ich will dir meinen
jetzigen Lebenslauf erzaͤhlen. Ein Tag iſt wie der
andre. Des Morgens ſteh ich fruͤh auf, im Som-
mer mit der Sonne, und im Winter um 6 Uhr;
dann halt ich meine eigne Morgenandacht, leſe
mein Brevier, oder geh im Garten ſpatzieren;
dann ſtudir ich etwas, leſe in der Vulgata, im
heiligen Chryſoſtomus, oder ſonſt in einem guten
und erbaulichen Buche, deren unſre Bibliothek ge-
nug hat. Dann ſing ich meine Horas, oder leſe
eine Meſſe. Wenn ich meditiren muß, ſo denk
ich nach, wie ich erbaulich vredigen will, wenn ich
zu den Bauren komme. Beym Mittagsmal eſſe
ich wenig; nach dem Eſſen geh ich in den Garten,
und pflanze verſchiedenes, oder lerne allerley Vor-
theile vom Gaͤrtner, die ich dann den Bauren in
den Doͤrfern herum wieder ſage. Dann leſ’ ich
wieder etwas; nach der Veſper geh ich zu einem oder
dem andern Bruder auf die Zelle, wo wir bis ans
Abendeſſen von ernſthaften Dingen ſprechen; und
nach dieſem geh ich immer, wenn das Wetter ſchoͤn
iſt, im Garten ſpatzieren, oder auf den Gottes-
acker zu dem Grabe meines lieben Bruder Joſephs,
oder ich ſitze hier in der Grotte, und denke ſo uͤber
mich ſelbſt nach, und was ich den Tag uͤber ge-
than habe.
Trift dich oft das Auswandern, ſagte Sieg-
wart, wenn ihr aufs Almoſenholen oder Predigen
und Meßleſen ausgeht? — Alle vierzehn Tage
einmal, antwortete Anton, und da freu’ ich mich
immer recht darauf. Ob ich gleich den Bauren
nicht vorſchreibe, was ſie geben ſollen, oder ihnen
viel abzuſchwatzen ſuche, weil es mir weh thut,
wenn die Leute, die oft weniger, als wir, haben,
ſich vom Noͤthigen entbloͤßen ſollen, ſo bring ich doch
immer ſo viel oder mehr ins Kloſter, als die an-
dern Bruͤder; denn die Leute ſagen, daß ich ihnen
das alles wieder tauſendfaͤltig einbringe, weil ich
ſie, wie ſchon geſagt, Garten- und Ackerkuͤnſte lehre,
ihre Kinder unterrichte, wenns im Geſpraͤch auf
was Geiſtliches kommt, und in der Kirche allemal
nach der Meſſe erbaulich und verſtaͤndlich predige.
Da haben mich die Leute ſo lieb, und druͤcken mir
die Hand, und wuͤnſchen mir ſoviel Gutes, daß ich
vor Freuden ſchon im Himmel zu ſeyn glaube. —
Hier rollten dem guten Alten die Thraͤnen in den
langen Bart, und er ſprach viel lauter und geſchwin-
der; auch dem alten und dem jungen Siegwart
ſtunden Thraͤnen in den Augen —
Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort,
du moͤchteſt es fuͤr Pralerey halten, wenn ich ſo
von mir ſelber ſpreche, aber Gott weiß, das iſt es
nicht; ich freue mich nur ſo druͤber, wenn ich et-
was Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine
Freude ausbrechen laſſen. Ach, ich habe noch
Schwachheiten genug an mir, die mir dieſe Freu-
de wieder ganze Wochen lang verbittern; und
es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bau-
ren ſo gut zu machen wuſte.
Jch weiß, Vater Anton, ich weiß, ſagte
Siegwart, daß es keine Pralerey iſt; das war nie
dein Fehler. Du haſt den Ruhm in der ganzen
Gegend, daß man dich am liebſten ſieht; und die
Bauren in meinem Dorfe lieben dich wie ihren
Vater. Ja, wenn alle, ſo wie du, waͤren! —
Xaver, (ſo hieß der junge Siegwart) wie ſagte
doch neulich unſre Nachbarinn vom Pater Anton?
du haſt mirs ja heute noch auf dem Herweg er-
zaͤhlt. — Der junge Siegwart wurde roth, und
ſtotterte: der Pater Anton, fieng er an, und hielt
wieder inne; der Pater Anton ſey ein lebendiger
Heiliger, ſagte ſie, den man jetzt ſchon anrufen ſoll-
te, und man muͤſt ihn zum Pabſt machen, wenns
auf ſie ankaͤme. Es ſey alles noch ſo gut, was Er
auf der Kanzel ſage, weil mans ſo verſtehen koͤnne.
Hier druͤckte Anton dem Juͤnglinge die Hand;
das iſt zu viel Lob, ſagte er, die Leute uͤbertreibens.
Jch thue nur, was ein jeder thun ſollte. —
Jnzwiſchen kamen ein paar Kapuziner bey
der Grotte vorbey, und gruͤſten den Pater An-
ton, den ſie an der Stimme kannten, freundlich.
Das ſind ein paar heilige und rechtſchaffne
Leute, ſagte er, indem ſie weggiengen, die mir den
Verluſt meines lieben P. Joſeph noch in etwas
erſetzen. Du wuſteſt wol noch nichts von ſeinem
Tode, lieber Siegwart? Du beſuchſt uns auch
gar zu ſelten. Er ſagte mir noch den Tag vor ſei-
nem Tode, daß ich dich vielmals gruͤſſen ſollte; in
der Ewigkeit ſeh er dich einſt wieder. Nun iſts
bald ein Vierteliahr; am Charfreytagabend
ſtarb er. Ach, du haͤtteſt ihn ſehen ſollen, wie er
ſtarb; mit welcher Ruhe, mit welcher Heiterkeit!
Aber ſo ein Leben war auch eines ſolchen Todes
werth. Jch habe viele Leute gekannt, ſeit ich hier
im Kloſter bin, aber einen Mann, der ſo rein und
unſchuldig lebte, und ſo viel Gutes ſtiftete, wie er,
hab ich nie geſehen! Jedermann hielt ihn fuͤr ſei-
nen Vater, und ward in ſeiner Gegenwart froͤm-
mer. Du haſt ihn ſelbſt gekannt, Siegwart; und
ich wuͤrd’ auch gar zu wehmuͤthig, wenn ich viel
von ihm erzaͤhlen wollte. Hier an meiner Seite
ſaß er ſo oft, goß ſeine ganze Seele vor mir aus,
und ſprach mit einer Freudigkeit vom Himmel, als
ob er ſchon einmal da geweſen waͤre. Oft, wenn
ich ſo allein in der Daͤmmerung hier ſitze, dann kommt
mirs vor, als ob ich ihn hoͤrte, und dann fahr ich
auf, und wag’ es kaum, wieder wegzugehen. Groſ-
ſer Gott, und er muſte mir entriſſen werden! Doch
ich werd ihm bald nachfolgen.
Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen
wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der
Seite dort.
Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend,
beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier
iſts, ſagte Anton, ich hab ihm einen Roſenſtrauch
drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra-
gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen.
Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben,
wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo
leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als
er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an
Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter
hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg-
wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie
waͤrs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht
wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo-
ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried
und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von
den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be-
ſchreibung war, die Anton von dem Kloſterleben
gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe
war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja,
weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in
ihm aufgeſtiegen war, in dieſer ruhigen Einſam-
keit, unter Leuten, die er alle fuͤr Engel hielt, zu
leben.
Siehſt du, Siegwart, er ſagt ja; er will
zu uns kommen. Kannſt du ihm wol ſeinen
Wunſch verſagen?
Jch weiß nicht, ſprach der alte Siegwart,
ich dachte dieſen Abend auch ſchon einigemal dran;
aber mein Xaver taugt nicht fuͤr das Kloſter;
er iſt zu munter und zu lebhaft, und hat ſelbſt
nie keine Luſt dazu gehabt. Er ſagt jetzt zwar Ja;
aber das iſt wol nur ſo ein Einfall. Wie iſts
Xaver, gefaͤllt dirs wirklich hier? Haͤtteſt du wol
Luſt, einmal beym Pater Anton zu leben?
O ja, ſagte der zu feurige, erhitzte Juͤngling;
Jch wuſte vorher nicht, daß es ſo gut hier im
Kloſter waͤre.
Nun, wir wollen druͤber nachdenken, es iſt
noch Zeit, ſprach der Vater; und ſie giengen wie-
der vom Grab weg. Jndeſſen gieng hinter ihnen
der faſt volle Mond auf, und beſchien die hohen
Tannenwipfel. Als ſie in den langen Gang mit
der hohen Hecke kamen, ſah man oben nah am
Kloſter ein Paar Kapzuiner wandeln, deren
ſchneeweiſſes Haar im Mondſchein glaͤnzte. Die
Nachtigallen ſchlugen laut, und flogen nicht davon,
wenn man dicht bey ihnen ſtand. Das Mond-
licht, das nun den ganzen Garten erhellte, und
die Schatten, die das Laub der Buͤſche machte,
huͤpften vor ihnen in mannigfaltigem Gemiſch da-
hin; in der Mitte, wo das Waſſer des Spring-
brunnens plaͤtſcherte, und tauſend goldne Stern-
chen bildete, kamen nach und nach die Moͤnche
aus den verſchiednen Gaͤngen zuſammen, und
ſtellten ſich in einem Kreis um den alten und jun-
gen Siegwart, und den Pater Anton her. Sie
ſahen im Mondſchein noch ſo heilig und ehrwuͤr-
dig aus. — Nun, wie gefaͤllts ihm hier im Klo-
ſter, junger Herr Amtmann? ſagte einer von den
Moͤnchen zu dem jungen Siegwart. O recht gut,
fiel ihm Anton ein; ein will bald bey uns Pro-
feß thun. Schoͤn, ſchoͤn! riefen alle Moͤnche. Es
gibt doch noch immer Leute, welche Gott von
Herzen dienen.
Bleib er bey dem Entſchluß, lieber junger
Herr! ſprach ein alter Moͤnch, der neben unſerm
Siegwart ſtand, und es ſoll ihn nicht gereuen;
wir wollen ihm alle Liebs und Gutes thun.
Es iſt noch nicht ſo gewiß, ſagte drauf der
alte Siegwart; Pater Anton ſcherzt nur. Ey
warum, lieber Herr Amtmann? ſagte P. Gre-
gor. Haͤtten Sies nicht gerne, wenn Jhr Sohn
ein frommer Mann wuͤrde? Sie muͤſſen ihm zu-
reden. Glauben Sie; ein frommer Moͤnch tringt
Segen uͤber ſeine ganze Familie.
Nun giengen ſie alle mit dem bruͤderlichen
Kuß auseinander, und jeder wuͤnſchte noch beſon-
ders dem jungen Siegwart gute Nacht. Die
beyden Gaͤſte wurden zum Verwalter vors Klo-
ſter hinausgefuͤhrt, wo ſie ſchon ein zubereitetes
Schlafzimmer fanden. Der alte Siegwart ver-
mied vorſetzlich, mit ſeinem Sohn von dem, was
dieſen Abend vorgefallen war, zu reden. Er kann-
te ſein lebhaftes, leicht zu erhitzendes Tempera-
ment, und dachte, die Bilder, die ſich ihm die-
ſen Abend eingepraͤgt hatten, wuͤrden wieder mit
der Nacht verfliegen.
Allein der junge Siegwart, der in einem be-
ſondern Zimmer lag, konnte nicht ſchlafen; der
Gedanke an das Kloſter, an die ſtille Ruhe und
glaͤnzende Heiligkeit der Moͤnche beſchaͤftigte ihn bis
um Mitternacht. Er baute tauſend Luftſchloͤſſer
auf; ſeine dichteriſche Phantaſie malte ihm die
Tage vor, die er hier ſo gluͤcklich zubringen koͤnn-
te; ſie malte ihm das Kloſter als einen Himmel
auf Erden ab, und er gluͤhte von dem Wunſche,
bald ein Einwohner dieſes Himmels zu werden.
Endlich ſchlief er ein; er ſah im Traum En-
gel herabſteigen, und ihn zum Altar ſuͤhren, wo
er das Geluͤbde ablegen ſollte. Seine Mutter, die
ſchon geſtorben war, winkte ihm an der Seite der
Maria, ihnen zu folgen; er hoͤrte eine himmliſche
Muſik, und wachte von der zu heftigen Bewegung
ſeiner Seele auf. Der Tag war ſchon angebro-
chen; die Sonne gieng auf. Er konnte nicht laͤn-
ger im Bette bleiben, und gieng ans Fenſter, von
da aus er das Kloſter und einen Theil des Gar-
tens uͤberſehen konnte. Rings ums Kloſter herum
lagen Fruchtfelder, die, vom Thau benetzt, in fri-
ſcher Farbe prangten. Ueberall ſchwebten Lerchen
in der Luft, und ſangen ihr goͤttliches Lied auf die
neuerwachte Welt herab. Jm Kloſtergarten ſangen
Rothkehlchen, Aemmerlinge, Nachtigallen und Am-
ſeln. Einen Pater ſah er ſchon mit gefalteten
Haͤnden, die ein kleines Kreuz hielten, in den Gaͤn-
gen auf und nieder gehen. Dies erweckte ſeine
Andacht, die nie feuriger geweſen war. Lieber
Gott! laß mich auch zu ſo einem frommen Mann
werden, ſeufzet’ er, und ſchwieg wieder.
Rechterhand lag der Gottesacker; und er
konnte deutlich das Grab ſehen, auf dem ſie geſtern
Abend geſtanden hatten. Hier fiel ihm der Pater
Joſeph ein, und Thraͤnen ſchoſſen ihm ins
Auge.
Jndem trat ſein Vater ins Zimmer; er fuhr
zuſammen, drehte ſich um, und ſuchte ſeine Thraͤ-
nen zu verbergen.
Wie, mein Sohn, du biſt ſchon auf? und ſo
traurig? ich glaube gar, du haſt geweint. Fehlt
dir was, Xaver?
Ach nein, Papa, ich ſah da auf den Kirch-
hof, wo wir geſtern geweſen ſind. Der Pater
Joſeph muß ein treflicher Mann geweſen ſeyn.
Ja, mein Sohn, das iſt er geweſen, und es
iſt mir lieb, daß dir ſein Andenken werth iſt. Wie
haſt du denn dieſe Nacht geſchlafen? Doch recht
ruhig?
Nicht ſo ganz, Papa; Jch hatte allerley Ge-
danken durcheinander, und dann ttaͤumttraͤumt’ ich auch
ſo wunderlich.
Nun, wovon denn?
Je, vom Kloſter, und dergleichen.
Ja, das hab ich mir eingebildet, und deswe-
gen kam ich auch heruͤber. Du warſt geſtern auf eine
ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich
Achtung, aber ich wollte nichts davon ſagen. Es
ſchienen mancherley ſonderbare Veraͤnderungen in
dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig
mit dir reden. Der Pater Anton lag mir ſchon
lange an, daß ich dich ins Kloſter thun ſollte. Jch
hatte wenig Luſt, weil ich deine Munterkeit kannte,
die ſich nicht fuͤrs Kloſter ſchickt; und deswegen
hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun iſts
einmal geſchehen, weil du mir keine Ruhe lieſſeſt.
Du ſagteſt geſtern dem Pater Anton, daß du Luſt
zum Kloſterleben haͤtteſt. Er fieng das auf, und
ſagte es gleich vor den andern Moͤnchen. Dieſe
freuen ſich nun immer, wenn ſie neue Ankoͤmm-
linge bekommen koͤnnen. Sie werden heute gleich
wieder davon anfangen, und darum wollt ich erſt
mit dir davon reden. Du ſagſt, es habe dir vom
Kloſter getraͤumt; was war es denn?
Jch war in der Kirche, ſagte Xaver, wo die
Kapuziner alle um mich herum ſtunden. Jch ſoll-
te zum Altar hin gehen; und da war mirs, als
ob Engel herabkaͤmen, und als ob die ſelige Ma-
ma mit der Mutter Gottes kaͤme, und mir wink-
te, daß ich hingehen ſollte. Jch wachte dann wie-
der auf, und konnte nicht mehr einſchlafen.
Das iſt ſonderbar, ſagte der alte Siegwart,
und gieng auf und nieder. Es hatte ihm was aͤhn-
liches von ſeiner Frau getraͤumt, weil er ſich an
Pater Joſephs Grabe allein mit dem Gedanken
an ſie beſchaͤftigt hatte. — Xaver, iſt es dir denn
Ernſt mit dem Kloſter?
O ja, Papa; wenn Sie es wollen —
Jch will es nicht, mein Sohn; Aber ich will
dir auch in deiner Wahl nicht vorgreifen; ich weiß,
daß du jetzt dafuͤr biſt; aber du muſt alles wohl
uͤberlegen; wenn man hier einmal gewaͤhlt hat,
dann iſt die Reue zu ſpaͤt. Jch wuͤnſchte ſchon zu-
weilen, daß einer meiner Soͤhne ein Geiſtlicher
werden moͤchte; mit Karl und Wilhelm geht es
nicht mehr an; die haben ihre Verſorgung; aber
wegen deiner war ich immer zweifelhaft. Mit
dem Kloſterleben iſts ſo eine Sache; bald gefaͤllt es
mir, bald wieder nicht, und die wenigſten ſchicken
ſich dazu. Geſtern Abend hat mich nun Pater
Anton wieder ganz dafuͤr eingenommen. Er iſt
ein guter frommer Mann, und mein vieljaͤhriger
Freund. Wenn du ihm gleich werden koͤnnteſt, ſo
wuͤrd ich Freude an dir erleben. Aber, Xaver, ich
glaubte immer, fuͤr dich waͤre eine ſo ganz einfoͤr-
mige Lebensart nicht. Du biſt zwar oft gern al-
lein; aber zuweilen biſt du wieder immer in Ge-
ſellſchaft. Und dann muſt du dir das Kloſter nicht
ſo vorſtellen, wie es dir geſtern das erſtemal vor-
gekommen iſt! So lange einem etwas neu iſt, da ge-
faͤllt es immer. Vor den Leuten thun die Paters
immer friedlich, und ſcheinen, wie die Engel zu le-
ben; aber es moͤgen wol, wie ich manchesmal aus
des Pater Antons Reden merkte, manche boͤſe Leu-
te unter ihnen ſeyn, die einem das Leben recht ſauer
machen koͤnnen. Kurz, ich weiß nicht, ob ich dir
dazu rathen ſoll? — Freylich, wenn ich an den
Traum denke; denn ich muß dir nur ſagen, daß
mir eben das getraͤumt hat.
Eben das getraͤumt? rief Xaver. O Papa,
das iſt gewiß nicht umſonſt geſchehen! Es gefaͤllt
mir ſo gut hier, als mirs noch an keinem Ort ge-
fallen hat. Jch wollte Sie wol bitten, daß Sie
mich hier lieſſen! — Hier im Kloſter bleiben kannſt
du jetzt noch auf alle Faͤlle nicht, erwiederte der
Vater, denn die Kapuziner unterrichten keine jun-
gen Leute, und dann muͤſteſt du auch noch vorher
auf Akademien. Aber dazu wollt’ ich dir wol ra-
then, daß du einige Tage lang hier zuruͤcke blie-
beſt, um die Einrichtung der Lebensart genauer ken-
C
nen zu lernen. Du muſt auf alles genau Acht ge-
ben, ob die Paters dir gefallen? ob du dich an die
beſtaͤndigen Andachtsuͤbungen; an den Gehorſam;
an die ſtrenge Kloſterzucht; an die, mehrentheils
geringe und ſchlechte Koſt; an das einfoͤrmige, ſtille,
von der uͤbrigen Welt abgeſchnittne Leben gewoͤh-
nen kannſt? Ob du dich fuͤr ſtark genug haͤltſt, den
Vergnuͤgungen der Welt zu entſagen, und, von
ihr ungekannt, nur dir und Gott zu leben? Pater
Anton ſoll dich von allem noch genauer unterrich-
ten, auf ihn kannſt du dich verlaſſen. Jn vier
oder fuͤnf Tagen komm’ ich wieder, um deine Mey-
nung zu erfahren; denn nun iſts gerade Zeit, daß
du dich zu einer Lebensart entſchlieſſeſt, welche kuͤnf-
tig dein ganzes Leben ausfuͤllen ſoll. Jch werde
alt, war weiß wie lange ich noch lebe; und ich
wuͤnſchte dich ſo gern vor meinem Ende noch ver-
ſorgt. Jch dachte, dich zu meinem Bruder dem
Forſtmeiſter zu thun, aber der iſt nun vor ſechs
Wochen auch geſtorben. Doch ich laſſe dir die freye
Wahl, und rede dir zu nichts zu, um nachher keine
Vorwuͤrfe zu haben. Willſt du ſo, mein Sohn?
O ja, Papa; Sie ſind auch gar zu guͤtig.
Laſſen ſie mich nur hier! Jch hoffe, daß es mir
recht wohl gefallen ſoll; denn| ſo ſchoͤn haͤtt’ ich mir
das Kloſterleben gar nicht vorgeſtellt.
Nun kam der Thorwart des Kloſters, und
fragte, ob ſie in das Converſatorium kommen woll-
ten? die Paters waren alle ſchon da verſammelt,
und hatten ihre Vigilien ſchon geſungen. Sie be-
ſprachen ſich uͤber den jungen Siegwart, den ſie
gern bey ſich im Kloſter gehabt haͤtten, und rede-
ten dem Pater Anton zu, weil er doch ſoviel uͤber
den Herrn Amtmann vermoͤge, daß er ihm ja recht
anliegen ſollte, ſeinen Sohn der Kirche und dem
Kloſter zu ſchenken!
Jndem trat der Vater mit dem Sohn herein.
Sie eilten dem erſten mit offnem Arm entgegen,
und empfiengen ihn, einer nach dem andern. Dem
jungen Siegwart druͤkten ſie treuherzig die Hand,
und nannten ihn ihren jungen Bruder. Das ge-
fiel dem Juͤngling. —
Morgen ſollt er hier ſeyn! ſagte der Guar-
dian. Wir haben Feſttag, da wirds ihm gefallen!
Ja, ich bleibe hier, rief der enzuͤkte junge
Siegwart, der Papa hats ſchon geſagt.
Gemach, mein Sohn, ſprach der Vater; du
muſt erſt von den Ehrwuͤrdigen Herren die Erlaub-
nis dazu haben.
O recht gerne, ſagte Pater Gregor, der da-
bey ſtand, und wandte ſich zu den uͤbrigen: der
junge Herr moͤchte etwas bey uns bleiben. Sie
erlaubens doch?
Warum nicht? riefen alle. Herr Amtmann,
ſagte einer, Sie muͤſſen Jhren Sohn ja der Kirche
ſchenken! Er hat recht einen goͤttlichen Beruf dazu.
Wir ſahens ihm ſchon geſtern an, und ſprachen
noch heute viel davon. Er wird ihnen Freude,
und dem Orden Ehre machen. Wir glaubten ſchon,
Jhren Karl zu kriegen; aber Xaver taugt noch
mehr dazu. Laſſen Sie ihn ſo lange bey uns, als
Sie wollen; Er ſoll gewiß gut aufgehoben ſeyn.
Das bin ich uͤberzeugt, ſprach der alte Sieg-
wart; wenn Sie ſo erlauben wollen, ſo laſſe ich ihn
etliche Tage hier; er bat mich heut darum. Es
ſcheint, daß er recht viele Luſt zum Kloſter hat,
und wenn es Gottes Wille waͤre, ſo bin ichs auch
recht wohl zufrieden. Jch ſollte auch einmal ins
Kloſter, und vielleicht waͤr’ mirs beſſer gegangen,
als ſo. Doch ich bin jetzt auch zufrieden. Wol-
len Sie erlauben, ſo ſchick ich heute ſtatt des Koſt-
gelds etwas Wein und Korn. Jn ein paar Ta-
gen hol ich meinen Sohn dann wieder ab.
Sie muͤſſen aber heut doch erſt bey uns zu
Mittage eſſen, ſagte Gregor, und das Kloſter ein
bischen beſehen.
Er und Anton giengen nun mit den bey-
den Siegwarts auf die Bibliothek, wo ſie Buͤ-
cher mit den ſchoͤnſten Kupfern ſahen. Dann be-
ſahen ſie die herrlichen mit Perlen und Gold ge-
ſtickten Meßgewande, deren Anblick das Auge des
jungen Siegwarts faſt verblendete; die goldnen,
mit Steinen beſetzten Kelche; Silberne und ver-
goldete Bildniſſe von Apoſteln und Heiligen. Jn
der Kirche ſchimmerten die goldbedeckten Altaͤre
im Stral der Morgenſonne. An den Waͤnden
hiengen herrliche Gemaͤlde von Heiligen, und Ka-
puzinern, die als Maͤrtyrer geſtorben ſind. Be-
ſonders ruͤhrte ein Gemaͤlde den jungen Siegwart
bis zu Thraͤnen. Viele Kapuziner hiengen todt-
blaß, aber doch mit einer innern Heiterkeit, und
einem halbgebrochnen, muͤhſam zum Himmel
empor gehobnen Auge, an Kreuzen. Ueber ih-
nen ſchwebten, in halberleuchteten Gewoͤlken, Engel
mit Siegerkronen, und Palmzweigen in der Rech-
ten. Auf einer andern Seite wurden welche
durch das Schwert hingerichtet. Verſchiedne, mit
Blut befleckte Ruͤmpfe lagen ſchon vor ihnen.
Auf einem derſelben kniete ein alter ſilberhaarich-
ter Kapuziner, der eben hingerichtet werden ſollte,
mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vor-
dergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey, ge-
fuͤhrt, aus deſſen, feſtvergitterten Oefnungen ab-
gehaͤrmte Geſichter herausſahen, die ſich eben ei-
nen ſolchen Tod mit Sehnſucht zu wuͤnſchen ſchie-
nen; beſonders ruͤhrte unſern Siegwart das Ge-
ſicht eines Juͤnglings, der ihn mit Thraͤnen an-
zuſehen ſchien.
Das waren alle unſre Bruͤder, ſagte Anton,
die als Miſſionarien nach tauſendfachen Leiden der
Maͤrtyrerkrone ſind theilhaftig geworden. Wir
werden ſie einſt alle wieder bey Gott antreffen,
wenn wir, wie ſie, willig Armuth, und, wenns
ſeyn ſoll, auch Verfolgung tragen.
Mit dieſen Worten ſah er den jungen Sieg-
wart an, der den ganzen Ausdruck dieſes Blickes
fuͤhlte.
Nun kamen ſie im Hof an ein kleines ſtei-
nernes Haͤuschen, das ans Kloſter angebaut war.
Gregor machte das Thuͤrchen auf, und ein Hau-
fen Kruͤcken und Staͤbe lag da uͤber einander ge-
thuͤrmt.
Das ſind Zeugen von den Kuren, ſagte
Gregor, welche mit Gottes Huͤlfe durch unſer Ge-
beth, und die Kraft unſers wunderthaͤtigen Ma-
rienbildes, das Sie in der Kirche geſehen haben,
hier im Kloſter verrichtet worden ſind. Kruͤppel
und Lahme kamen an ihren Kruͤcken, und auf Wa-
gen zu uns. Geſund und friſch konnten ſie in
ihre Haͤuſer zuruͤckgehen, und lieſſen zum Anden-
ken ihrer Heilung ihre Kruͤcken und Staͤbe hier.
So thun wir Gutes, was wir koͤnnen, an Leib und
Seele.
Der junge Siegwart betrachtete dieſe Stuͤ-
tzen der Elenden, die ſie nun nicht mehr bedurf-
ten, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr
die Vaͤter, denen er in ſeiner frommen Einfalt
ſolche Wunderkraͤfte zutraute. Er glaubte nun, er
muͤſſe ein Moͤnch werden, und brannte vor Begier-
de, es ſchon jetzt zu ſeyn. Seine ganze Seele
war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts
hoͤren, und nichts ſehen ließ, als nur das Kloſter.
Die ganze andre Welt war ihm nun verhaſt,
und oͤde. Er betrachtete ſie als den Wohnplatz
abgeſchiedner, bedaurenswuͤrdiger Seelen; und haͤt-
te in dieſem Augenblicke den gehaſt, der ihn wie-
der aus ſeinem ertraͤumten Himmel haͤtte heraus
reiſſen wollen. So ſchnell werden lebhafte Seelen,
die jedem Eindruck offen ſind, oft durch Schatten-
bilder zu Entſchluͤſſen hingeriſſen, die einen Einfluß
auf ihr ganzes kuͤnftiges Gluͤck oder Ungluͤck ha-
ben. Moͤchten doch nicht Leute, die dieſe ſchwa-
che Seite einer feurigen Seele kennen, ſie ſo oft
misbrauchen!
Noch verweilten ſie ſich eine Zeitlang in den
Zellen der beyden Moͤnche. Alles gefiel hier un-
ſerm jungen Siegwart; das kleine Krucifix, das
hoͤlzerne Bette, und beſonders der Todtenkopf, den
Pater Anton auf ſeinem kleinen Tiſche ſtehen
hatte.
Nun wars bald Eſſenszeit. Man ſpeiſte
heute, um der beyden Fremden willen, in dem Gar-
tenſaal. Die Paters begegneten dem jungen Sieg-
wart mit beſondrer Achtung, um ihn immer noch
mehr fuͤrs Kloſter einzunehmen. Gegeneinander zeig-
ten ſie eine auſſerordentliche bruͤderliche Freund-
lichkeit; einer erzaͤlte nach dem andern etwas Ange-
nehmes aus dem Kloſter; ſprach veraͤchtlich von
der Welt und ihren Freuden; ruͤhmte das Gluͤck
der Einſamkeit, und pries den Tag als den gluͤck-
lichſten ſeines Lebens, an welchem er das Geluͤbde
abgelegt hatte.
Der alte Siegwart muſte verſprechen, wenn
es, wie nicht zu zweifeln waͤre, ſeinem Sohn fer-
ner im Kloſter gefiele, ihn in kein anderes, als in
das ihrige zu thun. Jn der Stadt koͤnne Xaver
bey den Piariſten, wohin ſie ihn empfehlen woll-
ten, in 3 oder 4 Jahren die Anfangswiſſenſchaf-
ten lernen, und dann koͤnne er gleich auf die Uni-
verſitaͤt gehen.
Nach Tiſche gieng man noch ein paar Stun-
den im Garten ſpazieren, oder ſetzte ſich ins Ge-
buͤſch, wo eine Menge Amſeln, Nachtigallen und
andre Voͤgel faſt ganz zahm herumhuͤpften, und
ſangen, weil ihnen die Paters nie nichts zu Leide
thaten.
Gegen Abend gieng der alte Siegwart nach
Hauſe, nachdem er ſeinen Sohn den Moͤnchen
noch einmal empfohlen hatte. P. Anton, P. Gre-
gor und ſein Sohn begleiteten ihn bis ans Waͤld-
chen; wo ſie zaͤrtlich von einander Abſchied
nahmen.
Traurige und freudige Gedanken wechſelten
nun in ſeiner Seele mit einander ab. Er wuͤnſch-
te ſehr, daß ſein Sohn ein Moͤnch werden
moͤchte, denn er war noch vom Aberglauben nicht
ganz frey, und glaubte, ein gutes Werk zu thun,
wenn er ſeinen Sohn Gott, das heiſt, nach den
angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloſter ſchenk-
te; aber er konnte ſich doch auch des, nur zu rich-
tigen Gedankens nicht entſchlagen, daß ſein Sohn
nicht fuͤrs Kloſter gebohren, und daß ſein jetziger
Entſchluß nur eine Art von Betaͤubung ſey, die
eben ſo bald wieder voruͤber gehen koͤnne.
Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft
ringt, ſo ſiegt dieſer mehrentheils, weil er immer
ſehr furchtſam und aͤngſtlich macht. Der gleiche
Traum von ſeiner Frau, den Siegwart mit ſei-
nem Sohn gehabt hatte, und den er fuͤr ein goͤtt-
liches Werk hielt; das ſchon lang anhaltende Zureden
ſeines Freundes Anton; das Dringen der Moͤnche,
dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung
ſeines Sohnes, deſſen freyer Wahl er alles uͤber-
ließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite,
und befeſtigten ihn in dem Entſchluſſe, ſeinen Sohn
der Welt abſagen zu laſſen. Er wird einſt unter
Antons Anfuͤhrung ein frommer Mann werden,
und mehr kann ich ihm nicht wuͤnſchen.
Auch der Gedanke gab ſeinem Entſchluß noch
einiges Gewicht, daß er dann mehr fuͤr das Wohl
ſeiner beyden andern Soͤhne und fuͤr die Verſor-
gung ſeiner beyden Toͤchter thun koͤnne, weil er auf
dieſe Art nicht ſoviel an ſeinen Xaver zu verwen-
den brauche.
Als er nach Hauſe kam, und den beyden
Soͤhnen, davon der aͤlteſte ihm an die Seite ge-
ſetzt war, ſein Verfahren bekannt machte, billigten
ſie daſſelbe auch aus eigennuͤtzigen Abſichten ſehr,
ob ſie gleich die Religion zum Deckmantel nah-
men, und viel von Verdienſtlichkeit und guten
Werken ſprachen. Nur Thereſe, die aͤlteſte Toch-
ter, billigte den Entſchluß nicht, und bedaurte ins-
geheim ihren armen Bruder, ohne daß ſies merken
laſſen durfte.
Der junge Siegwart gieng indeſſen zwiſchen
ſeinen beyden Moͤnchen langſam wieder nach dem
Kloſter zu. Dieſe wetteiferten, ihm angenehme
Dinge vorzuſagen, und ſeinen Entſchluß zu loben.
Der Abend ſtrich ihm in der Geſellſchaft der
Kapuziner, die ſich beym Abendeſſen faſt allein mit
ihm beſchaͤftigten, und ihm das Kloſterleben von
der reizendſten Seite abzuſchildern ſuchten, ſehr an-
genehm hin. Sein Herz ward immer mehr ge-
feſſelt; wo er hin ſah, erblickte er Ruhe, Zufrie-
denheit, und bruͤderliche Liebe; Bilder, die bisher
immer nur in ſeiner Einbildungskraft geſchwebt
hatten, und die nun wirklich und lebendig vor
ihm da ſtanden. Nach dem Abendeſſen gieng man
wieder in den Garten. Heute hatte ſich eine Nach-
tigall ganz nahe zu der Grotte gemacht, und ſang
da ihr goͤttliches Lied. Siegwarts Seele war ganz
voll. Er druͤckte einigemal dem P. Anton mit ei-
ner innigen Bewegung die Hand.
Er beſuchte noch mit ihm und Pater Gregor
einen kranken Pater, der mehr vor Alter als vor
Krankheit langſam dahin zu ſterben ſchien, und der
Roſe glich, die an einem ſtillen Abend, wenn kein
Luͤftchen ſich bewegt, die Blaͤtter nach und nach ver-
liert. Der Kranke athmete ſtill, und ſprach we-
nig. Neben ihm lag ſein Gebetbuch, und der Ro-
ſenkranz. Dazwiſchen ſtand ein Krucifix. Einige Blu-
men welkten in einem irdenen Gefaͤß. Ein paar
Arzneyglaͤſer ſtanden dabey. Jn der Ecke der Zelle
hing eine duͤſtre Lampe, die ihr Licht nur ſchwach
umher verbreitete. Anton und der andre Pater,
die dem Kranken wachen ſolten, ſprachen leiſe. Je-
de lautere Bewegung ward vermieden, und tiefe
feyerliche Stille herrſchte rings umher, wie es bey
dem Sterbebette der Mutter Siegwarts geweſen
war. Jhr Andenken wachte auch hell in ſeiner
Seele auf, und ſie erſchien ihm noch einmal im
Traum; lebhafter als die Nacht zuvor.
Anton, der ſeine tiefe Traurigkeit wahrnahm,
fuͤhrte ihn ganz langſam an die Thuͤre, oͤſnete ſie
leiſe, und liſpelte ihm in die Ohren: der gute Pa-
ter wirds nicht lange mehr machen. Komm er
morgen fruͤh, wenn er Luſt hat, wieder zu mir in
die Zelle; vielleicht hat mein Freund bis dahin
uͤberwunden.
Siegwart gieng nun mit traurigen Gedanken
ſchlafen; um fuͤnf Uhr wachte er auf, und ſein er-
ſter Gedanke war an den kranken Pater. Die
Sonne gieng neblicht auf; der halbe Himmel war
blutrot, und warf einen blaſſen Wiederſchein an
die weiſſe Wand des Schlafgemachs. Er zog ſich
ſchnell an, und gieng an die Zelle. Er klopfte
zweymal an die Thuͤre, ohne daß ihm geantwortet
wurde; doch hoͤrte er laut reden.
Als er aufmachte, hielt P. Anton dem Ster-
benden den Kopf in die Hoͤhe und nickte ihm mit
Thraͤnen in den Augen zu. Der andre Pater las
aus einem Buche vor. Der Kranke war mehr
gelb, wie blaß; Seine Augen ſtanden unbeweglich,
und man ſah nur das Weiſſe davon. Er ſammelte
ſeine letzten Kraͤſte, und betete laut nach. So
flammt die ſterbende Lampe noch einmal hell auf,
und verliſcht. Die letzten Worte, die er
mehr herausſtieß, als ſprach, waren: Hilf, Herr
Jeſu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.
Gottlob! hat wieder einer uͤberwunden, ſagte
Pater Anton, ließ den Kopf des Todten ſinken,
und druͤckte ihm die Augenlieder zu. Er iſt bey
ſeinem Heiland Jeſu Chriſto, und bey allen Heili-
gen. Du guter Pater, Martin, warſt ein from-
mer Mann; mein Ende ſey wie deines! Der an-
dre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzei-
gen; Anton legte eine Decke uͤber den Leichnam,
gieng ans Fenſter, und ſchwieg eine Zeitlang ſtill.
Siegwart gieng hierauf mit ſchwerem Her-
zen, und allein im Garten auf und nieder; ſtellte
ſich die Zuͤge des Sterbenden wieder vor, druͤckte
ſie in ſeinem Herzen tief ein, und folgte ſeiner
Seele in Gedanken in den Himmel nach, ſah den
Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfien-
gen, und ihr Palmenzweige ſtreuten. Seine gan-
ze Seele war emporgehoben, und er wuſte lange
nicht, daß ihm helle Zaͤhren aus den Augen rollten.
Alle ſeine Wuͤnſche waren auch ein ſolcher Tod;
und der einzige Weg dahin ſchien ihm das Kloſter.
Er warf ſich auf eine Raſenbank, verhuͤllte ſein
Geſicht in beyde Haͤnde, und lag in einer Art von
Betaͤubung da, als der Schall von allen Glecken
den Anbruch des Feſts verkuͤndete.
Er gieng in den Verſammlungsſaal, wo die
Vaͤter traurig bey einander ſtanden, und ſich vom
Verſtorbnen unterhielten. Alle lobten ihn ein-
muͤthig, und ſchickten ihm ihren Segen nach.
Sein Begraͤbnis ward auf uͤbermorgen angeſetzt,
und nun giengen die Paters Paar und Paar in
die Kirche, die mit Blumen beſtreut, und mit
Meyen ausgeſchmuͤckt war. Mehr, als hundert
Wachslichter wurden angeſteckt. Dicke Weih-
rauchswolken ſtiegen auf, und umgaben die Paters
und den jungen Siegwart. Es ward ein ſeyerli-
cher voller Choral angeſtimmt, der wie ein Meer
daherbrauſte. Der langſame, andachtsvolle Ge-
ſang und der begeiſternde Weihrauchsduft trugen
unſers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hat-
te tauſend, ſich durchkreuzende Empfindungen, ohne
Eine davon deutlich zu fuͤhlen. Es war ihm, als
ob er zwiſchen Himmel und Erde ſchwebte, und
zuweilen einen Blick durch die Wolken an den
Thron des Hoͤchſten thaͤte. Das Geſicht der Geiſt-
lichen ſchien ihm zu glaͤnzen, und verklaͤrt zu ſeyn.
Er warf einen Blick auf das Gemaͤlde, wo die
Kapuziner hingerichtet wurden. Sie ſchienen ihm
zu leben, und ihn anzublicken. Er hielt ſich ſchon
fuͤr ein Mitglied des Ordens, und blickte in die
Welt, wie in ein Grab zuruͤck, von dem ſich ſein
Geiſt dem Himmel zugeſchwungen hatte. Der
Guardian hielt das Hochamt; die Gemeinde
kniete nieder, und ein heiliges Te Deum trug die
Seele des Juͤnglings in noch tieferes Erſtaunen
und Entzuͤcken uͤber. Nach vollendetem Gottes-
dienſt gieng er mit dem P. Anton in die Zelle des
Verſtorbenen, der ſchon in einem ſchlechten Sarge
lag, um welchen brennende Wachskerzen ſtanden.
Nach einer kurzen Unterredung von den Tugen-
den des Todten, die in Siegwarts Seele eine
brennende Nacheiferung erweckte, ward zum Eſſen
gelaͤutet.
Waͤhrend der ganzen Mahlzeit herrſchte eine
faſt ununterbrochene feyerliche Stille. Die Augen
waren niedergeſchlagen; zuweilen ſah ein Pater
den andern an, und kehrte ſchnell, wenn er be-
merkt wurde, den Blick, in welchem Thraͤnen
ſchwammen, wieder weg. Wider Willen ſtieß der
eine und der andre einen lauten Seufzer aus,
der die Loſung zu einer neuen allgemeinen Be-
ſtuͤrzung gab. Jnzwiſchen redete doch jeder mit
dem jungen Siegwart, den das allgemeine Be-
dauren des Verſtorbenen, und die Liebe gegen ihn,
wovon dieſes ein Zeuge war, im Jnnerſten ruͤhr-
te. Er gewann die Vaͤter, die ſo vieler Freund-
ſchaft faͤhig waren, nur um deſto mehr lieb, und
wuͤnſchte ſich, nur auch recht bald dieſer Freund-
ſchaft wehrt zu werden. Es ward ihm nun ſchon
als einem, der zum Orden gehoͤrte, begegnet, und
dieſe Art von Vertraulichkeit nahm ihn voͤllig ein.
Den Nachmittag brachte er groͤſtentheils in
P. Antons Zelle zu, wo noch ein andrer Moͤnch
hin kam, der ihm lauter abentheuerliche Wunder-
geſchichten von Leuten aus ſeinem Orden erzaͤlte,
und ihm beſonders das Leben des heil. Franciſ-
cus von Aßißi empfahl, das er ihm ſelbſt, zum
Durchleſen zu leihen verſprach. Gegen Abend gien-
gen ſie im Garten ſpatzieren, wo die Moͤnche zerſtreut
und niedergeſchlagen umher giengen. Sie kamen
durch verſchiedne Gaͤnge unvermerkt an den Gottes-
acker, wo ſchon ein Grab aufgeworfen wurde. Der
Abend war zu traurigen Betrachtungen gemacht,
truͤb und neblicht. Die Sonne gieng verhuͤllt un-
ter, und ſchickte erſt, eh ſie ganz am Horizont
hinabſank, noch einige blutrote Stralen auf das
ſchweigende Gefild des Todes. Nach dem Abend-
D
eſſen gieng Siegwart auf ſein Zimmer, hatte halb-
traurige und halbfreudige Gedanken, legte ſich zu
Bette, und beſchaͤftigte ſich die halbe Nacht durch im
Traum mit dem Verſtorbenen, den er mit allen Zuͤgen
und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und ver-
ſcheiden ſah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht’
es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem
Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater
Jgnatz, mit dem Leben des H. Franciſcus, und
einigen andern Legenden, deren immer eine fabel-
hafter war, als die andre, zu dem jungen Sieg-
wart, und empfahl ſie ihm nochmals mit tauſend
uͤbertriebnen Lobserhebungen zum Durchleſen. Die-
ſer hatte kaum zu leſen angefangen, ſo war ſeine
ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer
andern Welt. Seine Seele wurde mit dem
Wunderthaͤter vertraut, ſchwaͤrmte mit ihm in der
Welt herum, hatte mit ihm Erſcheinungen, und
wuſte ſich kaum in die neuen uͤberirrdiſchen Em-
pfindungen zu finden. Er wuͤnſchte ſich, auch Ver-
moͤgen zu haben, um es ſo, wie ſein Heiliger, den
Armen auszutheilen; er wuͤnſchte, ſchon den Orden
zu haben, um, gleich ſeinem Vorbilde, nach Cairo
gehen, und den Tuͤrken das Evangelium predigen
zu koͤnnen. Er hielt ſchon in Gedanken Predigten,
deren Feuer und Beredſamkeit, wie er glaubte,
Menſchen und Thiere, deren ſich ſein Patron auch
angenommen hatte, zur Ueberzeugung hinreiſſen
muͤſte. Er hofte, auch einmal des Eindrucks der
Stigmatum wehrt zu werden, weil er eben das
thun zu koͤnnen hofte, was Franz in ſeinem heili-
gen Eifer gethan hatte. Nichts beſchaͤftiget das
Herz mehr, als Chimaͤren und Entwuͤrfe, die man
in die Zukunft baut. Man ſteigt von Einem auf-
gethuͤrmten Schloß aufs andere, und ſieht mit Ver-
achtung auf die uͤbrigen Menſchenkinder herab, die
im Staube kriechen, und den ordentlichen Weg ge-
hen. Alle Hinderniſſe ſchwinden weg; man ſieht
nichts vor ſich, was im Wege ſtehen koͤnnte; oder
ſchreitet mit Rieſenſchritten druͤber weg, und ſieht
mit Wolgefallen auf die zuruͤckgelegte ſteile Bahn
herab. Einem Schwaͤrmer iſt in ſeinem Sinne
alles moͤglich; und kein Herz iſt mehr zur Schwaͤr-
merey geneigt, als ein ſolches, das, bey einer leb-
haften Einbildungskraft ein zartes moraliſches Ge-
fuͤhl hat, und es mit den Menſchen, ſeinen Bruͤ-
dern, gut meynt. So giengs unſerm jungen Sieg-
wart; er ſah lauter Huͤlfsbeduͤrftige vor ſich, ſah
ſchon ihre Thraͤnen rinnen, hoͤrte ſchon den Dank
von Lippen erſchallen, die er Gott und| Jeſum hat-
te anrufen lernen.
P. Anton uͤberraſchte ihn in dieſer heiligen
Begeiſterung, und ſchlug ihm vor, ihn auf den
Nachmittag in ein paar nahgelegne Doͤrfer zu be-
gleiten, um Allmoſen einzuſammeln. Siegwart
nahm den Vorſchlag mit Freuden an, und gieng,
nachdem er erſt ſeine Buͤcher ſorgfaͤltig aufgehoben,
und eins davon zu ſich geſteckt hatte, mit dem P.
Anton in den Speiſeſaal, erzaͤhlte da dem P. Jgnatz
ſeine Freude uͤber die geliehnen Buͤcher, und unterhielt
ſich mit den andern Vaͤtern waͤhrend dem Eſſen
von den Wundern des H. Franciſcus. Alle lob-
ten ſeine Liebe zu ihrem Stifter, und prophezeyten
ihm ein gluͤckliches und heiliges Leben. Man gab
ihm einige Bilder vom H. Franz und andern Hei-
ligen, die er den Bauerknaben und Maͤdchen aus-
theilen koͤnnte. Ein Bild vom H. Franciſcus
behielt er ſelbſt, um es in ſeinem Zimmer anzu-
kleben, und ſich taͤglich an ſeinem Anſchauen zu be-
luſtigen und zu erbauen.
Nun gieng er mit P. Anton auf ein, andert-
halb Stunden weit vom Kloſter entferntes Dorf.
Sie konnten auf dem Wege wenig miteinander ſpre-
chen, weil die Leute, die im Feld und auf den Wie-
ſen arbeiteten, Hauffenweis herbeygeſprungen kamen,
und den Pater, den ſie alle liebten, um den Seegen
baten. Jeder blieb mit ſeiner Harke, oder was er
ſonſt in der Hand hatte, ſtehen, oder ſprang herbey,
und gruͤßte den Ehrwuͤrdigen Vater mit der groͤſten
ſchwaͤbiſchen Treuherzigkeit. Andre baten ihn, in
ihrem Hauſe einzukehren, und ſprangen voraus,
um mit allem Vorrath aufzuwarten, den ſie hatten.
Sie gruͤßten alle auch den jungen Siegwart, den
ſie kannten, weil er aus der Nachbarſchaft war,
und ſahen ſich vergnuͤgt und einander zulaͤchelnd
an, daß ihm P. Anton ſo freundlich begegnete,
wie ein Vater ſeinem Sohn. Dieſer machte ihm
die Freude, und ließ ihn die Gemaͤlde von Heili-
gen unter die Bauerkinder austheilen, die ihn da-
rum baten. Er fuͤhlte das innerſte Vergnuͤgen
druͤber, wie die Kinder ſich verneigten, das Ge-
ſchenk anſahen, und dann mit froher Eile ihren
Eltern zuflogen und ſie ſehen lieſſen, was der Ehr-
wuͤrdige Pater, und der junge Herr ihnen ſchoͤnes
geſchenkt habe.
Waͤhrend daß die Dorfglocke zum Allmoſen-
geben gelaͤutet wurde, ſprang eine Baͤurinn mit
zerriſſnen Haaren und verweinten Augen aus der
Huͤtte heraus, um dem Pater ihre Noth vorzutra-
gen. Jhr Mann hatte ſie geſchlagen, und nun
ſollte Anton der Friedensrichter werden. Er
gieng mit ihr und dem jungen Siegwart in die
Huͤtte, wo der Bauer noch ganz wild in der Stu-
be ſtand, und ſich das Blut aus dem Geſicht
wiſchte, das ihm ſeine Frau, um ſich zu verthei-
digen, zerritzt hatte. Hinter dem Ofen ſtand ein
kleiner Knabe weinend, und zitterte, weil er ſei-
nen Vater ſo in Wuth ſah. Die Tochter, ein
unſchuldiges Maͤdchen von 16 Jahren, weinte auch
in ihre Schuͤrze, weil der Vater ſie geſchlagen
hatte, als ſie ihrer Mutter hatte zu Huͤlfe kom-
men wollen. Der Bauer ward vor Schrecken
ſchneeweiß, als er den Pater mit der Mine des
Friedens und der Ruhe hereintreten ſah. Er
nahm die Muͤtze ab, fieng an einen guten Abend
zu ſtottern, um ſeine Verwirrung zu verbergen,
und ward dadurch nur noch verwirrter.
Ey, Ey! was muß ich ſehen? fieng Anton
endlich an; Was iſt das, Michel, daß ihr ſo zer-
ſtreut und blutruͤnſtig ausſeht? Es ſcheint, da hats
Haͤndel gegeben; das iſt doch nicht ſchoͤn, Michel,
eure Frau ſo unchriſtlich zu ſchlagen, wie ſie mir
erzaͤlt hat. — Ja, ſie hat mirs auch darnach ge-
macht, fiel der Bauer ein; wenn Sie wuͤſten,
Jhro Wohlehrwuͤrd — So? Haſt du nicht ſelbſt
angefangen, du? rief das Weib, und trat aus
dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! ſagte
Anton, ſetzte ſich auf eine Bank und winkte dem
jungen Siegwart, es auch zu thun — Eins nach
dem andern! Sonſt kann ich nicht draus klug
werden, wer Recht oder Unrecht hat? Jhr ſeyd
noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzaͤlen,
wie der Handel angieng?
Die Frau. Ja, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſehn Sie
nur, da ſtund ich da drauſſen vor der Thuͤr, und
nahm meiner Kinder Waͤſche vom Seil herab;
kommt da ein armer Soͤldner vom naͤchſten Lu-
therſchen Dorf her, der ſchon drey Jahr mit der
Schwindſucht zu thun hat, und keinen Menſchen,
der ſich ſeiner annimmt, weil er arm iſt, und ein
Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den
Vertriebenen, wie Sie werden g’hoͤrt haben —
Der koͤmmt, an zwey Stoͤcken, daß er kaum aus
der Stelle kommen kann, ſieht aus, wie der bit-
tre Tod, der leibhafte Hunger gukt’ ihm aus den
Augen, und bittet mich um Gottes und um Je-
ſus willen um ein Stuͤcklein Brod, und einen
halben Scherben ſaure Milch, weil er noch den
ganzen Tag nichts geſſen hab, und ſo kraftlos
ſey. Es war ein Jammer anzuſehen, wie er
klaͤglich that, und zitterte. Jch, ohne lang mich
zu beſtimmen, lauf ins Haus, will ihm einen
Scherben ſuͤſſe Milch, und ein gut Stuͤck Brod
dazu holen; denn ich denk halt immer, was man
den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter
den Lutheranern gibts doch auch Arme, und ſind
auch Menſchen, wie unſer eins. — Mein Mann
kommt wie wuͤthig hergelaufen, ſagt, was will
der Ketzer drauſſen? Mach, daß er ſich fort
ſchiert! — Je, Mann, ſagt ich, ſey doch nicht ſo
arg! Jch wollt ihm nur ein Stuͤcklein Brod ge-
ben. Siehſt nicht, wie er ausſieht? — So!
das waͤr ſchoͤn, hub er an; willſt noch gar den
Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapper-
ment! Du biſt mir ein rechtes Weib! Beym Teu-
fel! Man ſollt dich aus dem Haus ſchmeiſſen.
Wirſt wol gar noch Lutheriſch werden wollen;
haſt doch immer ſo Geſchmeiß gnug an dir. Komm
mir nur, und gib ihm was! Theilſt doch immer
gnug unter die Halunken unſers Glaubens aus.
Und da fieng er an zu fluchen, daß es ſchroͤcklich
war.
Jch ward denn auch hitzig, wie’s ſo geht,
Jhr Wohlehrwuͤrd! und geb ihm brav heraus,
und ſag, daß ein Ketzer auch ein Menſch ſey, und
auch einen Gott hab, wie wir, und einen Seelig-
macher, Jeſus Chriſtus; und lang nach dem Brod-
meſſer, und will ein Stuͤck Brod abſchneiden;
da kommt er auf mich zu, nimmt mich bey der
Gurgel, ſchmeiſt mir’s Meſſer aus der Hand, und
ſchlaͤgt mich ins Geſicht, und wo’s hingeht. Er
haͤtt mich ſchier erwuͤrgt, waͤr mein Maͤdel nicht
dazwiſchen kommen, und da faͤllt er uͤber die her,
ſchlaͤgt ſie braun und blau, daß ich nur gnug ab-
zuwehren hatte. Und da ſprang ich endlich aus
dem Haus und traf zu allem Gluͤck Ew. Wohl-
ehrwuͤrden an, ſonſt haͤtt er mich gewiß umge-
bracht. Es iſt ein Elend, bey ſo einem Mann
zu leben; und nun fieng ſie an, bitterlich zu
weinen.
P. Anton. Jſt das wahr, Michel, iſt der
Handel ſo angegangen?
Michel. Ja, Jhr Wohlerwuͤrd, nun will
ich ſehn wer recht hat! Hab ich nicht chriſtlich
gehandelt? Muͤſſen Sie’s nicht ſelber ſagen?
P. Anton. Chriſtlich, Michel? Ey, Ey!
Das waͤr ſchlimm, wenn das chriſtlich waͤre! Wer
hat euch ſo was gelehrt? Hoͤrt mir einmal ruhig
zu, wenn ihr koͤnnt! — Seht! daß die Ketzer
Menſchen ſind, wie ihr, und unſer eins, koͤnnt
ihr ja ſchon daraus ſehen: wenn einer davon zum
katholiſchen Glauben uͤbertrit, ſo wird er ja nicht
verwandelt; er bleibt, was er vorher war; hat
Augen, Ohren, Naſen, wie wir, ißt und trinkt,
wie wir, und wird um kein Haar anders. Und
daß man alle, die wie wir Menſchen ſind, und
Fleiſch und Blut, wie wir haben, lieben muͤſſe,
werdet ihr doch glauben; es ſteht hundertmal in
der Bibel geſchrieben. Warum ſollten wirs auch
nicht thun? Sind wir doch alle von Einem Va-
ter, Adam. Und, nicht wahr? Leute, die Einer-
ley Vater haben, heiſſen Bruͤder oder Schweſtern,
und die muͤſſen doch einander lieben?
Michel. Das iſt wahr, Herr! Aber —
P. Anton. Nun, ihr meynt wohl, die Ke-
tzer koͤnn unſer Herr Gott nicht lieb haben; aber
denkt nur einmal nach! Scheint die liebe Sonn
etwa nur in katholiſche Doͤrfer, oder nicht auch
in die lutheriſchen? Haben wir allein Waſſer, und
Brod? oder haben’s eure lutheriſche Nachbarn nicht
auch? Regnet’s nur bey uns, wenns noͤthig iſt, oder
auch bey den Lutheranern? Jhr duͤrft ja nur eure
Aecker und Wieſen anſehen, ſie ſtoſſen oſt an die luthri-
ſche. Bey ihnen gedeyht das Korn und das Gras ſo
gut, wie bey uns, und wenn ein Wetterſchaden
kommt, ſo trift er eure Felder ſo gut, wie die ih-
rigen; das iſt alles eins. Meynt ihr denn, Gott
wuͤrde Menſchen erhalten, wenn er ſie nicht lieb
haͤtte? Oder wollt ihr ſie verhungern laſſen, oder
todtſchlagen? Wollt ihrs beſſer machen, wie Er?
Jn der Bibel ſteht kein Wort davon, daß man
ſeinem Nebenmenſchen, wenn er auch ein Ketzer
iſt, ſo hart und unmenſchlich begegnen ſoll. Jch
will euch gleich eine Geſchichte erzaͤlen; unſer See-
ligmacher hat ſie ſelbſt erzaͤlt, und ihr werdet
draus ſehen, daß ein Ketzer auch ein guter Menſch
ſeyn kann, an dem Gott Wohlgefallen hat; und
an wem er Wohlgefallen hat, den macht Er ſelig,
wenn er auch ein Ketzer iſt.
Die Geſchichte lautet ſo: Ein Rechtglaubiger
wollte eine Reiſe machen, und da fiel er unter
Spitzbuben, die ihn halb todt ſchlugen, und ſo lie-
gen lieſſen. Da reiſte ein Prieſter vorbey, das
war ein Rechtglaubiger, der ſah ihn, und ließ ihn
ohne alle Barmherzigkeit liegen. Drauf kam ein
Levit, das war auch ein Rechtglaubiger, der ließ
ihn auch in ſeinem Elend da liegen. Nun gebt
Acht! Was geſchieht? Ein Ketzer, ein Samariter
reiſt von ungefaͤhr vorbey, ſieht den halbrodten
Menſchen, der nicht ſeines Glaubens, und, ſeiner
Meynung nach, ein Ketzer iſt, liegen; ſieht ihn
mitleidig an, geht zu ihm hin, verbindet ihm ſei-
ne Wunden, legt ein Pflaſter drauf, und bringt
ihn auf ſeinem Mauleſel in ein Wirthshaus, war-
tet ihn da ſelber, und traͤgt dem Wirth auf, als
er weiter reiſen muß, er ſoll fuͤr den Kranken ſor-
gen, und bezalt von ſeinem eignen Geld dem Wirth
auf einige Tage voraus, daß ihm ja nichts abgehen
ſoll. Jſt das nicht ſchoͤn? Und das hat ein Ke-
tzer gethan, und den Ketzer lobt Chriſtus, und ſagt,
daß mans ihm nathmachen ſoll.
Meynt ihr nicht, Michel, daß unter euren
Nachbarn, die ihr ſo verketzert, auch ſolche gute Leu-
te ſind? Jch wenigſtens wuͤſte nicht, daß ſie euch
was zu leid thaͤten; vielmehr halten ſie gute Nach-
barſchaft, und thun euch alles Guts; wuͤrden euch
auch wol ein Kruͤmchen Brod und etwas Milch
geben, wenn ihr ſo, wie der arme Mann, weß-
wegen ihr eure Frau ſo geſchlagen habt, vor ihre
Thuͤr kaͤmet und betteltet. Pſuy, das iſt nicht
fein, ſo mit Menſchen umzugehen!
Hier fieng Michel an zu weinen.
Und wißt ihr denn nicht, daß es heiſt: Chriſtus
der Herr iſt fuͤr alle geſtorben? fuͤr die chriſtkatho-
liſche, wie fuͤr die Ketzer. Jhr duͤrft deswegen
nicht lutheriſch werden; da behuͤt mich Gott davor,
euch ſo was zu rathen. Es iſt immer beſſer, den
geraden Weg gegangen, als den krummen. Aber
friedlich und nachbarlich ſollt ihr leben; und ich
wollt, wir haͤtten all Einen Glauben!
Und was ſeyd ihr denn fuͤr ein Mann, Mi-
chel? Da iſts euch nicht genug mit den Ketzern
ſo unmenſchlich umzugehn; da muß noch eure
arme Frau dran, die beſſer und chriſtlicher denkt,
als ihr. Da entſteht Unfried im Haus druͤber;
Eure Kinder ſchlagt ihr auch, und gebt ein boͤſes
Exempel. Aber ich weiß wol, wo der Schaden
liegt; ihr ſeyd geitzig, haͤngt am Zeitlichen, und
meynt, ihr muͤßt alles allein zuſammen ſcharren,
damit’s fein einen groſſen Hauſen gebe. Das ſind
mir die rechten Chriſten! Jch habs vorhin wol
gemerkt, ihr werft ihr vor, ſie geb den Armen
viel. Sie thut recht dran, und Gott wird ihrs
einſt im Himmel noch vergelten, wo ihr nicht hin
kommt, wenn ihrs ſo macht. Jhr ſeyd ein ſchlech-
ter, unchriſtlicher Mann, der kein menſchlich Herz
im Leibe hat!
Hat … Thuts euch leid? Wacht euch das
Gewiſſen auf? Weint ihr? Seht, Michel! Gott
weiß! ich meyns herzlich gut mit euch. Es iſt mir
nur um eure Seeligkeit zu thun.
Michel (weinend) Ja das weiß ich wohl,
Jhr Wohlehrwuͤrden, und es thut mir herzlich leid.
Jch habs nicht ſo uͤberlegt; bin eben ein hitziger
Mann; und der vorige Herr Pfarr …
P. Anton. Jch weiß wol, was ihr ſagen
wollt. Euer voriger Pfarr, Gott geb ihms ewi-
ge Leben! Jch hab oft mit ihm druͤber geſprochen.
Der wollt auch ſo uͤber die Ketzer her. Aber euer
jetziger, der wirds euch ganz anders ſagen, fragt
ihn nur!
Michel. Ach, Jhr Wohlerwuͤrd, wenn ichs
nur nicht gethan haͤtt! nun geht mirs erſt recht
nah.
P. Anton. Nun, nun. Es iſt mir lieb,
daß auch noch ein guter Funken in euch iſt!
Reu und Leid uͤber ſeine Suͤnden iſt der Anfang
zur Beſſerung. Und dann wird euch Gott um
Chriſti willen auch gnaͤdig ſeyn, wenn ihrs nur
von Herzen meynt. Da, geht hin, gebt eurer
Frau die Hand, und bittet ſie um Verzeihung!
(Jndem ſtand P. Anton und Siegwart auf;
die Frau trat naͤher und weinte. Siegwart, und
das Maͤdchen ſchluchzten, und der kleine Knabe
weinte auch mit.) Nun, in Gottes Namen gebt
einander die Haͤnde! — Michel, es iſt euch doch
Ernſt?
Michel. Ja warlich, recht von Herzen Ernſt,
Jhr Wohlehrwuͤrd. — Verzeih mir nur, liebes
Weib, was ich dir hab zu leid gethan! Es ſoll
gewiß nicht wieder geſchehen. Verzeih mir du
auch, Cathrine! Der liebe Gott mag mirs auch
verzeihen, daß ich bisher ſo ein Menſch war, und
mir den Luthriſchen ſo umgieng! — Nicht wahr,
liebes Weib, du vergibſt mir, wenn mirs leid iſt?
Sollſt kuͤnftig einen ganz andern Mann an mir
haben. Jch will dir ſo fromm ſeyn, als ein Lamm.
Kannſt den Armen meinetwegen geben, ſo viel
du willſt…
Die Frau konnte vor Weinen nicht ſpre-
chen, und fiel ihrem Mann ſchluchzend um den
Hals. Es war ein Anblick, da ſich Heilige und
Engel druͤber freuten. P. Anton ſah beym Fen-
ſter hinaus, und wiſchte ſich die Augen. Sieg-
wart ſuchte ſeine Thraͤnen mit dem Schnupftuch
zu verbergen. Dieſer Auftritt machte auf ſein gan-
zes Leben einen tiefen Eindruck in ſein Herz. Es
hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn
er den Lutheranern und den Juden aͤrger als dem
Vieh begegnen ſah. Er dachte immer, ob denn
Gott ſo abſcheuliche Menſchen auf der Welt dul-
den koͤnne, die man ſo verachten muͤſſe? Und nun
hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil
er ſo ſeine Meynung hatte, die er nie an Tag zu
legen wagen durfte. Der Bauer war nun ſo lieb-
reich und freundlich, wollte alles auftragen, was er
hatte, um dem Pater nur recht ſeine herzliche Dank-
barkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Luthera-
nern begegnete er von dem Augenblick an, und ſein
ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zaͤrtlich-
keit, und ungeheuchelter chriſtlicher Liebe. Wenn
er hitzig werden wollte, fiel ihm dieſer Tag, und
das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum
tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und
da war wieder Fried und Menſchenliebe in ſeiner
Seele. Er ſchafte ſich heimlich eine Bibel an,
und las am Sonntag, oder an den langen Win-
terabenden darinn, und da fand er, daß Gott kei-
ner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer
zu haſſen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das
erſte und wichtigſte Gebot: Liebe gegen Gott und
gegen Alle Menſchen ſey. Seine Frau ſah ſich, wie
in einem neuen Leben; ſie glaubte, das Paradies
ſey wieder aufgeſchloſſen worden, und ſchloß taͤg-
lich mit Thraͤnen in ihr Gebeth den rechtſchaffenen
Pater Anton ein, der ſie ſeit dieſem Tage allemal
beſuchte, wenn er in ihr Dorf kam.
Voritzt wollten ſie ihn mit Gewalt noch laͤn-
ger bey ſich behalten, und ihm Kuchen und Wein
vorſetzen; aber er verbats, denn ſein Herz war be-
lohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute,
ſagte er; ich muß noch zum Kloſterbauren; Er hat
mir ſchon ein paarmal ſagen laſſen, ich moͤchte doch
ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf waͤre;
Er haͤtte mir gar was wichtiges zu ſagen; ich weiß
nicht, was es ſeyn mag? Jch wollte doch noch ins
naͤchſte Dorf; aber das wird fuͤr heute wol zu ſpaͤt
ſeyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel,
und haltet, was ihr mir verſprochen habt! Und ihr,
Anna, bleibt bey euren guten Geſinnungen! ſo
wirds euch wohl gehn.
Er gieng, von den ausgeſoͤhnten Eheleuten
noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu
dem Kloſterbauren.
E
Als er von hintenzu durch den Garten nach
dem Hauſe gieng, ſah er in der Ecke des Gattens
den Sohn vom Hauſe iraurig da ſtehn, und am
Zaun was ausbeſſern. Der junge Menſch nahm
den Hut freundlich ab, und ſah dem Pater lange
ſchwermuͤthig nach. Dies bemerkte der junge
Siegwart, und hatte Mitleid mit ihm. Sie tra-
ten ins Haus, und trafen den Bauren an, der
eben aufs Feld hinaus gehen wollte. Haſtig lehnte
er die Harke an die Wand, nahm den Hut ab,
und rief: O Herr Pater, ſeyn Sie mir tauſendmal
willkommen. Jch hab ſchon ſo gar lang auf Sie
gewartet, wollt was wichtiges mit Jhnen reden.
Sieh, das iſt ja des Herrn Amtmanns Sohn; will-
komm, junger Herr! Wo bringen Sie denn den her,
Jhr Wohlehrwuͤrd? Vom Kloſter, ſagte Anton,
er iſt bey uns, und will auch ein Geiſtlicher wer-
den. Ey, Ey, ſprach der Bauer, das iſt ſchoͤn!
Ja, ja, der Herr Amtmann hat halt mehr Kin-
der, da muß er ſchon ſehen, wie ers unterbringt.
Treten Sie doch in die Stub, Jhr Wohlehrwuͤrd!
Hier auſſen ſiehts aus, wie in Kaiſer Karls Ruͤſt-
kammer. Jch will gleich wieder bey der Hand ſeyn;
Gehen Sie nur zu!
Jndem ſprang er weg, ließ Wein und Bier
und Wecken holen, und kam ſelbſt mit einem Tel-
ler voll Fleiſch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehr-
wuͤrd, es iſt noch friſch; laſſen Sie ſichs brav belie-
ben; und Er auch, junger Herr! Anton und Sieg-
wart verbatens; Man ſetzte ſich um den Tiſch her-
um, und nun fieng Franz an:
Franz. Was ich Jhnen ſagen wollt, Jhr
Wohlehrwuͤrd und woruͤber ich lang gern mit Jh-
nen geſprochen haͤtt, iſt halt fuͤr mich eine traurige
Sach, die mir ſchon viel Herzeleid gemacht hat.
Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es iſt noch
darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol ge-
ſehen haben; Er ſteht da im Garten drauſſen; der
will mir uͤbern Kopf wachſen, will kluͤger ſeyn, als
ich und ſeine Mutter, die ihm nur zu viel nach-
ſieht, und hat ſich ſchon ſeit Jahr und Tag, ohne
daß wir das geringſte davon wußten, an ein Maͤdel
hier im Dorf gehaͤngt, und das Maͤdel hat nichts,
iſt des Joͤrg Silbers Tochter, und ich hab ihm
laͤngſt ſchon in Gedanken etwas beſſeres auserſehen.
Wie ich nun vor 3 Wochen ſo von ungefaͤhr da-
hinter komme, daß er das Maͤdel kareſſirt, und
alle Nacht, wenn wir zu Bett ſind, noch mit ihr
im Mondſchein herumſpatziert, oder auf dem Kirch-
hof mit ihr ſitzt; da laß ich ihn am Morgen drauf
in meine Kammer kommen, damit’s die Dienſt-
bothen nicht hoͤren; die Mutter war auch dabey,
und halt’ ihm ſeinen Unfug recht ernſtlich vor; ſag
ihm, was er fuͤr ein Kerl ſey; er hab einſt von mir
den Hof zu gewarten, und ſchoͤne Feldguͤter, ſo und ſo
viel Jauchert Acker, Wieſen, Kuͤh und Gaͤul, und
ein ſchoͤn Stuͤck baares Geld und ſo fort an; und haͤng
ſich da, wider ſeiner Eltern Wiſſen und Willen an
ein Maͤdel, das nichts hab, als ſechs oder ſieben-
hundert Gulden und ein glatt Geſicht; was es uns
fuͤr Herzeleid mache, ſo was von ihm zu hoͤren;
wir hielten doch ſo viel auf ihn, ſcharrten alles fuͤr
ihn zuſammen, und was ich ſonſt ſo mehr ſagte.
Da fang ich denn an, wacker drauf zu ſchmaͤlen,
und das End vom Liede war, er ſoll ſich ja nicht
mehr geluͤſten laſſen, mit dem Maͤdel nur ein
Wort zu ſprechen, oder ſie den Abend hinter’s
Haus zu beſtellen; es werd nichts gutes draus;
er werd mich und ſeine arme Mutter ins Grab
bringen, wenn er ſo fort mach; aber vorher wer-
den wir ihn von Haus und Hof jagen, ihn enter-
ben, und ihm ſtatt des Segens auf dem Todbett
unſern Fluch geben. Sakerlot, Ehrwuͤrdiger Herr!
da faͤngt der Jung an zu greinen: ſagt, er koͤnn
das Maͤdel nicht laſſen, woll mit ihr leben und
ſterben; es koͤnn ihr kein Menſch im Dorf etwas
boͤſes nachſagen, ſie hab immer brav gethan, und
er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und
aller Heiligen im Himmel am Oſterabend zuge-
ſchworen, ſie zum Weib zu nehmen, und den Tag
drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf
genommen. Und nun ſey ſie ſein, und muͤſ-
ſe ſein bleiben! — Jch wuſte bey Gott nicht,
was ich vor Zorn ſagen ſollte. Die Mutter woll-
te ſich durch ſein Greinen ſchon herum bringen
laſſen, ich ſtieß ſie aber bey der Thuͤr hinaus,
und ſagt ihm noch einmal, er wiſſe meine Mey-
nung nun, und koͤnne ſich darnach richten. Wenn
ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch
ſtecken laſſen, und da koͤnn er ſitzen bleiben, bis
mein Schimmel ſchwarz werde. Er ſagt’, es ſey
ſchon recht, und trotzig gieng weg. Etlich Tage gieng
er nun herum, wie vor den Kopf geſchlagen, aß
und trank und ſprach nichts, gab kaum Antwort,
wenn man ihn um etwas fragte, und Abends,
ſagten meine Leute, lieg er immer unterm Kam-
merfenſter, kratz die Wand mit den Naͤgeln
heraus, ſpreche was fuͤr ſich oder pfeif, und dann
wiſch er ſich wieder das Geſicht, als ob er weinte.
Holla, dacht ich, das iſt ſchon gut; die jun-
gen Leutlein ſind immer ſo, wenn ihnen etwas
durch den Sinn faͤhrt. Weh muß es ihm frey-
lich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen
das Maͤdchen, ’s iſt ein brav ſchoͤn Ding, nur
daß ſie nicht reich iſt. Kommt Zeit, kommt Rath!
Nach und nach wirds ſchon beſſer, und das Grei-
nen wird ihm ſchon entleiden. Wenn ich ihm
nur erſt von des Wirths Suſanna ſage, denn
die hab ich — hier in der Stube g’redt — im
Sinn. Jch war alſo ganz ruhig, that aber freund-
lich gegen ihn, denn ich ſah, daß er mager wur-
de, weil er Nachts gar nicht ſchlief.
Jch denk, es iſt alles gut; er ward wieder
muntrer, that ſeine Arbeit, und guckte Abends nicht
mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der
Teufel — verzeih mirs Gott! — wieder los geht.
Jch lieg Abends ſchon im Bett — es war halb
zehn Uhr — da fangen die Gaͤul an, im Stall
zu ſchlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht
uͤber Feld war; aber da war kein Sixt. Jch
ſtund auf, gieng ſelber in den Stall, band den
Schimmel an, der ſich losgeriſſen hatte, und viſi-
tirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da
war der Vogel ausgeflogen. Jch frug mein Weib,
ob ſie nichts von ihm wiſſe; ſie ſagte nein, bat
mich aber ruhig zu ſeyn, er werd wol bald wie-
der kommen, und nur mit den andern Bauren-
kerls im Wirthshaus ſeyn. Das Ding war mir
aber verdaͤchtig, ich zieh alſo meine Jacke an,
und geh nach dem Wirtshaus; da war ſchon kein
Licht mehr. Halt, dacht ich, der wird dem Maͤ-
del wieder nachgeſchlichen ſeyn; und, indem ich’s ſo
denke, ſeh ich von weitem bey des Schmieds Haus was
weißes gehen; ich drauf zu; und da wars mein feiner
Sohn mit der Dirn am Arm. Tauſend Sapperment,
wie mir da zu Muth wurde! Das Maͤdel lief davon,
und Sixt kam auf mich zu, als ob nichts geſchehen
waͤre. Hol dich dieſer und jener! ſagt ich; heiſt
das auch dem Vater gehorchen, wie ichs haben
will? Gelt, haſt geglaubt, ich ſchlafe, und da
ſtiehlſt du dich hinterruͤks vom Haus weg? du
nichtsnutziger, ungerathner Sohn! Jch hab dirs
ſo verboten, mit dem Maͤdel nichts mehr zu thun
zu haben, und du thuſt mirs doch! Komm nur
heim, da will ich dir was anders ſagen! Er wollte
ſich noch verantworten, es ſey ihm nicht moͤglich
geweſen, ſeine Regine zu verlaſſen; er habs thun
wollen, da ſey ihm aber immer ſein Eid wieder
eingefallen; er hab Tag und Nacht keine Ruh ge-
habt; das Maͤdel haͤtte ſich zu Tod gegraͤmt, ſey
ſchon ganz abgezehrt, und hab ihm ſagen laſſen:
Er ſoll ihr nur bald mit der Leiche gehn; ſie ha-
be ſchon die Todtenuhr ſchlagen, und die Sterbe-
glocken laͤuten hoͤren. Und da ſey er eben in Got-
tes Namen wieder hingegangen. — — Jns Teu-
fels Namen, ſagt ich, du verdammter Kerl! Komm
nur! Morgen ſollſt’s ſchon hoͤren. Heut will ich mei-
ne Nachbarn nicht mehr aufwecken um ſo eines Bu-
bens willen. Jch gieng, fluchte ſo vor mich hin,
und der Kerl hinterdrein; er war maͤuschenſtill,
nur zuweilen ſchluchzte er, als ob er die Seel’ aus
dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht
uͤber konnt ich kein Auge zuthun. Mein
Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da
ſah ich wohl, daß ſies mit ihm hielte; das brachte
mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen
ließ ich ihn heraufkommen; ſtellt’ ihm Himmel
und Hoͤlle vor; ſagt’ ihm, was da zuletzt heraus-
kommen wolle? daß ichs ſchlechterdings nie zuge-
ben werde. Wenn du ſie nicht laſſen willſt, ſagt’
ich endlich, ſo kannſt du dich packen, wo du hin willſt. —
Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort;
denn, weiß Gott! ich kann das Maͤdel nicht ſitzen
laſſen, Jhr moͤgt mit mir anfangen, was Jhr
wollt; es iſt im ganzen Dorf keine Dirne wie ſie, ſo
arbeitſam und fromm und redlich, und das muß
ihr auch ihr aͤrgſter Feind nachſagen. Was habt Jhr
denn gegen Sie? Daß ſie nicht ſo viel hat, wie
ich? Nun ſie hat doch genug. Arm iſt ſie auch
nicht; und dann hat ſie ein redlich chriſtlich Ge-
muͤth, und wuͤrde fuͤr mich leben und ſterben. Das
iſt mehr, als Geld und Gut. Geſunde ſtarke
Haͤnd haben wir auch, und ſind das Arbeiten von
Jugend auf gewohnt, und dann laͤſt Gott keinen
Vogel Hungers ſterben, geſchweige denn einen
Menſchen, der ſich redlich durch die Welt bringt.
Jch habs Euch geſagt, Vater, ich kann und darf
ſie nicht laſſen, denn ich hab ihrs zugeſchworen;
und wenn ihrs nicht anders wollt, ſo werd ich
Soldat, da kann ich ſie heyrathen heut und mor-
gen, und behalt ein gutes Gewiſſen, und krieg ein
bravs Weib; nun bedenkt, was Jhr thun wollt?
Sehen Sie, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſo hat er
geſagt, und dann gieng er weg. Jch ſtand da,
wie vom Wetter getroffen; ſeine Reden vom Sol-
datenwerden giengen mir ſtark im Kopf herum.
Es iſt mein einziger Sohn, und er iſt mir lieb,
weil er ſonſt immer brav war, und mir nie nichts
zu Leid gethan hat. Es ſoll jetzt wieder Krieg
werden; wenn ihm eine Kugel vor den Kopf ge-
ſchoſſen wuͤrde! — Und Kourage hat er auch: Er
hat ſeitdem ſchon ein paarmal mit den Werbern
hier im Dorf geſprochen. Da bin ich nun voller
Aengſten. Mein Weib liegt mir immer in den
Ohren, ſagt, ich ſey ein harter Mann, und habs
zu verantworten, wenn ich ſie um ihren Sohn
bring. Jch ſagt’ endlich, ich will mit dem Herrn
Pater Anton ſprechen, was Er davon haͤlt? Ob
er unſern Sixt nicht auf beſſre Gedanken bringen
kann? Jch hab zu Jhnen ein groß Zutrauen, Jhr
Wohlehrwuͤrd. Der neue Herr Pfarr iſt erſt an-
gekommen, denn kenn ich noch nicht ſo. Da wollt
ich Sie denn bitten, was Sie darzu ſagen? ob
Sie meinem Sohn nicht zureden wollen?
P. Anton. Wenn ich die Wahrheit ſagen
ſoll, Franz, ſo ſeyd ihr mir ein wunderlicher ei-
genſinniger Mann. Jhr habt einen einzigen Sohn,
und ein groß Vermoͤgen. Jhr ſagt, daß ihr ihn
lieb habt; wenn das iſt, ſo muß euch auch ſein Gluͤck
lieb ſeyn. Nun ſeht ihr wohl, daß der junge Menſch
anders nicht vergnuͤgt leben kann, als wenn er
ſeine Regine zum Weib bekommt. Es muß ihm
Ernſt mit ſeiner Liebe ſeyn, weil ers ſo drauf an-
kommen laͤſt, daß er lieber euer Haus meiden, und
ſein Vermoͤgen verlieren will, als das Maͤdchen laſ-
ſen. Junge Leute kommen freylich oft ſo aneinan-
der, ſie wiſſen ſelbſt nicht, wie? und waͤren dann
froh, wenn ſie ſich bald wieder los werden koͤnnten.
So aber iſts, wie mir deucht, bey eurem Sohn
nicht, da ers ſchon uͤber ein Jahr treibt, und noch
immer am Maͤdchen haͤngt. Er iſt ein braver
Menſch, und ſie auch, wie ihr ſelber ſagt. Glaubt
mir, Franz, in dergleichen Sachen laͤßt ſich nicht
viel ſpielen. Euer Sohn koͤnnt ſich das zu Ge-
muͤthe ziehen, und ich habe ſchon viel Schwermuͤ-
thige gekannt, die’s aus Liebe geworden ſind; ſol-
chen Leuten iſt dann ſchwerlich mehr zu helfen,
auch wenn man ihnen hinterdrein das Maͤdchen
geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun?
Geſteht mirs nur, daß ſich viel Eigenſinn und Geiz
mit einmiſcht! Beydes ſind gar grobe Laſter. Wer
ſein ganzes Gluͤck auf Geld und Gut ſetzt, der ver-
gißt zuletzt ſeine Seele druͤber. Jhr habt ein ſchoͤn
Vermoͤgen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch
hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6
bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zuſam-
men kommen und fleißig arbeiten, ſo kanns ihnen
nicht wol fehlen. Sie werden zuſammen leben wie
die Engel, ſtill und friedlich; werden euch ihr Le-
belang ihr Gluͤck verdanken, und euch Freude ma-
chen. Was hilſts, wenn euer Sohn ein reicheres
Weib nimmt, das er nicht lieb haben kann? Jch
hab ſolche Ehen ſchon geſehen; da leben ſie zuſam-
men, wie die Hunde und die Katzen; wenn das
eine dahinaus will, will das andre dort hinaus.
Da gibts ewigen Unfried, Zank und Schlaͤge und
eines wird des andern Teufel. Wollt ihr euren
Sohn gluͤcklich ſehen, und ihm eine ſolche Hoͤlle
zubereiten? Einigkeit iſt das erſte Gluͤck der Ehe,
und erhaͤlt ein Haus allein aufrecht. Jch will mit
eurem Sohn reden, Franz, aber ich verſprech euch
nicht, daß ich viel ausrichten werde. Wenn ihr
wollt, ſo laßt ihn hereinkommen! Aber, wenn mein
Zureden nichts uͤber ihn vermag, dann muͤßt ihr
mir verſprechen, daß ihr nachgeben wollt. Sonſt
mag ich mit der ganzen Sache nichts zu thun ha-
ben. Durch mein Zuthun ſoll kein Menſch auf
Erden ungluͤcklich werden, weder ihr, noch euer
Sohn. Uberlegts wohl!
Franz. Ja ich will mich in Gottes Namen
drein ſchicken, Herr! Jch ſag immer, was der P.
Anton will, das will ich auch. Er verſteht die
Sache beſſer, als unſer eins. — Anne! (zu der
Magd, die eben Bier und Wein brachte) Sag
dem Sixt, er ſoll hereinkommen; der Herr Pater
woll was mit ihm ſprechen! — Sie wiſſen einem das
Herz im Leib ſo weich zu machen, Jhr Wohlehr-
wuͤrd! Es iſt mir ſchon ganz anders zu Muthe,
und ſchier kommt mirs vor, als ob ich bisher Un-
recht gehabt haͤtte. Ja, ja, wie Gott, und der
Herr Pater will, pfleg ich ſo zu ſagen. Da kommt
er ſchon! — Sixt, der Wohlehrwuͤrdige Herr will
dich etwas fragen. Komm nur naͤher her! Darfſt
dich nicht fuͤrchten.
P. Anton. Sixt, ich hab gehoͤrt, ihr habt
ein Maͤdel hier im Dorfe?
Sixt. Ja, Herr!
P. Anton. Und wollt nicht von ihr ab-
laſſen?
Sixt. Ach ich kann nicht, Wohlehrwuͤrdi-
ger Herr! (und hier ſchoſſen ihm die Thraͤnen in
die Augen.)
P. Anton. Und warum denn nicht? Da’s
doch euer Vater nicht gut heißt?
Sixt. Ja, Herr Pater, das iſt ſo eine eigne
Sache; wenn man ſchon will, man kann nicht. Jch
hab ſchon hundertmal druͤber geweint, und allerley
im Sinn gehabt; aber wenn ich wieder an ſie
denke, und an den Eid, den ich ihr gethan habe,
und daß ſie ſo brav und gottsfuͤrchtig iſt, und mich
ſo von Herzen lieb hat, daß ſie druͤber zu Grund
gehen wuͤrde; dann iſts, als ob ich mit hundert
Haken wieder zu ihr hin gezogen wuͤrde, und ſie
in Zeit und Ewigkeit nicht laſſen koͤnnte. — Nein,
bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen
will ichs ſchwoͤren, daß es kein Eigenſinn iſt! Jch
thu ſonſt ſo willig, was mein Vater will; er
muß es ſelber ſagen. Aber wenn ich meine Re-
gine nicht haben ſoll, das hieß mir Gift geben,
da will ich mich lieber lebendig braten laſſen.
Jedermann muß mir’s Zeugniß geben, daß nichts
an ihr auszuſetzen iſt, und daß wir nie nichts
Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen
Sie nur, Herr Pater, es iſt ein engelſchoͤnes
Maͤdel, friſch und raſch, zu aller Arbeit aufge-
legt; ihre Eltern ſind auch brave Leut, die ſie
chriſtlich und wohl erzogen haben. Sie verſieht
das ganze Hausweſen, ſeit die Mutter krank iſt;
den ganzen Tag ſieht ſie bey der Arbeit nicht
auf, wenn auch ich zu ihr kaͤme. Alle Men-
ſchen ſind ihr gut; ſie haͤtt ſchon zehen Bauren
haben koͤnnen, die noch reicher ſind, als ich; aber
ſie will keinen, als mich; und da ſollt ich ihr
den Stuhl vor die Stube ſetzen? Nein, das will
ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der
ein Maͤdel angefuͤhrt hat, kann’s nicht wohl gehen.
(Hier wiſchte er ſich die Augen.)
P. Anton. Nun, Franz, was ſagt ihr da-
zu?
Franz. Nichts, als daß der Blitzkerl recht
hat.
Sixt. Seht, Vater, es thut mir leid, daß
ich euch die Zeit her ſo viel Kummer gemacht
hab. Es war mir nirgends wohl. Der liebe
Gott weiß, wie ich ganze Naͤchte durch geaͤchzt
habe. Jch hab mir tauſendmal den Tod gewuͤnſcht.
Aber es iſt einmal nur umſonſt; wider beſſer
Wiſſen und Gewiſſen kann man nicht thun. Der
Mutter hab ichs oft geſagt, die hatte auch keine
ruhige Stunde; aber ſie ſah’s doch ein, und hoͤr-
te mir zu.
Franz. Nun, Sixt, gib mir die Hand,
und verzeih mir! Es war nicht ſo boͤs gemeynt.
Kannſt das Maͤdel haben. Sey’s in Gottes
Namen! Stromauf kann man freylich in der
Donau nicht ſchwimmen. Sapperment! ich wollt
dir des Wirths Tochter geben; das waͤr auch
was geweſt. Aber, nicht wahr, Herr Pater, beſ-
ſer iſt beſſer? Nun, nun, wenn ihr einander mit
Gewalt haben wollt, ſo kriecht zuſammen! Haͤtt
ichs doch nimmermehr gedacht, daß mich der Herr
Pater ſo herum bringen wuͤrde. Heh, Weib!
— Sie iſt drauſſen in der Kuͤche — komm her-
ein! Sollſt was neues hoͤren. — Friſch! einge-
ſchenkt, Herr Pater! .. Wie, Sixt? du ſtehſt ja da,
wie ein armer Suͤnder. Da! trink auch eins! Soll
leben deine Regine! — Trink ers auch mit, junger
Herr! — Das Aug ſteht ihm ja voll Waſſer. Hab
ich ihms nicht recht gemacht mit meinem Sohn da?
Siegwart. O ja, voͤllig recht, Nachbar Franz!
Es freut mich, daß es ſo gegangen iſt. Eure
Geſundheit, Franz! und Eure auch, Sixt, und
Eurer Regine ihre!
Sixt. O ich bedanke mich, junger Herr, tau-
ſendmal! Ach, ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll,
Herr Pater! Das Herz iſt mir ſo voll, ich moͤcht
Jhnen nur zu Fuͤſſen fallen; weiß nicht, ob ich im
Himmel oder auf Erden bin? Gott vergelts, was
Sie an mir und meiner Regine gethan haben!
Wir arme Leut koͤnnens doch nicht. — Und Jhr,
Vater! ach verzeiht mir, und ſeyd tauſendmal be-
dankt! — — Jch kann nichts reden, muß nur
weinen und mir Luft machen.
Franz. (Zu ſeinem Weib, das herein kommt)
Heh Weib! Viktoria! laß dir eine neue Haube ma-
chen auf die Hochzeit! Unſer Sixt ſoll ſeine Regi-
ne haben; da, dem Herrn da haſt du’s zuverdanken;
denn ich weiß doch, daß dirs lieb iſt, alte Mutter;
nicht wahr?
Die Baͤurinn. Ja wohl. Gott ſey ewig
Lob und Dank, Franz, daß du dich beſonnen haſt!
O Herr Pater, da haben Sie ein recht gutes Werk
gethan. Mein armer Sohn waͤr zu Grund ge-
gangen, und ſein Maͤdel auch. Nun Sixt, wie
iſt dirs? Siehſt ja ſo traurig aus, und greinſt.
Sixt. Ach Mutter, laſt’s nur ſeyn! Jch kann
kein Wort ſprechen; ’s iſt des Gluͤcks gar zu viel
auf einmal. Jch weiß wohl, der Herr da nimmts
nicht uͤbel; ſieht mir wohl an, daß ich danken woll-
te, wenn ich koͤnnte. Laßt mich nur hinaus! Es
wird ſchon beſſer werden in der friſchen Luft.
Sixt gieng hinaus, und Siegwart ſah ihm
noch durchs Fenſter nach. Nun ward Franz bey
ſeinem Glaͤschen Wein immer munterer, und tranks
dem P. Anton, und dem jungen Siegwart fleißig
zu. Es that ihm wohl, daß ihn Anton und ſein
Weib wegen ſeines geaͤnderten Entſchluſſes lobten,
und druͤber vergaß er die Bedenklichkeiten wegen
der Ungleichheit des Vermoͤgens voͤllig. Ein Geiſt-
F
licher hat, vermittelſt der Religion und des Anſe-
hens, das ihm ſein Stand in den Augen andrer
Leute gibt, viel Gewalt uͤber das Herz der Men-
ſchen und beſonders des gemeinen Mannes; Moͤcht’
es doch jeder zu ſo guten Abſichten, wie P. Anton,
und nicht, wie ſo viele thun, zu Befriedigung ſeiner
Leidenſchaften, ſeines Ehr-und Geldgeizes oder ſei-
ner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem
ſchneeweißen Haar und der breiten Glatze ſaß jetzt da,
geſegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgeſoͤhnt,
geſegnet von einem jungen Paar, deſſen Gluͤck,
das ſchon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben
befeſtigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren
Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab.
Siegwart ſah ihn an wie einen unmittelbaren
Abgeſandten Gottes; helle Zaͤhren ſtunden ihm im
Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwen-
den. Franz ſprach ſchon davon, wann ſein Sohn
Hochzeit machen ſollte, und ſetzte ſie auf den kuͤnf-
tigen Monat feſt, da denn Anton verſprechen muß-
te, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche
Geſchenke fuͤr ſein Kloſter, Butter, Flachs und
Eyer, und nahm endlich mit dem jungen Sieg-
wart Abſchied, um das Allmoſen bey dem Schulzen
in Empfang zu nehmen, ſeine Abfahrt zu beſorgen,
und dafuͤr im Namen ſeiner Bruͤder zu danken. Sixt
war nicht zu finden, als er von dem Hauſe weggieng.
Nach empfangnem Allmoſen machte er ſich
mit Siegwart auf den Weg nach ſeinem Kloſter.
Sie waren ſchon eine Strecke weit vom Dorf weg,
und giengen an einem einzelnen Dorngebuͤſch zwi-
ſchen den Aeckern, als Sixt mit ſeinem Maͤdchen
draus hervorſprang.
O Herr! riefen beyde zugleich, und waren
wieder eine Zeitlang ſtill. Da, das iſt mein Maͤ-
del, ſagte Sixt, und will Jhnen danken. Tau-
ſend, tauſend Gottes Lohn, rief ſie weinend, und
druͤckte dem Pater mit Heftigkeit die Hand.
Ja Jhr Wohlehrwuͤrd, fuhr Sixt fort, das
war eine Freude, als ich zu ihr kam, und ſagte,
daß wir nun einander haben ſollten. Jch haͤtte,
weiß nicht wie viel drum gegeben, daß Sies ſelbſt
mit angeſehen haͤtten; Sie verdienten es. Sie hub
ihre Haͤnde auf, und dankte Gott laut fuͤr die
Gnade, und als ich ihr ſagte, daß wir alles dem
P. Anton zu verdanken haben, wollte ſie, wie ſie
gieng und ſtand, in mein Haus und Jhnen danken.
Jch ſagte aber, daß wir’s vorm Dorf drauſſen beſ-
ſer koͤnnten, wenn wir ſo allein waͤren. Nun ha-
ben wir da gewartet, bis Sie kamen, und wollen
nun, wenns Jhnen recht iſt, Sie bis vor den Wald
hinaus begleiten.
Es thut mir Leid, meine lieben Kinder, ſagte
Anton, daß ihr euch wollt Muͤhe machen. Mir
habt ihr wenig zu verdanken; was ich gethan hab’,
hab’ ich gern gethan. Wenn ich meinem Naͤch-
ſten helfen kann, das geht mir uͤber alles, und ſo
muß es jeder brave Mann machen und thut es
auch. Jch hoff’, ihr werdets redlich miteinander
meynen, und ein gutes chriſtliches Ehepaar wer-
den. Jhr muͤßt nun eurem Vater gut begegnen,
Sixt, und ihm alles zu Lieb thun, da er’s euch
auch gethan hat. Und ihr, Regina, muͤßt euren
neuen Schwiegereltern auch recht freundlich begeg-
nen, und euch nicht eimnal darum zu raͤchen ſu-
chen, daß der Vater euch ſeinen Sohn nicht gleich
hat geben wollen. Er hats mehr um des Gelds
als um euretwillen gethan; denn wider euch hat
er nie nichts gehabt. Jeder Menſch hat ſeine
Schwachheiten, und ihr muͤßt ihm die vergeben.
Ach ja herzlich gerne, ſprach das Maͤdchen.
Lieber Gott, wer wird ſich deswegen raͤchen wol-
len? Wenn ich nur meinen Sixt habe, dann will
ich mit der ganzen Welt in Fried und Einigkeit
leben. Jch muͤßte ja immer fuͤrchten, den lieben
Gott zu erzuͤrnen, wenn ich jemand kraͤnkte, und
da koͤnnt’ er mir zur Strafe meinen Sixt neh-
men. Nein, um ſeinetwillen ſind mir alle Men-
ſchen lieb, und am meiſten ſeine Eltern. Jch
konnt ihnen nie recht boͤſe ſeyn, wenn ſie’s auch
ſchon boͤſe mit mir meynten. Jch bin nie fromm
geweſen, als ſeit ich meinen Sixt habe, und wenn
er nun erſt mein Mann iſt, und ich immer um
ihn bin, da werd ich ja noch froͤmmer werden.
O Herr Pater, Sie koͤnnen nicht glauben, was
Sie uns fuͤr einen Dienſt geleiſtet haben; und ich,
als ein einfaͤltiges Bauermaͤdchen kanns eben
nicht ſo an Tag legen; aber doch iſt mir ’s Herz
voll, und Sie muͤſſen mit dem guten Willen vor-
lieb nehmen. Jch wills dafuͤr dem lieben Gott
ſagen, was ich denk, und Jhnen Gutes anwuͤnſch!
So giengen ſie noch eine gute Strecke Wegs
mit dem Pater und dem jungen Siegwart fort,
und aͤuſſerten ihre Geſinnungen, die zwiſchen Dank-
barkeit und Zaͤrtlichkeit getheilt waren. Man
wird ſelten in der Stadt, wo die Menſchen ſich
gewoͤhnlich aufgeklaͤrter und beſſer duͤnken, als die
Landleute, ein Paar finden, das ſich mit der rei-
nen unverfaͤlſchten Zaͤrtlichkeit, mit der Treue und
Feſtigkeit liebt, wie unſer Paͤrchen. Aber Un-
ſchuld und Reinigkeit des Herzens war das Band,
das ſie verknuͤpfte; und dieſes iſt das feſteſte,
das noch jenſeits des Grabes in der Ewigkeit fort-
dauert. Wohl dem Juͤngling, deſſen Seele ſich
allein durch dieſes Band feſſeln laͤßt! Er und ſei-
ne Freundin werden einſt mit Semida und Cidli,
mit Petrarch und Laura, mit Klopſtock und mit
ſeiner Meta unter den Lebensbaͤumen wandeln,
und ſich ihre Liebe auf der Unterwelt erzaͤhlen.
Endlich nahmen Sixt und Regine von P.
Anton und dem jungen Siegwart Abſchied. Sie
konnten kaum vor Thraͤnen ſprechen, und blieben
noch, ſo lang ſie ihnen nachſehen konnten, auf
dem Huͤgel ſtehen; dann kehrten ſie in der Daͤm-
merung zuruͤck, kuͤßten ſich tauſendmal mit dem
keuſchen Kuß der Liebe, ſahn zum Abendſtern
auf, und ihr Blick war Dank und Gebeth fuͤr
den guten Pater Anton. Dieſer gieng voll innern
Friedens mit dem jungen Siegwart nach dem
Kloſter, deſſen Seele voll war von nie empfunde-
nen Gedanken an die Groͤße eines Menſchen,
der ein Wohlthaͤter ſeiner Bruͤder iſt, und gleich
der Sonne zur Ruhe gehen kann, die den Tag
uͤber das Herz des Menſchen und die Welt mit
ihrem Strahl erquickt hat.
Der andre Morgen war der Begraͤbnißtag
des verſtorbnen Paters. Alle Vaͤter verſammelten
ſich um acht Uhr im Konventſaal. Auf ihren
Geſichtern war eine allgemeine Traurigkeit verbrei-
tet; Schmerz und Thraͤnen ſprachen aus den Au-
gen; Siegwart war bey ihnen. Man gieng an
die Zelle des Verſtorbenen; zwoͤlf Paters nahmen
den Sarg auf. Die andern und Siegwart gien-
gen Paar und Paar; jeder eine brennende Wachs-
kerze in der Hand. Man gieng durch den langen
Kreuzgang nach der Kirche zu. Das Schweigen
und das Rauſchen der hoͤlzernen Schuhe war
fuͤrchterlich. Jn der Kirche ſetzte man am Hoch-
altar den Sarg nieder; und ſtellte Wachskerzen
drum herum. Nach einer dumpfen feyerlichen
Trauermuſik, die die Seele durch dunkle, Men-
ſchenleere Wuͤſten bis ans Grab hin fuͤhrte, und
ſie vor der Verweſung des Koͤrpers zuruͤckſchauern
machte, ward eine Seelmeſſe geleſen. Man hub
den Sarg, nachdem er mit dem Weihwaſſer be-
ſprengt worden war, wieder auf, und trug ihn
durch den langen Gang im Garten nach dem
Gottesacker. Ein dicker Nebel huͤllte alles ein.
Die Wachskerzen warfen einen fuͤrchterlichen
Schein in die Nacht des Nebels. Der Sarg
ward am Grabe niedergeſetzt; die Paters ſtellten
ſich in einem Kreiſe um das Grab herum, und
beteten. Pater Gregor ſtand dicht daran, und
ſah mit ſtarren Blicken in die Gruft. Weinen
konnt’ er nicht mehr; ſeine Saͤfte waren ausge-
troknet. Der Sarg ward hinabgelaſſen; der dum-
pfe Schall, den die Erdſchollen auf dem holen De-
ckel machten, weckte ihn aus ſeinem Schlummer,
und ein tiefer Seufzer hub ſeine Bruſt zitternd
empor. Er hub ſeinen Blick zum Himmel, und
laͤchelte halbfreudig, als ob Engel mit ihm ſpraͤ-
chen. Das Grab war nun ausgefuͤllt, und der
Huͤgel wurde aufgeworfen, Ein Pater hielt eine
kleine, aber ruͤhrende Rede von den Tugenden des Ver-
ſtorbenen; einer nickte ihm nach dem andern
Beyfall zu, und dankbare Thraͤnen, die ſchoͤnſten
Zeugen eines frommen wohlthaͤtigen Lebens, floſſen
auf den Huͤgel. Man gieng nun vom Grabe
wieder in das Chor zuruͤck, wo noch einmal eine
Trauermuſik gemacht wurde, die ſich erſt durchs
Graun der Graͤber langſam und melancholiſch
fortſchlich, dann ſich ſchnell und triumphirend wie
ein Adler zu den Wolken aufſchwang, und die Hof-
nung der Auferſtehung ausdruͤckte.
Nun gieng man, nach noch einmal gehaltner
Seelmeſſe, auseinander, P. Anton auf ſeine Zel-
le, und Siegwart auf ſein Zimmer. Seine ganze
Seele war umwoͤlkt und traurig; aber als er am
Fenſter ſtand, und ſah, wie die Sonne mit dem
Nebel rang, und endlich ſiegte, daß die Berge
und nachher die Felder wieder aufgehellt da la-
gen; da wards auch in ſeiner Seele wieder
heiter, und ſein Herz erhub ſich wieder.
Eine freudige Empfindung verdrang die andre,
und ſeine Phantaſie durchirrte tauſend Sce-
nen aus der Zukunft. Er dachte ſich in alle
moͤgliche Verhaͤltniſſe, in die er einſt als Moͤnch
kommen koͤnnte; alle waren lachend und heiter, wie
das Feld vor ihm im Sonnenſtral.
Er las hierauf noch im Leben des heiligen
Franciſcus, und erhitzte ſeine Einbildungskraft
noch mehr, bis zum Eſſen gelaͤutet wurde. Hier
wurde viel vom Verſtorbenen geſprochen. Jeder
wußte eine Geſchichte zu erzaͤhlen, die zu ſeinem Vor-
theil gereichte. Am meiſten gefiel unſerm Sieg-
wart folgende, die der Guardian erzaͤhlte:
Unſer ſeliger Bruder war doch, wie wir alle
wiſſen, ein großer Freund von der Phyſik, Ma-
thematik, und beſonders von der Aſtronomie, wor-
inn ers weiter gebracht hatte, als mancher Pro-
feſſor auf der Univerſitaͤt. Er beſaß noch von ſei-
nem Vater her, der eben dieſe Wiſſenſchaften ge-
trieben hatte, eine ſchoͤne Anzahl von den herrlichſten
Jnſtrumenten, Zirkeln, Quadranten, Sehroͤhren und
Buͤchern mit Kupfern, die viel Gelds werth wa-
ren. Dieſe machten ſeine einzige Freude auf der
Welt aus. Ganze Tage durch ſaß er bey den Buͤ-
chern und rechnete; und Abends, wenn der Him-
mel hell war, ſah er bis um Mitternacht, und oft
noch laͤnger durch ſein Sehrohr nach den Sternen
und dem Mond. Jch weiß noch, was er Anno
44. fuͤr eine Freude hatte, als der groſſe Komet
am Himmel ſtand; wie er uns alles erklaͤrte, und
vorrechnete, wann der Wunderſtern wieder kommen
werde. Vor ungefaͤhr zwanzig Jahren kriegte er
von ſeiner Mutter, die im Frankenlande wohnte,
Nachricht, daß ſie nicht nur ihr ganzes anſehnli-
ches Vermoͤgen verlohren habe, ſondern auch noch
in eine ziemliche Schuldenlaſt geſteckt worden ſey,
weil ihr zweyter Sohn, ein liederlicher Menſch,
alles durchgebracht, Schulden gemacht, und zulezt
ſich von den Kaiſerlichen habe anwerben laſſen.
Unſer Pater Martin gieng einige Tage lang ganz
ſchwermuͤthig herum, vermied allen Umgang, und
bat ſich endlich vom Praͤlaten die Erlaubnis aus,
auf einige Tage nach Augſpurg reiſen zu duͤrfen.
Hier gieng er ins Jeſuiterkollegium, wies ein Ver-
zeichnis von ſeinen Buͤchern und Jnſtrumenten
vor, bot es feil, und ward endlich mit den Jeſui-
ten eins, ihnen die ganze Sammlung um 400
Gulden zu uͤberlaſſen. Das Geld, bat er, moͤch-
ten ſie gleich, wenn ſie die Sachen in Empfang
genommen haͤtten, ſeiner Mutter nach Franken ſchik-
ken. Als er den Handel ſchon getroffen hatte, bat
er die Jeſuiten inſtaͤndig, ihm zu ſeinem Gebrauch,
ſo lang er lebte, einen Tubus und nur ein paar
Buͤcher, die er ſehr werth hielt, zu uͤberlaſſen; erſt
ſollte alles ſchriftlich protokollirt, und ihnen das
Ruͤckſtaͤndige zugeſchickt werden, ſo bald er todt waͤre.
Aber das war nun zu ſpaͤt, die Jeſuiten waren
harte Leute, und ſagten, der ganze Handel ſollte
ruͤckgaͤngig werden, wenn ſie nicht ſogleich alles
bekaͤmen.
Nun in Gottes Namen, ſagte er, ich muß
mir alles gefallen laſſen! Jn 4 Tagen ſollen Sie
alles bekommen, was auf dieſem Zettel ſteht; wenn
nur meine arme Mutter das Geld gleich erhaͤlt.
Er kam wieder ins Kloſter zuruͤck, ſah munte-
rer aus und packte alles ein, was er hatte. Jch
war bey ihm auf der Zelle; ein paar Buͤcher ſah er
noch einmal mit Thraͤnen an, kuͤßte ſie, und ſagte:
Lebt wohl! Jhr habt mir viel Vergnuͤgen gemacht;
und nun ſchrieb er einen Brief an ſeine Mutter.
Jch hab ihn eben vorhin unter ſeinen ſchriftlichen
Sachen gefunden, und will ihn vorleſen. Er ward
ihm, nach ſeiner Mutter Tod vor 5 Jahren, nebſt
andern Briefſchaften wieder eingehaͤndigt. Der
Brief lautet ſo:
Herzlich geliebte Mutter!
Die Nachricht von dem ſchlechten Lebenswan-
del meines Bruders, und daß er nun Soldat ge-
worden iſt, hat mich recht ſchmerzlich betruͤbt. Jch
kann nichts fuͤr ihn thun, als fuͤr ſeine Seele be-
ten, daß ſie noch dem Rachen des Verderbens ent-
riſſen werde, und ſein Ende ſelig ſey! Der ſelige
Vater hat ihn oft gewarnt; aber der Junge wollte
nicht folgen, und ſpottete hinter ſeinem Ruͤcken.
Euer Elend, Jnnigſtgeliebte Mutter, geht mir ſehr
zu Herzen, und hat mir ſchon viel Thraͤnen ausge-
preßt. Hier, nehmt alles hin, was ich habe, und
ſeyd mit dem Bischen Armut zufrieden! Der liebe
Gott woll es reichlich vermehren! Jch hab meine
uͤberfluͤßigen Buͤcher und Jnſtrumente verkauft, um
Euch auszuhelfen; wollt gern, es waͤre mehr!
Jhr habt freylich weit mehr an mir gethan, als ich
Euch vergelten kann. Laßt mich wiſſen, wie’s Euch
geht! Vertraut auf den Gott der Wittwen und
der Waiſen, ſo wirds Euch nie an Troſt fehlen!
Mir gehts wohl hier. Jch bin bis in den Tod
Euer dankbarer und getreuer Sohn
Martin.
Hier hab ich auch die Antwort ſeiner Mut-
ter. Der Brief iſt halb zerriſſen, weil ihn Mar-
tin immer bey ſich fuͤhrte, und mit ſeinen Thraͤ-
nen tauſendmal benetzte.
Einzig geliebter Sohn!
O du Troſt und Stuͤtze meines Alters! Du
mein Einziges und Alles auf der Welt! Was ſoll
ich dir ſagen, und wie ſoll ich dir fuͤr alles dan-
ken? Dieſe muͤtterlichen Thraͤnen, die auf meinen
Brief herabflieſſen, ſind dir gewiß mehr werth
als tauſend Worte. Moͤcht ich dich doch an
mein Herz druͤcken koͤnnen, goldner, auserwaͤhl-
ter Sohn! Meine Haare ſind vor der Zeit vor
Kummer grau geworden, und die Augen ſchwach
vom vielen Weinen um den ungerathnen Philipp;
aber du, mein Sohn, du Troſt von Gott, haſt
mich wieder aufgerichtet und jung gemacht, wie
einen Adler. Laß dich ewig ſegnen, auserwaͤhlter
Sohn! Noch mein letzter Seufzer auf dem Ster-
bebette ſoll dich ſegnen! Wie wird ſich einmal
dein Vater freuen, wenn ich ihm im Himmel ſa-
ge, was fuͤr einen Sohn wir auf der Welt ha-
ben? Jch mag an den andern nicht denken, wenn
ich an dich denke. Du haſt mir mehr geſchickt,
als ich brauche, denn ich werds wohl nicht lange
mehr machen, und haſt dich vom Noͤthigſten und
alle dem entbloͤßt, was dir lieb iſt. O! wenn ich
daran denke, moͤcht ich gleich vergehen, und das
Herz im Leibe will mir brechen. Jch kann nicht
weiter ſchreiben, denn ich ſeh vor Thraͤnen kaum
den Brief mehr. Nur noch Einmal moͤcht ich
dich an mein Herz druͤcken, unter dem du gelegen
haſt, Einziger, engliſchgeſinnter Sohn, und dann
ſterben! Leb wohl, leb ewig wohl! bis ans Ende
ſegnet dich
Deine getreue Mutter
Concordia Dahlern.
Die ganze Tiſchgeſellſchaft weinte, als der
Brief vorgeleſen war. Siegwart konnte ſich kaum
enthalten, den Guardian zu bitten, daß er die bey-
den Briefe abſchreiben duͤrfte! Aber er war doch
zu furchtſam. Der Guardian fuhr fort:
Unſer ſeliger, theuergeliebter Bruder ließ ſich
nicht ein Wort verlauten, wie weh ihm der Ver-
luſt ſeiner Buͤcher und ſeiner Jnſtrumente thue,
und doch merkt’ ich es ihm hundertmal an. Er
ſuchte unſre ganze Bibliothek durch, vermuthlich,
ob er keine mathematiſche Buͤcher finde? Aber er
fand wenig, oder gar keine. Wenn er Abends
mit den bloßen Augen an den geſtirnten Him-
mel aufſah, ſo entflog ihm oft ein Seufzer, daß
er die himmliſchen Reviere nicht mehr genauer
unterſuchen konnte. Ein paarmal beklagte er ſich
gegen mich uͤber ſein abnehmendes und ſchwaches
Geſicht; hielt aber gleich wieder inne, um das Ge-
ſpraͤch nicht auf den Verkauf ſeiner Jnſtrumente
zu bringen. Ein einzigsmal, als ich ihn deswe-
gen loben wollte, ſagte er halb boͤſe: Jch that ja
nur meine Schuldigkeit. — O, es war ein trefli-
cher Mann, den wir nie genug bedauren koͤnnen!
Siegwart, ſagte P. Anton, wird uns viel-
leicht einmal ſeinen Verluſt erſetzen, wenn er ſo
fortfaͤhrt, wie er anfaͤngt. — Ja das hoffen wir,
ſagten alle; der beſcheidne Juͤngling ward im
ganzen Geſichte blutroth, und wagte kaum mehr,
die Augen aufzuſchlagen.
Die Paters ſtunden bald hernach vom Eſſen
auf, und vertheilten ſich. P. Anton fragte Sieg-
wart, ob er ihn etwas in den Garten begleiten
wolle? Dieſer nahms mit Freuden an. Er gieng
ein paarmal ſtillſchweigend und nachdenklich mit
dem Pater auf und ab. Lieber Xaver? ſagte
Anton endlich; er iſt ja auf einmal ſo ſtill ge-
worden? Ganz gewiß denkt er noch den Erzaͤhlun-
gen vom ſeligen Bruder Martin nach; ſie ha-
ben einen tiefen Eindruck auf ſein Herz gemacht,
wie’s in der Jugend ſo zu gehen pflegt, und das
iſt auch recht gut. Laß er’s ſich nur zur Nach-
eiferung dienen! Gewoͤhnlich empfindet der Juͤngling
das Schoͤne der Natur und jeder guten edeln
Handlung tiefer, als der ſchon geſetzte, und kalt
ſcheinende Mann. Aber bey den meiſten Juͤng-
lingen bleibts auch beym Gefuͤhl und geht ſelten
zum Entſchluß uͤber. Der geſetzte Mann hinge-
gen, der oft kalt ſcheint, weil ſein Gefuͤhl min-
der ſtark und gleichſam ſtumpf gemacht iſt, han-
delt deſto mehr fuͤr die Tugend. Er begnuͤgt
ſich nicht am Anſchauen der aͤußerlichen ſchoͤnen
Geſtalt der Goͤttin, wie der Juͤngling am An-
ſchauen ſeines Maͤdchens, ſondern ſucht ſich mit
ihr auf ewig zu vermaͤhlen, um ihre Seele zu
beſitzen. Doch weh dem Mann, der als Juͤng-
ling die aͤuſſere Schoͤnheit der Tugend nicht auch
tief gefuͤhlt hat! Er wird ſelten, oder nie als
Mann fuͤr ſie handeln!
Ein Pater, der an ihnen vorbeygieng, gruͤßte
ſie mit Namen, und nannte unſern Siegwart,
Bruder Xaver. Ja, mein lieber Siegwart, ſag-
te Anton, nun iſts bald Zeit, wegen des Kloſters einen
voͤlligen Entſchluß zu faſſen, denn dein Vater — laß
mich dich immer du nennen, ich liebe dich, wie meinen
Sohn — dein Vater, denk ich, wird heut oder mor-
gen kommen, und dich abholen wollen; da muͤſ-
ſen wir ihm doch was gewiſſes ſagen. Was
meynſt du? Hat dirs hier gefallen? Glaubteſt du
dein Leben als ein Kapuziner, das heißt als ein
Mann, der groͤſtentheils von der menſchlichen Ge-
ſellſchaft abgeſondert, dem Geluͤbd der Keuſchheit,
des Gehorſams, und der Armuth unterthan, von
der Welt ungekannt, oder nur zu oft verkannt
und verachtet lebt, glaubſt du dein Leben als ein
ſolcher hinbringen zu koͤnnen, und doch innerlich
vergnuͤgt und gluͤcklich zu ſeyn?
G
O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete
Siegwart mit Heftigkeit. Jch muͤßte mir ein
Gewiſſen draus machen, wenn ichs nicht wuͤrde;
denn wo koͤnnt ich ſonſt ſo viel Gutes thun, und
mit ſo viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich
will nichts anders werden, wenn mein Vater
nichts dagegen hat! Wenn ichs nur ſchon recht
bald waͤre!
Nun, nun, ſo wuͤnſch ich dir zu deinem
Vorhaben recht von Herzen Gluͤck: Dein innerli-
cher Trieb iſt beſſer, als alles Zureden andrer Leu-
te. Wenn du keine Luſt dazu gehabt haͤtteſt, ſo
wuͤrd ich dich nie geſucht haben zu uͤberreden;
aber da du ſelber eine ſo ſtarke Neigung zum
Kloſterleben haſt, ſo kann ich deinen Entſchluß
nicht anders, als loben. Du wirſt ein rechtſchaffe-
ner Mann werden, und dann iſt man gluͤcklich.
Jch hab es ſchon geſehen, daß du gottesfuͤrchtig
biſt, und deinen Nebenmenſchen von Herzen liebſt,
bleib auf dieſem Wege! Er iſt der einzige zur
Gluͤckſeligkeit, die ſo manche ſuchen und nicht
finden.
Da hab ich dir dieſen Morgen ein paar
Anmerkungen aufgeſchrieben, die ich dir, ſtatt mei-
nes Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie
enthalten Lebensregeln, die ich nun ſeit dreyßig
Jahren ſchon befolgt, und bewaͤhrt befunden ha-
be. Praͤge ſie dir tief ein, und rufe ſie taͤglich
in dein Gedaͤchtniß zuruͤck! Wenn du ſie gleich
jetzt noch nicht ganz in ihrer Staͤrke ſuͤhlſt, und
vielleicht noch nicht voͤllig verſtehſt, ſo wirſt du
doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, ſie faſſen,
und ihren Werth recht ſchaͤtzen lernen. Jn der
Ordnung konnt ich ſie nicht niederſchreiben, ich
hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird
nach und nach durchs Alter ſchwach. — Wer
weiß, mein Sohn, ob wir uns in dieſem Leben wieder-
ſchen? Vielleicht triffſt du, wenn du wieder hier
ins Kloſter kommſt, mein Grab an. Denk dann
an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier
allein im Garten gehſt; ruf dir ſeine Lehren zu-
ruͤck, und befolg ſie! Dadurch ehrt man das
Andenken an ſeine Verſtorbenen am beſten. Wer-
de nicht zu wehmuͤthig, mein Sohn! Jm Him-
mel ſehen wir uns wieder, und vielleicht noch ein-
mal, wenn es Gottes Will iſt, hier im Kloſter.
Der Gedanke an den Tod hat fuͤr mich viel ſuͤſ-
ſes. Mach ihn dir zum Freund, und du haſt
nichts auf der Welt zu fuͤrchten!
Laß uns hier auf dieſem Raſen ſitzen! Er iſt
ſchatticht, und das Gehen wird mir zu beſchwer-
lich. Wenn dirs recht iſt, ſo leſ’ ich dir meine
Anmerkungen vor. Er zog ſie aus dem Guͤrtel,
und las:
I. Mach dir den Gedanken von der goͤttli-
chen Allgegenwart recht lebhaft und ſtets gegen-
waͤrtig! Er bewahrt vor jeder ſchlechten Hand-
lung und vor ſchaͤndlichen Gedanken, die die Mut-
ter einer boͤſen Handlung ſind. Wer ſich ſchaͤmt,
vor Menſchen ſchlecht zu handeln, wird ſich noch
mehr vor dem heiligſten und reinſten Weſen ſchaͤ-
men, das zugleich unſre Thaten richtet. Der Ge-
danke von der goͤttlichen Allgegenwart erhebt das
Herz, und treibt es zu groſſen Thaten an. Der
gegenwaͤrtige Gott wird dich belohnen, wenn auch
Menſchen deine That nicht ſehen. Er wird dich
beſchuͤtzen, wenn dir Menſchen ſchaden wollen; und
dich ſtaͤrken, wenn du ſinken willſt. Schon un-
ſre Vorfahren, die doch Heiden waren, hatten die-
ſen groſſen, herrlichen Gedanken. Sie glaubten,
ihre Gottheit, die ſie Wodan nannten, fuͤlle den
Hain, den ſie bewohnten und jeden Ort aus, wo
ſie lebten. Daher war ihnen jeder Ort ein Heilig-
thum, jeder Wald ein Tempel; daher uͤbten ſie
mehr Tugend aus, als die meiſten andern Voͤlker,
und entheiligten ſich weit weniger durch Bru-
dermord, Diebſtal, Ehebruch oder andre Schand-
thaten.
II. Mach dich am Erſten mit dir ſelbſt
bekannt, mein Sohn! Dies iſt eine alte Regel,
aber ſelten wird ſie recht befolgt. Gib auf alle Be-
wegungen und Veraͤnderungen deiner Seele acht!
Forſch ihren Urſachen nach, ob ſie edel ſind, oder
nicht? Oſt macht man ſich ſelber etwas weiß, daß
man dieſe oder jene Handlung aus einer guten
Abſicht unternehme, und im Grunde hat man
einen boͤſen Endzweck, der den Schaden unſers
Naͤchften, oder die Entunehrung unſrer ſelbſt zur
Folge hat. Oft gibt man einer Geſinnung oder
Handlung, die nicht edel iſt, den Namen einer
edeln, und hintergeht ſein eignes Herz durch dieſen
Kunſtgriff. Gib auf dieſes alles genau acht, und
erlaub dir keine Nachſicht! Werd am erſten gegen
dich ſelbſt behutſam! denn der Menſch iſt nur zu
oft ſein eigner aͤrgſter Feind. Lern deine Kraͤfte
kennen, und pruͤfe ſie durch Anwendung! Du muſt
wiſſen, was du dir ſelbſt zuzutrauen haſt; ſonſt
verſprichſt du immer dir und andern, was du nicht
erfuͤllen kannſt. Lern deine Schwaͤchen kennen!
Wer ſie nicht kennt, kann ſich, wenn der Feind
kommt, nicht vertheidigen. — Mach dich bey Zeiten
mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich
umgibt, und dich am meiſten zur Ausſchweifung
hinrcißt damit du Waffen zu der Zeit des Friedens
anlegeſt! Sonſt iſt alle Gegenwehr zu ſpaͤt. Jm
Tumult der Leidenſchaften wirſt du die Vertheidi-
gung vergeſſen. —
Wer ſich ſelber kennt, der kennt auch andre
Menſchen. Die Grundtriebe der Seele ſind ſich,
ihrer Anlage nach, faſt immer gleich. Du wirſt
finden, daß Eigenliebe, die im Grunde gut, und
der, jedem lebenden Geſchoͤpf vom Schoͤpfer einge-
pflanzte Trieb der Selbſterhaltung iſt, ſtets die
Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung
bringt. Verſchiedne Charaktere bilden ſich nur durch
die Verſchiedenheit der Aeuſſerungen dieſes Grund-
triebs. So entſtehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang
zur Wolluſt, Edelmuth und Menſchenliebe, je nach-
dem wir glauben, durch das eine mehr, als durch
das andre, unſre Eigenliebe zu befriedigen.
Kentnis deiner ſelbſt und deines eignen Her-
zens wird dich in Beurtheilung andrer Men-
ſchen billiger machen. Die beſondre Lage, Verfaſ-
ſung, und Verbindung eines Herzens, worinn es
mit den Dingen auſſer ſich, und mit andern Men-
ſchen ſteht, beſtimmen das Moraliſche, oder Gute
und Boͤſe an einer Handlung mehr, als der aͤuſ-
ſerliche Schein. Manche Handlung iſt ſo ſchlimm
nicht, als ſie ſcheint, wenn man alle die Umſtaͤnde
wuͤſte, unter denen ſie vollzogen wurde. Geh in
die Geſchichte deines Herzens zuruͤck! Frag dich un-
partheyiſch, ob du, unter aͤhnlichen Umſtaͤnden,
nicht auch zu einem Fehltritt geneigter wareſt? Ob
es dir nicht oft einen langen, und ſchweren inner-
lichen Kampf koſtete, eine Neigung zu uͤberwinden?
und ob du ihr nicht oft unterlageſt, ohne im Grun-
de boͤs zu ſeyn, oder deinen Grundſaͤtzen unge-
treu zu werden? Wenn du ſo dein Herz ſtudierſt,
dann wirſt du weniger hart und unbillig in Beurthei-
lung andrer ſeyn.
III. Willſt du den Menſchen recht viel Gutes
thun, ſo gewoͤhne dich fruͤhzeitig an eine ſtrenge
Ordnung, und eine weiſe Einrichtung deiner Ge-
ſchaͤſte! Sie lehrt den gewiſſenhaſteſten Gebrauch
der Zeit. So kannſt du jeden Morgen dein Tag-
werk uͤberſehen, und Abends ſtrenge Rechnung hal-
ten, uͤber das, was du gethan haſt. (Unſerm Sieg-
wart fiel hier P. Anton, und der geſtrige Tag ein;
er ſah ihm mit freudigerer Bewunderung ins
Geſicht) Die Zeit wird dir theurer werden, als
Gold und Edelſtein. Sie, gut angewendet, mein
Geliebter, iſt das Mittel, uns zum Engel, und
Gott aͤhnlich zu machen.
IV. Wer von der Welt allein Belohnung
oder Lob erwartet, wird wenig wirklich groſſe
Handlungen verrichten, wenigſtens nicht in den
Augen Gottes, der ſie allein wuͤrdigen und ſchaͤtzen
kann. Die groͤſten Handlungen gehen in uns ſelbſt
vor, und treten nicht vors Angeſicht der Menſchen.
Jnnere Beſtreitung ſeiner Leidenſchaften, ſeiner
Lieblingsneigungen, des Hangs zur Bequemlichkeit,
zum aͤuſſerlichen Anſehen, zum Geld, zur Wolluſt
u. ſ. w. iſt der herrlichſte Sieg, der die glorreich-
ſten und fortdaurendſten Palmen erringt, aber erſt
jenſeits des Grabes. Doch fehlts dieſem Sieg auch
nicht in dieſer Welt an ſeiner hohen himmliſchen
Belohnung. Das Geſuͤhl, nach ſeiner Pflicht
gehandelt, und die Menſchen, ſeine Bruͤder, gluͤck-
lich gemacht zu haben, iſt nach einem Tage, der fuͤr
uns mit Wohlthun untergieng, das ſuͤſſeſte und
edelſte. Ein Mann, der ſo viel Gutes thut, als
er kann, darf kuͤhn auf alle Koͤnige und Sieger
ſtolz herabſehn, die durch Ehrenpforten auf Triumph-
wagen einziehn!
Hier, mein Sohn, ſagte Anton, und gab un-
ſerm Siegwart das beſchriebene Blatt, haſt du
meine Lehren. Moͤcht’ ich ſie dir mit dieſem Kuß
einhauchen koͤnnen, daß ſie immer dir im Herzen
wohnten, und zu ſeiner Zeit herrliche Frucht braͤch-
ten! Jch bin mit Freuden alt geworden, weil ich
ſie befolgte. Mach mir, und deinem alten Vater
Freude! Lebe fromm und chriſtlich.
Weiter konnte er nicht reden, denn er war zu
ſehr bewegt. Sein Auge ſah ein paarmal zum
Himmel auf, und erflehte Gluͤck herab fuͤr Sieg-
wart. Laß uns noch ein paarmal auf und abgehn!
ſagt er, nach einer langen Pauſe; der Tag iſt ſo
ſchoͤn, und ich fuͤhle heut das Leben der Natur weit
lebendiger, als ſonſt. Sieh doch dieſes herrliche Tul-
penbeet, wie die Farben durch einander ſpielen! Die
Natur hat tauſend Freude, fuͤr den, der ſie ſucht,
und mit reinem Herzen in ihren Tempel eintritt
Dieſe gelbe Tulpe hier, mit den feuerroten Strei-
fen, und dem blauen Kelch! Es iſt nur eine gemei-
ne Blume, die der Kenner wenig ſchaͤtzt, und iſt doch
ſo ſchoͤn. Pfluͤck mir doch dieſe Aurikel hier! Jch
rieche nichts lieber. — Was fuͤr ein Balſam aus
der Blume fließt! Er ſtaͤrkt alle Nerven. Alles
iſt zur Luſt des Menſchen da, alles ſucht ihm zu ge-
fallen. Und der Menſch erkennts ſo wenig, geht
dran vorbey, als obs von ungefaͤhr da waͤre.
Wenn ich allein ſpatzieren gehe, dann iſt mir kein
Gedanke heiliger und ſuͤſſer, als die Bewunderung
und Anbetung des Gottes der Liebe. Die Gedan-
kenloſigkeit ſetzt den Menſchen weit zuruͤck; er koͤnn-
te weit ſruͤher Gott aͤhnlicher werden, und ihm
naͤher kommen. Daher hab ich immer die Dich-
ter ſehr geliebt, weil ſie alles Schoͤne ſo ſehr em-
pfinden, und ihre Leſer drauf aufmerkſam machen.
Jn der Bibel iſts eben ſo; Chriſtus nimmt faſt alle
ſeine Gleichniſſe von den Dingen her, die auf dem
Feld um ihn herum waren. — Hier wurden alle
Saiten der Seele Siegwarts getroffen, denn nie-
mand war auf die Natur aufmerkſamer, als er.
Sie kamen nun dem Kloſter nah, und der
alte Siegwart gieng auf ſie zu. Sein Sohn eilte
ihm entgegen, und druͤckte ihm die Hand; Anton
umarmte ihn. Du haſt einen lieben Sohn, Sieg-
wart! ſagte er; ſeine Geſellſchaft hat mir dieſe
Zeit uͤber viel Vergnuͤgen gemacht. Jch ſeh, du
haſt ihn gut erzogen; Gott vergelt es dir! Und
mit dem Kloſter, denk ich, hats nun auch ſeine Rich-
tigkeit; Nicht wahr, Xaver?
Der junge Siegwart. O ja, Papa; ich
bitte Sie, Laſſen Sie mich nun recht bald darein!
Es iſt gar ein herrliches Leben; Jch kanns Jhnen
nicht genug beſchreiben.
Der alte Siegwart. So gefaͤllt dirs ſo
wohl, Xaver? Nun, Nun! ich will dir nichts in
den Weg legen. — Deine Bruͤder und Schweſtern
laſſen dich gruͤſſen; Sie glaubten ſchon, ich wuͤrde
dich gar nicht mehr mitbringen. Thereſe war
recht traurig druͤber.
Der junge Siegwart. Aber ſie iſts doch
zufrieden, Papa, daß ich geiſtlich werde? Den an-
dern, weiß ich, iſts ſchon recht; ſie ſagtens oft.
Der alte Siegwart. Das kommt auf mich,
und dich an, Xaver! Sie haben in dergleichen
Dingen nichts drein zu reden. Doch werden ſie
ſichs auch gern gefallen laſſen. Thereſe fuͤrchtet
nur, du koͤnneſt’s im Kloſter nicht gewohnt werden.
Der junge Siegwart. Ey, was weiß die?
Jch will ihrs ſchon ſagen, wie’s ſo gut iſt.
Jndem kamen ein paar Paters, und luden
die Gaͤſte, auf Befehl des Guardian, ins Garten-
zimmer. Alle fuͤnfe giengen hin. Der alte Sieg-
wart ward bewillkommt und ihm, wegen ſeines
Sohns, Gluͤk gewuͤnſcht. Es ward nun fuͤr aus-
gemacht angenommen, daß Xaver nichts anders
werden ſollte, als ein Moͤnch. Der Guardian
verſprach, gleich Morgen an die Piariſten im naͤch-
ſten Landſtaͤdtchen einen Brief zu ſchreiben, und
dem jungen Menſchen eine Stelle auszumachen.
Ein andrer Pater ſagte, daß er ſeinem Bruder,
Pater Philipp, der ein Lehrer an der Piariſten-
ſchule ſey, ſchreiben, und den jungen Siegwart ſei-
ner beſondern Aufſicht empfehlen wolle. Die ganze
Geſellſchaftwar nun ſehr vergnuͤgt; der Guardian ließ
guten alten Nekkarwein auftragen, den das Klo-
ſter erſt von einer Wittwe geſchenkt bekommen hat-
te, und man trank fleißig herum. Unſerm Sieg-
wart wurde eine Geſundheit nach der andern
aufs kuͤnftige Kloſterleben zugetrunken; ſie nannten
ihn im Scherz Bruder Auguſtin, weil man im
Kloſter den Namen ablegt, den man in der Welt
gehabt hat. Dieſe Vertraulichkeit und der Wein,
den er nicht gewohnt war, ſo gut, und ſo viel zu
trinken, machten ihn ganz munter und beredt.
Der Vater, der oben bey dem Guardian ſaß,
und nun, wegen ſeines Sohnes, alles mit ihm
ausgemacht hatte, daß dieſer nemlich in ſechs oder
ſieben Jahren ganz gewiß ins Kloſter ſollte aufge-
nommen werden, ſtand endlich um ſechs Uhr auf,
und nahm von den Paters Abſchied. Als der
Sohn dieſe Zuruͤſtungen ſah, ward ihm das Herz
auf einmal ſchwer, und das Auge truͤb. Es war
ihm, als ob er in eine Einoͤde zuruͤckkehren ſollte,
ſo ſehr hatte er ſich ſchon ans Kloſter gewoͤhnt.
Eine Zeitlang ſtand er ſtumm und zitternd da; dann
ſprang er aber eilends weg, und kam nach eini-
gen Augenblicken wieder, mit den Vuͤchern un-
term Arm, die ihm P. Jgnatz geborgt hatte.
Er gieng zu ihm hin, und ſagte: Leider hab ich
die Geſchichte vom heiligen Franz nur halb,
und die andern Buͤcher gar nicht durchleſen koͤn-
nen; aber ich dank Jhnen doch recht ſehr. Nein,
mein lieber Xaver, ſagte Jgnatz, ſo iſts nicht ge-
meynt; Er ſoll die Buͤcher zum Andenken von
mir behalten, oder ſie mir erſt wieder zuruͤckge-
ben, wenn er hier Profeß thut. Mach er keine
Umſtaͤnde! Sie ſind ſein. Xaver ſah ſeinen Va-
ter an, als ob er fragte, was er thun ſollte? Ja,
wenn der Herr Pater nicht anders will, Xaver,
ſagte dieſer, ſo muſt du’s eben annehmen. Aber
das Geſchenk iſt gar zu groß, Herr Pater! Jch
weiß nicht, was ich Jhnen dagegen anbieten ſoll?
Schicken Sie uns Jhren Sohn bald wieder, ſagte
Jgnatz, das iſt alles, was ich wuͤnſche. Der al-
te Siegwart machte eine Verbeugung. Laß doch
ſehen, Xaver, was du denn fuͤr ſchoͤne Buͤcher
haſt? Ey, das iſt ja herrlich, das Leben des heil.
Franciſcus; das iſt mein Patron. Nun, nun,
da kannſt du brav drinn ſtudiren, und viel ſchoͤ-
nes draus lernen. Und da, das Leben des heili-
gen Nepomuk, das iſt der Flußpatron, weil er
zu Prag in die Moldau iſt geſtuͤrzt worden.
Jch dank Jhnen vielmals, Herr Pater, in mei-
nem und in Xavers Namen. Wenn Sie mich
einmal beſuchen, will ich ſehen, wie ichs auf an-
dre Art wett mache? Nun, Xaver, empfiehl dich
der Liebe dieſer Herren! Du ſiehſt, daß Sie dir
alle gut ſind, mach, daß du dieſer Ehre werth
bleibſt!
Xaver konnte nicht vor Thraͤnen ſprechen;
Er kuͤßte dem Guardian und den uͤbrigen die Hand,
und benetzte ſie mit ſeinen Thraͤnen. Als er
an den P. Anton kam, ſagte dieſer: Laß nur,
mein Sohn! ich will dich und deinen Vater noch
eine Strecke weit begleiten. Am Kloſterthor blie-
ben die uͤbrigen ſtehen, nachdem ſie von den bey-
den Siegwarts auf eine freundſchaftliche Art Abſchied
genommen hatten. Anton gieng mit ihnen. Xa-
ver ſah ſich wohl noch zwanzigmal nach dem
Kloſter um, und ſchickte ihm ſeine Thraͤnen nach.
Der alte Siegwart erkundigte ſich bey P.
Anton nach verſchiednen Dingen, die den Auf-
enthalt ſeines Sohns auf der Schule und dann
auf der Univerſitaͤt, betrafen. Dieſer entſchuldigte
ſich damit, daß er ſchon zu lange von der Welt
ſey, und daß ſich in dieſer Zeit ſo vieles in der
Lebensart, und in den Koſten auf der Univerſitaͤt
veraͤndert habe. Er gab aber doch dem Vater
und dem Sohn viel weiſe Lehren und Erinnerun-
gen. Jch wollte dir Prag zur Univerſitaͤt vor-
ſchlagen, ſagte er, denn ſie hat viele Vorzuͤge vor
andern; Aber, da ſie ſo weit entfernt iſt, und
man dort weit mehr braucht, als anderswo, ſo
wollt ich dir unmaßgeblich Jngolſtadt in Baiern
vorſchlagen, weil da auch gute Profeſſores ſeyn
ſollen, wenigſtens hat Herzog Ludwig viel drauf
gewendet. Ja, ich denke auch ſo, ſagte Sieg-
wart; Jngolſtadt liegt in der Naͤhe, und ich
habe da auch noch von meiner ſeligen Frau her
ein paar weitlaͤuftige Verwandte, daß mein Sohn
doch etwas Auſſicht hat, und auch Unterſtuͤtzung,
wenn es noͤthig waͤre. Der Hofrath Fiſcher, den
du auch noch kennen wirſt, ſteht dort in gutem
Anſehen, und ich habe von ihm, vermoͤg unſrer
alten Bekanntſchaft, viele Freundſchaft zu erwarten.
Nach einigen Erinnerungen, die Anton dem
jungen Siegwart noch, in Abſicht auf die Wahl
ſeiner Freunde auf Univerſitaͤten, gegeben hatte,
nahm er von den Beyden Abſchied. Es floſſen
gegenſeitig viele Thraͤnen, zumal da Anton faſt
in einem Ton der Weiſſagung von ſeinem fruͤhen
Tode ſprach. Der letzte Kuß des Paters ſchweb-
te noch lang auf den Lippen des Juͤnglings; ſei-
ne Thraͤnen floſſen in die Thraͤne des Ehrwuͤr-
digen Alten, und vereinten ſich mit ihr, wie ſeine
Seele mit des Paters Seele ſich vereinigt hatte.
Vater und Sohn giengen eine Zeitlang
ſchweigend durchs Gefild hin. Was haſt du
dann alle Gutes erfahren und geſehen im Kloſter?
fragte endlich der alte Siegwart. Und nun fieng
der Sohn an, in einer Art von Begeiſterung, al-
les zu erzaͤhlen, was im Kloſter, und beſonders
auf dem Dorfe mit dem P. Anton den tiefſten
Eindruck in ſein Herz gemacht hatte. Der Vater
hoͤrte mit Vergnuͤgen, oft mit Ruͤhrung zu, und
rief ein paarmal aus: Ja, da malſt du mir mei-
nen Pater Anton wie lebendig vor die Augen!
Das ſieht ihm aͤhnlich, u. ſ. w. Wenn du ſeine Fuß-
ſtapfen betrittſt, Xaver, denn will ich den Tag ewig
ſegnen, an dem ich das erſtemal mit dir hieher
gieng.
Sie waren aus dem Waͤldchen herausgegan-
gen, als ſie von fern Thereſen und Wilhelm, ih-
ren zweyten Bruder, ihnen entgegen kommen ſahen.
Xaver ſah ſie kaum, ſo ſprang er voraus, bewill-
kommte ſie, und druͤckte ſeiner Schweſter, die er
herzlich lieb hatte, die Hand, denn er war noch nie
ſo lang von ihr entfernt geweſen. Thereſe war
ein raſches, naives Landmaͤdchen mit einem runden
vollen Geſicht, das von der Farbe der Geſundheit
gluͤhte; mit groſſen dunkelblauen Augen, die beydes,
wenn ſie heſtig, oder zaͤrtlich war, von der Staͤr-
ke und Feſtigkeit ihrer Seele zeugten. Wenn ſie
lachte, bildeten ſich ein paar Gruͤbchen in den
Wangen, und man ſah die Goͤttinn der Anmuth
vor ſich. Jhre Haare waren dunkelbraun und
lang; ihr Wuchs mittelmaͤßig groß. Jn ihren Re-
den war ſie ſchnell und haſtig; ihr Witz war immer
neu und lebhaft. Munterkeit erwachte, wo ſie hinkam,
und ſie lachte gern aus vollem Herzen. Doch ver-
bannte ſie zu rechter Zeit den Ernſt nicht, und in
den Stunden der Daͤmmerung, oder am Klavier
H
zerfloß ihre Seele oft in Wehmuth. Nichts liebte
ſie mehr, als Geſchaͤſtigkeit, und beſonders laͤndli-
che Beſchaͤftigungen. Sie wuſte jede Arbeit, die
die verſchiednen Jahrszeiten auf dem Lande mit
ſich bringen. Jm Fruͤling ſaͤte ſie im kleinen Wurz-
gaͤrtchen am Hauſe; ſteckte Bohnen und Erbſen;
pflanzte Salat und Kohl, und ordnete die Ausſaat
des Flachſes an. Jm Sommer war ſie in ihrem
ſtrohernen Sonnenhuͤtchen, bey der Heuerndte mit;
kochte fuͤr die Arbeitsleute; half den Flachs ein-
thun, und zurechte machen; gieng mit aufs Korn-
feld hinaus; hatte die Aufſicht uͤber die Schnitter;
ſprach mit ihnen freundlich, und der Arbeit kun-
dig; aß des Abends Milch mit ihnen; und war
von jedermann geliebt, ohne ihrer Wuͤrde etwas
zu vergeben. — Jm Herbſt ſorgte ſie fuͤr die Be-
arbeitung des Flachſes und fuͤrs Ausdreſchen des
Getraides; gieng mit in den Baumgarten, und
half die Aepfel und die Birn’ einſammeln. Jm
Winter beſorgte ſie die Kleidung ihrer Bruͤder,
ſpann, oder machte Linnen; und verſah noch dabey
das ganze Jahr durch die Kuͤche und die Haushal-
tung. Bey aller ihrer Arbeit war ſie immer mun-
ter; trillerte ein Liedchen, oder ſcherzte mit ihren
Bruͤdern. Der aͤltere, Karl, war ſtolz und gei
zig, der zweyte: Wilhelm, war phlegmatiſch und
traͤg. Mit beyden machte ſie ſich alſo nicht viel
zu ſchaffen, begegnete ihnen aber freundlich, und
gab ihren Schwachheiten, ſo viel als moͤglich, nach.
Aber unſer Xaver war ein Mann fuͤr ſie.
Als Kind huͤpfte ſie immer mit ihm herum, und
half ihm bey ſeinen kriegeriſchen Zuruͤſtungen; ſie
ſpielte die Soldatenfrau, oder die Marquetende-
rinn; und hielts, wie er, mit dem Koͤnig von
Preuſſen. Oft giengen auch die beyden allein, die
Haͤnde freundſchaftlich in einander geſchloſſen, nach
dem Garten, oder in den anliegenden Hain. Da
ſetzte ſie ſich ins hohe Gras, ſah mit frohem Stau-
nen alle Schoͤnheiten der Natur, deren Betrach-
tung ihr immer das liebſte war; hoͤrte, mit lau-
tem Aufjauchzen, dem Geſang der Nachtigallen
und Grasmuͤcken zu; indeß daß der Bruder Schmet-
terlinge haſchte, oder Blumen pfluͤckte, und ſie ihr
mit Lachen in den Schoos warf. Sie wuſte die
Blumen kuͤnſtlich zu binden, oder machte einen
Kranz draus; ſetzte ihn auf; und gieng ſo, ver-
gnuͤgt, nach Haus. Als ſie aͤlter wurde, und ſich
ſchon ums Hausweſen bekuͤmmerte, ſpielte ſie doch
noch oft mit ihm des Abends; warnte ihn, wenn
er zu muthwillig geweſen, und der Papa uͤber ihn
erzuͤrnt war; und er folgte ihrer Warnung. Da
ſie ein paar Jahr’ als Koſtgaͤngerinn in einem
Nonnenkloſter lebte, vermißte er ſie ſehr und ſchrieb
ihr, ſobald er ſchreiben konnte, einen Brief zu.
Nach ihrer Zuruͤckkunft aus dem Kloſter wollte ſie
ihn das Klavierſpielen lehren; Anfangs hatte er
groſſe Luſt, und war eifrig drauf; aber bald ließ
er wieder nach, denn das Notenlernen war ihm
viel zu langweilig. Er hingegen mußte ihr Phaͤdri
Fabeln und Terenz Komoͤdien uͤberſetzen, weil ſie
in den Zwiſchenſtunden und an den langen Winter-
abenden gar zu gern ein gutes Buch las, und doch
keines, oder wenige, hatte. Nachher kriegte ſie von
einem Preußiſchen Officier, der, im Burgauiſchen
als Kriegsgefangner lag, mehrere gute, deutſche
Buͤcher zu leſen. Je mehr ſich die Seele ihres
Vruders entwickelte, deſto mehr gewann ſie ihn
lieb, und ward ganz ſeine Vertraute. Vielleicht
kams auch daher, weil ihre Geſichtszuͤge ſehr viel
Aehnlichkeit miteinander, und mit den Geſichtszuͤ-
gen ihrer Mutter hatten.
Aber deſto weniger Aehnlichkeit in der Geſin-
nung, im ganzen Karakter, und auch in der Bil-
dung hatte ihre Schweſter Salome mit ihr, die
drey Jahre juͤnger war, als ſie. Dieſes Maͤdchen
ſah nicht gut aus, denn ſie hatte Sommerſproſſen,
eine etwas aufgeworfne Naſe, und ziemlich hellrothe
Haare; und doch war ſie auf ihre Bildung, und
ihren vortheilhaften Wuchs uͤbermaͤßig ſtolz. Ei-
telkeit war ihre Goͤttinn, und ſie ſann Tag und
Nacht darauf, ihr neuen Putz und Flitterſtaat zu
opfern: und doch prangte ſie im Dorf vor niemand,
als Sonntags in der Kirche vor den Bauren, die
ihren uͤberfeinen Geſchmack nicht einmal bewundern
konnten. Fuͤr dieſen Undank, deſſen ſich auch ihre
Schweſter ſchuldig machte, weil ſie’s ſelten bemerkte,
wenn Salome mit einer neuen Erfindung, die oft
in Veraͤnderung einer Schleife beſtand, auftrat,
raͤchte ſie ſich aber, und brachte den groͤſten Theil
des Jahrs bey einer alten Baaſe in Muͤnchen zu,
wo ſie ſich von Hofkammerdienern, Laͤufern, und
dergleichen Leuten bewundern, und von Damen, Kam-
merjungfern und Putzmacherinnen betadeln ließ.
Die ganze Familie des Amtmanns, und Thereſe
am meiſten waren mit dieſer Rache ſehr zufrieden;
denn Salome konnte nichts, als ſich, und ihre
Kleider im Spiegel begaffen; ſich friſieren; zwo fran-
zoͤſiſche Arien ſingen, die ſie nicht verſtand; aufs Land
und das Landleben ſchimpfen; ſpoͤtteln, wenn man von
der Stadt ſprach, und nicht alles drinn bewunderte;
und endlich uͤber jedermann, beſonders uͤber ihre
Schweſter die Naſe ruͤmpfen, weil ſie das Ungluͤck
hatte, beſſer auszuſehn als ſie, und den einfachen
natuͤrlichen Geſchmack in Putz und Sitten, dem hoͤ-
kerichten parfumierten Stadtgeſchmack vorzuzie-
hen. Thereſe kannte die Stadt; ſie war, nach
dem Kloſter, noch ein halbes Jahr da geweſen,
und ſehnte ſich mit voller Seele in ihr ſtilles, ru-
higes Dorf zuruͤck; wo, ſtatt des ewigen Getuͤm-
mels der Karoſſen und der Menſchen, Ruhe;
Statt des caͤremonioͤſen Weſens, das aus luͤgen-
haften Komplimenten zuſammengeſetzt iſt, alte
deutſche ſchwaͤbiſche Offenherzigkeit; Statt der ſoge-
nannten feinen Lebensart, unverfaͤlſchte Unſchuld
und Wahrheitsliebe; und ſtatt des Prunks in
Haͤuſern und Gemaͤchern, einfaͤltige, ungekuͤnſtelte
Natur ihren Thron aufgeſchlagen hat. Geſellſchaft
brauchte ſie nicht viel, weil ſie immer beſchaͤftigt
war, und ihren Xaver um ſich hatte. Zuweilen gieng
ſie mit des Poſtverwalters Tochter, einem ſtillen
ſittſamen Maͤdchen, um. Statt fuͤr Jhr Vergnuͤgen
in einem angenehmen Umgang mit Freundinnen zu
ſorgen, hielt ſie es fuͤr eine groͤſſere und hoͤhere
Pflicht, ihrem rechtſchaffenen Vater, der, ſeit dem
Tode ſeiner Frau, immer einſam gelebt hatte, Ver-
gnuͤgen, und das ſtille Landleben angenehm und
abwechſelnd zu machen. Sie war mehr ſeine
Freundinn, als ſeine Tochter: denn er zog ſie bey
allen wichtigen Veraͤnderungen in der Haushaltung
zu Rath, weil er wuſte, daß er ſich auf ihre Ein-
ſichten verlaſſen konnte. Sie ehrte und liebte ihn
uͤber alles; Jn truͤben Stunden ſuchte ſie ihn zu
erheitern, und ſpielte ihm auf dem Klavier vor.
Kurz, ſie war die Freude und Stuͤtze ſeines Alters.
Auch jetzt gieng ſie ihm, an der Hand ihres
lieben Xavers entgegen, und die Freude, ihren
Vater und Bruder wieder zu ſehen, funkelte ihr
aus den Augen. Sie erzaͤlte erſt, was waͤhrend
ſeiner Abweſenheit zu Hauſe vorgefallen ſey; und
fragte dann ihren Bruder, wie es ihm im Kloſter
gefallen habe? Dieſer konnte nun des Redens
kaum ein Ende finden, wie es ihm da ſo wohl ge-
gangen ſey: was fuͤr Ehre er genoſſen, was fuͤr
Leute er da kennen lernen, und was er ſonſt alle
ſchoͤnes geſehen und gehoͤrt habe. Endlich ſagte er,
es ſey nun ganz richtig, daß er auch ins Kloſter
gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach der
Stadt in die Piariſtenſchule kommen werde.
Die Schweſter erſchrack anfangs, und that,
als ob ſies nicht glauben koͤnnte; aber Xaver be-
rief ſich auf das Zeugnis ſeines Vaters, und dieſer
bejahre es. Sie wagte es jetzt nicht, etwas dage-
gen einzuwenden, ob ihr gleich die Sache ſehr mis-
fiel; aber ſie dachte doch, noch etwas auszurichten,
wenn ſie mit dem Vater und dem Bruder allein
daruͤber ſpraͤche.
Was haͤltſt denn du davon? ſagte Xaver zu
Wilhelm? Du ſchweigſt ja ganz ſtill dazu. Freuſt
du dich nicht druͤber? — Je, was weiß ich? ſag-
te dieſer; Mich deucht, du thuſt ganz recht, Xa-
ver! Es ſoll ein ruhiges Leben im Kloſter ſeyn;
und da iſts gut, daß dus waͤhlſt.
Wilhelm ſieht alles von der Seite der Ruhe
an; ſagte der Vater. Jch wollte, du haͤtteſt ſo-
viel Leben, wie Xaver! Ruhe kann man ſchon ſu-
chen, wenn man erſt brav gearbeitet hat; aber du
willſt eins ohne das andere. Haſt du heut die
Rechnung eingetragen?
Wilhelm. Nein, Papa; ich habs wahrhaf-
tig vergeſſen. Nu, ich denk, ich wills morgen
thun.
Der Vater. Ey, was morgen? Jch hab
dir aber geſagt, daß du’s heute thun ſollſt! Mit
euch, Leuten, kommt man weit! Du wirſt noch ein-
mal zu ſpaͤt in Himmel kommen! — Thereſe,
was werden wir heut zu Nacht eſſen?
Thereſe. Jch habe Tauben zurichten laſſen;
Papa, und Salat; weil’s jetzt warm iſt.
Der Vater: Gut, meine Tochter, du weiſt,
was ich gern eſſe. — Deinem Bruder Xaver muſt
du jetzt Waͤſche zurecht machen, weil er unter frem-
de Leute kommt. Er kann bald abgehen muͤſſen;
ich warte nur auf Briefe aus der Stadt. Karl
iſt doch zu Hauſe, Wilhelm?
Wilhelm. Ja, ich glaube wol, Papa, er
wird ſchreiben. —
Sie kamen nun ans Amthaus. Als ſie durch
den Garten giengen, ſah der Vater, daß Thereſe
die Blumen, vor dem Weggehn, ſchon begoſſen,
und friſchen Salat in die Luͤcken nachgepflanzt hat-
te, und lobte ihren Fleiß. Die Blumen duͤfteten
ihr ſuͤſſer, weil ſie die Freude ſah, die ihr Vater
druͤber hatte. Jch denke, wir eſſen heut in der
Laube, ſagte der alte Siegwart; der Abend iſt
lau und angenehm, und wir koͤnnen hier die Nach-
tigall aus dem Gebuͤſch beſſer hoͤren. Xaver gieng
auf ſein Zimmer, packte ſeine Buͤcher aus, und
gruͤßte ſeinen aͤltern Bruder Karl, der noch am
Schreibtiſche ſaß, und ihm einen kalten unfreund-
lichen guten Abend wuͤnſchte, ohne weiter nachzu-
fragen, wie es ihm die Zeit uͤber gegangen ſey?
Bald drauf ſetzte man ſich in der Laube zu
Tiſche; Thereſe trug mit angenehmer Geſchaͤſtigkeit
das Eſſen auf. Sie war wie eine arkadiſche
Schaͤferinn gekleidet, im weiſſen Gewand der Un-
ſchuld mit roſenroten Schleifen. Jhre ſchoͤnen
braunen Haare waren losgegangen, und flogen in
der Luft, wenn ſie durch den Garten huͤpfte. Sie
muſte ſich neben ihren Vater ſetzen, und ihm aller-
ley erzaͤlen. Mit ihrer gewoͤhnlichen Anmut that
ſie’s zwar aber nicht mit der, ihr ſonſt eigenthuͤm-
lichen Munterkeit; denn das kuͤnftige Schickſal ih-
res Bruders ſchwebte ihr, wie eine Wetterwolke
am ſonſt heitern Himmel, vor Augen, und er-
ſchreckte ſie. Er ſaß ihr gegenuͤber; wenn er ſie
nicht anſah, blickte ſie ihn halbverſtohlen und mit-
leidig an; Ein paarmal hatte ſie Muͤhe, Jhre
Thraͤnen vor ihm und ihrem Vater zu verbergen.
Karl hingegen, der in Gedanken ſchon berechnet
hatte, wie viel er durch den Entſchluß ſeines Bru-
ders, ins Kloſter zu gehen, bey der Erbſchaft einſt
gewinnen werde, ſprach unaufhoͤrlich von der ver-
nuͤnftigen Wahl Xavers, und von dem Gluͤck das
ihn erwartete, gleich als ob er fuͤrchtete, ſein Ent-
ſchluß moͤcht ihn wieder gereuen. Wilhelm nag-
te ſeine Taube langſam ab, und ſchwieg, oder
ſagte zuweilen noch: ja; damit man ihn nicht
gar fuͤr eingeſchlummert halten moͤchte!
Nach dem Eſſen gieng man noch ein bischen
im Garten zwiſchen den Aurikeln und Levkojen-
ſtoͤcken auf und ab; es ward von Dorfgeſchichten
und Einrichtungen des Hausweſens geſprochen;
der Vater gieng fruͤh zu Bette, weil er vom
Spatziergang etwas ermuͤdet war; Xaver auch.
Thereſe konnte lange nicht ſchlafen, und ſann ih-
res Bruders Schickſal nach. Tauſend traurige
und ſchreckliche Bilder, die die Phantaſie, die
Stille der Nacht, und der blaſſe Mond, der ſei-
ne Stralen an die weiſſe Wand der Kammer
warf, noch vergroͤſſerte, ſtiegen vor ihr auf. Sie
ſchlief endlich unter Thraͤnen ein. Gleich am
Morgen gieng ſie auf das Zimmer ihres Vaters,
und brachte ihm ſeine Suppe; denn er trank nie-
mals Kaffee; ſie machte ſich allerley zu ſchaffen,
raͤumte die Papiere auf; ſtopfte ſeine Pfeife;
huſtete, weil ſie reden wollte, und nicht konnte.
Wenn ein Wort ſchon auf ihrer Zunge ſchwebte,
unterdruͤckte ſie es wieder. Als er gegeſſen hatte,
gieng ſie hinaus, um ihrem vollen Herzen Luft
zu machen, und ihres Vaters Pfeife anzuſtecken.
Sie kam wieder, ſtellte ſich an die Kommode,
ſchlug die Augen nieder, krabbelte mit den Fin-
gern, oder ſpielte mit einer Feder. Sie gieng
ans Fenſter, machte es auf und wieder zu, und
fieng endlich, mit weggewandtem Geſicht an: Pa-
pa, iſts denn wirklich Ernſt mit Xaver? Soll ich
ihm Weißzeug auf die Reiſe zurecht machen?
Der Vater. Allerdings, Thereſe! du wirſt
dich freylich wundern, daß ich ſo ſchnell einen
Entſchluß faſſe, den ich ſelber nie vermuthet haͤtte.
Aber ich hab dir ſchon geſagt, wie es dem Kna-
ben im Kloſter ſo wohl gefiel, und wie die Pa-
ters mir zuſetzten, daß ich ihn der Kirche nicht
entziehen ſollte; und geſtern fand ich ihn vollends
ganz und gar veraͤndert; er ſah und hoͤrte nichts,
als das Kloſter; ſeine ganze Seele haftet dran,
und es waͤr ſein Ungluͤck, wenn man ihn jetzt
davon losreiſſen wollte. Er iſt ſo veraͤnderlich
nicht, als er ſcheint; ich habs oft erfahren. Was
er Einmal recht feſt gefaßt hat, das laͤßt er ſo
leicht nicht wieder fahren.
Thereſe. Das iſt ſchon gut, Papa; aber
jetzt iſt er noch, wie betaͤubt. Wenn er wieder
zu ſich ſelber kommt, und ſieht, wie weit er
ſchon vorwaͤrts gegangen iſt, ohne daß er mehr
zuruͤck kann, wie wird’s ihm dann gehen?
Der Vater. Du machſt mir aufs neue
bana, meine Tochter; ich war vorher ſchon nicht
ruhig. Aber, ſag, wie ichs anders haͤtte machen
koͤnnen? Der Knabe kommt ins Kloſter; alles iſt
ihm neu, gefaͤllt ihm, blendet ihn. Anton fragt,
ob ich keinen Sohn ins Kloſter geben wolle?
Xaver bricht los, ſagt ja; die andern Paters er-
fahren’s; nehmen mich beym Wort, und ſtellen
mir die Sache als eine Gewiſſensſache vor.
Nun wußt’ ich weder aus noch ein, und ſuchte
mir nur dadurch Verzoͤgerung und einen Ausweg
zu verſchaffen, daß ich Xavern verſprach, er koͤnn-
te einige Tage im Kloſter bleiben. Vielleicht,
dacht ich, wird ihn die Einſamkeit bald wieder
auf andere Gedanken bringen, und ihm die Frey-
heit deſto angenehmer machen. Aber es gieng
umgekehrt. Er will von nichts anders mehr
wiſſen, als vom Kloſterleben. Jch kanns nicht
aͤndern, und ich denke doch, daß es ſo auch gut
gehen werde, da ſein Trieb ſo ſtark und
beynahe uͤbernatuͤrlich iſt. Es wuͤrde mir uͤber-
dieß auch ſchwer fallen, ihn auf andre Art in der
Welt unterzubringen, da ich doch fuͤr euch genug
zu ſorgen habe. Es iſt dein Nutzen auch, The-
reſe, wenn er ſo verſorgt wird, und ich kann dir
einmal dafuͤr mehr zum Brautſchatz geben.
Thereſe. Ach, Papa, daran mag ich gar
nicht denken! Lieber wollt ich alles fahren laſſen,
als meinen Bruder, und gerade dieſen, ungluͤcklich
ſehen.
Der Vater. Jch weiß, wie du denkſt, The-
reſe, und ich ſags auch nicht deswegen; es iſt
nur ſo nebenher. Aber jetzt kann ichs warlich
nicht mehr aͤndern. Jch habe den Paters mein
Wort gegeben, und ſie haben meinetwegen ſchon
an die Piariſten geſchrieben. Doch auch das
ſollte nichts verſchlagen, und ich wollt es ſchon
ſo machen, daß ich mich auf eine gute Art her-
auszoͤge; aber Xaver wuͤrde nicht damit zufrie-
den ſeyn, und ich will meine Kinder zu keiner
Sache zwingen, am wenigſten zur Wahl einer Le-
bensart, von der ihr kuͤnftiges Gluͤck oder Un-
gluͤck abhaͤngt; du kennſt meine Art ſchon. Wenn
du glaubſt, daß es ſchlechterdings ſein Ungluͤck iſt,
wenn er Moͤnch wird, ſo magſt du meinetwegen
dein Heil bey ihm verſuchen, und ſehen, was du
ausrichteſt! Jch wollte gern, daß es dem Kna-
ben ſo wohl gienge, als er ſeiner Folgſamkeit und
ſeines guten Herzens wegen verdient! Sprich mit
ihm davon!
Thereſe. Wenn Sie’s erlauben, Papa, ſo
will ich mit ihm ſprechen, und ihm meine Mey-
nung frey heraus ſagen. Denn hier hilft das
Schweigen nichts, man moͤcht es nachher zu ſpaͤt
bereuen, und ſich Vorwuͤrfe druͤber machen.
Der Vater. Gut, meine Tochter, ich uͤber-
laß es deiner Klugheit; nur muſt du ihm das
Kloſterleben auch nicht gar zu traurig abmalen!
Es moͤchte eine ſchlimme Wirkung bey ihm ha-
ben, da er einmal ganz dafuͤr eingenommen iſt.
Thereſe gieng nun mit etwas leichterm Her-
zen weg, als ſie hergekommen war. Sie ſuchte
ihren Bruder dieſen Morgen noch zu ſprechen;
aber Wilhelm, der bey ihm auf dem Zimmer
ſaß und durch keinen Vorwand wegzubringen war,
hinderte ſie daran. Den Nachmittag kam ein
alter Prediger vom naͤchſten Dorf, den Thereſe
oft auf ihren Spaziergaͤngen beſuchte, und, ſeiner
Ehrlichkeit wegen, ſehr lieb hatte. Der alte Mann
freute ſich recht herzlich, wie er hoͤrte, daß Xa-
ver der Welt abſagen wollte, und wuͤnſchte ihm
aufrichtig Gluͤck dazu. Thereſe muſte verſpre-
chen, ihn mit ihrem Bruder, eh er weggienge,
noch einmal zu beſuchen. Den folgenden Mor-
gen traf ſie Xavern allein auf ſeinem Zimmer,
als er eben das Leben des heiligen Franciſcus
vor ſich aufgeſchlagen, und das Blatt von P.
Anton daneben liegen hatte.
Ey, guten Morgen, Herr Pater! ſprach ſie
laͤchelnd; Jmmer ſo fleißig? Und was ſtudieren
Sie dann, wenn ich fragen darf? … Jm Le-
ben des heiligen Franciſcus. War das auch ein
Kloſterherr? oder wol gar auch ein Kapuziner?
Xaver. Freylich, unſer Ordensſtifter, The-
reſe! Ein gar herrlicher und heiliger Mann.
Thereſe. So? Ja, was weiß ich auf un-
ſerm Dorfe hier? Da erfaͤhrt man nichts der-
gleichen.
Xaver. Du ſollteſt’s aber wiſſen! Koͤnnteſt
viel von ihm lernen! So gibts wenig Leute!
Thereſe. Nu, Nu! ich werde doch ohn
ihn ſelig werden koͤnnen? Meynſt du nicht?
Xaver. Geh! du ſprichſt auch gar zu leicht-
ſinnig! Kannſt dergleichen Dinge nicht begreifen.
Thereſe. Ja, das glaub ich gerne. Aber
nur nicht gleich ſo boͤſe, Bruder! Das haſt du
doch im Kloſter nicht gelernt? Sey ein bischen
ſreundlich, Xaver!
Xaver. Herzlich gerne, liebe Thereſe! Nimm
mirs nicht uͤbel, wenn ich dich hart anfuhr! Jch
war da ſo vertieft im Leſen, und habs warlich nicht
ſo boͤs gemeynt.
Thereſe. Gut, gut! Wer wird auch gleich
alles uͤbel nehmen? und zumal dir? Ach, du weiſt
nicht, wie ich dich ſo lieb habe, Bruder! — Und
du wollteſt uns verlaſſen? Gelt das war dein Ernſt
nicht? Bleib nur in der Welt! Sie iſt ſo gut, und
die Menſchen drinn ſinds auch.
Xaver. Das kann wol ſeyn, Schweſter!
Aber mir iſts Ernſt; ich muß ins Kloſter.
Thereſe. Und warum denn, lieber Xaver?
Kennſt du auch die Welt und das Kloſter, das du
drum eintauſchen willſt? Jch ſeh, daß es dir Ernſt
iſt, und muß einmal offenherzig mit dir reden,
wenn du nichts dagegen haſt.
Xaver. Was dagegen? Sprich nur frey
heraus! Du thuſt ja ganz fremd gegen mich.
Thereſe. Nun, ſo hoͤr denn an! Was ich
ſage, ſag ich blos um deines Beſten willen, und
weil ich dich ſo lieb habe. Sieh, ich kenn das Klo-
ſterleben auch; habs zwey Jahre lang verſucht und
da kann ich aus Erfahrung reden. Anfangs ge-
J
fiel mirs auch wol; ich glaubte ſchon im Himmel
zu ſeyn, und wollte nichts mehr von der Welt wiſ-
ſen. Da war lauter Eintracht und Liebe. Man
hoͤrte nichts, als: liebe Schweſter! Engelsſchweſter!
und dergleichen. Man kuͤßte ſich des Morgens,
wenn man aufſtand, gieng mit Kuͤſſen auseinan-
der. Jch einfaͤltiges Maͤdchen dachte, das iſt im-
mer ſo; der Friede muß wol aus der Welt ins
Kloſter gezogen ſeyn und bedaurte, daß ich nicht
ſchon laͤnger mich drein begeben haͤtte. Aber nach
etlichen Wochen, da ich nicht mehr neu im Kloſter
war, giengs ganz anders. Erſt entſtunden bey Tiſche
kleine Neckereyen; eine Nonne zog die andre auf,
man verantwortete ſich; ward boͤſe; die Aebtiſſin
winkte; das half eine Zeitlang; aber, wenn ſie
weg war, giengs gleich wieder an, und oft entſtand
ein ſolcher Zank, daß die Schweſtern weinend aus-
einander giengen. Du ſollteſt’s nicht glauben;
aber es iſt mehr Eiferſucht und heimliche Feind-
ſchaft da, als anderswo. Mir begegnete man zwar
ſehr freundlich, und den andern Koſtgaͤngerinnen
auch, aber das hat ſeine Urſachen; ſo wie man dir
auch freundlich begegnet hat. Man muß eine bit-
tre Arzeney uͤberzuckern, wenn ſie hinunter ſoll; wo
wuͤrden neue Schweſtern und Bruͤder herkommen,
wenn man ſie gleich anfangs alles Harte fuͤhlen
ließ? Soviel weiß ich, mich ſollen ſie gewiß nicht ins
Kloſter kriegen, wenn man mirs auch noch ſo golden
abmalte! — — Glaubſt du denn die Ruhe, und
innere Zufriedenheit der Seelen wohne da? Ja,
ſo dacht ich auch! Aber ich ſah wol, wie ſo manche
Nonne Morgens aus der Zelle ſchlich, mit ver-
weinten Augen, die die ganze Nacht keinen Schlaf
geſehen hatten. Glaub mir, Bruder, es iſt trau-
rig, zwanzig oder dreißig Frauenzimmer zu ſehen,
die zum Theil noch jung ſind; wie ſie, mit halb-
verloſchnen Augen, mit abgebleichten, eingefallnen
Wangen, da ſtehen; ihren Pſalm abſingen; und
dann einen Blick zum Himmel aufheben, der, im
tiefſten Ausdruck des Schmerzes, keine andre Wohl-
that, als den Tod herabzuflehen ſcheint; Glaub
mir, das iſt traurig, Bruder!
Und wenn man erſt in die Zellen kommt, wo
ſie ihren Thraͤnen freyen Lauf laſſen koͤnnen; wenn
ſie da den Schleyer aufheben, der noch halb das
traurige Geſicht bedeckt hatte! Bruder, das iſt gar
nicht zu beſchreiben, was man da fuͤhlt! Die hei-
lige, keuſche Bruſt, die nur ihren Seelenbraͤutigam
eingeſchloſſen haben ſollte, wird ſo oft von unwill-
kuͤhrlichen Seufzern emporgehoben, die einem ganz
andern Gegenſtand geweiht ſind. Der Menſch
bleibt Menſch, in der Zelle, wie in der Welt! Da
gibts innre Kaͤmpfe! Die armen unſchuldigen Opfer
verdammen ſich und ihr Gefuͤhl, faſten und kaſteyen
ſich, und ringen oft mit der Verzweiflung. Glaub!
ich uͤbertreibe nichts; blos Erfahrung hat mich das
gelehrt. Eine junge Baroneſſinn, ohngefaͤhr in
meinen Jahren, oder hoͤchſtens zwey und zwanzig
Jahr alt, hat mich zur Vertrauten ihres Jammers
gemacht. Wenn ich an den Abend denke, wie ſie
mir im Mondſchein ihre Geſchichte erzaͤhlt hat, das
Herz blutet mir. Ein Junker aus ihrer Nachbar-
ſchaft liebte ſie; ſie ihn auch; Er verſprach ihr die
Heirath, und die Eltern von ihrer Seite warens
ganz zufrieden. Weil er Officier bey den Baiern
war, ſo mußt er mit ſeinem Regiment zu der
Reichsarmee. Er nahm zaͤrtlich von ihr Abſchied,
verſprach, ihr zu ſchreiben, und ſchickte ihr |auch in
den erſten zwey Monaten fuͤnf Briefe. Auf ein-
mal blieben ſie aus. Sie wartete drey, vier Wo-
chen; war in ſteter Angſt, weil ſie nicht wußte, ob
er lebendig oder todt ſey? fiel in eine Krankheit;
phantaſirte, nannte nichts als ihren Braͤutigam,
und lag ſo vierzehn Tage lang. Als ſie wieder zu
ſich ſelber kam, war ihre erſte Frage: iſt ein Brief
da? Man konnte nicht mit Ja antworten, weil
ſie gleich den Brief gefodert haͤtte, und wollte doch
nicht nein ſagen; ſie merkte es, phantaſirte wie-
der, ſchlug ſich wuͤtend vor die Bruſt, und der
Arzt beſorgte eine gaͤnzliche Zerruͤttung ihres Ver-
ſtandes. Sie erzaͤhlte mir Geſichte, die ſie in die-
ſem Zuſtande gehabt hatte, daß mir Grauen an-
kam. Man ſann auf eine Liſt, ihr zu helfen. Jn
einem derer Augenblicke, da ſie bey ſich ſelber war,
erzaͤlte der Arzt: Man habe Nachricht von dem
Lieutenant, daß er in einem Scharmuͤtzel in den
rechten Arm ſey geſchoſſen worden, nun ſey er aber
ziemlich wieder hergeſtellt, und hoffe, bald wieder
ſchreiben zu koͤnnen. Die Nachricht davon ſey an ſei-
ne Eltern gekommen, und er habe ſie zugleich zaͤrtlich
gruͤſſen laſſen! Dieſe Erdichtung half mehr, als
alle Arzeney. Der Ruͤckfaͤlle in die Phantaſie
wurden weniger, ihr Auge war nicht mehr ſo wild,
und blickte ruhiger umher. Jhre Kraͤfte kamen
wieder, und nach vierzehn Tagen war ſie in ſo weit
wieder hergeſtellt, daß ihr der Arzt anrieth, auszu-
fahren. Zweymal wurde ſie von ihren Eltern be-
gleitet; das drittemal fuhr ſie allein mit ihrem
Kammermaͤdchen… Fahrt zum Baron Stein-
burg nach Wettenheim! rief ſie zum Kutſcher,
als ſie auf dem Feld war. Das Kammermaͤd-
chen erſchrack, und misrieth ihrs; Es ſey zu
weit; koͤnn’ ihr ſchaden u. ſ. w. Nichts! Sie
wollte von den Eltern ihres Theodors ſelbſt er-
fahren, was er mache, und ob er wieder herge-
ſtellt ſey? — Was macht Er? Lebt Er? iſt er wohl?
rief ſie zu der Baroneſſinn, als ſie aufs Schloß
kam. — Wer denn, gnaͤdiges Fraͤulein? was
wollen Sie? — — Mein Theodor, ihr Sohn;
Jſt er wohl? — — Jhr Theodor, Fraͤulein?
Wiſſen Sie denn nicht, daß er ſich vor einem
Vierteljahre ſchon in Schleſien verheirathet hat?
— Verheirathet! Jhr Sohn? Mein Theodor?
Und ſo flog ſie wieder in den Wagen, wo ſie
ohnmaͤchtig in die Arme ihres Kammermaͤdchens
ſank. Der Kurſcher fuhr fort, ohne etwas davon
zu wiſſen. Erſt vor dem Dorfe draußen hielt er,
auf das Schreyn der Kammerjungfer. Durch
vieles Reiben der Schlaͤfe und den Geruch des
Engliſchen Salzes ward das Fraͤulein wieder ſo
weit gebracht, daß ſie die Augen auſſchlug. Mit
ſtarrem Blick, und Verzuckungen des Mundes
ſaß ſie da, ohne ſonſt ſich zu bewegen. Als man
uͤber eine Flußbruͤcke fuhr, machte ſie eine Bewe-
gung, als ob ſie den Schlag an der Kutſche oͤf-
nen, und ins Waſſer ſpringen wollte; aber, als
ihr Kammermaͤdchen ſie hielt, blieb ſie wieder
unbeweglich ſitzen. Sie kam nach Hauſe, lief die
Treppen haſtig hinauf, und rief ihrer Mama, die
oben ſtand, zu: Er iſt verheirathet! — Drey
Wochen floſſen unter den klaͤglichſten Umſtaͤnden
fuͤr meine Freundinn hin. Sie ſagte nichts, als:
Theodor! und: verheirathet! — Nach einem
Vierteljahre ward ſie wieder beſſer, und verlangte
ins Kloſter. Die Eltern wagten’s nicht, ihr zu
widerſprechen. Nach dem Probjahr legte ſie das
ewige Geluͤbde ab. Man durfte nicht mit ihr
von Theodor ſprechen; ſie verfluchte ihn, wenn
ſie ſeinen Namen hoͤrte, und weinte dann wie-
der ganze Naͤchte durch! Vor drey Jahren kam
Theodor zuruͤck; wollte ſeine Braut ſprechen, der
er immer treu geblieben war; hoͤrte, ſie ſey im
Kloſter; rannte zitternd hin, kam ans Gitter,
ſprach ſie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht.
Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzaͤlte ein
unvorſichtiger Bedienter alles, und beſonders, daß
ſeine Mutter ausgeſprengt habe: Er ſey verhei-
rathet. Nach einer ſchrecklichen Nacht, die er
unter tauſend Kaͤmpfen zugebracht hatte, ritt er
mit verhaͤngtem Zuͤgel nach dem Schloſſe ſeines
Vaters; foderte, die Mutter zu ſprechen, und
durchſtach ſie mit dem Officiersdegen. Seitdem
weiß man nichts von ihm, wo er hingekommen
iſt? Ein einzigsmal glaubte man ihn bey Nacht
im Kloſtergarten geſpuͤrt zu haben. Es ſtund je-
mand unten an der Zelle meiner Freundinn, und
ſprang davon, als eine Nonne aus dem Fenſter
ſah. Sie ſchmachtete noch ein Jahr ihr Leben
hin, ſah einem Todtengerippe aͤhnlicher, als einem
Menſchen, ſprach ſelten, und allein mit mir,
wenn ich bey ihr in der Zelle war. Ein einziges-
mal hatte ſie Kraft genug, mit mir von ihm zu
ſprechen, und mir die ganze Geſchichte zu erzaͤlen.
Sie beſchloß damit: „Geh nicht ins Kloſter,
Herzensfreundinn, was dir auch begegnet! Mitten
in meinem Elend war ich in der Welt noch gluͤck-
licher, wo ich doch Freunde hatte!‟ Drey Wochen
nach dieſem ſtarb ſie. Jhr letztes Wort war:
Jeſus, ſtaͤrk Jhn! — — Du biſt geruͤhrt, Xa-
ver! Glaub mir, Bruder, ſolche ungluͤckliche See-
len gibts im Kloſter noch genug. Es iſt ein
Sammelplatz von Elend. Die meiſten hat das
Ungluͤck hineingetrieben; und nun kommt die Reue
noch hinzu. Jch wuͤſte nicht Eine Nonne, wo ich
war, die ihren Entſchluß nicht bereut haͤtte, wenn
ſies gleich nicht ſagte. Verdruß, Schwaͤrmerey,
Eigennutz der Eltern und Verwandten, und Ueber-
eilung ſinds allein, die das Kloſter fuͤllen; dieſe
haben ihre Graͤnzen, hoͤren wieder auf; aber das
Geluͤbde, Einmal ausgeſprochen, iſt ewig unauf-
loͤslich.
Xaver. Das iſt ſchon recht, Thereſe, du
ſprichſt hier von Nonnenkloͤſtern, und da weiß ich
nichts davon, hab mich auch niemals drum be-
kuͤmmert, aber bey uns — — —
Thereſe. Nun? iſts bey euch wol anders?
Seyd ihr denn nicht auch Menſchen, wie wir?
Habt ihr nicht auch Fleiſch und Blut? Bey Euch,
denk ich, ſollt’s noch aͤrger ſeyn, da ihr die Frey-
heit mehr gewohnt ſeyd, ſtaͤrkere Leidenſchaften
habt, und euch weniger ſchmiegen koͤnnt, als wir.
Wir muͤſſen uns ſo vieles in der Welt gefallen laſſen;
ſind an Unterwerfung und Gehorſam ſchon von
Jugend auf gewoͤhnt; leben immer einſamer,
als ihr, und ſind oft ganze Wochen lang zwiſchen
unſre vier Waͤnde eingeſperrt, da ihr indeſſen
volle Freyheit habt, in der Welt anzufangen, was
ihr wollt. Von uns ſollte man weit eher den-
ken, daß das Kloſter fuͤr uns waͤre, und doch iſts
nicht.
Xaver. Gut, Schweſter! Aber das muſt
du doch auch ſagen, daß zwiſchen Manns- und
Nonnenkloͤſtern ein gar himmelweiter Unterſchied
iſt. Jhr ſeyd ewig eingeſperrt, und wir koͤnnen
zu geſetzter Zeit ganze Tage lang herumgehen;
koͤnnen unter Menſchen leben, wie vorher.
Thereſe. Ja, das iſt ſchon etwas; aber
viel haſt du nicht damit gewonnen. Wenn Ein
Ungluͤck kleiner iſt, als das andere, ſo bleibts des-
wegen immer noch ein Ungluͤck, dem man aus-
weichen muß, wenn man kann. Die Hauptſa-
che bleibt doch immer dieſelbe; du muſt auch das
Geluͤbde des Gehorſams, der Keuſchheit und der
Armut beſchwoͤren; muſt Dinge beſchwoͤren, gegen
die ſich deine ganze Natur empoͤrt.| Fuͤr was
gab denn Gott uns Freyheit, wenn wir ſie nicht
brauchen ſollen? Warum ſchuf er zweyerley Ge-
ſchlechter, wenn ſie ſich durch Mauren von ein-
ander abſondern wollen? Und Geld und Gut ſind
doch auch Gaben Gottes; ſoll man ſie verachten
und wegſchmeiſſen, und von andrer Menſchen Ar-
beit leben? Jch glaube nicht, Xaver, daß das
recht iſt; und ſich ſelber ungluͤcklich machen, ſoll
man auch nicht.
Xaver. Du biſt ſtreng, Schweſter, und
von der Seite hab ichs noch nie angeſehen. Ja,
wenn man ſich ins Kloſter einſperrt, und kei-
nem Menſchen dienen will, als ſich; dann, glaub
ich, iſt das Moͤnchsleben unverantwortlich; aber,
ſieh, ſo, wie ichs habe kennen lernen, iſt es ganz
was anders. Jch hab dir vorgeſtern vom P. Mar-
tin, und vom P. Gregor, und noch mehr vom
P. Anton erzaͤlt, was das fuͤr Leute ſind. Da
muſt du doch geſtehen, daß ſie hundertmal mehr
Gutes thun, als andre Weltmenſchen.
Thereſe. So viel mehr Gutes eben nicht;
und dann ſind das auſſerordentliche Leute, deren
es wenig gibt, und die gewiß in der Welt eben
ſo viel Gutes wuͤrden ausgerichtet haben. Sieh
nur unſern Papa an, wie der um die Menſchen
ſich verdient macht! Er haͤlt das ganze Dorf in
Ordnung, verſchafft dem Fuͤrſten ſeine Abgaben,
ohne daß die Bauren drunter leiden. Jedermann
im Dorf hat ihn lieb, und ſegnet ihn. Allen
Armen, die es werth ſind, thut er Gutes. Die
ſelige Mama hat er, wie ſich ſelbſt geliebt, und
ihr dieſe Welt zum Himmel gemacht. Uns hat er
mit der groͤſten Sorgfalt fromm und chriſtlich er-
zogen, daß wir gute Menſchen werden, und der
Welt nuͤtzen koͤnnen. Wir haben tauſend Gutes
von ihm gelernt, tauſend Wohlthaten genoſſen,
und genieſſen ſie noch taͤglich. Sag einmal, Bru-
der, iſt das nicht ein Leben, das wohlthaͤtig iſt, und
Gott wohlgefallen muß? (Xaver weinte) Und ſo
ſieh jeden rechtſchaffnen Hausvater hier im Dorf
an, ob der nicht auch thut, was er kann? Ob
er nicht auch Segen in dieſer und in jener Welt
einerndten muß, ohne eben ins Kloſter zu kriechen?
Xaver. Jch glaub aber, Schweſter, daß ich
mehr ins Kloſter taug, als in die Welt. Daß
ich da mehr Gutes ausrichten kann, als anders-
wo. Gott weiß, daß ich keine andre Abſicht ha-
be, als den Menſchen ſo viel Guts zu thun, als
in meinen Kraͤften iſt. Darauf hab ich immer ge-
ſehen. Und da kenn’ ich fuͤr mich, keinen Stand,
in dem’s beſſer angienge, als im Geiſtlichen.
Was mein eignes Gluͤck betrift, ſo find ichs ge-
wiß nirgends eher, als im Kloſter.
Thereſe. Und das iſt eben, was ich fuͤrchte,
und weswegen ich mir deinethalb ſo vielen Kum-
mer mache. Jch glaube, daß du fuͤr nichts we-
niger biſt, als fuͤr’s Kloſter. So ein muntrer
friſcher Knabe, wie du biſt; an dem alles lebt
und Bewegung iſt; der ſoll da in einer finſtern
Zelle ſitzen, wo der Mond und die Sonne nicht
hinſcheint; ſoll ewig Ave Maria, und Roſenkraͤn-
ze beten; Pſalmen ſingen, und im Brevier leſen;
ſoll mit alten muͤrriſchen Leuten umgehen, die an
der Welt, die fuͤr dich ſo viel ſchoͤnes hat, keine
Freude mehr finden; ſoll ſich einem eigenſinnigen
Praͤlaten unterwerfen, und thun, was dem einfaͤllt.
Nein, Bruder, das kann unmoͤglich fuͤr dich ſeyn!
Bedenk nur ſelber, wie dir zu Muthe iſt, wenn du
einmal bey ſchlimmem Wetter, oder wenn du
krank biſt, ein paar Tage lang zu Hauſe ſitzen
muſt! Gleich fehlt dir’s uͤberall, biſt verdruͤßlich
und haſt an nichts keine Freude mehr. Was will
nun das ſagen, gegen eine ewige Gefangenſchaft,
die erſt mit dem Tod ein Ende nimmt? Jch bitte
dich, Bruder, um der Mutter Gottes, und um
aller Heiligen willen, uͤberleg’s wohl! Jch kann dir
nichts einreden; aber rathen will ich dir, und muß
ich dir. Du weiſt, was ich auf dich halte. Nach
dem Papa hab ich keinen Menſchen auf der Welt
ſo lieb, wie dich. Und ich ſollte dich ungluͤcklich ſe-
hen, da ichs doch haͤtte verhindern koͤnnen, — Sieh,
wenn du geiſtlich werden willſt, weil du glaubſt
ſo am meiſten Gutes thun zu koͤnnen, warum
wirſt du nicht ein Weltgeiſtlicher, wie der alte Pfarr,
der geſtern bey uns war? Der thut gewiß ſo viel
Gutes, als ein Moͤnch im Kloſter. Wart, wir
wollen heut gleich zu ihm gehen, und du ſollſt dich
wundern, was das fuͤr ein Mann iſt! Ein Welt-
geiſtlicher kann doch immer noch des Lebens mehr
genieſſen, und gluͤcklicher ſeyn. — Nicht wahr,
Bruder, du thuſt mirs zu Gefallen, und beſinnſt|dich?
Hier nahm ſie ihn bey der Hand, ſah ihn
laͤchelnd, und mit Thraͤnen in den Augen an.
Xaver konnte ſich nicht laͤnger halten, fiel ihr um
den Hals und ſchluchzte. Schweſter, ſprach er,
ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll? Ja, beſinnen
will ich mich, das verſprech ich dir; will nicht un-
bedachtſam handeln; Nein, bey Gott nicht? Jch
will alles uͤberlegen; will zuruͤckgehen, wenn ich
kann; kannſt dich drauf verlaſſen. Laß mich nur allein,
Schweſter! daß ich weinen kann, und |mich beſinnen!
Sie gieng weg und warf noch einen Blick auf
ihn, der mehr ſprach, als hundert Worte. Xaver
war in der aͤuſſerſten Beklemmung. Nur noch ein
paar Worte, und er haͤtte ganz gewankt. Die
Reden ſeiner Schweſter giengen ihm tief ins Herz,
weil ſie wahr waren, und er ſie von Herzen liebte.
Sie hatte Bedenklichkeiten in ihm rege gemacht,
an die er vorher niemals gedacht hatte. Nunmehr
ließ er ſeinen Thraͤnen freyen Lauf, lief im Zim-
mer auf und ab, und rang die Haͤnde. Was ſoll
ich thun? war ſein einziger Gedanke. Noch un-
entſchloſſen warf er ſich auf ſeinen Stuhl, und
da fielen ihm die Anmerkungen des P. Anton in
die Augen. Auf einmal war ſeine ganze Seele im
Kloſter; alles fiel ihm wieder ein, was ihn da ſo
ſehr geruͤhrt hatte. Er ſah den P. Anton vor
ſich. Was wird der alte Mann ſagen, dachte er,
wenn du ſo bald wieder wankelmuͤtig wuͤrdeſt? Wie
wuͤrd’ er ſich betruͤben? Auf einmal waͤre ſeine
Freundſchaft und Liebe hin! — Solche, und aͤhn-
liche Gedanken ſtiegen ſchnell und unvollendet in
ihm auf. — — Nein, ich kann nicht anders!
Muß ins Kloſter! rief er laut, und ſprang von
ſeinem Stuhl auf. Seine Seele fuͤhlte ſich bey
dieſem Entſchluß wieder ruhiger, die angenehmen
Vorſtellungen vom Kloſterleben ſtellten ſich ihm
wieder dar, und machten ihn alles andre vergeſ-
ſen. — — Das will ich thun, dachte er, und
das kann ich auch; ich will meiner Schweſter ver-
ſprechen, alles wohl zu uͤberlegen, und vor ein paar
Jahren keinen gaͤnzlichen Entſchluß zu faſſen.
Find ich, daß ſie in ihren Beſorgniſſen Recht hat,
dann kann ich immer noch ein Weltgeiſtlicher wer-
den. Aber ſonſt iſts aus, und nichts kann mich
davon abbringen! —
Als er hierauf aus dem Fenſter in den Gar-
ten, und ſeine Schweſter drinnen ſah, gieng er zu
ihr hinunter, gruͤßte ſie freundlich, und ſagte ihr,
daß er ſich ſo weit entſchloſſen habe, nicht blos auf
einen Moͤnch, ſondern auch auf einen Weltgeiſtli-
chen zu ſtudieren, und vorjetzt ſich weiter fuͤr nichts
zu beſtimmen; mehr koͤnne er nicht thun, ſo lieb
er ſie auch habe.
Sie war es zufrieden, dankte ihm fuͤr ſeine
Liebe, und ſagte, er muͤßte freylich am erſten ſei-
ner Einſicht und Ueberzeugung folgen; vorjetzt woll-
ten ſie von der Sache nicht mehr ſprechen, weil
es doch nichts helfe. Sie wolle nun ſorgen, daß
ſeine noͤtigſten Kleider in ein paar Tagen fertig
wuͤrden, wenn er ungefaͤhr bald abreiſen muͤßte.
Das uͤbrige koͤnne man ihm leicht nachſchicken, da
die Stadt ja nur ſieben Stunden von ihnen ent-
fernt liege.
Auf den Nachmittag, ſagte ſie, gehn wir
doch zu meinem lieben Prediger? — — Recht
gerne, Schweſter, wir muͤſſen doch die kurze Zeit,
die wir noch beyſammen ſind, recht nutzen.
Nun giengen ſie zu Tiſche. Es wurde viel
von Xavers kuͤnftigen Einrichtungen auf der Schu-
le geſprochen, denn Thereſe hatte, noch vor dem
Eſſen, ihrem Vater geſagt, daß ſie im Weſentlichen
nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und
daß er ſich den Entſchluß, ein Geiſtlicher zu wer-
den, nicht benehmen laſſe. Nach dem Eſſen, ſag-
te ſie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Win-
denheim zu dem Pfarrer gehen, dem wirs geſtern
verſprochen haben, vielleicht kommt dem Bruder
das Amt eines Weltgeiſtlichen eben ſo angenehm
und reizend vor, als das Moͤnchsleben; es waͤre
fuͤr ihn doch immer beſſer, wenn er jenes dem an-
dern vorzoͤge. — — Als man abgegeſſen hatte,
beſorgte Thereſe noch einige haͤusliche Geſchaͤfte,
und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Win-
denheim. Auf dem Wege dahin freuten ſie ſich
der ſchoͤnen Gegend, und der bluͤhenden Jahrs-
zeit; ſie riefen tauſend angenehme Auftritte aus
den Jahren ihrer Kindheit zuruͤck; verſprachen ſich,
einander fleißig zuzuſchreiben, und ſich alle Heimlich-
keiten ihres Herzens zu entdecken. Xaver mußte
auch verſprechen, uͤbers Jahr in den Ferien, ſei-
nen Vater und ſie zu beſuchen.
K
Sie kamen nun aus Pfarrhaus; der Predi-
ger, der eben im Fenſter lag, kam ihnen mit un-
gemeiner Freundlichkeit entgegen. Nun, meine
Tochter, (ſo nannte er Thereſen) das heiß ich
recht Wort gehalten! Seyd mir tauſendmal will-
kommen, lieben Kinder! Setzt Euch, wenn ihr muͤ-
de ſeyd! Womit kann ich aufwarten? Sagt’s nur
frey heraus, ob ihr lieber Wein, oder Kaffee wollt?
Alles ſteht Euch |hier zu Dienſten. Was beliebt
euch?
Thereſe. Nichts als friſche Milch, wenn wir
bitten duͤrfen. Sie wiſſen, Herr Pfarrer, daß
ich nicht um Eſſens und Trinkens willen zu Jhnen
komme.
Pfarrer. Nun ja; Milch ſollt ihr nachher
auch bekommen, wenn wir ins Gaͤrtchen gehen.
Suſanne! (zu der Haushaͤlterinn) mach ſie nur
indeſſen eine Schaale Kaffee! — Und wie ſtehts
denn zu Hauſe? der Papa iſt doch geſund?
Xaver. Ja; Er laͤßt ſich Jhnen empfehlen,
Herr Pfarrer!
Pfarrer. Vielen Dank, junger Herr! Nun,
in ein paar Tagen wirds wohl abgehen, in die
Stadt? Ja, ja! Gott ſegne ſeinen Entſchluß! Und
laß den Papa Freud an ihm erleben!
Thereſe. Aber, Herr Pfarrer, ich hab heu-
te noch mit ihm druͤber geſprochen. Glauben Sie
nicht auch, daß er beſſer thaͤte, wenn er ein Welt-
geiſtlicher wuͤrde, und ſo etwan einmal als Pfarrer
in unſre Nachbarſchaft kaͤme? Das Kloſter, fuͤrcht
ich, taugt nicht fuͤr ihn, oder er nicht fuͤr’s Kloſter.
Pfarrer. Meine Meynung waͤr’s freylich
auch, Jungfer Thereſe. Aber in dergleichen Din-
gen laͤßt ſich nicht gut rathen. Die Kloſterherren
ſind ſelten gute Freunde von uns, ob ſie uns gleich
das Geld fuͤr’s Meßleſen hundertmal wegſchnap-
pen; und da koͤnnt mirs nur uͤbel ausgelegt wer-
den, wenn ich ihm davon abriethe. Jch moͤchte
gern das Bischen Jahre, das ich noch zu leben ha-
be, im Frieden hinbringen, daß man nicht nach
meinem Tode ſagte, ich habe mich mit niemand
vertragen koͤnnen. Werd er nur ein frommer
Mann, dann iſts einerley, wie ſein Kopf geſcho-
ren iſt, halb oder ganz! Und er kann ſich ja auf
der Univerſitaͤt immer noch beſinnen, welche Wei-
he er annehmen will? Es gibt im Kloſter brave
Leute, Jungfer, wie bey uns, und auch ſchlimme.
Wenn er ſich nur in die Regel ſchicken kann, das
iſt das Hauptwerk, und da muß er ſich am mei-
ſten druͤber pruͤfen! — — Da hab ich eben eine
traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in
Burgau iſt geſtorben, und hinterlaͤßt ſechs vater-
und mutterloſe Waiſen. Jch habs zwar ſchon
immer im Sinn gehabt, daß ich fuͤr ſie ſorgen will;
und das Bischen Vermoͤgen, was ich von meinem
Einkommen zuruͤckgelegt habe, faͤllt ihnen zu;
aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns
an der Erziehung fehlt? Man weis ſchon, wie’s
bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird
ſich ihrer auch annehmen; er iſt doch der rechte
Vater. Nun iſt niemand mehr von uns uͤbrig;
wir waren fuͤnf Geſchwiſter, und ſind alle wegge-
ſtorben, bis an mich, ob ich gleich immer der
ſchwaͤchlichſte unter ihnen war. Aber haͤtt ich
auch nicht ſo ordentlich und maͤßig gelebt, ich waͤre
laͤngſt nicht mehr da. Kinder! ich ſag immer:
Ordnung, und Maͤßigkeit iſt die beſte Arzeney!
Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet
mit Freuden alt. So hat man ſich nichts vorzu-
werfen, wenn der Tod kommt. Jch habs Gott-
lob! bey meinen Bauren auch ſo weit gebracht,
daß man ſelten einen aus meinem Dorf betrunken
ſieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus
vorbeygehen kann, ohne das aͤrgerliche Gejuchz zu
hoͤren. — — Jſt der Kaffee ſchon fertig, Su-
ſanne? Nun, meine Kinder, laßts Euch belieben!
Zu meiner Zeit war das freylich auch nicht; Aber,
andern Leuten zu gefallen, muß man ſchon ſo et-
was mit machen. Nur immer maͤßig! ſag ich,
und zu ſeiner Zeit! Das hat mir immer am Klo-
ſterleben wohl gefallen, daß da alles ſo ordentlich
hergeht. Wenn nur alle folgen wollten! — —
Tabak rauchen thut er wol noch nicht, Xaver?
Es iſt auch nicht noͤtig; fang ers nur nicht an!
Jm Kloſter muß ers doch wieder aufgeben. Jch
waͤr nie dazugekommen, wenn man mirs nicht ein-
mal des Zahnwehs wegen angerathen haͤtte; und
da blieb ich eben ſo dabey, weil mir’s taugte.
Taͤglich eine Pfeife; mehr nicht! Heut rauch ich,
um des Kaffees willen, zwey. — — Schenk ſie
ein, Suſanne! Sie kanns beſſer machen, als ich..
So? Sie trinkt viel Milch, Jungfer Thereſe?
Das iſt recht; iſt auch viel geſuͤnder. Was macht
denn P. Anton im Kloſter, junger Herr? Jſt er
wohl auf? Das iſt ein braver Mann. Jch ſeh
ihn gern in meinem Dorf, weil er die Bauren
auch zur Maͤßigkeit, und andern chriſtlichen Tu-
genden anhaͤlt.
Xaver. Er befindet ſich recht wohl, Herr
Pfarrer, das iſt gar ein heiliger Mann.
Pfarrer. Weiß wohl. Bin mit ihm auf
Schulen geweſen, und hab ihn immer gern ge-
habt. — — Nun, wenn ihr getrunken habt, ſo
gehn wir, denk ich, in den Garten. Es iſt gar zu
ſchoͤn, wenn alles ſo um einen her bluͤht! Man
wird wieder mit den Baͤumen jung. Sie muß
doch meine Einrichtungen ſehen, Jungfer Thereſe,
die ich dieſes Jahr in meinem Garten gemacht ha-
be. Mich duͤnkt, es wird ihr gefallen; Sie ver-
ſteht es.
Thereſe. Ja! Herr Pfarrer, wenns Jhnen
gefaͤllig iſt, ſo gehen wir. Jn der friſchen Luft iſts
jetzt am Beſten, und in Jhrem Garten kann man
immer etwas lernen.
Sie gab ihm mit der liebenswuͤrdigſten Un-
gezwungenheit die Hand, und gieng uͤber den Hof
nach dem Garten hin; Xaver folgte nach. Hier,
meine Tochter, ſagte er, gleich beym Eingang ins
Wurzgaͤrtchen, ſeh ſie, wie die Apricoſen- und Pfir-
ſichbaͤume gebluͤht haben! Die Frucht ſetzt ſchon
an, und wenns der liebe Gott vor Froſt oder Ha-
gel bewahrt, ſo werden die Baͤume tragen, daß
ſie brechen moͤchten. O ſie haͤtt es ſehen ſollen,
wie die Bluͤthe ſo gar herrlich war, daß man kaum
das Auge davon wegwenden konnte! Mitten in
der Nacht konnt’ ich noch an meinem Fenſter die
Apricoſenbluͤthe durchſchimmern ſehen, und da uͤber-
dacht ich, wie der liebe Gott ſo gut iſt, daß ein
Baum erſt durch ſeine Schoͤnheit das Auge, und
dann noch durch ſeine Frucht den Gaumen weiden
muß. Wenn dann der Abendwind durch die Bluͤ-
then ſaͤuſelt, und den ſuͤſſen Geruch mir zuweht;
dann iſt mirs oft, als fuͤhlt ich Gottes Gegen-
wart leibhaftig, und muͤßt mich ſchnell vor ihm
niederwerfen und anbeten! O es iſt ein herrlich
Ding um die Welt! Alles iſt ſo ſchoͤn, und jeder
Monat hat ſeine eigne Schoͤnheit, aber doch
der May am meiſten! — — Da ſeht mir nur
Wundershalb den Kirſchbaum an! Jſts nicht, als
obs Ein Strauß waͤre, da man kaum das Laub
dran ſieht! Hier in den Einfaſſungen hab ich
Blumen hingepflanzt, ſieht ſie; es iſt ganz was
neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht
ich, man muß doch auch etwas Augenluſt haben;
und da hat mir des Barons Gaͤrtner Tulpen-
und Narciſſenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack
geſchenkt. Mit den Tauſendſchoͤnchen hab ich da
die Beeten eingefaßt, weil ſie jeden Monat neu
bluͤhen. Da hab ich nun ſo meine Freude, nach
dem Mittagseſſen, oder Abends in der Kuͤhle, daß
ich nach den Blumen ſehe, ſie wart’ und ſie be-
gieſſe. Jedes Stoͤckchen liegt dann meinem Her-
zen naͤher; jedes kenn ich, und ſeh taͤglich, wie’s
heran waͤchſt, und zunimmt! Es iſt ſonderbar;
aber nicht wahr? man hat alles ſo lieb, was man
ſelbſt pflanzt, und heran zieht?
Thereſe. Ja wohl, Herr Pfarrer, mir gehts
eben ſo; und wenn mir eine Blume welkt, oder
vom Wurm verdorben wird, da bin ich ſo traurig,
als ob ich, weis nicht was? verlohren haͤtte.
Pfarrer. Recht, Jungfer Thereſe! Da hab
ich denn ſo meine Gedanken, was der liebe Gott
fuͤr eine Freud und Gluͤckſeligkeit empfinden muß,
unter deſſen Augen und durch deſſen Sorgfalt Men-
ſchen, Thier und Pflanzen ſo heranwachſen und
gedeihen! Da iſt mir denn ſo wohl, bey dem Ge-
danken, daß ich weinen muß. Lieben Kinder, man
iſt ſo ſelig, wenn man ſich Gott in der Naͤhe
denkt, und lernt ſein Vaterherz immer mehr ken-
nen. Warlich fuͤr den Gebrauch unſrer fuͤnf Sin-
ne koͤnnen wir Jhm nie genug danken. Durch ſie
wird man am meiſten mit ihm bekannt; mit dem
Verſtand geht’s viel zu langſam. — — Seht ihr,
wie der Salat ſchon ſo kopficht wird! Das iſt
Abends mein rechtes Labſal, wenn’s ſo heiß iſt,
und ich mich mit einem Gericht davon abkuͤhlen
kann.
Thereſe. Ey der Tauſend! Jhre Erbſen ſind
ja ſchon ſo hoch; ſie bluͤhen bald.
Pfarrer.. Ja, Jungferchen, das ſind Zuk-
tererbſen, aus des Barons Garten. Die hab ich
auch ſelbſt gepflanzt. Auf den Herbſt kann ich ihr
wol auch Koͤrner davon geben, ſie muß ſie aber
weit auseinander ſtecken, weil ſie ſtarkes Kraut
geben. Und was ſagt ſie denn zu meinen Kartof-
feln? Kommen die nicht ſchoͤn heraus? Man
duͤrfte wol mehr bey uns pflanzen, weil’s ein koſt-
bar Eſſen iſt, und einem recht aushilft, wenn Gott
einen Miswachs beym Getraide ſchickt. Jch hab
auch meinen Leuten ſchon viel gegeben, und ſie
pflanzen’s haͤufig. Die armen Leute koͤnnten man-
ches beſſer einrichten, wenn mans ihnen nur ſagte,
und ſie mit Rath unterſtuͤtzen wollte.
Xaver. Ja, ſo machts der Pater Anton,
der lehrt die Bauren allerley Handgriffe beym
Ackerbau.
Pfarrer. Brav! brav! Gott ſegn’ ihn da-
fuͤr! Jch ſag immer, man muß fuͤr den Leib, wie
fuͤr die Seele ſorgen, wenn man ein rechtſchaff-
ner Pfarrer ſeyn will; denn was iſt die Seel’ ohne
den Leib? — Mit den Cichorien hier will ich ei-
ne Probe machen. Man ruͤhmt ſo viel davon,
daß ſie einen herrlichen und geſunden Trank ge-
ben. Wenn das iſt, ſo brauchen wir nicht ſo viel
Geld auſſer Lands zu ſchicken, zumal da der ge-
woͤhnliche Kaffee fuͤr uns gar nicht geſund iſt. —
Da ſeht einmal den herrlichen Apfelbaum! Sieht
er nicht aus, wie das liebe Morgenroth? Mein
Gott! Die Augen vergehen einem, wenn man ihn
lange anſieht. . Und wie ſuͤß er duftet! — — Da
leben nun von Einem Baum tauſend Wuͤrmchen,
Kaͤfer, und Bienen, die ſich ihres Daſeyns freuen,
und im Duft herumtaumeln; und hintennach ha-
ben wir den vollen Segen davon einzuerndten. .
Hier im Baumgarten hab ich nun mein rechtes
Leben; da gibts immer was zu thun; Raupen ab-
zunehmen, nach der Wurzel und dem Stamm zu
ſehen, daß er nicht brandig wird; Zweige einzuim-
pfen, und im Herbſte ſaͤg ich die verdorrten, oder
uͤberfluͤßigen Aeſte ab, um den andern Luft zu ma-
chen. Da verſchaff ich mir Bewegung, und er-
halte mich geſund. So kann man ſich das Land-
leben angenehm und unterhaltend machen, daß
man ſich nie nach der Stadt ſehnt. Jungfer The-
reſe weis das wohl.
Thereſe. Ja, Herr Pfarrer, das iſt wahr;
in der Stadt moͤcht ich auch nicht leben. O Sie
haͤtten geſtern unſern Garten ſehen ſollen, wenn’s
noch Zeit geweſen waͤre! Da bluͤht alles auch ſo
voll. Der Apfelbaum an des Papa Zimmer iſt
beſonders ſchoͤn. Man glaubt, er ſey uͤberſchneyt,
ſo weiß iſt er. Und der Zuckerbirnbaum; ſchoͤ-
ners kann man gar nicht ſehen. … Ey, da
kommt ja ein Baurenmaͤdchen hergewackelt! Was
das Kind fuͤr ſchoͤne blaue Augen hat; und ſo
ein offenes Geſicht!
Pfarrer. Das iſt meines Nachbars Ma-
riekchen; da hab ich ſo meine Freude mit, und
ſpiele manchesmal mit ihr. Jch kann mir nichts
liebers denken, als ſo ein kleines unſchuldiges Ge-
ſchoͤpf, wenn’s ſo eben zu ſprechen anfaͤngt. Al-
les iſt ſo natuͤrlich, und ſo unverdorben! — —
Komm, Mariekchen! Kuͤß das Haͤndchen von
der Jungfer, da! Darfſt dir nicht fuͤrchten; Sie
hat die Kinder auch lieb. . Komm! verneig dich
ſchoͤn! — So!
Und nun nahm der liebe Mann das Kind
auf den Arm; kuͤßte und herzte es, brach ihm
Blumen aus dem Gras ab; nahm ſein Haͤnd-
chen in den Mund; das andre war um ſeinen
Hals geſchlungen. Hielts Thereſen und Xa-
vern hin, daß ſie’s kuͤſſen ſollten; ließ es laufen,
und aus Scherz halb fallen; dann ſchenkt’ er
ihm einen Kreuzer, als es gehen wollte, und fuͤhr-
te es bis an die Thuͤre. Xaver und Thereſe
laͤchelten einander zu, und freuten ſich uͤber die
ſchoͤne Herablaſſung des ehrlichen Alten, und als
er von der Gartenthuͤre wieder zuruͤckkam, ſagte
Thereſe. Es iſt Jammerſchade, Herr Pfar-
rer, daß ſie nicht auch Kinder haben! Sie wuͤr-
den durch ihre Liebe lauter Engel aus ihnen
machen.
Pfarrer. Das iſt lang mein Kummer ge-
weſen, Jungfer Thereschen! Aber, lieber Gott,
wir duͤrfen ja keine Kinder haben. Uns armen
Leuten hats die Kirche ja verboten. Es iſt frey-
lich hart; aber in die Ordnung muß man ſich
nun einmal ſchicken. Jch troͤſte mich mit mei-
nen Untergebenen, daß ich die durch Lieb und
Treue zu meinen Kindern mache. Wer weis,
obs mein Gluͤck geweſen waͤre, wenn ich eigne
Kinder haͤtte? Man iſt oft auch ſehr ungluͤcklich
mit. Ha, ha! da bringt meine Suſanne Milch!
Wollen wir nun in die Laube gehen, und ſie dort
eſſen?
Sie giengen mit einander hin. Thereſe
rieb den Zucker und das Brod, und ſtreute es
uͤber den Milchrahm her. Sie aſſen ſo ver-
gnuͤgt, wie eine Familie der Erzvaͤter. Thereſe
ſaß in ihrem Sonnenhuͤtchen da, und wuͤrzte die
Koſt durch ihre Freundlichkeit und den heitern
Scherz. Der alte Prediger war ſo munter, wie
ein Juͤngling. Xavers Seele war voll Ruhe und
voll ſuͤſſer Wehmuth. Niemand hatte die gluͤckliche
Gabe mehr, wie Thereſe, ſich in einen jeden Cha-
rakter zu ſchmiegen, und ſeine Aufmerkſamkeit zu
erhalten, ohne eitel zu ſeyn, oder ihre Grundſaͤtze
zu verleugnen. Sie war froͤlich bey den Froͤli-
chen; heiter bey den Heitern; ernſt und auf-
merkſam bey geſetztern oder aͤltern Leuten, und er-
hielt dadurch die Zuneigung aller. Es war ein
angenehmes Schauſpiel, mit welcher Kentnis und
mit welchem ganzen herzlichen Antheil ſie ſich
mit dem Prediger von lauter Dingen unterhielt,
die Jhm wichtig waren, wie ſie ſich nach ſeinen
Pfarrkindern, nach ſeinen Verwandten, nach ſei-
nem Zehenten, und beſonders nach der Einrich-
tung ſeines Obſt- und Wurzgartens erkundigte;
mit welcher Lehrbegierde ſie ihn hoͤrte; wie ange-
nehm ſie ihm kleine Geſchichten aus der Haushal-
tung und der benachbarten Gegend erzaͤlte! Der
alte Mann unterhielt die beyden mit der treu-
herzigſten Laune; miſchte allerley gute Lehren in
ſeine Reden mit ein, und freute ſich der Auf-
merkſamkeit, mit der ihm die beyden zuhoͤrten.
Abends, als ſie zuruͤckgingen, begleitete er
ſie noch vors Dorf hinaus; druͤckte Thereſen die
Hand, und wuͤnſchte Xavern noch einmal von
Herzen Gluͤck zu ſeinem Vorhaben.
Die beyden Geſchwiſter theilten ſich ihre
herzliche Freude, und ihr Wohlgefallen an dem
Betragen des ehrlichen Landpredigers mit. Du
ſiehſt nun, Bruder, ſagte Thereſe, wie man in
allen Staͤnden, und beſonders auch in dieſem,
Gutes thun kann! Was kann reizender ſeyn,
als das Leben eines Mannes, deſſen ganzes Dorf
gleichſam eine einzige Familie ausmacht, weil er
ihrer aller Vater wird. Der brave Pfarrer
hat noch tauſend gute Eigenſchaften, die man
nur nach und nach, und gleichſam beylaͤufig er-
faͤhrt. Er gibt ſeinen Bauren guten Rath, wenn
ſie einen Proceß anfangen wollen. Er misraͤth
es ihnen, und verſoͤhnt ſie miteinander. Wenn
ſie krank ſind, kommen ſie zu ihm, klagen ihm
ihre Noth, und er ſchreibt ihnen Geſundheitsre-
geln vor, oder theilt ihnen einfache und un-
ſchaͤdliche Arzeneyen mit. Sieh, ſo ein Mann
koͤnnteſt du auch werden, wenn du wollteſt.
Xaver. Das kann ich im Kloſter auch,
wie der Pater Anton. Aber ich verſprech dir
doch, Schweſter, daß ich mich noch recht beden-
ken, und zu nichts entſchlieſſen will, bis ich alles
ſtreng gepruͤſt habe. Die Zeit iſt noch lang bis
dahin; wer weis, was noch alles dazwiſchen vor-
faͤllt?
Thereſe. Nun, wenn das iſt, Xaver, ſo
will ich mich beruhigen; und jetzt auch nicht wei-
ter davon reden.
Sie war auch wirklich ſeit der Zeit ſeinet-
halben weit ruhiger, und hoffte gewiß, daß ihr
Bruder ſich noch anders bedenken, und vom Klo-
ſterleben abſtehen werde. Jetzt kamen ſie, beym
ſchoͤnſten Abendrot, das den halben Himmel faͤrbte,
bey ihrem Vater wieder an; aſſen in der Laube,
und erzaͤlten ihm, mit ruͤhrender Einfalt, was ſie
bey dem Prediger geſehen und gehoͤrt haͤtten;
wie er ſo ruhig und vergnuͤgt mit ſeinem Gott
und der ganzen Welt lebe, und was er fuͤr ſchoͤ-
ne Einrichtungen in ſeinem Garten gemacht habe.
Der Vater ſtimmte’ mit in das Lob des braven
Mannes ein, und ſagte, daß ſeine liebe Thereſe
auch viel Gutes von ihm gelernt habe. Sie
laͤchelte, ſchlug die Augen nieder, und ward roth.
Den andern Morgen kam ein Bote aus
der Stadt und brachte einen Brief vom oberſten
Profeſſor an der Piariſtenſchule. Das Schrei-
ben war, aus Achtung fuͤr die Kapuziner, die den
jungen Siegwart empfohlen hatten, ſehr guͤtig
abgefaßt. Er koͤnne gleich eintreten, und in ihre
Schulen kommen; ſie verſprachen ihm treuen
Unterricht, und vaͤterliche Aufſicht. Der alte
Siegwart wuͤrde finden, daß ſie ſeine Stelle bey
ſeinem Sohn ſo viel als moͤglich zu vertreten ſu-
chen wuͤrden, u. ſ. w. Sie lieſſen Xavern auch be-
ſonders gruͤſſen, und ihn ihrer Liebe verſichern.
Beſonders werde ſich P. Philipp, der im Klo-
ſter einen Bruder habe, ſeiner treulich, und noch
ganz beſonders annehmen.
Der Vater antwortete, daß ſein Sohn in
zwey Tagen nach der Stadt kommen werde.
Xaver freute ſich auf die Veraͤnderung, und brann-
te recht vor Lehrbegierde, um ſich nur bald zu
einem geiſtlichen Amt tuͤchtig zu machen. The-
reſe war traurig, weinte in der Stille, und mach-
te die noͤtigen Einrichtungen zur Abreiſe. Karl
freute ſich heimlich in der Seele, daß er nun bald
eines Bruders los werden ſollte, auf den der Va-
ter ſo viel hielt, den ſeine Schweſter uͤber alles lieb-
te, und von dem er fuͤrchtete, der Vater moͤchte,
zu ſeinem Nachtheil, nur zu viel an ihn wenden.
Wilhelm war alles gleichguͤltig, und er wuſte nicht
einmal, wann ſein Bruder abgehen wuͤrde?
Der alte Siegwart ſagte ſeinem Sohn, in
drey oder viertehalb Jahren koͤnn’ er, wenn er’s
nicht am gehoͤrigen Fleiß fehlen laſſe, ſich auf der
Schule die noͤtigen Kentniſſe erwerben, um auf
die Univerſitaͤt zu gehen. Dort koͤnn’ er dann
auch drey bis viertehalb Jahre bleiben; indeſſen
ſey er zwanzig Jahr alt, welches, wenn er noch
Luſt dazu bezeuge, gerade die Zeit ſey, in der es
einem Juͤngling frey ſtehe in einen Orden zu tre-
ten. Er fuͤgte noch viel gute Lehren, und drin-
gende vaͤterliche Ermahnungen hinzu, Gott getreu
und rechtſchaffen zu bleiben, ſich vor Verfuͤhrungen
zu huͤten, und ſeine Zeit und Geld wohl anzu-
wenden. Xaver verſprachs mit Thraͤnen, und mit
einem tiefbewegten Herzen; er gieng auf ſein
Zimmer, brach in einen Strom von Thraͤnen aus
uͤber ſeines Vaters Zaͤrtlichkeit und guͤtige Geſin-
L
nungen; gieng heftig auf und ab, und betete laut,
daß ihn Gott in ſeinen guten Vorſaͤtzen unterſtuͤ-
tzen, und den Lehren ſeines Vaters immer treu er-
halten wolle!
Den andern Tag brachte er groͤſtentheils in
der Geſellſchaft ſeiner Schweſter zu, die ſeine Sa-
chen vollends in Ordnung brachte, weil der Kof-
fer den Abend noch gepackt werden muſte, um den
andern Morgen mit Anbruch des Tages mit dem
Wagen abzugehen. Jhre Unterhaltung war trau-
rig, und oft ſchwiegen ſie halbe Stunden lang, ſo
viel ſie ſich auch noch zu ſagen hatten. Sie
ſchenkte ihm zum Andenken einen Geldbeutel, den
ſie ſelbſt geſtrickt hatte, damit er ſich fein fleißig ih-
rer erinnern moͤchte. Das Verſprechen, ſich recht
oft zuzuſchreiben, wurde noch einmal feyerlich er-
neuert. Anfangs wollte er gar nicht zu Bette ge-
hen, um nur ſeine Thereſe recht zu genieſſen;
aber der Vater widerrieth’s, weil er Ruhe noͤtig
habe. Der alte Siegwart haͤtte ſeinen Sohn
gern begleitet, aber unaufſchiebliche Geſchaͤfte, und
weil der andre Tag ein Gerichtstag war, hielten
ihn zuruͤck. Sie blieben bis um eilf Uhr auf.
Xaver bat ſeine Schweſter, morgen fruͤh liegen zu
bleiben. Aber ſie that ganz boͤſe, daß er ihr ſo et-
was zumuthen wollte. Wie koͤnnt ich das verant-
worten, ſagte ſie, wenn ich nicht von meinem lieb-
ſten Bruder Abſchied naͤhme? Wer weiß, ſetzte ſie
mit Thraͤnen in den Augen hinzu, wann wir uns
wiederſehen? Nein, Bruder, das gienge mir mein
Lebtag nach! Fodre ſo was nicht von mir!
Sie giengen zu Bette. Um vier Uhr, als der
Himmel ſchon ganz roth war, und der Morgen-
ſtern noch allein da ſtand, wurde Xaver vom Be-
dienten geweckt. Er zog ſich hurtig an, und war
ungewoͤhnlich traurig. Thereſe kam in ihrem
weiſſen Negligee, mit blaſſen Wangen und ver-
weinten Augen zu ihm, ſie fiel ihm um den Hals
und kuͤßte ihn; ſprechen konnte ſie nur wenig-
Lieber Bruder, vergiß mich nicht! war alles, was
ſie ſagte.
Der Vater ließ ihn noch allein aufs Zimmer
kommen, ſprach liebreich und beweglich mit ihm.
Mache, daß ich Freud an dir erlebe! ſagte er, und
werd ein frommer Mann! Unſre Familie hat von
jeher den Ruhm gehabt, daß wir’s treu mit Gott
und Menſchen meynen. Verſcherz du dieſen Ruhm
nicht! Er iſt das beſte Kleinod, das ich dir mitge-
ben kann; alles andre iſt nur Tand und Puppen-
werk. Hier haſt du noch was zum Andenken.
Wends gut an! — Es war ein Beutel mit unge-
faͤhr zwoͤlf Conventionsthalern, und ein paar Du-
katen — Jch will fuͤr dich ſorgen, ſo lange ich kann.
Aber verlaß dich nicht zu ſehr darauf! Wir Men-
ſchen ſind ſterblich, und wer weiß, wie lange ich noch
lebe? — Hier brach Xavern ganz das Herz —
Ja, mein Sohn, man muß ich auf alles gefaßt
machen. Lerne du was rechts, damit du nicht zu
ſehr von Menſchen und ihrer Gnad abhaͤngen
darfſt! Gott ſegne dich, mein Sohn, und erhoͤre
meine heiſſen Wuͤnſche! — Hier konnt er ſich nicht
laͤnger halten; er fiel ſeinem Sohn um den Hals,
druͤckte ihn feſt an ſich, kuͤßte ihn mit der groͤßten
Heftigkeit, und weinte. Seine heiſſen Thraͤnen
rollten uͤber Xavers Wangen mit den ſeinigen.
Dies war das zweytemal in ſeinem Leben, daß ihn
Xaver weinen ſah; das erſtemal weinte er, als
ſeine Frau ſtarb. Xaver ſah vor lauter Thraͤnen
nichts; er ſchluchzte laut, und ſein Herz wollte
faſt zerſpringen. Der Vater ermannte ſich wie-
der, und machte dem traurigen Auftritt ſelbſt ein
Ende, indem er ſeinen Sohn ins Wohnzimmer
fuͤhrte, wo Thereſe und Karl waren. Wilhelm
war nicht aus dem Schlaf zu bringen.
Thereſe hatte Kaffee gemacht, und ſchenk-
te ihrem Bruder ein. Thraͤnen, die ihr unauf-
hoͤrlich aus den Augen ſtuͤrzten, lieſſen ſie nicht
reden. Er war ſtumm, und wie belaͤubt. Karl
wollte auch traurig ſeyn, aber man ſahs ihm wol
an, daß es Zwang war. Der alte Siegwart
ſtand bewegt am Fenſter, und ſah die Pferde an
den Wagen ſpannen. Thereſe ſetzte ſich zu ihrem
Bruder, ſah ihn ſchmachtend an, und neue Thraͤ-
nen ſchoſſen ihr ins Auge. Sie legte ſeine Hand
in die ihrige, und druͤckte ſie. Xaver ſah ſie an,
dann den Vater, dann den Bruder; ſuchte ſeinen
Schmerz zu unterdruͤcken, und auf einmal brach
er wieder mit einem lauten Seufzer aus. Xaver,
ſagte endlich der Vater, wenn du fertig biſt, die
Pferde ſind angeſpannt. Dieſe Worte waren ihm
ein Donnerſchlag; er ſtand auf, ſuchte ſeinen Hut
und Stock, ohn ein Wort zu ſprechen, hielt den
Hut halb vors Geſicht, und ſtand ſo, mitten in der
Stube. Thereſe, die’s nicht laͤnger aushalten
konnte, gieng vors Zimmer hinaus, um da auf
den Bruder zu warten. — Nun, mein Sohn,
ſagte der Vater, viel Umſtaͤnde wollen wir nicht
machen; das Herz iſt dir doch ſo ſchwer. Du
weiſt, was ich dir vorhin geſagt habe, behalt’s
fein im Herzen! Leb wohl! Gott ſegne dich! Er
umarmte ihn, und gieng dann weg, um ſeine Thraͤ-
nen zu verbergen. Von Karln war der Abſchied
ziemlich froſtig und kurz. Als Xaver vor die Thuͤ-
re trat, fiel ihm Thereſe um den Hals, und rief:
Tauſendmal tauſendmal leb wohl, mein lieber, lieber
Xaver! Unſer Herr Gott erhalte dich geſund!
Dieß war alles, was ſie ſagen konnte. Er gieng
ſchweigend voran an den Kutſchenſchlag; ſah noch
einmal zu ſeinem Vater, der im Fenſter lag, und
ihm noch ein Lebwohl zurief. Thereſen reichte er
noch die Hand aus der Kutſche, und nun fuhr er
weg.
Schon eine halbe Stunde war er auf dem
freyen Felde, von der ſchoͤnſten Daͤmmerung be-
glaͤnzt, gefahren, ohne was davon zu fuͤhlen. End-
lich weckte ihn die Sonne, die ganz wolkenlos, und
golden aufgieng, aus der Betaͤubung. Er ſtund
auf, um noch einmal die Thurmſpitze ſeines Dorfs
zu ſehen, und da fiel ihm Linkerhand das Kapuzi-
nerkloſter in die Augen, deſſen blecherne Zinnen
die Sonnenſtralen zuruͤckwarfen. Auch den dun-
keln Tannenhain am Kloſter ſah er, und erinnerte
ſich nun aller Auftritte wieder, die er da gehabt
hatte, beſonders ſeines lieben P. Antons. Seine
Seele weidete ſich nun aufs neu an dem Gedanken
ans Kloſterleben, das ihm wieder doppelt reizend
vorkam; ein ſo thaͤtiges und lebhaftes Gemuͤth,
wie Xavers ſeines, ſchmuͤckt jeden Gedanken mit
den hellſten Farben; es verweilt am liebſten bey fey-
erlichen und Romanhaften Jdeen, die die meiſte
Neuheit haben; und die Einſiedeley des Kloſters
fuͤhrt gewiß viel romanhaftes mit ſich. Er ward
nun wieder heitrer, und bewunderte die ſchoͤne wei-
te Ebne, die ſich vor ihm ausbreitete. Aecker,
Wieſen, Doͤrfer und Waͤlder wechſelten auf die an-
genehmſte Art mit einander ab. Die Sonne warf
verſchiedene Schattirungen darauf, und gab der
Ausſicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor ſich ſah
er in der tiefſten Ferne die ehrwuͤrdigen Tyroler
Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um
die Gegend zogen. Jhre eine Seite war vom
Sonnenſtral beglaͤnzt, und blendete, wenn das Au-
ge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen
dunkelblauen Schatten. Seine Phantaſie bildete
ſich aus den Bergen ganz verſchiedene Geſtalten von
Rieſen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die ſich,
wenn er ſie lange anſah, endlich zu bewegen ſchienen,
So vergaß er nach und nach ſein ganzes jetziges
Verhaͤltniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr ei-
ne Stunde lang ſo fort, bis ein Hirte, der die
Kuͤhe nach der Weide trieb, ſeine Aufmerkſamkeit
auf ſich zog. Der alte Mann, der nur halb mit
Lumpen bedeckt war, ſang mit frohem Herzen und
klarer Stimme ſein Morgenlied, daß Buſch und
Hain wiederklangen. Dieſe zufriedne Andacht
ruͤhrte unſern Siegwart im Jnnerſten; er winkte
dem Hirten, gab ihm ein Sechskreutzerſtuͤck, und
Thraͤnen ſchoſſen ihm in die Augen, als der Alte
ihm ſo herzlich dankte, und drauf ſein Morgenlied
wieder fort ſang. Eine Viertelſtunde drauf hoͤrte
er einen Geſang von ganz andrer Art, als er an
zehen oder zwoͤlf halb beſoffenen Rekruten vorbey-
kam, die von vier kaiſerlichen Werbern nach dem
Werbplatz gebracht wurden, und die liederlichſten
Zoten ſangen. Die Kerls riefen ihm Schimpf-
woͤrter nach, und ſchrien dann wieder: Vivat Fran-
ciſcus! Vivat Thereſia! Nur Einer von den Re-
kruten ruͤhrte ihn, der traurig hintennach ſchlich.
Er war gut gekleidet, hatte ein ſittſames, feines
Geſicht, das mit duͤſtrer Schwermuth uͤberzogen
war. Allem Anſchein nach war er von guten El-
tern, und durchs Ungluͤck genoͤtigt worden, Dienſte
anzunehmen. Er zog vor Xavern freundlich den
Hut ab, der ihm, ſo lange er konnte, nachſah.
Nach einer Stunde hielt der Wagen in einem
Dorfe, wo die Pferde gefuͤttert wurden. Xaver
gieng in die Wirthsſtube, wo der Wirth, ein dicker
Mann, und Schulz im Dorfe, mit zween Bau-
ren heftig ſtritt. Der Streit war uͤber das Wild-
ſchieſſen, und bey Gelegenheit einer Erzaͤhlung au-
gegangen, daß den Tag vorher zween Wilddiebe
von den fuͤrſtlichen Jaͤgern waͤren aufgehoben wor-
den. — Denen wird was ſchoͤnes zubereitet wer-
den, ſagte der Wirth. Wenn’s mir nachgienge,
muͤßten all auf Hirſche geſchmiedet werden; aber
unſer Fuͤrſt iſt viel zu gnaͤdig; der laͤßt ihnen hoͤch-
ſtens noch den Daumen und den groſſen Zehen
laͤhmen.
Gerg. So, beym Teufel! Jhr ſeyd mir der
rechte! Ja wohl, auf Hirſche ſchmieden! ’s iſt mei-
ner Seel, ſchon zu viel, daß man den armen Leu-
ten ſo was thut! Man ſollt jeden ſchieſſen laſſen,
was und wie er will! Unſer Herr Gott hat das
Wild erſchaffen, und ’s lauft fuͤr den Einen rum,
wie fuͤr den andern. Nicht ſo, Vetter Michel?
Was haͤltſt du davon?
Michel. Jch weiß dir ſelbſt nicht, was ich
ſagen ſoll? Wenn ich Fuͤrſt waͤre, ließ ich freylich
jeden ſchieſſen; denn ich wuͤſte nicht, warum ich
Gottes Gab allein haben ſollte? Aber mit den
Fuͤrſten iſts ſo eine Sach. Man darf’s Maul
nicht aufthun.
Gerg. Freylich, Michel! Aber Recht iſt doch
Recht! Vater Adam durfte ſchieſſen, was er wollte,
weils ihm Gott erlaubt hatte! Und da denk ich,
wir ſind ſeine Kinder, und wir duͤrfens auch.
Denk dir einmal, wenn’s dem Fuͤrſten einfallen
wollte, daß das Waſſer auch fuͤr ihn allein geſchaf-
fen ſey? Was dir da herauskommen wuͤrde? Gelt,
d’ Maͤus duͤrfen wir wohl todtſchlagen, weils der
Fuͤrſt nicht brauchen kann! Man moͤcht ein Narr
werden, wenn man ſich ſo hudeln laſſen muß!
Wirth. Gerg, brauch Reſpekt, ſag ich! Oder
’s geht nicht gut. Sapperment! weiſt du nicht,
wen du vor dir haſt? Bin ich nicht des Fuͤrſten
Schulz?
Gerg. Nu ja, Herr Wirth; man kann ja
wol im Unwill ein Wort zu viel ſagen; wer wirds
auch gleich ſo genau nehmen? Seht, ihr habt da
auch ein harts Wort geredt, daß man all auf Hir-
ſche ſchmieden ſoll. Jch bin kein Wilddieb, hab
nicht einmal eine Flint zu Haus; aber’s thut einem
eben weh, wenn man ſo ſein ſchoͤnes Korn aufm
Acker ſtehen hat, und der liebe Gott hats vor Wet-
terſchlag behuͤtet, und man denkt, man darfs nun
ſchneiden und heimfuͤhren; wenn da ſo ein Rudel
Hirſche kommt, und frißt alles weg, oder d’ Schwein
wuͤhlen einem alles um. Meiner Seel’! ’s Herz
im Leib weint einem, wenn ein armer Mann auf
den Acker kommt, und ſiehts, und ſchlaͤgt d’ Haͤnd
uͤberm Kopf zuſammen, und flucht auf die Leut, die
’s Wild ſo hegen. Bey Gott! da moͤcht ich der
Fuͤrſt nicht ſeyn, uͤber den die Fluͤch, und die Zaͤh-
ren ſchreyen. Lieber wollt ich da kein Wildpret
eſſen! Jagen koͤnnt er doch, das wuͤrd ihm kein
Menſch verwehren. Seht ihr, Schulz! So iſts
gemeynt!
Wirth. Jhr verſteht das nicht, Gerg! Jhr
koͤnnt Nachts hinausgehn aufs Feld, koͤnnt da wa-
chen, und ’s Wild abtreiben.
Gerg. Beym Blitz! Was das wieder g’ſpro-
chen heißt? Seyd ihr auch ein Baur, Herr?
Man ſieht wohl, daß ihr immer nur daheim ſitzt,
und am Bierkrug zapft! Da ſchafft mir einmal
einen Tag uͤber, in der Sonnenhitz, von Morgens
vier an, bis Nachts achte; und dann geht mir aufs
Feld hinaus, und wacht, um ’s Wild abzutreiben!
Weiß Gott, wir ſind doch auch Menſchen, und
keine Hund! Wollt ſehen, wo der Fuͤrſt blieb, wenn
wir nicht waͤren, und uns ſchier zu Schanden ar-
beiteten? Sackerlot, da ſollen wir noch wachen!
Das hieß recht, Schmerzenbrod gegeſſen; und doch
will ich ſchwoͤren, daß kein Baur es ein Viertel-
jahr treiben ſollt. Nein, da lob ich mir die Wild-
dieb, die ’s Wild fein wegputzen, und dem armen
Baur Ruh verſchaffen! ’s iſt nicht recht, ſag ich,
daß man ſo mit ihnen umgeht, und wenn ich drum
ins Loch muͤßt!
Michel. Gerg, nimm dich in Acht! du
kommſt z’viel in Eifer! — Da Herr Schulz,
fuͤllt’s Glaͤſel noch einmal! Nehmt ihms nicht
uͤbel! Er meynt’s nicht ſo boͤs.
Wirth. Ja, was nicht ſo boͤs? Er verſtehts
nicht, ſag ich; weiß nichts von der Jagdgerechtig-
keit. Das muß ich beſſer wiſſen, Schoͤps! Wer
des Fuͤrſten Wild ſchießt, iſt ein Rebell, und den
muß man ſtrafen.
Gerg. Jſt ein Rebell! Jſt ein Narr! —
Da ſeht einmal, Schulz, da koͤmmt ein kaiſerli-
cher Werber, hat ein paar feiſte Haſen aufm
Buckel. Jſt das auch ein Rebell? Sagt ihms
doch!
Wirth. Pſt, Pſt! Still! Das iſt ein an-
hers. Mit den Herren iſt nicht gut anbinden.
Laßt’s nur ſeyn! — Blitz, was das fuͤr ein paar
Haſen ſind!
Jndem traten die Werber mit den Rekruten,
die Siegwart auf dem Weg angetroffen hatte, in
die Stube. Der Wirth war ganz erſchrocken,
und fragte, was er einſchenken ſollte? Sie foder-
ten Brandtewein und Bier. Der Rekrute, den
Siegwart beſonders bemerkte hatte, ſetzte ſich allein
in eine Ecke, und ſtuͤtzte den Kopf auf die Hand.
Was fehlt denn dem dort? ſagte der Wirth
leiſe zu einem von den Werbern. Jch weiß ſelbſt
nicht recht, antwortete dieſer. Soviel weiß ich,
es iſt ein Student von Dillingen, und vermut-
lich hat er einen im Duell verwundet, oder gar
umgebracht. Es iſt ein braver, ſtiller Menſch,
mit dem ich ſchon oft Mitleiden hatte. Er muß
auch ein Maͤdel haben; denn er ſieht oft ſeine
Doſe an, wo ein ſchoͤnes rothbackichtes Ding drauf
abgemalt iſt, und da weint er, daß der Deckel
ganz naß wird, oder druͤckt ihn, wenns niemand
ſieht, an den Mund, und kuͤßt ihn. — Jndem
ſah der junge Menſch auf, und blickte Siegwarten
ſcharf an, der ihn mitleidig betrachtete. Er zog
die Doſe heraus, und bot Xavern eine Priſe an.
Das iſt ja ein ſchoͤnes Frauenzimmer, ſagte dieſer.
Ja wohl, antwortete der Rekrute; ein leibhafter
Engel! Und nun ſah er’s wieder wehmuͤtig an.
Heh! rief ein Werber, Herr Wirth! Was
gibt er mir fuͤr die beyden Haſen? Habs eben ge-
ſchoſſen. Sieht er, was ſie Fett aufm Leib haben!
Wirth. Je nu, Herr Feldwaibel; ich daͤch-
te, funfzehn Kreuzer waͤren wol genug. ’S gibt
jetzt der Haſen viel, und ’s Geld iſt rar —
Werber. Geh er! Jſt der Herr ein Narr?
Funſzehn Kreutzer, fuͤr zwey Haaſen! Das iſt,
meiner Treu, der Balg werth. Da eß’ ich ſie lie-
ber ſelber. Sieben Batzen ſoll er mir geben! Keinen
Heller weniger! Jſt das noch mehr, als zu
billig.
Wirth. Nun, ſchau er, Herr Feldwaibel;
Sechs Batzen will ich geben, und ein Schluͤckchen
Kirſchenwaſſer oben drein; Weils Er iſt, und weil
er ſo fleißig bey mir einſpricht.
Werber. Meinetwegen! Hol er nur ein
Glaͤschen! Aber vom Guten, hoͤrt ers?
Gerg. (Heimlich zu Michel, indem der
Wirth abgeht.) Siehſt den Teufelskerl? Da weiß
er ſo ſchoͤn zu predigen, und thut ſelber nicht dar-
nach. Nun ſoll er mir noch ein Wort ſagen, daß
ich raiſonnirt hab! Jch verklag ihn, meiner Six,
beym Amtmann. —
Siegwart betrachtete unterdeß den Re-
ckruten, der einen Brief aus der Taſche zog, und
ihn mit Bewegung las. Wenn ich ihm nur hel-
fen koͤnnte! Dachte er. Gern haͤtt er ihm von ſei-
nem Geld etwas mitgetheilt, und griff ſchon ein
paarmal in die Taſchen, aber er wagte es nicht,
vor den uͤbrigen, ihm was anzubieten, weil er fuͤrch-
tete, ihn in Verlegenheit zu ſetzen.
Jndeß kam Siegwarts Knecht, und ſagte,
die Pferde ſeyn gefuͤttert. Er nahm Abſchied,
und fuhr weiter. Eine halbe Stunde vor dem
Dorfe gieng ein Weib mit drey Kindern an dem
Wagen vorbey, und weinte. — Gelobt ſey Jeſus
Chriſtus! ſagte ſie. Jn Ewigkeit! antwortete
Siegwart. — Ach, lieber junger Herr, theilen
Sie doch einem armen Weib eine kleine Gabe
mit, die Haus und Hof verlaſſen muß! Warum?
ſagte Siegwart. — O du lieber Gott, war ihre
Antwort, weil mein Mann ein paar Hirſche todt-
geſchoſſen hat, die uns unſer Korn wegfraſſen.
Nun werd ich ihn wol in meinem Leben nicht
mehr ſehen. Sie haben ihn ſchon in die Karre
gebracht. Siegwart gab ihr einen ganzen Kon-
ventionsthaler. Sie rief ihm nach; aber er be-
fahl dem Kutſcher zuzufahren.
Nun ſah er ſchon von fern das Staͤdtchen
liegen, wo er hin ſollte. Es lag auf dem erhoͤhten
Donauufer anmutig da, und zu beyden Seiten
ſtanden Eichenwaͤlder.
Seine Seele hub ſich bey dem Anblick einer
neuen Gegend um ſo mehr, weil ſie eine Zeitlang
ſeinen Wohnplatz ausmachen ſollte. Eine unru-
hige Freude bemaͤchtigte ſich ſeiner; er zitterte, und
ſein Geſicht gluͤhte. Anfangs wuͤnſchte er, nur recht
bald da zu ſeyn, um ſeine neuen Lehrer zu ſehen;
aber, als er naͤher zu dem Staͤdtchen kam, wuͤnſchte
er ſich wieder weiter weg. Nun lag’s immer deut-
licher vor ihm da; er ſah die ganzen Thuͤrme, mit
den Kirchen dran, und konnte ſchon einzelne Haͤu-
ſer unterſcheiden. Mit der Deutlichkeit wuchs ſeine
Unruhe. Als er uͤber die Donaubruͤcke fuhr, be-
gegneten ihm ein paar Piariſten mit vier oder fuͤnf
Studenten; ſein Herz ſchlug ungeſtuͤmer; er nahm
den Hut ab, und buͤckte ſich ſehr tief. Einer von
den Lehrern dankte freundlich, als ob er ihn kennte.
Moͤchte das doch P. Philipp ſeyn! Dachte Sieg-
wart. Nun fuhr er durch die Vorſtadt, und den
Stadtberg hinauf ins Staͤdtchen. Er ſtieg beym
Poſthaus ab, und ließ ſich gleich darauf in die
Schule fuͤhren. Der Thorwart am Schloßhof
meldete ihn an; er ſtand indeſſen zitternd in dem
Hof. Man hieß ihn nach einem groſſen Saal
kommen, wo der oberſte Profeſſor und ein an-
drer ihn erwarteten.
Nun, iſt er der junge Siegwart, der das
Zutrauen zu uns hat, daß er Koſtgaͤnger bey uns
werden will? ſagte der erſte. — Ja. — Sey er
uns vielmals willkommen! Wir haben ſchon viel
Gutes von ihm gehoͤrt, und hoffen, daß es ihm
bey uns nicht mißfallen ſoll. — Siegwart neig-
te ſich, und that ſehr furchtſam. — Sey er nur
gutes Muths, und ohne Furcht! Wir werden bald
beſſer mit einander bekannt werden. Bruder
Johann, wollen Sie ihn auf ſein Zimmer
bringen?
P. Johann nahm ihn bey der Hand, und
fuͤhrte ihn auf ein ziemlich geraͤumiges Zimmer,
das eine freye Ausſicht an die Donau, und das
herum liegende Weidenufer, nebſt der ganzen
weiten Ebne hatte. Es war noch ein Koſtgaͤn-
ger auf dem Zimmer, Namens Joſeph Kreutzner,
der ihn mit auſſerordentlicher Hoͤflichkeit bewill-
M
kommte. So, hier koͤnnen Sie beyeinander woh-
nen, ſagte P. Johann. Jch hoffe, Sie werden
ſich gut vertragen, weil Sie von Einem Alter,
und beyde von huͤbſchen Eltern ſind. Kreutzner,
ich empfehl ihm den jungen Siegwart, daß er
ihm gut begegnet! Denn es ſoll ein braver Menſch
ſeyn, wie wir hoͤren. — Kreutzner machte eine
Verbeugung. — Er kann ſich jetzt bequem ma-
chen, Monſieur Siegwart, und ſeine Sachen
einrichten! Jn einer Stunde wird man ihn zum
Eſſen rufen. Drauf gieng P. Johann weg.
Kreutzner ſagte unſerm Siegwart viel
Schmeicheleyen vor, bot ihm ſeine Freundſchaft
an, und erzaͤlte ihm, wie gut es hier auf der
Schule ſey, und was ſie fuͤr Freuden miteinan-
der haben wollten. Jndem kam Siegwarts Be-
dienter, und brachte den Koffre; er ſchrieb noch
ein paar Zeilen an ſeinen Vater, voller Dankſa-
gungen, und ward ſehr dabey bewegt, daß ihm
Thraͤnen auf den Brief floſſen. Dann ſchrieb
er noch an ſeine Schweſter Thereſe, und theilte
ihr die Freude mit, die er uͤber die gute Aufnah-
me bey den Piariſten hatte.
Bald drauf kam ein Pater, und zwar eben
derſelbe, den Siegwart auf der Donaubruͤcke an-
getroffen hatte. Wie groß war ſeine Freude, als
er hoͤrte, daß es P. Philipp, der Bruder des
Kapuziners im Kloſter ſey, der ihn ihm noch be-
ſonders empfohlen hatte. Dieſer P. Philipp
war ein Mann zwiſchen vierzig und fuͤnf und
vierzig Jahren, mit einem heitern, offenen Ge-
ſicht, das, wenn er laͤchelte, ein Sinnbild der Lie-
be war. Er druckte Xavern, deſſen freye Mine
ihm beym erſten Anblick ganz gefiel, treuherzig
die Hand, und verſicherte ihn ſeiner Freund-
ſchaft und Gewogenheit, wenn er ſich ihm anver-
trauen wolle. Xaver mußte ihm verſchiedenes
vom Kloſter, von ſeinem Bruder, und von ſeiner
eigenen Familie erzaͤhlen, und ward, durch das
liebreiche Weſen des Paters, bald offenherzig.
Kreutzner ſprach immer auch mit drein, und
ſuchte Siegwarts Aufmerkſamkeit auf ſich zu zie-
hen. P. Philipp aber ſchien nicht viel auf ihn
zu achten. Man klingelte hierauf zum Eſſen,
wo acht Lehrer, und zwiſchen zwanzig und drey-
ſig Schuͤler gegenwaͤrtig waren. Xaver wurde
noch als Gaſt behandelt, und ſaß zwiſchen dem
Prior, und dem Pater Kellermeiſter.
Die Koſt war maͤßig, aber gut; die Unter-
haltung ungezwungen, und munter. Die Lehrer
nahmen nicht den ſtolzen Ton an, wodurch man
ſich mehr von den Schuͤlern entfernt, als ihre Liebe
und ihr Zutrauen ſich erwirbt; welches doch der
einzige Weg zum Herzen iſt. Jeder durfte frey
ſprechen, ohne daß dadurch die, den Lehrern ſchul-
dige Hochachtung beleidigt wurde. Nur einer von
den Lehrern, P. Hyacinth, ſchien ſtolz und |auf-
fahrend zu ſeyn; er widerſprach nicht nur den
Schuͤlern, ſondern auch den Profeſſoren, und
that immer entſcheidende Ausſpruͤche.
Ein paarmal fragte er unſern Siegwart
etwas in ſo rauhem Ton, daß dieſer ganz er-
ſchrocken zuruͤckfuhr, und verwirrt antwortete;
aber P. Philipp uͤbernahm die Antwort, und
half ihm aus der Verlegenheit. Die meiſten
Schuͤler waren beſcheiden und geſittet. Ein jun-
ger Edelmann von 18 Jahren, Namens Kron-
helm, der am P. Philipp ſaß, zog Siegwarts
Aufmerkſamkeit beſonders auf ſich. Er hatte ſanf-
te blaue Augen, hellblondes Haar, und etwas
ſchwermuͤthiges in der Mine, das aber von der
innern Seelenruhe, wie mit einem Schleyer, uͤber-
deckt war. Seine und Siegwarts Blicke begeg-
neten ſich ein paarmal, fuhren ſchnell zuruͤck, wie
der Blick eines Liebenden, und ſuchten ſich un-
vermerkt wieder auf. Beyde Juͤnglinge ſchienen
ſich in der Seele zu leſen; jeder glaubte, den
andern lange ſchon zu kennen; und ſtillſchweigend
faßten ſie, in der erſten Stunde, ein Zutrauen zu
einander, das nachher ſo ſehr befeſtigt wurde.
Nach dem Eſſen wurden in den verſchied-
nen Klaſſen Stunden gehalten. Siegwart gieng
mit Kreutznern in ſeine Klaſſe, wo, nach der
Kloſtereinrichtung, der Syntax gelehrt wurde.
Der Unterricht des Lehrers, der mit Ernſt und
Liebe vermiſcht war, nahm unſern Siegwart ſehr
ein. Die Piariſten haben uͤberhaupt in der ka-
tholiſchen Kirche das groͤſte Verdienſt um die Er-
ziehung; weil ſie ſich faſt mit nichts, als mit ihr,
zu beſchaͤftigen haben, und daher alle, dazu noͤti-
gen Kenntniſſe ſich erwerben koͤnnen; da hingegen
die Jeſuiten tauſend andre, oft ſehr tadelnswehr-
te Zwecke zu erreichen ſuchen. Den Abend mußte
Siegwart, wider ſeine Neigung, mit Kreutznern
auf einem Spatziergang zubringen; denn er waͤre
lieber beym P. Philipp, oder bey dem jungen
Kronhelm geweſen.
Kreutzner that uͤber die Maſſen freundlich;
laͤchelte beſtaͤndig, wenn er ſprach; druͤckte Sieg-
warten oft die Hand, und gewann dadurch den
unerfahrnen, noch zu leichtglaͤubigen Juͤngling.
Beym Eſſen erzaͤlte Xaver, wo er geweſen ſey?
Was er geſehen, und wie die Gegend ihm ge-
fallen habe? Die Piariſten ſchienen ſehr mit ihm
zufrieden zu ſeyn, und ſprachen viel mit ihm.
Als er nach Tiſch mit Kreutznern auf ſein Zim-
mer kam, zog dieſer hinter dem Buͤcherſchrank ein
paar Pfeiffen hervor, und wollte Xavern uͤberre-
den, auch mit zu rauchen. Er verbat es aber,
theils, weil er das Rauchen nicht gewohnt war;
theils, weil ers — mit Recht — auf der Schu-
le fuͤr verboten hielt. Kreutzner wunderte ſich
druͤber, und ſagte, daß er mit ſeinem vorigen
Stubenkammeraden alle Abende geraucht ha-
be, Hierauf kriegte er ein Kartenſpiel, das er
unter eine losgegangne Diehle verſteckt hatte; und
Xaver mußte, ob er ſich gleich anfangs weigerte,
mitſpielen. Er war zu gefaͤllig, und widerſprach
nicht gerne. Man muͤſſe doch was zu thun ha-
ben, ſagte Kreutzner, und koͤnne nicht ſtets ſtudie-
ren; die Profeſſoren machten auch wol ein Spiel-
chen; es ſey blos zum Zeitvertreib; ſie wollten
daher nur eine Kleinigkeit einſetzen, u. ſ. w. Dem
ungeachtet verlohr Xaver uͤber einen halben Gul-
den; denn er ſpielte ehrlich, und Kreutzner be-
trog, wo er konnte. Den andern Tag hatte
Siegwart noch frey, und richtete ſeine Sachen ein.
P. Philipp ließ ihn Abends auf ſein Zimmer kom-
men, und ſprach viel mit ihm. Sein freyes,
muntres Weſen und ſeine Herablaſſung nahm ihn
ſehr ein. Er erzaͤlte, mit der groͤſten Anmuth,
allerley Anekdoten aus der Geſchichte, die ſeine
Lieblingswiſſenſchaft war; miſchte ruͤhrende Be-
merkungen mit ein, die von ſeinem edeln Herzen
zeugten, und wieß viele artige Landſchaften vor,
die er ſelbſt mit Tuſch gezeichnet hatte. Xaver
gieng ſehr vergnuͤgt weg, nachdem er vorher, zu
ſeiner groͤßten Freude, hatte verſprechen muͤſſen,
ihn oͤfters Abends zu beſuchen, oder einen Spa-
tziergang mit ihm zu machen. Er mußte wieder
mit Kreutznern ſpielen, und verlohr diesmal ei-
nen Gulden.
Den folgenden Tag wurde er von den vier
oberſten Profeſſoren, unter denen P. Philipp
auch war, examinirt. Sie waren mit ſeiner Herz-
haftigkeit, und ſeinen treffenden Antworten, die
von ſeinem geſunden Verſtande zeugten, ſehr zu-
frieden, und beſchloſſen einmuͤthig, ihn in die drit-
te Klaſſe zu ſetzen, wo der Syntax, oder die
gruͤndliche Erlernung des Lateiniſchen hauptſaͤch-
lich getrieben wird. Siegwart, dem es weder an
den gehoͤrigen Grundſaͤtzen, noch an Eifer und
Verſtand fehlte, ſchickte ſich ſehr bald in die Ord-
nung, und erhielt den Beyfall ſeiner Lehrer voͤllig;
denn ſie waren vernuͤnftig, und ſahen, daß es
ihm ernſtlich angelegen ſey, ihnen durch Folgſam-
keit zu gefallen, und ſich ſelbſt durch gruͤndliche
Einſichten zu vervollkommen. Er faſte das me-
chaniſche der Lateiniſchen Sprache bald; aber doch
war ihm mehr am Kern, als an der bloſſen
Schaale gelegen. Er ſah bey den Stellen, die
aus Roͤmiſchen Geſchichtſchreibern, beſonders aus
dem Nepos genommen waren, und in der Schu-
le erklaͤrt, und uͤberſetzt wurden, immer auf den
Jnnhalt. Auf der Stube las er die erklaͤrten
Stuͤcke wieder durch, und verweilte ſich oft Stun-
denlang bey edeln Handlungen, die der Menſch-
heit, und ihren Urhebern Ehre machen. Beſon-
ders waren Cimon, Epaminondas, Conon, Leo-
nidas, Ariſtides, Phocion, Timoleon und andre
Edle ſeine Leute. Er liebte, und bewunderte die
groſſen Seelen, die ſich und ihren eignen Vor-
theil dem allgemeinen Beſten aufopferten. Bey
ihrer heiſſen Vaterlandsliebe gluͤhte ſeine Seele,
und ſtaͤrkte ſich zu aͤhnlichen Geſinnungen und
Thaten. Bey ihrer ſtillen Tugend, bey ihrer
menſchlichen Zaͤrtlichkeit floſſen ſeine Thraͤnen;
aber alle, die nur Helden, oder Menſchenwuͤr-
ger, und Unterdruͤcker eines freygebohrnen Vol-
kes waren, haßte und verabſcheute er. So die
Schriftſteller zu leſen, und ſich durch die Geſchich-
te menſchlicher zu bilden, hatte ihn P. Philipp
gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Men-
ſchen entgieng, der das Herz erhoͤhen und vere-
deln konnte. Die Religion ward ihm von P.
Johann auch vernuͤnftiger und einwuͤrkender bey-
gebracht, als gewoͤhnlich. Da der brave Mann,
bey ſeinen vielen Ungluͤcksfaͤllen, und bey ſeinem
ſchwachen Koͤrper aus der Erfahrung gelernt hat-
te, wie wenig Streitigkeiten, und kuͤnſtliche Be-
ſtimmungen und Einſchraͤnkungen von Dingen,
die uns unerklaͤrlich ſind, und oft ſeyn ſollen, zur
Beruhigung des Herzens und zum Troſt im Elend
beytragen, ſo floͤßte er ſeinen Schuͤlern nur den
Geiſt und Saft der Religion ein, das heißt: die
Lehren Jeſu und ſeiner Apoſtel, die alle, ſowol
fuͤr unſer eigen Herz, als auch fuͤr andre Men-
ſchen wohlthaͤtig ſind, und deren Kentnis und
Ausuͤbung uns allein in der letzten Stunde troͤ-
ſten kann. Er ſuchte ſeine Schuͤler durch die Re-
ligion mehr zu weiſen und tugendhaften Men-
ſchen, als zu groſſen Gelehrten zu bilden. Auch
in der Geographie und Meßkunſt ſah ſich unſer
Siegwart um, und ſaß oft die halbe Nacht durch
bey den Buͤchern, ſo, daß er ſich in kurzer Zeit
nicht gemeine Kenntniſſe erwarb. Nur in P.
Hyacinths Stunden gieng er ungern, weil die-
ſer muͤrriſche Mann, mit der polternden Stim-
me, nur aufs Phraſesmachen drang, und immer
mit aufgehobnem Stock vor den Schuͤlern ſtand.
Da es uns bey Siegwart mehr um die
Geſchichte ſeines Herzens, als ſeines Verſtandes,
und ſeiner gelehrten Kenntniſſe zu thun iſt, ſo wer-
den wir von dem letztern wenig, und nur da re-
den, wo es wuͤrklichen Einfluß auf ſeine kuͤnftigen
Schickſale, oder auf ſeinen Charakter hatte. Al-
ſo kehren wir in den Anfang ſeines Aufenthaltes
bey den Piariſten zuruͤck.
Nach dem Examen wurden ihm die Geſetze,
ſowohl der Schule uͤberhaupt, als auch beſonders
ſeiner Klaſſe vorgeleſen, und er mußte dem P.
Johann mit einem Handgeluͤbd verſprechen, ſie
getreulich zu beobachten. Unter andern war durch
ein Geſetz verboten, auf dem Schulgebaͤude, und
auch auſſerhalb demſelben Taback zu rauchen,
oder um Geld zu ſpielen. Er erſchrack, als er
dieſes leſen hoͤrte, weil ihm ſogleich der geſtrige
Tag einfiel. Den Abend drauf wollte Kreutzner
wieder ſpielen. Er ſchlugs ihm rund ab, und
ſchuͤtzte das Verbot vor, das ihm erſt heute, in
ſeiner Gegenwart, vorgeleſen worden ſey. Kreutz-
ner lachte, gab ihm Einfalt ſchuld, und ſagte:
Wer ſich darnach richten wollte, muͤßte ein Mu-
cker werden; es ſey nie darauf gehalten worden;
man verbiet es nur zum Schein, u. ſ. w. Dies
alles half bey Siegwart nichts; er hielt ein Ge-
luͤbde, das eine Art von Eyd iſt, fuͤr zu heilig,
und fing an, von Kreutznern ſchlimmer zu den-
ken. Als es dieſer merkte, ſuchte er wieder ein-
zulenken, und hintergieng Xavern durch eine an-
genommene Gewiſſenhaftigkeit und Scheinheilig-
keit aufs neue. Er warf die Karten beym naͤch-
ſten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend
und Morgen laut, ſprach viel von Religion, und
gewann dadurch Siegwarts ganze Seele wieder,
ſo, daß man dieſen faſt allein in ſeiner Geſellſchaft
ſah. Selbſt den P. Philipp beſuchte er weniger.
Eines Tages kam Kreutzner traurig heim,
und ſtellte ſich, als ob er oft verſtohlen weinte;
aber doch ſo, daß es Siegwart ſehen mußte.
Dieſer fragte endlich, was ihm fehle? Ach, antwortete
er, da hab ich eine Familie gefunden, die mit
der kuͤmmerlichſten Armuth ringt. Es ſind ſechs
unerwachſne Kinder, und ein halbkranke Wittwe.
Denen haͤtt’ ich nun ſo gern geholfen, und ley-
der! hab ich jetzt nichts; denn mein Geld von
Hauſe kommt erſt uͤber vierzehn Tage. Sieg-
wart, deſſen Seele leicht geruͤhrt, und mitleidig
war, gab ihm ein paar Gulden, und bat ihn, ſie
der leidenden Familie zu bringen. Kreutzner
dankte ihm mit heuchleriſchen Thraͤnen, lobte ſein
menſchliches Herz, und verſchleuderts das Geld an
Leckereyen. So ward der edelmuͤthige Juͤngling
durch die Mine der Ehrlichkeit und Rechtſchaf-
fenheit hintergangen; eine Schlinge, welche gu-
ten Seelen ſo oft von Boͤſewichtern gelegt wird.
Seine Seele bekam dadurch immer mehr Zunei-
gung zu Kreutznern, und machte ihn zu ihrem
Vertrauten. Er erzaͤlte ihm alles von ſeiner Fa-
milie, ließ ihn ſeine Briefe leſen, und Kreutzner
ſchrieb an ſeine Schweſter einen Brief voller
Schmeicheleyen. Sie antwortete ihm kalt, und
ſchrieb ihrem Bruder folgendes:
Liebſter Bruder!
Ließ dieſen Brief allein, und laß ihn niemand
ſehen! Du wirſt mir glauben, daß dein Wohlbefinden
mich im innerſten erfreut. Auch iſt mirs lieb, daß
du gute Freunde gefunden haſt. Nach dem, was
du mir vom Herrn Kreutzner ſchreibſt, muß er
ſreylich wohl ein guter Menſch ſeyn; aber ver-
zeyh mir, Bruder, wann ich ſage: ſein Brief ge-
faͤllt mir gar nicht. Er ſagt mir ſo viel vor,
daß ich ſchoͤn und artig ſey; und da moͤchte ich
wol fragen, wo ers her weiß? Du haſt ihm ſo
was gewiß nicht geſagt. Alſo kanns ihm wol
nicht Ernſt ſeyn, was er ſchreibt, oder er ſpottet
gar uͤber mich. Das iſt aber nicht artig, ein
einfaͤltiges Landmaͤdchen, das man gar nicht kennt,
zu vexiren, und ihr Grillen in den Kopf zu ſe-
tzen. Mich ſoll er aber durch ſeine Schmeicheleyen
nicht blenden. Jch weiß wohl, worauf ich mir
was gut zu thun habe, und das kennt er nicht.
Verzeyh mir, Bruder, daß ich haͤrter ſchreibe, als
du’s wuͤnſchen moͤchteſt; aber du weiſt, daß ich
nie kein Blatt vor’s Maul genommen habe.
Was du mir vom P. Philipp und dem jungen
Herrn von Kronhelm berichteſt, hat mir weit
beſſer gefallen. Der junge Menſch muß eine gu-
te liebe Seele ſeyn, aber es ſcheint, du habeſt
nicht viel Umgang mit ihm. Wie koͤmmt das?
Papa iſt, Gottlob! recht wohl, und laͤßt dich gruͤſ-
ſen. Die Bruͤder auch. Salome will bald wie-
der aus Muͤnchen kommen; da wird mein Elend
wieder angehen. Jch fag aber: Ein froher
Muth macht alles gut. Unſre Kornfelder ſind
dieß Jahr ſehr geſegnet; auch unſer Garten.
Jch habe viel zu thun, und bin ſeitdem erſt
zweymal bey unſerm Pfarrer in Windenheim
geweſen. Er hat mich wieder in ſeinem Garten
herum gefuͤhrt, und laͤßt dich herzlich gruͤſſen.
Jch muß abbrechen, weil ich wieder an die Ar-
beit muß. Leb wohl, Herzensbruder, und ſchreib
bald deiner getreuen Schweſter
Th. Siegwart.
Xaver ward anfangs etwas ſtutzig, als er
dieſen Brief las, aber, dachte er: das Maͤdchen
ſieht die Sache von der unrechten Seite an;
und vergaß ihre Erinnerungen bald wieder.
Kreutzner ſchlich ſich durch allerley Kunſtgriffe
immer mehr in ſein Vertrauen ein; that immer
demuͤthig und fromm; wich, als Xaver, wegen
einer Unpaͤßlichkeit, ein paar Tage auf dem Zim-
mer bleiben mußte, nicht von ſeiner Seite, that
herzlich betruͤbt; und befeſtigte ſich dadurch noch
mehr in der Liebe des Juͤnglings. Er entlehnte,
unter allerley Vorwand, alle Augenblicke Geld von
Siegwart; verſprach immer, es ihm wieder heim-
zugeben, und gewanns ihm dann durch Wetten,
oder durch Spiele, die er aber anders nannte, ab,
oder verkaufte an ihn ſchlechte Buͤcher theuer, ſo
daß Siegwart ſich in kurzer Zeit faſt ſeines gan-
zen Vorraths los ſah.
P. Philipp hielt nicht viel von Kreutznern,
und ſah, daß er Xavern ganz von ihm abzoͤge.
Er ſagte alſo einmal auf einem Spatziergange, wo
Kronhelm auch dabey war: Mein lieber Sieg-
wart, er laͤßt ſich ja bey mir wenig mehr ſehen,
und bey Kronhelm auch nicht, den ich ihm doch
ſo ſehr empfohlen habe. — Ja, ſagte Siegwart,
Herr Profeſſor! ich bin eben viel beym Kreutzner.
Gut, antwortete P. Philipp, Kreutzner iſt ein
Menſch, dem ich zwar nichts offenbahr Boͤſes nach-
ſagen kann; aber er hat ſo was in der Mine,
und in ſeinem ganzen Betragen, das mir nicht ge-
faͤllt. Jch weiß nicht; der Menſch laͤchelt immer
ſo freundlich, wenn man mit ihm ſpricht; und ſieht
man ihm ins Aug, ſo ſchlaͤgt ers nieder, als ob er
kein gut Gewiſſen haͤtte. Dabey iſt er ſo uͤberhoͤf-
lich, und die gar zu hoͤflichen Leute kann ich fuͤr
den Tod nicht ausſtehn. Sie haben immer ſo ihre
Urſachen und Nebenabſichten dabey, warum ſie’s
ſind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus,
und ſagt ohne Umſchweife, was er denkt. Man
braucht deswegen noch nicht grob zu ſeyn! Es gibt
ſo eine Mittelart; man weiß ſelbſt nicht, wie mans
nennen ſoll; aber fuͤhlen kanns ein jeder. Nicht
wahr, Kronhelm, er denkt von Kreutznern eben
ſo? — Ja, wenn ichs frey heraus ſagen darf, Herr
Profeſſor, antwortete Kronhelm, ſo gefaͤllt er mir
auch nicht. Er hat ſo was heimtuͤkiſches und ſchlei-
chendes und freut ſich nie recht, wenn wir miteinander
luſtig ſind; oder es ſieht immer aus, als ob er ſich auf
Andrer Koſten freute. Neulich giengen wir einmal
ſpatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir
konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns
hatten; Kreutzner aber aͤffte den armen Knaben
immer; ließ ihn wol eine Viertelſtunde hinter
drein laufen, ſagte immer: Wart, bey jenem Baum
dort ſollſt du was kriegen, und zuletzt ſchlug er ihm
die Muͤtze aus der Hand, daß ſie in den Koth fiel,
und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht,
und ich ſagt ihms auch; aber er lachte druͤber.
Das ſieht ihm ſo recht aͤhnlich, ſagte P.
Philipp. Jch warn’ ihn aus guter Meynung,
Siegwart, laß er ſich mit dem Jungen nicht zu
tief ein! Er moͤcht’s zu ſpaͤt bereuen. Jch weiß
wohl, daß Ers nicht boͤſe meynt, wann er mit ihm
umgeht; aber man kann durch den Schein gar
leicht betrogen werden.
Xaver dachte druͤber nach, und ward in ſei-
nem Umgang mit Kreutznern behutſamer und kaͤl-
ter; daſuͤr beſuchte er deſto mehr den Pater Phi-
lipp und den jungen Kronhelm, in deſſen Umgang
ſeine Seele mehr Nahrung fand. Er lernte bey
dem Pater das Zeichnen, wozu er ziemlich Anlage
und Luſt hatte. Noch weiter aber brachte er es in
der Muſik. Kronhelm ſpielte die Violine ſehr gut,
und mußte Xavern jeden Abend in der Daͤmme-
rung zaͤrtliche Arien oder klagende Adagios vorſpie-
len. Dadurch bekam er ſelbſt Luſt zur Violine,
und lernte in kurzer Zeit bey einem jungen Pater
ſehr viel; ſo daß er nun dem jungen Kronhelm
chon akkompagniren konnte. Der junge Pater
merkte auch bey ihm viel Anlage zum Singen; er hatte
eine gelaͤufige biegſam Stimme, und einen hellen Te-
nor; und in einem Vierteljahre ward er kein ge-
N
meiner Saͤnger; wozu ihm ſein zaͤrtliches Gefuͤhl
und ſein empfindungsvolles Herz, das jedem Ton
den rechten und einzigwahren Ausdruck gab, viel
half.
Kreutzner, der in Siegwarts Zuneigung zu
ihm eine ſo ploͤtzliche und ſtarke Abnahme bemerk-
te, ſann nun auf neue Kunſtgriffe, ihn wieder an
ſich zu ziehen. Er war ſchlau, und ſah wohl, daß
ihn P. Philipp und Kronhelm ihm abgeneigt
machren; er ſuchte ihm alſo zufoͤrderſt ein Mis-
trauen gegen dieſe einzufloͤſſen. — Haſt du heut bey
Tiſch auf Pater Philipp und Kronhelm Acht ge-
geben? fieng er einmal an. Nein, warum? ant-
worte Siegwart.
Kreutzner. Du haſt alſo nicht geſehen, wie
ſie zu einander lachten, und das Maul verzogen,
als du vom Pfarrer Windenheim erzaͤlteſt?
Siegwart. Nicht das mindeſte.
Kreutzner. Nun, ſo muß ich dirs eben ſa-
gen, wenn du’s ihnen nicht wieder ausplaudern
willſt; denn ich hab dich viel zu lieb. Sie ma-
chen ſich uͤber dich luſtig; ich habs ſchon hundert-
mal bemerkt; ſo bald du den Mund aufthuſt, ſtoſ-
ſen ſie ſich an, und lauren dir auf jedes Wort, ob
du’s recht ſageſt? Und ſobald du dich verſprichſt,
ſchmunzeln ſie ſich zu, und winken mit den
Augen.
Siegwart. Geh! Da haſt du falſch geſehn!
Wie koͤnnten ſie ſo was thun?
Kreutzner. Aber doch nicht falſch gehoͤrt
hab ich, als ich vorgeſtern an des Paters Thuͤre
vorbey gieng. Da war dir ein lautes Gelaͤchter
in der Stube. Jch dachte, du muſt doch hoͤren,
was da drinnen vorgeht, und lauſch’ an der Thuͤre.
Da giengs uͤber dich her, daß ich glaubt’, ich muͤßt
hineingehen, und ſie drum zur Rede ſtellen. Der
Kronhelm kratzte was jaͤmmerliches auf der Violin
her, und ſagte, ſo machts Siegwart; und dann
ſchlugen beyde ein lautes Gelaͤchter auf. — Und
wie ſingt er denn? ſagte P. Philipp. Kronhelm
kraͤchzte was, daß die Ohren einem gaͤllten, und da
ward noch unbaͤndiger gelacht. (Siegwart, der
einen edeln Ehrgeiz hatte, wurde hier roth und
aufgebracht. Kreutzner, der das merkte, fuhr
fort:) Glaub mir, Xaver! Sie meynens gar
nicht ehrlich mit dir; ich weiß, daß ſie’s ſchon meh-
rern eben ſo gemacht haben. Der Pater ſchmei-
chelt ſich bey den Soͤhnen ein, um von den Aeltern
brav Geſchenke zu bekommen. Denn wo haͤtt er
ſonſt die vielen Buͤcher her? Wer nichts giebt,
dem iſt er aufſaͤtzig; wie ers mir macht. Und der
Kronhelm hat dich nur gern bey ſich, damit du
ihm bey ſeinem elenden Gefiedel helfen ſollſt. Es
iſt gar nichts an ihm; du darfſt mir glauben.
Frag nur nach, was ſein Vater fuͤr ein Kerl iſt?
Jedermann im ganzen Land kennt ihn; wo ſoll
dann das Gute herkommen? Von ihm hats der
Sohn nicht gelernt, aber wol liederliche Streiche.
Nicht wahr, um 8 Uhr muſt du immer von ihm?
Da heißts, er will noch ſtudiren. Ja wohl, recht
ſtudirt! Bey den Maͤdels! — Da ſchleicht er
ſich noch Abends aus dem Kloſter, und der Pater
Philipp hilft ihm. Sieh ihn nur an! wie er
immer ſo blaßgelb ausſieht! Das kommt vom lie-
derlichen Leben; von nichts anders. Sie koͤnnen
keinen Menſchen auf der Schule leiden, und von
mir werden ſie dir auch nichts Gutes geſagt ha-
ben, denn ſie machens einem, wie dem andern.
Jch wollte dich ſchon lang warnen, weil ichs ſo
herzlich gut mit dir meyne; aber du biſt mir im-
mer ausgewichen. Nun muß ich mir einmal Luft
machen; ich hab lang genug geſchwiegen, und heim-
lich Mitleiden mit dir gehabt. Du kannſt nun
thun, was du willſt. Jch moͤcht aber, daß es jeder
ſo treu mit dir meynte, wie ich! Frag nur all im
Kloſter, ob ich je einem was zu Leid gethan habe?
Und dir bin ich immer vorzuͤglich gut geweſen.
Siegwart war ſehr aufgebracht, und wollte
gleich zu Kronhelm; aber Kreutzner misrieth ihms,
und ſagte, ob er ihn verrathen wollte? Das ſey nun
der Dank u. ſ. w. P. Philipp war in der That
ein muntrer Mann, und lachte gern; er that oft mit
Kronhelm ziemlich vertraut, und da kam Kreutz-
ners Ausſage unſerm Xaver deſto glaubwuͤrdiger
vor. Auch das hatte er ſchon gehoͤrt, daß Kron-
helms Vater ein ſehr ſchlechter Mann ſey, und der
Sohn ſah immer etwas blaß aus; alſo war auch
das, was Kreutzner von ihm ſagte, nicht ganz
unwahrſcheinlich. Siegwarts beleidigter Ehrgeiz,
und die ſchmeichleriſchen Freundſchaftsverſicherun-
gen des ſchlauen Kreutzners, die er gar mit Thraͤ-
nen begleitete, kamen noch dazu; alſo nahm ſein
Zutrauen zu P. Philipp und zu Kronhelm ziem-
lich ab. Den andern Tag, als er zum Pater woll-
te, bat ihn dieſer, ihn dießmal allein zu laſſen,
weil Kronhelm bey ihm ſey, mit dem er etwas
Geheimes zu reden habe. Dieß brachte ihn noch
mehr auf, und machte ihn noch mistrauiſcher.
Kreutzner blies den kleinen Funken der Eiferſucht
noch mehr an, und als P. Philipp eine Kuͤſte
mit Buͤchern geſchickt bekam, rief er ihm, und
ſagte: ſieh, das ſind wieder Geſchenke eines armen
Vaters, um Gnade fuͤr den Sohn zu erbetteln.
Kreutzner hatte eben Geld von Haus bekommen,
und da zaͤlte er Siegwarten einen Theil ſeiner
Schuld wieder ab; alſo fiel auch der Verdacht von
Eigennutz auf Kreutzners Seite weg.
Dieß alles, und noch zwanzig andre Neben-
umſtaͤnde zuſammen genommen, machte Sieg-
warts Herz gegen P. Philipp und Kronhelm
ziemlich lau; er beſuchte ſie ſeltener, und that im-
mer ſehr zuruͤckhaltend. Die beyden, die das merk-
ten, emzogen ihm auch in etwas ihr Vertrauen, und
ſo waren ſie in kurzer Zeit faſt wie getrennt. Sie
bedauerten den leichtglaͤubigen und unvorſichtigen
Juͤngling in der Stille, und wuͤnſchten nur, daß
ſein Jrrthum nicht von langer Dauer ſeyn, und
ſich ihm nicht zu ſeinem Schaden aufklaͤren moͤge!
Auforingen mochten ſie ſich ihm nicht.
Der Umgang mit Kreutznern machte nach
und nach unſern Siegwart in manchen Stuͤcken
leichtſinniger, eh ers ſelber an ſich wahrnahm. Sie
machten ſich oft mit einander uͤber ihre Lehrer und
Mitſchuͤler luſtig, und lieſſen das Studieren ziem-
lich liegen. Sie erſannen tauſend Ausreden bey
ihrem Vorgeſetzten, um nur recht oft ausgehen zu
koͤnnen. Dann giengen ſie nach einem Gaſthof
vor der Stadt, wo noch andre junge Leute waren;
ſpielten da Kegel, und betranken ſich ein paarmal.
Kreutzner wollte Xavern ſo gar einmal uͤberreden,
ſich mit ihm bey Nacht aus dem Kloſter zu ſchlei-
chen; aber ſo weit war er doch noch nicht verdor-
ben, daß er in einen ſolchen Vorſchlag mit eingewil-
ligt haͤtte. Als einmal beyde Geldmangel hatten,
verkauften ſie drey oder vier von ihren beſten
Buͤchern. Kronhelm, der dieß alles mitleidig mit
anſah, ſchrieb einmal, ohne ſeinen Namen zu nen-
nen, mit verſtellten Zuͤgen einen Brief an Sieg-
wart, worinn er ihn ſehr ruͤhrend vor Kreutznern
warnte. Aber dieß half nichts. Siegwart ließ
den Brief Kreutznern ſelber leſen; ſie ſpotteten
daruͤber, und verbrannten ihn. Kronhelm ge-
wann auch weiter nichts damit, als daß ihn Kreutz-
ner nur noch mehr haßte, weil er ihn ſogleich fuͤr
den Urheber des Briefs hielt.
Eines Abends kam Kreutzner nach Hauſe,
und ſagte: Xaver, dieſe Nacht muß ich hinaus!
Jch habe einen Bekannten in der Stadt, der iſt
krank, und ich hab ihm verſprochen, dieſe Nacht
bey ihm zu wachen. Einen Liebesdienſt, wie die-
ſen, kann ich keinem abſchlagen. Du darfſt unbe-
ſorgt ſeyn, daß es auskommen moͤchte; ich hab
ſchon mit dem Thorwart geſprochen, daß er mich
um ein paar Maas Bier morgen fruͤh in aller
Stille wieder hereinlaͤßt. Xaver wagte nicht, et-
was dawider einzuwenden, weil der Boͤſewicht ei-
nen Liebesdienſt zum Vorwand nahm. Kreutzner
ſchlich ſich indeſſen hinaus, brachte die Nacht bey
liederlichen Leuten zu, und kam Morgens wieder.
Dieſes trieb er noch bey acht Tagen ſo, weil er
immer ſagte, ſein Freund liege noch krank; bis es
endlich ein paar Paters merkten, und dem Prior
anzeigten. Man ſuchte die Nacht darauf Kreutz-
ners Kammer durch, und fand unſern Siegwart
allein da, der ſogleich alles geſtand, und ſich des-
wegen, daß ers nicht, ſeiner Schuldigkeit gemaͤß,
angezeigt habe, damit entſchuldigte, daß ſein Stu-
benkamerad ſich in einer guten Abſicht aus dem
Kloſter weggeſtohlen habe. Er brachte die ganze
Nacht ſchlaflos und voller Angſt zu, was ihm den
folgenden Tag begegnen werde?
Kreutznern paßte man indeß am Morgen auf,
und brachte ihn, bey ſeiner Ankunft, gleich aufs
Carcer. Anfangs legte er ſich aufs Luͤgen, als er
verhoͤrt wurde, und wollte die Schuld halb auf
Siegwart ſchieben; aber bey einer genauern Un-
terſuchung, und als man ihm mit einer noch en-
gern Gefangenſchaft drohte, geſtand er ein, wo er
geweſen ſey, und was er da gemacht habe? Seine
Vergehen waren ſo, daß er, nach den Schulgeſe-
tzen, verſtoſſen werden mußte. Die Straſe ward
ihm auch angekuͤndigt, und ein paar Famuli wur-
den ſo gleich hingeſchickt, ſeine Sachen auf dem Zim-
mer einzupacken und wegzubringen. Jndeſſen leg-
te ſich der Heuchler aufs Bitten, und ſuchte alle
moͤgliche Kunſtgriffe hervor, ſeine Lehrer zum Mit-
leiden zu bewegen. Er warf ſich vor ihnen auf
die Knie nieder, weinte bitterlich, und ſagte, er
koͤnne nicht eher aufſtehen, als bis er wieder ange-
nommen werde. Auf ihren Ausſpruch komme es
an, ob er ſein Leben durch gluͤcklich, oder elend ſeyn
ſolle? Er ſehe nichts vor ſich, wenn man ihn ver-
ſtoſſe, als ein Leben voller Jammer, denn er muͤſſe
nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern ſeyen
arm, und koͤnnen ſich ſeiner auf keine Art anneh-
men. Dabey ſey ſein Vater ſo ſtreng, daß er ihm
nicht unter die Augen treten duͤrfe. Er wuͤrde die
Thuͤre vor ihm zuſchlieſſen, und ihn ſeinem Ungluͤck
uͤberlaſſen. Ob man einen armen reuigen Men-
ſchen ganz ins Elend ſtuͤrzen wolle? Sein Verge-
hen ſey ihm in der Seele leid; er wiſſe es auf kei-
ne Art zu entſchuldigen, aber ob denn Gott nicht
einen Suͤnder, welcher Buſſe thue, wieder anneh-
me? Ob ſie nicht die Guͤte Gottes nachahmen
wollen u. ſ. w.? Er verſpreche kuͤnftig den genaue-
ſten Gehorſam, und man werde ſehen, wie er ſei-
nen groben Fehler durch ein tugendhaftes Leben
wieder gut zu machen ſuchen werde? Fangen Sie
alles mit mir an! ſagte er, ich will alles mit Ge-
duld und Gelaſſenheit ertragen! Nur verſtoſſen
Sie mich nicht! und entreiſſen Sie mich der Ver-
zweiflung und dem Untergang!
Die Paters ſahen einander an; Thraͤnen
ſtunden ihnen in den Augen, und das Mitleid ſieg-
te. — Nun ſo ſteh er auf, in Gottes Namen!
ſagte der Prior. Dießmal wollen wir noch Nach-
ſicht brauchen; aber wenn man nur noch Einmal
das Geringſte von ihm hoͤrt, dann hat alle Barm-
herzigkeit ein Ende. Wir wollen unſre Untergebe-
ne nicht durch ein ſchaͤbiges Schaaf anſtecken laſ-
ſen. Er ſoll wieder angenommen werden; in ei-
ner halben Stunde ſoll er hoͤren, was wir ihm fuͤr
eine Buſſe auflegen, denn ganz ungeſtraft kann ein
ſolches Verbrechen nicht hingehn. Steh er auf,
und bedank er ſich hier bey den Herren!
Kreutzner ſtund auf, gieng von Einem Pater
zu dem andern, kuͤßte jedem die Hand, und dankte
aufs feurigſte, als eben die beyden Famuli herein
traten, und zehn bis zwoͤlf Buͤcher in Franzband
unter dem Arm trugen. Das haben wir in
Kreutzners Bette gefunden, ſagten ſie; die Buͤcher
lagen unter dem Kiſſen, ganz im Stroh verſteckt,
und dieſe Oberhemden auch; vermuthlich ſind ſie
dem jungen Siegwart, denn es iſt ein S drein ge-
naͤht. — Kreutzner ward auf einmal todtblaß.
Die Buͤcher ſehen ja aus, wie meine, ſagte P.
Philipp und ſchlug die Titel auf; ja wahrhaftig:
Die Auszuͤge aus der allgemeinen Weltgeſchich-
te; der Thuanus, und P. Daniels Geſchichte
von Frankreich. Wie iſt er zu dieſen Buͤchern
gekommen, Monſieur Kreutzner? Dieſer ſtand,
wie verſteinert da, und ſprach kein Wort.
Nun, nun, wir ſehen, was das fuͤr ein Wolf
in Schafskleidern iſt, ſagte der Prior. Nicht
wahr, feiner Geſelle, das haſt du geſtohlen? Hur-
tig, Famulus, bringt ihn ins Carcer, bis wir das
Weitere mit dem Boͤſewicht verfuͤgen! Das iſt ein
Gluͤck, daß wir da noch darhinter gekommen ſind!
Haͤtten wir gar einen Hausdieb im Kloſter! Ohne
Umſtaͤnde! Fort mit ihm!
Der Boͤſewicht ward ſortgebracht, und nun
beratſchlagte man ſich uͤber ſeine Strafe. Der ein-
muͤthige Entſchluß war, ihn ſo lang gefangen zu
halten, bis ſein Vater Nachricht von ihm haͤtte,
der ihn dann vermutlich ins Zuchthaus, oder unter
die Soldaten ſtecken wuͤrde. Nun beſprach man
ſich auch uͤber Siegwart. Weil ihm alle gut wa-
ren, und beſonders P. Philipp nachdruͤcklich fuͤr
ihn ſprach, ſo beſchloſſen ſie, ihm, als einem Neu-
eingetretenen aufs gelindeſte zu begegnen, und ihn
blos zu warnen, kuͤnftig vorſichtiger zu ſeyn. Man
lud ihn nicht einmal vor den Schulkonvent, ſon-
dern P. Johann uͤbernahm es, mit ihm auf ſei-
nem Zimmer zu ſprechen; welches er auch ſogleich,
und mir der groͤſten Liebe that. Siegwart ward
dadurch mehr geruͤhrt, als wenn man ihn geſtraft
haͤtte, und er bat mit tauſend Thraͤnen um Verge-
bung. Ueber Kreutzners Bosheit konnte er ſich
nicht genug wundern; denn ſein Herz war zu gut,
als daß er glauben konnte, ein Menſch ſey im
Stande, es ſo weit zu treiben. Man brachte ihm
ſeine Oberhemden wieder, die er, da er in derglei-
chen Dingen etwas ſorglos war, noch gar nicht
vermißt hatte. Bey Tiſche wagte er es nicht, die
Augen aufzuſchlagen, und noch weniger den P. Phi-
lipp oder Kronhelm anzublicken, die mit innigem
Mitleid ihn betrachteten, und in ſeiner Reue ſeine
ganze Seele laſen. Den Abend brachte er allein
auf ſeinem Zimmer in der tieſſten Wehmuth zu;
ſein Herz machte ihm tauſend Vorwuͤrſe, daß er
den edeln Pater und ſeinen lieben Kronhelm durch
ſein Betragen ſo beleidigt, und ihrer Freundſchaft
den Umgang mit einem Boͤſewicht vorgezogen hat-
te. Sein Vergehen vergroͤſſerte ſich in ſeinen Au-
gen, und ſo großmuͤtig er ſich auch die beyden dach-
te, ſo konnte er doch nicht glauben, daß ſie ihm
verzeihen, und ihn wieder ihrer Freundſchaft wuͤr-
digen wuͤrden. Er gieng troſtlos in ſeinem Zim-
mer auf und ab, blickte aus dem Fenſter, und
uͤberſah mit kalter Gleichguͤltigkeit die ſchoͤne Do-
naugegend, die jetzt keine Reize fuͤr ihn hatte;
dann nahm er ſeine Violine, phantaſirte wild und
ſchwermuͤtig; warf die Geige wieder weg; kurz, ſein
ganzes Daſeyn wurde ihm zur Laſt. Jndem klopfte je-
mand an die Thuͤr, und Kronhelm trat herein. Sieg-
wart erſchrack, fuhr zuſammen, ſtund auf, wollte re-
den, und konnte nicht.
Xaver, ſagte Kronhelm, komm ich dir unge-
legen? Sags nur! ich will nachher wieder kom-
men. Haſt du was zu thun?
Siegwart. Nein — — ich — — hab
nichts zu thun. — — Setz dich nur! — Jch
wußte nicht, daß du kommen wuͤrdeſt. — Es iſt
hier ſo unaufgeraͤumt. — Nimms nicht uͤbel!
Kronhelm. Xaver, du machſt ja ſo viel Um-
ſtaͤnde! Thu doch nicht ſo fremd! Wir ſind ja gute
Freunde, Nicht?
Siegwart. Ja — — wenn du willſt —
Kronhelm. Wenn ich will? Lieber Sieg-
wart! Sieh mich an! Guter Junge; ich weiß,
wie dir iſt. Laß uns vergeſſen, was vergangen
iſt! Komm, kuͤß mich einmal! Gott weiß, ich bin
dir herzlich gut. Komm, Xaver! (Sie umarm-
ten ſich.) Du lieber guter Xaver! — Wir haben
uns ſchon ſo lang nicht geſprochen. Biſt doch recht
vergnuͤgt? Nicht wahr, kannſt mich doch noch
leiden?
Siegwart. Weiß Gott, ich kanns nicht aus-
halten, Kronhelm! — Geh! Jch bins nicht
werth; laß mich weinen! — — Wie haͤtt ich das
denken koͤnnen, daß du zu mir kommen wuͤrdeſt? Und
ſo freundlich? Weiß Gott, du biſt ein Engel! Biſt
kein Menſch! Alle Heilige muͤſſen dich geſchickt ha-
ben! — Mich noch anſehen! Mich! — O, ich
moͤchte dich zerdruͤcken, Junge! — Geh! Jch kann
dir nicht ins Aug ſehen. Du biſt gar zu freund-
lich. — Jeſus, Maria! Was ich fuͤr ein Menſch
geweſen bin! —
Kronhelm. Jch bitte dich, Siegwart,
ſey doch ruhig! Was hab ich denn gethan?
Mußt ich denn das nicht? Du weiſt gar
nicht, was ich auf dich halte! Wenn ich dirs nur
zeigen koͤnnte! Sieh! du biſt eine Zeitlang mit
Kreutznern gegangen, das iſt nun vorbey. Wir
ſind wieder Freunde. Jch, und P. Philipp wa-
rens immer, und du wirſt ſehen, daß wirs immer
bleiben.
Siegwart. Pater Philipp auch? Großer
Gott? Was das Leute ſind! — Jſts wahr, Kron-
helm? bey Gott! Luͤg mich nicht an! Jſt er mir
noch gut, P. Philipp? Kann er mich noch leiden?
Hat er mich nicht laͤngſt vergeſſen? Mir ſein Herz
verſchloſſen? Sag!
Kronhelm. So wahr ich ſelig werden will!
Er iſt dir noch ſo gut, wie ehmals.
Siegwart. Nun, ſo will ich gern ſterben!
Mags nun gehen wie’s will! Hoͤr’, Kronhelm,
das haͤtt ich nimmermehr geglaubt. Aber ihr ſeyd
Heilige; thut mehr, als alle Menſchen. Nun,
Gott wird ſich meiner nun auch erbarmen, da ihrs
thut. Hab Dank, Lieber! Warlich ich kann dirs
ſchwoͤren! Mein Herz iſt noch nicht ganz verdor-
ben. Boͤs hab ichs nicht gemeynt. Aber ich war
doch ein Scheuſal. Wenn ihr mir nur verzeiht!
Dann iſt alles gut.
Kronhelm ſank nun wieder an ſein Herz,
und weinte. Kein Schauſpiel iſt auf Erden ſchoͤ-
ner, als die Ausſoͤhnung zweyer Freunde. Der
ganze Himmel freut ſich uͤber einen Suͤnder, der
Buſſe thut; ſo freut er ſich, wenn zwo Seelen,
die einander werth ſind, und ſich eine Zeitlang
misverſtanden haben, ſich wieder mit einander aus-
foͤhnen. Sie lieben ſich nun ſtaͤrker, wie zwey
Liebende nach einer kurzen Trennung. — Sieg-
wart wurde nun wieder vernauter, und offenher-
ziger; er wagte es nun wieder, ſeinen Kronhelm
frey anzuſehen. Wenn er ihn lang anſah, ward
ſein Herz auf einmal weich, und ein unwiderſteh-
licher Trieb zog ihn in die Arme ſeines Freundes.
Er ſchwur ihm ewige Treu, und verſprach, ihm kuͤnf-
tig die kleinſten Bewegungen ſeines Herzens zu
entdecken. Sie ſaſſen bey einander, bis die Daͤm-
merung anbrach; dann ſpielten ſie ein Duett, alle
Toͤne ſchmolzen in einander, wie ihre Seelen,
und wurden Eins.
Siegwart warf ſich, als ſein Freund wegge-
gangen war, auf ſein Knie, und dankte Gott fuͤr
dieſes himmliſche Geſchenk. Den andern Tag kam
auch P. Philipp zu ihm auf ſein Zimmer; ſein
Herz ward aufs neue zerriſſen, aber durch den Bal-
ſam der Freundſchaft ward es wieder geheilt. Nun
war er unaufhoͤrlich bey den beyden Edeln, naͤhrte
ſeine Seele mit der Weisheit des Paters, und der
himmliſchen Geſinnung ſeines juͤngern Freundes.
Sie genoſſen alle Freuden der Natur und des
Lebens miteinander, und fuͤhlten alle Wonne dop-
pelt. Siegwart bekam immer mehr einen feſten
und maͤnnlichen Karakter; bereicherte ſeine Kentniß
durch die Huͤlfe des Paters, deſſen Umgang ſo lehr-
reich war, weil er aus der Geſchichte der Menſch-
heit wahre Lebensregeln abgezogen hatte, die er
ſtets am rechten Ort anzuwenden wuſte. Dabey
lieh er auch Xavern viele gute Buͤcher, die er ihn
auf die rechte Art leſen lehrte. Kronhelm war
im Umgang, beſonders mit mehrern, mehr ſtill, als
geſpraͤchig; aber, was er ſprach, war empfunden
und gedacht. Sein Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne und
Gute war das tiefſte und feinſte. Er blieb ſich, in
allen Lagen immer gleich; und wen er einmal liebte,
O
von dem war ſein Herz nicht mehr abzuziehen;
ſein Freund muͤßte denn laſterhaft geworden ſeyn.
Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn
er war in der Wahl ſeiner Freunde vorſichtig und
langſam. Er machte keine Freundſchaftsverſiche-
rungen, und bot ſeine Dienſte niemals an; aber,
ſobald ſein Freund ſie noͤtig hatte, half er ihm,
ohne was davon zu ſagen.
Vierzehn Tage nach ſeiner Gefangenſchaft
wurde Kreutzner ſeinem Vater uͤberliefert, und,
auf deſſen Verfuͤgung, unter ein Kayſerliches Re-
giment in Ungarn geſteckt. Er hatte gewuͤnſcht,
unſern Siegwart noch einmal zu ſprechen; dieſer
verbat ſichs aber, weil er ihn zu ſehr verachtete;
doch ſchickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld
zu, weil er vom Famulus gehoͤrt hatte, daß er
halb krank, und von allem Noͤthigen entbloͤßt ſey.
Bald drauf ſchrieb Siegwart ſeiner Schwe-
ſter Thereſe, die er waͤhrend ſeines genauern Um-
gangs mit Kreutzner faſt vergeſſen hatte. Er
bat ſie, wegen ſeines laͤngern Schweigens, ſehr
beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig
die Urſache davon, und berichtete ihr Kreutzners
Schickſal. Von P. Philipp und Kronhelms
Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr
noch eine Adreſſe auſſerhalb dem Kloſter, wo die
Briefe an ihn abgegeben werden ſollten. Kron-
helm hatte ihm dieſe Gelegenheit gezeigt; denn
alle Briefe, die vom Kloſter aus geſchrieben, oder
dahin adreſſirt ſind, muͤſſen erſt vom Prior gele-
ſen werden, und dieß war unſerm Siegwart und
Kronhelm ſehr verdruͤßlich. Thereſe ſchickte ihm
nach etlichen Tagen dieſen Brief;
Theureſter Bruder!
Tauſendmal hab ich ſchon dem Himmel ge-
dankt, daß du nun des Kreutzners gaͤnzlich los
biſt. Jch weiß nicht, ich konnte den Menſchen
gar nie ausſtehn, ob ich gleich nur wenig von
ihm wußte. Aber dein Pater Philipp, und dein
Kronhelm ſind gar liebe Leute, denen ich recht
herzlich gut bin. Sags ihnen nur! Sie duͤrfens
wiſſen! War das nicht brav gehandelt, daß der
Herr von Kronhelm, um den du’s eben nicht
verdient hatteſt, gleich von freyen Stuͤcken zu dir
kam, und dir ſeine Freundſchaft wieder anboth?
Jch mußte weinen, als ichs las, und ward ihm
noch einmal ſo gut. Ach, es muß ein herrlicher
Menſch ſeyn, und der Pater auch. Nimm dich
nur in Acht, ich bitt dich lieber Bruder, daß du
ihre Freundſchaft nicht aufs neue verſcherzeſt,
und dich mit einem andern zu weit einlaͤſſeſt! denn
die Beyden meynens gewiß recht ehrlich mit dir.
Denk, wie ungluͤcklich du durch Kreutznern haͤt-
teſt werden koͤnnen! Papa wird dir auch druͤber
ſchreiben. Unſre Salome iſt ſeit vier Wochen
wieder hier. Jch mag nicht gerne klagen, ſonſt
koͤnnt ich dir gar viel anfuͤhren, wie ſie mir im-
mer ſo zuwider iſt. Sie ſagt, daß ſie vom kuͤnf-
tigen Herbſt an ganz in Muͤnchen bleiben will.
Jch habe nichts dawider, denn mit mir und dem
Landleben ſcheint ſie ſich einmal nicht vertragen
zu koͤnnen; ob ich ihr gleich gewiß nichts wiſſent-
lich zu leide thu. Karl will des Amtmanns in
Dollingen Tochter heyrathen; ich weiß nicht, ob
du ſie kennſt? Sie hat uns einmal, ſchon vor
drey Jahren, beſucht. Jch kenne ſie nicht genug,
um dir meine Meynung uͤber ſie ſagen zu koͤn-
nen. Das weiß ich, daß ſie reich und geitzig iſt;
mich ſah ſie nicht viel an, als ſie neulich hier
war; es ſcheint, ich bin ihr zu munter; denn ſie
ſieht immer ſehr verdruͤßlich aus, und thut ſo
altklug. Karl daurt mich, wenn er ſie kriegt;
freylich ſieht er auch aufs Geld; aber ich daͤchte,
nach meiner einfaͤltigen Meynung, das waͤre
zur haͤuslichen Gluͤckſeligkeit noch nicht genug.
Wenn ich ein Mann waͤr, und eine Frau haben
wollte, ſo muͤßte ſie mir fein freundlich ſeyn, und
nicht bey jedem Heller, den man ausgibt, ſo ein
ſaures Geſicht machen; doch das geht mich ja
nichts an. Papa wuͤrd ihms auch mißrathen,
wenn er ſich nur einreden lieſſe. — Weiſt du
ſchon, daß in Burgau Preußiſche Officiers liegen,
die von der Reichsarmee gefangen worden ſind?
Es haben uns ſchon mehrere verſchiednemal be-
ſucht; aber einer, der mir ausnehmend gefaͤllt, be-
ſucht uns beſonders oft, und das iſt der Haupt-
mann, Herr von Northern. Jch ſag dir, Bru-
der, das iſt ein herrlicher Mann, gar nicht ſo,
wie man uns die Ketzer ſonſt beſchrieben hat.
Er ſoll reformirt ſeyn, ich glaub aus dem Heſſi-
ſchen; aber das thut nichts; er iſt doch ein bra-
ver Mann! Er hat ein paar ſchwarze Augen,
wie Perlen, und ein Geſicht, das von der Sonne
ganz verbrannt iſt, mit ein paar Narben, eine
auf der Stirn, und die andre unten am Kinn;
und doch ſieht er freundlich aus, und hat gar
nichts ſo rauhes an ſich, wie man ſonſt von den
Soldaten ſagt. Er ſpricht ganz fremd, und das
ſteht ihm recht gut. Jch hoͤr ihm gar zu gern
zu, wenn er vom Krieg erzaͤlt, und von ſeinem
Koͤnig. Um den Krieg muß es eine ſchroͤckliche
Sache ſeyn, weit fuͤrchterlicher, als wirs uns vor-
ſtellten, da wir als Kinder mit einander Krieg
ſpielten. Er kann von Wunder nicht genug er-
zaͤlen, was die armen Bauren ausſtehn, wo der
Krieg iſt; und wie’s auf dem Wahlplatz und in
den Lazarethen ausſieht! Die Thraͤnen ſiehen
ihm oft ſelbſt dabey in den Augen. Wenn ich
Koͤnig oder Kayſer waͤre, ſo wuͤrd ich viel auf
den Frieden halten. Vom Koͤnig in Preuſſen
erzaͤlt er uns viel Gutes; mehr, als man hier zu
Land ſagen darf. Am liebſten hoͤr ich ihm zu,
wenn er uns von ſeiner Braut erzaͤlt, die weit
von hier weg ſeyn ſoll. Er muß ſie recht lieb
haben, denn er iſt immer ſo bewegt, wenn er
von ihr ſpricht. Sie ſoll ausſehn, wie ich; aber
ich glaub, er ſagt nur ſo; denn er weiß, daß ichs
gerne hoͤre. Von Buͤchern iſt er ein groſſer Lieb-
haber. Als er neulich hoͤrte, daß ich gern was
ſchoͤnes leſe, brachte er mir gleich darauf drey
Buͤcher mit. Eins heißt: Gellerts Fabeln, und
und es ließt ſich gut darinn, weil alles ſo leicht
und faßlich iſt, und weils der Mann, ders ge-
ſchrieben hat, recht gut mit einem meynt. Das
andre Buch iſt ſchon hoͤher geſchrieben, und heißt
Rabeners Satyren; es ſollen mehr Baͤnde ſeyn;
in dem, den ich habe, ſtehen lauter Briefe, die
recht luſtig zu leſen ſind; oft ſteckt viel dahin-
ter, und die meiſten ſind ſo recht natuͤrlich. Das
dritte Buch ſoll weit ſchwerer zu verſtehen ſeyn,
aber dafuͤr ſoll auch deſto mehr drinnen ſtehn;
der Herr Hauptmann ruͤhmts gar ungemein, und
nennts ein Buch aller Buͤcher, das ihn beſonders
im Krieg recht erbaut habe. Es heißt der Meſ-
ſias, und iſt in ganz beſondern Verſen geſchrie-
ben. Jch hab den Mann wieder vergeſſen, ders
geſchrieben hat, und noch fortſetzt; er hat ei-
nen ſonderbaren Namen. Weil das Buch
ſchwer iſt, und ſo ſchoͤn ſeyn ſoll, will ich
lieber bis gegen den Winter warten, da ich
mehr Zeit zum Leſen und zum Nachdenken habe,
denn ich leſe gern was ernſthaftes, aber da muß
mich dann auch nichts zerſtreuen. Der Herr
Hauptmann iſt gar gut, und ſagt, ich koͤnne die
Buͤcher behalten, ſo lang ich wolle. Er ließt mir
oft etwas vor, und ließt recht angenehm, daß
mirs immer beſſer gefaͤllt, als wenn ichs fuͤr mich
in der Stille leſe. Salome kann ihn nicht gut
ausſtehn; ich glaub, weil er mehr mit mir macht,
als mit ihr. Aber da kann ich ja nichts dafuͤr.
Sie ſagt, ich haͤnge mich an den Ketzer, und ſey
in ihn verliebt. Das iſt ja laͤcherlich, da er ei-
ne Braut hat. Oder ſoll ich nicht mit ihm ſpre-
chen, weil er ein Ketzer iſt? Er iſt doch ſo ar-
tig, und hat ein recht gutes Gemuͤth, ſo gut als
ein Katholik. — Jch hab dir dießmal recht viel
geſchrieben, Bruder; das macht, weil ich dich ſo
lieb habe, und dir gern alle Kleinigkeiten erzaͤhle,
die mich angehn. Der Herr Hauptmann weiß
es auch, daß ich dich ſo lieb habe, und laͤßt dich
vielmals gruͤſſen. Er ſagt, du ſollteſt nur kein
Moͤnch werden. Leb recht wohl, herzliebſter Bru-
der, und gib mir bald Nachricht, wie’s dir geht?
Empfiehl mich dem Herrn P. Philipp, und dem
Herrn von Kronhelm aufs beſte! Jch verbleibe
lebenslang
Deine getreuſte Schweſter
Thereſe.
Siegwart gieng gleich mit dieſem Brief
auf Kronhelms Zimmer, und las ihn ihm vor.
Kronhelm war uͤber die ſchoͤne Einfalt des Maͤd-
chens ganz entzuͤckt, und nun mußte ihm Sieg-
wart den ganzen Abend durch von ihr erzaͤlen.
Er thats mit ſo vieler Waͤrme, und herzlicher,
ungekuͤnſtelter, bruͤderlicher Liebe, daß Kronhelms
ganze Seele von ihr eingenommen wurde, und an
allen Kleinigkeiten Antheil nahm, die ſie betrafen.
Er trug ihm ſeine vielfache Empfehlung an ſie,
und die Verſicherung der |aufrichtigſten Hochach-
tung auf. Xaver, ſagte er, ich bedaure dich,
daß du einſt durch keine Frau gluͤcklich werden
ſollſt; ich halte die haͤusliche Gluͤckſeligkeit fuͤr
die groͤſte, ob ich gleich in meines Vaters Hauſe,
leyder! nie keine Spur davon angetroffen habe.
Du ſprachſt vorhin von deiner lieben Schweſter
mit ſo vieler Waͤrme; du bemerkſt alle Vorzuͤge
des weiblichen Geſchlechts ſo genau, weiſt ſie ſo
zu ſchaͤtzen, und fuͤhlſt ſie ſo tief, daß ich bange
fuͤr dich bin, wenn du einmal ein Maͤdchen an-
treffen ſollteſt, welches deiner Schweſter aͤhnlich
iſt. Glaub mir, Siegwart, mit einem fuͤhlen-
den Herzen in der Welt zu leben, und nicht fuͤh-
len zu duͤrfen, muß der groͤſte Schmerz ſeyn,
der unſichtbar am Leben nagt. Dein Herz iſt
jedem Eindruck ſo offen, haͤngt ſich gleich ſo feſt
an alles Gute an; und die Liebe, Siegwart, muß
was Gutes ſeyn. Warum fuͤhlte ſie denn jeder
Menſch, auch die Beſten auf der Welt? Nimm
dich in Acht, mein Lieber! oder waͤhl lieber einen
Stand gar nicht, der dem Herzen ſo vielen Zwang
anlegt! Denk einmal, wenn du liebteſt, und nicht
lieben duͤrfteſt! Wenn du ſaͤheſt, daß ein Maͤd-
chen dich allein gluͤcklich machen koͤnnte, und du
muͤßteſt, aus ihrer Gegenwart weg, in deine ewi-
ge Gefangenſchaft und Einſamkeit zuruͤckkehren!
Siegwart. Geh, Kronhelm, du ſiehſt jetzt
die Sache von der traurigen Seite an, und ver-
giſſeſt druͤber ihre angenehme. Jch hab im Klo-
ſter hoͤhere Pflichten zu erfuͤllen, die mich von
der Welt ſchon abziehen werden. Vor der Liebe
iſt mir gar nicht bang; ich bekuͤmmere mich zwar
wol um meine Schweſter, aber nicht um andre
Maͤdchen. Jch halte auch das haͤußliche Leben
fuͤr eine große Gluͤckſeligkeit, und habe ſie in
meinem Hauſe recht geſehn, ſo lang meine ſelige
Mutter lebte; aber deswegen gibts der Gluͤckſelig-
keiten noch mehr, und jeder Menſch ſucht ſie auf
ſeinem eignen Weg. — Du ſahſt vorhin ſo weh-
muͤtig aus, als du von deinem Vater ſpracheſt,
hat er denn deine Mutter nicht geliebt?
Kronhelm. Ach, Siegwart, da bringſt du
mich auf eine traurige Sache, von der ich un-
gern rede; aber dir kann ich nichts verhehlen;
ich weiß, daß du’s bey dir behaͤltſt. Sieh, mein
Vater iſt ein Mann — es thut mir weh, daß
ichs ſagen muß — wie ich nicht ſeyn moͤchte.
Er hat ſich in Muͤnchen und im Krieg eine Le-
bensart angewoͤhnt, bey der die haͤusliche Gluͤck-
ſeligkeit nicht gut beſtehen kann. Meine ſelige
Mutter mußte ihn in ihrem ſiebzehenten Jahr
heyrathen. Sie war ein Fraͤulein aus der
Pfalz, wo ſie mein Vater, als er mit den Reichs-
truppen am Rhein ſtand, kennen lernte. Er hat-
te ſie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem
Land geſehen, und ſich gleich in ſie verliebt. Bru-
der, ſagte er zu meinem Großvater, der auch
gern bey der Weinflaſche ſaß, ich muß deine Toch-
ter haben! — Gut, du ſollſt ſie haben; willſt ſie
Heut, oder Morgen? antwortete dieſer. Und nun
war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig
Vermoͤgen; ſie wars uͤberdruͤſſig, unter dem be-
ſtaͤndigen Gelaͤrm in ihres Vaters Haus zu le-
ben; denn alle Tage gabs Geſellſchaft; ſie hofte,
meinen Vater, der ſehr verliebt in ſie war, bald
auf den rechten Weg bringen zu koͤnnen, und
gieng mit ihm auf ſeine Guͤter nach Baiern.
Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater leb-
te ſtill und eingezogen, war gern um ſeine Frau,
und legte, ihr zu Lieb, faſt alle ſeine vorige Ge-
wohnheiten ab; beſonders das Fluchen und das
Trinken. Nach ein paar Jahren, als der Krieg
vorbey war, kamen zwey oder drey Edelleute, die
im Krieg ſeine Kammeraden geweſen waren, in
unſre Nachbarſchaft; beſuchten meinen Vater fleiſ-
ſig; und er fieng ſeinen vorigen Lebenswandel
wieder an. Man ſpielte, trank, fluchte, gieng auf
die Jagd, kam um Mitternacht mit 3 oder 4
Junkern nach Haus, und unſer Schloß ſah einer
Dorſſchenke aͤhnlicher als einem Edelhof. Mei-
ne Mutter, die eine trefliche und fromme Frau
war, trug ihr Leiden lang in der Stille. Jch
weiß es noch aus meiner Kindheit, wie ſie oft
auf unſrer Kammer weinte, da indeß die Edelleu-
te beym Weinkrug laͤrmten. Endlich nahm mein
Vater auch eine Perſon ins Haus, die er noch
bey ſich hat, die vorher etliche Jahr im Feld
mit herum gezogen war, und ſich mit den ge-
meinſten Kerls abgegeben hatte. Dieſer uͤbergab
er die ganze Herrſchaft, und ſie wuſte ſich derſel-
ben nur zu viel zu bedienen. Sie war mit bey
Tiſche, und brachte mit meinem Vater und der
uͤbrigen Geſellſchaft ſolche Zoten und Zweydeutig-
keiten vor, daß meine Mutter alle Augenblicke
weggehen mußte, wenn ſie nicht roth werden woll-
te. Kunigunde, ſo heiſt die Perſon, that meiner
Mutter alles moͤgliche Herzeleid an; ſtichelte auf
ſie; gab ihr grobe Reden; und ſagte oft, daß ſie
nur aus Gnaden auf dem Schloß ſey. Mir
und meinem Bruder, und meinen zwey Schweſtern
begegnete ſie aufs grauſamſte, ſchimpfte auf uns,
ſchlug uns nach Gefallen, und lehrte meine Schwe-
ſtern die leichtſinnigſten Zoten und Lieder. Meine
Mutter, die ſonſt Staͤrke der Seele genug hat-
te, konnte das nicht laͤnger anſehen; ſie fuͤr ſich
haͤtte gern gelitten; aber wir daurten ſie zu ſehr;
ſie hielt alſo bey meinem Vater an, ob ſie mit
uns auf ein entferntes Gut ziehen duͤrſte, das
ihm zugehoͤrt? Er willigte mit Freuden ein, denn
das war laͤngſt ſeine und Kunigundens Abſicht
geweſen, die ihm deswegen immer in den Ohren
gelegen hatte. — Wir reißten alſo mit unſrer
Mutter nach Wißdorf, wo wir unter ihrer Auf-
ſicht die treflichſte Erziehung genoſſen, die ich ihr
noch tauſendmal im Grab verdanken muß. Sie
hatte das zarteſte Gefuͤhl des Herzens, das bey
jedem fremden Elend mit litt, und an jeder Freu-
de ihrer Nebenmenſchen Antheil nahm. Sie war
eine Wohlthaͤterinn der ganzen Gegend; verarm-
te Bauren, bedraͤngte Witwen, ungluͤckliche El-
tern kamen zu ihr, und giengen mit Troſt und
Rath wieder von ihr weg. Jhr Verſtand war
ſcharf und fein, daß ſie gleich bey jeder Sache
auf den Grund kam; gleich die beſten Mittel
waͤhlte, oder angab, und ſich in jedermann zu
ſchicken wuſte. Jhre Lebhaftigkeit war auſſeror-
dentlich; an allem, was ſie ſah und hoͤrte, nahm
ſie Antheil; unſre Spiele machte ſie Stundenlang
mit, und wuſte ſie uns immer neu und unter-
haltend zu machen, denn niemand war erfinderi-
ſcher, als ſie. Jhr Herz beſchaͤftigte ſich unablaͤſ-
ſig mit der Religion, und doch bezogen ſich alle
ihre Handlungen, auch ihre Andachtsuͤbungen,
beſtaͤndig auf das Wohl der Menſchen,
und beſonders ihrer Kinder. Sie wuſte
uns die wichtigſten Wahrheiten und die heiligſten
Geſinnungen ſpielend, und gleichſam nur von un-
gefaͤhr beyzubringen. Keine ſeyerliche Gelegen-
heit, wenn das Herz zu den Eindruͤcken der Re-
ligion am geſchickteſten iſt, ließ ſie ungenuͤtzt vor-
bey gehen. Wenn wir von der Schoͤnheit der
Natur recht entzuͤckt waren, zeigte ſie uns un-
vermerkt den Urheber derſelben, und floͤßte uns
Ehrfurcht und Liebe gegen Jhn ein. Oft kniete
ſie mit uns in ihrer Kammer, betete mit Thraͤ-
nen um das Wohl, und die Erleuchtung unſers
Vaters; um unſer zeitliches Gluͤck, um die Erhal-
tung unſerer Unſchuld, und daß ſie uns einmal alle
wieder bey ſich im Himmel verſammelt ſehen moͤch-
te! Dieſes Krucifix hier auf dem Tiſch iſt mir ewig
heilig. Sie hatte es in ihrer Kammer, kniete
oft davor mit heiſſer Jnnbrunſt, und benetzte es
mit ihren Thraͤnen. Nie hab ich von unſrer hei-
ligen Religion mit ſolcher Einfalt, mit ſolcher Wuͤr-
de, und mit ſolcher innigen Empfindung ſprechen
hoͤren. So aͤuſſerſt zart von Gefuͤhl, und ſo aͤngſt-
lich ſie auch von Natur war, ſo ſtreng auch ihre
Grundſaͤtze von Religion und Tugend waren,
ſo verleitete ſie dieſes doch nie zur Liebloſigkeit
in Beurtheilung anderer. Sie war ſtreng,
aber gegen ſich am ſtrengſten. Wenn ſie ſich zu-
weilen auch wegen andrer, und beſonders wegen
ihrer Kinder, zu vielen, auch wol ungegruͤndeten
Kummer machte, ſo war doch die Quelle davon
ſo rein, ſo edel, daß ihr gewiß jedes dieſer Leiden
ewig wird vergolten werden. Die Religion gab
ihrem Herzen die groͤſte Feſtigkeit; ſie wuͤrde,
wenn ich jemals von ihr wanken koͤnnte, mit der
Muter der ſieben Bruͤder geſagt haben: Sohn,
erbarm dich mein, und ſtirb! Jhr Geſchmack
war ſo ſicher, daß ihr nicht das geringſte Gute
oder Boͤſe an einer Handlung entwiſchte. Sie folg-
te immer der Natur; Jhre Kleidung zeugte von
der groͤſten Einfalt; ſie gieng nie praͤchtig; aber
immer reinlich und zierlich. Von uns war ſie die
vertrauteſte Freundinn, vor der wir keine Heimlich-
keiten hatten. Sie ſorgte vor die Bildung unſers
Herzens, und gab uns einen treuen Leiter unſers
kindiſchen Verſtandes, den rechtſchaffnen Fried-
mann, der uns alles wurde; dem wir, naͤchſt ihr,
alles zu verdanken haben. Er kam als ein Menſch
von zwanzig Jahren zu uns, und blieb bey uns
bis in ſein dreiſſigſtes. Die Treue, die er an uns
bewieß, kann man von keinem Vater groͤſſer erwar-
ten. Alle ſeine Zeit, und alle ſeine Kraͤfte waren
uns gewidmet. Er hatte viele und ausgebreitete
Kenntniſſe, die er uns mit unermuͤdeter Geduld
und lauter Liebe einzufloͤſſen ſuchte. Sein Herz war
des ſanfreſte und beſte. Sein Geſicht druͤckte die gan-
zo ſtille Ruhe ſeiner Seele aus. Er war immer ernſt,
und doch beſtaͤndig heiter. Alle ſeine Reden lehr-
ten Weisheit, ohne daß man eine Abſicht an ihm
merkte, ſie zu lehren. Die Religion, fuͤr die er,
auch im aͤuſſerlichen die groͤſte Ehrerbietung hatte,
lenkte alle ſeine Handlungen; und Geſchmack und
Weltkentnis machten alles, was er that, und ſprach,
angenehm. Meine Mutter hatte ihn zu ihrem
vertrauteſten Freund gemacht, und zog ihn bey al-
lem, was ſie mit uns vornahm, erſt zu Rath. Jn
ihrer letzten Krankheit vor drey Jahren mußte er
beſtaͤndig um ſie ſeyn, ſie unterhalten, und ihr aus
geiſtlichen Buͤchern vorleſen. Jhre letzte Mine
laͤchelte ihm Dank zu, und erinnerte ihn ans Wie-
derſehn im Himmel. Von ihrem Tode kann ich
dir nur wenig ſagen, Siegwart, denn das Anden-
ken daran iſt mir viel zu traurig. Sie lag lange
krank, und litt viel, aber immer mit Geduld und
himmliſcher Gelaſſenheit. Den Tag vor ihrem
Tode ließ ſie uns noch alle zu ſich kommen. Wir
knieten um ihr Bett herum, und glaubten zu ver-
gehen. Sie faßte ſich, wie ein Mann; betete mit
nie empfundner Jnnbrunſt; und gab uns ihren
Segen. Jch kann dir nicht ſagen, Freund, was
das fuͤr ein Auftritt war, und welchen tiefen Ein-
druck er, auf mein ganzes Leben, in mein Herz ge-
macht hat. Bey ihrem Tode waren wir nicht ge-
genwaͤrtig; ſie ſtarb fruͤh; Friedmann war allein
bey ihr, und wollte uns nicht rufen, um uns den
P
erſten unertraͤglichſten Schmerz zu erſparen. Jch
kam drauf zu meinem Onkel, dem geheimen Rath
von Kronhelm in Muͤnchen, wo ichs auch recht gut
hatte, bis ich vor zwey Jahren hieher kam. Mein
Bruder kam an Hof, wo er noch iſt; meine aͤltre Schwe-
ſter kam auch zu meinem Onkel nach Muͤnchen, wo
ſie ſich nun recht gluͤcklich an einen braven Mann
verheyrathet hat; und meine juͤngſte Schweſter
mußte zu meinem Vater, wo ſie noch iſt. Das
gute Maͤdchen daurt mich; denn ſie iſt zwar gut
erzogen, aber jetzt ſoll ſie, durch die freye Lebensart
bey meinem Vater, ſchon ziemlich verwildert ſeyn.
Friedmann bekam bald darauf, durch Vorſchub mei-
nes Onkels, eine gute und eintraͤgliche Bedienung.
Sieh, Xaver, das iſt die Geſchichte meiner,
nun begluͤckten Mutter, deren Andenken mir ewig
unvergeßlich und theuer ſeyn wird. Was ich dir
von meinem Vater geſagt habe, muſt du ja ver-
ſchweigen! Jch hab’s noch keinem Menſchen, auſ-
ſer dir, anvertraut.
Siegwart. Sey unbekuͤmmert druͤber, lie-
ber Kronhelm! Jch danke dir recht ſehr fuͤr die
Erzaͤlung. Sie hat mich unausſptechlich geruͤhrt.
Jch habe tauſendmal dabey an meine ſelige Mut-
ter gedacht, die ſoviel aͤhnliches mit deiner Mut-
ter hatte; nur ihr vieles Leiden ausgenommen;
denn — Gott ſey dank! — Jch hab den herrlich-
ſten und rechtſchaffenſten Vater, der meine Mut-
ter wie ſich ſelber liebte. — Was iſt denn nun
deine Beſtimmung, Kronhelm? Muſt du nun
wieder zu deinem Vater zuruͤck, wenn du ausſtu-
dirt haſt?
Kronhelm. Jch kann noch nichts gewiſſes
ſagen, Xaver. Mein Onkel will mich auch an
den Hof haben. Jch leb aber lieber auf dem Lan-
de, und muß auch einmal, als der aͤlteſte Sohn, die
Landguͤter, die zwar freylich etwas verſchulder ſind,
antreten. Jn anderthalb Jahren geh ich nach Jn-
golſtadt auf die Univerſitaͤt.
Jndem kam P. Philipp auf das Zimmer, um
bey dem angenehmen Wetter die beyden Freunde
zu einem Spatziergang an die Donau mitzuneh-
men. Sie brachten den Abend unter heitern
freundſchaftlichen Geſpraͤchen zu, und freuten ſich
der ſchoͤnen Witterung, die jedes Gras und jeden
Vogel neu belebte. An einem etwas erhoͤhten Theil
des Ufers, das mit Tannen und Eichen bepflanzt
war, fanden ſie die Gegend ſo ſchoͤn, daß ſich P.
Philipp mit den beyden Juͤnglingen niederſetzte,
ſein Reißzeug herauskriegte, und die Landſchaft zu
zeichnen anfieng. Vor ihnen floß die gruͤne
Donau ruhig; nur hie und da, wo groſſe Kieſel
lagen, warf ſie Wellen. Am jenſeitigen Ufer,
welches ſandig, und nur hin und wieder mit Wei-
den bewachſen war, ſtanden Kuͤhe halb im Waſſer,
und tranken. Dieſſeits des Ufers, welches
eine gruͤne Wieſe bedeckte, ſaſſen einige Knaben,
die ſich eben zum Baden auszogen. Siegwart und
Kronhelm ſetzten ſich eine Strecke weit vom P.
Philipp unter einen Tannenbaum, um ihn im Zeich-
nen nicht zu ſtoͤren. Erſt bewunderten ſie die ſchoͤne
mannigfaltige Gegend, und laſen dann zuſammen
eine Ekloge im Virgil, den Kronhelm zu ſich ge-
ſteckt hatte. Ploͤtzlich entſtand unten an der Do-
nau ein Geſchrey; denn einer von den Knaben,
welche badeten, wollte eben unterſinken. Unſre
beyden Juͤnglinge lieſſen den Virgil, den ſie ge-
meinſchaftlich hielten, fallen, daß er vor ihnen den
Berg hinunter holperte, und ſprangen in vollem
Trab den Berg hinab. Weil das Ufer ſteil und ſan-
dig war, daß der Sand unter den Fuͤſſen wegwich,
ſo ſtuͤrzte Kronhelm uͤber und uͤber, bis er unten
lag. Siegwart aber ſah und hoͤrte nichts, als
den Knaben in der Donau, und ſprang, ſo, wie er
war, hinein, um ihn zu retten. Kronhelm raff-
te ſich indeſſen wieder auf, und wollt ihm eben nach-
ſpringen, als der Pater auch den Berg herab kam,
und ihn zuruͤckhielt, weil er ſich das Geſicht ganz
blutruͤnſtig gefallen hatte. Siegwart brachte nun
den Knaben wieder aus dem Waſſer, der vor Schre-
cken und Todesangſt zitterte. Ein andrer Knabe,
der beym Schreyen ſeines Kammeraden ganz nackt
weggeſprungen war, kam mit deſſen ſeiner Mutter,
welche todtenblaß ausſah, herbeygelaufen. Wo iſt
er? wo iſt er? rief ſie, ohne jemand am Ufer zu
bemerken, und rannte wild ans Waſſer hin. Phi-
lipp eilte, ſie zuruͤckzuhalten, und ſagte, daß ihr
Sohn gerettet ſey. — So? So? rief ſie, ſah ſtier
um ſich, und flog endlich, als ſie ihren Knaben ſitzen
ſah, auf ihn zu, umſchlang ihn, als ob ſie ihn
zerdruͤcken wollte; rief: Gott ſey ewig Lob und
Dank, daß ich dich wieder habe! und brach in
einen Strom von Thraͤnen aus. — Und welcher
Heilige hat dich denn errettet, Joſeph? — Jch
weiß nicht, Mutter, war des Knaben Antwort. —
Hier, dem jungen Herren da, hat ſies zu verdan-
ken, ſagte Pater Philipp, und wieß auf unſern
Siegwart. — Jhm? Jhm? Nun, ſo dank Jhm
Gott! belohn Jhn, ſegn Jhn tauſendfaͤltig! Du
lieber Gott! hat Ers gethan? Sieht er? ’s iſt mir
ſo Ernſt zum Danken; aber ich kann nicht. —
Du lieber Herzensknab! wenn ich dich verlohren
haͤtte! — Aber das verfluchte Baden, daß du mir
das kuͤnftig laͤſſeſt! — Sieh, da ſeh ich erſt, daß
du ganz nackt biſt. — Die Herrn muͤſſen dirs nicht
uͤbel nehmen; ich habs nicht gewußt. — Lieber
Gott, wenn du da ertrunken waͤreſt! O junger
Herr, er hat mirs Leben erhalten; weiß Gott, er
hats! Der Jung geht mir uͤber alles — Nicht
wahr, Herzens Joſeph? Aber daß du mir nur nicht
wieder badeſt. — Sieht er, junger Herr, wenn
ich kuͤnftig einmal Freud an ihm erlebe, ſo verdank
ichs Jhm; und taͤglich will ich vier Roſenkraͤnze
fuͤr ihn beten; aber ſonſt hab ich nichts; ich bin
ein armes Weib. — Nun fieng ſie an zu wei-
nen. —
Als Philipp mit ſeinen jungen Freunden end-
lich weggieng, kuͤßte ſie Siegwarten noch die
Hand; dieſer druͤckte ihr, zum Andenken, wie er
ſagte, einen Gulden in die Hand; Philipp und
Kronhelm thatens auch. Nun war ſie gar auſſer
ſich, und wollte vor ihnen auf die Knie niederfal-
len; noch hundertmal rief ſie ihnen nach: Tauſend
Gotteslohn! und ihr Knabe mußte ihnen noch ein-
mal nachſpringen, da ſie ſchon weit weg waren,
und jedem noch die Hand kuͤſſen.
Das iſt eine traurige Bemerkung, ſagte Phi-
lipp, die ich ſchon recht oft gemacht habe, daß der
Anblick des Geldes uͤber das Baurenvolk alles ver-
mag! Sie wiſſen nicht mehr, wo ſie ſind? wenn
ſie ein paar Gulden ſehen, und halten keine andre
Wohlthat fuͤr ſo groß. Entweder ſetzen ſie all ihr
Vertrauen drauf, oder die Landsherren laſſen ihnen
ſo wenig, daß ſie’s fuͤr die groͤſte Seltenheit, und
eben darum fuͤr das groͤſte Gut halten.
Siegwart. Jch fuͤrchte faſt das letztere. —
Aber, Kronhelm, da ſeh ich erſt, daß du im Ge-
ſicht ganz blutig biſt. Es iſt dir doch kein Ungluͤck
begegnet?
Kronhelm. Nein, ich fiel nur den Berg
herab, als ich dem Knaben zu Huͤlf kommen woll-
te. Es hat gar nichts zu bedeuten.
Siegwart. So? wollteſt du auch in die
Donau ſpringen? Jch glaub, du kannſt nicht ein-
mal ſchwimmen.
Kronhelm. Doch! Jch habs im Lech ge-
lernt; der fließt ja an unſerm Schloß vorbey. —
Du biſt noch ganz naß, Siegwart. Wenn dirs
nur nicht ſchadet, daß du dich verkaͤltet haſt?
Siegwart. Ey, was! das hat nichts zu ſa-
gen! Ueber der Freud hab ich alles wieder vergeſ-
ſen. Jch kanns wohl ſagen: Es iſt mir herzlich
lieb, daß ich den Knaben noch errettet habe. Er
klammerte ſich ſo ſeſt an mich an, und machte ſich
ſo ſchwer, daß ich faſt mit ihm hinunter ſank.
Nun bin ich aber auch recht muͤd.
P. Philipp. Das glaub ich, lieber Sieg-
wart; ich bins ſchon vom Schrecken. Dafuͤr ſoll
ihm aber auch die Ruhe heut recht ſuͤß ſchmecken.
So ein Tag geht uͤber alles! Zuvor wollen wir noch
ein gutes Glas Rheinwein mit einander trinken;
ich hab geſtern welchen geſchenkt gekriegt. Und
morgen, lieber Siegwart, mach ich meine Land-
ſchaft vollends fertig, und zeichne ſeine, und des
braven Kronhelms That drauf. Jhm kopier ich
das Stuͤck auch, lieber Herr von Kronhelm. Jhr
muͤßts dann beyde, zum ewigen Andenken, in eu-
rem Zimmer aufhaͤngen.
Nun kamen ſie ins Kloſter zuruͤck, und brach-
ten den Abend recht vergnuͤgt bey einem Glas
Wein zu. Siegwart fuͤhlte ſo ein inniges Ver-
gnuͤgen uͤber ſeine That, ohne dran zu denken,
wie ein Schutzgeiſt, der einen Entſchluß, den er
ſeinem Freund im Schlaf eingefluͤſtert hat, zur That
werden ſieht. Siegwart und Kronhelm bere-
deten ſich, bey ihrem Prior anzuhalten, ob ſie
nicht auf Ein Zimmer zuſammen ziehen duͤrften?
Der Prior gab es ohne Anſtand zu; und Kron-
helm zog auf Siegwarts Zimmer, das, wegen
ſeiner herrlichen Ausſicht, ſo vorzuͤglich war. Die
beyden Freunde fuͤhlten ſo viele Uebereinſtimmung
ihrer Seelen; ihre kleinſten Empfindungen ſchmol-
zen ſo ineinander, daß ſie beynahe unzertrennlich
wurden; und in jedem Augenblick eine Leere fuͤhl-
ten, den ſie nicht miteinander zubringen konnten.
Kronhelm, der in den eigentlichen Wiſſenſchaf-
ten ſchon weiter war, theilte unvermerkt im Um-
gang alle ſeine Kentniſſe ſeinem Freunde mit,
und P. Philipp erweiterte ſie durch ſeinen Um-
gang immer mehr. Er liebte ſie, wie ſeine Kin-
der. Beyde malte er ab, und hieng ſie uͤber ſei-
nem Schreibpult auf. Die beyden Bildniſſe ſahn
einander an, und laͤchelten ſich mit dem unbe-
ſchreiblichſten Gefuͤhl der Freundſchaft zu. Wers
nicht wuſte, ſah es, daß die Beyden Freunde wa-
ren. — Zweymal in der Woche gab der junge
Pater, der Muſikdirektor war, ein Koncert, und
unſre beyden Juͤnglinge nahmen ſo ſehr im Vio-
linſpielen zu, daß ſie Meiſter wurden. Sie ſpiel-
ten ſich in ihren Privatuͤbungen ſo zuſammen,
daß, wenn ſie ſpielten, die Toͤne ihrer Violinen
zwey Baͤche ſchienen, die erſt nebeneinander her-
rieſeln, und dann in eins zuſammenfließen. Auch
im Singen nahm Siegwart taͤglich zu.
Gegen den Herbſt bekam Kronhelm folgen-
den Brief von ſeinem Vater:
Mein Sohn.
Jch ſag dir, Jung, du muſt zu mir kom-
men, und mich auch beſuchen thun. Sapperment,
hab dich ja ſint vielen Jahren nit gſehn. D’Jagt
iſt braf, und Hirſch und Reh gibts ihr gnug, auch
Haaſen die ſchwere Meng. Komm nur und ſollt
deine Luſt hahn. Muß doch auch mal ſehn,
wie d’ ausſehen thuſt, biſt wol ein Kopf groͤſſer
worden? Narr, ’s ſind dir Junker im Land, die’s
mit’m fuͤrſtlichen Jaͤger aufnimmen thaͤten. Wirſt
doch ſchieſſen koͤnnen, ſonſt biſt ’n Hundsfutt, und
’n alte Hur, ſag ich. Kanſt auch ’n Kammra-
den mitnemmen, oder ’n Paar, wenn d’ willt.
Z’freſſen gibts gnug. Auch z’ ſauffen. Hol mich
der Teufel! ich bin dein getreuer Vater, und
muſt kommen, ſag ich, auf d’ Fakkants. Schreib
mirs erſt, wie viel Gaͤul du brauchen thuſt, daß
ichs ſchick durch den Jackerl, und wenn du kom-
men willt? Hafts ghoͤrt? Bin, wie ſchon geſagt
dein ehrlicher Vater
Veit Kronehelm.
Kronhelm gieng nicht gern, aber er muſte
doch. Er trugs unſerm Siegwart an, ob er ihn
begleiten wolle? Jch weiß wol, ſagte er, daß du
da wenig Freude haben wirſt, und mehr Verdruß;
aber, Bruder, du erzeigteſt mir einen auſſerordent-
lichen Gefallen. Die Zeit wuͤrde mir drauſſen ſo
lang werden, wenn ich mit keinem Menſchen um-
gehn koͤnnte; und ohne dich kann ich faſt gar
nicht mehr ſeyn. Willſt dus thun, Xaverchen?
Jch thu dir auch wieder einen Gefallen. Nicht
wahr? Du gehſt mit? Siegwart antwortete:
Freylich, Kronhelm! wo du hin willſt, und
wenns in die Hoͤlle waͤre! Daß du auch noch
ſo was fragen kannſt? Meynſt denn, ich moͤcht
ohne dich hier ſeyn?
Kronhelm ſchrieb alſo ſeinem Vater, er
wuͤrde zu Anfang des Auguſts, wenn das Schul-
jahr geendigt waͤre, mit noch einem Freunde zu
ihm kommen, und die Ferien da zubringen. —
Jetzt war er ſehr beſchaͤftigt, die Rolle auswen-
dig zu lernen, die er bey der bevorſtehenden Schul-
komoͤdie zu ſpielen hatte. Xavern wurde noch kei-
ne Rolle aufgetragen, weil er noch nicht lang
auf der Schule war; aber im Orcheſter ſpielte er
mit, und akkompagnirte bey dem Singſpiel eine
obligate Arie, auf der Violine, mit ſolch allgemei-
nem Beyfall, daß das ganze Parterre zuſammen
klatſchte, und den Saͤnger, der nicht ſchlecht war,
druͤber vergaß.
Zwey Tage drauf, nach der Schulkomoͤdie,
ſchickte Junker Veit ſeinen Neitknecht mit drey
Pferden nach der Stadt, um ſeinen Sohn und
Siegwart abzuholen. Sie nahmen ihre Violi-
nen mit, um ſich allenfalls die Zeit zu vertreiben,
und ſteckten den Virgil, nebſt noch ein paar Buͤ-
chern zu ſich. Der Reitknecht Jakob, oder Ja-
kerl, war ein luſtiger Kerl, den Junker Veit im
Nothfall ſtatt eines Kammeraden brauchte, denn
er verſtund die Jaͤgerey aus dem Grunde, und
hatte auch jetzt einen Windhund, einen Huͤhner-
hund, einen Dax und eine Flinte bey ſich. Das
Schloß des Junkers lag ſechs Stunden weit vom
Staͤdtchen, und hieß Steinfeld. Der Weg da-
hin gieng mehrentheils durch Ebenen und Tan-
nenwaͤlder. Jakob ſah die ganze Gegend als ein
Jaͤger an, und wenn ein dicker Wald kam, be-
daurte er immer, daß der gnaͤdge Herr dieſen
Forſt nicht habe. Der Donner! rief er einmal
aus, als ein Volk Rebhuͤner aufflog, was ich fuͤr
ein Eſel bin! Man ſollt mich gleich erſchieſſen,
daß ich mein Huͤhnergarn nicht mit genommen
habe! Haͤtte da mein Tyras ſie ſo ſchoͤn ſtellen
koͤnnen! Was wuͤrde ſich mein Herr g’freut ha-
ben, wenn ich ihm was fremdes mitbracht haͤtt!
Aber ſo gehts; man vergiſt immer ’s beſt! —
Sie ritten nun durch einen Eichenwald, und ploͤtz-
lich geſchah hinter ihnen ein Schuß; als ſich
Siegwart und Kronhelm umſahn, hatte Jakerl
losgedruckt, und rannte nun mit ſeinem Pferd
und dem Windſpiel ins Gebuͤſch hinein. Die
beyden ſahn einander an, und wuſten nicht, was
ſie ſagen ſollten? Nachdem ſie eine Weile auf
den Reitknecht gewartet hatten, ſo hoͤrten ſie im
Gebuͤſch drinnen ein groſſes Geſchrey, und ritten
drauf zu. Jakob war vom Pferd abgeſtiegen,
hatte ſein Weidmeſſer ausgezogen, und wollte den
Hirſch, den er geſchoſſen hatte, aufbrechen. Der
Jaͤger eines andern Edelmanns, dem der Forſt
gehoͤrte, war auf den Schuß hinzugekommen, und
wollte nun dem Reitknecht das Gewehr abneh-
men. Daruͤber entſtand ein groſſer Zank, denn
Jakob wollte ſich durchaus nicht ergeben. Was
gibts, Jakob? ſagte Kronhelm. — Ey was wirds
geben, Junker? Der Hundskerl da will mir den
Hirſch wegnehmen, der mir von Gotts und
Rechtswegen ghoͤrt, weil ich ihn gſchoſſen hab,
und ’s Gwehr dazu! Ja komm mir nur, Zigeu-
ner! Meynſt, ich ſey ein Wilderer (Wilddieb)
weil du mir ſo kommſt? Da frag nur meinen
Junker, ob ich nicht eines ehrlichen Edelmanns
Kutſcher ſey, und ein Jaͤger dazu, ſo gut, als
du?
Jaͤger. Zum Teufel! was ſchiert mich das?
Das iſt meines Herrn Forſt. Kehr du vor dei-
ner Thuͤr, und ich vor der meinen! ’s Gwehr
her, ſag ich, und den Hirſch auch! oder ’s geht
nicht gut! Nicht wahr, Junker, er iſt ein Spitz-
bub, und verdient den Galgen?
Kronhelm. Ein bischen langſam, guter
Freund! Der Bediente iſt mein, und ich bin des
Junker Kronhelms Sohn. (Hier nahm der Jaͤ-
ger ſchnell den Hut ab.) Sieht er, es iſt nicht
recht, daß mein Jakob das gethan hat, und ich
hab ihm’s auch nicht geheiſſen. Aber Er muß
es nun auch gut ſeyn laſſen! Der Hirſch iſt ſein,
und da hat er noch ein Trinkgeld fuͤr den Aer-
ger. — Jakerl, daß ihr mir den Augenblick das
Weidmeſſer einſteckt, und aufs Pferd ſteigt! Was
ſind das fuͤr Poſſen! (Jakob ſtieg aufs Pferd,
und ſah den Jaͤger von der Seite drohend an.)
Wer iſt denn ſein Herr, guter Freund? Jſt er hier
zu Lande?
Jaͤger. Ja, gnaͤdger Herr! Es iſt der
Junker Felsberg, ein Herr, wie die gute Stund,
der nie in eines andern Herrn Gau gejagt hat.
Kronhelm. Nun, ſchon gut! Den Junker
Felsberg kennt mein Vater wohl; Sie ſind die
beſten Freunde. Mach er ſeinem Herrn mein
Kompliment, und ſag er, ich laſſe wegen der
Narrheit meines Kerls um Vergebung bitten;
Mir ſeys leid! Bey Gelegenheit wirds mein
Vater ſchon noch ſelber thun. Adjeu!
Siegwart, Kronhelm und ſein Jakerl rit-
ten nun wieder aus dem Gebuͤſch in den Fahrweg.
Jakerl ſprach erſt kein Wort, und ſchien boͤſe zu
ſeyn. Endlich fieng er an: Aber, junger Herr;
nehmen Sie mir nun nicht uͤbel! Das war doch
nicht recht, daß ich da den ſchoͤnen Hirſch mußte
fahren laſſen! Hatte, meiner Seel! vierzehn En-
den. Jch moͤchte mir d’ Zung durchbeiſſen, wenn
ich dran denk! ’s iſt ſchon recht, daß man d’
Wilderer wegſchießt, und ich hab ſchon manchem
auch eins verſetzt, daß er ’s Aufſtehen druͤber ver-
gaß; aber daß man mir ’s Jagen verbieten will,
da ich doch einem Edelmann dien’, der ſeines glei-
chen im Land ſucht, das iſt nicht recht, ſag ich;
und das thut mir weh. — Jhr ſeyd nicht klug,
Jakerl, ſagte Kronhelm. Seyd ihr denn hier
in meines Vaters Waldungen, daß ihr ſchalten
und walten koͤnnt, wie ihr wollt? Denkt einmal,
wenn der Jaͤger in unſern Forſt gekommen waͤr,
ob ihr ihn da haͤttet ſchieſſen laſſen, wie er woll-
te? — Jakob ſchiens nun zu begreifen; brumm-
te aber immer noch etwas in den Bart hinein.
Sie kamen drauf durch ein Dorf, wo eine
Baurenhochzeit war. Unſre Juͤnglinge ſtiegen
beym Wirtshaus ab, um den Tanz mit anzuſe-
hen. Anfangs thaten die Bauren ganz furcht-
ſam, und wollten nicht mehr forttanzen; aber
Kronhelm winkte ſeinem Reitknecht, daß er ihnen
zu verſtehen geben ſollte, ſie moͤchten ſich in ih-
rer Luſt nicht ſtoͤren laſſen; die Herren ſehens
gerne, wenn ſie recht munter waͤren. Nun uͤber-
lieſſen ſich die jungen Leute ganz der Freude
wieder. Siegwart und Kronhelm fanden ein
gar inniges Vergnuͤgen an den aͤcht ſchwaͤbiſchen
Taͤnzen; wie die Bauren in den Wendungen ei-
ne ſo natuͤrliche Anmuth hatten, und die unge-
zwungenſten Abaͤnderungen machten, die kein, noch
ſo geuͤbter, Tanzmeiſter lehren kann. Sie ergoͤtzten
ſich an den mannigfachen Kuͤnſten; der Eine tanzte
auf den Knien, der andre auf Einem Bein, der
dritte hob ſein Maͤdchen in die Hoͤhe; ein Paar
hielt ſich mit den Haͤnden feſt, und ein Bauer
ſchlupfte unten durch, oder wiegte ſich darauf.
Waͤhrend dem Tanzen ſprachen die Taͤnzer und
die Taͤnzerinnen miteinander, oder die Bauren
ſangen nach dem Ton der Geigen und Schal-
meyen. Wenn der Tanz vorbey war, ſo gab je-
der Bauer ſeiner Dirne einen lauten herzlichen
Handſchlag. Dann liebaͤugelten ſie miteinander,
tranken ſich das Bier und den Brandwein zu,
und lieſſen die Muſikanten Tuſch machen. Sieg-
wart bemerkte, daß die Bauren eben ſo wohl,
wie die Staͤdter, ihre witzigen Koͤpfe, ihre Stu-
tzer, und Koquetten haͤtten, und daß der Unter-
ſchied blos in der Art liege, dieſe Eigenſchaften zu
aͤuſſern. Kronhelm trank mit Siegwart die Ge-
ſundheit des jungen Brautpaars, welches ſich aus-
Q
ſerordentlich druͤber freute, und dieſe Hoͤflichkeit
mit vielem Gepraͤng erwiederte. Unſre beyden
Juͤnglinge haͤtten ſich noch laͤnger an Beobachtung
dieſer laͤndlichen Luſtbarkeit ergoͤtzt, wenn nicht der
Schulmeiſter gekommen waͤre, ſie zu unterhalten.
Dieſer war kaum auf die Muthmaſſung gefallen,
daß dieß wol Studenten ſeyn moͤchten, ſo kam
er, weil er ſich auch fuͤr einen, nicht geringen,
Gelehrten hielt, mit vielen ſteifen Buͤklingen, um
ſeine Herren Kollegen zu bewillkommen; und fieng
von der Philoſophey, von der Grammatika und
Rhetorika ein ſo abgeſchmaktes, weitlaͤuftiges und
ungereimtes Geſchwaͤtz an, daß Siegwart dem
Kronhelm heimlich winkte, aufzubrechen. Der
Schulmeiſter begleitete ſie noch die Treppe hinab
bis an die Thuͤr, und nahm mit vielen Scharr-
fuͤſſen und ungemeiner Freundlichkeit von ihnen
Abſchied. Drauf ſah er ſeine Bauren, die hin-
ter ihm drein geſchlichen waren, mit laͤchelnder
Selbſtzufriedenheit an, winkte mit den Augen,
und druͤckte ſie halb zu; das ſind Herren, ſagte
er, die haben was rechts ſtudirt! Man kann ſie
auf die Probe ſtellen, wie man will, ſie ſind uͤber-
all zu Haus! In omnibus aliquis, in totum nihil!
Ja, Leute! das iſt eine Luſt, mit Gelehrten um-
zugehen! Aber bey euch vergißt man alles wie-
der! Doch wer kann wider die duram neceſſitam?
Seht ihr, das iſt lateiniſch. — Nun gieng er
langſam wieder die Treppe hinauf; die Bauren
wichen alle aus, und ſahen ihn ehrerbietig an.
Droben auf der Stube wollte jeder wiſſen, was
die jungen Herren mit ihm geſprochen haben? —
Jhr verſtehts nicht, ſagte er; das iſt nur um-
ſonſt! Es betraf die Gelehrſamkeit, eruditium, wie
mans nennt. Jeder Bauer trank nun ſeine Ge-
ſundheit; Er bedankte ſich mit vielem gelehrtem
Anſtand, und nicht geringer Gravitaͤt.
Kronhelm und Siegwart ritten unterdeſ-
ſen weiter, und lachten herzlich uͤber die gelehrte
Einfalt des Schulmeiſters. Jakob ritt ganz lang-
ſam hinter ihnen her, und ſchlief; denn er hatte
ſich den Brandwein im Wirtshaus ziemlich ſchmecken
laſſen. Nach zwey Stunden kamen ſie in Stein-
feld an; Sie waren etlich funfzig Schritte weit
vom Schloß entfernt, als ihnen eine Menge
Jagdhunde von verſchiedner Art mit ſo ſchrekli-
chem Gebell entgegen ſprang, daß Jakob druͤber
auſwachte, und ein lautes Joh ho! anſtimmte. —
Das iſt ja eine ungeheure Menge Hunde, ſagte
Siegwart. — Kleinigkeit! antwortete Kronhelm,
wenn du erſt in den Hof, und in die Staͤlle
kommſt, dann muſt du ſehen.
Jm Hof war alles ſtill und ruhig, als ſie
hinein ritten, und kein Menſch ließ ſich ſehen.
Kronhelm und Siegwart ſtiegen ab; endlich
kam Sibylla, Kronhelms juͤngſte Schweſter aus
dem Schloß heraus geflogen, druͤckte ihren Bru-
der feſt an ſich, und ſagte: Biſt du’s Bruder?
Hab dich in der That kaum mehr gekannt! Xa-
vern ſah ſie frey an, und verneigte ſich vor ihm,
gab ihrem Bruder die Hand, und fuͤhrte die bey-
den in das Schloß hinauf. — Aber du muſt
gleich wieder fort, Bruder, ſagte ſie, und der
Herr da auch. Jhr koͤnnt nur eine Suppe eſ-
ſen. — Wohin denn? fragte Kronhelm ganz
betroffen. — Jn den Steiner Forſt zum Papa.
Der Jaͤger hat geſtern ein Schwein da geſpuͤrt,
und dieſen Morgen ritt er gleich hinaus. Er
hats aber hinterlaſſen, daß Jhr ja gleich nach-
kommen und die Luſt mit anſehen ſollt. Da ſind
zwey Flinten und zwey Jaͤqertaſchen. Siebſt du,
die mit Silber iſt fuͤr dich, und die andre fuͤr
den Herrn da — ich weiß nicht, wie er heißt? —
Siegwart, ſagte Kronhelm — Nun ja fuͤr den
Herrn Siegwart. Jezt nur ſchnell die Suppe
gegeſſen, und dann gleich wieder weiter! Wein
und kaltes Eſſen iſt ſchon drauſſen; wenn ihr
nur was Warms im Leib habt! — Sie huͤpfte
und ſprang in der Stube herum, trillerte und
druͤckte dann ihrem Bruder wieder mit aller
Kraft die Hand. Siegwart gefiel ihr wohl;
nur ſagte ſie, er ſey ſo ſtill, und muͤſſe muntrer
werden. Als die Suppe gegeſſen war, ließ ſie
ihrem Bruder und Xavern keine Ruh; ſie mu-
ſten die Waidtaſchen und die Flinten umhaͤngen,
und gleich wieder fort. Sie ſprang ſelbſt die
Treppe voran hinab, und fuͤhrte die Pferd’ aus
dem Stall heraus. Als ihr Bruder aufgeſtiegen
war, gab ſie ſeinem Pferd einen Hieb mit der
Gerte, daß es hinten ausſchlug, und brach dar-
uͤber in ein lautes Gelaͤchter aus.
Kronhelm und Siegwart ritten mit dem
Reitknecht nach dem Forſt zu. Das iſt ein wil-
des Maͤdel, meine Schweſter, ſagte Kronhelm;
du muſt ihrs nur nicht uͤbel nehmen, Siegwart;
ſie war ſonſt nicht ſo, als ſie noch bey meiner
Mutter war; ſie hat im Grund ein recht gutes
Gemuͤth; aber ich dachte wol, daß ſie bey meinem
Vater ſo werden wuͤrde, denn ſie war immer un-
ter uns das wildeſte.
Nach einer halben Stunde kamen ſie an den
Forſt, wo das Jagen war. Der Junker Veit
(ſo nannte ihn die ganze Gegend) ſtand an ei-
ner Eiche mit geſpanntem Hahne. Sobald er ſei-
nen Sohn und Siegwart in der Ferne ſah,
winkte er ihnen zu, von den Pferden abzuſteigen.
Sie thatens, und kamen naͤher. Er wieß ihnen,
ohn ein Wort zu ſagen, nur mit Winken, ihre
Poſten an, wo ſie anſtehen ſollten. Sein Sohn
ſtand am naͤchſten bey ihm; aber er ſprach nicht
ein Wort mit ihm, ſah ihn auch nicht an, ſon-
dern laurte nur auf das Schwein, das heraus-
getrieben werden ſollte. Endlich kams auf Sieg-
warts Seite heraus; dieſer ſchoß es, daß es auf
der Stelle fiel. Junker Veit flog wie ein Pfeil
herbey, gab ihm den Fang, und nun ſprang er
auf Siegwarten zu, umarmte ihn, daß er haͤtte
ſchreyen moͤgen, und rief: Herrlicher Junge! ’s
iſt, meiner Seel! ein Hauptſchwein — Du wirſt
ein groſſer Kerl werden! Sieh nur, wie du’s auf
den Pelz geſchoſſen haſt! Grad am rechten Fleck!
— Du kannſt Oberjaͤgermeiſter werden, wenn
du willſt — Biſt ein Teufelsjunge; laß dich recht
aufs Maul kuͤſſen! — Nun, Waidmanns Heil,
Friedrich! (ſo hieß der junge Kronhelm) haſt
mir einen herrlichen Knaben da mit gebracht.
Gott geb! daß du auch ſo biſt! Wie gehts, wie
ſtehts? Biſt recht groß worden. Nun, nun, ein
Jaͤger darf wol ſtark ſeyn, wenn er will ’n gu-
ten Fang geben. — Komm, wir wollen erſt d’
Sau wegbringen laſſen, und dann zur Mamſell
Kunigunde, ſie iſt auf der Wieſe dort beym Eſ-
ſen; kannſt ihr deinen Diener machen — Sap-
perment, was das ’ne Sau iſt, und der Blitz-
kerl hat ſie gſchoſſen! ’s aͤrgert mich halb, daß
er mir ſie weggenommen hat! Nu, nu, wem’s
Gluͤck eben will. — Friedrich, du ſiehſt mir ſo
kalmaͤuſeriſch aus. — Friſch! Auf der Jagd muß
man munter ſeyn! Mir iſt nie ſo wohl, als im
Forſt. Komm, ſollſt ein Glas Wein trinken, daß
du luſtig wirſt; und du auch, junger Eiſenfreſſer!
Hier nahm er Siegwarten beym Arm, und
ſchlenderte mit ihm und ſeinem Sohn nach der
Wieſe, wo Kunigunde war. Halt, ſagte er, un-
terwegs, riß ſich von Siegwart los, und ſchoß
einen Fuchs, der eben von der Seite durchs Ge-
buͤſch ſchlich. — Sieh, den hab ich ſchoͤn troffen;
beym Einen Aug ’nein, und beym andern wieder
’raus; aber ’s iſt doch nichts gegen dein Haupt-
ſchwein. — Nun kam er zu ſeiner Maitreſſe,
(wir Deutſche nennen’s Hure) — Da, Jungfer
Kunigund, da ſieht ſie einen Kerl vor ſich, der
hundert Baierſche Junker uͤberſieht; Der hat die
Sau g’ſchoſſen, auf die wir ausgangen ſind; und
das da iſt mein Jung — Buͤck dich brav, Fried-
rich! Sie iſt mein Alles und Alles. — So, nun
geb ſie brav Wein her, denn ich bin ſo durſtig,
wie ’n Brunfthirſch! — Nu, angſtoſſen, junger
Herr! Es leb d’ Jagd und der Krieg! Jch bin
auch Soldat gweſt, muß er wiſſen, hab drey Jahr
am Rhein gſtanden; aber da war blutwenig z’
machen, die Teufelsfranzoſen hatten alles ſchon weg-
g’ſchoſſen. — Heh! wo iſt denn der Michel und der
Steffen? Die Kerls ſollen mir ’s Jaͤgerlied bla-
ſen: (Er ſang)
Das Jagen iſt mein’ groͤſte Luſt
Ziehs allem andern fuͤr!
Man iſt ſo friſch
Rennt durchs Gebuͤſch,
Und ſpringt, als wie ein Thier!
Ey, wie waͤrs, Jungfer Gundel, wenn ſie
mit dem Xaver da tanzte! Mach ſie keine Um-
ſtaͤnd! der Jung iſts wehrt! — Nun muſte Sieg-
wart den wildeſten deutſchen Tanz auf der Wieſe
mit ihr machen. Nach ihm tanzte Junker Veit.
Fritz kann noch warten, ſagte er. Der Jung
muß erſt zeigen, ob er mein Sohn iſt, und auch
ſchieſſen kann? Sie ritten nun, weil es Abend
wurde, mit einander nach Haus; Kunigunde
muſte auch mit reiten. Unterwegs fiels dem Jun-
ker ein, ſie wollten beym Junker Seilberg vor-
bey reiten. ’S iſt nur drey viertel Stund Um-
weg, ſagte Veit; der ehrliche Kerl muß doch auch
von meiner Freud wiſſen, daß ich die Sau kriegt
hab. Nun gab er ſeinem Roß die Sporn, und
die andern mußten nach, ſie mochten wollen, oder
nicht. Man hoͤrte gleich, eh man noch an Seil-
bergs Schloß kam, ein ſchroͤckliches Geſchrey;
denn es war Geſellſchaft da. Veit gieng mit ſei-
ner Geſellſchaft unangemeldet in den Saal, erzaͤl-
te mit groſſem Geſchrey, daß Siegwart ein
Schwein geſchoſſen habe und ſtellte ihn mit vie-
lem Triumph unter dieſem Karakter den vier
da verſammelten Junkern vor. Man ſetzte ſich
gleich um den Tiſch herum, und muſte tapfer
trinken. Die anweſenden Edelleute waren: Seil-
berg, ein Mann von 65 Jahren, der, wegen
des Podagra nicht von der Stelle kommen konn-
te, und die Fuͤſſe mit Kiſſen eingebunden hatte;
ſein Tochtermann, Baron von Striebel, ein ehe-
maliger Huſarenlieutenant, der auch jezt noch
die Uniform und einen ſchwarzgewixten Schnurr-
bart trug, ein Mann von vier und dreiſſig Jah-
ren, war der zweyte. Der dritte, Junker Jobſt,
war ein Junggeſell von 59 Jahren; ein armer
Schlucker, der nicht einmal eine eigne Wohnung
hatte, und ſich wechſelsweiſe bald beym Einem,
bald beym andern Junker, oder auch im Nothfall
bey einem Bauren aufhielt, der ſein Lehnsvaſall
war, und ihm jaͤhrlich 40 oder 50 Gulden an
Frucht auszalen mußte. Er ließ ſich von den
Edelleuten zu allem brauchen. Er ritt von einem
Schloß zum andern, wenn ein Schmauß ange-
ſagt werden ſollte; er brachte den Edelleuten ihre
Pferde nach der Stadt, wo ein Roßmarkt war,
und verkaufte ſie da, oder handelte neue ein; er
nahm die Koppelhunde mit auf die Jagd, oder
trug das Huͤhnergarn; und ließ ſich einen gan-
zen Abend fuͤr den Narren halten, wenn er nur
mit eſſen und mit trinken durfte. Aber Adeliche
muſten’s ſeyn, die ihn fuͤr den Narren hielten;
von Buͤrgerlichen haͤtt er keinen Heller angenom-
men. Die vierte Perſon war ein junger Edel-
mann von drey und zwanzig Jahren, aus dem
Baierſchen, der ſich aber am Muͤnchnerhof als
Kammerjunker aufhielt, Namens Silberling,
Er war zart gebaut, und ſehr galant; hatte ein
ſchoͤnes gruͤnes Kleid mit einer goldbordirten We-
ſte an, und druͤber eine golddurchwuͤrkte Hirſchfaͤn-
gerkuppel. Sein Haar war mit einem Perlen-
farbnen Bande zierlich aufgebunden, und ſeine Lo-
cken nachlaͤßig ſchoͤn zuruͤckgebogen. Er wuͤrde
ſich nicht in die Geſellſchaft dieſer rohen Landjun-
ker gemiſcht haben, wenn er nicht eine geheime
Abſicht auf das Fraͤulein von Stellmann gehabt
haͤtte, die eine Enkelinn vom alten Seilberg war,
und ſich ſeit dem Tod ihrer Mutter bey ihm auf-
hielt. Sie gieng aus und ein, um die Gaͤſte zu
bedienen.
Nun ſag mir einmal, Fritz, fieng Junker
Veit an, was iſt denn dein Xaver? Wie heißt
ſein Vater, und was iſt er? Es muß ein trefli-
cher Kerl ſeyn, da ſein Bub ſchon ſo ein guter
Jaͤger iſt!
Siegwart. Jch heiſſe Siegwart; mein
Vater iſt Amtmann zu Dahlenburg im Oettin-
giſchen.
Jobſt. Nicht von Adel?
Siegwart. Nein.
Veit. Nicht von Adel? Nun, ſo hol mich
dieſer und jener! Du biſt alſo nichts, gar nichts?
Ein Amtmanns Sohn! Element! Wer haͤtt das
glauben ſollen? — Aber, ich weiß ſchon, wie’s
gangen iſt; deine Mutter hat mit’m Edelmann
zugehalten. Nicht wahr, Jung, ich weiß’s? —
Darſſt nicht roth werden! Narr, haſt dich nicht
drob zu ſchaͤmen. Lieber ein Bankert von ’m
Edelmann, als ein lauſichter Amtmannsſohn.
Komm! ich bin dir doch gut, weil du ſo ſchieſſen
kannſt.
Junker Jobſt ſtund auf, und fragte Strie-
beln heimlich, aber doch ſo, daß mans halb ver-
ſtehen konnte, ob man wol den Siegwart in
der Geſellſchaft mit laſſen koͤnne, da er nicht von
Adel ſey? Striebel ſagte; weil ihn Junker Veit
mitgebracht habe, ſo koͤnn mans nicht gut aͤndern.
Ueberhaupt dachte Striebel noch vernuͤnftiger,
denn er hatte in Heidelberg, wo er ein halbes
Jahr lang an einer Wunde krank gelegen hatte,
etlich vernuͤnftige proteſtantiſche und katholiſche
Profeſſoren kennen gelernt, die ſeinen Verſtand
durch ihren Umgang, und die Buͤcher, die ſie ihm
geliehen, ziemlich aufgeklaͤrt hatten.
Herr von Silberling ſchlich ſich weg, um
bey ſeinem Fraͤulein ſeine Aufwartung zu ma-
chen, und das Geſpraͤch kam wieder auf die Jagd
und auf andre gleichguͤltigere Dinge. Nachher
kam das Fraͤulein ſelbſt in die Geſellſchaft, weil
ſie mit dem ſuͤſſen Silberling nicht gern allein
war. Sie hatte viel Anmuth in der Mine, und
eine ziemlich gute Erziehung. Jhre braunen Au-
gen waren lebhaft, und doch ſittſam. Auf den
ſchluͤpfrigen Scherz der Junker gab ſie wenig Acht,
und unterhielt ſich mehr mit Kronhelm und mit
Siegwart. Auf den erſtern war ſie beſonders
aufmerkſam, und fand viel Wohlgefallen an ihm.
Sie ſah ihn oft lang an, und konnte zuletzt ihre
Augen faſt nicht mehr von ihm wegwenden. Sil-
berling, der dieſes merkte, wurde ganz unruhig
und eiferſuͤchtig druͤber. Regina, (ſo hieß die
Fraͤulein Stellmann) gefiel auch unſerm Kron-
helm, aber doch nicht ſo, daß ſein Herz dabey
beſchaͤftigt wurde. Junker Veit und Seilberg
ſahens gerne, daß ihre Kinder mit einander ſpra-
chen, denn beyde hatten halb und halb die Ab-
ſicht, einſt ein Paͤrchen aus ihnen zu machen;
wenigſtens von Silberling hielt Seilberg wenig,
weil er mit ihm von nichts, als vom Hof ſpre-
chen konnte. Als Regina Siegwarts Namen
hoͤrte, ward ſie aufmerkſam drauf, und ſagte: ſie
habe vor fuͤnf Jahren in einem Kloſter in Muͤn-
chen eine Freundinn gehabt, die Thereſe Sieg-
wart heiſſe, ob ſie wol vielleicht mit ihm ver-
wandt ſey? O Ja, ſie iſt meine Schweſter, ſagte
Siegwart. Regina hatte eine groſſe Freude
druͤber, und bemerkte, daß ihr Siegwarts Geſicht
gleich ſo bekannt vorgekommen ſey; nun ſehe ſie,
daß er viel Aehnlichkeit mit ſeiner Schweſter ha-
be. Das iſt gar ein liebes Maͤdchen, Herr von
Kronhelm, fuhr ſie fort; Sie ſollten ſie nur ſehen!
Jch weiß, das ſie Jhnen wohl gefallen wuͤrde.
Wir waren Ein Herz und Eine Seele. Sie hat
ein himmliſches Gemuͤth; iſt immer froh und
munter, und doch dabey ſo geſetzt. Wenn Sie
ſie wieder ſehen, Herr Siegwart, oder an Sie
ſchreiben, ſo machen Sie ihr ja meine herzliche
Empfehlung! Sie wird ſich meiner noch wohl
erinnern. Siegwart verſprach, es gewiß zu
thun.
Die Edelleute wurden indeß immer lauter,
denn ſie tranken immer mehr Wein. Seilberg
und Junker Veit ſtieſſen ihre Glaͤſer alle Augen-
blicke an. Jobſt unterhielt Kunigunden; denn
ob ſie wol nicht von Adel war, ſo bekam ſie
doch in ſeinen Augen dadurch einen Wehrt, daß
ſie die Beyſchlaͤferinn eines Edelmanns war.
Baron Striebel und Silberling hatten einen
Streit, ob der Pfaͤlziſche oder Baieriſche Hof
vorzuͤglicher ſey? Silberling behauptete, daß, nach
dem Kaiſerlichen, kein Hof in der Welt dem Baie-
riſchen gleich komme. — Silberling hat Recht,
ſchrie Junker Veit drein, denn am Muͤnchner
Hof ſind zu meiner Zeit allein 500 Jagdhund er-
naͤhrt worden; jetzt werdens ihrer hoffentlich noch
mehr ſeyn. Silberling machte zur Dankſagung
einen tiefen Buͤkling gegen Veit. Als das Ge-
ſpraͤch wieder auf die Jagd kam, und allgemeiner
wurde, zeigte Siegwart ſo viele Kenntniß und
Einſicht, daß die Haſenjaͤger alle drob erſtaun-
ten. Junker Veit ſprang auf, und ſagte: Mei-
ner Seel, dir fehlt auf der ganzen Welt nichts,
als der Adel; du biſt ein goldner Junge! Aus’m
meinen wird nichts, das ſeh ich ſchon! Sitzt er
nicht da, wie ein Stuͤck Holz? und ſpricht kein
Wort, wenn’s auf d’ Hauptſach kommt. Du
haͤtteſt ſollen mein Junge werden; wir haͤtten
z’ſammen taugt. ’S iſt ein Troſt im Alter, wenn
man ſo ein Kind hat. — Wenn mein Fritz ein-
mal mein Gut kriegt, ſo werden ihm d’ Saͤu
’s Haus umwuͤhlen, und d’ Hirſch in d’ Kam-
mer lauffen. Wie ein Kind doch ſo ſchnell
aus der Art ſchlagen kann! ’s iſt ein rechtes
Elend!
Als Junker Jobſt ſah, wieviel Veit auf
Siegwart hielt, ſo ward er ganz gnaͤdig gegen
ihn, denn er trank bey Veit ſo manches herrliches
Glas Wein, daß er ohne ſeine Gunſt nicht leben
konnte. Regina ward ganz traurig, als ſie ſah,
wie ſehr der junge Kronhelm von ſeinem Vater
mishandelt wurde; denn ſie nahm an ihm ſchon
vielen Antheil, und ward nur noch mehr fuͤr ihn
eingenommen, als ſie ſeine Geduld und Gelaſſen-
heit ſah. Silberling war ſcharfſichtig genug, die-
ſes wahrzunehmen, und machte eine gar traurige
Figur. Er bot allen ſeinen Witz, und ſeine gan-
ze Artigkeit auf, Reginens Aufmerkſamkeit wie-
der auf ſich zu ziehen; aber vergeblich! Jhr Aug,
und ihre ganze Seele hieng an Kronhelm.
Endlich ſagte Kunigunde zum Junker Veit:
es werde nun wol Zeit ſeyn, endlich aufzubrechen;
und es war auch wuͤrklich ſchon um Eilf Uhr.
Die Geſellſchaft taumelte auf, und Veit mit ſeinen
Leuten nahm Abſchied, die andern blieben alle bey
Seilberg Regine leuchtete die Treppen hinun-
ter, nahm von Kronhelm beſonders freundlich
Abſchied, und hielt noch das Licht vor die Thuͤr
hinaus, um ihn laͤnger reiten zu ſehen.
Es war ein Gluͤck fuͤr den Junker Veit,
daß ſein Pferd muͤde war, und der Mond helle
ſchien, ſonſt waͤr er zwanzigmal geſtuͤrzt; er war
brav betrunken, wackelte auf ſeinem Pferd hin und
her, und ſchlief endlich ein.
Um halb zwoͤlf Uhr kamen ſie in Steinfeld
an, und giengen, weil alle recht muͤde waren,
bald zu Bette. Siegwart und der junge Kron-
helm ſchliefen bey einander auf einem Zimmer.
Sie beſprachen ſich noch eine Zeitlang miteinan-
der, und Kronhelm ſuchte beſonders die Tollhei-
ten ſeines Vaters zu entſchuldigen; Siegwart
aber ſagte, daß er das nicht noͤthig habe; er ken-
ne mehr ſolche Edelleute, und wiſſe ſich recht gut
in ihren Ton zu ſchicken. Bald darauf ſchliefen
beyde vor Muͤdigkeit ein. — Den andern Mor-
gen um ſechs Uhr ward an ihrer Kammerthuͤr
ein graͤßliches Gepolter gemacht. Junker Veit
war drauſſen, und rief: Holla hoh! Auf, ihr
faulen Jungens! Wollt ihr denn den ſchoͤnen Tag
R
verſchlafen? D’ Hirſch ſind doch ſchon wieder
all im Bette. Wir muͤſſen heut nur auf d’ Huͤh-
nerjagd. Hurtig, aus der Ruh, daß wir aufbre-
chen koͤnnen! — Die beyden Juͤnglinge zogen
ſich ſchnell an, und kamen zu Junker Veit, der
ſchon angezogen und geſtiefelt war. Jedem ward
ein Glas Brandwein gegeben, denn Veit ſagte,
dieß ſey des Waidmanns wahres Leben. Drauf
ſtopfte er ſeine Pfeife. Nun, wie? ’raus mit
der Pfeife! ſagte er zu Siegwart und zu Kron-
helm. Als er hoͤrte, daß ſie gar nicht rauchten,
ward er ganz boͤſe. Seyd ihr auch Kerls? Wollt
auf d’ Jagd gehn, und nicht rauchen? Jch hab,
meiner Seel! noch keinen rechtſchaffenen Waid-
mann kannt, der nicht den ganzen gſchlagnen Tag
ſeine Pfeife im Mund g’habt haͤtt; das ſind
Narrheiten, die man in der Stadt lernt! Was
brauchts da viel Umſtaͤnd? Sibylle, hol du von
meiner Kammer die zwey Pfeifen, die gleich bey
der Thuͤr hangen; es ſind Meerſchaumkoͤpfe. —
Jhr muͤßt rauchen, und wenn alles gruͤn und gelb
um euch her wird! ’S iſt nur um ein paarmal
zu thun, ſo ſeyd ihrs gleich gewohnt. — Sibyl-
le brachte die Pfeifen. — Seht ihr, das ſind
Meerſchaͤum, die ich von Wien kriegt hab; die
kann man kecklich auf den Boden fallen laſſen; ’s
bricht keiner. — Da, ſtopft! der Tabak iſt gut.
’S iſt drey Koͤnig und Varinas unter ’nander
g’miſcht. So, nun wollen wir weiter. Adies
Maͤdel! Koch fein was Guts! Wir wollen dir
ſchon friſch Wildpret mit bringen. — Sie zogen
nun mit ein paar Jaͤgern und drey Huͤhnerhun-
den uͤbers Stoppelfeld hin, und fiengen viele
Wachteln und Rebhuͤhner; wenn ein Volk auf-
ſtand, ſo ſchoſſen ſie drunter, und Siegwart und
Kronhelm trafen viele. Daruͤber ward Veit
auf Einmal mit ſeinem Sohn wieder ausgeſoͤhnt,
nannte ihn ſeinen Augapfel, ſeinen Herzenstroſt,
und ſagte, nun ſeh er erſt, daß die Kronhelms
doch nicht ausſterben; alle ſeine Vorfahren,
ſchon ſein Ur - Ur - Ur - Großvater ſey ein
treflicher Schuͤtz geweſen; er hab noch ein
altes Konterfait von ihm, das er gleich zu
Hauſe zeigen wolle; da ſteh ein ſchoͤner Wind-
hund bey ihm, und die Kron in ſeinem Wap-
pen ſtehe nicht umſonſt zwiſchen einem achtzehn-
endigen Hirſchgeweihe. Das Tabakrauchen gieng
in der freyen Luſt auch gut von Statten, ſo daß
Junker Veit auſſerordentlich vergnuͤgt war, und
verſprach, wenn auf den Nachmittag, wie es den
Anſchein habe, Regenwetter einfalle, ſo woll er
ſich einen derben Rauſch trinken. Kronhelm ſchoß
auch einem fetten Rammler, und nun war Jun-
ker Veit ganz auſſer ſich, warf die Flinte von
ſich, ſprang dreymal in die Hoͤhe, und umarmte
und druͤckte ſeinen Sohn. — Um Eſſenszeit
giengen ſie nach Hauſe. Auf dem Wege zeigte
Veit ſein verwildertes Gemuͤth ganz, und begieng
eine grauſame That. Eine arme Bauerfrau aus
ſeinem Dorfe gieng mit ihren zwey Kindern,
einem Knaben von vier, und einem Maͤdchen
von ſechs Jahren aufs Feld hinaus, um zu kraͤu-
tern. Einer von den Hunden ſprang an die Kin-
der hin, die erbaͤrmlich zu ſchreyen aufiengen.
Die arme Frau ſchlug zuruͤck, um die Hunde ab-
zuhalten. Veit, der das ſah, hetzte nun die an-
dern Hunde auch an ſie und ihre Kinder, und
es entſtand ein graͤßliches Geſchrey. Siegwart,
dem das einen Stich durchs Herz gab, und Kron-
helm, ſprangen hinzu, den Hunden abzuwehren.
Die Frau ſah ſich kaum in Sicherheit, ſo ver-
wandelte ſich ihre gekraͤnkte, muͤtterliche Zaͤrtlich-
keit in Wuth; ſie fieng an zu ſchimpfen, und
ſchrie: Jſt das auch eine Art, mit den Leuten ſo
umzugehen? Pfuy! Jch wollt mich ſchaͤmen, Kin-
der anpacken zu laſſen! habs mein Lebtag g’hoͤrt.
Wenn man d’ Kinder ſchlagen will, ſo hat man
gleich eine Ruth. Das ſind mir die rechten Jun-
ker! Jhr goͤnnt einem doch kaum ’s Schwarz
vor’m Nagel, und nun wollt ihr noch die un-
ſchuldigen Kinder martern; aber wart, in der
Hoͤll da wird man dich auch kriegen! Da werden
d’ Teufel auch brav an dich hetzen! — Jndem
legte Veit ſeine Flinte an, um auf die arme Frau
zu ſchieſſen; aber ſein Jaͤger fiel ihm noch von
hinten zu in den Arm, und der Schuß gieng in
die Luft. Er ward ganz raſend, und fieng an zu
ſchaͤumen: Blitz und Donner! Laßt mich los, daß
ich ſie zertrete, den Hund! Kronhelm und Sieg-
wart ſprangen auch herbey, und hielten ihn feſt.
Das iſt ſchlecht gehandelt, Papa! ſagte Kron-
helm — Was? du Racker? rief er; willſt du
mir aus’m Geſicht gehn? Siegwart biß ſich auf
die Lippen, und dachte bey ſich: der Kerl ſollte
Fuͤrſt ſeyn! das waͤr eine Luſt fuͤr den Teufel! Als
Veit endlich ſah, daß er nicht les kommen konnte,
ſtellte er ſich geruhiger, und bat, daß man ihn ge-
hen laſſen moͤchte! Kaum wars geſchehen, und
kaum ſah er, daß die Frau mit ihren Kindern ſich
gefluͤchtet| hatte, ſo rief er: Tyras, Melack! Faß
an, faß an! Friſch! — Die Hunde hielten die
Frau wieder feſt, und die Kinder hiengen ſich an
ihre Knie. — Sie ſoll mir 3 Wochen in Thurm,
ſagte er, oder ich will kein ehrlicher Kerl mehr
ſeyn! Beym T** ſie hat mich ja ausgemacht, wie
einen Hundsfuͤhrer! — Alles Bitten Kronhelms
und Siegwarts war vergeblich. Die Frau ward
von den beyden Jaͤgern weg, in den Thurm ge-
ſchleppt. Jhre Kinder, die mit hinein wollten,
wurden heraus geſtoſſen, und ſaſſen vor der Thuͤr
und heulten. Siegwart und Kronhelm brachten
durch vieles Bitten, und die ruͤhrendſten Vorſtel-
lungen nicht mehr zuwege, als daß Veit endlich
eine Woche nachließ, und die Frau zu vierzehntaͤ-
giger Thurmſtrafe bey Waſſer und Brod verdamm-
te. Endlich entſchloß ſich Siegwart, nach lan-
gem Kampf bey ſich ſelbſt, ſich an die Hure des
Junkers zu wenden, und bey ihr fuͤr die arme Frau
zu bitten. Dieſe that erſt lange ſproͤde, denn es
ſchmeichelte ihr, daß ein huͤbſcher junger Menſch
ſie bat. Unſerm Siegwart that es in der Seele
weh, ſich ſo tief erniedrigen zu muͤſſen; Aber der
Gedanke, der unterdruͤckten Unſchuld beyzuſtehen,
uͤberwand bey ihm alle andre Vorſtellungen. End-
ich gab Kunigunde nach, und brachte es bey dem
Junker ſo weit, daß die Gefaͤngnißſtrafe der Baͤu-
rinn in eine Geldſtrafe von drey Gulden verwan-
delt wurde, mit dem Anhang, ſie ſoll ſo lang ſitzen,
bis ſie das Geld baar auszahle.
Junker Veit war beym Mittagseſſen ganz
mismuͤthig, und ſprach wenig. Es gieng ihm nah,
daß ſich Siegwart und ſein Sohn ihm widerſetzt
hatten; beſonders daß der letztere ihm vorgeworfen
hatte, er handle ſchlecht. Er konnte es auch nicht
vergeſſen, und fieng alle Augenblicke wieder an, da-
von zu reden. Kunigunde, die nun auf Sieg-
warts und Kronhelms Seite war, und alles uͤber
ihn vermochte, beſaͤnftigte ihn endlich wieder; und,
als ihm nach und nach der Wein zu Kopf ſtieg,
ward er wieder ganz munter und aufgeraͤumt.
Was willt du denn einmal werden? ſagte er
zu Siegwart; doch ein Foͤrſter bey einem braven
Edelmann? nicht? — Nein, antwortete Sieg-
wart; ich will ein Geiſtlicher werden, ein Kapu-
ziner.
Veit: Ein Kapuziner? Ein Pfaff? Du wirſt
doch klug ſeyn, Xaver? Gelt, es iſt dir nicht
Ernſt?
Siegwart. Ja, wahrhaftig, gnaͤdiger Herr;
Es iſt mein ganzer Ernſt. Jhr Herr Sohn kanns
bezeugen.
Veit. Nun, ſo biſt du ein Narr, und mein
Sohn auch! Sapperment! Jch kann die Pfaffen
fuͤr den Tod nicht aueſtehen, und nun willſt du
auch einer werden. Den Einfall hat dir meiner
Seel! der boͤs’ Feind eingegeben, anders kann ichs
nicht begreifen. Sag, was willt du denn in ſo ei-
ner lauſigen Kutt machen?
Siegwart. Ein ehrlicher Mann werden,
und Gott und der Kirch, und meinem Nebenmen-
ſchen dienen.
Veit. Geh mir zum Henker! Das ſind mir
die rechten, die Braunkuͤttler, die Mucker! Jch
ſchwoͤr dir, Junge, ’s iſt kein Pfaff nichts nutz.
Einer iſt immer ein aͤrgrer Schelm, als der andre.
Sie haben mich auch ’nmal gehabt; da in Aug-
ſpurg druͤben, die Jeſuiten, die verfluchten Schlei-
cher! Da ſollt ich ein Gelehrter werden, ſo ’n
Stubenhocker! Aber, ghorſamer Diener! Jch nahm
bald den Reißaus, und ließ ihnen ’s Nachſehen.
Beym Element, wenn man d’ Pfaffen machen
ließ, ſie zoͤgen uns noch d’ Haut uͤber d’ Ohren
runter! Aber ich habs brav kriegt im letzten Krieg!
Da, wenn wir in ein Kloſter kamen; wie der
Blitz, war alles rein weg! — Und, in den Non-
nenkloͤſtern? — O, da denk ich, wird man noch
eine Zeitlang an uns denken. Uh, wenn ich ſo
eine Nonne kriegt,! ’s Maul waͤſſert mir noch. —
Aber, Jung, ich bitt dich um alles in der Welt
willen, wie biſt du auf den raſenden Einfall kom-
men? Haſt ſo herrliche Gaben, und willt ſie all
in ein’ abgeſchabte Kutt ’nein ſtecken — Sap-
perment! Ein Jaͤger iſt doch ein andres Ding!
Nicht wahr, Fritz? Du haͤltſts auch mit mir?
Red ihm’s doch aus!
Kronhelm. Jch glaube wohl, Papa, daß
er was beſſers werden koͤnnte; aber ein Geiſtli-
cher kann doch auch ein ehrlicher Mann bleiben,
wenn ers vorher iſt.
Veit. ’S iſt erlogen, ſag ich! habs ſchon
vorhin g’ſagt, keiner iſt nichts nutz! Da ſchimp-
fen ſie dir auf den alten Nimrod, blos weil er
ein ſtattlicher Jaͤger war. Und auf uns poltern
ſie auch von der Kanzel runter. Jch denk oft,
ich koͤnns nicht aushalten, und muß ’nauf ſchieſ-
ſen. Die Teufelskerl thun mir jaͤhrlich um
mehr, als hundert Gulden Schaden. Da, wenn
ein Wilderer ’s Hochwild aus’m Forſt wegſchießt,
da kaufen ſie’s ihm ab; — daß du die Kraͤnk! —
Ja, Siegwart, du biſt ſonſt ein ehrlicher Kerl;
aber zwey Hauptmaͤngel hab ich an dir auszuſe-
tzen; daß du nicht adelich biſt, und ein Pfaff
werden willt. Weiß warlich nicht, welches ſchlim-
mer iſt?
Jndem ließ ſich Herr von Silberling an-
melden, der, aus auſſerordentlicher Entſchloſſenheit
dießmal bey regnichtem Wetter einen Ausritt ge-
wagt hatte. Eigentlich wollte er erforſchen, wie
Kronhelm vom Fraͤulein von Stellmann den-
ke? Denn er war ſehr furchtſam, und waͤre nicht
gern mit ihm in Verhaͤltniſſe gekommen, von de-
nen ſeine Furchtſamkeit Verdruͤßlichkeiten fuͤr ihn
voraus ſah. — Laß ihn ’rauf kommen, ſagte Veit
zum Bedienten, der ihn anmeldete, was macht er
denn viel Umſtaͤnde? Kronhelm und Sibylle gien-
gen ihm entgegen. — Jhr Diener, Jhr Diener!
rief Veit, als er kam. Woher beym ſchlimmen
Wetter? Setzen Sie ſich nieder! Sibylle, hol
noch mehr Wein herauf!
Silberling. Jch danke gehorſamſt! —
Wenn ich mir nur ein Glas Limonad ausbitten
duͤrfte! — Jch bin ſo echauffirt vom Reiten.
Das verdammte Pferd gieng da vor dem Dorf
drauſſen mit mir durch. Jch rief ihm immer zu,
und gab ihm die Sporn, aber die Beſtie wollte
doch nicht halten.
Veit. (mit groſſem Lachen) Das glaub
ich, Herr! Wenn man d’ Sporn gibt, lauft ein
Pferd, ſo weit es ſieht. Jch ſeh wol, ’s Reiten
iſt eben Jhre Sache nicht. Auf Parforcejagden
muͤſſen Sie auch nicht viel mit geweſen ſeyn.
Da hilft ’s Spornen etwas, aber nicht, wenn ein
Gaul halten ſoll. Ha ha ha! Aber da ſagten Sie
vorhin was von Limonad; was iſt das? Das
kennt man hier zu Land nicht. Da, wenn man
warm iſt, nimmt man einen Schluck Kirſchen-
waſſer. Wollen Sie davon? Jch hab aͤchtes
Lindauer. Sibylle, hol doch die Bouteille!
Silberling. Jch bleib gehorſamſt verbun-
den; das moͤchte mir zu ſtark ſeyn.
Veit. Ey, was? Poſſen! ’s kommt mir
auf ein Glas nicht an. Da, trinken Sie nur
brav! Proſit! — Der Teufel! Sie machen ja ein
Maul, als ob Sie Gift traͤnken! ’s iſt gut?
Nicht wahr?
Silberling. O ja … Nur ein Bischen
zu ſtark … prr …
Veit. Wollen Sie noch eins? Oder wollen
Sie ein Biſſel warten? Nun, nun; hernach wie-
der, trinken Sie indeß ein Glas Wein! Es iſt
aͤchter alter Seewein. — Wie haben Sie denn
auf den geſtrigen Abend geſchlafen? Jch kam
heim, ich weiß nicht wie? Und was macht der
alte Seilberg? Hat er noch immer ſein verdamm-
tes Zipperlein? Der gute Kerl ſteht viel aus;
aber er hats in der Jugend auch darnach gemacht.
D’ Jugendſuͤnden kommen. S’ geht mir auch
nicht beſſer. Da heißts: Geduld iſt das be-
ſte Kraut, und ein Glaͤſel Tockayer. — Sagen
Sie mir doch, weil Sie erſt von Muͤnchen her-
kommen, wie ſiehts jetzt da am Hoſ aus? Stehts
um ’s Jagdweſen noch recht gut? Zu meiner Zeit
wars gar herrlich.
Silberling. Verzeihen Sie! um das Jagd-
weſen hab ich mich ſo genau nicht bekuͤmmert.
Aber doch weiß ich, daß es gut iſt, und wir ha-
ben einen ſehr verſtaͤndigen Oberjaͤgermeiſter.
Sonſt iſt aber unſer Hof einer der brillanteſten.
Wir haben goͤttliche Saͤnger, und ein Orcheſter,
das in allen vier Welttheilen ſeines gleichen ſucht.
Unſer gnaͤdigſter Churfuͤrſt iſt ſelbſt Maitre auf
der Gambe und ſpielt bezaubernd.
Veit. Ey, was Muſik? Da ſchier’ ich mich
einen Teufel drum! Jch kann keine Muſik lei-
den; das Gefiedel und Gewinſel und Gekratz
moͤcht einen rappelkoͤpfiſch machen! Ja, wenns
noch ’s Hifthorn iſt, und mein Liedel drauf:
Das Jagen iſt mein groͤßte Luſt, das laͤßt ſich
noch hoͤren! Aber ſonſt ſag ich Jhnen, als ein
guter Freund, alle andre Muſik iſt pur lautres
Nichts.
Silberling. Sie moͤgen Recht haben! Aber
der Gout iſt eben ſehr verſchieden. Mir macht
ein Koncert, und beſonders eine Oper ein gar
goͤttliches Plaiſir. Doch, vergeben Sie! Jch
wollte nicht die Jmpertinence begehen, Jhnen zu
widerſprechen. — Sie beliebten geſtern ſchon,
und auch heute wieder von Muͤnchen zu ſpre-
chen. Darf ich mir die Freyheit nehmen Sie
zu fragen, wenn Sie da geweſen ſind? Und
was fuͤr Virtuoſen ſich damals am Hof aufgehal-
ten haben?
Veit. Da geweſen bin ich; Anno acht
und dreyſſig; aber von den Virtuoſen weiß ich
keinen Pfifferling; da hatt ich mehr zu thun, als
mich darum zu bekuͤmmern. Sehn Sie, ich war
beym Oberjaͤgermeiſter im Hauſe; das war auch
ein Kronhelm, und mein naher Vetter. Jch
war auch Officier, und zwar kein ſo gepuderter
Hundsfott, wie die jetzigen ſind. Da konnt ich
nun alle meine Zeit, die ich vom Dienſt frey hat-
te, im Gehaͤge zubringen. Das war ein Leben!
Da hab ich was rechts gelernt. Jetzt iſts alles
nichts mehr; ’s Wild nimmt ab, und d’ Forſt
werden immer mehr ausgehauen. Z’lezt weiß ich
nicht mehr, wo man jagen will? Aber damals
waren d’ Waͤlder voll geſpickt. Hund und Jaͤger
gabs gnug, und das lauter g’lernte Jaͤger, und
Parforcepferd auch! Nein, ſolche Tage krieg ich
nicht mehr. Der Churfuͤrſt war ſelber ein aus-
gemachter Waidmann, bey dem man ſich durch
’n Schuß, oder durch ’n Fang kommendiren
konnte. Waͤr ich da blieben, jetzt waͤr ich Ober-
jaͤgermeiſter, und da waͤr alles noch im alten
Stand. Aber die lumpichten Franzoſen waren
Schuld dran, da mußt ich mit meiner Compa-
gnie an den Rhein hinunter. Wir waren Tag
und Nacht geſchoren, und d’ Jagd gieng druͤber
in die Rappuſe. D’ Pfalz waͤr uͤberhaupt nicht
mein Land; in den Weinbergen hats nichts, als
Fuͤchſe, und am Hof in Mannheim, wo wir ein-
mal im Winterquartier lagen, gilt auch die leidi-
ge Muſik, ſo wie jetzt in Muͤnchen. Dafuͤr
ſchoß ich brav Soldaten todt, wenn ’s Feuer an-
gieng. Jm Grund iſts einerley, und man koͤnnts
auch eine Jagd nennen, wenn’s Wildpret, das
man jagt, nur nicht wieder ſchoͤſſe. Sie haben
mich auch brav kriegt, und ich mußte tuͤchtig
ſchweiſſen. Sehn Sie, da hab ich ’ne Kugel
durch den Arm kriegt, und ’n Streiſſchuß in d’
Waden. Es that, meiner Seel! verteufelt weh,
und ich konnt zwey Monat lang nicht auf dem
Fuß ſtehn. Aber ich drehte mich huͤbſch um, und ſchoß
den Kerl auf d’ Herzgrub, daß er umſank, wie
ein Bock. Zwey Monat lang hatt ichs gut, bey
meinem Schwaͤhrvater ſeliger, das war ein gu-
ter Kamerad, aber als ich ſeine Tochter auftrieb,
und zum Weib nahm, da wars aus; ich gieng
mit ihr heim, und ſeitdem hab ich hier ſchon
was ehrliches geſchoſſen.
Silberling. So haben ja Ew. Gnaden recht
ſonderbare Avanturen gehabt; in der That!
Veit. Das glaub ich, man koͤnnt ein ganz
Buch von mir ſchreiben, wenn mans ſo recht wuͤß-
te. Viel hab ich aber auch wieder vergeſſen. —
Potz Element! wir vergeſſen ja das Trinken ganz
druͤber. Friſch eingeſchenkt, und ang’ſtoſſen! Es
leb die Jagd und der Krieg! Das iſt ſo meine
G’ſundheit. Der Seilberg, der kann Jhnen auch
noch viel von mir erzaͤhlen, wenn Sies wiſſen wollen.
Silberling. Ja, er hat mir auch ſchon viel
Ruͤhmliches von Ew. Gnaden geſagt. Das iſt gar
ein unterhaltender und amuͤſanter Mann, mit dem
ſichs gut converſirt. Und ſeine Enkelinn iſt une
jolie femme. Sie trug mir an Ew. Gnaden und
Dero Herrn Sohn Jhr gehorſames Kompliment
auf. (Zum jungen Kronhelm) Mon cher, Sie wer-
den doch auch wol an den Hof gehen? Jch bin
verſichert, daß Sie da Jhr fortune gewiß machen
werden.
Kronhelm. Verzeihen Sie! Jch ſtudire,
um mir einmal den Aufenthalt auf dem Land an-
genehm und unterhaltend zu machen.
Silberling. Eh bien! Die Gelehrſamkeit
hat auch viele douceurs bey ſich.
Veit. Sie mag haben, was ſie will! Jch geb
doch keinen Heller drum. Das ewige Stubenhok-
ken! Da kommt mein Lebtag nichts bey heraus.
Jch bin auch ein rechter Kerl, und habs doch uͤbers
Leſen nicht ’naus bracht. Aber der Jung will kluͤ-
ger ſeyn, und ſein Onkel, der geheime Rath in
Muͤnchen auch.
Silberling. Was iſt das fuͤr ein Mann,
wenns erlaubt iſt, Sie zu unterbrechen?
Veit. ’S iſt der geheime Rath von Kron-
helm, mein leiblicher Bruder.
Silberling. O, dem hab ich die Ehre, ſehr
ſpeciell bekannt zu ſeyn.
Veit. Nun ja! ’S kann wohl ſeyn! Er iſt
ſonſt ein guter Kerl; aber, wenn er mit den
Buͤchern kommt, da mag ich ihn nicht anhoͤren.
Jch ſag immer: Ein Edelmann muß nicht ſtu-
dieren, ſonſt wird er ’ne alte Hure. — Aber,
was iſts? ’S laͤßt ſich nun nicht aͤndern. Mein
Fritz ſoll ihn einmal erben, und da muß ich ſei-
ne Grillen ſchon ſo gelten laſſen. — Sibylla,
du biſt ja ſo ſtill! G’faͤllt dir denn der Herr?
Sieh, ſo gehen ſie in Muͤnchen.
Silberling. O verzeihen Sie, gnaͤdges
Fraͤulein! Das iſt nur ſo mein Reithabit. Jch
muß mich ſehr entſchuldigen, daß ich ſo im Negli-
gee vor Jhnen erſcheine!
Sibylla. O, es ſteht Jhnen recht gut. —
Jch moͤcht wol auch einmal Muͤnchen ſehen; es
muß da recht luſtig ſeyn. Aufs Fruͤhjahr beſuch
ich meine Schweſter. Kennen Sie ſie auch?
S
Sie heiſt Baroneſſin von Eller; ihr Mann iſt,
glaub ich, am Hof.
Silberling. O ja, ich habe die Gnade,
Sie ſehr wohl zu kennen. Es iſt eine magni-
fique Dame. Sie gibt woͤchentlich Einmal Con-
cert, und zweymal Aſſemblee. Sie werden Jhr
recht willkommen ſeyn, gnaͤdiges Fraͤulein, und in
Muͤnchen ſehr brilliren.
Sibylle ſprach noch viel mit ihm, und ſetzte
ihn durch ihre Lebhaftigkeit, und ihr offenes We-
ſen oft in die groͤſte Verlegenheit. Er glaubte
aber doch, eine Eroberung bey ihr gemacht zu ha-
ben, weil ſie ſich ſo viel mit ihm abgab; und ritt
ganz vergnuͤgt weg. —
Kronhelm gieng noch denſelben Abend heim-
lich nach dem Haus der armen Bauersfrau, die
im Thurm lag; und gab ihrem Mann die drey
Gulden, damit er ſeine Frau loͤſen koͤnnte; aber
er verboth ihm ſcharf, niemand ein Wort davon zu
ſagen, auch nicht einmal ihr, damit nur ſein Va-
ter nichts davon erfahren moͤchte. So gab er
vor; aber im Grunde war die Urſache ſeines Ver-
bots edler; er wollte unbekannt und im Stillen
Gutes thun, well er uͤberzeugt war, wie wenig
fremdes Lob noͤtig iſt, wenn man durch Wohlthun
gluͤcklich werden will. Anfangs erſchrack der
Mann, als er den Junker herein treten ſah, denn
er fuͤrchtete neue Mißhandlungen. Seine Kin-
der waren auch voll Angſt, und erhuben ein Ge-
ſchrey, weil ihnen gleich die Hunde wieder einfie-
len, bey denen ſie den Junker dieſen Morgen ge-
ſehen hatten. Aber als der Mann die Freund-
lichkeit des jungen Kronhelms ſah, ward er ganz
zuthaͤtig, und wollt ihn eben um die Freylaſſung
ſeiner Frau bitten, als ihm Kronhelm das Loͤſe-
geld in die Hand druͤckte. Er wuſte nicht, was
er ſagen ſollte, ſtotterte einige Worte ohne Zu-
ſammenhang her, druͤckte Kronhelms Hand, und
kuͤſte ſie. Ach Herr, das iſt gar zu viel! Jch
weiß nicht, ob ichs annehmen darf? wenn ichs
nur vergelten koͤnnte! Aber Gott vergelts, und
die heilige Jungſrau! Sie haben mir auf einmal
aus der Noth g’holſen. Jch ſaß eben da, und
dachte, wo ich ſo viel Geld aufbringen ſollte? Und
meine Frau iſt doch in der Haushaltung noͤtig.
Gott vergelts tauſendmal! — Du lieber Gott,
was das ein Herr iſt! Ja, ja, das leibhafte Eben-
bild ſeiner Mutter. Sie iſt oft auch bey mir ge-
weſen, Junler, und hat mir in der Stille aus-
geholſen; denn d’ Nahrung iſt jetzt eben gar knapp,
und d’ Abgaben ſchwer. — Komm, Mariandel,
kuͤß dem Herrn d’ Hand! Das iſt gar ein bra-
ver Herr; Komm Peter! Darfſt dir nicht angſt
ſeyn laſſen! Der Herr thut dir nichts. — Maria-
ne kam ganz ſchuͤchtern auf den Zehen hergeſchli-
chen, gab Kronhelm die Hand, und wiſchte, mit
der Schuͤrze in der andern, ſich die Augen.
Kronhelm gab ihr einen Dreybaͤtzner, und dem
Jungen auch. Dieß wollte der Mann gar nicht
annehmen. Jch hab ſchon gnug, ſagte er, wenn
nur mein Weib los iſt. Von der Hand ins
Maul koͤnnen wir uns ſchon verdienen. Neh-
men’s Sie’s nur wieder, Junker. ’S iſt, weiß
Gott! zu viel. — Kronhelm gieng hinaus, und
wiſchte ſich die Augen.
Als er nach Hauſe kam, war ſein Vater
ſchon zu Bette, weil er einige Anfaͤlle vom Po-
dagra hatte. Siegwart ſaß in Sibyllens und
Kunigundens Geſellſchaft, und erzaͤlte ihnen al-
lerley vom Kloſter und von Thereſen. Sibylle,
die viele, aber aufbrauſende Empfindung hatte,
fiel ihm alle Augenblicke in die Rede, klatſchte in
die Haͤnde, ſprang auf, und rief: Das iſt vor-
treflich, das iſt herrlich! So ein drey Wochen
moͤcht ich auch im Kloſter ſeyn! u. ſ. w.
Jch keine acht Tage, ſagte Kunigund, die von
noch aufgeraͤumterem Gemuͤth war.
Abends auf dem Schlafzimmer fieng Sieg-
wart an: Hoͤr, Kronhelm, die Geſchichte mit der
Bauerfrau gieng mir den ganzen Tag | nach.
Du wirſts wol an mir gemerkt haben, denn ich
ſprach deßwegen in der Geſellſchaft faſt kein Wort.
Wir muͤſſen der armen Frau warhaftig helfen. Sieh,
da hab ich ſchon drey Gulden in ein Papierchen einge-
wickelt; wenn wirs ihr nur auf eine gute Art koͤnn-
ten zukommen laſſen! Weiſt du nicht, wie wirs
machen?
Kronhelm. Du biſt ein herrlicher Knabe,
Siegwart; haſt ein trefliches Gemuͤth! Sey nur
unbeſorgt! Jch habs dieſen Abend ſchon gehoͤrt;
der Mann, deſſen Frau im Thurm liegt, iſt ein
reicher Soͤldner, der die 3 Gulden leicht geben kann;
und Morgen wird er ſie meinem Vater gleich zu-
ſchicken; dieſen Abend wars nur zu ſpaͤt. — Nicht
wahr, mein Vater iſt ein harter Mann? So
hab ich ihn aber auch noch nie geſehen. Es wird
immer aͤrger, und die leichtſinnige Geſellſchaft macht
ſein Gefuͤhl immer ſtumpfer.
Siegwart. Sag: die Jagd auch! Wer
Tag und Nacht aufs arme Wild laurt und beſtaͤn-
dig nichts als Blut und Morden ſieht, wie kann
der ein fuͤhlendes Herz, und mit Menſchen Mitlei-
den haben? der Gerechte erbarmet ſich auch ſei-
nes Viehes, heiſts in der Bibel, und das iſt buch-
ſtaͤblich wahr. Die Jagd ſollte nichts ſeyn, als
daß man das uͤberfluͤſſige Willd, das dem Bauren
Schaden thut, wegſchießt; oder, was man zur
Nahrung braucht! Aber, wenn man die armen
Thiere vollends martert, und zu Tode jagt, wie’s
am Hof bey Parforcejagden geſchieht, da moͤcht
einem das Herz im Leibe bluten. Da koͤnnen
ſich dann die Unterthanen viel verſprechen, wenn
der Landsherr ſich im Blute badet. Da kommen
die abſcheulichen Plackereyen und die Kriege her,
die dein Vater ſelber eine Art von Jagd nennt. —
Nimm mir nicht uͤbel, Kronhelm! Jch dachte die-
ſen Morgen, ich muͤſte deinem Vater den Hirſch-
faͤnger durch den Leib ſtoſſen, ſo aufgebracht war
ich!
Kronhelm. Du haſt recht, Siegwart;
Und — Gott verzeyh mirs! — mir war auch
nicht viel anders zu Muth. Aber laß uns von
dergleichen Vorſtellungen abſtehen! Sie machen mich
gar zu tranrig. Wie waͤrs, wenn wir uns durch
unſre Violinen in eine andre. Empfindung hinuͤber-
ſpielten? Weiſt du? Das herrliche Adagio von
Schwindl.
Und nun ſpielten ſie ſo ſchmelzend, ſo bebend
und ſo wimmernd, daß ihre Seelen weich, wie
Wachs wurden. Sie legten ihre Violinen nieder,
ſahn einander an mit Thraͤnen in den Augen, ſag-
ten nichts, als: Vortreflich! Gute Nacht, Bruder!
und legten ſich zu Bette. Aber beyde konnten noch
lange nicht ſchlafen, und fuͤhlten, daß die Seele des
Geſangs ſie noch umſchwebe!
Um ſechs Uhr ſtanden ſie auf, und weil ſie
noch niemand im Hauſe hoͤrten, ſo laſen ſie im
Virgil. Nach einer guten Stunde kam Junker
Veit an den Kruͤcken herein gehinkt, weil er das
Podagra hatte. Siegwart legte das Buch, auf-
geſchlagen, neben ſich auf den Tiſch. Was Teufels!
rief Veit, da habt ihr ja gar ein Buch! Sapper-
ment! Was ſoll das heiſſen? — Fort zum Henker
und ſeiner Großmutter! und indem ſchmiß er den
Virgil auf den Miſthauſen vor dem Fenſter. —
Verzeyhen Sie, ſagte Siegwart, das Buch han-
delt von Forſten und vom Waidwerk. — Das iſt
was anders, antwortete Veit. Ja, wenn das iſt,
ſo hab ich allen Reſpeckt davor. Steffen mags
wieder herauf holen! — Da, Steffen, hebt das
Buch dort auf; auf dem Miſte! und bringt
mirs! Jch hab ehmals auch ſo ein Buch gehabt,
’s heiſt der Doͤbel. ’S ſteht manches gutes
drinn; aber ’s meiſte hab ich ſchon gewuſt.
Man muß im Forſt lernen, wenn man will ein
rechter Waidmann werden. — Das verfluchte
Zipperlein hat mich ſo zu Schanden geritten!
Jch kann heut nicht ’naus, und ’s iſt doch ſo
ein herrlicher Tag. Aber dafuͤr wollen wir doch
die Zeit nicht ganz ungenutzt vorbey ſtreichen laſ-
len. Kommt nur! Jch will euch viel rares
zeigen! — Erſt fuͤhrte er ſie in ſeine Gewehr-
kammer. — Seht mir einmal! was das fuͤr
ein Vorrath iſt! Nicht wahr? Der darf ſich ſehen
laſſen? Jch nehms mit jedem Churfuͤrſten auf, ob ers
beſſer hat? — Da ſeht! Das iſt das Konterfait, von
dem ich geſtern g’ſagt hab. Jſt das nicht ein ehr-
liches Geſicht? Mit dem Schnurrbart, und dem
krauſen Backenbart! — Und da, das Windſpiel!
’s iſt meiner Seel! zum Kuͤſſen! Jch wollt viel
drum geben, wenn ichs ſo im Leben haͤtte! — Ja,
ſeht euch nur recht um! So was extraſchoͤnes kriegt
ihr nicht ſo bald wieder zu ſehen. Aber das Zeug,
wie’s ſo da iſt, iſt mich auch uͤber tauſend Thaler ge-
kommen. — Wundert euch nur nicht! ’S iſt war-
lich wahr; ich will drauf ſterben! — Nun habt
ihrs gnug beſchaut? So wollen wir halt allmaͤhlich
weiter.
Drauf ſchleppte er ſich, mit vieler Muͤh,
an ſeinen Kruͤcken, die Stiege hinunter, und zeig-
te ihnen in der Hausthuͤre die vielen Hirſchge-
weihe, die oben, in der Reihe herum, wie er die
Hirſche geſchoſſen hatte, feſt gemacht waren. Mit
vieler Umſtaͤndlichkeit und tauſend Betheurungs-
fluͤchen erzaͤlte er ihnen die Geſchichte jedes Hirſches,
wo und wann er ihn geſchoſſen habe? u. ſ. w.
Von da giengs zu den Hunden, deren eine
ungeheure Menge war. — Sa, ſa ſa! Hurah!
Dax, Dax! rief er, und alle Hunde liefen mit
groſſem Gebell herbey; ſprangen an ihm hinauf;
hiengen ſich an ihn an; und umzingelten ihn ſo, daß er
ausſah, wie der Englaͤnder Wildmann, dem ſich,
auf ſeinen Wink, ein Schwarm von Bienen ins
Geſicht ſetzt. Nun ließ er ſich von ſeinem Jaͤ-
ger zwo groſſe Multen voll derbe Stuͤcken Brod
bringen; gab einem Hund nach dem andern ein
Stuͤck, und erzaͤlte dabey ſein Alter, ſeine Race,
ſeinen Namen, ſeine Tugenden und Thaten.
Dies waͤhrte uͤber eine Stunde, und im Pferde-
ſtall giengs eben ſo. — Jndem kam der Junker
Jobſt auf einem alten Klepper hergeſprengt; ſtieg,
ohn ein Wort zu reden ab, fuͤhrte ſeine Maͤhre
in den Stall, und ſagte nun: Auf den Nachmit-
tag werde Junker Seilberg, Fraͤulein Regine,
Baron Striebel, und der kleine Herr von Sil-
berling mit ſeinem Haarbeutel zum Beſuch kom-
men. Brav, brav! rief Junker Veit; die kom-
men mir eben recht bey meinem Zipperlein! Den
Einen hats verlaſſen, und den andern nimmts
beym Schopf. — Kommen Sie zu Wagen?
Freylich, ſagte Jobſt, Silberling kommt ja im
Haarbeutel. Aber, Herr Bruder, nun ſchaff mir
was zu trinken! Denn ich bin verteufelt durſtig.
Veit beſtellte gleich im Stall eine Bouteille, die
Jobſt ohne viele Umſtaͤnde austrank. — Bis
zum Eſſen wurde von Geſchichten aus der Ge-
gend, und Jagdangelegenheiten geſprochen, die zum
Anfuͤhren zu unwichtig ſind. Bey Tiſch wurden
die Rebhuͤhner aufgetragen, die Kronhelm und
Siegwart geſchoſſen hatten, denn das Schwein
muſte erſt in der Stadt gebrannt werden. Die
Rebhuͤhner gaben Junkern Veit zu manchem
Spaß und zu vielen Geſundheiten Anlaß, ſo daß
er heute vor der Zeit ſtark berauſcht wurde, wo-
zu der Verdruß uͤber ſein Podagra auch viel bey-
trug. Junker Jobſt blieb ihm nichts ſchuldig.
Er fieng an, zu ſingen, und mit Sibyllen ſchoͤn
zu thun; die ihn aber garſtig ablaufen ließ, und
ihm derbe Grobheiten ſagte; | doch die ſchuͤttelte
er ab, weil ſie von einem adelichen Frauenzim-
mer herkamen. Endlich kam die uͤbrige Geſell-
ſchaft auch; Kronhelm ſprang hinab, ſie zu be-
willkommen, und hob die Perſonen aus dem Wa-
gen; der alte Seilberg mußte von zwey Bedien-
ten die Treppen hinauf gefuͤhrt werden. Silber-
ling ſtand auf der Seite, um Reginen ſeinen
Arm zu bieten. Er trat mit einer Verbeugung naͤ-
her, als ihr eben Kronhelm, der es nicht wahr-
genommen hatte, die Hand gab. Ganz betroffen
ſprang Silberling zuruͤck, und ward feuerroth;
Kronhelm ward es auch, und ſagte: Verzeihen
Sie. Es iſt recht gut ſo, liſpelte Regine, und
ſah unſerm Kronhelm freundlichlaͤchelnd ins Ge-
ſicht. Die beyden Alten erzaͤlten ſich nun von
ihrem Podagra, ſchimpften drauf; und kamen
auf ihre Jugendſtuͤcke zu ſprechen, die ſo erbau-
lich waren, daß Kronhelm und Siegwart auf
einen Wink Reginens ſich mit ihr entfernten,
und in den verwilderten Schloßgarten giengen.
Jhre Abweſenheit ward von niemand bemerkt,
als von Sibyllen und von Silberling, dem der
Angſtſchweiß ausbrach. Er ruͤckte auf ſeinem
Stuhl hin und her, und waͤre ſo gern weggegan-
gen, wenn er nur nicht die Anmerkungen und
Spoͤttereyen der Edelleute gefuͤrchtet haͤtte. Si-
bylle durfte nicht weggehen, weil ſie aufwarten
muſte; denn Kunigunde nahm immer in Geſell-
ſchaft die Mine der gnaͤdigen Frau an, und be-
wegte ſich nicht von ihrer Stelle. Dabey war
ihr der ſaftige Scherz der Edelleute viel zu ange-
nehm; ſie konnte hier alle ihre Gaben auskra-
men, und das ihrige treulich hinzuthun. Regine
gab im Garten Kronhelm ſelbſt ihre Hand, und
ſagte: Laſſen Sie uns hier, ſtatt des ewigen Ge-
lerms, der ſtillen und ruhigen Natur genieſſen!
Jch bin des Aufenthalts bey meinem Großpapa
ſo ſatt, daß ichs Jhnen nicht genug ſagen kann.
Und nun iſt noch der abgeſchmackte Silberling
da. Jch kann ihn nicht anders nennen, ſo gern
ich auch von andern ſonſt gelind urtheile. Den
ganzen Tag huͤpft er um mich her, und ich bin
keinen Augenblick vor ihm ſicher.
Siegwart. Erlauben Sie, iſt er ſchon lang
bey Jhnen, gnaͤdiges Fraͤulein?
Regina. Bald vierzehn Tage; und wie
lang’s noch waͤhren wird? weiß der Himmel.
Kronhelm. Darf ich mich erkuͤhnen, Sie
zu fragen, wenns nicht zu verwegen iſt, hat er
Abſichten auf Sie?
Regina. Jch weiß nicht, Herr von Kron-
helm! Aber ſoviel kann ich ſagen, daß ich keine auf
ihn habe. Wenn er mir auch weniger mißfiele, ſo
wuͤrd ich doch Bedenken tragen, in die Stadt zu
gehen. Jch bin ſie ſo uͤberdruͤſſig geworden, und
das Land, mit aller ſeiner Ruhe, zieht mein Herz
ſo ſehr an ſich, daß ich nur da recht lebe. Tau-
ſendmal, Herr Siegwart, hab ich mit Jhrer lieben
Schweſter druͤber geſprochen, und mich ganz in
Traͤumereyen vertieft.
Siegwart. Ja, ſie iſt auch ganz Jhrer
Meynung, gnaͤdges Fraͤulein, und zieht das Land
allem andern vor.
Regina. Denken Sie ſich einmal, Herr von
Kronhelm — denn ich weiß, Sie lieben auch
das Land — was das ſchoͤn iſt? Zwey Seelen,
die einander uͤber alles lieben, und nun hier, der
Welt unbekannt, in ſtiller Ruhe leben! Die ganze
Gegend, mit allen ihren Reizen bluͤht fuͤr ſie.
Ungeſtoͤrt betrachten ſie alle Schoͤnheiten und Ver-
aͤnderungen der Natur. Kein Stadtgeruͤcht, kei-
ne Verlaͤumdung naht ſich ihnen. Was muͤſſen
ſie auf einſamen Spatziergaͤngen fuͤhlen, wenn alle
Voͤgel ſich beeifern, Entzuͤcken in ihr reines Herz
zu ſingen; wenn ihr laͤndliches Mahl aus lauter
Fruͤchten beſteht, die ſie ſelbſt gepflanzt haben;
wenn die Abendſonn’ in ihre Sommerlaube glaͤnzt,
und die Blumen um ſie her duͤften? Wenn dann
das himmelvolleſte Gefuͤhl der Zaͤrtlichkeit aus ih-
nen weint; was denken Sie von einem ſolchen
Paar, Herr von Kronhelm?
Kronhelm. Daß es recht gluͤcklich ſeyn muß,
gnaͤdiges Fraͤulein!
Regina. Recht gluͤcklich? Weiter nichts?
Warum ſo kalt, Herr von Kronhelm? Sind Sie
immer ſo?
Kronhelm. Jmmer ſo, gnaͤdiges Fraͤulein!
Kalt zwar nicht. — Doch, wenn Sies ſo zu nen-
nen belieben —?
Regina. Nun, was iſt es denn? — Sagen
Sie mir einmal: moͤchten Sie nicht der Eine
Theil des gluͤcklichen Paars ſeyn?
Kronhelm. O ja, gnaͤdges Fraͤulein.
Regina. O ja, O ja! Und immer kaͤlter!
Jhr Geficht muß ziemlich truͤgen. Es verſpricht
ſo viel Empfindung; ſo viel ſchwaͤrmeriſches! Und
ich liebe das Schwaͤrmeriſche ſo.
Kronhelm. So thut mirs Leid, daß mein
Geſicht truͤgt! Denn ich moͤchte Jhnen nicht miß-
fallen.
Regina. Mißfallen! Wer ſpricht auch gleich
davon? Aber, Kronhelm! Sie ſollten mehr
wuͤnſchen, als mir nur nicht zu mißfallen! —
Verzeihen Sie, ich hab ſchon zuviel geredt; Jch
bin eben ein Landmaͤdchen; und die verſtehen ſrey-
lich ſo das Feine nicht.
Kronhelm. Jch verſtehe Sie nicht, gnaͤdi-
ges Fraͤulein!
Regina. Nicht? nun ſo kann ich nicht da-
fuͤr. — So bedauren Sie mich!
Und nun gieng ſie weg, und weinte. Sieg-
wart ſtand ganz betroffen da, und ſah Kronhelm
an. Er wuſte ſich in ſein Betragen ſchlechter-
dings nicht zu finden. Das Fraͤulein buͤckte ſich;
brach ein paar Tauſendſchoͤnchen ab; hielt ſie feſt
zuſammen, ſah ſie ſtaar an, und zerriß ſie dann
ploͤtzlich. Kronhelm gieng allein einen Gang hin-
auf, Siegwart ſtand da, und wuſte nicht, ob er
gehen, oder bleiben ſollte? Endlich kam Regine
wieder zu ihm, ſprach mit ihm von ſeiner Schweſter;
und vom Kloſter, daß es da ſo traurig ſey; uͤber-
haupt, ſagte ſie, ſind wir Maͤdchen die elendeſten Ge-
ſchoͤpf’ auf Gottes Erdboden! Alles neckt an uns;
alles nimmt man uns uͤbel, was den Maͤnnern
hundertmal erlaubt iſt! Siegwart wuſte nichts
zu antworten. Kronhelm kam wieder. Sind ſie
boͤſe, Herr von Kronhelm? ſagte Regine. Ver-
zeihen Sie! Jch war vorhin viel zu heftig; das
iſt ſo mein Temperamentsfehler. Meine Mutter
war auch ſo.
Kronhelm. Sie ſind ungerecht gegen ſich,
Fraͤulein! Warum ſollt ich Jhnen boͤſe ſeyn?
Regina. Je nun! Laſſen Sies gut ſeyn!
Wir haben uns mißverſtanden. — Sagen Sie
mir doch, werden Sie noch lang hier bleiben?
Werden Sie mich noch einmal beſuchen?
Kronhelm. Ueber ein paar Tage bleiben
wir nicht mehr hier, die Ferien gehn bald zu
Ende. Jch weiß alſo nicht, ob ich das Vergnuͤ-
gen haben werde, Sie noch einmal zu ſehen?
Regina. Alſo auch das nicht? Nun, es iſt
gut! Es gehoͤrt noch zum Vorigen. — Wenns
Jhnen gefaͤllig iſt, ſo gehn wir wieder zur Ge-
ſellſchaft. Mein Großpapa wird ohnedies heut
nicht gar lange bleiben koͤnnen, da ihn das Po-
dagra erſt ſeit geſtern fruͤh verlaſſen hat.
Sie kamen wieder in die Geſellſchaft, wo
Jobſt und Kunigunde ſich uͤber Silberling ſehr
luſtig machten. Baron Striebel nahm oft ſeine
Parthie, aber immer konnt er es doch nicht,
weil Silberling oft gar zu einfaͤltige Antworten
gab. Junker Veit war ganz unaufgeraͤumt, und
beklagte ſich ſehr uͤber ſein Zipperlein. Die Ge-
ſellſchaft gieng bald auseinander, und Junker Veit
legte ſich fruͤhzeitig zu Bette. Siegwart und
der junge Kronhelm giengen auf ihr Zimmer.
Kronhelm ſah es ſeinem Freund an, daß er et-
was auf dem Herzen habe. Endlich fieng dieſer
an: Hoͤr, Kronhelm, dein heutiges Betragen
gegen das Fraͤulein Stellmann kommt mir ganz
ſonderbar vor; ich kann die Kaͤlte, die du an-
nahmſt, nicht begreifen; zumal da das Fraͤulein
gegen dich nichts weniger, als gleichguͤltig zu ſeyn
ſcheint.
Kronhelm. Wie? Wenn ich aber gerade
deswegen mein Betragen ſo eingerichtet haͤtte?
Siegwart. Das iſt mir noch unbegreiflicher
und raͤthſelhafter. Das Fraͤulein, deucht mir, iſt
ein vortrefliches Frauenzimmer, das deine Hoch-
achtung und Liebe wol verdiente.
T
Kronhelm. Vielleicht. Aber muß Hoch-
achtung und Liebe gleich beyſammen ſtehen?
Siegwart. Das nun eben nicht; aber ich
denke, die Liebe kommt bald nach, wenn man von
einem Frauenzimmer, fuͤr das man ſchon Hoch-
achtung fuͤhlt, auch noch geliebt wird?
Kronhelm. Nicht immer, Siegwart; und
hier trifts gerade nicht ein. Sieh, ich glaub
auch, daß mich das Fraͤulein liebt; und eben des-
wegen nahm ich den kalten Ton an, der mir ſonſt
gar nicht natuͤrlich iſt, um ihre Leidenſchaft mehr
zu daͤmpfen, als anzufachen. Man kann im Um-
gang mit Maͤdchen nicht vorſichtig genug ſeyn;
jedes Wort muß man abwaͤgen; ſie legen gar
zu gerne aus, und wir muͤſſen keine Veranlaſſung
dazu geben! Jch aͤrgere mich doch genug, wenn
ich jetzt viele Juͤnglinge in dem leichtſinnigen und
ſchmeichleriſchen Ton mit Maͤdchen ſprechen hoͤre,
der jetzt immer allgemeiner wird. Dadurch wer-
den die Leichtglaͤubigen und eiteln Seelen ganz
verdorben; ihre Eitelkeit wird genaͤhrt, und ſie
traͤumen taͤglich von Eroberungen und von Sie-
gen. Jch halte jeden fuͤr einen Feind des weib-
lichen Geſchlechts, der den Maͤdchen nichts als
Suͤſſigkeiten vorſagt; alles an ihnen bewundert
und erhebt; und ihnen unaufhoͤrlich die Haͤnde leckt.
Die armen Geſchoͤpfe wiſſen ja nicht, worauf es an-
geſehen iſt? und ob mans aufrichtig mit ihnen
meynt? Sie werden entweder Koquetten, oder
mißtrauiſch und ſproͤde. Jch koͤnnt es nicht uͤber’s
Herz bringen, einem Maͤdchen Schmeicheleyen zu
ſagen, oder den Schein zu haben, als ob mir an
ihrer Gunſt und Liebe was gelegen waͤre, wenn ich
nicht ihre Liebe ſuchte, und ſie fuͤr mein groͤſtes
Gluͤck hielte. Da das nun zwiſchen mir und Re-
ginen der Fall nicht iſt, ſo muſt ich mich zuruͤck
ziehen, und kalt thun; zumal da meine Frage, ob
Silberling Abſichten auf ſie habe? ziemlich vor-
witzig und unuͤberlegt war.
Siegwart. Deine Grundſaͤtze ſind herrlich,
Kronhelm, und ich wuͤnſchte nichts, als daß ſie je-
der Juͤngling ſich zu eigen machte. Aber, ſag mir,
warum du gegen das Fraͤulein keine Zuneigung
fuͤhlſt, da ſie doch ſo viele Vorzuͤge vor andern hat?
Kronhelm. Aus verſchiedenen Gruͤnden, Sieg-
wart, und zum Theil auch aus einer dunkeln, unent-
wickelten Empfindung. Jn meinem Herzen iſt ein ge-
wiſſes Leere, das durch Sie nicht ausgefuͤllt wird; Sie
gefaͤllt mir, aber weiter nicht. So lang ich bey ihr
bin, find’ ich zwar an ihrem Umgang Wohlgefallen;
aber nachher vergeß ich ſie wieder, und fuͤhle keine
weitre Sehnſucht nach ihr. Kurz, eine dunkle
Empfindung ſagt mir, daß ſie das Maͤdchen noch
nicht ſey, das fuͤr mich allein geſchaffen iſt, und der-
einſt mein ganzes Daſeyn ausfuͤllen und beleben
ſoll. — Und dann, muß ich dir geſtehen, ſo viel
mir an dem Fraͤulein gefaͤllt, ſo viel mißfaͤllt mir
auch an ihr. Was ſie heut vom Landleben ſagte,
ſcheint mir mehr Deklamation zu ſeyn, als inniges,
empfundenes Gefuͤhl. Man ſpricht von dem nur
wenig, was man hat und fuͤhlt! — Und beſon-
ders hat mir ihr Betragen gegen mich ſehr mißfal-
len. Sie kann uͤberhaupt noch keine wahre Liebe
zu mir fuͤhlen, da ſie mich noch viel zu wenig kennt.
Wahre Liebe gruͤndet ſich auf Hochachtung, und
muß der hoͤchſte Grad von Freundſchaft ſeyn.
Beydes iſt nicht moͤglich, wenn man nicht die Vor-
zuͤge des andern genau kennt; und dieſe lernt man
erſt durch einen laͤngern und vertrautern Umgang
kennen. Jch weiß wol, daß die Liebe ſich mehren-
theils beym Aeuſſerlichen, bey der Geſichtsbildung,
und dergleichen anfaͤngt; aber von dieſer Liebe halt
ich auch ſo viel nicht. Und nun bedenk, wie hat
das Fraͤulein ihre Liebe gegen mich geaͤuſſert? Gab
ſie ſich nicht voͤllig blos? Wars nicht eben ſoviel,
als ob ſie ſagte: Kommen Sie! wir wollen ein-
ander heyrathen! Wahre Liebe ſpricht nicht! Man
kann ſich Jahrelang lieben, ohn’ es ſich zu ſagen!
Man koͤnnte zwar ihr Betragen ſchwaͤbiſche Of-
fenherzigkeit, laͤndliche Einfalt und naives Weſen
nennen; aber mich deucht, das iſt ganz was an-
ders. Das weibliche Geſchlecht kann bey ſeiner
Feinheit der Empfindung ſo nicht reden. Es muß
immer, beſonders bey der Liebe, einen gewiſſen
Stolz, eine edle Wuͤrde beybehalten, und ſich nie,
wenn ich ſo ſagen darf, ſelbſt feil bieten! Niemand
ſchaͤtzt einen offenen Charakter, und ein ungezwung-
nes, ungeziertes Weſen mehr, als ich. Ein Maͤd-
chen, das mit einer gewiſſen Anmuth und Einfalt
ſeine Meynung frey und offenherzig ſagt, iſt das
angenehmſte Geſchoͤpf; und dieſe Gabe ſcheint
deine Schweſter, deiner Erzaͤhlung und den Brie-
fen nach, die ich von ihr ſah, in einem ganz
vorzuͤglichen Maaße zu beſitzen. Aber frag dich
ſelbſt, ob du das bey Reginen auch findeſt? Ob
durch ihr gerades Weſen nicht die weibliche De-
likateſſe beleidigt werden muß?
Siegwart. Das iſt ſchon gut, Kronhelm;
aber bey dem Fraͤulein kanns ein Fehler der Er-
ziehung ſeyn; und dann muͤſſen wir doch das be-
denken, was ſie ſelber zu mir ſagte, daß das weib-
liche Geſchlecht auf dieſe Art ſehr ſchlimm daran
iſt, wenn man ihm alles das uͤbel nehmen will,
was uns hundertmal erlaubt iſt.
Kronhelm. Recht, Siegwart, das ſag ich
auch! Ein Geſchlecht ſollte ſoviel Freyheit haben,
als das andere! Man haͤtte dieſen Ton nicht ein-
fuͤhren ſollen! Wir ſind Tyrannen des weiblichen Ge-
ſchlechts. Aber da es nun einmal ein angenomm-
ner Grundſatz iſt, ſo muͤſſen ſich die Maͤdchen auch
darnach bequemen, weil ihnen die Ueberſchreitung
deſſelben ſo nachtheilig iſt. — Und ganz ſcheint die
Regel doch nicht von unſerm Eigenſinn abzuhaͤn-
gen. Es iſt allgemein, daß ein Maͤdchen ſich ver-
aͤchtlich macht, wenn ſie ſich ſelbſt anbeut. Jeder
fuͤhlts bey ſich; ſein Gefuͤhl wird beleidigt, und
es ſcheint ſo in der Natur zu liegen. — Jch hab
uͤbrigens mit dem Fraͤulein Mitleid. Dem An-
fang der Liebe kann man ſchwer widerſtehen.
Glaub mir, daß mein Herz viel litt, als ich den
trockenen und kalten Ton annehmen muſte.
Siegwart. Jch ſahs wol, als du den Gang
allein hinaufgiengeſt, daß in deiner Seele man-
cher Kampf vorgehen muͤſſe. — Jch bewundre
deine Klugheit, und begreife nicht, wo du die
Kentnis des weiblichen Herzens und der Liebe
her haſt?
Kronhelm. Mir hab ich wenig, und das
meiſte meinem Onkel in Muͤnchen zu verdanken,
der oft uͤber dieſe Sache ſprach; und dann fand
ich ſeine Grundſaͤtze durch die Erfahrungen beſtaͤ-
tigt, die ich an den Frauenzimmern machte, die in
ſein Haus kamen. — Weiſt du aber, was wir
nun zu thun haben? Wir muͤſſen ſobald als moͤg-
lich wieder auf die Schule zuruͤck. Jch muß
dem Fraͤulein ſoviel, als ſich thun laͤſt, auswei-
chen, und dann bin ichs auch uͤberdruͤſſig, laͤnger
hier zu bleiben. Jch kann von meinem Vater
beſſer denken, wenn ich von ihm entfernt, als
wenn ich um ihn bin, und ſeine Art zu denken
und zu handeln mit anſehe. Wir wollen ſagen,
daß die Schule kuͤnftige Woche wieder anfange,
und dann muͤſſen wir uͤbermorgen, oder hoͤchſtens
in drey Tagen wieder in die Stadt.
Siegwart war es ſehr zufrieden; denn ſeit
der Mißhandlung der Baurenfrau gefiel es ihm
auch bey dem Junker Veit gar nicht mehr. Sie
beſchloſſen, es ihm morgen zu ſagen, und legten
ſich, nachdem ſie noch etwas auf der Violine ge-
ſpielt hatten, zu Bette.
Junker Veit befand ſich den andern Mor-
gen, wegen ſeines Zipperleins, ſehr uͤbel; er mu-
ſte ſich zu Bette halten, und ließ ſeinen Sohn
und Siegwart zu ſich kommen. Seht ihr, was
ich fuͤr ein Hundsſott bin? ſagte er. Da lieg
ich, wie eine alte Hirſchkuh, und kann mich vor
Schmerzen nicht ruͤhren, und nicht wenden! Ja,
wenn man in der Jugend alles ſo bedaͤchte, da
haͤtt ich freylich manches unterlaſſen koͤnnen. Aber,
Sakerlot! wer wird da immer an d’ Gicht und
ans Zipperlein denken? Fritz, ich ſag dir, laß
dich nicht zu viel mit den Maͤdels ein! ’s kommt
nichts g’ſcheides bey heraus! Sieh! daher kommt
mein meiſtes Elend. Ja, wenn ich deiner Mut-
ter immer g’ſolgt waͤr! Aber die nahm halt vie-
les auch gar zu genau! Stopf mir einmal mei-
ne Pfeif! Vielleicht hilfts Rauchen fuͤr die Schmer-
zen; wenigſtens vergißt mans druͤber. — Sieg-
wart, du ſiehſt ja ganz truͤbſelig aus! Haſt Mit-
leid mit mir? Guter Jung! Aber glaub mir, ich
verdiens auch; denn das Zipperlein brennt gar
infam! — Jch wollt gern ein paar Meſſen leſen
laſſen, wenns nur huͤlfe! Aber ſchaden kanns
doch auch nicht. Laß dem Pfarrer ſagen, Fritz,
er woͤcht fuͤr mich beten; aber eifrig! Haſts ghoͤrt?
Zuweilen, Siegwart, kann man die Pfaffen ſchon
brauchen, wenn Noth an Mann geht. — Nun,
Fritz, iſts beſtellt? — Jch ſag euch, Jungens,
keine Stunde reut mich, die ich auf der Jagd
zubracht hab, denn da wird man friſch und mun-
ter, wie ein Rehbock; aber das andere Zeugs
haͤtt ich freylich koͤnnen bleiben laſſen. Nun, nun,
was geſchehen iſt, laͤſt ſich nicht mehr aͤndern!
Wenns nur nicht gar zu lang anhaͤlt; denn dieß-
mal hat michs recht niederg’worfen. Heut muͤſt
ihr ſchon zu Haus Geduld haben! Morgen koͤn-
nen wir vielleicht wieder ’naus, wenns beſſer
wird! — Verzeihen Sie, Papa, ſagte Kron-
helm, auf den Montag gehn unſre Schulſtunden
wieder an, und da werden wir wol uͤbermorgen
reiſen muͤſſen. Was? ſchrie Junker Veit, ſchon
wieder fort? Und ſeyd kaum herausgekommen?
Sapperment! Erſt zweymal ſind wir auf der
Jagd geweſen, und ich wollt euch noch in allen
meinen Forſten rumſuͤhren! Nein, das geht nicht
an! Seht, jetzt wollt ihr mich verlaſſen, da ich
wie ein Kruͤppel da liege, und mir nicht zu hel-
fen weiß. Nein, bey meiner Seel! ihr muͤſt
noch bleiben! Siegwart ſagte, daß es ſchlechter-
dings nicht angehe; Sie wuͤrden bey ihren Pro-
feſſoren in Ungelegenheit daruͤber kommen, und
beſtaͤndig Vorwuͤrfe deswegen hoͤren muͤſſen. Ja
ſo gehts bey den Blitzpfaffen; ſagte Veit; da
iſt das ewige Kommandiren und Einſperren! Da
werden die beſten Leute durch verdorben, und zu
Dummkoͤpfen gemacht, die nicht wiſſen, ob die Welt
gruͤn oder gelb ausſieht? Mit der einfaͤltigen Ge-
lehrſamkelt! Jch hab in meinem Leben nie ge-
hoͤrt, daß ein Gelehrter ’n guten Soldaten, oder
Jaͤger abgeben hab. Da muͤſt ihr nun wieder
in euer Klaus ’nein, und bey den dummen Buͤ-
chern ſchwitzen! Ja, da waͤr ich ein Narr! Da
iſt mir Gott’s freye Luft lieber! Koͤnnt ich nur
jetzt drinn ſeyn! — Er klagte noch ſo eine ziem-
liche Zeit fort, und erzaͤlte dann wieder von ſei-
nem Soldatenſtand, und von ſeinen Jaͤgerthaten.
Endlich nahmen ſeine Schmerzen etwas ab, und
er ließ ſich aus dem Bette heben. Bey Tiſch
wurd er wieder ganz munter, und mit den Schmer-
zen verlieſſen ihn auch ſeine ernſthaften Gedan-
ken wieder. Ueber Tiſch ließ ſich der Pfarrer
aus dem Dorfe melden. Hah, hah! ſagte Veit,
der riecht den Braten; Nun, laſt ihn nur kom-
men! Er wird wieder durſtig ſeyn, und da weiß
er, daß er am erſten etwas kriegt, wenn ich krank
bin. ’S iſt ſonſt ein guter Narr, mit dem man
wol ’n Spas haben kann. —
Der Pfarrer kam, und ſchlich ſich demuͤthig
in die Stube herein. — Willkomm, Herr Pfarr!
ſchrie Veit; Nur friſch hereingegangen! ’S iſt
ſchon wieder beſſer.
Pfarrer. Jch bedaure, gnaͤdiger Herr!
Jch hab gehoͤrt, daß Sie wieder nicht recht —
Veit. Ja, ja! ’S iſt ſchon gut, ſag ich.
Leg er nur den Hut ab, und ſetz er ſich hieher!
Wie ſtehts denn, Alter? Was macht ſeine Koͤchinn?
Braucht er bald wieder eine neue?
Pfarrer. Jch bitt um Vergebung, Jhr
Gnaden! Warum ſollt ich eine neue brauchen?
Veit. Je nun, das hat ſo ſeine Urſachen.
Man kennt euch Leute ſchon! Thu er nur nicht
ſo ſittſam, als ob er alle Heiligkeit allein gepach-
tet haͤtte! Vor den Leuten da darf er ſich nicht
ſcheuen, die kennen ſeine Umſtaͤnde ſchon. Das
iſt mein Sohn, und der andre iſt ein guter
Freund von ihm. Was giebts denn Neues?
Jſts wahr, daß des Pfarrers von Aderlingen
Koͤchinn ſchwanger iſt?
Pfarrer. Jch weiß nicht, Jhr Gnaden; aber
die arge Welt ſagt ſo.
Veit. Die arge Welt? Da muß es die
arge Welt ſeyn, wenn von Euresgleichen was ge-
ſagt wird. Aber gelt, wenn ein armer Teufel,
der kein Pfaff iſt, was gethan hat, da koͤnnt ihrs
nicht genug auspoſaunen; da fangt ihr ’n Lerm
auf der Kanzel an, als ob d’ Welt einfallen woll-
te! Nun, es leben d’ Pfaffen und ihre Koͤchin-
nen! Gelt, da ſchmunzelt er, der alte Knaſter-
bart? Ja, ihr ſeyd mir rechte Fuͤchſe! Hat er
denn den Morgen brav gebetet, daß mein Zip-
perlein zum Teufel geh? Nun, ’s hat brav ge-
holfen, und jetzt wollen wir uns dafuͤr tuͤchtig be-
trinken!
Der Pfarrer that auch von ſeiner Seite al-
les Moͤgliche, und brachte es in Kurzem ſo weit,
daß er die aͤrgſten Zoten vorbrachte, und von ſich
die niedrigſten Schandthaten erzaͤlte. Er blieb
bis Abends um zehn Uhr da, und muſte von
zween Bedienten nach Haus gebracht werden.
Kronhelm that es in der Seele weh, daß ein
Menſch, der ſich fuͤr einen Lehrer Gottes an die
Menſchen ausgibt, ſich bis zum Thier herab er-
niedriget. Siegwart dachte tauſendmal dabey an
ſeinen Pater Anton, und den ehrlichen Pfarrer
in Windenheim.
Wenns viel ſolche Prediger gibt, ſagte Sieg-
wart Abends noch zu Kronhelm; dann wundre
ich mich nicht mehr uͤber die Geringſchaͤtzung der
Religion. Wer ſie nicht ſelbſt aus der Quelle
kennt, und ſie dann von ſolchen Leuten lernen,
und hochſchaͤtzen und lieben ſoll, der muß bey-
nah ein Freygeiſt und Religionsſpoͤtter werden;
aber eben deswegen ſollte man unſern Laien die
Bibel nicht entziehen, damit ſie daraus Troſt
und Lehre ſchoͤpfen koͤnnten, wenn ſie von ihren
Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein
Mann, wie dein Pfarrer iſt, macht tauſend See-
len ungluͤcklich, und ich moͤcht’ einſt ſeine Verant-
wortung nicht uͤbernehmen!
Den andern Tag befand ſich Junker Veit
etwas leidlicher, doch muſt er ſich zu Hauſe auf-
halten. Er ſchlug unſern beyden Juͤnglingen vor,
ob ſie nicht auf die Jagd gehen wollten? So
koͤnnten ſie doch noch einen andern von ſeinen
Forſten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jaͤger
mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann
ſey. Kronhelm und Siegwart nahmen den An-
trag gerne an, denn in ſeiner Geſellſchaft ward
ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie ſchoſſen ver-
ſchiedne Stuͤcke Kleinwildpret, und einen Bock.
Um Eſſenszeit kamen ſie wieder nach Haus; Der
Junker hatte ein inniges Vergnuͤgen uͤber ihre
Geſchicklichkeit, und bedaurte nur, daß ſie ſchon
ſo bald fort muſten. Den Nachmittag ſprach er
wieder bey der Bouteille brav ein, und verſprach,
ſie den andern Morgen eine Meile weit zu be-
gleiten, wenn es nur ſein Zipperlein zulaſſe. Er
konnte aber ſein Verſprechen nicht halten, weil ſei-
ne Schmerzen wieder zunahmen. Fruͤh um ſie-
ben Uhr, als die Pferde ſchon geſattelt waren,
ließ er ſie vor ſein Bette kommen; und nahm
von ihnen, da ihn die Schmerzen etwas muͤrbe
gemacht hatten, mit ziemlicher Bewegung Abſchied.
Nun leb wol, Fritz, ſagte er, und wiſchte ſich die
Augen; wenns denn ſeyn muß! Und fuͤhr dich
als ein Junker auf! Es war mir lieb, daß ich
dich als ’n ehrlichen Kerl hab kennen lernen,
der ſein Waidwerk verſteht. Wenn du nur das
nicht vergiſt; am andern iſt blutwenig g’legen! Wenn
du wieder einmal zu mir kommſt, dann ſolls, denk ich
beſſer gehen! Diesmal hat mir das verhenkerte
Zipperlein einen Strich durch die Rechnung ge-
macht. Geld will ich dir auch ſchicken, wenn
du’s noͤtig haſt; und da ſchenk ich dir noch zum
Andenken eine Flinte. Sie iſt probat, und ver-
ſagt dir gewiß nie. Mit den Maͤdels laß dich
nicht ein! Denk an deinen Vater und ans Zip-
perlein! Nun kannſt du gehen! Weiter weiß ich
nichts. — Und dir, Siegwart, dank ich, daß du
bey mir eing’ſprochen haſt. Du haſt mir viel
Freud gemacht, weil du mehr verſtehſt, als man-
cher Junker. Wenn du von Adel waͤreſt, Jun-
ge, ſollteſt meine Tochter haben; aber ſo iſts nichts!
Adies! — Sie muſten noch ein Glas Quetſchen-
waſſer trinken, und ſetzten ſich zu Pferde. Kuni-
gunde ließ ſich nicht ſehen; aber Sibylle war
zugegen; kuͤſte und herzte ihren Bruder, und
nahm mit Thraͤnen Abſchied. — Der Reitknecht
Jakob ritt wieder mit ihnen. Als ſie durch
den Wald kamen, wo er den Hirſch geſchoſſen
hatte, fieng er wieder an: Sapperment, Jun-
ker, den Streich kann ich noch nicht vergeſſen,
den ſie mir auf dieſem nehmlichen Platz g’ſpielt
haben. Der Hirſch war gar zu ſchoͤn! Jch mocht
meinem gnaͤdigen Herrn nur nichts ſagen, um
Jhnen keinen Verdruß an den Hals zu werfen;
denn ich will drauf ſchwoͤren, daß er g’wettert
haben wuͤrd! Kronhelm hieß ihn ſchweigen, und
gab ihm die Erlaubnis, ſeinem Vater die ganze
Geſchichte zu erzaͤlen.
Als ſie wieder auf der Schule ankamen,
und ſich beym Prior gemeldet hatten, ſo war
ihr erſter Gang zum braven P. Philipp. Wie
erſchracken ſie, als das Zimmer, wegen der her-
abgelaſſenen Vorhaͤnge ganz dunkel war, und ihr
lieber Pater im Bette lag! P. Johann ſaß ne-
ben ihm, und hatte einen lateiniſchen Pſalter in
der Hand. Willkommen, lieben Freunde, ſagte
P. Philipp mit heiſerer und leiſer Stimme. Es
iſt mir lieb, daß ich euch noch ſehe! Gott hat
eine Veraͤnderung mit mir beſchloſſen. Jch werd
euch bald verlaſſen muͤſſen. Mir gehts wohl! ..
Die beyden Juͤnglinge konnten ſich nicht laͤnger
halten; die hellen Thraͤnen ſtuͤrzten ihnen aus
den Augen, und ſie ſchluchzten laut. — Gebt
euch zufrieden, lieben Freunde! Mir gehts wohl;
und Bruder Johann wird euch meine Stelle wie-
der erſetzen; er liebt euch auch. … Jch habe
gnug auf der Welt geſehen .. Hab auch viel ge-
litten .. Mir wirds wohl werden. Mein An-
denken iſt alles, was ich euch hinterlaſſen kann,
und etliche Buͤcher, die ich aufgeſchrieben habe ..
Jhr bekommt nun einen Freund im Himmel
mehr .. Um Chriſti willen hoff ichs .. Kron-
helm, gib mir deine Hand! .. Du auch, Sieg-
wart! Seht, ich leg ſie ineinander .. Bleibt
Freunde! .. und wandelt auf dem Weg der Recht-
ſchaffenheit dem Himmel zu! .. Vergeſt euren
treuen Lehrer, Freund, und Bruder nicht! …
Nun moͤcht ich wol ein Bischen allein ſeyn! ..
Jch bin ſo matt — —
Die beyden Freunde wankten aus dem Zim-
mer auf das ihrige; Jeder warf ſich auf einen
Stuhl, ſah den andern an, und ſprach kein Wort.
— Gott! ſagte Siegwart, was iſt der Menſch?
Jſt denn nichts, als Elend auf der Welt? Wenn
ich nur mit ihm ſtuͤrbe! Und du auch, Kron-
helm! — Dieſer, der von Natur gelaſſener war,
und ſich mehr gleich blieb, ob ſich gleich ſeine See-
le tief verwundet fuͤhlte, ſuchte ſeinen Freund zu
troͤſten, und von ſeiner Ungeduld abzubringen.
Endlich fiengen aber doch beyde wieder mit einan-
der an zu weinen. Nach einer halben Stunde
ſchlichen ſie ſich an das Krankenzimmer, und ſa-
hen, weil die Thuͤre halb offen war, hinein. P.
Johann winkte ihnen; ſie traten leiſe an das
Bette; und der Fromme, mit dem blaſſen, einge-
fallenen Geſicht, lag in ruhigem Schlummer da,
und laͤchelte zuweilen; ein paarmal ſtreckte er die
U
Haͤnde aus und faltete ſie. Endlich wachte er mit
heftiger Bewegung auf, blickte wild umher, und
ſagte haſtig: Bald iſts vorbey! Nur noch Ein-
mal! .. Jch hab ihn ſchon geſehen! . Er iſt ſchroͤck-
lich! .. und ſchoͤn! .. und fuͤrchterlich! …
Dann ſah er wieder um ſich, erblickte die beyden
Juͤnglinge; laͤchelte; gab Siegwarten die Hand,
und ſagte: Seyd ihr auch noch da? Jch dachte,
ihr waͤret laͤngſt geſtorben! — Dann ſchwieg er
wieder, und bewegte nur die Lippen, vermuthlich,
um zu beten, denn ſein mattes Aug ſah muͤhſam
in die Hoͤhe. — Kronhelm und Siegwart ba-
ten den P. Johann, daß ſie die Nacht bey ih-
rem Lehrer wachen duͤrften. Er gab es gerne
zu, weil er durch ein paar Nachtwachen ſchon
ſehr abgemattet war, und die meiſten Lehrer die
Ferien uͤber verreiſt waren. Er ſetzte ſich in ei-
nen Lehnſtuhl, um zu ſchlafen, und bat, ihn nur
dann zu wecken, wenns mit dem Pater merklich
ſchlimmer wuͤrde. Dieſer phantaſirte faſt die
ganze Nacht durch; nur zuweilen hatte er lichte
Augenblicke, und dann ſprach er aufs zaͤrtlichſte
mit ſeinen Freunden, ermunterte ſie zur chriſtli-
chen Rechtſchaffenheit, und ſagte: ohne ſie wuͤrd
er dem Tod nicht ſo getroſt entgegen ſehen koͤn-
nen. — Nachdem er ſich die Nacht durch ganz
muͤde phantaſirt hatte, ſo fiel er gegen Morgen
in einen tiefen Schlummer, der dem Tode faſt
aͤhnlich ſah. Kronhelm und Siegwart warfen
ſich auf ihr Bette, und blieben bis gegen Mittag
liegen.
Als ſie wieder auf das Krankenzimmer ka-
men, ſo war der Pater aufgewacht, und ſah weit
heiterer und friſcher aus. Der Schlaf hatte den Ab-
gang ſeiner Kraͤfte wieder erſetzt und der Arzt, der
eben dazu kam, faßte nicht geringe Hofnung zu ſeiner
Beſſerung. Er konnte wieder etwas Nahrung zu ſich
nehmen, und das Jrrereden blieb aus. Kron-
helm und Siegwart wurden, durch dieſe Hof-
nung, wie neubelebt, und konnten nun erſt um
die Geſundheit ihres Freundes beten; vorher
hatten ſie’s nicht gekonnt. Er ward merklich beſ-
ſer, und konnte nach ein paar Tagen ſchon wie-
der eine halbe Stunde auf ſitzen. Die beyden
Juͤnglinge waren unaufhoͤrlich um ihn, und lern-
ten aus ſeinem Munde tauſend weiſe Lehren;
denn nichts iſt lehrreicher, als das Krankenbette
eines weiſen Chriſten; Nirgends dringen die Leh-
ren tiefer ein. Nun lernten Kronhelm und
Siegwart erſt das Gluͤck recht ſchaͤtzen, einen ſol-
chen Lehrer zum Freund zu haben. Nun ſahen
ſie die Groͤſſe des Verluſtes erſt recht ein, den ſie
mit ſeinem Tod erlitten haben wuͤrden. Nun ſa-
hen ſie, daß es weiſe Liebe Gottes ſey, wenn er
uns zuweilen ein Gut zu entziehen droht, deſſen
Wichtigkeit und Groͤſſe wir vorher nur halb ein-
geſehen, und das wir deswegen nur halb benutzt
haben. Noch eh die Schulſtunden wieder an-
giengen, konnten ſie an einem ſchoͤnen Nachmit-
tag eine Stunde mit ihm ſpatzieren gehen. Lie-
ber Gott, ſagte er, wie mir nun die Welt wieder
ſo neu vorkommt, als ob ich ſie noch nie geſehen
haͤtte! Alles deucht mir jetzt ſchoͤner und herrlicher
zu ſeyn. Der dunkle Tannenwald dort, und die
Sonne druͤber her! Der Miſchling mit dem gelb
und roth und blaßgruͤnen Laub! Die Natur ſinkt
nun ins Grab, und ich ſtehe wieder draus auf;
war doch wenigſtens ſchon halb drinn. Ach, die
Natur iſt ein herrlicher Anblick! Zumal, wenn
man ſeiner eine Zeitlang beraubt war! Jch dank
dir, lieber Gott! — Jch ſehs euch an, daß ihr
meine Freude mitfuͤhlt. Es iſt mir ſo wohl,
daß ich in den Luͤften ſchweben moͤchte! Lieben
Freunde, es iſt doch gut, daß ich noch eine Zeit-
lang bey euch bleiben kann; die Welt iſt gar zu
ſchoͤn! — Jndem kam ein Kruͤppel zu ihnen, und
bettelte. Sie gaben ihm. — So ein Anblick,
ſagte Philipp, kann einen freylich wieder trau-
rig machen. Man leidet ſoviel, wenn man an-
dre leiden ſieht. Aber, lieber Gott, wer wollte
dich druͤber zur Rede ſtellen? Und dort, dort (in-
dem er zum Himmel wies) gibts keine Kruͤppel
und Lahme mehr! Dieß iſt alles, was man ſagen
kann; und allenfalls, daß dergleichen Leute nach
dem Gluͤck nicht ſo ſehr ſchmachten, was ſie nicht
kennen, und mit kleinerm Labſal vorlieb nehmen,
als wir. Vielleicht ſind auch ihre Empfindungen
ſchwaͤcher. Das beſte iſt, das Gute, das man
hat, mit Dank annehmen und genieſſen, und dem
Ungluͤcklichen ſein Elend ſo viel erleichtern, als
man kann! — Sie giengen vergnuͤgt wieder nach
Haus.
Zween Tage drauf fiengen die Schulſtunden
wieder an. Siegwart wurde, mit Einſtimmung
aller Lehrer, ſeiner beſondern Zunahme in den
Wiſſenſchaften wegen, in eine hoͤhere Ordnung
befoͤrdert. Jm Lateiniſchen las man hier vorzuͤg-
lich den Caͤſar vom galliſchen Krieg. P. Phi-
lipp ſchenkte ihm eine ſchoͤne Ausgabe von dieſem
Schriftſteller, und zeigte ihm, mit welchem Gei-
ſte, und mit welchem Nutzen man ihn leſen koͤn-
ne. Siegwart ſaß Tag und Nacht dabey, und
uͤberſprang durch ſeinen Fleiß gar bald die Lek-
tionen in der Schule. Er bewunderte an Caͤſar
den groſſen Feldherrn, der, mit der beſtaͤndigſten
Gegenwart des Geiſtes, ſich aller Umſtaͤnde und
Abwechſelungen des Krieges, ſtets zu ſeinem Vor-
theile zu bedienen wuſte; aber er konnte in ihm
den Geiſt nicht lieben, der, von raſender Erobe-
rungsſucht dahin geriſſen, keinen hoͤhern Zweck
kennt, als den: ein freygebornes Volk, das ihn
nie beleidigt hatte, das ihm nicht einmal im
Wege ſtund, ſeiner Freyheit, des hoͤchſten Gutes,
das es kannte, zu berauben. Er verabſcheute den
Mann, der Stroͤme Bluts ſeiner Landsleute und
der Gallier vergoß, um dieſen ungeheuren Durſt
zu ſtillen. Er entdeckte mit Verwunderung in
dem Gemaͤhlde der alten Gallier die Grundzuͤge,
die noch jetzt den Charakter der neuern Franzoſen
ausmachen: den Wankelmut in ihren ſchnell, oft
uͤbereilt, gefaßten Anſchlaͤgen; die Begierde, immer
etwas Neues auszuhecken und zu erfahren; (B.
IV. K. 5.) Die Grauſamkeit, die ſich noch jetzt
in ihren Todesſtrafen aͤuſſert. (VI. 19.) Den
ſklaviſchen Gehorſam des Volks gegen ſeine Obrig-
keit (K. 13) u. ſ. w. Dagegen ſchlug ſein Herz
laut bey der Schilderung der maͤnnlichern und
freyergeſinnten Deutſchen, und beſonders der ner-
vichten Sueven; ihrer patriarchaliſchen Lebensart,
die ſich blos von der Viehzucht und der Jagd
naͤhrte, (B. IV. 1. fgg.) u. ſ. w. Kein Um-
ſtand, der der Menſchheit Ehre macht, entgieng
ihm. Die edle That der beyden Roͤmer, des
Pulfio und Varenus (B. V. K. 44.) zog beſon-
ders ſeine ganze Bewunderung auf ſich. Er be-
ſprach ſich nachher mit Kronhelm und dem P.
Philipp wieder druͤber, und lernte, mit ihrer
Huͤlfe, noch mehrere und wichtige Bemerkungen
machen. Er gerieth oft ſehr in Eifer, wenn er
gegen die Erobrungsſucht, gegen die Tyranney,
und fuͤr die Rechte eines freyen Volkes und der
Menſchheit uͤberhaupt ſprach. Sein Herz ward
immer freyer, maͤnnlicher und feſter, ſein mora-
liſches Gefuͤhl immer richtiger, und feiner. Die
Religion, die er durch vernuͤnftigen und zweck-
maͤſſigen Vortrag immer mehr in ihrer Einfalt
und Wuͤrde kennen lernte, ward ihm taͤglich heili-
ger und verehrungswuͤrdiger; denn P. Johann
verſchwieg faſt alle Menſchenſatzungen, die ſie ver-
unſtalten. Er ſah an P. Johannes und P. Phi-
lipps Beyſpiel, welchen Einfluß ſie auf die Guͤte
eines Menſchen haben kann, und ſpuͤrte ihre heil-
ſame Wirkung eben ſo lebendig an ſich ſelbſt.
Zuweilen gieng er noch mit Kronhelm, ohne
den er uͤberhaupt faſt keinen Schritt aus dem
Kloſter that, zu einem Juͤngling, Namens
Gruͤnbach, der auch auf die Schule gieng, aber
bey ſeinen Eltern in der Stadt wohnte. Es war
dieß ein Menſch von einem ernſthaften, aber hef-
tigen Charakter. Er hatte viel Kopf und eben ſo
viel Ehrbegierde. Wenn er ſich vornahm, etwas
zu lernen, ſo ließ er nicht nach, bis ers ganz in-
ne hatte. Er eiferte unſerm Kronhelm und
Siegwart nach, weil ſie die beſten auf der Schu-
le waren. Jn kurzer Zeit brachte er es auf der
Violine ſo weit, daß er mit ihnen ſpielen konnte,
und nun machten ſie ſehr ſchoͤne Trios zuſam-
men. Unſre beyden Juͤnglinge waͤren noch oͤfter
zu Gruͤnbach gegangen, wenn er nicht ſo gerne.
beſonders uͤber Religionsſaͤtze, geſtritten haͤtte; und
dieſen Streit liebten ſie durchaus nicht. Sein Va-
ter war ein reicher Kraͤmer, der ſich auf ſeinen
Sohn ſehr viel zu gute that. Er ſchaffte ihm alles
an, was er haben wollte, Buͤcher, Kleider, Muſi-
kalien und dergleichen. Sobald jemand zu ſeinem
Sohn kam, war er auch auf dem Zimmer, mach-
te den glaͤſernen Buͤcherſchrank auf, wies die ſchoͤ-
nen Baͤnde, ſagte, was ſie gekoſtet haͤtten, und
neigte ſich laͤchelnd, wenn man etwas zu ſeinem,
oder ſeines Sohnes Lob ſagte. Er erzaͤlte fleiſſig,
wenn einer von den vornehmern Schuͤlern, oder
gar von den Profeſſoren ſeinen Sohn beſucht hat-
te, und rekommandirte ihn der Gewogenheit deſſen,
dem er es erzaͤlte. Er fragte allemal, wie ſich
ſein Sohn auf der Schule halte? weil er was
ſchmeichelhaftes zu hoͤren hoffte. Wenn die drey
Juͤnglinge auf der Violin ſpielten, ſo war er gleich
dabey, ſah und hoͤrte blos auf ſeinen Sohn, trat
immer mit dem Fuß, als ob er den Takt gaͤbe, und
nickte mit dem Kopf, ob er gleich nichts von der
Muſik verſtand. Seine Frau und ſeine Tochter
ließ er nie aufs Studierzimmer kommen, auch
nicht, wenn Muſik war, weil er ſagte: Die Ge-
lehrten wuͤrden durchs Frauenzimmer gleich ge-
ſtoͤrt. Er las auch Hiſtorienbuͤcher und Romane,
welches er vorher nie gethan hatte; weil er glaub-
te, der Vater eines gelehrten Sohns muͤſſe, ihm
zu Ehren, auch ein Gelehrter werden. Kron-
helm bat er beſonders inſtaͤndig um die Freund-
ſchaft fuͤr ſeinen Sohn, weil er von Adel war;
doch begegnete er auch Siegwarten, um ſeinet-
willen, ſehr hoͤflich. —
Siegwart hatte ſeiner Schweſter Thereſe
von ſeiner Reiſe, vom Junker Veit, und von Re-
ginen, geſchrieben. Nach drey oder vier Wochen
bekam er dieſen Brief von ihr:
Liebſter Bruder!
Vielen, herzlichen Dank fuͤr deinen lieben
Brief, und die Nachrichten von deiner Reiſe!
Wie iſt es doch moͤglich, daß dein Kronhelm ei-
nen ſolchen Vater hat, der gerad das Gegen-
theil von ihm iſt? Aber deſtomehr muß ich ihn
bewundern und hochſchaͤtzen. Nun, lieber Bruder,
daͤchte ich, du machteſt, wenn wieder Ferien ein-
fallen, eine Reiſe zu uns, und braͤchteſt deinen
lieben Kronhelm mit. Der Papa wuͤrd es ſehr
gern ſehen, ich ſagte ihm geſtern davon. Sags
dem Herrn von Kronhelm ja, und vergiß mein
aufrichtigſtes, freundlichſtes Kompliment nicht! Nicht
wahr, Bruͤderchen, du kommſt? Du weiſt ja, ich
hab dich gar zu lieb. Nun biſt du ſchon ein hal-
bes Jahr weg; denk einmal die lange Zeit! Alſo
haſt du Fraͤulein Regine kennen gelernt? Das
iſt mir ja recht lieb. Sie hat viel Gutes. Jhr
zu offenes Weſen, und ihre Ungeduld muß man
uͤberſehen; beydes iſt nicht boͤs gemeynt. Hier
ſchickt dir der Papa Geld, und ein Brieflein.
Er iſt, Gottlob! friſch und munter. Jn drey
Wochen heyrathet Karl die Jungſer aus Dollin-
gen; da ſie jetzt unſre Schwaͤgerinn wird, ſo
ſchickt ſichs nicht mehr, daß ich etwas gegen ſie
rede. Karl zieht ins Nebenhaus, und faͤngt ei-
ne eigne Haushaltung an. Gut! ſo kann ich
auf den Winter des Abends eher leſen, denn ich
bin jetzt recht erpicht drauf. Salome will nach
der Hochzeit wieder nach Muͤnchen; ſie iſt jetzt
bey unſrer neuen Schwaͤgerinn, und eine warme
Freundinn von ihr; wenns nur lange daurt! Der
Hauptmann von Northern beſucht uns fleiſſig.
Er hat jetzt das Portrait von ſeiner Braut be-
kommen; ſie ſieht himmliſch aus; ich habe das
Bild ſchon ſehr oft gekuͤßt. Wenn ich bey ihr
waͤre, ſo wuͤrden wir gewiß gute Freundinnen;
ich ſehs ihren Augen an. Der Mann, der den
Meſſias geſchrieben hat, heiſt Klopſtock. Er
ſoll ein ſehr frommer Mann, und doch der an-
genehmſte Geſellſchafter ſeyn. Hauptmann Nor-
thern hat mir ein paarmal aus dem Meſſias
vorgeleſen. Jch ſag dir, Bruder, es iſt alles vor-
treflich. Man fuͤhlt was dabey, was man ſonſt
in ſeinem Leben nicht gefuͤhlt hat; man iſt ganz
uͤber der Welt, und ſieht auf ſie herunter. Nun
fang ich das Buch bald ſelber an zu leſen. Es
ſoll etwas Muͤhe koſten, eh mans erſt ganz ver-
ſteht, ſagt Hauptmann Northern; aber wer wird
ſich, um etwas Herrlichen willen, eine kleine Muͤh
verdrieſſen laſſen? Leb wohl, liebſter Bruder, und
empfiehl mich dem P. Philipp! Gottlob, daß er
wieder geſund iſt! Dem Herrn von Kronhelm
haͤtt ich faſt ſelbſt geſchrieben; aber das waͤr auch
gar zu dreiſt! Sags ihm ja nicht! Adjeu!
Deine getreue Schweſter
Th. Siegwart.
Siegwart ließ auch dieſen Brief ſeinen
Kronhelm leſen. Dieſer fand an Thereſens
Denkart immer mehr Wohlgefallen, und ſagte zu
Xaver, wenn er ſeiner Schweſter wieder ſchreibe,
ſo woll er auch ein Briefchen beylegen. Er freu-
te ſich, daß Thereſe mit ihm uͤber Reginens
Charakter gleichgeſinnt ſey, ob ſie gleich gelinder
von ihr urtheilte, als er, in einem andern Ver-
haͤltniſſe, gethan hatte.
Siegwart hatte ſchon lang in das Kapu-
zinerkloſter gehen wollen, das dicht am Staͤdt-
chen lag, und war immer dran verhindert wor-
den. Endlich gieng er an einem Heiligentage mit
Kronhelm hinaus, in die Predigt. Er hoͤrte
eine hoͤchſtfabelhafte und abgeſchmackte Lobrede
auf den heiligen Biſchof Martin, bey der das
Lachen weit natuͤrlicher war, als Andacht und Er-
bauung. Nach dieſem gieng er im Kloſtergarten
ſpatzieren, in der Abſicht, mit einem, oder dem
andern Pater bekannt zu werden. Endlich rede-
te er einen an, der ihm aber ſehr kurz antwor-
tete. Ein andrer, den er drauf antraf, war weit
freundlicher, und freute ſich ſehr uͤber die Nach-
richt, daß er auch ein Kapuziner werden wolle.
Er verſprach, dieß ſeinen uͤbrigen Bruͤdern zu
ſagen, und ſetzte hinzu: Wir werden ihn bald
einmal zum Eſſen bitten laſſen. Beſuch er mich
indeſſen mit ſeinem Freunde, wenn er will! Es
ſoll mich immer freuen. Nach acht Tagen wurde
Siegwart zum Eſſen eingeladen. Die Patres
alle empfiengen ihn ſehr freundſchaftlich. Ueber
Tiſche fieng der Prior an: Aber, Monſieur Sieg-
wart, es iſt loͤblich und uns allen ſehr erfreulich,
daß er in unſern heiligen Orden eintreten will;
nur befremdet es uns ſehr, wie er an ein ſolches Kloſter
gerathen iſt, wie das zu Fuͤllendorf; (ſo hieß P. An-
tons Kloſter,) da waͤre ja das unſrige weit beſſer! Jn
jenem iſt gar nichts zu machen. Der Prior iſt ein
harter Mann, und die Patres ſind einfaͤltige Leute.
Tret er dafuͤr zu uns! Es ſoll ihn gewiß nicht
gereuen. Es ſind hier in der Stadt viel ver-
moͤgliche Leute, die uns oft zu eſſen ſchicken. An-
ſtatt, daß wir herumſammeln muͤſſen, wird es
uns zugetragen. Wir haben taͤglich wenigſtens
acht Meſſen zu leſen, und an Feſttagen wol zwan-
zig. Sieht er, das traͤgt ein, da kann man be-
quem leben. Z. E. Dieſen Wein hier hat uns
erſt heut der Poſtverwalter zugeſchickt. So gibts
faſt alle Tage etwas. Sey er klug, und verſprech
er uns, zu uns zu kommen! Siegwart gab voll
Befremdung zur Antwort: Es ſey ihm, bey ſei-
nem Entſchluß, nicht um gut Eſſen und Trinken
zu thun, und er habe den andern Paters ſchon
ſein Wort gegeben. Die Kapuziner lachten uͤber
ſeine Bedenklichkeiten, und ſagten: Man muͤß’ es
nicht ſo genau nehmen! Als all ihr Zureden bey
ihm nichts vermochte, ſo lieſſen ihn die Paters
mit ziemlicher Verachtung und Gleichguͤltigkeit
von ſich. Er gieng mismuthig weg, und aͤrgerte
ſich uͤber die Geiſtlichen, die aus Neid ihre Mit-
bruͤder verachteten, und den Hauptvorzug ihres
Kloſters in beſſer Eſſen und Trinken ſetzten. Er
fieng jetzt an, ſeine Jdeen von der Heiligkeit der
Moͤnche uͤberhaupt, etwas herabzuſtimmen; doch
nahm er in Gedanken ſeine Kazpuiner in Fuͤl-
lendorf gleich wieder davon aus, obwohl der
Schluß ſehr natuͤrlich geweſen waͤre: Jedes Klo-
ſter ſieht auf ſeinen eignen Vortheil, und iſt des-
wegen auf jedes andre eiferſuͤchtig. Die Artig-
keit der Paters in Fuͤllendorf haͤtt er ſich auch
leicht daraus erklaͤren koͤnnen, daß ſie ſich um ihn
Muͤhe gaben, und ihm deswegen ſo hoͤflich begeg-
neten. So erklaͤrte es wenigſtens Kronhelm,
dem er ſeinen Unwillen mirgetheilt hatte, und der
die Gelegenheit wahrnahm, ihm eine Abneigung
gegen die Kloͤſter uͤberhaupt einzufloͤſſen. Aber
das Jdeal ſteckte noch zu tief in Siegwarts See-
le, als daß es ſobald haͤtte koͤnnen herausgeriſſen
werden.
An einem Sonntage nachher gieng Sieg-
wart in die L. Frauenkirche, die den Nonnen in
der Stadt gehoͤrte. Sie waren, ohne daß man
ſie ſehen konnte, oben auf der Orgel, die zu oberſt
an der Decke gebaut war, und machten eine
himmliſche Muſik von allen Jnſtrumenten, die ſie
zum Theil ſehr gut ſpielten. Dazwiſchen hoͤrte
er ihre ſilberreine und melodiſche Stimmen.
Dieß that auf ihn eine ganz erſtaunliche Wir-
kung. Er hoͤrte eine zaubriſche Muſik, wie vom
Himmel herab, und ſah nichts. Er glaubte die
Choͤre der Engel anzuhoͤren und traͤumte ſich uͤber
unſre Welt hinaus. Die Nonnen ſchienen ihm
die heiligſten und beneidenswuͤrdigſten Geſchoͤpfe
zu ſeyn. Er gieng nun faſt alle acht Tage in ih-
re Kirche, und naͤhrte ſich mit Jdeen von Heilig-
keit und Vollkommenheit. Kronhelm ſah dieſen
Schwung ſeiner Einbildungskraft nicht gerne, der
ihn aufs neue in die Myſtik hinein, und von
der Welt abbrachte.
Nach einiger Zeit ward eine Nonne inſtallirt,
wobey Siegwart auch gegenwaͤrtig war. Das
Opfer war eine junge, engelſchoͤne Baroneſſinn
von 19 oder 20 Jahren. Sie ſtund in ihrem
Brautſchmuck vor dem Altar, und legte, durch den
heiligen Pomp erhitzt, das Geluͤbde mit vieler
Freundlichkeit ab. Unſerm Kronhelm gieng es
durch die Seele, als ſie der Welt, allen Freuden,
ihren Eltern und Verwandten, die mit gegenwaͤrtig
waren, auf ewig abſagte; ſich auf die Erde, als
in ein Grab legte, und dann, als eine Braut
Chriſti, wieder aufſtand; den Trauring anlegte;
und ihren Braͤutigam, ein waͤchſernes Chriſtkind,
mit Flittergold behangen, auf den Arm nahm;
als ſie drauf in einem Zimmer ausgezogen; ihres
Myrthenkranzes, und ihres ſchoͤnen blonden Haa-
res beraubt, und in eine grobe braune Kut-
te gehuͤllt wurde. Todtenblaß kam nun das
Maͤdchen, das eben noch wie eine Blume ge-
bluͤht hatte, heraus, und ward auf ewig in das
Kloſter eingeſchloſſen. Kronhelm ergrimmte bey
ſich ſelbſt; verwuͤnſchte das Geſetz und den Aber-
glauben, der ſolche Verwuͤſtungen im menſchlichen
Geſchlecht anrichtet, und konnte etliche Tage lang
ſich dieſer Vorſtellung, die ihm ſeine Seele ver-
wundete, nicht entſchlagen. Siegwart hingegen
war vor himmliſchem Entzuͤcken ganz auſſer ſich;
erblickte nichts als Engel und Heilige um ſich her-
um; und pries die Baroneſſinn, und jedes Maͤd-
chen ſelig, das ihr folgte. Er hoͤrte nachher noch
oſt von der Orgel herab ihre Stimme, die ſich
uͤber den Geſang der andern Nonnen erhob,
und glaubte; ſie weit freudiger ſingen zu hoͤren,
als die uͤbrigen.
X
P. Philipp, mit dem Kronhelm uͤber die
Schwaͤrmereyen ſeines Freundes geſprochen hatte,
gab ſich auch alle Muͤhe, ihn zu zerſtreuen, und
ſeine Aufmerkſamkeit auf andre Gegenſtaͤnde zu
lenken; er gab ihm daher allerley Buͤcher, und
beſonders hiſtoriſche, zu leſen. Etwas half es,
aber doch nicht viel. Die Einſamkeit, die der
Winter mit ſich bringt; und die wenige Zer-
ſtreuung, da man immer eingeſchloſſen iſt, zwang
unſern Xaver, ſich am meiſten mit ſich ſelbſt zu
beſchaͤftigen, und da war ſeine Einbildungskraft
geſchaͤftig genug, ihm lauter Jdeale von Heiligen
und Moͤnchen in den Kopf zu ſetzen. Er ward
oft faſt boͤſe, wenn ihn Kronhelm durch einen
kleinen Scherz aus ſeinen Schwaͤrmereyen her-
auszureiſſen ſuchte.
Kronhelm hatte nun Thereſen auch ein
kleines natuͤrliches Briefchen geſchrieben, ſie ſeiner
aufrichtigen Hochachtung verſichert, und um ihre
Freundſchaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht
Tage drauf, gleich wieder, und freute ſich unge-
mein uͤber ſeinen Brief und ſeine Freundſchaft;
Wenn Sie Geduld haben wollen, ſchrieb ſie un-
ler andern, mich zuweilen anzuhoͤren, ſo ſchreib
ich Jhnen wol oͤfters, und frage Sie um ver-
ſchiedenes, das Sie mir dann gelegentlich beant-
worten. Aber ich weis freylich nicht, ob Sie es
der Muͤhe wehrt halten, ein neugieriges Land-
maͤdchen zu belehren? Am Ende machte ſie ihm
eine Empfehlung von ihrem Vater, und lud ihn
in ſeinem und in ihrem Namen ſehr hoͤflich ein,
ſie auf die kuͤnftigen Ferien mit ihrem Bruder zu
beſuchen. Kronhelm war uͤber dieſen Brief ganz
entzuͤckt; Sein Herz ſchlug ihm, als er ihn las,
und es ſtiegen Gefuͤhle in ihm auf, die er ſich ſel-
ber nicht erklaͤren konnte. Unſerm Siegwart
hatte ſie folgendes geſchrieben:
Beſter Bruder!
Gottlob, daß ich den Meſſias zu leſen an-
gefangen habe; und aͤrgern muß ich mich, daß es
nicht ſchon weit eher geſchehen iſt! Das iſt ein
heiliges goͤttliches Buch, und Klopſtok, der’s ge-
macht hat, muß noch goͤttlicher und heiliger
ſeyn. Nun will ich, gern alle Buͤcher weggeben,
die Bibel ausgenommen, wenn ich nur den Meſ-
ſias habe. Du kannſts nicht glauben, Bruder,
was fuͤr einen Schatz der Andacht, der Empfin-
dung, des Groſſen und Goͤttlichen dieſes Buch
in ſich enthaͤlt; und es iſt noch lang nicht zur
Haͤlfte fertig Jetzt iſt der ganze Meſſias vollendet, und
enthaͤlt zwanzig Geſaͤnge. Anmerkung des
Herausgebers., und ich habe das, was da iſt,
noch nicht halb geleſen. Man kommt in ganz
neue Welten von Engeln; und von Engeln, wie ſie
ſich wol noch nie eine menſchliche Seele vorgeſtellt
hat, ſo groß und vollkommen ſind ſie. Meynſt
du nicht, daß ein Menſch, der ſich das ſo leben-
dig vorſtellen kann, eben ſo groß und vollkommen
ſeyn muͤſſe? Die Stellen, die ich bis jetzt am
meiſten bewundre und liebe, ſind: die von Sam-
ma und Joel und Benoni. Die Haut ſchau-
dert einem, wenn mans lieſt und alles ſo mit an-
ſieht. Dem Seraph Abbadona bin ich recht
gut; wenn er doch nicht ſo ungluͤcklich waͤre!
Philo iſt ein abſcheulicher Kerl! und der men-
ſchenfreundliche Nikodemus neben ihm! Wie ſticht
das ab! Am meiſten hat mich die Geſchichte von
Semida und Cidli geruͤhrt. So etwas ſchmel-
zendes und ſuͤſſes und wehmuͤthiges hat wol noch
kein Menſch gedacht; und doch iſt alles ſo wahr
und treffend! O, ich moͤchte mich mit Cidli zu
Tode weinen! Letzthin traͤumte mir von ihr.
Jch glaub, ich hab ſie geſehen, wie ſie ausſah.
Bruder, du muſt dir das Buch kaufen! Gib lie-
ber alle andre Buͤcher weg, und ſchreib an einen
Buchhaͤndler nach Augſpurg oder Ulm, daß er
dir den Meſſias ſchicke! Der Herr Hauptmann
von Northern hat mir zwar den Meſſias ſelbſt
geſchenkt; aber ſo lieb ich dich auch ſonſt habe,
ſo kann ich ihn dir doch nicht ſchicken; ich muß
ihn immer bey der Hand haben. Er iſt ſo ſchwer
nicht zu verſtehen; Man muß nur ſeine Gedan-
ken brav beyſammen behalten. Kauf das Buch
ja gleich, du wirſt mirs danken! Jch bin
deine getreueſte Schweſter
Th. Siegwart.
Unſer Siegwart ſchrieb ſogleich an einen
Buchhaͤndler in Augſpurg, um drey Exemplare
vom Meſſias; denn Kronhelm und Gruͤnbach
wollten ihn auch haben. Der Bediente des
Buchhaͤndlers in Augſpurg hatte zum Gluͤck ſel-
ber viel Geſchmack und eine gute Bekanntſchaft
mit der neuern deutſchen Litteratur. Es kam ihm
ſonderbar vor, daß ein Juͤngling, und noch dazu
ein Katholik in dieſen Gegenden etwas von
Klopſtock wuſte. Er ſchickte alſo zugleich mit
den Exemplaren einen Brief an unſern Siegwart,
worinn er ihm ſehr freundlich anbot, ihm auch
kuͤnſtig Buͤcher zuzuſchicken, wenn er welche noͤ-
thig habe; und zugleich erbot er ſich, ihm immer
Nachrichten von neuen Buͤchern, beſonders aus
dem Fach der ſchoͤnen Wiſſenſchaften mitzutheilen.
Siegwart, der ohnedieß ſehr wißbegierig war,
nahm dieſen Vorſchlag mit tauſend Freuden an,
und ſchrieb dem Buchhaͤndler ſogleich wieder:
Er moͤchte ihm die beſten Buͤcher, auch die aͤl-
tern, in der Dichtkunſt, und denen dahin ein-
ſchlagenden Wiſſenſchaften melden. Der Buch-
haͤndler that es mit viel Gefaͤlligkeit, Geſchmack
und Einſicht, ſo daß Siegwart und ſeine beyden
Freunde, auch von dieſer Seite, gut gebildet wur-
den. Sie ſchafften ſich die beſten Buͤcher an,
und konnten die, ſo ihnen nicht gefielen, wieder
nach Augſpurg zuruͤck ſchicken. — Siegwart
blieb gleich denſelben Abend, da er den Meſſias
bekommen hatte, mit ſeinem Kronhelm bis nach
Mitternacht aufſitzen, und las ununterbrochen fort.
Anfangs war ihm der Kopf, durch das Anſtren-
gen, ganz wuͤſte geworden, denn er konnte ſich
in die Sprache, und die neuen Wendungen nicht
ſogleich finden; aber kaum war er uͤber dieſe
Schwierigkeiten weg, ſo fand er ſoviel auſſeror-
dentliches, himmliſches und uͤberirdiſches in dem
Gedicht; ſeine ganze Seele ward davon ſo erfuͤllt,
und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu
ſeyn glaubte, und in lauter Himmelswonne
ſchwamm. Oft ſprang er auf; wiederholte laut,
was er geleſen hatte, und konnte nicht begreifen,
wie ein Menſch im Stand geweſen ſey, derglei-
chen hervorzubringen? Die ganze Nacht ſchlum-
merte er nur, und las beſtaͤndig noch im Traume
fort. Klopſtocken, deſſen Herz an ſo vielen hun-
dert Stellen des Meſſias durchſchimmert, liebte
er von dem Augenblick an mit der kindlichſten
Dankbarkeit, und den andern Tag machte er fol-
gendes Gedicht an ihn, das erſte, was er, nach
dem auf ſeines Bruders Tod, gemacht hatte:
An Klopſtock.
Heiſſer Dank ſtroͤm aus in Thraͤnen!
Stroͤm dem Mann, von Gott geſandt, zu!
Hoͤr, o Mann, des Juͤnglings Stammeln!
Seine Seele ſtammelts.
Fern, in fremdem Lande haſt Du
Feuer in mein Herz gegoſſen!
Hohe, himmelvolle Andacht
Wallt zum Thron des Mittlers.
Daß ich nun Jhn heiſſer liebe,
Den, fuͤr uns, dahin Gegebnen;
Daß ich ganz ſein Heil, nun kenne,
Dank’ ich dir, Du Edler;
Nie wird dieſes Aug auf Erden
Sehnſuchtsvoll an Deinem hangen;
Nie wirſt Du die Roͤthe ſehen,
Die mein Antlitz faͤrbet;
Aber, wenn des Mittlers Stimme
Mich auch aus dem Grabe rufet,
Dann, o Mann, von Gott geſendet,
Hoͤrſt Du meinen Dank auch!
Auch Kronhelm und Gruͤnbach laſen Tag
und Nacht im Meſſias, und waren von ſeiner
Vortreflichkeit ganz dahin geriſſen. Pater Philipp
verſchrieb ſich auch ein Exemplar und P. Johann
machte das Buch zu ſeinem Erbauungsbuche.
Der rechtſchaffene Buchhaͤndler ſchickte ihnen von
freyen Suͤcken den Gellert, Rabener, Haller,
Lichtwer und Hagedorn zu, und bildete durch
ſeine vaͤterlaͤndiſche und freundſchaftliche Bemuͤ-
hungen ihren Geſchmack. Sie hatten nun den
Winter uͤber die angenehmſte Beſchaͤftigung, in-
dem ihre Zeit zwiſchen Leſen und Muſik unver-
merkt dahin floß. Dabey verſaͤumten ſie ihre ei-
gentliche Wiſſenſchaften nicht, indem P. Philipp
ſie durch ſeinen Rath in den Schranken hielt, und
ſie das Angenehme dem Nuͤtzlichen unterordnen
lehrte.
Am Charfreytage wurde in dem Staͤdtchen,
wie in andern oͤſterreichiſchen Staͤdten, die Kreu-
zigung Chriſti von den Buͤrgern mit groſſem Pomp
vorgeſtellt. Mehr als dreyhundert Bauren ka-
men vom Land herein, um ein Kreuz zu ſchleppen,
oder ſich zu geiſſeln. Siegwart, der mit ſeinen
Freunden dieß mit anſah, konnte nicht begreifen,
wie Menſchen, an dem Tage, da Chriſtus an ihrer
Statt gelitten hatte, ſich noch einfallen laſſen koͤnn-
ten, durch eigne blutige Buͤſſungen Gott genug zu
thun? Er aͤrgerte ſich, wie er den Misbrauch ſah,
der mit der ernſthafteſten und wichtigſten Begeben-
heit fuͤr die Menſchheit, getrieben ward; da der
verkappte Chriſtus, ein Baurenkerl, zu den Bau-
renmaͤdchen, oder ſeinen Kammeraden lachte; und
da ſogar einer von den Schaͤchern vom Kreuz her-
ab einem andern Bauren zurief: Heh, Hans!
Haſt du nichts zu trinken?Die Gewohnheit zu kreuzigen, die ſo vielem
Mißbrauch unterworfen war, iſt jetzt auf Be-
fehl der Kaiſerinn in den oͤſterreichiſchen Lan-
den abgeſchafft. Anmerkung des Heraus-
gebers. u. ſ. w. Als Chri-
ſtus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nie-
der, und ſchlug ſich auf die Bruſt, daß es wieder-
hallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus
dem naͤchſten Orte gekommen war, das Schauſpiel
mit anzuſehen, ſtund neben Siegwart, und fiel
nicht mit auf die Knte. Sogleich entſtand ein
Gemurmel unter dem Volk, und einige ſchrien,
ſchlagt den Ketzer nieder! Ein ſtarker Kerl gab
ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf;
aber Siegwart ſprang auf, nahm den Ketzer
bey der Hand, riß ihn aus dem Gedraͤng heraus,
und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit.
Dieſe Handlung, die ſo edel und menſchlich war,
zog ihm den Haß ſeiner meiſten Mitſchuͤler zu,
worinn ſie P. Hyacinth, der ihm ohnedies nicht
gut war, noch beſtaͤrkte; aber Siegwart machte
ſich nicht viel daraus, denn P. Philipp lobte ſei-
ne That, und rieth ihm nur an, kuͤnftig die ge-
hoͤrige Klugheit zu beobachten.
Unſre Juͤnglinge brachten theils mit P.
Philipp, theils unter einander den Fruͤhling ſehr
vergnuͤgt zu. Sie giengen taͤglich ſpatzieren, be-
ſonders in einen ſchoͤnen Garten, der dem Kloſter
gehoͤrte, ſie badeten in der Donau, und laſen
Kleiſts Gedichte und beſonders ſeinen Fruͤling.
Thereſe hatte ihrem Bruder geſchrieben, er ſolle
ſich vor allen andern Dichtern den Kleiſt kau-
fen, weil er das Landieben ſo auſſerordentlich la-
chend und angenehm ſchildere. Jch liebe, ſchreibt
ſie, dieſen Mann nach Klopſtock am meiſten.
Er iſt ein vertrauter Freund von meinem braven
Hauptmann Northern. Er hat drey Jahre zu-
gleich mit ihm im Feld geſtanden, und ſoll der
beſte, menſchenfreundlichſte Held ſeyn, der keinem
Menſchen wiſſentlich Boͤſes, wol aber Tauſenden
Gutes thut. Ein Soldat, der menſchlich denkt
und handelt, wie mein Hauptmann, iſt gewiß
was ſeltnes und verehrungswuͤrdiges. Vor zwey
Jahren iſt der theure Kleiſt, nicht weit von
Hauptmann Northern verwundet worden, nach-
dem er erſt wie ein Loͤw geſtritten hatte. Nach
erſchroͤcklichen Schmerzen ſtarb er in Frankfurt
an der Oder. Hauptmann Northern, der auch
von den Ruſſen gefangen worden, und bis an
ſein Ende beſtaͤndig um ihn war, kann mir nicht
genug erzaͤhlen, wie ſtandhaft er gelitten, und wie
ruͤhrend und chriſtlich er geſtorben iſt. Jch und
der Hauptmann Northern weinten den ganzen
Abend, als ers mir erzaͤhlte. Er hat auch ſein
Portrait in der Doſe, der Mann ſieht ſo edel
und menſchenfreundlich aus, wie ſeine Gedichte.
Wie muſte ich weinen, als ich ſeinen Wunſch las,
der ihm leider nur zu fruͤh erfuͤllt worden iſt:
— — Wie gern ſterb ich ihn auch
Den edeln Tod, wenn mein Verhaͤngnis
ruft!
Und: Auch ich, ich werde noch — — Vergoͤnn
es mir, o Himmel! — —
Einher vor wenig Helden ziehn.
Jch ſeh dich, ſtolzer Feind! Den kleinen
Haufen fliehn,
Und find Ehr oder Tod im raſenden Ge-
tuͤmmel.
Lies ihn, Bruder, du wirſt faſt ſonſt in kei-
nem Dichter ſo viel ſchoͤne Gemaͤlde, ſo viel menſch-
liche Empfindung, die aus dem beſten Herzen
ſtroͤmt, antreffen! Ein andrer Officier hat mir
auch andre Buͤcher geliehen, die mir weniger ge-
fallen. Beſonders ein gewiſſer Verſuch in Schaͤ-
fergedichten; ich hab ihm aber das Buch gleich
wieder zuruͤckgegeben, weil es ſo ſehr anſtoͤſſig iſt,
und viel muthwillige Stellen und Zweydeutigkei-
ten enthaͤlt. Jch kann nicht begreifen, was ein
Menſch fuͤr Abſichten haben kann, der ſolche Din-
ge ſchreibt? Will er uns die Unſchuld als etwas
gleichguͤltiges abſchildern, und uns Ausſchweifun-
gen als etwas ſchoͤnes anpreiſen? Pfuy, er wird
doch nicht glauben, daß wirs ſeinen Schaͤferinnen
nachmachen ſollen, oder daß uns ſolche Zweydeu-
tigkeiten angenehm ſeyn werden? Wenn er nichts
beſſers ſchreiben kann, ſo ſuch er nicht, noch un-
verdorbene und reine Gemuͤther anzuſtecken! So
ein Menſch iſt ein Feind von unſerm Geſchlecht,
und von aller Rechtſchaffenheit. Klopſtock und
Kleiſt haben mich gelehrt, daß man das Gemuͤth
auf das angenehmſte beſchaͤftigen kann, ohne es
zu verderben. Ein Dichter muß ein guter Mann
ſeyn, ſonſt iſt er ein ſchaͤdlicher Menſch. u. ſ. w.
Siegwart hoͤrte nun auch die erſten Regeln
der Dichtkunſt und der Redekunſt, aber zu allem
Ungluͤck beym P. Hyacinth. Die Regeln dieſer
beyden Wiſſenſchaften ſind uͤberhaupt fuͤr den,
der eigne Kraft hat, drinn zu arbeiten, das, was
einem erwachſnen Mann ein Gaͤngelband iſt;
Aber Hyacinth trug ſie noch dabey ſo erbaͤrm-
lich und abſchroͤckend vor, daß, wenn Siegwart
die Dichtkunſt, und auch in etwas die Redekunſt
nicht ſchon vorher gekannt haͤtte, er ſich nun ge-
wiß nie drum bekuͤmmert haben wuͤrde. Regeln
werden einen nie, weder zum Redner noch
zum Dichter machen. Alles alſo, was man in
den Schulen thun kann, waͤre, daß man junge
Leute fruͤhzeitig mit den beſten Muſtern der Red-
ner und Dichter bekannt, ihnen ſie verſtaͤndlich,
und ſie auf verſteckte, oder Hauptſchoͤnheiten auf-
merkſam machte. Aber dafuͤr traͤgt man lieber
Recepte zu elenden und unnatuͤrlichen Chrien
vor; und lehrt, wie ein Deutſcher elende latei-
niſche Verſe machen ſoll? Abgeſchmaktere und
widerſinniſchere Erziehungsregeln kann wol kaum
ein Phantaſirender in der hitzigſten Krankheit
traͤumen!
Jm Junius wurden die Rollen zu dem
Schuldrama ausgetheilt, das im Auguſt, am En-
de des Schuljahrs ſollte aufgefuͤhrt werden. Das
Stuͤck war bibliſch, und enthielt die Geſchichte
der Athalia. Siegwart bekam die Rolle des
Joas; Kronhelm ſollte den Hohenprieſter Jojada
und Gruͤnbach die Athalia machen. Sie ka-
men nun taͤglich zuſammen, und ſpielten ihre Rol-
len. Siegwart machte die ſeinige beſonders ſehr
natuͤrlich. Als das Schauſpiel aufgefuͤhrt wurde,
erhielt er auch den groͤſten Beyfall, zumal da er
in dem Zwiſchenſpiel, das ein Singſpiel war,
auch eine Hauptrolle hatte, und ſehr vorzuͤglich
ſang. Den Abend nach der Komoͤdie wurden
P. Philipp, Kronhelm, und Siegwart vom
alten Gruͤnbach zum Eſſen gebeten, und ſehr koſt-
bar bewirthet. Der Kraͤmer machte tauſend
Komplimente, und noͤthigte ſie unauf hoͤrlich zum
Eſſen und zum Trinken. Er hatte eine herzliche
Freude uͤber ſeinen Sohn, daß ſeine theatraliſche
Probe heut ſo gut von ſtatten gegangen ſey. Er
fieng alle Augenblicke davon an, um nur vom
P. Philipp und den andern das Lob ſeines
Sohns zu hoͤren. Er glaubte, einen recht witzi-
gen Einfall zu haben, und lachte lange druͤber,
als er die Geſundheit der Koͤniginn Athalia aus-
brachte. Dießmal durften ſeine Frau und ſeine
Tochter auch mit gegenwaͤrtig ſeyn. Die Frau
war ein recht gutes wolmeynendes Buͤrgerweib,
die zu allem ihre einfaͤltige Meynung mit ſagte,
und deswegen alle Augenblicke durch die Winke
ihres Mannes einen Verweis bekam. Er ſchaͤmte
ſich und ward roth, ſo oft ſie den Mund oͤfnete,
obgleich ihre Reden nicht ſelten weiſer und ver-
ſtaͤndiger waren, als die ſeinigen. Er belehrte ſie
ſehr oft und gab ſich dabey ein recht ſtattliches,
vielbedeutendes Anſehen. Die Tochter, Sophie,
war ein artiges Maͤdchen, dem der Vater eine
vornehme und gute Erziehung hatte geben laſſen.
Sie hatte dunkelblaue, tiefliegende Augen, in de-
nen ſich viel Schwaͤrmeriſches ausdruͤckte. Jhr
ganzes Geſicht verrieth uͤberhaupt viel Anlage
zum Nachdenken und zur Melancholie. Jhr Au-
ge ruhte oft lang auf Siegwarts Geſicht, der ihr
ſchon eine ziemliche Zeit, und beſonders heut in
der Komoͤdie vorzuͤglich gefallen hatte. Sie
ſprach wenig, aber ſehr beſtimmt, und mit vieler
Wahrheit und Empfindung. Jhre Aufmerkſamkeit
auf Siegwart wurde von memand beſonders be-
merkt, obgleich der Vater unzufrieden war, daß
ſie ſo wenig ſpraͤche. Nach Tiſche muſte ſie ſich
auf dem Klavier hoͤren laſſen, welches ſie mit
vieler Fertigkeit und wahrem Ausdruck ſpielte.
Alle waren ſehr damit zufrieden, und beſonders
lobte ſie unſer Siegwart, welcher, vermoͤge ſeines
heftigern Charakters alles Vortrefliche und Schoͤ-
ne laut bewunderte. Sie ſah auch nur ihn an,
wenn ſie ein Stuͤck ausgeſpielt hatte, weil ſie
auf ſein Lob am meiſten achtete. Sie bat ihn
um ein paar Arien, die er heut im Singſpiel
geſungen hatte. Er hatte ſie noch bey ſich, und
legte ſie ihr vor. Sie ſpielte ſie vom Blatt
weg, und er ſang dazu. Der Vater freute ſich
daruͤver ungemein, und ſah bald den P. Philipp,
bald unſern Kronhelm laͤchelnd an. Endlich
gieng die Geſellſchaft, ziemlich ſpat, nach Haus.
Zween Tage drauf giengen unſre beyden
Juͤnglinge zum alten Siegwart, der ſie, nebſt
Thereſen, mehrmals dringend eingeladen hatte.
Es ward ihnen eine Kutſche geſchikt, um ſie ab-
zuholen. Sie kehrten unterwegs in dem Wirts-
hauſe ein, wo Siegwart ehemals den Streit
uͤber die Wildſchuͤtzen mit angehoͤrt hatte. Dies-
mal war niemand da, als eine alte Zigeunerinn,
die unſern Juͤnglingen mit Gewalt wahrſagen
wollte. Sie weigerten ſich eine Zeitlang; aber,
als ſie nicht nachließ, hielt endlich Kronhelm
ſeine Hand hin. Ey, Ey, Junker, lauter Gluͤck,
lauter groſſes Gluͤck! rief die Frau. Viel Geld
Y
daß mans in Scheffeln meſſen muß! Langes Le-
ben und Geſundheit! Hohe Ehr, und vor allem
andern eine huͤbſche runde Frau! O, ein allerlieb-
ſtes Maͤdel! und ein Dutzend Kinder hinter drein!
— Ach, wie allerliebſt! Siehſt du, Junker, was
du fuͤr ein Gluͤckskind biſt! Kannſt mich auch
dafuͤr bezahlen! — Nun muſte ihr auch Sieg-
wart die Hand hinreichen. Jch wollt dir gern
auch Gutes prophezeihen, Junker, aber die Linea-
menten wollens nicht erlauben. Ey, Ey, Ey!
Schmerz und Jammer! Angſt und Leiden! Eine
Braut und keine Hochzeit! Geſundheit und ein
fruͤhes Grab! Faß Muth, Junker, denn du
brauchſt viel! Armer Junker daurſt mich, denn
du biſt ein gutes Kind. Aber ſieh, daß ich un-
partheyiſch bin, und red, was wahr iſt. Darfſt
mir nichts geben, denn ich hab dir Ungluͤck pro-
phezeiht. Faß Muth, du brauchſt viel! Unſre
Juͤnglinge achteten der Reden des alten Weibes
wenig, und fuhren wieder weiter. Eine Stunde
noch vom Dorfe kam ihnen Thereſe in einem
ſchneeweiſſen Gewand mit himmelblauen Schlei-
fen, und einem ſchwarzen Sommerhut entgegen.
Siegwart ſah ſie kaum, ſo ſprang er aus dem
Wagen auf ſie zu, und ſank ihr, ohne ein Wort
zu ſprechen, in den Arm. Das gute Maͤdchen
weinte vor Freuden, und druͤckte ihrem Bruder
einen heiſſen Kuß voll ſchweſterlicher Liebe auf
den Mund. Ach, mein lieber Xaver, hab ich
dich denn wieder? O du Herzensbruder, dieſe
Freude hab ich mir ſo lange ſchon gewuͤnſcht! —
Nun kam der Wagen naͤher, Kronhelm ſprang
heraus. Sie empfieng ihn mit einer Freudig-
keit, und mit einem Laͤcheln, das ſeine ganze
Seele durchdrang. Jhr Betragen war natuͤrlich,
ungezwungen, munter, und doch nichts weniger,
als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit
ihn und ihren Bruder, und wuſte ihre Aufmerk-
ſamkeit auf beyde aufs geſchickteſte zu theilen,
Beynahe hab ich mir Jhr Ausſehen ſo vorge-
ſtellt, Herr von Kronhelm! ſagte ſie; aber doch
nicht voͤllig. Nun wuͤnſch ich nur, daß Sie bey
uns Geduld haben, und ſich die Zeit nicht lang
werden laſſen moͤgen! Am guten Willen ſolls
nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir
auch die Kraͤfte haben? Doch ich weis, Sie
nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, ha-
ben Sies doch bey meinen Brieſen gethan.
Dann frug ſie nach dem P. Philipp. und nach
andern Dingen. Jhren Bruder betrachtete ſie
unauſhoͤrlich, oft zitterte ihr eine Thraͤn ins Au-
ge, und dann lachte ſie, wann er ſie anſah.
Kronhelm that erſt etwas aͤngſtlich, und ſchwieg;
denn er war uͤberhaupt bey Frauenzimmern etwas
furchtſam. Aber ihr offenes und ungezwungenes
Betragen machte ihn ſehr bald geſpraͤchiger.
Sie kamen nun ans Haus des alten Sieg-
wart. Er gieng ihnen mit Freuden entgegen;
druͤckte ſeinem Sohn die Hand, und bewillkomm-
te Kronhelm aufs freundſchaftlichſte. Weil der
Tag ſehr ſchoͤn war, ſo aß man im Garten in
der Sommerlaube, zwiſchen Blumen, die alle
Thereſens Hand gepflanzt hatte. Karl aß mit
ſeiner neuen Frau dießmal auch mit, und betrug
ſich gegen Kronhelm und ſeinen Bruder ziemlich
artig. Aber ſeine Frau war verdrießlich, und
ſtolz, und ſprach wenig. Wilhelm war noch der
alte Traͤumer, der ſich immer gleich blieb. Der
alte Siegwart war recht herzlich froh; erzaͤlte
Geſchichten aus ſeiner Jugend, und ließ ſich von
den jungen Leuten wieder welche erzaͤlen. Wenn
Thereſe vom Tiſch weg, ins Haus gieng, ſo ſag-
te er viel zu ihrem Vortheil, und lobte ſie, daß
ſie ſich ſeiner, und des Hausweſens ſo treulich
annehme. Nach Tiſche waren unſre drey jungen
Leute allein im Garten, ſchuͤttelten Birn und fruͤ-
he Aepfel. Siegwart ſtieg auf die Baͤume; und
Thereſe und Kronhelm ſammelten das Obſt auf.
Das Maͤdchen war ſehr munter; machte viel
Spas; und Kronhelm, der ſonſt ſtiller und ernſt-
hafter war, machte unvermerkt auch mit. Sie
ſprachen beyde viel in dem vertraulichen und an-
genehmen Ton der Jronie, der den Deutſchen ſo
gewoͤhnlich iſt. Des Abends half er ihr die
Blumen begieſſen, holte das Waſſer aus dem
Schoͤpfoͤrunnen, und war der Gaͤrtner, und ſie
ſeine Gaͤrtnerinn. Dann nahm man wieder ein
kleines, laͤndliches Maal ein, ſetzte ſich in die Laube
oder vor das Haus, und brachte ſo den Abend bis
eilf Uhr, oder zwoͤlf Uhr unter freundſchaftlichen
Geſpraͤchen hin. Den zweyten Morgen hoͤrte
Kronhelm ihre Stimme fruͤh im Haus, und
wachte dran auf, ob ihn gleich ſonſt kein Geraͤuſch
ſo leicht weckte. Sie ſpielte in dem, an die
Kammer ſtoſſenden Zimmer das Klavier, und
ſang dazu. Er rief ihr ſogleich einen guten Mor-
gen; ſie erſchrack, und er trat ins Zimmer. Er
bat ſie, noch ein paar Arien zu ſpielen und zu
ſingen; ſie that es ſogleich, ohne das viele vor-
hergehende, dem weiblichen Geſchlecht ſonſt ſo ei-
gene Gezier. Jhre Stimme war rein und na-
tuͤrlich, ob ſie gleich eben nicht ſehr nach der Kunſt
ſang. Aber ſie ſang mit dem ganzen herzlichen
Antheil, der den Geſang allein angenehm und
unterhaltend macht. Drauf trank man, in Ge-
ſellſchaft des alten Siegwarts den Kaffee. Sie
ſchenkte ihn ein, ſtopfte die Pfeiſen, und zuͤndete
ſie ſelbſt an. Man ſprach von ernſthaften, oder
luſtigen Sachen. Nach einer Stunde gieng der
alte Siegwart wieder an ſeine Geſchaͤfte. Drauf
kam das Geſpraͤch auf Klopſtock. Sie ſprachen
alle mit einer Art von Begeiſterung von ihm,
und brachen in ſein Lob aus. Thereſe hatte groſſe
Stellen aus dem Meſſias und aus Kleiſt, die
ihr vorzuͤglich gefielen, und die auch in der That
die beſten waren, abgeſchrieben. Kronhelm las
ſie vor; ihre Empfindungen waren faſt immer
dieſelben, und oft riefen ſie zu gleicher Zeit vor
Bewunderung aus, wenn eine Stelle ſie vorzuͤg-
lich ruͤhrte. Sie verrichtete dazwiſchen ihre
haͤuslichen Geſchaͤfte, und gieng in dem Zimmer
aus und ein. Nach dem Eſſen giengen Kron-
helm, Thereſe, und Siegwart miteinander ſpa-
tzieren, um die ſchoͤne Gegend zu beſehen. Kron-
helm fuͤhrte Thereſen. Sie giengen durch ein
ſchoͤnes Thal, wo ein kleiner Bach ſich durch-
ſchlaͤngelte. Kronhelm erzaͤlte viel von ſeiner
Mutter, von ſeinem Bruder, und von ſeinen
Schweſtern; beſonders von der aͤltern in Muͤn-
chen. Thereſe nahm an allem vielen Antheil;
vornemlich gefiel ihr die Schilderung von Kron-
helms aͤlterer Schweſter, und ſie fuͤhlte eine
auſſerordentliche Zuneigung gegen ſie. Thereſe
liebte die Vergißmeinnichtchen ſehr. Unten am
Bach, deſſen Ufer ziemlich hoch war, ſah ſie
welche ſtehen. Ey die herrliche Vergißmeinnichtchen!
ſagte ſie; wenn man die nur kriegen koͤnnte!
Kronhelm ſtieg, ohne weiteres, hinab; aber das
lokre Ufer ſchurrte unter ihm weg; er wollte
ſich im Fallen noch an einer Brombeerhecke hal-
ten; ſie riß aus, und er fiel mit der rechten
Hand auf einen ſpitzen abgebrochnen Stab, daß
die Hand faſt durch und durch geſtochen wurde.
Thereſe erhub ein aͤngſtliches Geſchrey, und war
auſſerordentlich beſorgt. Kronhelm pfluͤckte die
Vergißmeinnicht ab; ſtieg herauf; gab ſie ihr
mit den Worten: Vergiß mein nicht! und mach-
te ſich aus ſeiner Wunde gar nichts. Aber The-
reſe war recht aͤngſtlich drob beſorgt, und ſagte:
ſie ſey Urſach an dem Ungluͤck; ſie muͤſſe ſich
Vorwuͤrfe druͤber machen, und er werde ihr nun
boͤſe werden. Kronhelm verſicherte das Gegen-
theil, und ſagte: Es ſey ihm recht angenehm,
daß er ſo ein ſchoͤnes Andenken an ſie, und an
dieſen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wun-
de eine kleine Narbe zuruͤcklaſſen. Sie gab ihm
ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand,
und war uͤber den zaͤrtlichen Antheil recht ſehr
erfreut, den ſie bey dieſer Gelegenheit an ſeinem
Schickſal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng
ihnen unter Scherz, und angenehmen Geſpraͤchen
hin. Als ſie nach Haus kamen, ließ Thereſe
gleich den Bader kommen, um Kronhelms Hand
zu verbinden; nachher verband ſie ſie ihm immer
ſelber. Sie affen den Abend in der Laube, und
ſaſſen bis ſpaͤt in die Nacht hinein zuſammen.
Den dritten Mergen laſen ſie immer im Klop-
ſtock, beſonders die Geſchichte von Semida und
Cidli. Kronhelm las ſie mit ſolcher Ruͤhrung,
daß Thereſen die Thraͤnen dabey in den Augen
ſtanden. Die Gleichheit ihrer Geſinnungen ent-
deckte ſich immer mehr, und erſtreckte ſich auf
die kleinſten Umſtaͤnde. Den Nachmittag ſollte
ein junger Bauerkerl begraben werden. Thereſe,
ihr Bruder und Kronhelm wollten das Begraͤb-
nis mit anſehen. Sie giengen ans Trauerhaus.
Der Sarg ward herausgetragen. Der Vater
und die Mutter des Verſtorbenen, ſahen oben
mit ſtarrem auf den Sarg gehefteten, troknen
Blick aus dem Fenſter. Das iſt was fuͤrchterli-
ches, ſagte Siegwart, wenn man ſo all ſeinen
Troſt, all ſeine Hofnung, ſein Alles, in einem en-
gen Sarge wegtragen ſehen muß! Wenn die
Freude des Hauſes weggetragen wird, um ewig
nicht mehr zuruͤckzukehren! Als man mit dem
Sarg um die Ecke hinumgieng, erhub die Mut-
ter ein lautes Geſchrey; ſchlug die Haͤnde uͤberm
Kopf zuſammen. Der Vater ſtand ſtumm, und
unbeweglich da. Auf dem Kirchhofe, als der
Sarg eben ins Grab hinabgelaſſen wurde, ſprang
ein Baurenmaͤdchen, ſchwarz gekleidet, und mit
bleichen Wangen herzu; drang ſich durch die
Leute bis ans Grab, und rief: Wilhelm! Um
Gottes willen, Wilhelm! biſt du ewig fuͤr mich
hin? Soll ich dich verlaſſen, Herzensbraͤutigam?
Hoͤrſt du deine Anne nicht mehr? Wilhelm?
Hoͤrſt ſie nicht mehr? Ach du guter Gott! Warſt
ſo ein frommer, rechtſchaffener Kerl! Mein Ein-
ziges! Mein Alles! Wilhelm! Nur noch Einmal
moͤcht ich dich ſehen! Nur noch einmal ſprechen
hoͤren! Ach, da graben ſie dich ein! Wenn ſie
mich nur auch begruͤben! Warſt ein frommer Junge!
Still und gottesfuͤrchtig! Warſt der ſchoͤnſt im Dorf,
und biſt nun todt! Warſt ſo arbeitſam! Und ſo freund-
lich, wenn du mich am Arm hatteſt! Gelt, nun hab ich
keinen Braͤutigam! Bin allein auf der Welt! Ein’ ar-
me verlaſſne Dirne! Wilhelm, Wilhelm! Wenn du
mich doch auch mitgenommen haͤtteſt! — Jeſus!
Maria! und Joſeph! — und nun ſank ſie ohn-
maͤchtig neben ’s Grab hin. — Man brachte ſie
nach langer Muͤhe wieder zu ſich ſelbſt. Jndeß
hatte man ein ſchwarzes hoͤlzernes Kreutz auf
dem Grab aufgerichtet, und einen Kranz von
Buchs dran gehaͤngt, mit Flittern. Sie hieng
ein roſenrothes Band dran; da, Wilhelm! ’s iſt
von dir! Ruh wohl! — Und nun gieng ſie, von
einer ihrer Freundinnen, und ihrer alten Mutter
gefuͤhrt, langſam weg; ſah ſich oſt um, und ſchlug
die Haͤnde in einander. — Es muß ſchroͤcklich
ſeyn, ſagte Thereſe, und ſah unſern Kronhelm
weinend an, einen Braͤutigam zu verlieren! Ja,
und eine Braut! ſagte Kronhelm; nahm ſie am
Arm, und ſie giengen ſchweigend vom Grab weg’
Den ganzen Abend war ihr Herz wehmuͤthig,
und dachte der Geſchichte nach. Sie giengen noch
etwas ſpatzieren; ſcherzten aber weniger als ſonſt.
Beym Eſſen ſah Thereſe oft unſern Kronhelm
lang und tiefſinnig an. Sein Auge begegnete
oft dem Jhrigen, und zog ſich erſchrocken zuruͤck.
Nach Tiſch ſpielte Thereſe ein paar ſchwermuͤthige
Arien; beſonders das feyerliche Lied von Graun
und Klopſtock: Auſerſtehn, ja auferſtehn wirſt
du! ꝛc. das ihr Herr von Northern gegeben
hatte. Siegwart und Kronhelm, und der alte
Amtmann ſangens mit. Das ſollſt du mir ein-
mal auf dem Grab ſingen laſſen, Thereſe, ſagte
der alte Siegwart. Es iſt ein herrliches Lied,
das die ganze Seele faßt, und zum Himmel auf-
hebt. Laß mirs ſingen, Tochter, wenns ſchon ein
Lutheraner gemacht hat! Er muß doch ein braver
Mann ſeyn, den ich einmal im Himmel anzu-
treffen hoffe. Gott bewahre, ſagte Thereſe, daß
ich das je erleben ſollte! Sie, und ihr Bruder,
und Kronhelm weinten. Drauf ſpielten Kron-
helm und Siegwart noch ein paar Adagio auf
ihren Violinen, die ſie mitgebracht hatten. The-
reſe war tiefbewegt; ihr Buſen bebte, und ihr
Herz ſchmolz. Sie ſah Kronhelm einigemal
lang, und mit Bewegung an. Er merkte es,
ward nachdenklich, und wuͤnſchte zum Erſtemal;
aber nur ganz dunkel, und im Jnnerſten des Her-
zens: Moͤchte mich der Engel lieben!
Auf den folgenden Tag ward ein Beſuch
beym Prediger in Windenheim feſtgeſetzt. Den
Morgen vorher waren ſie viel im Garten, wo
Thereſe, weil es wolkigt war, und den Anſchein
zu einem Regen hatte, Salat pflanzte, den ihr
Kronhelm reichte. Er ſah hundertmal nach dem
Himmel, ob er ſich nicht aufheitre? Jedes neu-
aufſteigende Woͤlkchen erſchroͤckte ihn. Er fragte
Siegwart und Thereſen mehr, als zwanzigmal,
ob das Wetter wol gut werden werde? Er that
oſt zweiſelhaft, und ſagte: nun wuͤrds gleich zu
regnen anfangen. Aber er ſagte es nur in der
Abſicht, daß man ihm wiederſprechen moͤchte.
Thereſe, die das merkte, gab ſich das Anſehen
einer groſſen Wetterkennerinn; nahm eine zwey-
deutige Mine an, und erſchroͤckte ihn alle Augen-
blicke mit der Nachricht, daß der Regen vor der
Thuͤr ſey. Kronhelm jammerte, daß ſie nun
nicht zum Prediger gehen koͤnnten, und er habe
ſich doch ſchon ſo lange drauf gefreut. Endlich
trieb ein ſchneller Oſtwind die Wolken weg, und
der Himmel wurde heiter. Mit ihm heiterte ſich
Kronhelms Geſicht merklich auf. Ja, wenn der
Himmel nicht begieſſen will, ſagte Thereſe, ſo muͤſ-
ſen Sie mir eben helfen. Und nun ſchoͤpften
Kronhelm und Siegwart aus dem Brunnen, und
begoſſen den Salat. Kronhelm hatte ſich an The-
reſen ſo gewoͤhnt, und fand an ihrem Umgang
ſo viel Wohlgefallen, daß er immer um ſie war.
Es war ihm nirgends wohl, wo er ſie nicht ſah.
Er lief uͤberall herum, und ſuchte ſie im ganzen
Haus auf. Sie war eben ſo gern um ihn.
Wenn ſie bey Tiſch aus der Stube gieng, ſo ſah
er ihr nach und wandte kein Auge von der Stu-
benthuͤr ab. Wenn ſie ſich oͤfnete, und Thereſe
hereintrat, ſo wars ihm, als ob das Paradies ſich
oͤfnete, und ein Engel Gottes hereintraͤte. Jhre
Blicke waren immer zuerſt auf ihn gerichtet, und
da ward ihm ſo wohl und ſo wunderlich zu
Muthe, daß ers Eſſen druͤber vergaß, und die
Gabel mit der Speiſe wieder auf den Teller ſinken
ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand ange-
ſehen habe, und ward roth druͤber; Thereſe, die
es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun,
ſo ganz dunkel, daß ſie einander nicht gleichguͤltig
ſeyen; aber ſie zweifelten doch noch oft daran,
denn beyden war die Liebe noch ganz neu.
Den Nachmittag giengen ſie nach Winden-
heim. Auf dem Weg dahin kamen ſie durch ein
ſchoͤnes Tannenwaͤldchen, das mit jungen Eichen
von hellgruͤnem Laub durchmiſcht war. Zuwei-
len war es ganz dunkel und ſchauderlich. Ey,
dies Waͤldchen will ich mir zueignen, und ein
Einſiedler drinn werden, ſagte Kronhelm. Da
will ich mich ganz von der Welt abſondern, und
recht ſtill und ruhig leben. Unter den Men-
ſchen iſt doch nichts anzufangen; Da iſt ſoviel
Kultur, Caͤrimonie und Bosheit; hier ſoll mich
nichts in meiner Einſamkeit ſtoͤren! — Als ich
allenfalls, ſagte Thereſe. Denn glauben Sie,
ich ſoll Jhnen das Waͤldchen, und den guten Ein-
fall ſo allein laſſen? Nein, ich lieb auch die Ein-
ſamkeit, und will mir auch eine Zelle bauen! Um die
Einſiedeley her leg ich ein Gaͤrtchen an; pflanze
Kohl, Salat, und Fruchtbaͤume drum her; halt
mir etlich Schaͤfchen, mach die Reh im Waͤld-
chen zahm, und die Nachtigallen, und die an-
dern Voͤgel. Jch will ihnen ſchon brav Futter
ſtreuen, daß ſie zahm werden muͤſſen. Auch Kanin-
chen halt ich mir, weiſſe und rothgeſprengte; keinen
Menſchen aus der Stadt, oder aus dem Dorfe laß ich
zu mir. O, das ſoll ein herrliches Leben ſeyn!
Kronhelm. Aber doch Jhre Freunde und
Verwandte laſſen Sie zuweilen zu ſich; ſo alle
halbe Jahr einmal? Jch laß auch zuweilen den
P. Philipp und P. Johann zu mir kommen;
und auch meine Schweſter.
Thereſe. Das verſteht ſich, Jhre Schwe-
ſter, und mein Bruder muͤſſen ganz zu uns kom-
men. Nicht wahr, Xaver?
Xaver. Ja freylich; wenn ich darf, ſo bin
ich immer bey euch, und wohne gar in deiner
Zelle. Jhr muͤßt euch aber doch auch als treue
Nachbarsleute fleiſſig beſuchen.
Thereſe. Zuweilen, ſo des Abends; aber
nicht gar oft. Denn ich weis, Herr von Kron-
helm und ich kommen nicht gut miteinander aus.
Er hat ſo ſeine eignen Grillen, und ich die mei-
nen. Nicht wahr, Herr von Kronhelm?
Kronhelm. Richtig, Jungfer Thereſe; des
Zankens wuͤrde da kein Ende werden. Aber nah
zuſammen, denk ich, wollen wir doch bauen.
Wenn wir ſchon uneins miteinander werden und
uns ſaure Minen zumachen, ſo koͤnnen doch wie-
der Zeiten kommen, da wir gern einen Abend
miteinander durchplauderten, zumal an den lan-
gen Winterabenden. Freylich wird da keins dem
andern nachgeben wollen; aber ich daͤchte, Xaver
und meine Schweſter koͤnnten da ſo eine Art von
Friedensſtiftern abgeben. Sie erkundigten ſich
beyeinander, was wir machten? Ob einem von
uns etwas fehle, weil wir ſo lang nicht zuſam-
men gekommen ſeyen? Man lieſſe dann einander
entſernt gruͤſſen. Jch gieng einmal von unge-
faͤhr bey ihrer Einſiedeley vorbey; braͤchte Jh-
nen ein Kaninchen, das ſich verlaufen haͤtte;
thaͤt aber uͤbrigens ganz kalt; ſaͤhe Sie nur ſeit-
waͤrts an, bis endlich ein Wort das andre
gaͤbe.
Thereſe. Gut! So wuͤrd ichs auch ma-
chen. Jch ſtellte mich, als ob ich Jhre Schwe-
ſter beſuchen wollte. Mit Jhnen ſpraͤch ich an-
fangs gar nichts, das verſteht ſich. Oder ich
gieng bey Jhrer Huͤtte vorbey; ſaͤh ſorgſaͤltig auf
die Erde, als ob ich etwas verloren haͤtte. Sie
fragten mich vielleicht, oder huͤlfen mir aus Hoͤf-
lichkeit wol gar ſuchen. Das wuͤrde mich dann
ruͤhren, und ſo wuͤrden wir wieder gute Freunde,
bis ein neuer Zank angienge.
Xaver. Herrlich! Herrlich! Und ich bau
eine Laube auf die Hoͤhe dort, wo wir Abends
gemeinſchaftlich ſitzen, und pflanze Buchen und
Linden drum herum; und dann leſen wir im
Klopſtock und im Kleiſt. Die andern Buͤcher
werfen wir, bis auf etliche, ins Feuer. Auch ei-
nen kleinen Altar von Raſen richt’ ich auf und
da halten wir Morgens und des Sonntags Got-
tesdienſt dabey! Jch will Prieſter ſeyn! Pater
Anton ſoll auch zu uns kommen, wenn er noch
lebt! Auch etlich andre redliche Leute! Wir ſel-
ber gehen nie in die Welt; da haben wir einen
Boten, der uns das Noͤthigſie herausholt. O, es
ſoll herrlich werden!
So traͤumten ſie fort, und bildeten den
Traum immer mehr aus, bis ſie an des alten
Pfarrers Wohnung kamen. Siegwarten brachte
ſeine lebhafte Einbildungskraft ſo weit, das er al-
les fuͤr Ernſt, und nicht mehr fuͤr einen Traum
hielt. Die ganze Sache ſchien ihm zum Aus-
fuͤhren ſehr leicht zu ſeyn, und er dachte immer
hin und her, das Jdeal noch vollkommener zu
machen. Er ward beynahe boͤſe, wenn er ſah,
daß Kronhelm und ſeine Schweſter zuweilen noch
Scherz mit einmiſchten.
Der Prediger, der ſie ſchon im Hof unten
hatte ſprechen hoͤren, kam ihnen an der Thuͤr ent-
Z
gegen, und bewillkommte ſie. Er machte There-
ſen Vorwuͤrſe, daß ſie ihn ſo lange nicht beſucht
habe. Sie entſchuldigte ſich mit der Hochzeit ih-
res Bruders und mit andern Geſchaͤften. Von
Siegwart ſagte er: Er ſey ſo gewachſen, und
habe ſich ſo veraͤndert, daß er ihn beynahe nicht
mehr kenne. Kronhelms Mutter erinnerte er
ſich, recht wohl gekannt zu haben, weil er damals
in der Nachbarſchaft von ihrem Landgut Pfarrer
war. Jch bin oft bey ihr geweſen, ſagte er;
Es war eine gar trefliche Frau. Damals, Jun-
ker, waren Sie noch klein; ich kann mirs wol
noch vorſtellen, wie Sie in einem gruͤnen Huſa-
renwamms auf dem Steckenpferd herumritten.
Nicht wahr, Fritz heiſſen Sie? — Ja, ja, Sie
kamen einmal ins Zimmer, und wollten ein Stuͤck
Brod von der Mama haben; es ſey ein Bettel-
bub drauſſen, der ſey hungrig. Das hat mir
wohlgefallen an ſo einem jungen Herrn. Aber
von der ſeligen Frau konnten Sies auch nicht
anders lernen; ſie war eine groſſe Wohlthaͤterinn
der Armuth. Wenn ich in meinem Dorf Kran-
ke hatte, ſo gieng ich nur zu ihr; da gab ſie mir
guten Rath, und Hausmittelchen. Jch hab auch
manch ſchoͤnes Buch aus der Medicin von ihr
geleſen; und das bischen, was ich von der Arz-
neykunſt weiß, hab ich ihr zu verdanken. Gott
weiß, ich hab ſie ſchon oft noch im Grab geſegnet.
Es freut mich herzlich, daß ich da ſo einen from-
men wolgerathnen Sohn von ihr ſehe. Wie
wuͤrd’ jetzt die gute Frau ſich druͤber freuen! Sie
hatte wenig Freud’ auf der Welt; doch jetzt iſt
ſie laͤngſt getroͤſtet! — Der Pfarrer ließ Kaffee
machen. Jndeß kam ein kleines artiges Maͤdchen
von ſieben Jahren herein. Das iſt meines Bru-
ders Tochter von Burgau, ſagte er. Die Kna-
ben konnt ich nicht zu mir nehmen, die ſind mir
zu wild, und machen mir zu viel Unordnung im
Haus. Aber das iſt ein ſtilles artiges Kind, und
lernt auch brav. Es verſteht ſchon viel vom
Gartenweſen, und weiß mir recht an die Hand
zu gehen. Philippinchen, du kannſt nachher der
Jungfer drunten im Garten zeigen, was du ſchon
gepflanzt haſt, den Kohl, und die Blumen! Sie
verſteht dir das Gartenweſen recht, und wenn
du artig biſt, ſo kann ſie dich allerley lehren.
Thereſe nahm Philippinchen auf den Schoos,
und ließ ſich viel von ihr erzaͤhlen. Jhre artige
Herablaſſung gefiel unſerm Kronhelm ungemein;
und uͤberhaupt ihr natuͤrliches und ehrerbietiges
Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee
giengen ſie in den Garten, und bewunderten die
ſchoͤne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt.
Da ſind noch Nelken und Levkojen, ſagte er; da
hat ſie ein Scherchen, Jungfer Thereſe, ſchneid
ſie welche davon ab! Sie ſchnitt eine Nelke, und
ein paar Levkojenſtengel ab, band ſie zuſammen,
und gab ſie Kronhelm, dem die Blumen ganz
heilig waren, weil er ſie von Thereſen empfan-
gen hatte; denn ſeine Seele war ſchon unſicht-
bar mit der ihrigen verbunden. Er ſteckte den
Straus an ſeinen Buſen, ſah ihn alle Augenblik-
ke an, und roch daran. Jm Baumgarten beſa-
hen ſie die ſchoͤnen goldnen Fruͤchte, ſammelten
welche davon auf, und aſſen ſie. Sie blieben
bis an den Abend da, und giengen ſehr vergnuͤgt
nach Haus. Auf dem Wege ſchmuͤckten ſie ih-
ren Traum von der Einſiedeley noch mehr aus,
und beſchloſſen, auch den alten Prediger zuweilen
zu ſich kommen zu laſſen. Sie kamen erſt in der
Daͤmmerung nach Hauſe. Kronhelm fuͤhrte
Thereſen. Ein paarmal legte er ſeine Hand in
die ihrige; und unwillkuͤhrlich, wie es ſchien, ga-
ben ſie ſich einen ſanften Haͤndedruck; beyde fuͤhl-
ten dieß im Jnnerſten, ſahn ſich eine Zeitlang
unbeweglich an, und |wandten dann das Auge
nachdenklich, und halb traurig weg. Thereſe
ſchien etwas von ihrer natuͤrlichen Munterkeit zu
verlieren, und ſah oft ernſthaft aus. Die kuͤhle
Daͤmmerung, das Schweigen im Gefild, der blaß-
gelbe Himmel, und die einſchlummernde Natur
erfuͤllte ſie mit einer Wehmuth, die ſie faſt zu
Thraͤnen bewegte. Sie ſchwiegen oft lange ſtill;
dann ſtieg ein Seufzer bebend ihre Bruſt herauf,
ſie ſuchten ihn zu verbergen, huſteten, und ihre
Haͤnde druͤckten einander. Sie fuͤhlten, daß ſie
geliebt wuͤrden, oft mit einer uͤberwiegenden Ge-
wißheit; aber ſie lieſſens ſich nicht merken, und
ſprachen nie ein Wort davon. Als ſie wieder
beym alten Siegwart angekommen waren, ließ
Thereſe ihre braunen Haare fliegen. Sie ge-
fiel in dieſem Aufzug unſerm Kronhelm noch ſo
gut; er ſagte es ihr; und nun loͤſte ſie ihre Haare
alle Abend auf. Sie ſpielte noch denſelben Abend
lang auf dem Klavier, und ſang dazu mit ihrem
Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf,
und Kronhelm traͤumte die ganze Nacht von
ihr. Es kam ihm vor, als ob ſie ihn traurig
anſaͤh, dann laͤchelte, und ihm endlich in die Ar-
me ſaͤnke. Er weinte vor Zaͤrtlichkeit, und hatte,
als er aufwachte, noch naſſe Augen. Sie war
ſchon im Zimmer, ſpielte das Klavier, und ſang,
um ihn nicht zu wecken, leiſe eine Arie voll tie-
fer Ruͤhrung. Er lauſchte lang, und gieng end-
lich in das Zimmer. Sie ward roth, und wuͤnſch-
te ihm ganz verwirrt einen guten Morgen.
Jhr Auge ſah aus, als ob ſie geweint haͤtte, und
ihre Miene ſchmachtete. Xaver gieng herein, und
wieder weg, als er beyde ſo bewegt ſah. Denn er
hatte die Veraͤnderung, die in ihnen vorgieng, ſchon
geſtern gemerkt. Sie ſetzten ſich, und laſen im
Meſſias. Er legte ſeine Hand in die ihrige.
Leſen Sie doch wieder die Stelle von Semida
und Cidli! ſagte ſie; ſie iſt gar zu ruͤhrend, und
ich liebe das Wehmuͤtbige ſo ſehr. Er las ſie.
Thereſe lehnte ihren Kopf an den Stuhl zuruͤck,
und ſah zum Himmel. Als er ausgeleſen hatte, nahm
er eben dieſe Stellung an, und betrachtete ſie ſeit-
waͤrts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Ge-
ſicht langſam zu ihm hinuͤber. Das muß ein
goͤttlicher Mann ſeyn, ſagte ſie, der die Liebe ſo
wahr und ſo heilig ſchildert! Ja wohl, ſagte
Kronhelm. Jndem trat Xaver ins Zimmer.
Sie blieben noch eine Zeitlang ſo ſitzen; er gieng
ans Klavier, und klimperte. Endlich ſtanden ſie
auf. Sie gieng hinaus, um den Kaffee zu ma-
chen. Du haſt eine himmliſche Schweſter, Sieg-
wart! ſagte Kronhelm. Ja, es iſt ein liebes
Maͤdchen, antwortete Xaver, und ſah ſeinen
Kronhelm laͤchelnd an. Jndem kam der alte
Siegwart auch aufs Zimmer, und ſchlug unſern
beyden Freunden vor, ob ſie den Nachmittag mit
ſeiner Tochter zu einem benachbarten Amtmann
fahren wollten, der ſein guter Freund ſey? Er
wollte gern auch mit fahren, aber ſeine Geſchaͤfte
lieſſens nicht zu. Sie nahmen den Vorſchlag mit
Freuden an, und erzaͤhlten ihn Thereſen, als ſie
mit dem Kaffee wieder hereinkam. Sie war
auch froh daruͤber, weil des Amtmanns beyde
Toͤchter ihre gute Freundinnen waren, die ſie ſchon
ſeit dem Fruͤhjahr nicht geſehen hatte. Sie mach-
te Anſtalt, daß das Eſſen beyzeiten fertig wur-
de, weil ſie etwas fruͤh wegfahren wollten. Aber
eine Stunde drauf kam der Hauptmann von
Northern mit einem jungen Lieutenant zu Pferd-
um den Amtmann zu beſuchen. Dies war Sieg-
wart und Kronhelm auch lieb, weil ſie ihn ſchon
lang gern haͤtten kennen lernen. Er hatte, wegen
ſeines ungezwungenen Betragens, das Vertrauen
der beyden Juͤnglinge gar bald; Sie gewannen
auch das ſeinige durch ihre Artigkeit und Be-
ſcheidenheit. Siegwart bat ihn ſogleich, er
moͤchte ihnen das Bildnis von Kleiſt zeigen! Er
und Kronhelm betrachteten es lang mit einer
heiligen Ehrfurcht, und glaubten alles drinn zu
finden, was ſie in ſeinen Gedichten fanden. The-
reſe ſetzte ſich auch in ihre Geſellſchaft, und man
ſah ihrs an, wie hoch ſie den Hauptmann ſchaͤ-
tze. Der junge Lieutenant that ein bischen ſuͤß,
und ſuchte ſich ſehr bey ihr einzuſchmeicheln;
ſie wich ihm aber aus, und gab wenig auf ihn
acht. Kronhelm war nichts weniger, als ruhig
dabey, und ſah Thereſen oft aͤngſtlich an. Haupt-
mann Northern erzaͤhlte, auf Siegwarts Bitte,
viel von ſeinem Koͤnig und vom Krieg. Sieg-
wart meynte, das Leben eines Officiers im Fel-
de ſey das herrlichſte. Nur ſelten, ſagte Nor-
thern. Denn, ſtellen Sie ſich vor, was ein
Mann, der Empfindung hat, uͤberhaupt leiden
muß, wenn er das allgemeine Elend ſo mit an-
ſieht? Wo er hinkommt, iſt alles ſchon verwuͤſtet;
oder was noch bluͤht, wird hinter ihm zur Ein-
oͤde. Das arme Landvolk hat oft nicht ein
Gruͤmchen Brod zu eſſen, und muß nicht ſelten,
ſeiner Sicherheit und ſeines Lebens wegen, Haus
und Hof verlaſſen, und in Waͤlder ſich verkrie-
chen. Wo man hin blickt, ſieht man abgehaͤrm-
te, abgebleichte Geſichter, die der Hunger und der
Gram entſtellt hat. Ueberall wird man als Feind
angeſehen und verflucht. Und eigne Noth hat
man auch oft genug. Stellen Sie ſich einmal
vor: Bey Liegnitz hatten wir bey acht Tagen kei-
nen Biſſen Brod zu eſſen; nichts als harten,
zwanzigjaͤhrigen Zwieback, und Fleiſch, das uns,
ſo ganz ohne Zugemuͤß, bald zum Ekel wurde.
Nun mußten wir ſchlagen. Nach der Schlacht
hab ich wol zwanzig todten Kaiſerlichen ihre Tor-
niſter durchgeſucht, ob ich nicht ein Stuͤckchen
Brod drinn finde? Aber umſonſt; ſie hatten ſelbſt
keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten
wir von Breslau Brod. Da haͤtten ſie die Be-
gier ſehen ſollen, mit der man druͤber her fiel!
Mancher aß ſich faſt den Tod drinn. Was ein
menſchliches Herz auf einem Schlachtfeld fuͤhlen
muß, das koͤnnen Sie ſich vorſtellen. Hier ein Arm
und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und
dort ein ſchwer Verwundeter! Und dann das Ge-
winſel und Geheul; und das Flehn um Huͤlfe,
oder gar um Tod! Und wenn man ungefaͤhr auf
ſeinen Freund ſtoͤſt, der im Blute liegt! O! das
Herz moͤcht einem berſten! Da war bey meinem
Regiment ein Hauptmann; mein Vertrauteſter,
deſſen Freundſchaſt alles bey mir uͤberwog. Vor
der Schlacht bey Torgau ſaſſen wir zuſammen,
und giengen die Geſchichte unſrer Freundſchaft
miteinander durch; wo und wie lang wir ſchon
einander haben kennen lernen? Welche Freuden
wir gemeinſchaftlich genoſſen, welche Leiden wir
gemeinſchaftlich getragen haben? Alle Augenblicke
ſtieſſen wir auf Handlungen, die von ſeinem edeln
Herzen zeugten, und mir dankbare Thraͤnen aus
den Augen lockten. Endlich, als wir beyde recht
bewegt waren, gaben wir uns die Haͤnde, um-
armten uns, ſchwuren uns aufs neue Freundſchaft,
und wuͤnſchten, daß wir nur noch lang jedes
Schickſal unſers Lebens miteinander theilen moͤch-
ten! Den Tag drauf war die Schlacht. Nach
derſelben ritt ich auf der Wahlſtatt herum, und
fand meines Freundes Kopf, der durch eine Ka-
nonenkugel vom Rumpf weggeriſſen war. Jch
glaubte, das Herz waͤre mir durchbohrt, als ichs
ſah. Als ich drauf ins naͤchſte Staͤdtchen ritt,
kam mir ſeine Frau mit vier Kindern entgegen,
fragte nach ihrem Mann, und ich muſte der To-
desbote ſeyn. Sie wuſte ſich nicht mehr zu faſ-
ſen; verfluchte den Krieg, und mich, und die gan-
ze Welt! So hab ich ſchon manchen Freund
verlohren, und beſonders meinen theuren, un-
vergeßlichen Kleiſt. Ein Soldat ſollte beynahe
keinen Freund haben; denn alle Augenblicke ſteht
er in Gefahr, ihn zu verlieren; und ein Leben
ohne Freundſchaft iſt doch traurig. Jch wollte,
daß ich einmal in Ruh den Wiſſenſchaften oblie-
gen koͤnnte! Und, wenn ich Jhnen als ein Freund
rathen darf, ſo nehmen Sie keine Kriegsdienſte!
— Der junge Lieutenant ſagte, es ſey doch ein
luſtiges Leben; man koͤnne brav Muth zeigen;
ein Officier ſey uͤberall, und beſonders beym
Frauenzimmer wol gelitten, u. ſ. w. Man gab
aber auf ſein Reden wenig acht.
Nach dem Eſſen gieng man im Garten ſpa-
tzieren. Der junge Offieier fuͤhrte Thereſen.
Kronhelm, der ziemlich viel Anlage zur Eifer-
ſucht hatte, gieng hinter drein; brach jede Blum’
ab, an der er vorbey gieng, und zerriß ſie. The-
reſe ſah ſich ein parmal um, und blickte ihn mit
einer viel bedeutenden Miene an. Er achtete es
aber gar nicht, oder blickte weg. Drauf machte
er allerley Spaß, und that luſtig, ob es ihm gleich
gar nicht Ernſt war. Zuweilen ließ er etwas in
ſeine Reden mit einflieſſen von ſeiner Unfaͤhigkeit,
ſich beym Frauenzimmer beliebt zu machen. Sie
merkte es, und machte ihm ein Kompliment, daß
er unbillig gegen ſich ſelbſt ſey. Er lachte aber,
und verdrehte ihre Reden. Endlich gieng er mit
Siegwart und den Hauptmann Northern gar
weg, auf die, an dem Garten ſtoſſende Wieſe.
Er kam wieder; der Lieutenant ſaß in der Laube,
und hatte Thereſens Hand in der ſeinigen. Sie
ward roth; dieß brachte ihn noch mehr auf, und
er brachte allerley naͤrriſches Zeug vor, ohne daß
er auf ſie zu achten ſchien. Sie machte ſich end-
lich vom Officier los; gieng allein einen Gang
im Garten hinauf, und ſah ſich nach Kronhelm
um, als ob ſie wuͤnſchte, daß er ihr folgen moͤch-
te. Er blieb aber immer ſitzen, und ſprach fort.
Als ſie wieder kam, ſagte er: Er wolle auch Sol-
dat werden, und ſich todt ſchieſſen laſſen! Das
thun Sie gewiß nicht, ſagte Thereſe. Warum
nicht? Fragte er. Glauben Sie, es fehle mir
an Muth? Da kennen Sie mich noch wenig.
Zuletzt ſprach er gar nichts mehr.
Endlich nahm der Hauptmann Northern
mit dem Lieutenant Abſchied. Dieſer warf The-
reſen, als er ſchon auf dem Pferde ſaß, noch ei-
nen Kuß zu. Kronhelm lachte hoͤhniſch druͤber,
und biß ſich in die Lippen. Thereſe warf ihm
einen ſchmachtenden Blick zu, und gieng weg,
um das Abendeſſen zurecht zu machen. Kron-
helm gieng auf ſein Zimmer, nahm ſeine Geige,
und phantaſirte wild und raſend drauf. Ein
paarmal ſtampfte er auf den Boden, und dann
weinte er. Man rief zum Eſſen; er ſaß There-
ſen gegenuͤber, blickte unter ſich, und ſprach nichts;
bis das Geſpraͤch auf den Lieutenant kam. Es
iſt ein windiger Menſch, ſagte Thereſe. Kron-
helm nahm ſeine Parthie, und vertheidigte ihn,
aber in einem bittern Tone. Der alte Sieg-
wart, der auf ihn bisher nicht acht gegeben hatte,
konnte ſich in ſein Betragen nicht recht finden;
aber Xaver ſah die Urſache davon bald ein.
Thereſe ſchwieg endlich ganz ſtill, und war ſehr
traurig. Nach dem Eſſen gieng ſie zwiſchen den
Blumenbeeten mit ihrem Bruder auf und ab.
Kronhelm gieng mit dem alten Siegwart, und
ſprach vom Hauptmann Northern. Als der
Amtmann, wegen der feuchten Abendluft auf
ſein Zimmer gieng, ſpatzierte Kronhelm allein.
Er kam an Thereſen und Xavern vorbey. Sie
redete ihn an: Sie ſcheinen heute unaufgeraͤumt
zu ſeyn, Herr von Kronhelm!
Kronhelm. Ein Bischen, Jungfer Thereſe.
(Siegwart gieng indeſſen weg.)
Thereſe. Haben Sie Urſache dazu? Jch
werd Jhnen doch keine Veranlaſſung gegeben
haben?
Kronhelm. Nein!
Thereſe. Nein? Und doch ſehen Sie mich
ſo ſtuͤrmiſch, oder gar nicht an.
Kronhelm. Stuͤrmiſch? Sie thun mir Un-
recht, Jungfer Siegwart. Sie bilden ſichs nur
ein.
Thereſe. Jch glaube nicht, Herr von Kron-
helm. Mir duͤnkt, Sie ſind uͤber den Lieute-
nant unzufrieden.
Kronhelm. Vielleicht! Jch weiß ſelber
nicht!
Thereſe. Sie wiſſens ſelber nicht? Ach,
mein lieber Kronhelm; es ſchmerzt mich ſehr,
daß Jch das entgelten ſoll! Sie werden doch nicht
glauben, daß mir die Suͤſſigkeiten des Lieutenants
angenehm waren? Da wuͤrden Sie mich ſehr
verkennen! Jch verſichere Sie, daß mir der
Menſch ſehr zuwider iſt; daß ich ihn, wer
weiß, wie weit? weg gewuͤnſcht habe!
Kronhelm. Jſt das Jhr Ernſt, Jungfer
Thereſe?
Thereſe. Mein voͤlliger Ernſt! Wie koͤnnt
ich Jhnen etwas weiß machen, Herr von Kron-
helm? Ach Sie wiſſen nicht — — Jch ſchaͤtze
Sie unter allen Juͤnglingen, die ich noch geſehen
habe, am meiſten hoch (Mit dieſen Worten ſah
ſie ihn zaͤrtlich, und mit naſſen Augen an.
Kronhelm ergrif ihre Hand; kuͤßte ſie mit Jnn-
brunſt; und ſagte: Lieber Enge!! Es folgte ein
langes Schweigen.) Endlich ſagte
Kronhelm. Verzeihen Sie! Jch hab Jh-
nen Unrecht gethan! Jch verdiene Jhre gute Mey-
nung nicht! Nein, bey Gott nicht! (Thereſe
druͤckte ihm die Hand, und nun druͤckte er ihrem
Mund den erſten, heiligen, keuſchen Kuß der Liebe
auf.) Nach langem Schweigen ſagte
Thereſe. Sind Sie mir noch boͤſe, Herr
von Kronhelm?
Kronhelm. Um Gottes, und der heiligen
Jungſrau willen, ſchweigen Sie! Wie koͤnnt ich
das ſeyn? Jch will nichts, als Verzeihung! Ach,
liebe Freundinn, iſt das nicht zu viel? Jch bin
ein Thor, ein Unmenſch geweſen! Jch verdien Jh-
ren Abſcheu, Jhre Verachtung!
Thereſe. Thun Sie ſich nicht Unrecht,
Herr von Kronhelm? Es iſt gut, daß Sie hef-
tig ſind. Vergeſſen Sie nur den fatalen Lieute-
nant! Er ſoll mich ſo leicht nicht wieder fuͤhren!
Aber, Gott weiß! ich war unſchuldig; wenn Sie
nur davon uͤberzeugt ſind!
Kronhelm. Ganz, ganz! Mein Engel!
(Und hier kuͤßte er ſie wieder) Jch ſchaͤme mich
wegen meiner Heftigkeit. Sie waren ja ganz un-
ſchuldig. Der Lieutenant bot Jhnen ſeine Hand
an; Sie ſahen ſich nach mir um! Jch ſah alles,
und war doch verblendet. Verzeihen Sie mir
nur! —
Thereſe weinte, und Er auch. Sie ſetzten
ſich auf eine Raſenbank. Der Mond ſchien ih-
nen ins Geſicht. Sie ſahen ſich oft lang an;
ſchlugen die Augen nieder; ſeufzten; und laͤchel-
ten dann einander halb wehmuͤthig zu. Dann
blickten ſie zum Mond auf, betrachteten jedes
Woͤlkchen, jeden hellen Stern. Kuͤnftig will ich
immer an Sie denken, wenn ich den Mond ſehe,
ſagte Kronhelm. — Es iſt ſo traurig, daß man
ſich verlaſſen muß, wenn man ſich erſt recht kennen
lernt! Aber, wir ſehen uns doch wieder. Hier
ſah ihn Thereſe traurig an. Eine Thraͤne rollte,
hell vom Mondſchein, uͤber ihre blaßrothe Wan-
ge; ſie ſah wieder nach dem Mond; und indem
kam Xaver zwiſchen den Johannisbeerhecken lang-
ſam hergewandelt. Nun, wollt ihr hier uͤber
Nacht bleiben? ſagte er. — Wo biſt denn du
umhergeſchlichen? Fragte ſie. — Jch ſaß da drun-
ten, antwortete Xaver, auf der Bank am Gar-
tenhaͤuschen, ſah dem Mond zu, wie er mit den
Wolken ſein Spiel hat, und da dacht ich uͤber
unſre Einſiedeley nach; wie es einmal ſchoͤn ſeyn
wird, wenn wir des Abends da beyſammen ſitzen,
uns uͤber neue Einrichtungen beſprechen, und uns
gluͤcklich ſchaͤtzen, daß wir uns von der Welt los-
gewunden haben. Man mag ſagen, was man
will, das Kloſterleben und die Einſamkeit hat doch
immer den meiſten Reiz fuͤr ein edles, empfin-
dungsvolles Herz! Wenn wir nur erſt in unſerm
Waͤldchen waͤren!
Thereſe laͤchelte zu Kronhelm, und wollte
jetzt die angenehmen Traͤume ihres Bruders nicht
zernichten. Sie reichte Kronhelm die Hand, und
ſtand auf. Jndem fuhr eine Sternſchnuppe vor
ihnen am Horizont hinab, ſo hell, als ſie noch
nie keine geſehen hatten. Sie ſahen ſich erſt er-
A a
ſchrocken an, und freuten ſich denn druͤber. Dar-
an wollen wir unſer Lebelang denken, ſagte The-
reſe. Das war herrlich! Man hoͤrte ſie ordent-
lich ziſchen, und ſah noch die Funken hinter
drein! — Sie gieng in ihrem weiſſen Gewand,
und mit aufgeloͤſten Haaren — Kronhelm hatte
ſie auf der Raſenbank unvermerkt aufgeloͤſt —
durch den langen Gang hinunter. Jhr weiſſes
Kleid ſchimmerte, und tauſend Schatten von dem
Laub der Hecke huͤpften drauf herum. Kron-
helm war zufrieden, wie ein Gott; denn er ſuͤhlte
nun das Gluͤck zum erſtenmal ganz: Geliebt zu
ſeyn. Siegwart nahm ſeine Schweſter auch bey
der Hand, und fuͤhlte in ſeinem Herzen eine nie
empfundne Sehnſucht, die er ſich nicht erklaͤren
konnte. Ein paarmal hub ein unwillkuͤhrlicher
Seufzer ſeine Bruſt; es war ihm wohl, und weh.
Sie giengen endlich, weil es ſchon um zwoͤlf Uhr
war, auf ihre Kammer. Thereſe ſaß noch al-
lein, und ohne Licht auf dem Zimmer, und ſpielte
ein paar zaͤrtliche Arien auf dem Klavier. Kron-
helm, der ſchon im Bette lag, glaubte die Muſik
der Engel zu hoͤren, und ſchlief erſt ſpaͤt ein.
Den andern Morgen waren Kronhelm,
Thereſe, und ihr Bruder von Karl und ſeiner
Frau zum Kaffee gebeten. Sie hatten da wenig
Vergnuͤgen, weil ſie ſehr gezwungen waren. Karls
Frau ſchien Kronhelms Zuneigung zu Thereſen
zu merken, und ſehr neidiſch druͤber zu ſeyn.
Das arme Maͤdchen mußte viel Spoͤttereyen und
beiſſende Anmerkungen hoͤren. Sie wuſte nicht,
wie ſie ſich dabey betragen ſollte? und ward oft
roth. Jhre Schwaͤgerinn erzaͤlte recht mit Vor-
ſatz die Geſchichte einer ungluͤcklichen Heyrath
zwiſchen einem Edelmann, und einem buͤrgerlichen
Maͤdchen; und ſchloß damit, indem ſie Thereſen
ins Geſicht ſah: So ſollts all denen Maͤdchen
gehen, die ſich uͤber ihren Stand und andre ih-
res gleichen erheben wollen! Da heiſts recht:
Hochmuth kommt vor dem Fall, Man muß
nicht fliegen wollen, wenn man keine Federn da-
zu hat, u. ſ. w. Kronhelm wurde boͤſe druͤber,
und ſtand um zehn Uhr wieder auf. Sie wer-
den wohl Geſchaͤfte haben, Jungfer Siegwart,
ſagte er; wenn wir um zwoͤlf Uhr zu dem Amt-
mann in Belldorf fahren wollen, ſo muͤſſen wir
uns jetzt empſehlen, denn ich hab auch noch was
zu arbeiten. Daruͤber ward Karls Frau noch mehr
auſgebracht, und ſchaͤumte faſt vor Wuth. Als
die jungen Leute Abſchied genommen hatten, ließ
ſie’s ihren Mann entgelten, und fieng einen groſ-
ſen Lerm im Haus an. Aus deiner Schweſter
wird was ſchoͤnes werden! ſagte ſie. Das Maͤ-
del thut ſo ſtolz, als ob ſie ſchon eine gnaͤdige
Frau waͤre, und ihren kahlen Junker ſchon haͤtte.
Ja! ſie mag ſichs nur einbilden! Der Junker
wird ſie prellen, wie’s die Leute immer machen.
Es iſt eine Schande, daß ihn dein Vater ſo ein-
ſetzt! Aber heut will ich ihms ſagen, und ihn
gutmeynend warnen, daß er auf ſein Maͤdel acht
gibt, und ihr die Traͤumereyen aus dem Kopf
bringt! Karl ſchien weniger boͤſe gegen ſeine Schwe-
ſter zu ſeyn; denn er dachte: wenn ſie einen rei-
chen Junker kriegt, ſo wird ſie von ihrem vaͤter-
lichen Vermoͤgen nichts haben wollen. Er hielt
alſo ihre Partie, und ließ ſich von ſeiner Frau
brav ausſchelten. Nach Tiſch fuhren die jungen
Leute zum Amtmann in Belldorf. Karls Frau
war der Gegenſtand ihres Geſpraͤchs; ſie bedaur-
ten ihren Mann, und ſie ſelbſt, indem ſie ihres
Lebens und Vermoͤgens gar nicht froh ward;
denn der Geiz machte ihr jeden Biſſen, den ſie,
oder andere genoſſen, bitter. Jn Belldorf, ſag-
te Thereſe zu Kronhelm, werden Sie auch eine
ſonderbare Frau von einer andern Gattung an-
treffen. — Jeſus! Maria! rief ſie, indem der
Wagen eine Anhoͤhe hinabraſſelte, und umſank.
Kronhelm, der zu oberſt lag, arbeitete ſich den
Augenblick heraus; machte den Schlag auf, und
zog Thereſen heraus, die ſo blaß auſſah, wie der
Tod. Um Gottes willen! helfen ſie doch meinem
Bruder! rief ſie. Er lag halb unter dem Wa-
gen, denn er war, im Sinken, aus dem Schlag
gefallen. Kronhelm hob, mit Huͤlfe des Kut-
ſchers, den Wagen auf, und Siegwart kroch
hervor. Da keines durch den Fall Schaden ge-
litten hatte, ſo fiengen ſie endlich an, uͤber den
Zufall, und uͤber die laͤcherlichen Stellungen, und
Grimaſſen, die ſie gemacht hatten, zu lachen.
Doch ward Thereſe aͤngſtlich, ſo oſt der Wagen
auf die Seite hieng, und hielt ſich feſt an Kron-
helm.
Waͤhrend daß ſie auf dem Weg ſich luſtig
machten, und ſcherzten, gieng Karls Frau zum
alten Siegwart, um das Gluͤck der Liebenden zu
untergraben. Der alte Mann, der ſeine Tochter
herzlich liebte, und auch dem jungen Kronhelm
ſehr gut war, erſchrack uͤber die Entdeckung, und
uͤber die Gefahr, die ihm, ſehr vergroͤſſert, vorge-
malt wurde. Er hatte die beſte Meynung von
feiner Tochter, und ſagte, ſie werde gewiß keinen
Schritt wagen, der ihrer Unſchuld nachtheilig
ſey. — Aber ihrer Ruhe, ſagte ſeine ſchlaue
Schwiegertochter. Jch wollte ſelbſt auf ihre Tu-
gend alles bauen; aber das iſt bey uns Frauen-
zimmern noch nicht genug. Wir muͤſſen auch be-
hutſam und vorſichtig mit den Mannsperſonen
umgehen; und unſer Herz, auch in der beſten
Abſicht, nicht ſo aufs Gerathewohl verſchenken!
Sie wiſſen wie’s mit Edelleuten iſt; und den
Junker Veit kenn ich von auſſen und von innen.
Er haͤlt auf ſeinen Adel, wie auf ſeine Jagdhun-
de; und, ſobald er das geringſte von erfaͤhrt, iſt
kein Menſch, weder ſein Sohn, noch ihre Toch-
ter, noch Sie ſelbſt ihres Lebens ſicher. Jch
weiß, er hat ſeinem Sohn ſchon ein Fraͤulein
auserſehen, und die muß er nehmen, es mag ko-
ſten, was es will. Denken Sie, was dann aus
Jhrer Tochter werden wird? Soll ſie ſeine Mai-
treſſe werden? Oder was ſonſt? Wenn ich Jh-
nen wohlmeynend rathen darf, ſo warnen Sie
Jhre Tochter! brauchen Sie Jhr vaͤterliches An-
ſehen, und unterſagen Sie ihr ihren Umgang
mit dem Junker! Es kann dem armen Maͤdchen
einſt bey einer andern Heyrath hinderlich ſeyn.
Denn was wird die Welt ſagen, wenn man ſie
ſo vertraut miteinander umgehen ſieht? — Dem
alten ehrlichen Siegwart gieng das in der See-
le nah. Es klaͤrte ſich ihm vieles in dem Betra-
gen ſeiner Tochter gegen Kronhelm auf. Er hat-
te keine Ruhe. Er dachte hin und her, wie er
ſeine Tochter retten moͤchte, ohne doch dem jun-
gen Kronhelm, gegen den er in der That nichts
hatte, zu viel zu thun. Er beſchloß endlich, bey
der erſten ſchicklichen Gelegenheit, mit ſeinem
Sohn und ſeiner Tochter ernſtlich druͤber zu re-
den.
Kronhelm, Xaver, und Thereſe kamen in-
deſſen bey dem Amtmann in Belldorf an. Der
Amtmann, ſeine Frau, und ſeine zwey Toͤchter
kamen augenblicklich an die Kutſche, und hoben
ſie aus dem Schlag heraus. Sie wurden mit
vielen Caͤrimonien bewillkommt, und die Treppen
hinauf gefuͤhrt. Die Amtmaͤnninn machte tau-
ſend Entſchuldigungen, daß ſie ſo ſchlecht geklei-
det ſey, und daß im Zimmer alles ſo unordentlich
auſſehe. Sie war aber in der That mehr praͤch-
tig, als nachlaͤſſig gekleidet; und im Zimmer war
alles ordentlich. Jch ſag dirs tauſendmal, Mann!
ſagte ſie, daß du alles ſo herumfahren laͤſſeſt, und
dich nie an keine Ordnung gewoͤhnſt! Wenn man
dann einmal ſo vornehme Gaͤſte bekommt, wie
wir heut die Ehre haben, (hier verneigte ſie ſich
ſehr tief) da muß man ja mit Schimpf und
Schande beſtehen! Nehmen Sies doch nicht uͤbel!
Was werden Sie zu Hauſe ſagen, daß ich ſo ein
unordentliches Weib ſey? Man glaubt ja, man
komm in eine Baurenſtube! — Jndeß raͤumte
der Amtmann ſtillſchweigend auf. Sie redete
ihm immer ein, und ſagte: Das gehoͤrt dahin,
und das dorthin u. ſ. w. Sie beurlaubte ſich
auf einige Augenblicke. Thereſe beſprach ſich in-
deß mit ihren Toͤchtern. Der Amtmann ſprach,
wiewohl aͤngſtlich, indem er immer dazwiſchen
ſeine Schriften aufraͤumte, mit Kronhelm und
mit Siegwart. Endlich, als er fertig zu ſeyn
glaubte, ſetzte er ſich zu ihnen, und fieng ein ſehr
vernuͤnftiges Geſpraͤch an. Allein ſeine Frau kam
im groͤſten Staat, mit einem hohen Kopfputz und
einem Reifrock herein, und machte eine tiefe Ver-
beugung. Um Gottes Willen, Mann, ſagte ſie,
was iſt das? Du ſetzſt dich in deinem abgeſchab-
ten Rock zu den Herren hin? Sollte man nicht
glauben, du habeſt ſonſt kein anders Kleid? Den
Augenblick! — Der Mann lief ſtillſchweigend
weg, um ſich umzukleiden. Nach vielen Kom-
plimenten ſetzte ſie ſich nieder, ſpielte mit dem Faͤ-
cher, und gab ihren Toͤchtern einen Wink, ſich
zu entfernen, und ſich umzukleiden. Als ſie
Kronhelms Namen hoͤrte, und daß er von Adel
ſey, ſtand ſie wieder auf; fieng von neuem ihre
Komplimente an; und ſchaͤtzte ſich doppelt gluͤck-
lich, einen Kavalier in ihrem Haus zu haben.
Nur bedaurte ſie aufs neu, daß er alles ſo in
Unordnung angetroffen habe. Es iſt ein trau-
riges Leben auf dem Lande! ſagte ſie. Man
mag auch noch ſo ſehr auf Nettigkeit und Ord-
nung ſehen, man kanns doch nie ganz erhalten;
es kommt einem hundertley dazwiſchen; wenns
auch nur die Fliegen waͤren, die ſich haufenweis
auf alles hinſetzen, und es beſchmutzen. Da iſts
in meinem lieben Augſpurg ganz anders; da iſt
alles ſo reinlich, und ſo nett; da glaͤnzt alles;
kein Staͤubchen darf man im Zimmer ſehn; und
Fliegen ſieht man auch beynahe gar nicht. Jch
kanns meinem Papa und meiner Mama noch
nicht vergeben, daß ſie mich aufs Land verheyra-
thet haben! Man iſt von allem abgeſondert und
abgeſchnitten; Man vergißt den guten Ton ganz,
und erfaͤhrt die neuen Moden immer vierzehn
Tage ſpaͤter. Zwar ich erfahr ſie immer gleich,
weil ich alle Wochen mit meiner Mama korre-
ſpondire. Z. E. Sehn Sie, Mademoiſelle, die-
ſer Zitz iſt jetzt die neueſte Facon in Augſpurg;
Schuͤle hat dieſe Art zu drucken erſt erfunden.
Sehn Sie nur, wie er glaͤnzt! Und wie die Far-
ben hell ſind! Theuer iſt er, das iſt wahr, und
koſtet mich ein ſchoͤn Stuͤck Geld! Aber ich will
lieber was rechtes und was gruͤndliches haben;
dadurch kann man ſich noch allein vom gemeinen
Bolk unterſcheiden. Der Poͤbel treibts jetzt ohne-
dieß ſo weit, daß man nichts mehr koſtbar genug
machen kann. Alles aͤfft er nach! — Der Amt-
mann kam wieder in einem gruͤnen Kleid in
ſchwarzwollenen Struͤmpfen, und einer gelblichten
runden Peruͤcke. — Ums Himmels willen, Mann,
was treibſt du nun wieder? Das nenn ich mir einen
Streich! Das braune Kleid ziehſt du aus, und das
gruͤne, das um keinen Heller beſſer iſt, ziehſt du an.
Haſt du denn nicht dein blaues Ehrenkleid, mit den
goldnen Trotteln, und der rothen Weſte und Beinklei-
dern, das du an unſrer Hochzeit trugeſt? Und nicht
einmal ſeidne Struͤmpfe? Ja, ihr ſeyd Leute! Da
haͤngt drauſſen deine Allongeperuque, friſch akkom-
modirt, und du ſetzſt die Buchsbaͤumene auf! Mit
dir kann man Ehr einlegen! — Nun iſts ſchon
zu ſpaͤt; nun bleib nur da! Man hat jetzt deine
Unbehuͤlflichkeit ſchon geſehen. Verzeihen Sies
ihm nur, Herr von Kronhelm! Er hat ſein gan-
zes Leben faſt auf dem Land zugebracht; und da
gehts nicht anders. Ja, in Augſpurg, da wollt
ich dich anders ziehen! Jn einem ſolchen Aufzug
duͤrfteſt du dich ja in keiner honetten Geſellſchaft
ſehen laſſen. Komm doch her! Was haſt du da
wieder allerley an dir hangen? Heu und Stroh!
Man ſieht doch gleich, womit einer umgeht. —
Nun muſte ſich der Amtmann vor ihr hinſtellen,
wie ein Kind; ſie ſuchte ſein ganzes Kleid durch,
klaubte alle Faͤſerchen ab; legte die Falten zurecht
und ſagte endlich: ſo, nun kannſt du gehen. Er
kuͤßte ihr zum Dank die Hand; denn er war noch
in ſie verliebt, wie an ſeinem hochzeitstage. —
Die Toͤchter kamen endlich auch wieder, huͤbſch-
gekleidet, und machten ihr Kompliment. So,
nun ſeht ihr doch ertraͤglich aus, ſagte die Mut-
ter; aber ich moͤcht doch wiſſen, was du gedacht
haſt, Henriette, daß du eine Dormeuſe aufſetzſt?
Haſt du nicht erſt neulich eine ſo ſchoͤne Carcaſſe von
Augſpurg bekommen, und ſetzſt jetzt das altmodi-
ge Ding auf! Das uͤbrige gieng auf dem Lande
ſchon noch ſo mit. Jn Augſpurg muͤſts frey-
lich auch anders ſeyn. — Kommt denn der Kaf-
fee noch nicht, Jeannette? Sieh doch nach! —
Der Kaffee ward in einer ſilbernen Kanne auf-
getragen. — Wieder ein dummer Streich! fieng
ſie an. Warum denn die kleine Kanne, da wir
doch die groſſe haben, die mit der getriebnen Ar-
beit, und dem vergoldeten Bild oben? Wenn ich
nicht nach der Haushaltung ſehe, ſo ſchieſt
ihr lauter Boͤcke! Das iſt ja, wie eine Milch-
kanne! — Sie gieng ſelbſt hinaus, um die groͤße-
re Kanne zu holen. Jndeß fragte der Amtmann
unſern Kronhelm und Siegwart, ob ſie nicht
Taback rauchen? Und als ſie ja ſagten, ſtopfte er
ihnen ein paar lange Pfeifen. Seine Frau kam
wieder. Biſt du gar toll, Mann? rief ſie.
Willſt du ganz zum Bauren werden? Um des
Himmels willen! Das hab ich doch mein Lebtag
nicht gehoͤrt, in einer ſolchen Geſellſchaft Taback
rauchen! Es iſt ja, als ob du deine fuͤnf Sinnen
verloren hoͤtteſt! Schaͤm dich doch in deine Seel’
hinein, ſolche Sottiſen zu machen! Den Augen-
blick pack dich mit deinem Kram zum Henker!
Der Amtmann ließ ſie austoben, nahm ſeine
Pfeiſen zuſammen, und ſagte ganz kaltbluͤtig: Die
Herren haben ja rauchen wollen. — Was? Die
Herren? Und hier ward ſie ganz roth; Ja das
iſt was anders! Ja, wenns die Herren haben
wollen! … Jch bitte tauſendmal um Verge-
bung! Mein Mann iſt ſchuld daran, daß er mir
das nicht eher geſagt hat! Jch muß mich recht
ſchaͤmen! Da ſteht er da, wie ein Peruckenſtock,
und ſpricht kein Wort! Henriette bring den Au-
genblick den ſilbernen Leuchter mit dem Wachs-
licht herein! — Aber, da wirſt du wieder ſo
elenden Taback haben; ich hab dirs ſchon hun-
dertmal geſagt, daß du Knaſter ins Haus ſchaffen
ſollſt! — Nun ward Kaffee getrunken. There-
ſe unterhielt ſich ganz allein mit den beyden
Maͤdchen, und ſchien auf Kronhelm nicht im ge-
ringſten zu achten. Sie lachten ſehr viel, und
fluͤſterten ſich ins Ohr. Kronhelm ward traurig,
und halb boͤſe, und unterhielt ſich mit dem Amt-
mann, mit ſeiner Frau, und Siegwart. Ein
Knabe von ſieben oder acht Jahren, der ziemlich
zoticht ausſah, kam ins Zimmer, rief Mama!
und wollte auf die Amtmaͤnninn zu laufen. Sie
ſprang haſtig auf, und rief: Den Augenblick pack
dich, Andrees! Wer wird ſich ſo vor den Herr-
ſchaften ſehen laſſen? Hurtig! Hurtig! Und nun
gieng ſie mit ihm aus dem Zimmer. Thereſe
ſcherzte und kicherte noch immer mit den Maͤd-
chen fort, ohne ſich um Kronhelm, oder die uͤbri-
ge Geſellſchaft zu bekuͤmmern. Dieß that ihm
ziemlich weh. Der Amtman zeigte in ſeinen Ge-
ſpraͤchen viel Verſtand, und Kronhelm bedaurte
ihn mit Siegwart, daß er ſo unter dem Pan-
toffel einer thoͤrichten Frau ſtand.
Nach einer halben Stunde kam die Dame
wieder mit dem Knaben an der Hand, der nun
friſirt war, einen Haarbeutel, und ein huͤbſches
Kleid trug. Er muſte erſt Kronhelm, denn The-
reſen, und ihrem Bruder die Hand kuͤſſen, und
ſich auf Befehl der Amtmaͤnninn faſt zur Erde
buͤcken. Nach dem Kaffee ward Wein aufgetra-
gen. Sie machte wieder tauſend Entſchuldigun-
gen, daß ſie mit keinem beſſern, als mit Nekkar-
wein aufwarten koͤnne. Auf dem Land ſey es
gar zu ſchlimm; Sie habe kuͤrzlich noch Burgun-
der gehabt, und jetzt ſey er, zum Ungluͤck, eben
ausgegangen, u. ſ. w. Nun trank ſie mit vielen
Caͤrimonien Geſundheiten, und machte immer noch
einmal ein Kompliment, wenn ſie das Glas ab-
ſetzte. Sie beſann ſich recht drauf, viele Ge-
ſundheiten auszubringen, und die jungen Leute mit
zu quaͤten. Da ward aufs hohe Wohl des gnaͤ-
digen Herrn Papa; aufs hohe Wohl der gnaͤdi-
gen Fraͤulein Schweſter; aufs hohe Wohl der
ganzen hochadelichen Familie; dann aufs erwuͤnſch-
te Wohl des Herrn Amtmanns Siegwart, ſeiner
beeden Herren Sohne, und ſeiner hochgeehrten
Frau Schwiegertochter getrunken; dann wieder
auf das beſtaͤndige Wohlergehen der hochanſehn-
lichen Geſellſchaft; Kurz es wurde des Geſund-
heittrinkens und des Buͤckens kein Ende; Selbſt
der ſiebenjaͤhrige Knabe muſte rings herum Ge-
ſundheit trinken, und ward dabey ſo angſt, daß er
faſt das Glas fallen ließ. Das Noͤthigen zum
Trinken wollte auch kein Ende nehmen, ſo daß
Kronhelm endlich einen Spatziergang im Gar-
ten vorſchlug. Die Amtmaͤnninn wollte Anfangs
nicht recht dran, weil es jetzt im Garten gar zu
unordentlich ausſehe; ſie ſuchte es ſo lange zu ver-
zoͤgern, als moͤglich, weil ſie heimlich Befehl ge-
geben hatte, daß man die Taxusbaͤume erſt be-
ſchneiden ſollte. Endlich, als ſie die jungen Leu-
te nicht mehr aufhalten konnte, gieng man hin-
unter. Kronhelm muſte ſie aus Hoͤflichkeit am
Arm fuͤhren. Sie zierte ſich erſt lange, weil ſie
glaubte, es ſey wider die Lebensart, einen Edel-
mann zu bemuͤhen. Siegwart fuͤhrte ihre bey-
den Toͤchter, und der Amtmann Thereſen. Bey
der Gartenthuͤre ſperrte ſie ſich lang, voranzuge-
hen, und doch konnte ſie wegen ihres Reifrocks,
nicht zugleich mit Kronhelm hineingehn. Sie
ſah aͤngſtlich nach den Taxusbaͤumen, die noch
nicht gaͤnzlich beſchnitten waren. Hinter ein paar
ſtanden Kerls, und hielten ſich verſteckt; und ſo-
bald die Geſellſchaft den Gang hinunter war, ſo
fiengen ſie wieder an, mit der Scheere zu be-
ſchneiden, bis ſie fertig waren. Drauf kamen
zween Baurenkerls in Livree; brachten Seſſel;
ſetzten ſie, auf Befehl der Amtmaͤnninn in der
Teraſſe nieder, und brachten dann auch einen
Tiſch und Wein. Kronhelm konnte ſich des La-
chens kaum enthalten; er muſte ſie immer fuͤh-
ren, und doch war es ihm kaum moͤglich, ſie, mit
ihrem weiten Reifrock, durch die engen Heckengaͤnge
durchzubringen. Sie erzaͤlte ihm ſehr viel von
Augſpurg, von ihrer Jugend, und von ihren
Eroberungen. Zuweilen ſah ſie ſich ſehr aͤngſt-
lich nach ihrem Mann um, der Thereſen fuͤhrte.
Anfangs wuſte Kronhelm nicht, was dieß zu be-
deuten haͤtte? Endlich merkte er, daß ſie eifer-
ſuͤchtig ſey, und ſie gab es auch nicht undeutlich
zu verſtehen. Zulezt ward ſie ſo beſorgt, daß ſie
ihren Mann herbeyrief, unter dem Vorwand, er
moͤchte doch die Herrſchaft mit Wein bedienen!
Thereſe gieng nun wieder mit den Maͤdchen, und
machte ſich mit ihnen ſehr luſtig, indem ſie
Birn’ aufſammelten. Kronhelm ward uͤber ihr
leichtſinnig ſcheinendes Betragen gegen ihn ſehr
empfindlich, und immer ſtiller und nachdenklicher.
Nun wurde Obſt und kalte Schaale vorge-
ſetzt, und das Geſundheittrinken gieng von neuem
an. Hinter den Hecken ſtunden vier Bauren
mit zwo Poſaunen und zwo Zinken, die eine
Art von Tafelmuſik machten; und wenn eine ho-
he Geſundheit ausgebracht wurde, ſo muſten ſie,
auf den Wink der Amtmaͤnninn Duſch machen.
Sie bedaurte nur, daß die Muſik nicht beſſer ſey.
Vor drey Wochen, ſagte ſie, haben ſich vier Pra-
ger Studenten im Dorf aufgehalten, die ganze
Leute geweſen ſeyen. Sie wollte viel geben,
wenn ſie jetzt noch da waͤren! Der Amtmann
ward endlich vom Wein etwas luſtig, und ſprach
mit Kronhelm und Siegwart ziemlich vertraut.
B b
Sie winkte ihm wol hundertmal zu, und zupfte
ihn beym Rock, daß er doch ja nicht die ſchuldi-
ge Hochachtung aus den Augen ſetzen moͤchte!
Endlich nahmen unſre jungen Leute Abſchied; ſie
empfahl ſich ihrem gnaͤdigen und guͤtigen Anden-
ken tauſendmal, und bat aufs inſtaͤndigſte, ſie moͤch-
ten ihr doch noch einmal die hohe Ehre ihres Be-
ſuches goͤnnen, und es ihr vorher zu wiſſen thun,
damit ſie ſolche vornehme Gaͤſte nach Standes-
gebuͤhr empfangen koͤnnte! Auf ihren Wink gien-
gen die vier Bauren mit ihren Blasinſtrumenten
hinter drein, und machten, indem die Gaͤſte
in den Wagen ſtiegen, und abfuhren, eine ſo
ſchmetternde Muſik, daß das halbe Dorf zuſam-
menlief. Thereſe, die die Gewohnheit der Amt-
maͤnninn wuſte, legte ſich in den Schlag, und
machte wenigſtens noch ſechsmal eine Verbeugung,
denn die Amtmaͤnninn gieng nicht eher von der
Hausthuͤre weg, als bis ſie die Kutſche, die durchs
ganze lange Dorf hinfuhr, nicht mehr ſehen konn-
te. Als ſie ſchon vor dem Dorfe drauſſen fuh-
ren, hoͤrten ſie noch das liebliche Getoͤn der Zin-
ken und Poſaunen. Kronhelm ſah ganz ernſthaft
aus, und ſprach nichts. Thereſe ſagte: und Sie
ſind ſo ſtill, und kommen eben erſt aus einer ſo
luſtigen Geſellſchaft? Mein aufgeraͤumtes Weſen
muß Jhnen heut recht ſonderbar vorgekommen
ſeyn? Aber ich nahms mit Fleiß an. Die Amt-
maͤnninn iſt eine Erzplaudertaſche, und gibt auf
alles Acht. Haͤtt ich viel mit Jhnen geſprochen,
ſo wuͤrde ſie, weiß nicht was? daraus gefolgert,
und die laͤcherlichſten Dinge ausgeſprengt haben.
Daher gab ich mich faſt blos mit ihren Toͤchtern
ab. Die Maͤdchen lachen in Einem fort, wenn
man bey ihnen iſt, und da muß man eben mit
machen! Mein Spruͤchlein iſt: Froͤlich bey den
Froͤlichen, und traurig bey den Traurigen! Jch
kanns den armen Maͤdchen auch nicht uͤbel neh-
men, wenn ſie einmal ausgelaſſen luſtig ſind;
denn heut haben ſie wieder fuͤr einen ganzen Mo-
nat gelacht; Wenn ſie bey ihrer abgeſchmackten
Mutter allein ſind, da geht alles ſo ernſthaft und
gravitaͤtiſch zu, und keine Mine darf verzogen
werden! — Kronhelm war mit dieſer zuvorkom-
menden Entſchuldigung ſehr zufrieden, und ward
auf einmal wieder munter. Sie machten ſich nun
uͤber die laͤcherliche Amtmaͤnninn luſtig, und paro-
dierten ſie. — Und wer meynen Sie wol, ſagte
Thereſe, daß ſie von Stand und Herkommen ſey?
Nichts mehr und nichts weniger, als eine arme
Goldarbeiterstochter aus Augſpurg, in die ſich
der Amtmann, als er ſie bey ihrer Verwandtinn
auf dem Lande ſah, verliebt hat. Der arme
Mann iſt ſonſt ſo gut und ſo vernuͤnftig; aber
daß er dieſe Frau geheyrathet hat, das kann ich
ihm nicht vergeben. Sie haͤlt ihn nur wie einen
Bedienten im Haus, und doch betet er die Naͤr-
rinn an. — Aber, wie waͤrs, ſagte Kronhelm,
wenn wir ſie in unſre Einſiedeley mit aufnaͤhmen,
und zur Caͤrimonienmeiſterinn machten? — Ja,
die Thoͤrinn brauchten wir! ſagte Siegwart ganz
hitzig, die wuͤrd uns alles Angenehme der Einſam-
keit verbittern! — Nun, Nun, antwortete Kron-
helm, du nimmſt auch alles gleich im Ernſt!
Aber, weiſt du, was wir thun wollen, Xaver?
Dem alten Gruͤnbach wollen wir ſie geben! Der
iſt auch ſo ehrenveſt und ſtattlich; ſo wird doch
der arme Amtmann von ſeinem Hausuͤbel erloͤſt,
und die Gruͤnbachinn auch. Das magſt du
meinetwegen thun! ſagte Xaver; nur unſre Ein-
ſiedeley ſoll ſie nicht entheiligen! Nun muſte
Kronhelm Thereſen vom alten Gruͤnbach er-
zaͤhlen; er kam auch auf ſeine Tochter Sophie
zu ſprechen, und ſagte halb im Scherz, ſie ſey in
Xavern verliebt; dieſer ward aber druͤber boͤſe,
denn er wollte ſchlechterdings von keinem Maͤd-
chen nichts hoͤren. Sie kamen endlich wieder
ſehr vergnuͤgt beym alten Siegwart an. Beym
Eſſen erzaͤhlten ſie mit vielem Lachen die Bedie-
nung und den feyerlichen Empfang bey der Amt-
maͤnninn, und glaubten, dem alten Siegwart ein
Vergnuͤgen dadurch zu machen. Er ſah aber im-
mer ſehr ernſthaft, oft ſehr traurig aus; und blick-
te ſeine Thereſe oft ſehr mitleidig an. Sie merkte
es, und ward auch ſehr tiefſinnig druͤber. Sie
dachte aͤngſtlich hin und her, und konnte doch
nichts ausfindig machen, womit ſie ihrem Vater
koͤnnte Anlaß gegeben haben, unzufrieden uͤber ſie
zu werden. Nach Tiſche gieng ſie einigemal mit
Kronhelm traurig im Garten auf und nieder;
entdeckte ihm ihre Beſorgnis wegen des Tiefſinns
ihres Vaters, |und ſagte endlich, ſie koͤnne nicht
ruhen, bis ſie die Urſache davon erfahre.
Sie trennte ſich auch diesmal bald von
Kronhelm, und gieng unter dem Vorwand, ein
Buch zu holen, auf das Zimmer ihres Vaters.
Es war ihm lieb, daß ſie ſelber kam. Wo iſt
Xaver? ſagte er. Sie antwortete: Er werde
wol beym Herrn von Kronhelm ſeyn. Willſt
du ihn nicht rufen, meine Tochter? Jch haͤtte
was mit ihm und dir zu reden. Sie kam gleich
wieder mit ihrem Bruder, und der Vater fieng,
nach einigen gleichguͤltigen Reden, mit ſchwerem
Herzen und geruͤhrter Stimme alſo an: Es iſt
mir heute was entdeckt worden, meine liebe Toch-
ter, was mir deinetwegen viele Sorge macht.
Jch hoffe, du werdeſt offenherzig mit mir, als
mit deinem Vater, der zugleich dein Freund iſt,
reden. Nicht wahr, mein Kind?
Thereſe ſagte zitternd, und ſchon halbwei-
nend: Ja.
Siegwart. Sieh, man hat mir geſagt, du
findeſt an dem jungen Herrn von Kronhelm ein
beſonderes Wohlgefallen. Jſts ſo?
Thereſe. Jch kanns nicht leugnen, er ge-
faͤllt mir recht wohl; und ich denke, daß es Jh-
nen nicht zuwider iſt, Papa.
Siegwart. Das nicht, mein Kind! Aber
ich fuͤrchte nur, daß die Sache weiter kommen
moͤchte. Du weiſt ſchon, beym Wohlgefallen
bleibts bey jungen Leuten nicht ſtehen. Liebſt du
ihn, mein Kind?
Thereſe. Verzeihen Sie, Papa! .. Jch
weiß nicht! .. Ob ich ihn liebe, meynen Sie?
Ja, das laͤßt ſich ſo nicht ſagen — — Jch habe
ſelbſt noch nicht dran gedacht — — Es kann
ſeyn; Jch weiß warlich ſelbſt nicht.
Siegwart. Gut, gut, mein Kind! Sey
nur ruhig! Jch will kein Geſtaͤndnis heraus-
zwingen. Mich deucht, ich weiß ſchon genug,
und die Vermuthung ſcheint mir ziemlich richtig.
Thereſe. Aber, um Gottes willen, Papa,
Sie werden ja nichts unerlaubtes muthmaſſen?
Bey der Mutter Gottes und bey allen Heiligen,
auf meinen Knien kann ichs Jhnen ſchwoͤren,
daß mein Herz rein, ganz rein iſt! daß kein un-
heiliger, kein unerlaubter Gedanke je in dieſe
Bruſt kam! Die Engel koͤnnens zeugen, die zuge-
gen waren, wenn ich mit ihm allein war! Lieber
wollt ich ſterben. —
Xaver. Ja, ich kanns auch bezeugen,
Papa!
Siegwart. Still, ſtill, meine Kinder! Wo-
zu die Betheurungen? Wie koͤnnte mir ſo ein Ge-
dank einfallen, meine Tochter? Jch kenne deine
Unſchuld. Aber die Frage iſt von ganz was an-
ders, und betrift deine Ruhe, die mir ſo unaus-
ſprechlich nah am Herzen liegt. (Hier nahm er
Thereſen bey der Hand) Bedenk, mein Kind,
wenn du den Herrn von Kronhelm liebſt, in
welche unabſehliche Schwierigkeiten du dich verwik-
kelſt? Jch habe nichts gegen ihn, Gott weiß es!
Er iſt mir ein lieber junger Menſch; und wenn
er deines Standes waͤre, ſo wollt ich heut noch
eure Haͤnde ineinander legen, und euch ſegnen!
Aber, denk einmal! Er iſt ein Edelmann, von
einer guten, alten Familie. Du weiſt, wie die
Edelleute ſind. Wenn auch Er gleich anders denkt,
das hilft wenig! Sein Vater, oder ſeine Anver-
wandten koͤnnen wunderlich ſeyn. Sie wuͤrdens
nie zugeben, wenn er dich auch noch ſo ſehr lieb-
te. Und wie leicht kann man ihn durch Zureden
wieder auf andre Gedanken bringen! Der Menſch
iſt veraͤnderlich —
Xaver. Nein, Papa! Das iſt Kronhelm
gewiß nicht! Da kann ich fuͤr ihn ſtehen! Was
er einmal beſchloſſen hat —
Siegwart. Das iſt ſchon gut! Aber du
kennſt die Menſchen noch nicht genug. Und, wie
geſagt, auf ihn koͤmmts ja nicht an; er iſt nicht
ſein eigner Herr; und wuͤrde ſich dadurch ſelbſt
ins tiefſte Elend ſtuͤrzen.
Thereſe. Nein, das will ich nicht! Bey
Gott, nicht! Keinen Menſchen! Jhn am wenig-
ſten! Lieber ſelbſt ins Elend! Lieber tauſendmal
ins Elend!
Siegwart. Du biſt viel zu heftig, meine
Tochter! Zu dem, was ich dir noch ſagen will,
gehoͤrt Ueberlegung. Jetzt kann alles noch geſche-
hen, jetzt iſts eben noch Zeit. Pruͤf dich, ob du
ohne ihn leben, dich von ihm auf einmal losreiſ-
ſen kannſt? — Du weinſt, Thereſe? — Gutes
Kind! Du daurſt mich! Es muß weit mit euch
gekommen ſeyn. Habt ihr einander ſchon von
Liebe vorgeſagt?
Thereſe. Noch kein Wort, Papa! Jch
ſagt’ ihm nur, daß ich ihn hochſchaͤtze, und er
ſagt’ es auch —
Siegwart. Jſt eben ſo viel! — Kinder,
Kinder! Jch fuͤrcht, Eure Herzen hangen ſchon
ſehr feſt aneinander, und werden bluten muͤſſen!
Glaub mir, Thereſe! ich liebe dich von Herzen!
Wuͤnſchte dich im Herzen gluͤcklich, wie mich ſelber!
Und wenn du’s mit Kronhelm werden koͤnnteſt, das
waͤr mir das liebſte auf der Welt! Aber, Aber!
Jch ſehe viel Kampf voraus!
Xaver. Erlauben Sie, Papa! Wenn Kron-
helm meine Schweſter wuͤrklich lieb hat, ſo kanns
nicht fehlen! Er macht ſie gewiß gluͤcklich! O, ich
kenn ihn, und weiß, was er zu thun im Stand
iſt! So gibts wenig Menſchen!
Siegwart. Du kommſt immer wieder aufs
Alte, Xaver! Wenns auf Jhn ankommt — Jch
ſag dir aber, da kommts nicht auf ihn an. Er
iſt noch ein junger Menſch! Sein Vater lebt
noch!
Xaver. Aber er gibt nicht nach. Er iſt
ſtandhaft, und hat Grundſaͤtze!
Siegwart. Grundſaͤtze hin, Grundſaͤtze her!
Der Adel hat auch ſeine Grundſaͤtze! — Jch
kann weiter nichts thun, Thereſe, als dich vaͤ-
terlich und herzlich warnen, um deiner Ruhe
willen recht auf deiner Hut zu ſeyn; und dein
Herz ſo unabhaͤngig zu machen, als moͤglich! Jch
will dir den Umgang mit Kronhelm nicht ver-
bieten, das waͤr hart, und grauſam, und wuͤrd
eure Liebe nur mehr anflammen; aber, wenn
Gruͤnde, und mein Bitten, und die Liebe zu dei-
ner eignen Gluͤckſeligkeit etwas uͤber dich vermoͤ-
gen, ſo ſuch dein Herz wieder zu heilen, und
deine Liebe in Freundſchaft zu verwandeln. Jch
weiß, daß dichs viel koſten wird! Aber lieber jetzt,
als dann erſt, wenn alles ſchon zu ſpaͤt iſt. Ueber-
legs ſelber, welchen Gefahren du entgegen giengeſt,
und ob meine Warnung nicht vaͤterlich und gut
gemeynt iſt?
Thereſe. Ja Papa! Jch ſeh es ein, und
dank Jhnen (ſie kuͤßte ihm die Hand) und will
thun, was ich kann!
Siegwart. Nur behutſam! Du muſt ihn
nicht beleidigen! Das hat er um uns nicht ver-
dient! Xaver kann bey Gelegenheit mit ihm da-
von reden; aber jetzt noch nicht! — Sieh nur,
daß du nicht viel mit ihm allein biſt! Denk nicht
ans Gegenwaͤrtige! Das iſt angenehm; Sondern
an die Zukunft! Die iſt traurig fuͤr dich und ihn,
wenn ihr nicht gleich jetzt lieber leidet. — Es iſt
traurig genug, daß es ſolche Verhaͤltniſſe in der
Welt gibt! Sonſt koͤnntet ihr ſehr gluͤcklich ſeyn!
— Jch werde dir nie in dieſer Sache etwas
vorſchreiben, oder dir einen Mann auforingen;
da bewahre mich Gott vor! Ein rechtſchaffener
Vater kann nichts, als die Neigung ſeiner Kin-
der lenken, aber ohne Zwang. Nur, wenn er ſie
einem Abgrund entgegen eilen ſieht, dann wird
ihms kein Menſch uͤbel nehmen, daß er ſeine Kin-
der zuruͤckhaͤlt! — Jch verlaſſe mich auf deine
Klugheit, meine Tochter! Gott ſtaͤrcke dich, und
heile dein verwundetes Herz! — Mit dieſen Wor-
ten fieng er ſelber an, zu weinen. Thereſe
ſchluchzte laut, und kuͤßte ihm die Hand. Xaver
zog auch ſein Schnupftuch heraus, und wiſchte
ſich die Augen.
Thereſe gieng auf ihre Kammer, ſchuͤttete
ihr Leid in Thraͤnen aus, und konnte die halbe
Nacht nicht ſchlafen. Nun fuͤhlte ſie erſt, wie
nah Kronhelm ihr am Herzen liege, und was
ſie mit ihm verlieren wuͤrde? Sie beſchloß hun-
dertmal, ſein Bild aus ihrem Herzen zu verban-
nen; nicht mehr mit Zaͤrtlichkeit an ihn zu den-
ken; ihm kalt zu begegnen; und ſo viel, als moͤg-
lich zu vermeiden, allein mit ihm umzugehen.
Aber dann ſtellte ſie ſich den lieben Juͤngling wie-
der vor, wie er mit der ſanften Mine, und dem
ſchmachtenden Auge vor ihr da ſtand; ſie mit
Unſchuld und Wehmuth anſah, als ob er fragte:
Thereſe, womit hab ich dieß verſchuldet? Dann
brach ihr Herz; ihre Thraͤnen floſſen haͤufiger,
und ſie ſahs fuͤr Grauſamkeit und Meineyd an,
ihm ſo unbarmherzig zu begegnen. Dann be-
ſchloß ſie wieder, ihm getreu zu bleiben, wenns
auch ihre Ruhe und ihr Leben koſten ſollte! —
Aber ihr Vater; ſeine Bitten; ſeine Vermahnun-
gen; und herzruͤhrende Vorſtellungen auf der an-
dern Seite! — Sie ſtand auf einer Klippe, von
zwey Abgruͤnden umgeben! Auf beyden Seiten
Tod! Welchen ſollte ſie nun waͤhlen? — Sie
rang, bis gegen Morgen, mit ſich ſelbſt; hatte
nicht beſchloſſen, was ſie waͤhlen wollte? Und
ſchlummerte endlich, von Thraͤnen, und von
Seufzern abgemattet, ein.
Der junge Siegwart unterhielt ſich unter-
deſſen mit Kronhelm. Er war zu gewiſſenhaft,
und aͤngſtlich in der Freundſchaft, und haͤtt’ es
ſich als einen Verrath angerechnet, wenn er das,
was vorgefallen war, ſeinem Freund nur eine
Stunde haͤtte vorenthalten ſollen. Er erzaͤhlte ihm
alſo offenherzig die ganze Geſchichte. Kronhelm,
ſagte er, mein Vater glaubt, du liebeſt meine
Schweſter, und ſie liebe dich, und da iſt er ſehr
beſorgt und aͤngſtlich druͤber.
Kronhelm. Wer? Dein Vater? Hat er
was dagegen? — Ja, ich liebe deine Schweſter,
Siegwart! Lieb ſie herzlich! Hat er was dage-
gen? Sag!
Siegwart. An ſich hat er nichts dagegen:
Aber du biſt ein Edelmann. . Du weiſt ſchon —
Kronhelm. Nun ja! Thut das was?
Meyn ichs drum nicht ehrlich?
Siegwart. Sey nicht wunderlich! Warum
ſollt er das von dir glauben? Aber er meynt, es
geh nicht an, daß ein Edelmann ein Buͤrger-
maͤdchen ſo liebe, daß ers heyrathen kann.
Kronhelm. Warum nicht? Das waͤr mir
ſchoͤn! Meynt er das? So will ich ihms gleich
anders ſagen. Was hat der Adel mit der Liebe
zu thun? Da wollt ich lieber meinen Federhut in
die Donau ſchmeiſſen! — Nein, Siegwart
wenn mich deine Schweſter liebt, ſo ſoll ſie, bey
Gott! mein ſeyn.
Siegwart. Das ſagt’ ich auch; aber er hat
Beſorgnis wegen deines Vaters.
Kronhelm. Der kann dagegen ſeyn, das
leugn’ ich nicht. Aber in der Liebe hat man we-
der Vater noch Mutter! Da bin ich mein eigner
Herr!
Siegwart. Du biſt ja ſo heftig, Kron-
helm!
Kronhelm. Jn der Liebe muß mans ſeyn!
Siegwart. Du liebſt alſo meine Schweſter
wuͤrklich?
Kronhelm. Brauchts noch eine Frage? —
Kannſt du ſagen, daß ſie mich wieder liebt?
Siegwart. Ja, das kann ich, Kronhelm!
Jch wollt’ einen Eid drauf ſchwoͤren!
Kronhelm. Nun, Gott ſey Dank! Dann
ſoll uns auf der Welt nichts im Wege ſtehn! —
Was macht deine Schweſter? Was ſagte Sie?
Siegwart. Sie weinte, ſchwieg, und ſah
gen Himmel, als ich ſie verließ.
Kronhelm. Nun, Gott wird ſie troͤſten,
hoff ich! — Das arme Maͤdchen! Daß ſie mei-
netwegen leidet! — O, das geht mir durch die
Seele, Xaver! Haſt du ſie nicht troͤſten koͤnnen?
Haſt ihr nicht geſagt, daß ichs ehrlich meyne?
Daß ſie mein ſeyn ſoll, auf ewig?
Siegwart. Wußt ich das?
Kronhelm. Freylich haͤtteſt’s wiſſen ſollen!
— Komm, laß uns noch zu ihr!
Siegwart. Jetzt iſts ſchon zu ſpaͤt, Kron-
helm! Sie wird ſchon im Bette ſeyn. Du
kannſt ihrs ja morgen ſagen.
Kronhelm. Morgen! Man ſieht wohl, daß
du nie geliebt haſt! Ein Augenblick, den ſie um
mich leidet, wird mir zum Jahrtauſend! Warum
haſt mirs doch nicht eher geſagt!
Siegwart. Jch ſagt’ es dir ja gleich, als
ich von ihr herkam.
Kronhelm. Nun, ſo iſts ſchon gut! —
Aber morgen mit dem fruͤheſten muß ich mit ihr
reden, und ſie troͤſten, und ihr ſchwoͤren, daß ichs
ehrlich mit ihr meyne! Mein ſoll ſie ſeyn, wenns
auch die ganze Welt nicht wollte!
Siegwart. Nur behutſam muſt du drein
gehn, Kronhelm! Es iſt beſſer, wenn dein Va-
ter jetzt noch nichts davon weiß. Und vor mei-
ner Schwaͤgerinn muſt du dich auch in Acht neh-
men! Du haſt letzthin gehoͤrt, was ſie fuͤr An-
merkungen machte.
Kronhelm. Ey, was geht mich die an? —
Aber du haſt Recht. Behutſam will ich drein
gehn. Wenn nur Thereſe mein wird, dann iſt
mir alles gleichviel, wie ſies wird?
Siegwart beſaͤnftigte doch nach und nach
den aufgebrachten, liebevollen Juͤngling ziemlich.
Kronhelm, den der unerwartete Sturm ſtutzig
gemacht, und dann mit ergriffen hatte, daß er
nichts mehr um ſich her ſah, als ſeine Liebe und
Thereſen; ward nun, als er ſich zu Bette gelegt,
und das Licht ausgeloͤſcht hatte, nachdenklich und
am Ende traurig. Je mehr er die Sache kalt
uͤberſchaute, deſto mehr Hinderniſſe ſtellten ſich ihm
dar. Die Schwierigkeiten ſchienen ihm nicht
mehr ſo leicht zu uͤberſteigen zu ſeyn, als ſie ihm
anfangs geſchienen hatten; Er fand zwar ſeine
Liebe ſtark; aber auch den Eigenſinn und die
Vorurtheile ſeines Vaters. Er ſah den Lerm
voraus, den dieſer anfangen wuͤrde; und endlich,
als er ſich von allen Seiten her mit Hinderniſ-
ſen umringt ſah, und ſich ſelbſt nicht mehr her-
aus zu helfen wuſte, fieng er an, ſein Schickſal
und den Adel zu verwuͤnſchen. — Er dachte ſich
ſein liebes Maͤdchen; ihr ſanftes holdſeliges Ge-
ſicht; ihr liebevolles Herz voll hoher, edler Tu-
genden; ihren ganzen Umkreis von Vollkommen-
heiten; bebte vor dem Gedanken zuruͤck, dieß al-
les zu verlieren; weinte; rang die Haͤnde; und
erhub ſein Herz von neuem durch den ſtaͤrkenden
Gedanken: Sie ſoll doch, trotz allem! dein ſeyn!
— Endlich ward er wie fuͤhllos; dachte nichts;
und ſah die ganze Zukunft wie ein oͤdes dunkles
Todtenfeld gleichguͤltig vor ſich da liegen; bis ihn
ein Schlummer uͤberfiel, aus dem er alle Augen-
blicke unruhig auffuhr.
Mit der Morgenroͤthe wachte er ſchon wie-
der auf, und fieng von neuem an zu phantaſie-
ren. Es kam ihm nun alles noch weit ſchwerer
und verwickelter vor; und doch beherrſchte ſeine
Seele nur der einzige Gedanke: ſie ſoll mein ſeyn!
C c
Er ſah jetzt ſelbſt die Behutſamkeit als das einzi-
ge Mittel an, ſeine Liebe zu erhalten und fort-
zuſetzen. Er beſchloß, dieſes Thereſen und ih-
rem Vater zu ſagen. Um halb ſieben Uhr gieng
er ſchon ins Zimmer, um ſein Maͤdchen zu erwar-
ten. Sie war unter Thraͤnen aufgewacht, und
betete. Mit heiſſer Jnnbrunſt kniete ſie vor ei-
nem Crucifix, und bat Gott um Muth und
Staͤrke, wenn ſie Kronhelm ſehe. Sie war
ſelber bang, daß ſie ihm nicht kalt und behutſam
genug werde begegnen koͤnnen. Und doch wollte
ſie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehn-
mal ergriff ſie die Thuͤre, um hinaus, und nach
dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte ſie wie-
der zuruͤck. Ein aͤngſtlicher Gedank erhub ſich
nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in
der Kammer auf und ab, und erblickte ſich von
ungefaͤhr im Spiegel. Gott, wie bin ich ſo blaß!
dachte ſie; wird er nicht ſogleich alles entdecken?
— Endlich gieng ſie mit zoͤgernden und leiſen
Schritten nach dem Zimmer.
Als ſie die Thuͤr aufmachte, ſah ſie ihren
Kronhelm, und wollte wieder zuruͤckgehn; ſie zit-
terte und bebte. Er kam auf ſie zu, und nahm
ſie bey der Hand. Wollten Sie wieder umkeh-
ren? ſagte er.
Thereſe. Nein.
Kronhelm. Sie ſehn ſo blaß und traurig
aus. Haben Sie nicht gut geſchlafen?
Thereſe. O ja.
Kronhelm. Und doch ſagt Jhre Mine an-
ders. (Er ſah ſie ſcharf an; Sie wandte das Ge-
ſicht weg.) Sie ſcheinen mir ſo mißtrauiſch und
ſo kalt zu ſeyn.
Thereſe. Das bin ich nicht. — Soll ich
etwas auf dem Klavier ſpielen?
Kronhelm. Wenn Sie wollen. Aber ich
ſpraͤche dießmal lieber.
Thereſe. Auch gut! Wovon wollen wir
denn ſprechen?
Kronhelm. Wovon, meine Liebe? Das
fragten Sie doch ſonſt nicht.
Thereſe. Ach, ich weiß nicht. Mir iſt
heut ſo wunderlich zu Muth! Jch habe Kopf-
weh.
Kronhelm. Jch bedaure Sie. Aber …
Doch, ich mag nicht reden! Sie ſind mir doch
nicht gut. Jch ſehs wohl.
Thereſe. (Nun weinte ſie) Herr von
Kronhelm! .. Thun Sie mir nicht Unrecht! ..
wenn Sie wuͤſten —
Kronhelm. Jch weiß alles, Engel! Leider!
Weiß ich alles! Nicht wahr, man will uns tren-
nen? — Liebe Seele! .. Sind Sie mir denn
noch etwas gut?
Thereſe. Ach, Herr von Kronhelm! ..
Kronhelm. O, es iſt traurig, Thereſe!
Aber, bey Gott! Kein Menſch auf Erden ſoll
uns trennen! Wenn es auch ein Engel waͤre?
Keine Seele ſoll ſichs unterſtehen!
Thereſe. Aber, Kronhelm… Wenn es
doch geſchaͤhe? Menſchen ſind gar maͤchtig!
Kronhelm. Jch bins auch! Und Lieb’ iſt
maͤchtiger, als alles! — Faſſen Sie nur Muth!
Jch weiß, daß ein Ungewitter uͤber unſerm Haupt
haͤngt. Aber noch iſts Zeit, ihm auszuweichen.
Wir muͤſſen nur behutſam ſeyn, und unſre Liebe
zu verbergen ſuchen. Jch will mit Jhrem Va-
ter reden.
Thereſe. Wollen Sie das?
Kronhelm. Sobald er kommt.
Jndem trat Xaver herein. Sie beredeten
ſich mit einander, was ſie thun wollten? Kron-
helm beſchloß, ihrem Vater alles zu entdecken,
und ihn anzuflehen, ſie nur nicht zu trennen, und
ihnen zu erlauben, Briefe mit einander zu wech-
ſeln. Mein Vater, ſagte er, darf jetzt freylich
nichts davon erfahren. Aber er kanns auch nicht,
wenn nur wir ſelber alles recht geheim halten!
Das uͤbrige wollen wir der Zeit und der Vorſe-
hung uͤberlaſſen! Sie kanns bey unſern redli-
chen und reinen Abſichten nicht boͤs mit uns mey-
nen. Thereſe ward nun wieder ruhiger und
vertraulicher. Als der alte Siegwart kam, trug
ihm Kronhelm alles mit der groͤſten Ruͤhrung
vor. Der Amtmann, der ein weichherziger
Mann war, konnte dem vereinigten Bitten der
jungen Leute nicht lang widerſtehen. Die Thraͤ-
nen ſeiner Kinder, die er ſo herzlich liebte, und
die dringenden Bitten Kronhelms, dem er auch
ſo ganz zugethan war, uͤberwaͤltigten ſeine Vor-
ſichtigkeit, und verſchloſſen ihm die Ausſicht in
die Zukunft. Er gab nach, und erlaubte ihnen
einen Briefwechſel; nur bat er ſich aus, daß er
alle Briefe leſen duͤrfte. Die Liebenden willigten
mit Freuden ein. Jch habe das meinige gethan,
ſagte er; ich bin nicht ohne aͤngſtliche Beſorgnis
wegen eures Schickſals. Aber das meiſte muß
ich der Vorſehung uͤberlaſſen. Sie hats immer
vaͤterlich mit mir gemeynt, und wirds auch jetzt
wohl machen. Jch kann weiter nichts, als zur
aͤuſſerſten Behutſamkeit rathen, und daß ihr euch
auf alles Widrige gefaſt macht, was dem Men-
ſchen, und beſonders einem Liebenden begegnen
kann.
Auch hielt ich es fuͤr rathſam, Herr von
Kronhelm, wenn Sie bald mit meinem Sohn
von hier abreiſten; etwa uͤbermorgen! So gern
ich Sie auch laͤnger hier haͤtte, ſo kann ich doch
nichts anders rathen. Jch habe meine Urſachen
dazu. Kronhelm ließ ſich auch dieſes gefallen.
Unſre Liebenden waren nun wieder ruhiger,
obgleich ſehr oft ein Seufzer ſich in ihre Freu-
den mit einmiſchte. Thereſe gieng ans Klavier,
und ſang:
Was iſt Lieb? Ein Tag des Mayen,
Der in goldnem Glanz erwacht;
Hell auf froher Schaͤfer Reihen
Vom entwoͤlkten Himmel lacht.
Floͤten locken zu den Taͤnzen
Der vergnuͤgten Maͤdchen Schaar;
Blumen ſammeln ſie zu Kraͤnzen,
Schmuͤcken ihrer Schaͤfer Haar.
Schnell verduͤſtert uͤber ihnen
Sich der ſchwuͤlen Sonne Blick;
Schrecken blickt aus ihren Minen,
Schuͤchtern eilen ſie zuruͤck.
Regenguͤſſe ſtroͤmen nieder;
Blum’ und Wieſe ſind verheert;
Und der frommen Freude Lieder
Sind in Trauerton verkehrt. —
Schau! der Friedensboge ſtralet
Jns erſchrockne Thal herab;
Schau! der Hofnung Freude malet
Sich auf allen Wangen ab. —
Gib, o Gott der frommen Liebe,
Uns ein ruhiges Gemuͤth,
Das durch Wolken, ſchwarz und truͤbe,
Jns Gefild der Hofnung ſieht!
Wer hat das liebe Lied gemacht? ſagte
Kronhelm. Es ſchickt ſich ſo auf unſern Zu-
ſtand. — Jch habs vom Hauptmann Northern,
antwortete Thereſe; noch nie hab ichs ſo ge-
fuͤhlt, wie diesmal! Drum ſollte man, ſagte
Siegwart, jedes Gedicht in der Lage leſen, wor-
inn’s der Dichter ſang, und ihn nicht mit kal-
tem Blut beurtheilen! — Alles traurige entfernte
ſich nun wieder aus Thereſens und Kronhelms
Bruſt; nur der nahe Trennungstag ſchwebte,
wie ein aufſteigendes Gewitter, vor ihnen. Sie
giengen in den Garten, wo Thereſe Geſchaͤfte
hatte. Sie brachen Birn an den Franzbaͤumen
miteinander ab, und legten ſie ins Koͤrbchen, das
Thereſe am Arm trug. Dann kamen ſie an ei-
nen Aprikoſenbaum. Thereſe fand zwo aneinan-
der feſtgewachſne Aprikoſen; gab die eine Haͤlfte
ihrem Kronhelm und die andre aß ſie. Die
beyden Kerne, ſagte Kronhelm, wollen wir hier
in die Erde ſtecken, daß ſie beyeinander aufwach-
ſen; wenn die Baͤume groß werden, wollen wir
uns unter ihren Schatten ſetzen, und an dieſen
Tag denken! Thereſe laͤchelte, und ſteckte ihren
Kern neben Kronhelms ſeinem, in die Erde. —
Ach, die armen Balſaminen muͤſſen wir begieſ-
ſen! ſagte ſie; ſie ſtehn ſo traurig da, und ſen-
ken ihre Blaͤtter! Kronhelm ſprang zum Brun-
nen, und holte Waſſer, und begoß ſie. Sehen
Sie! ſagte er, wie ſie ſich ſchon allmaͤhlich wie-
der aufrichten! Denken Sie nicht, daß es uns
auch wieder wohl gehen wird? Jch hoff es, ant-
wortete das Maͤdchen, und ſuchte eine Thraͤne zu
verbergen, die ihr ins Auge trat.
Den Nachmittag giengen ſie miteinander
ſpatzieren, und beſtiegen einen ziemlich hohen
Berg, von da ſie die ganze Gegend uͤberſehen
konnten. Sie ſetzten ſich in ein ausgehauenes
Buchengebuͤſch, das eine Art von Laube bilde-
te, wo ein Raſenſitz angebracht war. Unten am
Berge ſahen ſie das Dorf liegen; der Bach ſchlaͤn-
gelte ſich an ſeiner Seite hin, wo Kronhelm ſei-
ne Hand verwundet hatte. Jn der Ferne ſahen
ſie die Donau durch ein weiſſes Weidengebuͤſch
hinſtroͤmen. Weiter weg ſah man einen Berg,
der wegen ſeiner Ferne ganz in Blau gehuͤllt war.
Nicht wahr? Dort iſt ihr Kloſter? ſagte The-
reſe. Hier will ich oft am Abend ſitzen, nach
Jhrer Gegend hinſehen und an Sie und dieſen
Abend denken. — Wir haben auch einen Berg-
ſagte Kronhelm, der bald wie dieſer ausſieht;
da will ich auch oft hingehen, und mich der ver-
gangnen Zeiten erinnern. Wir wollen uns zu-
ſchreiben, und einen Tag ausmachen, an dem wir
zugleich auf den beyden Bergen ſind, und lebhaft
an einander denken. — Aber, morgen, ſagte Xa-
ver, muͤſſen wir zu meinem lieben Pater Anton,
nach Fuͤllendorf! Jch verſchob es immer, aber
jetzt muͤſſen wir hin; da wir uͤbermorgen abrei-
ſen! Jch oͤnnt es nicht uͤbers Herz bringen, den
alten ehrwuͤrdigen Mann, und uͤberhaupt mein
liebes Kloſter nicht zu ſehen; da ich ihm ſo na-
he bin. Du kannſt auch mit, Thereſe! Ja, ſagte
ſie; aber ich dachte, man lieſe keine Maͤdchen in die
Mannskloͤſter? Das iſt ſchon wahr, antwortete ihr
Bruder; aber wir geben dich fuͤr juͤnger aus, und
ſagen, du ſeyeſt 15 oder 16 Jahr alt. Die Pa-
ters thun mirs ſchon zu Gefallen, und laſſen dich
mit hinein. Man nimmts ſo genau nicht. — Sie
giengen aus der Laube nach einer andern Seite
des Berges. Nun, leb wohl! ſagte Kronhelm;
ſobald ſeh ich dich nicht wieder! Aber ich will
oft an dich, und den ſchoͤnen Abend denken.
Thereſe! Thun Sies auch, und denken Sie an
mich, wenn Sie hier ſind! Tauſendmal! antwor-
tete ſie, und druͤckte ihm die Hand. — Sie la-
gerten ſich auf einem ſchoͤnen Platz ins Gras,
wie Schaͤfer; pfluͤckten Gaͤnſebluͤmchen; warfen
ſie ſich zu; und betrachteten jedes Graͤschen und
jedes Bluͤmchen genauer. Kronhelm ſpielte mit
hrem weiſſen Gewand, und der roſenrothen
Schleife an Jhrem Arm. Geben Sie mir ein
Andenken! ſagte er. — Was wollen Sie fuͤr
eins? fragte ſie. — Dieſe Schleife hier, war
ſeine Antwort. — Gut, die koͤnnen Sie haben,
wenn ſie ihnen lieb iſt! Und nun nahm ſie ſie
ab, und gab ſie ihm. Sie war ihm ſo heilig,
wie eine Reliquie, und er ſah ſie nachher oft halbe
Stunden lang an, und druͤckte ſie an ſeinen
Mund. Jch kann Jhnen nichts dafuͤr geben, ſag-
te er, und kuͤßte ſie. — Endlich giengen ſie wie-
der langſam den Berg hinab, dem Dorfe zu, und
ſahen ſich noch oft nach dem Berg und der Lau-
be um. Als ſie zu Haus wieder ankamen, fan-
den ſie folgenden Brief von der Amtmaͤnninn in
Belldorf mit der Ueberſchrift an Kronhelm, den
ſie durch einen eignen Boten hatte uͤberbringen
laſſen.
Hochwolgeborener Herre!
Hochge Ehrteſter Herre!
Hoffe und wuͤnſche, Sie werden geſtern mit
Jhrer wolanſehnlichen Geſellſchaft gluͤcklich und
geſundt wieder zu Haus angelanget ſeyn, welches
mich herzlich erfreuen thun wirt. Betaure nur,
daß wir Sie ſo ſchlechte haben bewirten koͤnnen,
welches mir noch immer ſchakriniert. Jch weiß
woll, was fuͤr eine Betienung ſolchen hohen Gaͤ-
ſten geziemmen thut, aber leyter kunnt ichs nicht
aͤnteren. Wollte nur wuͤnſchen, daß Sie uns noch
einmall die Ehre geben, und bei uns einſprechen
thaͤtent! Villeicht waͤren wir dann beſſer im
Stant, und koͤnneten mehr Ere einlegen. Habe
noch geſtern Augſpurgerwuͤrſt erhalten, das
Stuͤck koſtet mir vierzehen Kreutzer, damit haͤtt
Jch herzlich gern aufgewartet, wenns nur fruͤher
gekomen waͤrent. Doch werd ich nicht underlaſ-
ſen, einige davon auf Hoͤchſt Dero gnaͤdigſten Be-
ſuch aufzuheben, welchen in Undertaͤnichkeit er-
wartende, und der ganzen hochgeehrten Siegwar-
tiſchen Famillie mit meinem Mann und meinen
Toͤchtern, und meinem Soͤhnlein mich ergebendſt
empfelende Jch mich zu nennen underfange Ew.
Hochwolgeboren, Meines hochzuverehrenden Herren
underdaͤnichſte Dienerinn
Julliane Haſelbergin.
Siegwart, Kronhelm und Thereſe lach-
ten uͤber dieſen wohlgeſetzten Brief nicht wenig.
Kronhelm muſte ihn beantworten, weil der Bothe
nicht eher weggehen wollte. Seine Frau Amt-
maͤnninn habs geſagt, er muͤſſe wieder ein Papier
mitbringen! — Sie brachten den Abend unter
keuſchen unſchuldigen Kuͤſſen ſehr vergnuͤgt zu.
Thereſens Munterkeit und Kronhelms Ruhe
kehrte wieder zuruͤck. Die Gefahr, die ihrer Lie-
be drohte, ſchwand vor ihren Blicken, und in ih-
rer Seele wards ſo ſtill, wie in der Natur, wo
nur leiſe Abendluͤftchen wehten. Sie ſprachen
von der Trennung, aber der Gedanke ans fleiſſige
Briefwechſeln, und der noch ſuͤſſere ans Wieder-
ſehn der Liebenden troͤſtete ſie wieder. Den fol-
genden Morgen brachten ſie in der ſchoͤnſten rein-
ſten Luft groͤſtentheils im Garten uͤber dem Leſen
des Meſſias und ihres lieben Kleiſt zu. The-
reſe verſuchte wieder, ihrem Bruder ſeinen Hang
zum Kloſterleben auszureden; aber als ſie ſah,
daß ihn der Widerſtand nur hitziger darauf ma-
che, ſo ſchwieg ſie wieder. — Gleich nach dem
Eſſen giengen ſie mit einander nach Fuͤllendorf,
weil ihnen Siegwart keine Ruhe ließ. Er ſprach
unterwegs mit Begeiſterung von alle dem Schoͤ-
nen und Auſſerordentlichen, was ſie im Kloſter
ſehen wuͤrden, und von dem heiligen Gefuͤhl, das
ſie da durchdringen werde!
Sie trafen den P. Anton auf ſeiner Zelle
an. Er druͤckte mit froher Treuherzigkeit ſeinem
Xaver die Hand, und bewillkommte Kronhelm
und Thereſen mit einem liebreichen Laͤcheln.
Seine Freundlichkeit und ſein ehrwuͤrdiges Aus-
ſehen nahmen die beyden Liebenden ſogleich ganz
fuͤr ihn ein, und gewannen ihre Seelen voͤllig.
Er that hundert Fragen an Siegwart, wie es
ihm bisher gegangen, ob er froh und zufrieden
ſey? Wie es ihm bey den Piariſten gefalle, und
was er ſchon gelernet habe? Es kamen bald auch
andre Paters auf die Zelle, um unſern Xaver zu
bewillkommen. Pater Johanns Bruder kam
auch, und ſagte, daß er von ſeinem Bruder Nach-
richt habe, wie wohl er und alle Piariſten mit
ihm zufrieden ſeyen. Der Prior ließ die Gaͤſte
in den Gartenſaal kommen; empfieng ſie mit groſ-
ſen Freuden, und bewirthete ſie aufs beſte. Man
kam auſ P. Gregor zu ſprechen, weil Siegwart,
der ihn vermiſte, nach ihm fragte. — Der iſt
bey Gott, ſagte P. Anton; vor einem Viertel-
jahr iſt er geſtorben. Sein Ende war uns allen
recht erbaulich; er behielt bis an den letzten Au-
genblick ſeinen Verſtand. Er hat mir auch an
dich, mein lieber Siegwart, noch ſeinen Gruß
und ſeinen Segen aufgetragen. Er ſchlaͤft ne-
ben meinem P. Joſeph. Siegwart weinte ihm
eine zaͤrtliche und dankbare Zaͤhre nach. Jch
muß dir noch ſein Crucifix geben, Xaver! ſagte
Anton; er hat dir’s vermacht. Du ſolleſt ſein
zuweilen dabey gedenken, und es dich erinnern
laſſen, daß er dich im Himmel erwarte! Eh ſie
weggiengen, gabs ihm P. Anton; und es ward
ihm heilig. Er hatte es nachher immer auf ſei-
nem Tiſche vor ſich ſtehen, und ſah es oft mit
Wehmuth und bebendem Verlangen an, bald bey
ſeinem ehemaligen Beſitzer zu ſeyn. Die jungen
Leute blieben lang, und giengen erſt eine Stunde
vor Sonnenuntergang nach ihrem Dorf zuruͤck.
Thereſe und Kronhelm konnten nun begreifen,
warum Siegwart mit ſo feſtem Herzen an dem
Vorſatz hange, ein Moͤnch zu werden; denn ſie
waren ſelbſt von dem einſamen und ſtillen Klo-
ſterleben ganz bezaubert. — Der Gedanke der
nahen Trennung lag nun immer trauriger und
ſchwerer auf ihnen! Sie wagtens nicht, einan-
der etwas davon zu ſagen, und doch verriethen
ihre Blicke ihre Bangigkeit und aͤngſtliche Beſorg-
nis nur zu oft.
Als ſie in der ſpaͤten Daͤmmerung zu Hau-
ſe wieder ankamen, ſetzten ſie ſich vor dem Abend-
eſſen noch im Zimmer neben einander. Kron-
helm hatte ſeine Hand in Thereſens Hand ge-
legt, und ſprach nichts. Es ward immer dunkler
um ihn her, ſein Blick ward truͤber, und ſein
Herz ſchwerer. Er dachte viel, und dachte nichts.
Weinen koͤnnt er nicht; ſein Herz war geſpannt,
und wollte berſten. Zuweilen kam ein Seufzer
aus dem Jnnerſten, hub die Bruſt hoch auf, zit-
terte herauf, und brach mit Gewalt hervor.
Dann druͤckte Thereſe ihm mit Heftigkeit die
Hand. Jhr war die Wohlthat der Thraͤnen nicht
verſagt, und ſie rieſelten haͤufig uͤber ihre blaſſen
Wangen. Zuletzt konnte ſich Kronhelm nicht
mehr halten; er ſtand auf, gieng im Zimmer hef-
tig hin und her; warf ſich in der Ecke des Zim-
mers auf einen Stuhl; ſtand wieder auf, und
ſetzte ſich wieder zu Thereſen. Sie ſaß mit dem
Kopf ruͤckwaͤrts an die Lehne des Stuhls gelehnt;
ihre ſchoͤnen Augen waren in die Hoͤhe gerichtet,
und die helle Thraͤne glaͤnzte drinn. — Ach!
daß wir uns verlaſſen muͤſſen! ſagte er. Sie
ſchwieg. Sie legte ihre Hand wieder in die ſei-
nige; ſah ihn an, und wieder auf die Seite. Jhr
Herz litt unendlich viel. Jndem kam der alte
Siegwart herein. Eben ſchickt man da zu mir,
ſagte er, um meine Kutſche. Eine Bauersfrau
von hier iſt auf einem andern Dorf ſchnell krank
geworden, und da will ihr Mann ſie Morgen
abholen. Jch konnt ihm die Kutſche nicht ab-
ſchlagen, es ſind gar zu brave Leute. Morgen
muͤſſen Sie alſo noch hier bleiben, Herr von
Kronhelm, oder reiten. Nein, Nein! Jch blei-
be gern, rief Kronhelm und ſprang auf. Bra-
vo! Bravo! das iſt herrlich, daß wir laͤnger blei-
ben! Thereſe ſtand auch voller Freuden auf.
Es war, als ob auf einmal eine groſſe Laſt von
ihrem Herzen waͤre weggewaͤlzt worden. Xaver
kam aus dem Garten herauf, und freute ſich, als
ers hoͤrte, mit ihnen. Nun waren die Liebenden
wie verwandelt, und ausgelaſſen luſtig. Thereſe
muſte das munterſte Stuͤckchen, das ſie hatte, auf
dem Klavier ſpielen. Sie aſſen im Garten, und
ſcherzten mit einander uͤber den gluͤcklichen Zufall
mit der Baͤurin. Die arme Frau daurt mich,
ſagte Kronhelm; aber wenn ſie krank werden
muſte, ſo wars doch der kluͤgſte Einfall, daß ſie’s
jetzt, und auf einem andern Dorf wurde! Mor-
D d
gen wuͤnſch ich ihr von ganzem Herzen ihre Ge-
ſundheit wieder, und ein langes Leben. So
gehts in der Welt! Einer macht ſich immer auf
des andern Koſten luſtig! Es leb die Baͤurinn,
und ihr kluger Einfall! Und nun ſtieſſen Er,
Thereſe und ihr Bruder die Glaͤſer an; auch der
alte Siegwart trank mit, und nahm an der
Freude ſeiner Kinder Antheil. Der ganze Abend
war ein rechter Feſttag fuͤr ſie, und ſie blieben
lang zuſammen aufſitzen. Sie haͤtten noch dieſen
Abend bey Karl und ſeiner Frau Abſchied genommen;
aber weil die Raiſe aufgeſchoben wurde, ſo gien-
gen Kronhelm und Siegwart erſt den andern
Morgen hin. Kronhelm muſte von Karls
Frau manche ſpoͤttiſche Anmerkungen uͤber The-
reſen anhoͤren, daß der Abſchied ſo traurig ſeyn
und daß ſie vermutlich werde melancholiſch wer-
den, wenn ſie wieder allein leben, und einer ſo
angenehmen Geſellſchaft entbehren muͤſſe, u. ſ. w.
Er hatte oft Muͤhe, eine bittre Antwort zuruͤck
zu halten; aber die Klugheit ſiegte doch bey ihm.
Sobald er zuruͤckkam, erzaͤhlte er es Thereſen,
und bat ſie, in Abſicht auf ihre Schwaͤgerinn
recht behutſam zu ſeyn. Den Nachmittag gien-
gen ſie noch einmal auf einem andern Wege
nach dem Berg, wo ſie geſtern geweſen waren.
Als ſie uͤber einen Steg giengen, blieben ſie drauf
ſtehen. Thereſe warf ein Nelkenblatt in den
Bach hinab; Kronhelm auch eins. Die Blaͤt-
ter ſchwammen einander nach; die Liebenden
verfolgten ſie mit ihren Blicken, und freuten ſich,
daß die Blaͤtter miteinander ſchwammen. Sie
trieben dieſes Spiel wol eine halbe Stunde, und
giengen endlich nach dem Berge. Als ſie oben
waren, ſagte Kronhelm: Nun ſind wir doch wie-
der da; geſtern haͤtten wir geſchworen, daß es
nicht geſchehen wuͤrde. So kann alles auf der
Welt in einem Augenblick moͤglich werden! —
Sie machten aus, daß ſie auf die Nacht nicht zu
Bette gehen wollten, weil ſie ohnedieß fruͤh wie-
der aufſtehen muͤßten. Jch kann doch nicht ſchla-
fen, ſagte Thereſe; wir muͤſſen die kurze Zeit die
wir uͤbrig haben, noch ganz genieſſen. — Sehen
Sie! dort hinten zieht ſich ein Gewitter auf. —
Kronhelm wollte es nicht glauben, und ſagte,
daß es nur Abendwolken ſeyen; Sie aber blieb
auf ihrer Behauptung — Wenns morgen gut
Wetter iſt, fuhr ſie fort, ſo fahr ich eine Stun-
de weit mit Jhnen — O, das thun Sie ja!
ſagte Kronhelm. Zwar, Sie muͤſſen dann allein,
und zu Fuß, zuruͤck — Ey was, Poſſen! ſiel ſie
ihm ein. Glauben Sie denn, wir ſeyen ſo em-
pfindlich, und ſo ſurchtſam, wie Jhre Stadtmaͤd-
chen, daß wir keine Stunde weit allein gehen
koͤnnten? Auf dem Land fragt man viel dar-
nach! da gibts nicht ſo viel ſchlimme Leute, wie
in der Stadt, daß man ſich zu ſuͤrchten haͤtte!
— Ja, das weiß ich wol, ſagte Kronhelm,
und Jch werde gewiß nicht die Stadt gegen
Sie vertheidigen! Nun, Sie fahren alſo mit!
Das iſt ja herrlich! O, Sie ſind das liebſte und
gefaͤlligſte Maͤdchen von der Welt! — Aber,
ſagte Siegwart, wir muͤſſen nur nicht viel Um-
ſtaͤnde mit dem Abſchiednehmen machen! Das
muß ein ſchaaler Kopf geweſen ſeyn, ders erfun-
den hat! Wenn ich mich von einem Freund tren-
ne, da wuͤnſch ich ihm gewiß von Herzen alles
Gutes, und da brauchts der vielen Worte nicht!
— Gut, gut! Wir wollens kurz machen! ſagte
Thereſe. Aber unter Abſchiednehmen und Ab-
ſchiednehmen iſt doch auch ein groſſer Unterſchied!
Nicht wahr, Herr von Kronhelm? Hier ſah ſie
ihn mit einem unbeſchreiblichen, mit Wehmuth
und Liebe untermiſchten Laͤcheln an. — Da ha-
ben Sie auch ein Vergißmeinnicht! ſagte ſie zu
Kronhelm, als ſie an einer Quelle, die den Berg
hinab rieſelte, vorbeykamen, und gab es ihm.
Er kuͤſte ihr die Hand, und ſteckte es auf ſeinen
Hut. Da ſoll es immer bleiben, ſagte er, und
mich tauſendmal des Tags an Sie erinnern!
Aber nun leb wol, Berg! Nun werd ich dich
wol ſo bald nicht wieder ſehen! — Vielleicht in
dieſem Leben nicht mehr, ſagte Thereſe. —
Nein, das wolle Gott nicht! rief er heftig aus.
Wo bringen Sie die truͤbſeligen Gedanken her?
Jn drey, vier, Jahren kann ſich viel aͤndern! —
Ja wohl, viel aͤndern! ſetzte ſie hinzu. — Drauf
giengen ſie allmaͤhlich wieder dem Dorfe zu.
Vor demſelben trafen ſie die Kutſche mit der
kranken Baͤurinn an. Gott! ſagte Thereſe;
wie der Menſch ſich ſo ſchnell aͤndern kann! Vor
etlich Tagen ſah dieß Weib noch wie eine Roſe
aus; nun iſt ſie ſo bleich, und eingeſallen, wie
der Tod, daß man ſie kaum mehr kennt! Es waͤ-
re doch recht laͤcherlich, wenn man ſich auf ſein
gutes Ausſehen viel zu gut thun wollte! —
Freylich iſt es beſſer, ſagte Kronhelm, wenn
man noch etwas mehr hat, worauf man ſtolz
ſeyn kann! Wer ſo ein Herz hat wie Sie, mei-
ne Liebe, der kann ſich uͤber den Verluſt ſeiner
Schoͤnheit leicht troͤſten. Aber wie wenig Maͤd-
chen koͤnnen das? — Sie ward roth, und ſagte:
auf dieß Kompliment hab ich nicht gerechnet;
ſonſt haͤtt ich ſein geſchwiegen! — Es iſt kein
Kompliment, antwortete Kronhelm; Sie wiſſen,
daß ich Komplimente haſſe. — Nun kamen ſie
beym alten Siegwart wieder an. Er wollte
erſt nicht zugeben, daß ſie nicht ins Bette gehen
ſollten; aber, als ſie ihn ſo dringend um Erlaub-
niß drum baten, gab er ihnen nach. Um vier
Uhr, ſagt’ er, will ich wieder aufſtehen, denn ich
hab die Ruhe noͤthiger, als ihr. Sie giengen
nun zum letztenmal in Garten, und bald drauf
aufs Zimmer, denn der Himmel ward immer
wolkichter und truͤber, und es blitzte ſchon von
ferne. Das Herz war ihnen jetzt auch ſchwer,
aber doch weniger, als geſtern; denn der Gedan-
ke an die nahe Trennung war ihnen ſchon min-
der neu. Sie ſetzten das Licht aus dem Zimmer
in die Kammer, weil ihnen die Daͤmmerung
lieber war, und weil ſie ſo die Blitze, die immer
haͤuſiger wurden, beſſer ſehen konnten. Sieg-
wart ſetzte ſich in einen Lehnſtuhl am Ofen, und
ſchlummerte ein wenig; doch ſprach er auch zu-
weilen mit. Kronhelm ſchlang um Thereſen
ſeinen Arm; vor ihnen lag der Meſſias, und
zwar die Stelle von Semida und Cidli aufge-
ſchlagen, die ſie vorher noch einmal geleſen hat-
ten. Das Gewitter zog immer naͤher, und man
hoͤrte ſchon von fernher donnern. Sie traten
ans Fenſter, und ſahn dem Blitzen zu. Einmal
wurden ſie durch einen Blitz ſo geblendet, daß
ſie beyde zuruͤckfuhren, einige Augenblicke nichts,
als blaues Licht um ſich her ſahen, ſich anblick-
ten und ſchwiegen. — Gott! dachte Kronhelm,
wenn der uns getoͤdtet haͤtte! Und doch, dachte
er zugleich, es waͤre gut! Jch waͤr mit ihr ge-
ſtorben! Er ſah ſie an; ein Blitz erleuchtete ihr
Geſicht; es ſah blaß aus, und das Aug war
naß, und glaͤnzte. Er ſtreichelte ihre Wangen;
Sie waren von den Thraͤnen ganz benetzt und
kalt — Sollten wir uns wiederſehen? ſagte ſie.
— Ja gewiß! antwortete er mit Heftigkeit;
druͤckte ihr die Haͤnd, und gab ihr einen Kuß.
Es fieng nun auch an zu regnen, und ſie wur-
den ſehr beſorgt, daß ſie nicht wuͤrde mitfahren
koͤnnen. Wenns nur auſhoͤrt, ſagte ſie ſo hats
nichts zu bedeuten! An den ſchlimmen Weg denk
ich gar nicht. — Sie ſetzten ſich wieder an den
Tiſch; Thereſe ſtuͤtzte ihr Geſicht auf ihre Hand,
und neigte ſich uͤber den Meſſias her. Jhre
Seele ward nun auf Einmal heftiger beſtuͤrmt;
der Gedanke an die immer naͤher ruͤckende Tren-
nung faſte ſie ganz; ihr Buſen ſchlug heftiger;
ein Seufzer folgte dem andern, und Kronhelm
hoͤrte die Thraͤnentropſen auf das Buch fallen.
Er ergrif ihre Hand; ſie fuͤhrte die ſeinige auf
das Buch, und er fuͤhlte, daß es naß war. Da
that er in ſeinem Herzen einen Schwur, ihr
ewig treu zu ſeyn! Und der Schwur war ihm
ſo heilig als ob er ihn uͤber dem Evangelio ge-
ſchworen haͤtte. Der Donner ward immer ſtaͤr-
ker, und der Regen heſtiger. — Das iſt eine hei-
lige und feyerliche Nacht; ſagte er. — Um Eins
kam der abnehmende Mond zuweilen zwiſchen
zerrißnen Gewitterwolken hervor, und goß ſein
blaſſes, melancholiſches Licht auf die Liebenden her-
unter. Sie betrachteten ihn lang am Fenſter;
kuͤßten ſich zuweilen; ſprachen abgebrochne Worte,
und fuͤhlten, was die Sprache nicht beſchreiben
kann. — Um drey Uhr gieng Thereſe weg, um
den Kaffee zu machen. Kronhelm ſprach von
gleichguͤltigern Dingen mit Siegwart. Nach
einer halben Stunde kam ſie wieder, und brach-
te den Kaffee Der alte Siegwart kam auch.
Er ſagte, man koͤnne mit dem Abfahren bis halb
5 Uhr warten, ob der Regen nicht aͤufhoͤre?
Aber laͤnger nicht! — Als der Kaffee getrunken
war, ſtellte ſich Kronhelm mit Thereſen wieder
aus Fenſter. Der Regen hielt noch an, und die
Hofnung verſchwand immer mehr, daß Thereſe
ſie begleiten koͤnne. Sie hoͤrten alle Viertelſtun-
den auf dem nahen Kirchthurm ſchlagen, und je-
der Glockenſchlag war ihnen ein Donnerton;
Mit jedem ſank ihr Muth mehr. — Der alte
Siegwart ſuchte ſie durch ſein Geſpraͤch etwas
auſzuheitern; ſie laͤchelten zuweilen, aber wie der
Mond, der durch Regenwolken ſchien. Der Tag
brach an, und roͤthete in etwas die Gewitterwol-
ken; endlich ward der Himmel blutroth. Es
ſchlug vier Uhr. Kronhelm bebte, als ers hoͤrte.
Er ſtand unbeweglich vor Thereſen. Endlich
gieng er in die Kammer, um ſich vollends anzu-
ziehen, und ſeine Sachen in Ordnung zu brin-
gen. Er kam wieder auf das Zimmer. Es
ſchlug ein Viertel. Herr Gott! wie die Zeit
eilt! ſagte Thereſe. Kronhelm holte ſeinen
Stock. Er ſtand, wie ein Verurtheilter da, der
nun alle Augenblicke zum Tod gefuͤhrt werden
ſoll. Endlich ſchlugs halb. — Nun, wir muͤſſen
fort! ſagte er. Er nahm vom alten Siegwart
mit vieler Zaͤrtlichkeit und Ruͤhrung Abſchied.
Thereſe konnte ſich nicht laͤnger halten, und gieng
vor die Thuͤre hinaus. Xaver nahm nun auch
von ſeinem Vater Abſchied. Als Kronhelm vor
die Thuͤre kam, ſtand Thereſe da, und ſchluchzte.
Er druͤckte ihr die Hand, und gieng ſchweigend
die Treppe hinunter. Xaver nahm von ſeiner
Schweſter Abſchied; Kronhelm vom alten Sieg-
wart. — Nun, Thereſe! — ſagte dieſer. Sie
gieng zu Kronhelm; umarmie ihn, gab ihm drey
Kuͤſſe, ſprach kein Wort, und gieng weinend ins
Haus zuruͤck. Die beyden ſtiegen in den Wa-
gen und fuhren fort.