F. C Laukhards,
vorzeiten Magiſters der Philoſophie, und jetzt Musketiers
unter dem von Thaddenſchen Regiment
zu Halle,
Leben und Schickſale,
von ihm ſelbſt beſchrieben,
und zur Warnung
fuͤr Eltern und ſtudierende Juͤnglinge
herausgegeben.
Ein Beitrag zur Charakteriſtik der Univerſitaͤten in Deutſchland.
Erſter Theil.
Mit einem Titelkupfer.
Halle,
bei Michaelis und Bispink
1792.
Dem
Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn,
Herrn
Friedrich Auguſt,
Herzogen zu Braunſchweig und Luͤneburg,
General der Infanterie der Preußiſchen Heere
und Ritter des Preußiſchen Schwarzen-
Adler-Ordens.
Meinem Gnaͤdigſten Fuͤrſten und
Herrn.
Durchlauchtigſter Herzog,
Gnaͤdigſter Fuͤrſt und Herr,
Als ich vor zwei Jahren das unſchaͤzbare
Gluͤck hatte, Ew. Hochfuͤrſtl. Durch-
laucht perſoͤnlich bekannt zu werden, hatten
Hoͤchſtdieſelben die Gnade, mir einen
Aufſatz von meinen Begebenheiten zu befeh-
len: und als ich nach dieſem mir ſo theuren
Befehl, Hoͤchſtdenſelben einen franzoͤ-
ſiſchen Aufſatz dieſes Inhalts unterthaͤnigſt
uͤberreichte, bezeugten Ew. Hochfuͤrſtl.
Durchlaucht Dero Hoͤchſte Billigung
meiner kleinen Schrift.
Dieſe erhabene mir bewieſene Hoͤchſte
Huld Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht
machten den Gedanken bei mir rege, daß
Hoͤchſtdieſelben meiner Lebensgeſchichte
eine gnaͤdige Aufnahme nicht verweigern
wuͤrden: und daher nehme ich die unterthaͤ-
nigſte Kuͤhnheit, Ew. Durchlaucht dieſe
Schrift zuzueignen.
Die Vorſicht lohne die erhabenen Tu-
genden, welche die Welt an dem großen
Helden, an dem Menſchenfreunde, an dem
ruhmvollen Kenner und Befoͤrderer der
Wiſſenſchaften — an Friedrich Auguſt
bewundert und verehrt. Dies iſt der hoͤch-
ſte Wunſch
Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlaucht
unterthaͤnigſten Knechts
Friedrich Chriſtian Laukhard,
Soldaten bei dem Koͤnigl. Preuß. Regiment
von Thadden.
An den Leſer.
Ich uͤbergebe dem Publikum den erſten
Theil meiner Lebensgeſchichte, wobei ich
einiges zum voraus ſagen muß, damit man
meinen Zwek kennen lerne, und uͤber das
ganze Buch richtig urtheilen koͤnne.
Der verſtorbene Doktor Semler, deſ-
ſen Aſche ich nie genug verehren kann, gab
mir im Jahr 1784 den Rath, meine Bege-
benheiten in lateiniſcher Sprache heraus zu
geben. Ich hatte dem vortreflichen Mann
mehrere davon erzaͤhlt, und da glaubte er,
die Bekanntmachung derſelben wuͤrde in man-
cher Hinſicht nuͤtzlich werden. Ich fing wirk-
lich an zu arbeiten, und ſchrieb ohngefaͤhr acht
Bogen, welche ich ihm vorwies. Er billigte
ſie, und rieth mir, den Herrn Profeſſor
Eberhard um die Cenſur zu bitten. Ich
that dies ſchriftlich: denn damals ſcheute ich
mich, weil ich kurz vorher Soldat geworden
war, es muͤndlich zu thun. Auch Eber-
hard lobte mein Unternehmen; nur rieth er
mir, um der mehrern Leſer Willen, deutſch
zu ſchreiben. Ich folgte ihm, und zeigte
mein Vorhaben oͤffentlich an. Aber weil da-
mals mein Vater noch lebte, ſo mußte ich,
um ihn nicht zu beleidigen, oder ihm gar
durch meine Nachrichten in der hyperortho-
dorenhyperortho-
doxen Pfalz und bei den daſigen Bonzen und
Talapoinen nicht zu ſchaden, vieles weglaſſen,
was doch zum Faden meiner Geſchichte ge-
hoͤrte. Daher war jener Aufſaz mangelhaft
und unvollſtaͤndig. Mein Vater erfuhr in-
deſſen durch die Briefe des Herrn Majors
von Muffling, daß ich mein Leben ſchrie-
be, und befuͤrchtete, ich moͤchte Dinge erzaͤh-
len die ihm Verdruß bringen koͤnnten. Er
ſchrieb mir daher und befahl mir, von mei-
nen Lebensumſtaͤnden ja nichts eher, als nach
ſeinem Tode drucken zu laſſen. Der Brief
meines guten Vaters war voll derber Aus-
druͤcke: er ſtellte mir das Uebel, das fuͤr ihn
daraus folgen koͤnnte, ſo lebhaft vor, daß
ich mein Manuſkript ins Feuer warf.
Einige Jahre hernach ſtarb mein Vater,
und ich konnte nun freimuͤthig zu Werke ge-
hen: aber der Feldzug im Jahr 1790 und
andre Geſchaͤfte, welche ich ums liebe Brod
uͤbernehmen mußte, hinderten mich, meinen
laͤngſt gefaßten Vorſatz eher ins Werk zu rich-
ten: nachdem ich aber mehr Muße und thaͤ-
tige Unterſtuͤtzung redlich geſinnter Maͤnner,
die ich zu ſeiner Zeit nennen will, erhielt, ſo
ging ich neuerdings ans Geſchaͤft, und ſo
entſtand die gegenwaͤrtige Schrift.
Jeder Leſer wird ohne mein Erinnern
gleich ſchließen, daß das, was der Dichter
von ſeinen Verſen ſagt:
— — — paupertas impulit audax,
Ut verſus facerem;
auch von meinem Buche gelte; und ich wuͤr-
de ſehr zur unrechten Zeit wollen diſkret ſeyn,
wenn ichs nicht bekennte. Ich bin ein Mann,
welcher keine Huͤlfe hat, kein Vermoͤgen be-
ſitzt, und keinen Speichellecker machen kann:
folglich wuͤrde ich ſehr kuͤmmerlich leben muͤſ-
ſen, wenn ich mir keinen Nebenverdienſt ſu-
chen wollte. Und wer kann mir das ver-
denken?
Allein ob gleich der erſte Grund der Er-
ſcheinung gegenwaͤrtiges Buches im Magen
liegt; ſo iſt er doch nicht der einzige.
Ich war ein junger Menſch von guten
Faͤhigkeiten, und von gutem Herzen. Falſch-
heit war nie mein Laſter; und Verſtellung
habe ich erſt ſpaͤterhin gelernt, und geuͤbt,
nachdem ich vieles ſchon gethan und getrieben
hatte, deſſen ich mich ſchaͤmen mußte. Mein
Vater hatte mir guten Unterricht verſchaft,
und ich erlangte verſchiedene recht gute Kennt-
niſſe, welche ich meiner immer fortwaͤhrenden
Neigung zu den Wiſſenſchaften verdanke.
Meine Figur war auch nicht haͤßlich. Da
war es denn doch Schade, daß ich verdorben
und ungluͤcklich ward. Aber ich wurde es,
und fiel aus einem dummen Streich in den
andern, trieb Dinge, worunter auch wirkli-
che groͤbere Vergehungen ſind, bis ich endlich
aus Noth und Verzweiflung an allem Er-
dengluͤck die blaue Uniform anzog. —
Wenn nun ein Erzieher, ein Vater, oder
auch ein Juͤngling meine Begebenheiten lieſt:
muß er da nicht manche Regel fuͤr ſich und
fuͤr ſeinen Zoͤgling abſtrahiren? Muß er
nicht oft ſtutzen und ſich ſelbſt auf unrechtem
Wege finden? Wird er dann nicht, wenn
er klug iſt, einen andern und beſſern Weg
einſchlagen? Muß er nicht aufmerkſamer
auf die Folgen ſeines Denkens und Handelns
werden, und folglich mehr Harmonie und Kon-
ſequenz in ſein Leben zu bringen ſuchen? —
Meine Ungluͤcksfaͤlle ſind nicht aus der Luft
geriſſen, wie man ſie in Romanen lieſt: ſie
haben ſich in der wirklichen Welt zugetragen,
haben alle ihre wirklichen Urſachen gehabt,
und lehren, daß es jedem eben ſo gehen kann,
der es ſo treibt, ‒ wie ich.
Ich glaube daher mit Recht, daß mein
Buch einen nicht unebnen Beitrag zur prak-
tiſchen Paͤdagogik darbietet, und daß niemand
ohne reellen Nutzen daſſelbe durchleſen wird:
und das iſt doch nach meiner Meinung ſehr
viel. Auf dieſe Art werde ich, der ich durch
meine Handlungen mein ganzes Gluͤck verdor-
ben habe, doch durch Erzaͤhlung derſelben ge-
meinnuͤtzig, und das ſey denn eine Art von
Entſchaͤdigung fuͤr mich.
Außerdem hoffe ich auch, daß die Erzaͤh-
lungen ſelbſt niemanden lange Weile machen
werden; daß alſo meine Schrift auch zu de-
nen gehoͤren wird, welche eine angenehme
Lektuͤre darbieten. Und ſo haͤtte ich, wenn
ich mich nicht uͤberall irre, einen dreifachen
recht guten Zweck erreicht.
Aber einigen Vorwuͤrfen muß ich hier im
voraus begegnen, welche man ohne allen
Zweifel meinem Werkchen machen wird.
Ich habe viele angeſehene Maͤnner eben
nicht im vortheilhafteſten Lichte aufgeſtellt —
von unwuͤrdigen Menſchenkindern, einem
Kammerrath Schad, einem Brandenburger,
und andern dergleichen, iſt hier die Rede
nicht: die haben die Brandmarkung ver-
dient! — warum hab' ich das gethan? —
Deswegen meine lieben Leſer, weil ich glaube
und fuͤr unumſtoͤßlich gewiß halte, daß die Be-
kanntmachung der Fehler angeſehener Maͤn-
ner ſehr nuͤtzlich iſt. Die Herren muͤſſen
nicht denken, daß ihr Anſehen, ihr Reich-
thum, ihre Titel, ſelbſt ihre Gelehrſamkeit
und Verdienſte ihre Maͤngel bedecken, oder
gar rechtfertigen koͤnnte. Dieſe Maͤnner,
von welchen ich erzaͤhle, haben theils mit mir
im Verhaͤltniß geſtanden, und haben mir
nach ihrem Vermoͤgen zu ſchaden geſucht,
und wirklich geſchadet: theils aber ſchadeten
ſie der guten Sache, den Rechten der Menſch-
heit, beſonders jenem unumſtoͤßlichen ewigen
Recht, uͤber alle intellectuelle Dinge voͤllig
frei zu urtheilen, und ſeine Gedanken dar-
uͤber zu entdecken. Wenn ich alſo die Pro-
feſſoren zu Mainz, Heidelberg und ſonſtige
Meiſter als intolerante Leute beſchreibe, wel-
che gern Inquiſitoren werden, und den hei-
ligen Bonifacius, oder jenen abſcheulichen
Menſchen, den Abſchaum aller Boͤſewichter,
den Erfinder der Inquſition und Hexenpro-
zeſſe, ich meine den Pabſt Innocentius III.
nachmachen moͤchten: thu ich dann Unrecht,
da die Sache ſich durch Thaten beſtaͤtiget?
Vielleicht ſchaͤmen ſich andre, und werden
toleranter, und waͤre das nicht herrlich?
Haͤtte ich da nicht mehr Gutes geſtiftet, als
mancher Verfaſſer dicker Baͤnde von Predig-
ten und andern theologiſchen, philoſophiſchen
oder juriſtiſchen Unſinn?
Ferner, ſagen Sie ſichs ſelbſt, lieber
Leſer, ob ich recht habe: darf ich den nicht
beſchreiben, der mir wehe that? Rache ſchreien
zwar die Moraliſten (in ihren Theorien) ſey
uͤberhaupt ein ſchaͤndliches Laſter, dem
kein Weiſer nachgeben muͤſſe: ja, ich ſage
irgendwo ſelbſt, daß ſie groͤßtentheils unter
der Wuͤrde der Menſchheit ſey. Allein ich
geſtehe es, daß ich ihr Gebot nicht ganz ein-
ſehe; ich bin ein Menſch, ſo gut wie der
Pabſt und der Fuͤrſt: ich hab' auch meine
Galle, und es kraͤnkt mich auch, wenn man
mir unrecht thut, und mich armen ohnmaͤch-
tigen Menſchen druͤckt, und ſeine Freude
dran hat. Ich ſuche mich nun zu raͤchen,
wie ich kann, und das kann ich auf keine an-
der erlaubte Art, als daß ich die Leute von
der Art nenne, und ihren Karakter bekannt
mache. Ich werde das auch in der Zukunft
ſo halten, und Anekdoten von der Art mehr
ſammeln, um einmal Gebrauch davon zu
machen. Urtheilen Sie ferner, meine Leſer,
ob Sie es nicht auch ſo machen wuͤrden,
wenn Sie in meinen Schuhen ſtaͤnden? Ich
brenne mich nirgends weis, und erdenke an
mir keine Geſinnungen, die ich nicht habe.
Daher geſtehe ichs, daß die Großmuth, wel-
che alle Neckereien uͤberſieht, und ſich ohnge-
ahndet hudeln laͤßt, meine Tugend nicht iſt.
Wer beſſer in dieſem Stuͤck iſt; nicht der,
welcher blos beſſer ſpricht, verdamme mich:
ich habe nichts dawider. Und wer uͤbeln
Nachreden entgehen will, der thue nichts
uͤbles. Schwachheiten abgerechnet, iſt Pub-
licitaͤt fuͤr Thorheit und Laſter ein weit zutraͤg-
licheres Heilmittel, als das Maͤntelchen der
chriſtlichen Liebe – das freilich gerade von denen
am fleiſigſten empfohlen wird, die es am mei-
ſten beduͤrfen. Ich zweifle nicht, daß meine
Biographie, ſo wie die des verſtorbenen D.
Bahrdt, mehrere andre Buͤchleins von Bei-
traͤgen, Berichtigungen und vielleicht gar
von Schimpfereien im Gefolge haben wird.
Das ſoll mir auch wegen des bekannten
Spruͤchelchens: contraria contrariis magis
elucescunt recht lieb ſeyn. Aber die Herren
Beitraͤgeſchreiber werdens auch nicht fuͤr
Uebel nehmen, wenn ich ihnen nach Befinden
antworte. Mir ſoll jeder Ton, der ſanfte
und grobe, gleichviel gelten: denn ich bin
dergleichen ſchon etwas gewohnt. Wo ich aber
vielleicht aus Gedaͤchtnißfehler wirklich geirrt
habe, will ich mich herzlich gern belehren laſſen,
und wie billig, widerrufen. Aber ich hoffe,
daß dergleichen Fehler nicht ſollen untergelau-
fen ſeyn.
Im zweiten Theile, der auch ſchon unter
der Preſſe iſt, erzaͤhle ich meine Geſchichte bis
auf die jetzige Zeit. Er hat einige wichtigere
Nachrichten als der erſte, und wird hoffent-
lich die Neugierde der Leſer befriedigen, und
ihnen mancherlei Genugthuung leiſten.
Und ſo viel habe ich Ihnen, meine Leſer,
zum voraus ſagen wollen. Ich wuͤnſche,
daß Sie alle, das Gluͤck genießen, welches
mir das Schickſal wegen meiner eignen Ver-
irrungen verſagt hat. Geſchrieben zu Halle
den 5ten Mai 1792.
Erſtes Kapitel.
Nicht alle Prediger ſind, was mein Vater war!
Um meine Lebensgeſchichte etwas methodiſch ein-
zuleiten, muß meine Erzaͤhlung doch wol von
der Zeit und dem Orte anfangen, wo ich geboren bin.
Das iſt geſchehen im Jahre 1758 zu Wendelsheim,
einem Orte in der Unterpfalz, der zur Grafſchaft
Grehweiler gehoͤrt. Mein Vater war Prediger die-
ſes Orts, und genoß einer ganz guten Beſoldung bei
einem ſehr ruhigen Dienſte. Das iſt nun freilich in
der Pfalz eine ſeltene Sache, indem die lutheriſchen
Pfarrer durchaus ſchlecht beſoldet und dabei mit Ar-
beit uͤberladen ſind. Dies iſt aber nur von den ei-
gentlichen Pfaͤlzer Pfarreien zu verſtehen: denn die
graͤflichen und ritterſchaftlichen befinden ſich beſſer.
Leider aber werden dieſe beſſern Stellen auch jedes-
mal, wenn eine erledigt wird, an den meiſtbietenden
verkauft oder ordentlich verſteigert. Mein Vater war
jedoch ſo gluͤcklich geweſen, ſeine Stelle ohne einen
Erſter Theil. A
Kreuzer Ausgabe dafuͤr, zu erhalten, und dies von
dem Kurfuͤrſten zu Mainz, der daſelbſt Patron iſt,
und der, als Erzbiſchof einer heiligen Kirche, eine
ketzeriſche Pfarrſtelle wol nicht ohne Geld hingegeben
haͤtte, wenn nicht andere Gruͤnde da geweſen waͤren.
Mein Vater hat mir dieſe Gruͤnde zwar niemals ent-
deckt; daß ſie aber da geweſen ſeyn muͤſſen, erhellet
daraus, daß alle und jede gute proteſtantiſche
Pfarren, welche der Kurfuͤrſt zu Mainz vergiebt,
von alten Zeiten her bis auf den heutigen Tag, ver-
kauft werden Der jetzige Inhaber der Pfarrei zu Wendelsheim hat,
wie ich aus Briefen weis, 1000 Gulden rheiniſch das
fuͤr bezahlen muͤſſen.
Meine Leſer werden es nicht ungern ſehen, wenn
ich eine kurze Beſchreibung von meinem Vater lie-
fere, der ſich ohne Ruhm zu melden, von den uͤbri-
gen proteſtantiſchen Herren Pfarrern in der Pfalz
merklich unterſchieden hat.
Er hatte in ſeiner Jugend ſehr fleißig ſtudirt,
und hatte beſonders die Wolffiſche Philoſophie zu
ſeinem Lieblingsſtudium gemacht. Er bekannte mir
oft, daß ihn die Grundſaͤtze der Wolffiſchen Meta-
phyſik Beſonders den ontologiſchen Satz: quaecunque ſunt
in ente, vel eſſentialia ſunt, vel attributa, vel
modi, vel modi analogici. dahin gebracht haͤtten, daß er an den Haupt-
dogmen der lutheriſchen Lehre gezweifelt haͤtte. In
der Folge, da er ſein Studium nicht nach Art ſo vie-
ler geiſtlichen Herren, an den Nagel henkte, unter-
ſuchte er alle Dogmen ſeines Kompendiums, und
verwarf ſie alle, da er ſie mit den Saͤtzen ſeiner
lieben Metaphyſik unvereinbar fand. Endlich fiel er
gar auf die Buͤcher des beruͤchtigten Spinoſa,
wodurch er ein vollkommner Pantheiſt ward.
Ich kann dieſes meinem Vater jetzt getroſt nach-
ſagen, da er todt iſt, und wol nicht zu vermuthen
ſteht, daß ihn die hyperorthodoxen Herren in der
Pfalz werden ausgraben laſſen, wie dies vor ohn-
gefaͤhr vierzig Jahren dem redlichen Bergmeiſter
Schittehelm von Moͤrsfeld geſchehen iſt. Es
lieſſen naͤmlich die proteſtantiſchen Geiſtlichen zu
Kreuznach dieſen hellſehenden Kopf als einen Edel-
mannianer herausgraben, und ſo nahe an den
Nohfluß einſcharren, daß ihn der Strom beim er-
ſten Anſchwellen heraus und mit ſich fort riß. Der-
gleichen Barbarei wird man doch, hoffe ich, am Ende
dieſes Jahrhunderts nicht mehr begehen!
Sonſt war mein Vater ſehr behutſam in ſeinen
Reden uͤber die Religion: nur ſeinen beſten Freun-
den vertraute er dann und wann etwas von ſeinen
Privatmeinungen, und bekannte mir oft in traulichen
Geſpraͤchen, daß er gar nicht wuͤnſchte, daß ſein Sy-
ſtem Leuten bekannt wuͤrde, welche einen moraliſchen
Misbrauch davon machen koͤnnten. Vielleicht ge
ich einmal eine Handſchrift heraus, die er unter dem
Titel: Geſchichte meiner Zweifel und
Ueberzeugungen, hinterlaſſen hat: da wird man
recht wuͤrdige Gedanken uͤber dieſen Punkt finden!
Mein Vater hatte in den Sprachen und Wiſ-
ſenſchaften viel geleiſtet. Er verſtand recht gut Latein,
und war in den morgenlaͤndiſchen Sprachen, wie auch
in der griechiſchen, gar nicht unerfahren. Ich erinne-
re mich noch lebhaft, wie er den Propheten Ma-
lachias mit mir las, und in Herrn D. Bahrdts
Kommentar uͤber dieſen Propheten, die Schnitzer
ruͤgte, welche dieſer artige Meiſter in der orienta-
liſchen Litteratur da wider die gemeinſten Regeln der
hebraͤiſchen und arabiſchen Grammatik gemacht hat,
oder wenn er Herrn D. Bahrdts lateiniſche Barba-
rismen und Soloͤcismen herzlich lachend durchging.
Die Predigten meines Vaters waren nicht aus-
geſchrieben; und das heißt in der Pfalz viel, ſehr viel!
Denn da reiten die Herren, was das Zeug haͤlt, die
alten Poſtillen zuſammen: ja, das iſt ſchon ein rechter
Mann, welcher aus Martin Jockiſch ſel. expe-
ditem Prediger, aus Paſtor Goͤzens Diſpoſitionen,
aus Dunkels Skiagraphie oder aus einem andern
Troͤſter von der Art, eine Predigt zu fabriciren im
Stande iſt. Den meiſten Herren muß alles von
Wort zu Wort vor der Naſe ſtehen; ſonſt verlieren
ſie gleich den Zuſammenhang. So war aber mein
Vater nicht: er arbeitete ſeine Diſpoſitionen und Pre-
digten ſelbſt aus, und trug weit mehr Moral als
Dogmatik vor. Niemals konnte er ſich entſchlieſſen,
die Sabellianer, Arianer, Eutychianer, Pelagianer,
Apollinariſten, Deiſten, und andere alte und neue
Ketzer auf der Kanzel zu befehden, nach Art ſeiner
Herren Amtsbruͤder: und dieſes wollte man eben
von Seiten dieſer Herren nicht ſehr loben. Sogar
begieng er den Fehler, daß er die Katholiken und Re-
formirten ihr Kirchenweſen ruhig fuͤr ſich treiben ließ:
ein Benehmen, welches ihn bei den dortigen contro-
versſuͤchtigen Herren vollends in Miskredit brachte.
Aber er bekuͤmmerte ſich um die Herren nichts, und
wandelte ſeinen Pfad getroſt fuͤr ſich fort.
Auſſerdem war mein Vater ein unerſchuͤtterli-
cher Freund jeder buͤrgerlichen und geſellſchaftlichen
Tugend. Seine Ehrlichkeit kannte eben ſo wenig
Graͤnzen, als ſein Beſtreben, gegen jederman gefaͤl-
lig zu ſeyn und jedem Nothleidenden zu helfen.
Bei dieſem Karakter mußte mein Vater noth-
wendig bei jederman beliebt ſeyn: niemand haßte
ihn, als vielleicht die, welchen er dann und wann
die Wahrheit ſagte, wovon ich unten ein mehreres
berichten werde. Von allen andern, welche ihn kann-
ten, wurde er geliebt und geſchaͤzt als ein biederer,
ehrlicher Mann, auf den man ſich in allen Stuͤcken
verlaſſen konnte.
Herr D. Bahrdt meldet irgendwo in ſeiner
Lebensbeſchreibung, daß er viele freundſchaftliche Brie-
fe von der verſtorbenen Frau Landgraͤfin von Heſſen-
Darmſtadt aufbewahre. Dieſes iſt, wie man ihm
oͤffentlich vorgeworfen hat, erdichtet: er kann keine
Zeile von der Hand dieſer vortrefflichen Fuͤrſtin vor-
zeigen. Allein unter den Papieren meines Vaters
finden ſich noch Briefe, welche die verewigte Hen-
riette an ihn geſchrieben hat: Briefe, in welchen
der Geiſt und die Herzensguͤte der großen Mutter
der Koͤnigin von Preuſſen recht ſichtbar hervorglaͤnzt.
Ich fuͤhre dieſes nicht aus Ruhmredigkeit oder aus
der Abſicht an, mir einige Vortheile durch Erwaͤh-
nungen von der Art zu erſchleichen: es geſchieht blos,
um meinem Vater die Gerechtigkeit widerfahren zu
laſſen, welche das Andenken eines ehrlichen Mannes
verdient. — Der Fuͤrſt Moriz von Salm Kyr-
burg, und die vortreffliche Luiſe, ſeine Gemahlin,
ſchaͤtzten meinen Vater nicht weniger: ſie beehrten
ihn mit einem recht freundtchaftlichen traulichen Um-
gange bis in ſeinen Tod. Seht, Ihr Herren
Prediger! auch Große ſchaͤtzen euren Stand, wenn
Einſicht und Verdienſt Euch ſelbſt nur ehrwuͤrdig
machen!
Dabei hatte mein Vater indeß auch ſeine großen
Schwachheiten; aber doch auch nur Schwachheiten
und keine Laſter. Er war — daß ich nur etwas
davon anfuͤhre — ein großer Kenner der Alchymie,
und wollte durchaus Gold machen. Ein gewiſſer
Musjeh Fuchs, welcher um das Jahr 1760 we-
gen Geldmuͤnzerei und anderer Hallunkenſtreiche in
Schwaben gehangen worden, hatte ihn mit den Ge-
heimniſſen dieſer edlen Kunſt bekannt gemacht. Er
fieng an zu laboriren, und las dabei die herrlichen
Buͤcher des Baſilius Valentinus, Baptiſt
Helmontius, und ſeines noch tollern Sohns,
Meiſter Merkurius Helmontius, Paracel-
ſus, Becher, Sendirogius — den er be-
ſonders hoch hielt — und anderer theoſophiſcher al-
chymiſtiſcher Narren und Spitzbuben. Die Lektuͤre
dieſer Skarteken verwirrte ihm den Kopf, und mach-
te, daß er Jahr aus Jahr ein den Stein der Wei-
ſen ſuchte, und betraͤchtliche Summen bei dieſer un-
ſeligen Bemuͤhung verſchwendete.
Meine Mutter machte dem verblendeten Mann
die triftigſten Vorſtellungen, welche nicht ſelten in
Zank und Specktakel ausarteten; aber alles umſonſt!
Er laborirte friſch weg, und verſicherte mehr als ein-
mal, daß er das große Magiſterium nunmehr gefun-
den haͤtte, und naͤchſtens Proben davon geben wuͤr-
de. Der Apotheker Eſchenbach in Flonheim war
meines Vaters treuer Gehuͤlfe. Dieſer war bankrott
geworden, zwar nicht durch Alchymie, ſondern durch
ſein Saufen, und durch die Spitzbuͤbereien eines Ab-
ſchaums aller Spitzbuben, des verſtorbenen Raths
Stutz in Flonheim. Eſchenbach, welcher arm war,
und keinen Unterhalt wußte, war froh, daß ihn mein
Vater zu ſeinem Kalefaktor, oder wie ſie es nannten,
Kollaboranten und Symphiloſophen aufnahm. Er
half nicht nur treulich laboriren, ſondern ſchafte noch
alle alte vermoderte Buͤcher herbei, welche die Kunſt,
Gold zu machen, lehren ſollten. Haͤtte mein ehrlicher
Vater ſtatt der Wolffiſchen Metaphyſik die phyſiſchen
Werke dieſes Philoſophen ſtudirt; ſo wuͤrde viel Geld
erſpahrt und manches Nachgerede unterblieben ſeyn.
Er hat einige Jahre vor ſeinem Tode aufgehoͤrt zu
laboriren: aber noch 1787, als ich ihn zum lezten-
mal beſuchte, behauptete er, daß die Goldkocherei
allerdings eine ausfuͤhrbare Kunſt ſey. „Es iſt
nur Schade, fuͤgte er hinzu, daß man ſo viel Lehr-
geld geben muß, und doch keinen erfahrnen Lehrmei-
meiſter haben kann.“
Meine Mutter, welche noch lebt, iſt eine ganz
brave Frau, und ſo habe ich ſie immer gekannt. Sie
iſt eine Enkelin des ehemals beruͤhmten Rechtsgelehr-
ten Johann Schilter von Strasburg. Mein
Vater hatte ſie aus Liebe geheurathet, und ſie ſchien
immer eingedenk zu ſeyn, daß ſie ihm nichts zuge-
bracht hatte. Sonſt hat ſie, wie alle Weiber, ihre
kleinen und großen Maͤngel, die ich eben hier nicht
angeben mag!
Zweites Kapitel.
Soviel vermoͤgen Tanten und Geſinde:
Von meinen erſten Jahren und fruͤhern Erziehung
kann ich nur wenig anfuͤhren. — Mein Vater hatte
eine Schweſter bei ſich im Hauſe, welche niemals —
wer weis, warum? — verheurathet geweſen iſt.
Dieſe fuͤhrte die beſondere Aufſicht uͤber uns Kinder;
war aber dabei ſo nachgiebig, daß ſie alle unſre klei-
nen Teufeleien nicht nur vor den Augen unſrer El-
tern fein tantiſch verbarg, ſondern ſelbigen nicht ſelten
noch gar Vorſchub that. Und ſo ward ich fruͤh un-
ter den Bauern als ein Bube Nach der Pfaͤlzer Sprache heißen alle Jungen Buben:
die Bauern nennen ihre Soͤhne ſo, bis ſie heurathen.
„Hanes Henrich,“ ſagte der alte Gerheim zu ſeinem
25jaͤhrigen Sohne, „Hans Henrich, wann dau Vatter
„werrſchſt un eich werre Bub, dann beſtellſcht dau
„die Maͤuwe. Hoſcht d'es gehoͤrt, Hanes Henrich?“ bekannt, der es,
mit den Pfaͤlzern zu reden, fauſtdick hinter den Oh-
ren haͤtte, und ein ſchlimmer Kunde werden wuͤrde.
Noch jezt erinnere ich mich mit Unwillen oder manch-
mal mit Wohlgefallen, je nachdem meine Seele ge-
ſtimmt iſt, an die Poſſen und Streiche, welche ich
in meiner erſten Jugend geſpielt habe. Ich muß ei-
nige erzaͤhlen.
Der alte Eſchenbach hatte ſich einmal ent-
ſetzlich beſoffen, und ſaß ſchlafend auf einem Stroh-
ſtuhl in unſrer Scheune. Ich war allein zugegen,
und bemerkte, daß Waſſer von dem Stuhle herab-
lief: huſch! nahm ich ihm die Peruͤke vom Kopfe,
hielt ſie darunter, ließ ſie volllaufen, ſtuͤrzte ſie ihm
wieder auf den Kopf, doch ſo, daß der Haarbeutel
uͤber das Geſicht zu haͤngen kam, und entfernte mich.
Der alte Saͤufer erwachte daruͤber, lief, wie ich ihn
gemuſtert hatte, auf den Hof, und ſchrie einmal uͤbers
andere: wer thut mich mit Waſſer ſchuͤtten! —
Mein Vater erfuhr den Vorgang, und, ſtatt mich
zu zuͤchtigen, ſagte er nichts als: 's iſt ein Blitzbu-
be! hat er den alten Saufaus nicht bezahlt! habeat
fibi! Noch eins von dieſer Art!
Meiſter Trippenſchneider handelte mit Eſ-
ſig, Zwiebeln und Salz, welches alles er auf einem
Eſel herumfuͤhrte. Einſt kam er in unſern Flecken,
und ging in meines Vaters Haus, um da ſeine Waa-
ren anzubieten. Fluchs ſteckte ich dem Thier ange-
zuͤndeten Schwamm hinters Ohr. Der Eſel ward
wild, warf ſeine Ladung ab, wobei das Salz ver-
ſchuͤttet und die Eſſigfaͤßchen zerbrochen wurden.
Man unterſuchte genau, woher das Thier ſo wild
geworden war; aber man fand auch keine Spur von
Urſache. Meiſter Trippenſchneider erklaͤrte endlich
den Zufall aus der Feindſchaft der Schlampin,
einer alten Frau, welche bei uns fuͤr eine Hexe galt.
Dieſe ſollte den Eſel durch ihre Hexereien ſo in Har-
niſch gejagt haben. — Ich fuͤr mein Theil freute
mich; konnte aber nicht ſchweigen: und ſo erfuhr
mein Vater den Urheber des Spektakels. Ich er-
hielt Ohrfeigen zur Belohnung, und Meiſter Trip-
penſchneider — Erſatz ſeines Schadens. Meine
Tante pflegte hernach dieſes Stuͤckchen als einen Be-
weis meiner Faͤhigkeiten anzufuͤhren, wenn ſie fuͤr
gut fand, ihre Affenliebe gegen mich durch Lob zu
aͤuſſern.
Meine Tante war eine große Freundin vom
Trunk, und dieſe Neigung ging ſo weit, daß ſie ſich
nicht nur oft ſchnurrig machte, ſondern auch dann
und wann recht derb beſoff. Mein Vater ſchloß
alſo, wenn er mit meiner Mutter uͤber Feld ging,
den Keller zu, und ließ der Tante blos ihr Be-
ſtimmtes.
Meine Tante machte die Entdeckung, daß eins
von den Kellerfenſtern ohne eiſerne Barren und blos
mit einem hoͤlzernen Gitter verwahrt war. Das
Gitter konte leicht weggenommen werden: ich mußte
mich alſo an einem oben befeſtigten Seile hinablaſſen.
Inwendig oͤffnete ich ſodann die Kellerthuͤr, und
Mamſell Tante konnte ſich nach Herzensluſt Wein
holen. Fuͤr ſie ſelbſt haͤtte es hingehen moͤgen: denn
ſie war einmal ans Trinken gewoͤhnt Zur Schande des Frauenzimmers in der Pfalz muß
ich anmerken, daß ſehr viele unter ihnen ſich dem
Saufen recht unziemlich ergeben. Alle Frauenzimmer
trinken Wein, und viele dergeſtalt, daß ſie die Manns-
perſonen darin uͤbertreffen. — Meine ſchoͤne Lands-
maͤnninnen werden freilich uͤber mich zuͤrnen: denn bei
ſolchen Nachrichten moͤchten Auslaͤnder eben nicht ſon-
derliche Luſt ſpuͤren, ein Pfaͤlzer-Maͤdel zu heurathen;
aber ich kann leider nicht gegen die Wahrheit.; daß ſie aber
auch mich, — mich einen Knaben von ſechs Jahren
zum Weintrinken anfuͤhrte, war im hoͤchſten Grade
unrecht: ich wuͤrde ſagen, daß es ſchaͤndlich war, weil
ſie dadurch den Grund zu vielen meiner folgenden
Unfaͤlle gelegt hat. Aber ihre Affenliebe zu mir, ließ
ſie blos auf Mittel ſinnen, wie ſie mir Vergnuͤgen
machen koͤnnte. An nachtheilige Folgen dachte ſie
nicht.
Auf dieſe Art wurde ich alſo in der zarteſten
Jugend ein — Saͤuffer. Oft war ich durch den
Trunk meiner Sinnen beraubt; und dann entſchul-
digte mich meine Tante, wenn ja die Eltern nach mir
fragten, durch Vorgeben: daß mir der Kopf wehe
thaͤte, daß ich ſchon ſchliefe u. ſ. w. Mein Vater
erfuhr demnach von meinen Saufereien nichts.
Ich fuͤhre dieſe Umſtaͤnde deswegen an, damit
ich einen Erfahrungs-Grund zu der Vorſchrift gebe:
„daß Eltern ihre Kinder auch ihren naͤchſten Ver-
„wandten nicht anvertrauen ſollen, ſo lange ſie an
„deren regelmaͤßigem Leben auch nur im geringſten
„zweifeln koͤnnen.“ Eben dies gilt von Freunden
und Freundinnen, und vorzuͤglich vom Geſinde.
Man wird gleich ſehen, warum.
Zu den ſchoͤnen Tugenden, womit meine Ju-
gend ausgeruͤſtet war, gehoͤrt auch das Fluchen und
Zotenreißen. Unſer Knecht, Johann Ludwig
Spangenberger unterrichtete mich in dieſen ſau-
bern Kuͤnſten zu fruͤh und zu viel. Er erklaͤrte mir
zuerſt die Geheimniſſe der Frauenzimmer, und brach-
te mir leider ſo viel Theorie davon bei, daß ich in
Stand geſetzt wurde, zu den ſchaamloſen Neckereien
und Geſpraͤchen des Geſindes In der Pfalz ſcheinen die Zoten wie zu Hauſe zu ſeyn:
beſonders herrſcht unter den gemeinen Leuten eine ſol-
che Schaamloſigkeit im Reden, daß auch ein Preußiſcher
Musketier uͤber die unlautern Schaͤckereien der Pfaͤlzer
Haͤnſels und Gretels erroͤthen wuͤrde. mein Kontingent
allemal richtig und mit Beifall zu liefern. Und ſeit-
dem der Knecht mich ſo unterrichtete, ſuchte ich ſeine
Geſellſchaft mit aller Emſigkeit, und verſah ihn mit
Taback aus meines Vaters Buͤchſe: es war natuͤr-
lich, daß ſein Unterricht hierdurch zunahm. Da auch
Meiſter Hans Ludwig wie ein Landsknecht fluchen
konnte; ſo ahmte ich ihm auch hierin ſo treulich
nach, daß jedesmal, wenn ich redete, das zweite
Wort eine Zote und das dritte ein Fluch war. In
meiner Eltern Gegenwart entfuhren mir anfaͤnglich
auch dergleichen Unflaͤtereien; da ich aber bald merk-
te, daß ſie das nicht leiden konnten, ward ich vor-
ſichtiger, und ſprach beſcheiden; aber nur in ihrer
Gegenwart.
Es laͤßt ſich denken, daß es nicht blos bei Lud-
wigs Theorie geblieben iſt: ich bekam bald Luſt, auch
das zu ſehen und das zu erfahren, wovon ich ſo viel
gehoͤrt hatte. Dazu fand ich Gelegenheit bei einer
unſrer Maͤgde, welche gern zugab, daß ich bei ihr
alles das unterſuchte, was mir Hans Lundwig als
das non plus ultra der hoͤhern Kenntniſſe angewie-
ſen hatte. —
So war meine erſte Erziehung beſchaffen, oder
vielmehr, ſo wurde das wenige Gute, welches mein
Vater durch Unterricht und Ermahnen in mich zu
bringen ſuchte, durch Verfuͤhrung und boͤſes Beiſpiel
Anderer verhunzt und vernichtet!
Drittes Kapitel.
Auch Vaͤter verſehens oft.
Ich muß es meinem guten Vater zwar nachruͤhmen,
daß er mich oft und mit aller Herablaſſung und
Sanftmuth unterrichtet hat: ja, er hielt mir an-
fangs keinen Lehrer, weil er glaubte, daß der Un-
terricht eines Vaters jenem eines Lehrers weit vorzu-
ziehen ſey: und darin hatte er nun freilich Recht!
Allein er haͤtte mehr auf meinen Verſtand und mein
Betragen, als auf mein Gedaͤchtniß Ruͤckſicht neh-
men, und das letztere nicht blos mit einſeitigen Kent-
niſſen ausfuͤllen ſollen. Denn da unſre Lehrſtunden
nicht lange dauerten, und ich das, was ich außer
denſelben auswendig zu lernen hatte, mit meinem
ziemlich gluͤcklichen Gedaͤchtniß bald faßte; ſo entzog
ich mich ſeiner Aufſicht, und benuzte meine uͤbrige
Zeit, da mein Vater in ſeiner Studierſtube oder im
alten Hauſe mit Gold Laboriren beſchaͤftigt war, zu
allerhand kleinen Teufeleien. Meine Mutter gab
vollends noch weniger auf die Auffuͤhrung ihrer Kin-
der acht: und ſo waren wir groͤßtentheils uns ſelbſt
uͤberlaſſen.
Mein Vater ſetzte ferner, wie viele Vaͤter, die
Erziehung in den Unterricht: lernen hieß bei ihm er-
zogen werden, und ein junger wohlgezogener Menſch
bedeutete ihm blos einen Juͤngling, der ſeinen Ci-
cero und Virgil leſen, die Staͤdte, Fluͤſſe und
dergleichen, auf der Landkarte anzeigen, die Namen
der großen Herren, die Schlachten bei Marathon,
Canna u. a. auf dem Nagel herzaͤhlen, und dann
endlich franzoͤſiſch plappern konnte. „Dies, ſagte er,
iſt fuͤr einen Knaben genug: das Uebrige gehoͤrt fuͤr
die hoͤhern Schulen!“ Wie ſehr er hierin geirrt habe
darf ich nicht erſt ſagen: das haben unſre Herren
Paͤdagogen ſchon bis zum Eckel geſagt. Aber dieſe
Herren haben wieder auf der andern Seite darin ge-
irrt, daß ſie die Geſchichte und alles Studium der
aͤltern Sprachen, beſonders der lateiniſchen, die ih-
nen Jalappenharz zu ſeyn ſcheint Man ſehe die Edukationsſchriften hin und wieder,
und vergleiche damit des trefflichen Dresdner Krebs
Vannus Critica in inanes paleas Baſedowii: desgl.
den zweiten Theil des herrlichen Romans – Hille-
brand., verſaͤumen.
Vom Schoͤnſchreiben war mein Vater kein
Freund: docti male pingunt, ſagte er: und ſo
war es hinlaͤnglich, wenn ich nur ſchreiben,
d. i. Kratzfuͤße machen konnte. Er gieng hierbei
in ſeiner Pedanterie ſo weit, daß er den Verfaſ-
ſer eines von Seiten der Schriftzuͤge ſchoͤn geſchrie-
benen Briefes, jedesmal fuͤr einen Ignoranten er-
klaͤrte.
Dieſem Vorurtheile meines Vaters verdanke ich
es, daß ich immer elend und unleſerlich geſchrieben,
und dadurch ſchon mehrere Fluͤche und Verwuͤnſchun-
gen der Druckſetzer verdient habe. Ich habe mich
zwar ſelbſt geuͤbt, nach Vorſchriften zu ſchreiben;
aber was ich dadurch gewann, ging hernach durch
das Nachſchreiben in den Kollegien auf den Univer-
ſitaͤten wiederum verloren.
In die deutſche Schule zum Katechismus oder
zum Religionsunterricht, wollte mich mein Vater
aus guten Gruͤnden nicht ſchicken. Er war, wie
meine Leſer ſchon wiſſen, ein Pantheiſt, mußte folg-
lich die Art, wie man Kindern in den Schulen von
der Religion vorſchwazt, von Herzen verabſcheuen:
ich durfte alſo den Katechismus nicht lernen, und
habe ihn auch nie gelernt. Erſt in Gießen, als ich
D. Benners Vorleſungen uͤber die Symbolik
hoͤrte, las ich den Katechismus Lutheri mit allem
Ernſt.
Dagegen wurde ſchon in meinen fruͤhern Jah-
ren das Latein mit mir angefangen, und zwar aus
Amos Comenius bekanntem Buche, dem Orbis
pictus Herr Adelung hat das Leben des braven Comme-
nius ſeiner Geſchichte der menſchlichen Narrheit ein-
verleibt. Das haͤtte er nicht thun ſollen: Comme-
nius hatte Verdienſte, und war wenigſtens kein Narr.
Aber Herr Adelung hat auch andere Maͤnner in die
Klaſſe der Narren gebracht, die es nicht verdienten,
z. B. den Jordan Brunus, wobei ihm das Bailtſche
Woͤrterbuch haͤtte aushelfen koͤnnen.. Ich muß geſtehen, daß ich dieſem Buche
vieles verdanke: es iſt das beſte Buch, welches ich
kenne, um Kindern eine Menge Vokabeln und latei-
niſche Redensarten ſpielend und ohne allen Eckel bei-
zubringen. Ein Knabe, der den Orbis pictus
Erſter Theil. B
treibt, kommt in drei Monaten im Latein wei-
ter, als er durch den Gebrauch der ſo genannten
Chreſtomathien und Leſebuͤcher der Herren Stroth,
Gedike, Wolfram und anderer, in einem Jah-
re kommen kann. Neben dem Orbis pictus, wur-
den die Trichter des Muzelius getrieben, und
dadurch ward ich nach dem gewoͤhnlichen Schlage in
der Grammatik feſt. Mein Vater hatte den guten
Grundſatz, daß die Grammatik das Fundament der
Sprachlehre ausmachen muͤſſe.
Als ich ohngefaͤhr acht Jahre alt war, wurde
mein Vater in einen Handel verwickelt, der ihn ganz
niederſchlug: es war folgender.
Viertes Kapitel.
So machens Prieſter und Grafen!
Der Rheingraf zu Grehweiler, meines Vaters
hochgebietender Herr, hatte einen Hofprediger, Jo-
hannes Herrenſchneider, von Strasburg,
ehemaligen Konrektor der Schule zu Gruͤnſtadt, ei-
nen Mann, der franzoͤſiſch parlirte, ſich taͤglich mit
Lavendelwaſſer einbalſamirte, und immer durch die
Fiſtel ſprach. Dieſer Mann hatte in Strasburg
ſtudirt, einem Orte, wo die kraſſeſte Orthodoxie von
Zeiten der Reformation an, fuͤrchterlich geherrſcht hat
und noch herrſcht. Daher war er denn auch uͤber-
trieben orthodox, und roch, wie D. Bahrdt ſagt,
die Ketzer von weitem. Uebrigens wußte er gar
nichts, und war ein truͤbſeliger unwiſſender Schuͤler.
Und dennoch ließ ſich dieſer ſaubere Herr beigehen,
ein Buch zum Unterrichte der Kinder in der Rhein-
grafſchaft herauszugeben. Er ſudelte zu dem Ende
ein Ding aus ſeinen dogmatiſchen Heften zuſammen,
welches das non plus ultra alles Unſinns und aller
Grillenfaͤngerei war: ein Ding, worin ſogar von
Mittheilung der Eigenſchaften, von der Hoͤllenfahrt
Chriſti Auf die Frage: warum Chriſtus zur Hoͤlle gefahren
ſey? heißt die Antwort: daß er predigte ewige Ver-
dammniß den verdammten Geiſtern, und ſich ſeines
Sieges an ihrer Quaal und Marter erfreute. – Pfui
der Schadenfreude!, vom Antichriſt und von allen Raritaͤten
des Syſtems weitlaͤuftig gefaſelt wird. Am Ende
des Wiſches ſteht obendrein ein Anhang von der
Verſchiedenheit der Religionen, oder eine Nachricht
fuͤr Bauerkinder, — von den Gnoſtikern,
Arianern, Neſtorianern, Eutychianern, Monothe-
leten, Schwenkfeldern, Majoriſten, Atheiſten, De-
iſten, u. dgl.
Das Buch wurde ganz in der Stille zu Stras-
burg abgedrukt, und ſollte auf Befehl des Herrn
Grafen in alle Schulen der Grafſchaft eingefuͤhrt
werden. Mein Vater widerſetzte ſich der Einfuͤh-
rung dieſes elenden Wiſches mit aller Gewalt, und
ſchrieb deswegen an den verſtorbenen Herrn D.
Toͤllner nach Frankfurth an der Oder, der immer
ſein Freund geweſen iſt, wie auch an Herrn D.
Walch nach Goͤttingen. Dieſe Maͤnner erklaͤrten
den Wiſch fuͤr das, was er war, fuͤr die Geburt
eines elenden Gruͤtzkopfs, die ſich zum Schulunter-
richt durchaus nicht ſchicke. Mein Vater uͤbergab
dem Grafen die Briefe ſeiner Freunde, legte ihm
die Maͤngel des Buches, dem der Verfaſſer den Na-
men Heilsordnung gegeben hatte — deutlich
vor Augen; aber was halfs? Das Ding wurde
eingefuͤhrt, und von den Schulkindern auswendig
gelernt. — Daß der Hofprediger von nun an meines
Vaters erklaͤrter Feind wurde, verſteht ſich von
ſelbſt.
Ich bin zwar nicht gewohnt, die Geiſtlichen
als Maͤnner anzuſehen, welche die menſchlichen
Schwachheiten abgelegt haben, ja, wenn ich etwas
Skandaloͤſes von einem Schwarzrok hoͤre; ſo bin ich
allemal geneigt, es zu glauben: die Erfahrung hat
mich ſo weit gebracht. Doch bin ich uͤberzeugt, daß
man meinem Vater Unrecht gethan hat, als man
ihn in puncto ſexti beſchuldigte. Man urtheile
ſelbſt!
Mein Vater hatte ſich einen benachbarten
Geiſtlichen zum Feinde gemacht, den nahen Anver-
wandten eines Einwohners unſers Ortes. Einige
Unvorſichtigkeiten meines Vaters gaben hierauf
ſeinen Feinden Gelegenheit, dem Meiſter Bran-
denburger — ſo hieß der Vetter des benachbar-
ten Geiſtlichen, der meines Vaters Feind war —
alles zuzutragen, einen ſchmutzigen Umgang zwiſchen
ihm und einem Frauenzimmer des Ortes, welches
eben nicht im beſten Rufe ſtand, zu ſupponiren,
und ihn, nachdem ſie vorher alles fein eingefaͤdelt
hatten, foͤrmlich anzuklagen. Die Beweiſe fehlten
gaͤnzlich, und ob man gleich viele Eide ſchwoͤren ließ;
ſo konnte man doch nicht das geringſte herausbrin-
gen, das meinen Vater auch nur aus der Ferne
wirklich gravirt haͤtte. Dennoch wurde er ſuſpendirt:
denn der Graf ſelbſt war ſein Feind. Ich muß
den Grund dieſer Feindſchaft anfuͤhren.
Der Graf von Grehweiler hatte ohngefaͤhr
nur 40000 Thaler Einkuͤnfte, und fuͤhrte doch einen
fuͤrſtlichen Hofſtaat, hielt ſogar Heyducken und Huſa-
ren, eine Bande Hofmuſikanten, einen Stallmeiſter,
Bereuter und noch viel anderes unnoͤthiges Geſinde.
Dazu gehoͤrte nun Geld, und ſeine Einkuͤnfte reich-
ten nicht zu. Die Unterthanen durfte er aus Furcht
vor dem Lehnsherrn, dem Kurfuͤrſten von der Pfalz,
nicht mit neuen Auflagen belaͤſtigen; daher blieb
blos der einzige Weg uͤbrig, Schulden zu machen.
Dieſer modus acquirendi ging Anfangs recht gut;
aber bald wollte niemand mehr dem Hrn. Grafen
auf ſein hochgraͤfliches Wort borgen: was war zu
thun! Man nahm Geld auf die Dorfſchaften auf;
und die Unterthanen muſten ſich unterſchreiben. Auf
dieſe Art wurde nach und nach eine Summe von
900000 rheiniſcher Gulden geborgt.
Die Procedur bei dieſem Anleihen war oft mit
den groͤßten Spitzbuͤbereien verbunden. So wurde
zum Beiſpiel an den Grafen von Lamberg in
Mainz, ein Wald zwiſchen Bokkenheim und Wons-
heim verſezt, von 500 Acker; und doch iſt in der
ganzen Gegend keine Staude zu ſehen. — Die Be-
dienten des Grafen ließen ſich alle zu den Abſichten
ihres Herrn willig finden: ſie ſahen ihren Vortheil
dabei. Ich muß doch dieſe ehrlichen Leute nennen,
ob ſie gleich ſchon in oͤffentlichen Schriften als Erz-
betruͤger gebrandmarkt daſtehen. So etwas warnet!
Es waren folgende! Herr Kammerrath Schad Kammerrath Schad iſt erſt vor einigen Jahren als
ein Bettler geſtorben, nachdem er uͤber zehn Jahre im
Gefaͤngniß zugebracht hatte. Folgendes Epigram auf
den alten Schind-Hannes, welchen der Kammer-
rath um Haab und Gut gebracht hatte, charakteriſirt
ihn nicht uͤbel. Es heißt:,
Kammerſekretaͤr Arnoldi, Renntmeiſter Breken-
feld, den die Bauern hernach den Verreck-im-Feld
nannten, Oberſchulz Haͤfner, nebſt Gemahlin, der
Maͤtreſſe des Grafen, Kammerdiener Rohard,
Baumeiſter Biel, Gaſtwirth Brann, eine Menge
Juden und andrer Helfershelfer, welche ſammt und
ſonders ſich auf des Grafen Unkoſten, oder vielmehr
auf Unkoſten der Glaͤubiger zu bereichern ſuchten.
Mein Vater ſah das Unweſen, und ſprach
davon ſo deutlich, wie er es ſeiner Pflicht angemeſſen
hielt. Er ermahnte ſeine Pfarrkinder, ſich nicht
ferner zu unterſchreiben, weil ſie einmal doch wuͤrden
bezahlen muͤßen. Dies wirkte: die Leute wider-
ſetzten ſich: die Schuld davon fiel auf meinen Vater.
Das entflammte den Grafen zur Rache: was konnte
ihm daher erwuͤnſchter ſeyn, als eine Gelegenheit,
ſich an ihm zu raͤchen? Dieſe both ihm die erzaͤhlte
Beſchuldigung dar. Mein Vater wurde alſo ſuſpen-
dirt. Aber da dieſer den Proceß am Kammergericht
zu Wetzlar anhaͤngig machte; ſo wurde er nach neun
Monaten fuͤr unſchuldig erklaͤrt, und erhielt einen
Ehrenerſatz. Wie ſehr aber der Proceß ſeine oͤkono-
miſchen Umſtaͤnde in Unordnung gebracht habe, kann
man denken.
Ich war ein alter armer Schinder,
Jedoch im Schinden viel gelinder
Als der Herr Kamm'rrath Schad,
Der mich, den Schinder ſelbſt geſchunden hat.
Ich ſchund nur todtes Vieh, und meiſt krepirte Hunde,
Indeß Herr Kamm'rrath Schad lebend'ge Menſchen ſchunde.
Waͤhrend der Zeit dieſer Suſpenſion war ich zu
Dolgesheim in dem Inſtitut des Inſpektors Kratz,
der nachher Leiningiſcher Superintendent geworden
iſt.
Wenn meine Leſer die Nachrichten von dem
Rheingrafen zu Grehweiler nicht mit Langerweile
geleſen haben; ſo werde ich ihnen keinen uͤblen Dienſt
leiſten, wenn ich die Tragikomoͤdie auserzaͤhle.
Nachdem ſich alſo die Schulden des Grafen
zu ſehr gehaͤuft hatten; ſo forderten die aͤltern Glaͤu-
biger ihr geliehenes Geld zuruͤck. Man hatte auch
die vielen Bubenſtuͤcke entdeckt, welche bei den Bor-
gereien waren begangen worden. Man hatte naͤm-
lich Schulknaben die Namen ihrer Vaͤter unter die
Obligationen ſchreiben laſſen oder Namen hingeſchrie-
ben, die nicht exiſtirten, u. ſ. w. Alles das bewog
die Glaͤubiger, ihre Zahlung mit Ungeſtuͤm zu for-
dern. Unter dieſen befand ſich auch der Mainziſche
Staatsminiſter, Graf von Lamberg. Dieſer
ließ durch den Mainziſchen Amtsverwalter Heim-
bach, einige graͤfliche Unterthanen und drei Juden
nach Neubamberg locken, anhalten und nach Mainz
ins Gefaͤngniß bringen, wo ſie uͤber fuͤnf Jahre ge-
blieben ſind. Der Graf hielt ſich bei dieſem Vorfall
ganz ruhig; doch unterſtand er ſich nicht, ſeine Graf-
ſchaft zu verlaſſen.
Endlich kam eine kaiſerliche Kommiſſion, welche
die ganze Wirthſchaft unterſuchte, und zuvoͤrderſt
den Herrn Grafen mit ſeinen Bedienden feſt-
ſetzte. Die meiſten dieſer ſaubern Finanziers hatten
ſich aus dem Staube gemacht. Oberſchulz Haͤfner
war nach Holland und von da nach Amerika gegangen.
Eben ſo waren Brekenfeld und Arnoldi ent-
wiſcht; aber die Frau des Oberſchulzen, der Kam-
merrath Schad und mehrere wurden feſtgeſetzt, und
erſt lange hernach losgelaſſen. Der Fuͤrſt von Naſſau
Weilburg war Kommiſſarius.
Nach mehrern Jahren kam das Endurtheil von
Joſeph II. Die Unterthanen, welche ſich unter-
ſchrieben hatten, wurden von der Bezahlung losge-
ſprochen. Der Graf ſollte wegen ſeiner Betruͤgereien
auf zehn Jahre nach der Feſtung Koͤnigsſtein bei
Frankfurt gebracht, und der Regierung unfaͤhig er-
klaͤrt werden. Die Succeſſion ſollte nicht auf den
noch lebenden Bruder des Grafen, den Ludwig,
ſondern auf eine Seitenlinie von Gumenbach fal-
len. Die Kommiſſion ſollte ſo lange bleiben, bis die
Schuldener bezahlt waͤren, welche aber keine Inte-
reſſen zu fordern haͤtten. Alle andere, welche an der
Sache mala fide Antheil gehabt haͤtten, ſollten nach
Befinden von dem Kommiſſar zur Strafe gezogen
werden. —
Dies war das Urtheil, welches den Einſichten,
und der Denkungsart des vortreflichſten Kaiſers wah-
re Ehre gemacht hat! — und ſo — endigte ſich die
Grehweileriſche Komoͤdie mit Schrecken!
Der Graf hat ſeine vollen zehn Jahre ausge-
ſeſſen. Seine Tochter, die Gemahlin des Grafen
von Ortenburg, reiſete zwar ſelbſt zum Kaiſer, und
bath fußfaͤllig um die Loslaſſung ihres Vaters; aber
der gerechte Fuͤrſt antwortete: „der Graf haͤtte ſich
„einer weit ſchaͤrfern Ahndung ſchuldig gemacht.
„Danken Sie Gott, Madame, ſetzte er hinzu, daß
„ich mir, wie ich anfangs willens war, in dieſer
„Sache nicht das Gutachten der Kurfuͤrſten und der
„Reichsſtaͤnde ausbath: waͤre dieſes geſchehen, Ihr
„Vater wuͤrde ſo nicht weggekommen ſeyn.“ Mit
dieſem Troſte muſte ſich die gute Graͤfin abfuͤhren.
Jetzt iſt die Sache dahin gebracht, daß der Graf
Karl von Grumbach die Regierung der Graf-
ſchaft fuͤhrt, und die Schulden bezahlen muß. Er
hat ſich mit der juͤngſten Tochter des Rheingrafen
vermaͤhlet. Der Bruder des Grafen hat ein
Fraͤulein in der Lauſitz geheurathet, und iſt da ge-
ſtorben.
Fuͤnftes Kapitel.
An dem Schulweſen in der Pfalz giebt es noch viel zu
verbeſſern!
Der Inſpektor Kratz in Dolgesheim hatte ſchon
vor mehrern Jahren eine Art Erziehungsinſtitut an-
gelegt, und manche junge Leute ſo weit gebracht, daß
ſie die Univerſitaͤt beziehen konnten. Unter andern
war auch der Nachfolger des theuren Herrn Sigis-
mundus, weiland Profeſſors der Theologie und
Moral auf dem Bahrdtiſchen Philanthropin zu Hei-
desheim Von dieſem herrlichen Manne handeln die Beitraͤ-
ge zu Doktor Bahrdts Lebensgeſchichte in
Briefen eines Pfaͤlzers. S. 97. ff., der ehrwuͤrdige Herr Schukmann,
Alumnus des Kratziſchen Inſtituts, bis er die hohe
Schule in Gieſſen bezogen hat. Kratz war wirklich
ein geſchickter Mann im Latein und im Griechiſchen:
er wußte viele Vocabeln, war ſtark in der Gramma-
tik, und konnte ganze Reden des Cicero woͤrtlich
herſagen: ſonſt war er ſteif orthodox. Als daher
Hr. D. Bahrdt in der Pfalz 1777 ſeine Komoͤ-
die ſpielte, predigte er tapfer wieder ihn los. Im
Unterricht war er ein rechter Orbilius, der immer
cum baculo et annulo daſtund, und ſeinen Schuͤ-
lern das Zeug eingerbte. Ich kann mich vorzuͤglich
ruͤhmen, die ſchwere Hand des Hrn. Kratz oft und
derb empfunden zu haben.
Seine Eleven waren meiſtentheils uͤbelgezogene
Jungen; und wie vorbereitet ich in dieſe Geſellſchaft
gekommen bin, wiſſen meine Leſer. Die Schuͤler,
an der Zahl vierzehn, behandelten mich als einen
kleinen Buben, der ihren Komment (Kommang)
nicht verſtuͤnde, und den ſie alſo in die Lehre nehmen
muͤßten. Aber ſie wurden bald inne, daß ſie ſich ge-
irrt hatten. Ich fing an, das praktiſch zu zeigen,
was ich in Wendelsheim von meinem Mentor, dem
Ludwig Spangenberger, theoretiſch gelernt hatte:
und da ſahen die Dolgesheimer Jungen, daß ich in
manchen Stuͤcken noch haͤtte ihr Lehrmeiſter ſeyn koͤn-
nen. Ich ward jetzt der Theilnehmer an allen ihren
Vergnuͤgungen, und bald die Seele der Geſellſchaft.
Kein Lumpenſtreich wurde ausgefuͤhrt — Mosjeh Fritz
war dabei, und nicht ſelten der Anfuͤhrer. Unſern
Lehrmeiſter, oder wie wir ihn nannten, Lehrprinzen
(Principalen) ſchonten wir nicht, und ſchabernakten
ihn, wo wir nur konnten. Ich muß doch ſo einen
Streich erzaͤhlen!
Der Inſpektor Kratz hatte einen Knecht, Na-
mens Hans. Dieſen Kerl wollte der Inſpektor
zwingen, ein Privet im Garten auszuraͤumen. Der
Knecht, welcher dieſe Arbeit unter ſeiner Wuͤrde
hielt, wollte durchaus nicht, und als der Herr In-
ſpektor ihm mit Schlaͤgen drohte, verſetzte er dem-
ſelben einen ſolchen Stoß, daß er ruͤcklings ins Pri-
vet fiel, und ſich ſchrecklich beſudelt. — Von dieſem
ſchmutzigen Handel machten wir eine Komoͤdie, und
fuͤhrten ſie mehrmalen auf: da kamen noch andre
Perſonen dazu: eine Hexe, ein Jude, ſogar der
Teufel. Hr. Kratz erfuhr endlich, daß er den Stoff
zu einer Komoͤdie ſeiner Schuͤler hergab, und da
regnete es nun Pruͤgel mehr als zu viel. Drei Tage
waͤhrte die Exekution, bis wir alle, wie man ſagt,
unſer Fett reichlich bekommen hatten.
Die Bauern in Dolgesheim fuͤrchteten ſich or-
dentlich vor uns: denn es vergieng kein Tag, daß
wir die Leute nicht geneckt oder ſonſt gehudelt haͤtten.
Ich wohnte bei dem Bruder meines Vaters,
der ſich in Dolgesheim aufhielt, und Kammerſekre-
taͤr bei dem Grafen von Leuningen Gundersblum
Emmerich war. Dieſer Graf hat ſich nachher ſelbſt
erſchoſſen. Mein Onkel hatte einen Sohn, Jakob,
welcher eben ſo luſtig lebte als ich, und es trotz mir,
in der Schelmerei weit genug gebracht hatte. Meine
Leſer werden nun ſchon fuͤr ſich ſelbſt einſehen, daß
meine Sitten in Dolgesheim eher verſchlimmert, als
verbeſſert wurden.
Im Latein kam ich freilich weiter. Ich lernte
den Cellarius auswendig, und fieng an, den Cor-
nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechiſch
zu kaͤuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht
recht behagen: ich fuͤhlte den Unterſchied zwiſchen der
Lehr- und Behandlungsart meines Vaters und der
des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich,
fluchte und ſchalt nie; Hr. Kratz war ganz anders.
Der fluchte, wenn er tuͤckiſch war, wie ein Boots-
knecht, und gab uns immer die garſtigſten Zunah-
men: Flegel, Eſel, Schlingel, Buͤffel, Ofenlochs-
gabel, Hache — waren die gewoͤhnlichen Titel, wo-
mit er uns begruͤßte; und darauf pflegte eine derbe
Pruͤgelſuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz
freundlich. Konnte ein Schuͤler ſeine Vocabeln ohne
Anſtoß herſagen; ſo beſtand der ganze Beifall in
einem muͤrriſchen hm, hm! fehlten aber einige Woͤr-
ter, dann klang die Muſik anders. Kurz, die Schul-
ſtunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch
durften wir ſie bei ſchwerer Strafe nicht verſaͤumen.
Herr Kratz hatte keine Kinder, und ſeine liebe
Haͤlfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu
Endor. Es iſt ſchwer, ſich etwas abſcheulichers vor-
zuſtellen: ihr Schmutz ging uͤber alle Beſchreibung.
Sie ſoll ſogar einmal eine Reisſuppe von einer Juͤdin
fuͤr einige Kreuzer gekauft haben, weil ſie Trefe, d. i.
unrein, und folglich ungenießbar fuͤr Juden geworden
war. Der Inſpektor liebte ſeine Frau nicht: wen
befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die
Liebe gegen Andere, nicht verfeinerte, nicht erhoͤh-
te. — Er lebte fuͤr ſich, er war fuͤr ſich auf ſeiner
Stube; wo er ſeine Buben — ſo nannte er die
Schuͤler — unterrichtete, ſeine Tauben fuͤtterte, und
in ſeinen Buͤchern herumblaͤtterte: uͤbrigens ließ ers
gehen, wie es ging, und die ganze Wirthſchaft hing
von der Frau Inſpektorin ab.
Ich hatte ohngefaͤhr anderthalb Jahr in Dol-
gesheim zugebracht, als mich mein Vater zuruͤck hohl-
te. Ein Baugefangener, der nach zehn Jahren ſaurer
Feſtungsarbeit, wieder frei wird, kann nicht froher
ſeyn, als ich es war, da es hieß — es ginge nach
Hauſe! Beinahe haͤtte ich vor lauter Jubel vergeſſen,
bei meinem Lehrprinzen, dem Hrn. Kratz, Abſchied
zu nehmen, und ihm fuͤr ſeinen Unterricht, wie auch
fuͤr die vielen Schlaͤge, u. dergl. aufs verbindlichſte zu
danken. —
Ich war alſo wieder im Schooß meiner Fami-
lie, erneuerte meine alten Bekanntſchaften, und
fings wieder da an, wo ich es gelaſſen hatte.
Mein Vater wuͤrde mich jetzt auf eine oͤffentliche
Schule geſchickt haben, wenn ihn nicht die elende
Beſchaffenheit der Pfaͤlziſchen Schulen daran gehin-
dert haͤtte. Da die drei Hauptpartheien der Chri-
ſten in der Pfalz beinahe gleiche Rechte praͤtendiren —
obgleich die Katholiken, als die herrſchende Kirche
alle Arten der groͤbſten Intoleranz, mit aller moͤgli-
chen Inſolenz gegen die andern Religionsverwandten
ausuͤben — ſo haben auch Lutheraner, Reformirten
und Katholiken in jeder Pfaͤlziſchen Stadt ihre Schu-
len; aber die ſehen auch aus, daß es ein Greuel iſt!
Zur Zeit der Jeſuiten gab es noch einige beſſere ka-
tholiſche Schulen; jedoch nur wenige. Die andern
ſind von jeher das rechte Gegentheil eines vernuͤnfti-
gen Unterrichts geweſen.
Fuͤr die katholiſche Jugend iſt Meiſters Cani-
ſius Katechismus mit Pater Matthaͤus Vogels
Erlaͤuterungen das Orakel der Religion. Das Latein
lernt man aus Emanuel Alvari's trefflichem Ru-
dimente, und aus einigen verſtuͤmmelten Autoren.
Die Geſchichte wird aus einem Lehrbuche vorgetragen,
wo auf der einen Seite im abgeſchmackteſten Latein
und auf der andern im fuͤrchterlichſten Deutſch die
Begebenheiten nach wahren jeſuitiſchen Grundſaͤtzen,
mit einer Menge Fabeln und Verdrehungen erzaͤhlt
ſind. Ganz fruͤh ſucht man den zarten Gemuͤthern
allen nur moͤglichen Haß gegen Ketzer, und recht re-
gen Abſcheu gegen Neuerungen, profane Litteratur,
Leſung Proteſtantiſcher Buͤcher, u. ſ. w. einzutrich-
tern. Kommt daher ſo ein Menſch aus einer Pfaͤl-
ziſchen katholiſchen Schule; ſo iſt er kraß, wie ein
Hornochſe, und unwiſſend in allen noͤthigen Kennt-
niſſen; ſpricht aber doch Latein. Aber was fuͤr La-
tein? Solches: Ex mandato Domini Ballivii ve-
ſtra dominatio hodie vel cras tenetur, extra-
dere pecuniam, quam apud illam depoſuit
Dominus N. Ex poſt videbimus u. ſ. w. das iſt
phaͤlziſch-katholiſches Latein!
Die Pfaͤlziſchen lutheriſchen und reformirten
Schulen ſind noch zehnmal elender! Da Do-
ciren nicht einmal Leute, die ein Biſſel Latein ver-
ſtuͤnden: und daher kommt es, daß die Schuͤler,
wenn ſie die Univerſitaͤt beziehen ſollen, weder den
Cornelius uͤberſetzen, noch ein griechiſches Verbum
analyſiren koͤnnen. Ein mir bekannter Schaffner
Namens Job, gab einmal dem Rektor Paniel in
Kreuznach folgende deutſche Redensart, ins Latein
zu uͤberſetzen auf, wozu er ihm die Vocabeln dictir-
te: „ich zweifle nicht, du werdeſt deiner Pflicht
„Genuͤge thun.“ Herr Paniel, ohne ſich lange
zu beſinnen, uͤberſetzte friſch weg non dubito, quin
ſat acturus ſis officio tuo. Wenn ein Rector ſo
ein Schaͤcher in der Grammatik iſt, was kann aus
den Schuͤlern werden? — Die einzige gute Schule
in der Pfalz iſt die zu Gruͤnſtadt, welche der Graf
von Leiningen Weſterburg anlegen ließ, und die bis-
her immer brave Maͤnner zu Lehrern gehabt hat.
Ich will nur die Herren Seybold, Heyler und
Balz davon nennen. Wer in der Pfalz auf Schu-
len etwas gelernt hat, hat es gewiß in Gruͤnſtadt
Erſter Theil. C
gelernt: auf den andern Schulen iſt das unmoͤglich.
Doch hier iſt der Ort nicht, von den Pfaͤlzer Schulen
weiter zu ſchreiben: wolt' ich das thun; ſo muͤßt' ich
ein ganzes Buch fuͤllen, und koͤnnte doch nur Jere-
miaden anſtimmen.
Mein Vater hatte alſo wohl Urſach, mich nicht
auf eine vaterlaͤndiſche Schule zu ſchicken: weit ent-
fernen wollte er mich auch nicht. Da er nun wirk-
lich Gaben und Geſchick zum Unterrichten hatte; ſo
entſchloß er ſich, mich noch eine Zeitlang bei ſich zu
behalten. Auch nach Gruͤnſtadt ſollte ich nicht, und
zwar deswegen nicht, weil ein Bruder ſeines aͤrgſten
Feindes, des Paſtors Rodrian, damals an dieſer
Schule Unterlehrer war. Ich blieb alſo in Wendels-
heim, und der Unterricht wurde wieder angefangen.
So brachte ich noch einige Jahre zu Hauſe zu,
und da wir ſehr fleißig anhielten; ſo las ich unter der
Anfuͤhrung meines Vaters mehrere lateiniſche und
griechiſche Autoren. Zugleich kam ich in der Erdbe-
ſchreibung und Geſchichte, welche zu allen Zeiten mei-
ne liebſten Wiſſenſchaften geweſen ſind, ſo ziemlich
weit. Ich erinnere mich noch, mit welcher Freude
ich mit den Herren Paſtoren in unſrer Gegend uͤber
Stellen aus dieſem und jenem Schriftſteller diſpu-
tirt, und ſie in gewaltige Verlegenheit geſetzt habe,
wenn ſie die beſprochenen Stellen nicht recht verſtun-
den: denn ſehr bald merkte ich, daß ich ihnen uͤberle-
gen war.
Sechstes Kapitel.
Merckt's euch, ihr Volks- und Kinderlehrer!
Ich habe mir nicht vorgeſetzt, ein curriculum vitae
aus meiner Lebensgeſchichte zu machen, wie ihn die
Studenten auf einigen Univerſitaͤten einreichen muͤſ-
ſen, wenn ſie ein Teſtimonium von der Fakultaͤt ha-
ben wollen: denn in einem ſolchen Curriculum iſt es
hinlaͤnglich, daß die gehoͤrten oder nicht gehoͤrten
Collegien, wenn ſie nur bezahlt ſind, angefuͤhrt
werden. Ich will aber das nicht thun: ich erzaͤhle
nicht, wie ich ſtudirt, und was ich etwa gelernt
habe: denn einmal bin ich kein Gelehrter, und fuͤhle
nur zu ſehr, wie manches ich verſaͤumt habe — und
dann ſoll mein Buͤchlein Nutzen ſtiften im Publikum.
Ich werde daher nur das angeben, was dem Paͤda-
gogen, dem Schulmanne, dem Beobachter und vor-
zuͤglich dem unverdorbenen und verdorbenen Juͤng-
linge Stoff zum Nachdenken geben kann. Und aus
dieſer Abſicht muß alles, was ich hier ſchreibe, be-
urtheilt werden.
Meine Tante nahm mich nun noch mehr, als
vorhin in Schutz: ihre Neigung zu mir hatte durch
meine lange Abweſenheit viel leiden muͤſſen. Sie
bewies mir ihre Affenliebe bei jeder Gelegenheit jezt
dergeſtalt, daß ich weiter keine Ruͤckſicht auf ſie nahm,
wenn ich einen Streich vorhatte: vielmehr muſte ſie
oft die Haͤnde dazu bieten. So muſte ſie z. B. die
Juͤdin Brendel unterhalten, indeß ich in deren
Stube ſchlich, und Schweinsgedaͤrme um die Scha-
bes-Ampel oder Sabbatslampe wand, woruͤber ein
entſetzlicher Spektakel ausbrach. Sie war es auch,
die mich lehrte, auf dem Eiſe glandern, und Schritt-
ſchuhe laufen. Dieſe Kunſt hatte ſie als Maͤdchen
getrieben, und ſuchte ſie wieder hervor, um ihren
lieben Neffen darin zu unterrichten. Mein Vater
ſah wohl, daß die Tante mir zu gut war; aber da
er nichts Boͤſes, oder doch nicht viel Boͤſes, von
mir hoͤrte; ſo ſchwieg er, und ließ es gut ſeyn. Die
Mutter war vollends froh, daß ich nicht viel um ſie
war, und ihre Geſchaͤfte nicht ſtoͤhrte.
Die gute Tante war abſcheulich aberglaͤubig.
Ueberhaupt iſt das Volk in der Pfalz dieſem Fehler
auſſerordentlich ergeben. Es giebt zwar aller Orten
Spuren von dieſer Seuche; aber nirgends auffallen-
der, als in der Pfalz. Daß es dort viele tauſend
Schock Teufel, Hexen, Geſpenſter, feurige Maͤn-
ner — u. ſ. f. giebt: daß es ſich anzeigt, daß das
Maar — wie man den Alp in der Pfalz nennt —
auf Anſtiften boͤſer Leute druͤckt, und tauſend derglei-
chen Herrlichkeiten, ſind bei meien lieben Landes-
leute ganz ausgemachte Wahrheiten: wer eine davon
leugnen wollte, wuͤrde gewiß fuͤr einen Ketzer, oder
fuͤr einen Dummkopf angeſehen werden. Jede Stadt,
jedes Dorf hat ſeine oͤffentlichen Dorfgeſpenſter, ohne
die Hausgeſpenſter. So geht z. B. in meinem Ge-
burtsorte das Muhkalb und der Schlappohr im Dor-
fe: im Felde ſpuckt der alte Schulz Hahn: item in
der Adventszeit laͤßt ſich ein feuriger Mann im Felde
ſehen. Beinahe alle Wendelsheimer ſchwoͤren, dieſe
Ungeheuer geſehen zu haben. Die Haͤuſer ſind auch
nicht frei von Uhuhus: ſelbſt im Pfarrhaus — im
Hinterhaus — geht ein Moͤnch mit einem ſchrecklich
langen Bart: in der Pfarrſcheune, wie die Dreſcher
oft verſichert haben, laͤßt ſich der Sanktornus ſehen,
u. ſ. w.
Daß der Poͤbel an dergleichen Schnurren glaubt,
iſt ihm zu verzeihen; aber in der Pfalz glauben auch
angeſehene Leute oder ſo genannte Honoratiores alles
das eben ſo einfaͤltig, wie der Poͤbel. Ich bin mehr-
mals in Geſellſchaften geweſen, wo Geiſtliche, Be-
amte und Officire ſich in vollem Ernſt mit Geſpen-
ſterhiſtoͤrchen unterhielten, und einander ihre Erfah-
rungen mittheilten. Keine Seele unterſtand ſich zu
widerſprechen; und wenn ich manchmal widerſprach,
nachdem ich dieſen und noch mehr andern Unſinn hatte
einſehen lernen; ſo erſchrak man uͤber meinen Un-
glauben, und verſicherte mich, ich wuͤrde ſchon ein-
mal mit Schaden klug werden. Ja, dieſer Aber-
glaube ſitzt den dortigen Einwohnern ſo praktiſch feſt
in den Koͤpfen, daß der herrſchaftliche Hofmann in
Wendelsheim, dem Geſinde weit mehr Lohn geben
muß, als man gewoͤhnlich giebt, blos darum, weil
der Schlappohr in ſeinem Revier ſtark ſpuckt, wie
man vorgiebt, und weil ſich immer eine weiße Frau
im Kuhſtalle ſehen laͤßt. —
Das abſcheulichſte iſt, daß die dortigen Geiſt-
lichen ſelbſt den Aberglauben zu unterhalten und zu
vermehren ſuchen. Mein Vater predigte zwar ſtark
gegen dieſe Fratzen; aber er war auch der einzige Herr Chelius in Ilbesheim, Freſenius in Nie-
derwieſen, Wehſarg in Eichloch, Simon zu Jop-
weiler und noch einige wenige andre, wohin auch der
katholiſche Paſtor in Erbesbuͤdesheim, Herr Hofmann,
gehoͤrt, ſind Maͤnner, welche Balthaſar Beckers
Geiſt haben. Gott lohne ſie dafuͤr!,
der dergleichen Ungereimtheiten oͤffentlich hernahm.
Doch dafuͤr raͤchen ſich nun auch die von ihm verwor-
fenen Geſpenſter, indem ihn die Hausleute des jetzi-
gen Pfarrers Schoͤnfeld ſelbſt haben ſpuken ſehen
wie mir ein guter Freund ſchon vor einem Jahre ge-
ſchrieben hat.
Herr Schoͤnfeld haͤtte billig dergleichen uͤble
Nachreden wider ſeinen wuͤrdigen Vorfahr ernſtlich
zu nichte machen ſollen; aber er iſt vielleicht ſelbſt zu
ſehr von der Exiſtenz der Geſpenſter uͤberzeugt, als
daß er dergleichen zu widerlegen wagen duͤrfte. In-
deſſen fordere ich ihn hiermit auf, wenn ihn anders
dieſe Geſchichte in die Haͤnde kommen ſollte, den
guten Namen meines Vaters in dieſer Hinſicht zu
rechtfertigen, oder zu erwarten, daß ich ihn noch bei
lebendigem Leibe auch ſpuken laſſe. Herr Schoͤnfeld
verſteht ohne Zweifel meinen Wink: und damit mags
fuͤr diesmal gut ſeyn!
Ich wurde von meiner Tante mit allen Arten
des Aberglaubens bekannt gemacht. Jeden Abend
erzaͤhlte ſie mir und dem Geſinde Hiſtoͤrchen von
Hexen und Geſpenſtern — alles in einem ſo kraſſen,
herzlichen Tone, daß es uns gar nicht einfiel, ihre
Erzaͤhlungen im mindeſten zu bezweifeln. Unvermerkt
ward ich dadurch ſo furchtſam, das ich mich nicht
getrauete, des Abends allein zur Thuͤr hinaus zu ge-
hen. Mein Vater merkte endlich das Unweſen, und
fing an, wider die Geſpenſter loszuziehen, ſo oft er
in dem Zirkel ſeiner Familie erſchien. Er nahm mich
des Abends, auch ſpaͤt in der Nacht, mit auf den
Kirchhof, und erzaͤhlte mir bei ſeiner Pfeife Tabak,
allerhand Anekdoten, wie der und der durch Betrug
der Pfaffen — mein Vater kleidete ſeine ſkandaloͤſen
Hiſtoͤrchen allemal ſo ein, daß ein Pfaffe dabei ver-
wickelt war: daher mein unbezwinglicher Haß gegen
alles, was Pfaffe heißt — mit Geſpenſtern waͤren ge-
neckt worden. Sofort vertroͤſtete er mich auf die
Zukunft, wo ich wuͤrde einſehen lernen, daß alles,
was man ſo hinſchwatzte, und was er zum Theil
ſelbſt hinſchwatzen muͤßte, erdichtet und erlogen waͤre:
daß die Leute, welche von abgeſchiedenen Seelen, von
Geſpenſtern, Geiſtern und Erſcheinungen u. dergl.
viel Weſens machten, nicht wuͤßten, was ſie trie-
ben. — Auf dieſe Art legte damals mein Vater den
Grund zu der Irreligion, welcher in der Folge mei-
nen Kirchen-Glauben gluͤcklich vernichtet hat.
Meine orthodoxen Leſer werden doch nicht boͤſe,
daß ich ſo geradezu mich zu denen bekenne, die von
Prieſter-Grillen nichts glauben? Die Gruͤnde lege
ich ihnen noch zum Theil in meiner Biographie hiſto-
riſch vor; und zwar ganz andre Gruͤnde, als jene,
welche Hr. D. Bahrdt aufgetiſchet hat. Jeder hat
indeß ſo ſeinen eignen Gott, ſeine eigne Welt, ſeinen
eignen Himmel, Hoͤlle, Glauben, ſeine Meinungen,
ſeine Narrheit, ſeine Philoſophie, ſeine — und wer
ihn darin irre macht, ohne ihm etwas Brauchbarers
dafuͤr an die Hand zu geben, hat Unrecht — er
ſey, wer er wolle.
In der Pfalz iſt zwar keine Inquiſition; aber
die Herren Geiſtlichen wiſſen es doch ſo huͤbſch zu
karten, daß der, welcher ſich wider ihre Alfanzereien
auflehnt, zwar nicht widerlegt, aber doch gedruͤckt
und verfolgt wird. So nahm ich es mir einmal
heraus, nachdem ich meine ſogenannten Studien ge-
endigt und Erlaubniß zu predigen erhalten hatte, eine
Predigt gegen den Aberglauben zu halten; aber da
ſtach ich in ein fuͤrchterliches Weſpenneſt: ich haͤtte
eher ſollen Vorſehung und Fortdauer des Seelenwe-
ſens leugnen, als die leiblichen Beſitzungen des Sa-
tans, die Hexereien und die Exiſtenz der Geſpenſter:
das wuͤrde mir nicht ſo vielen Verdruß erregt haben.
Doch genug hiervon!
Ich hatte nun ohngefaͤhr das dreizehnte Jahr
erreicht, als mich mein Vater endlich nach Gruͤnſtadt
ſchickte. Hier genoß ich bis ins ſechszehnte Jahr den
Unterricht verſchiedener braver und gelehrter Maͤn-
ner, insbeſondere des Hrn. Profeſſors Seybold.
Ich nahm wuͤrklich in den Schulwiſſenſchaften ſicht-
bar zu, wenigſtens wuſte ich ſo viel latein, griechiſch
und franzoͤſiſch, als man in der Pfalz zu wiſſen
pflegt, und wohl noch etwas mehr. Auch war ich
in der Geſchichte, Erdbeſchreibung und Mathematik
nicht ganz fremde, wie meine lieben Landesleute ge-
meiniglich zu ſeyn pflegen.
Ich blieb nicht in einem fort in Gruͤnſtadt:
denn da mein rechter Fuß, welchen ich vorher zer-
brochen hatte, um dieſe Zeit wieder aufbrach, ſo
nahm mich mein Vater nach Hauſe, um mich da
unter ſeinen Augen heilen zu laſſen. Das geſchah
im Herbſt, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771.
Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super-
intendent Kratz meinem Vater einen ſehr geſchick-
ten Hauslehrer, wofuͤr er ihn hielt, empfohlen, der
denn auch zu uns zog, und ſeine Lectionen mit mir
und meinem zwei Jahre juͤngern Bruder anfing.
Der Menſch hieß Weichſelfelder, und hat-
te ehemals in Jena ſtudirt: hernach war er Pfar-
rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms
Roͤdelheim; aber ſein unbaͤndiges Saufen und an-
dere Ausſchweifungen hatten ihn vom Dienſt ge-
bracht. Darauf hatte er ſich nach Gießen begeben
mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange-
fangen, mediciniſche Kollegia zu hoͤren. Nachdem
er ſo weit gekommen war, ein Recept zu ſchreiben,
und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter
auszudauern; ſo ging er auf gut Gluͤck in alle Welt,
ſalbaderte und quackſalberte in den kleinen Herrſchaf-
ten am Rhein und Main herum In den unzaͤhligen kleinen Herrſchaften und Territo-
rien in jenen Gegenden, ſieht es mit der mediciniſchen
Einrichtung ſchrecklich aus. Jeder Quackſalber und
Marktſchreier, jedes altes Weib hat daſelbſt das Privi-
legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal-
len in die andere Welt zu ſchicken. Der Kuhdoctor
Herr Thomas zu Schwabenheim, der meiſtens mit
Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma-, und kam ſo
auch ins Leiningiſche zum Superintendenten Kratz,
welcher damals einen Schaden am Fuß hatte. Kratz
ließ ſich von ihm behandeln, und der Schaden heilte.
Nun nahm ihn Kratz in ſeinen Schutz, und empfahl
ihn meinem Vater, als einen ſehr gelehrten Lingui-
ſten, zum Lehrmeiſter fuͤr ſeine Soͤhne, auch als ei-
nen ſehr geſchickten Arzt. Mein Vater, welcher vor
kurzem den Apotheker Eſchenbach, ſeinen Calefactor,
oder Symphiloſophen verlohren hatte, war froh,
jemanden ins Haus zu bekommen, der Eſchenbachs
Stelle in ſeinem Laboratorium erſezzen koͤnnte. Er
verſuchte alſo zufoͤrderſt ſeine chemiſchen Faͤhigkeiten,
fand aber zu ſeinem Aerger, daß Hr. Weichſel-
felder ein Erzignorant in der edlen Kunſt der
Goldmacherei war, daß er nicht einmal wußte, die
Grade des Feuers nach dem Thermometer zu beſtim-
men, und was des Dinges mehr iſt.
In den Schulwiſſenſchaften, wenn man ein
wenig franzoͤſiſch ausnimmt, war Weichſelfelder
gerade ſo weit gekommen, als die ehemaligen Pro-
feſſoren auf dem Heidesheimer Philanthropin. Da-
her muſte mein Vater den Unterricht mit mir wieder
gnus Kaſpar Koͤhler, Bauer in Wendelsheim,
ſind durch ihre Wunderkuren und Spitzbubereien be-
ruͤhmt und reich geworden. Indeſſen mundus vult
decipi! – Aber je eingeſchraͤnkter das Reich ſcharfſich-
tiger Aerzte iſt, deſto ausgedehnter iſt das Reich des
Aberglaubens und der — Pfaffen. Mein Vaterland
beweiſet es.
ſelbſt uͤbernehmen; nur mein Bruder blieb unter der
Diſciplin des theuren Paͤdagogen.
Bald bemerkten wir die groͤßten Fehler des Lehr-
meiſters: beinahe taͤglich war er berauſcht, und
machte auf den benachbarten Doͤrfern in den Schen-
ken allerhand Exceſſe: er pruͤgelte ſich mit den Bau-
ern, und lief den Menſchern in den Kuhſtaͤllen u.ſ.w.
nach. Da Signor Weichſelfelder viel Neigung zu
dergleichen bei mir wahrnahm; ſo machte er mich zu
ſeinem Vertrauten. Seine und meine Streiche blie-
ben durch die Vermittelung meiner Tante, welcher
er doch den Unnamen Kobold gegeben hatte, eine
Zeitlang verborgen. Allein in der Laͤnge wollte es
doch nicht gehen: mein Vater erfuhr alles, filzte ihn
derb aus, und da dies bei dem im Grunde verderb-
ten Menſchen nicht fruchten wollte; ſo gab er ihm
den Laufzettel, und ſchickte mich von neuem zur
Schule.
Weichſelfelder iſt hernach Schullehrer in Gla-
denbach ohnweit Gießen geworden. Ob er noch lebe,
und wo er ſich jetzt herumtreibe, weiß ich nicht. Er
hat zu Frankfurt am Main einen elenden Wiſch ge-
gen den beruͤhmten Abt Schubert uͤber die Wirk-
ſamkeit der heil. Schrift herausgegeben, der aber
gleich nach ſeiner Erſcheinung auf die heimlichen Ge-
maͤcher wandern mußte.
Siebentes Kapitel.
Auch die Liebe iſt ein Krypto-Jeſuit, und im Proſelyten-
machen oft ein maͤchtiger Apoſtel.
In den Ferien war ich gewoͤhnlich zu Hauſe, und
ſuchte mich durch luſtige ausgelaſſene Streiche fuͤr die
ausgeſtandenen Muͤhſeligkeiten und Arbeiten auf der
Schule, in vollem Maaße zu entſchaͤdigen. Noch
hatte ich, ſo ſehr ich ein theoretiſcher Zotologe war,
in Praxi nichts gethan, einige Handgriffe abgerech-
net, welche ich bei den Dorfmenſchern, und auch
wohl bei einigen ſogenannten Mamſellen — an-
brachte. Aber nun kommt die Periode, wo ich an-
fing, das foͤrmlich auszuuͤben, wozu mir unſer Knecht
ſchon fruͤhe Anleitung gegeben hatte.
Ich war einſt im Herbſt zu Hauſe, gerade da
meine Mutter ihre große Waͤſche beſorgen ließ. Das
Zeug mußte uͤber Nacht auf der Bleiche liegen blei-
ben, und wurde von den Waſchweibern nebſt eini-
gen Knechten bewacht. Ich ſtieg in der Nacht aus
meinem Fenſter, weil die Hausthuͤr verſchloſſen war,
und begab mich zu den Bleichern. Ich fand eine
recht luſtige Geſellſchaft, welche mir damals baß be-
hagte. So luͤſtern, ſaft- und wortreich ich war,
ſchaͤkerte ich mit, und uͤbertraf an Ungezogenheit die
Knechte und die Menſcher, ſo ſehr ſie ſich auch be-
muͤhten, kraͤftig zu ſprechen. Endlich kettete ſich
eine Dirne, welche ſchon ein Kind von einem Muͤhl-
burſchen gehabt hatte, an mich, ließ mich neben ſich
liegen, fragte ſodann nach dieſem und jenem, wor-
aus ich ihre Abſicht leicht merken konnte, und fuͤhrte
mich hinter eine Hecke von Bandweiden, wo wir
uns hinlagerten und —
Ich bin nicht im Stande, die Angſt zu be-
ſchreiben, worin ich mich nach dieſer Ausſchweifung
befunden habe: ich zuͤndete meine Pfeife an, trank
Wein; aber nichts wollte mir ſchmecken: ich wollte
Spaß machen; aber es hatte keine Art: endlich lief
ich nach Hauſe; konnte aber auch nicht ſchlafen.
Den folgenden Tag ſah ich die naͤmliche Dirne:
ich ſchaͤmte mich; aber ſie wußte ſo gut zu ſchaͤkern,
daß ich alle Schaam hintanſetzte, und ſie ſelbſt er-
ſuchte, mir Gelegenheit zur Fortſetzung unſers Um-
gangs zu verſchaffen. Dies geſchah, und zwar ſo,
daß meine Eltern nicht das geringſte davon erfuh-
ren. — Alle Begierden waren nun in mir rege und
geſchaͤrft; und von dem Augenblick des erſten Ge-
nuſſes an, betrachtete ich die Frauenzimmer mit ganz
andern Augen, als vorher. Jede reitzte meine Sin-
nen; aber ſehr wenige, oder, wenn ich eine einzige
ausnehme, gar keine, machte ferner bleibenden Ein-
druck auf mich. Die Anmerkungen, welche ſich hier
anbieten, moͤgen die Leſer ſelbſt machen: ich will in
meiner Geſchichte fortfahren.
Der Amtmann zu . . . . — man verzeihe
mir, daß ich hier die Namen verſchweige, ſo ſehr
ich es mir zum Geſetz gemacht habe, die Leute mit
Namen zu nennen. Ich habe fuͤr den Amtmann
und ſeine Familie viel Ehrfurcht, beſonders fuͤr ſeine
Tochter: und dieſe Ehrfurcht verbietet mir, dieſe
guten Menſchen zu beleidigen. — Alſo der Amtmann
zu . . . . hatte eine Tochter, welche ohngefaͤhr ein
Jahr juͤnger war, als ich. Das Maͤdchen hieß
Thereſe, war ziemlich huͤbſch, aber katholiſch,
und zwar ſtreng jeſuitiſch-katholiſch, wie ihre ganze
Familie. Ich lernte ſie auf einem Jahrmarkte ken-
nen, und ſuchte von der Zeit an, mit ihr naͤher be-
kannt zu werden. Es war im Herbſt, als ich ſie
zum erſtenmal ſahe. Ich ſollte auf die naͤchſten
Oſtern die Univerſitaͤt beziehen. Ich hatte daher,
als angehender Student, ſchon mehr Freiheit, und
mein Geſuch, Thereschen naͤher kennen zu lernen,
war ſehr leicht auszufuͤhren. Ich beſuchte ſie her-
nach oͤfters. Der alte Amtmann konnte mich wohl
leiden: denn ich ſuchte mich nach ſeinen Grillen zu
bequemen und widerſprach ihm niemals. Thereſe
war auch allemal froh, und ſehr merklich froh, wenn
ſie mich kommen ſah. Ich muß geſtehen, daß jene
drei oder vier Monate, welche ich in dieſem Umgang
zubrachte, die ſeligſte Zeit meines Lebens geweſen
iſt. Immer, wenn ich mich allein unterſuchte, fand
ich, daß ich dem Maͤdchen ſehr viel zu ſagen hatte;
aber ſobald ich bei ihr war, hatte ich nicht Muth
genug, das zu offenbaren, was mir die Bruſt druͤck-
te, ſo oft ich mich auch entſchloſſen hatte, alles ge-
rade heraus zu bekennen, es moͤchte auch werden,
wie es wollte.
Endlich machte ichs, wie alle unerfahrnen Lieb-
haber: ich ſchrieb ihr einen Brief, und gab ihrer
Magd einen Gulden, damit ſie das Geſchaͤfte einer
Unterhaͤndlerin uͤbernehmen moͤchte. Einige Tage
ſchwebte ich zwiſchen Furcht und Hoffnung, und war
wie im Fegefeuer: endlich brachte mir ein Bauer ei-
nen Brief von Thereschen, worin ſie ſich uͤber meine
lange Abweſenheit — ich war drei Tage weggeblie-
ben! — beklagte, und mir alle Urſache gab, das
Beſte zu hoffen. Nun flog ich nach.... traf
mein Maͤdchen allein in ihrer Stube, und hatte
das erſtemal Herz genug, ſie mein Maͤdchen, mei-
nen Engel zu nennen, und ihre Wangen zu kuͤſſen.
Das war ein Tag, lieben Leſer, wie ich Ihnen recht
viele goͤnnen moͤchte! Groͤßere Seligkeit laͤßt ſich
nicht denken, als ich an dieſem ſchoͤnſten Tage mei-
nes Lebens genoß!
Von dieſem Tage an wuchs unſre Vertraulich-
keit immer mehr, und wir wechſelten beſtaͤndig Briefe,
welche, wenn ſie mein Vater nicht verbrannt hat,
ſich noch unter deſſen hinterlaſſenen Papieren befin-
den werden. Ich machte auch Verſe; und ſo we-
nig Geſchick ich auch immer zur Poeterei gehabt
habe, gefielen ſie meiner Geliebten doch beſſer, als
die beſten unſrer Dichter. Das iſt ſo in der Natur
der Liebenden gegruͤndet, und daher erklaͤrt ſich auch
zum Theil die Verſchiedenheit des Geſchmacks.
Der alte Amtmann entdeckte auf irgend eine
Art — auf welche gerade, weiß ich nicht — unſer
Verſtaͤndniß, und hielt mir deshalb eine derbe Straf-
predigt. So ein Umgang, meinte er, ſchikte ſich
fuͤr junge Leute, als wir waͤren, nicht: ich haͤtte
keine Ausſichten, kein Vermoͤgen, u. d. gl. Beſon-
ders ſtieß er ſich an meiner Religion: ich waͤre luthe-
riſch, und er wuͤrde nimmermehr zugeben, daß ſich
ſeine Tochter mit einem Menſchen behinge, der nicht
ihres Glaubens waͤre. In dieſem Geſpraͤch gedach-
te er auch, daß die Lutheraner den Satz vertheidig-
ten, daß der Pabſt der Antichriſt, und die katho-
liſche Kirche die babyloniſche Hure ſei. — Nun
moͤchte ich ſelbſt bedenken, ob er, auch von allem,
andern abgeſehn, ſich nur koͤnnte einfallen laſſen,
ſein liebes Kind einem Menſchen anzuvertrauen,
der dergleichen Grundſaͤtzen beipflichte? — Er
bath mich darauf, ſein Haus ſparſamer zu beſu-
Erſter Theil. D
chen, um ſeine Tochter nicht ins Gerede zu
bringen.
Das war ein Donnerſchlag fuͤr mich! Ich
wußte nicht, was ich dem Manne antworten ſollte:
ich ſtammelte einiges Unverſtaͤndliches, faßte mich
kurz, und fuͤhrte mich ab, ohne dieſen Tag meine
Thereſe geſehen zu haben.
Ich machte mir allerhand Grillen: bald wollte
ich an den Herrn Amtmann ſchreiben; aber da war
die Frage, was ich ſchreiben ſollte? Bald wollte
ich zu Thereſens Baſe laufen, welche einige Meilen
davon wohnte, und ihr meine Noth klagen: bald
wollte ich ſonſt was thun. Aber von allen meinen
Anſchlaͤgen wurde auch kein einziger ausgefuͤhrt, ich
wußte naͤmlich nicht, wozu ich mich entſchließen ſoll-
te. — Zwei Tage nach dieſem harten Stand erhielt
ich ein kleines franzoͤſiſches Zettelchen von meiner
Thereſe, worin ſie mir meldete, daß ſie zu ihrer
Baſe nach.... reiſen wuͤrde: daß ſie mich da-
ſelbſt auf den Sonntag unfehlbar erwartete. Ich
hatte Muͤhe, von meinem Vater die Erlaubniß zu
erhalten, nach Kreuznach zu gehen, als wohin ich
gehen zu wollen vorgab. Vielleicht hat ihm ſo was
von einem quid pro quo geahnet; indeſſen erhielt
ich die geſuchte Erlaubniß, und flog mehr als ich
ging, nach dem Orte hin, wo mein Thereschen
ſich aufhielt.
Die Baſe empfing mich ſehr hoͤflich, doch mit
einer Zuruͤckhaltung, die mich ſchmerzte. Von der
Sache ſelbſt wurde kein Wort geſprochen. Endlich
kam Thereſe aus der Kirche, und that ſehr zuruͤck-
haltend gegen mich in Beiſeyn der Baſe. Sie that
gleichſam, als waͤre ich ihr ein unerwarteter Beſuch.
Und ſo ſaßen wir beinahe eine halbe Stunde, bis
endlich die Baſe mich fragte: ob ich ihnen die Ehre
thun wollte, zum Mittagseſſen bei ihnen zu bleiben?
Ich konnte nicht anders, als mich entſchuldigen, und
gab vor, daß ich nur haͤtte ſehen wollen, wie ſie ſich
befaͤnden: daß mein Weg eigentlich nach Kreuznach
ginge, daß ich dort zu Mittag mit Hrn. Licentiaten
Macher eſſen wuͤrde, und was des Geſchwaͤzzes
mehr war. „Sie haben nach Tiſche noch Zeit, nach
Kreuznach zu gehen, wo Sie doch uͤber Nacht blei-
ben werden,“ fing nun Thereſe an: „bleiben Sie
immer noch, und wenn es die Frau Baſe erlaubt;
ſo begleite ich Sie eine Strecke: ich will die Mam-
ſellen auf der Saline dieſen Nachmittag beſuchen.„ —
Das war nun Waſſer auf meiner Muͤhle: ich blieb,
und nach Tiſche ging ich mit meinem Maͤdchen auf
die Saline zu.
Kaum waren wir allein, als Thereschen mir
der Laͤnge nach erzaͤhlte, daß ihr Vater unſers Um-
gangs wegen boͤſe waͤre: daß er ſich hauptſaͤchlich an
meiner Religion ſtieße, und daß, nach Wegraͤumung
dieſes Steins des Anſtoßes, ihr Vater keinen An-
ſtand nehmen wuͤrde, unſre Liebe ferner nicht zu ſtoͤh-
ren: daß er mich fuͤr einen braven Menſchen hielte,
aus welchem noch was werden koͤnnte, u. ſ. w. Ich
fing wieder an, Athem zu ſchoͤpfen. „Wenns wei-
ter keinen Anſtand hat, erwiederte ich, ſo wollen
wir ſchon Rath ſchaffen. Die Religion liegt mir
nicht ſehr am Herzen; und um Dich zu erhalten,
Engel Gottes! wollt ich wol einen Glauben anneh-
men, bei welchem ich ewig verdammt werden koͤnn-
te.“ — Ich beredete mich ſofort mit meinem Maͤd-
chen, und verſprach ihr, die katholiſche Religion
naͤher zu pruͤfen, und mich ganz von ihr und ihrem
Vater leiten zu laſſen.
Manche Leſer werden hier gewiß recht auf mich
zuͤrnen; aber wer einmal wuͤrklich verliebt iſt, wuͤrde
gewiß alles thun, was ich that, wenn er auch viel
weniger Leichtſinn beſitzen ſollte, als Mutter Natur
mir mitgetheilt hat: — Kurz! recht ſeelenvergnuͤgt
ſchieden wir von einander, und Thereſe verſprach,
mich in ihr Gebet einzuſchließen, damit der liebe
Gott meine Augen oͤffnen, und mir die Wahrheit
recht ſichtbar machen moͤchte.
Sobald ich nach Hauſe kam, beſuchte ich den
katholiſchen Pfarrer Neuner, in Erbesbudesheim,
den ich ſchon lange kannte, und der in ziemlich ver-
trautem Umgange mit meinem Vater ſtand. Ich
fing recht gefliſſentlich an, von der Religion zu ſpre-
chen, und erinnere mich: daß unſer Geſpraͤch die
Rechtmaͤßigkeit der lutheriſchen' und uͤberhaupt der
proteſtantiſchen Geiſtlichen betraf. Herr Neuner
ſetzte mir ſtarke Gruͤnde entgegen, daß ich bald ſelbſt
geſtehen mußte — und gern geſtand ichs ja! — daß
unſre lutheriſchen Geiſtlichen nicht geſetzlich geweiht
und berufen waͤren; daß ſie folglich nicht ordentlich
und guͤltig konſekriren koͤnnten. Daher leitete er
mehrere Folgen, und bewies mir augenſcheinlich,
daß die katholiſche Kirche einen unendlichen Vorzug
vor allen andern Kirchen haͤtte. Das Ding gefiel
mir unendlich, obs mir gleich nicht wenig auffiel:
denn dergleichen hatte ich in meinem Leben noch nicht
gehoͤrt. Ich erſuchte ſogar den Hrn. Neuner, ſich
die Muͤhe nicht verdrießen zu laſſen, mir mehrere
Auskunft uͤber das eine und andre Stuͤck der Reli-
gion zu geben: denn mir ſei es wirklich darum zu
thun, die Wahrheit zu erkennen, und hernach auch
zu bekennen, wenn ich ſie nur einſaͤhe.
Herr Neuner borgte mir beim Abſchied ein
Buch, das den Titel hatte: Religio prudentum,
ſeu ſola fides catholica fides prudens, von einem
gewiſſen Augspurger Jeſuiten, Namens Neumeyer.
Er verſicherte mich, daß ich in dieſem Buche die Haupt-
beweiſe der katholiſchen und die Hauptwiderlegungen
der unkatholiſchen kirchlichen Lehrſaͤtze finden wuͤrde.
Herr Neuner haͤtte mir kein angemeſſeneres
Buch geben koͤnnen. Neumeyer hat ſchoͤn latein
und ſo verfuͤhreriſch geſchrieben, daß auch ein Menſch
ohne Intereſſe haͤtte irre dabei werden koͤnnen. Ich
hatte niemals viel von theologiſchen Kontroverſien
gehoͤrt, und verſtand die Lehren meiner eignen Secte
nur ſo obenhin. Da uͤberdies mein Vater ſehr tole-
rant war; ſo hatte er mir auch keinen Haß gegen an-
dre Kirchenſyſteme eingefloͤßt. Auf dieſe Art war
alſo meine Seele des Eindrucks recht empfaͤnglich,
welchen die Vorſtellung von der Guͤte des Glaubens
meiner Geliebten auf ſie erregte. Kaum hatte ich
demnach die Religio prudentum durchgeleſen; ſo
bekannte ich mir ſelbſt, daß das katholiſche Kirchen-
ſyſtem beſſer, als das Meinige waͤre, und wurde
recht ernſtlich boͤſe auf die Reformatoren, welche den
unſeligen Kirchenſpalt bewirkt hatten, der mir jetzt
mein ganzes Gluͤck zu rauben drohte.
Mit aller Freude beſuchte ich nun meinen lieben
Neuner — denn damals ſchien er mir mein beſter
Freund zu ſeyn — und entdeckte ihm ohne Umſchwei-
fe, daß die Religio prudentum mich auf ganz an-
dere Gedanken gebracht haͤtte: daß ich geſtehen muͤß-
te, die katholiſche Kirche habe recht, unſre hingegen
unrecht. — Neuner laͤchelte mit proſelytenſuͤchti-
ger Zufriedenheit; aber da er ein Jeſuiterſchuͤler war,
ſo konnte er mit einem ſo raſchen Bekenntniß nicht
zufrieden ſeyn. Er muthmaßete ein Nebenintereſſe
von meiner Seite, und fragte mich geradezu: ob
ich reine Abſichten bei meiner vorhabenden Bekeh-
rung haͤtte? — Ich ſtutzte: doch antwortete ich
ihm: daß mir nichts naͤher am Herzen laͤge, als die
Wahrheit. Darauf erklaͤrte er mir den Ausſpruch
Chriſti: wer Vater oder Mutter mehr liebt, als
mich, der iſt mein nicht werth. Er ſtellte mir bei
der Auslegung dieſer Stelle vor, daß ich bei dem Be-
kenntniß der Wahrheit auf meine Eltern keine Ruͤck-
ſicht nehmen duͤrfte: daß der liebe Gott ein ſolches
Opfer fuͤr ſehr verdienſtlich anſaͤhe, und folglich ge-
wiß auch fuͤr mich ſorgen wuͤrde, u. d. gl. Dieſe
Rede des Hrn. Paſtors erbaute mich gar ſehr, und
ich ſchied zufrieden von dannen.
Inzwiſchen beſuchte ich wieder einmal den alten
Amtmann, und fand ſeine Geſinnungen gegen mich
beſſer, als das letztemal. Ich erzaͤhlte ihm, daß ich
jetzt die Religio prudentum ſtudierte, und beinahe
von der Wahrheit der katholiſchen Religion uͤberzeugt
waͤre. Er fiel mir ins Wort, und ſagte, daß er
um mein gutes Geſchaͤfte ſchon wuͤßte, und zwar
durch den Capuziner, Pater Hermenegild von
Alzey, der es vom Pfarrer Neuner gehoͤrt haͤtte.
Uebrigens duͤrfte ich nicht fuͤrchten, verrathen zu
werden, indem niemanden die Sache bekannt waͤre,
der Vortheil davon haben koͤnnte, ſie auszuſchwaz-
zen. Er verſicherte mich endlich, wenn ich der
Wahrheit getreu bleiben, und dieſelbe oͤffentlich be-
kennen wuͤrde, daß man bereit waͤre, mich auf der
Univerſitaͤt zu Heidelberg etwas rechts lernen zu laſ-
ſen und mir mit der Zeit auch eine Verſorgung zu
verſchaffen: und ſo wuͤrde ſchon alles gut werden.
Dieſes zuͤndete wieder neue Hoffnung in meiner
Seele an, und der Himmel hing mir voll Geigen,
wie man in der Pfalz zu ſprechen pflegt. — Ich
durfte ſeit dieſer Zeit mit meinem Maͤdchen unter den
Augen des Vaters vertraut umgehen, durfte ſie her-
zen und kuͤſſen, ohne daß er uns je etwas anders ge-
ſagt haͤtte, als: Leutchen, macht, daß ihr nicht in
wuͤſte (ſchaͤndliche) Maͤuler kommt! — Noch dank'
ich es dem guten Schickſal — denn meinen Grund-
ſaͤtzen habe ich es wahrlich nicht zu danken — daß
unſer Umgang nicht in eine allzu große und ſchaͤdliche
Vertraulichkeit ausgeartet iſt. Gelegenheit war uͤber-
fluͤßig da; aber ſo ausſchweifend ich auch ſonſt ſchon
bei andern gefaͤlligen Maͤdchen geweſen war, ſo fiel
mir doch niemals der Gedanke ein, etwas mit meiner
lieben Thereſe vorzunehmen, das wider die Ehr-
barkeit geſtritten haͤtte. So viel vermag ein be-
ſtimmter, ehrbarer Gegenſtand der Liebe, auch bei
verwoͤhnten feurigen Juͤnglingen! —
Dem Paſtor Neuner und hernach dem Pater
Hermenegild verſprach ich, nicht auf eine prote-
ſtantiſche Univerſitaͤt zu gehen, ſondern katholiſch zu
werden, und ohne weitere Ruͤckſicht auf meinen Va-
ter, mit Unterſtuͤtzung einiger angeſehener, reicher
und eifriger Katholiken in Heidelberg die Rechtsge-
lehrſamkeit zu ſtudieren. Ob das Ding ſo haͤtte koͤn-
nen ausgefuͤhrt werden, uͤberlegte ich damals nicht
hinlaͤnglich: mir ſchien es moͤglich, und wenn ich es
noch jetzt uͤberlege; ſo finde ich keinen Widerſpruch.
Mein Vater, dem im Herzen alle Kirchenſyſteme,
als ſolche, gleich waren, wuͤrde ſich wieder, wenn
der Schritt einmal geſchehen waͤre, mit mir ausge-
ſoͤhnt haben: eine Verſorgung haͤtte mir auch nicht
entgehen koͤnnen, da ich ein Neubekehrter geweſen
waͤre, welches in der Pfalz von jeher eine große Em-
pfehlung geweſen iſt, und es leider noch iſt. The-
reschen waͤre mir am wenigſten entgangen. — Doch
es hat nicht ſeyn ſollen: mein Schickſal hatte es an-
ders mit mir beſchloſſen.
Achtes Kapitel.
Schon wieder ein Pfaffenſtreich! – und dann ein Strich
durch meine Rechnung.
Mein Vater merkte bald, daß ein Liebesverſtaͤnd-
niß zwiſchen mir und der Mamſel Thereſe....auf
dem Tapete war; aber er hielt das Ding fuͤr eine
Kinderei, die ihn nichts anginge, und die er alſo
nicht zu ſtoͤren noͤthig haͤtte. Es wuͤrde ſich ſchon
alles von ſelbſt geben, dachte er, wenn ich auf Oſtern
die Akademie bezoͤge.
Zu dieſer toleranten Geſinnung meines Vaters
trug das regelmaͤßige und ordentliche Betragen nicht
wenig bei, welches ich ſeit dem Anfange meiner neu-
ern Liebſchaft annahm. Ich ließ alle meine ehemali-
gen ſchlechtern Bekanntſchaften fahren, war, wenn
ich nicht in....oder zu Buͤdesheim war, beſtaͤn-
dig zu Hauſe, und ſtudirte beſonders fleißig den
Quintilian und den Plutarch, meines Vaters erſte
Lieblinge. Auſſerdem hatte ich mich bei ihm durch
eine lateiniſche Elegie in ſtarken Kredit geſetzt, welche
ich auf den tragiſchen Tod der Tochter des Hofpre-
digers, Herrenſchneider, gemacht hatte, und
die man als ein Meiſterſtuͤck — ſo ſchlecht ſie ſonſt
wohl ſeyn mochte — bewunderte. — Meine Leſer
moͤgen es nicht uͤbel nehmen, wenn ich ihnen die
Veranlaſſung zu dieſer Elegie erzaͤhle: ſie iſt einzig in
ihrer Art, und giebt zu manchen Anmerkungen Stoff
an die Hand.
Der Hofprediger Herrenſchneider, deſſen
ich oben ſchon gedacht habe, hatte den Grehweileri-
ſchen Pfarrer Valentin zu Muͤnſter bei Kreuznach
beleidiget, und dieſer ihm aus Rachſucht einen toͤdt-
lichen Haß geſchworen. Der Hofprediger wohnte ſo,
daß man aus dem Schloßgarten gerade durch ein
Fenſter in ſeine Wohnſtube ſehen konnte. Das wußte
Meiſter Valentin, welcher ehemals in Grehweiler
Hofkaplan geweſen war. Um nun ſeine Sache aus-
zufuͤhren, begab er ſich an einem Winterabend in den
Schloßgarten, und ſchoß eine Flinte mit gehacktem
Blei durch das gedachte Fenſter ab, als der Hofpre-
diger mit ſeinen Kindern zu Tiſche ſaß. Seine zweite
Tochter, ein Maͤdchen von eilf oder zwoͤlf Jahren
wurde von einem Stuͤck Blei ins Herz getroffen,
und ſtarb auf der Stelle: der Hofprediger ſelbſt
wurde nur an der Schulter beſchaͤdiget.
Dieſe Begebenheit erregte in der dortigen wei-
ten Gegend fuͤrchterliches Laͤrmen; aber den wahren
Thaͤter errieth niemand. Das ganze Publikum fiel
auf den Rheingrafen, welcher den Hofprediger da-
mals ſchlangenartig verfolgte. Valentin verrieth
ſich aber ſelbſt: auf dem Nachhauſeweg ging er zu
Kalkofen in eine Schenke. Es war um Mitternacht,
und alſo ſchon verdaͤchtig. Hiezu kam, daß er einige
Tage vor der grauſamen That Blei und Pulver in
Kreuznach hatte holen laſſen, und mehrmalen dem
Hofprediger den Tod geſchworen hatte. Auf dieſe
und mehr andere Anzeigen ließ ihn die Obrigkeit
einziehen; allein er kam dem Richter dadurch zuvor,
daß er ſelbſt ſein Leben mit Gift unterbrach, welches
er zu dieſem Gebrauch vielleicht ſchon lange bei ſich
gefuͤhrt hatte. Er ſtarb in ſchrecklichen Konvulſionen,
und geſtand demohngeachtet, daß er ſich freuete, daß
ihm ſeine Rache an dem Schurken, dem Hofprediger
Herrenſchneider, gelungen waͤre. So italiaͤniſch-
unverſoͤhnlich haßte dieſer Mann Gottes in Deutſch-
land! — Er mußte uͤber vier Wochen uͤber der Erde
liegen bleiben, weil die pfaͤlziſche Juſtiz ihren gewoͤhn-
lichen Schneckengang auch hierbei ging: endlich ver-
dammte ihn die Kammer zu Wezlar, nebſt zwei
Univerſitaͤten, zu einem Begraͤbniß unter — dem
Galgen!! Der Hofprediger verließ bald darauf Grehweiler, ward
Pfarrer zu Rappoltsweiler im Elſaß, und hernach zu
Strasburg. — Jezt wieder zu meiner eignen Ge-
ſchichte!
Alſo, wie geſagt, mein Vater hinderte meine
Liebſchaft nicht: er ging ſogar ſo weit, daß er mir
von Landau, wohin er wegen ſeiner Alchymie gereiſet
war, ein Paar ſeidene Pariſer Frauenzimmer-Hand-
ſchuh mitbrachte, und ſie mir mit den Worten uͤber-
reichte: „da haſt'e was vor (fuͤr) dein Menſch!“Die Sprache in der Pfalz iſt, wie meine Leſer hier
ſehen, eben nicht delikat: eine Geliebte heißt da, auch
unter den Honoratorien – Menſch; der Liebhaber —
Borſch (Burſche)..
Aber die Freude dauerte nicht lange: mein Va-
ter entdeckte meinen Briefwechſel, und ſahe da zu
ſeinem Erſtaunen, daß meine Liebſchaft die Veraͤn-
derung der Religion zum Mittelzweck hatte. Ich
war naͤmlich unvorſichtig genug geweſen, den erſten
Aufſatz meiner Briefe an Herr Neuner nndund Pater
Hermenegild nicht zu zernichten. Einer derſel-
ben fiel meinem Vater in die Haͤnde, und bewog
ihn, mein Schraͤnkchen naͤher zu durchſuchen. Er
fand alſo die ganze Geſchichte mit allen ihren Urkun-
den und Belegen. Daß er jetzt nicht ganz gleichguͤltig
geblieben ſey, errathen meine Leſer ohne mein Erin-
nern: er verbarg aber ſeinen Unwillen, und ließ alle
Briefe, wie er ſie gefunden hatte.
Ich war am ſelbigem Tage in Flonheim bei
dem Vikarius Grim Es iſt eben der Grim, der hernach Rektor zu Alzey
ward, und ſich zum Profeſſor bei D. Bahrdt ange-
boten hat. Man leſe die Beitraͤge zu D. Bahrdts Le-
bensgeſchichte. S. 120., und kam erſt ſpaͤt nach
Hauſe. Meine Tante nahm mich gleich auf die Seite
und ſteckte mir, daß der Vater meine Schreibereien
unterſucht haͤtte. Ich erſchrack nicht wenig, lief an
mein Schraͤnkchen, fand aber alles in der gewoͤhnli-
chen Lage, und war zufrieden. Nach dem Abend-
eſſen warf mein Vater die Frage auf: ob der Chur-
fuͤrſt von Sachſen recht gethan haͤtte, daß er um die
Polniſche Krone zu erhalten, katholiſch geworden
waͤre? — Es wurde uͤber dieſe Frage viel hin und
her geſprochen; doch ohne ſich etwas merken zu laſ-
ſen, was eigentlich zur Sache gehoͤrt haͤtte.
Den andern Tag nahm er mich mit nach Stein-
bockenheim zum Pfarrer Dietſch. Erſt auf dem
Ruͤckwege nach Hauſe machte er mich auf mein Vor-
haben aufmerkſam, und zeigte mir das Vernunftwi-
drige, worein ich verfallen wuͤrde, wenn ich die ge-
ringere Thorheit des Lutherthums gegen die groͤßere
des Pabſtthums vertauſchen wollte. Ueberdem gab
er mir nicht undeutlich zu verſtehen: daß ich meine Ab-
ſicht ohnehin nicht erreichen wuͤrde, wenn ich auch mei-
nen Sectennamen oder meine Confeſſion veraͤnderte.
Die Leſer koͤnnen ſich ſchon einbilden, was mein
Vater als Vater, als lutheriſcher Prediger und als
Pantheiſt hier weiter ſagen konnte und mußte: ich
uͤbergehe alſo das Ausfuͤhrliche ſeines Geſpraͤchs.
Schimpfen und Schelten fiel indeß nicht vor. Ich
mußte ihm nur verſprechen, mein Vorhaben aufzu-
geben: und dabei ſchien er ſich zu beruhigen. — Zu
Hauſe wurde weiter nichts davon erwaͤhnt, und ſelbſt
meine Mutter war wenig von der Sache unterrichtet,
weil er ſie nicht kraͤnken wollte.
Nach Verlauf von drei Wochen kuͤndigte mir
endlich mein Vater an, daß ich mich anſchicken ſollte,
in einigen Tagen eine Univerſitaͤt zu beziehen: „hier,
ſagte er, „wird aus dir nichts, hier verdirbſt du an
Leib und Seele, und aͤrgerſt mich noch zu Tode!“ —
Ich ſtellte ihm vor, daß noch lange nicht Oſtern waͤ-
ren, daß es Aufſehn erregen wuͤrde, auſſer der An-
trittszeit ſich zur Univerſitaͤt zu begeben, u. ſ. w.
Aber alle meine Vorſtellungen waren vergebens: es
blieb bei ſeinem Entſchluß: kaum konnte ich noch acht
Tage Aufſchub erhalten, um von meinen naͤchſten
Bekannten Abſchied zu nehmen; – meine Thereſe
ſollt' ich durchaus nicht weiter beſuchen. — Das
that mir freilich ſehr wehe; aber die Erwartung der
Dinge, welche ich nun bald auf der Univerſitaͤt erle-
ben ſollte, milderte meinen Schmerz, erheiterte
meine Mine.
Mein Vater wollte mich ſelbſt nach Gießen —
denn dahin ſollte ich — begleiten, damit ich unter-
wegs keine dummen Haͤndel vornehmen moͤchte.
Trotz aller dieſer Strenge ſchrieb ich aber doch einige
Tage vor meinem Abzug noch an meine Thereſe, und
erhielt eine recht zaͤrtliche Antwort. Von Frankfurt
am Main hab ich noch einmal an ſie geſchrieben.
Unterwegs gab mir mein Vater viele vortreffli-
che Lehren; und ich wuͤrde gut gefahren ſeyn, wenn
ich ſie befolgt haͤtte: aber leider ſchon in Frankfurt
vernachlaͤſſigte ich eine ſeiner Hauptvorſchriften. In
dieſer Stadt diente ein Barbiergeſelle aus meiner
Gegend, den ich aufſuchte, weil mir ſeine Anver-
wanten einen Auftrag an ihn gegeben hatten. Der
Menſch war froh, daß er mich ſah, und both ſich
an, mich auf den Abend in die Komoͤdie zu fuͤhren.
Mein Vater erlaubte es. Da ich dergleichen ſchon
mehr geſehen hatte, und ohnedies ein ſehr bekanntes
Stuͤck gegeben wurde; ſo bath ich meinen Fuͤhrer,
mir lieber ſonſt etwas Merkwuͤrdiges in dieſer ſchoͤnen
Stadt zu zeigen. Um meinen Vater hernach zu be-
ruhigen, verabredeten wir, ihm zu ſagen, daß wir
in der Komoͤdie geweſen waͤren. Geſagt, gethan!
Mein Landsmann nahm mich mit, und fuͤhrte mich —
ins Bordell, zur Madame Agricola. In mei-
nem Leben war ich noch in keinem Hauſe geweſen,
welches der Venus geweiht war: ich erſtaunte alſo
nicht wenig, als ich die zuͤgelloſeſte Wolluſt ſich hier
in ihrer abſcheulichſten Reizbarkeit entwickeln ſah.
Mein Kamerad machte ſich mit den Maͤdchen viel zu
ſchaffen; mich aber hinderte meine Bloͤtigkeit, zu
machen, wie man vielleicht erwartet.
Ohngefaͤhr um eilf Uhr verließen wir dieſes luͤ-
ſterne Haus Zu Frankfurt am Main ſind viele Bordelle; aber
keins iſt oͤffentlich privilegirt. Der Magiſtrat ſchickt
eben darum zuweilen die Haͤſcher hin, welche viſitiren,
und die Maͤdchen wegbringen muͤſſen: die Viſitationen
bleiben aber ohne Folgen, die zweibeinigen ausgenom-
men: denn wie Juvenal ſagt:
– – Quis cuſtodiet ipſos
Cuſtodes? –. Ich machte meinem Vater eine
Beſchreibung von dem Schauſpiel, das ich wollte
geſehen haben, und er war zufrieden. Des andern
Tages beſuchte er einen Freund, der ihn zum Abend-
eſſen dabehielt. Nun konnte ich wieder ausgehen,
und meine Leſer errathen ſchon, daß mein Gang zur
Madam Agricola gegangen iſt. Ich war jetzt drei-
ſter: mein Begleiter war nicht bei mir. Ich blieb
bis nach Mitternacht, und verzehrte uͤber eine Karo-
line von dem Gelde, das mir meine Mutter und
einer meiner Verwandten zur Univerſitaͤt geſchenkt
hatten. Ich Thor wußte noch nicht, wie ſauer Geld
erworben wird! Die Maͤdchen waren fuͤrchterlich
aufgeraͤumt, und kirrten mich ſo zuckerſuͤß heran,
daß ich ihnen Wein, Chokelade, Gebacknes u. d. gl.
bringen ließ. Cetera non curat praetor. Mein
Vater war ungehalten auf mich, daß ich ſo lange
ausblieb; aber ich wußte ihm ſo viel vorzunebeln, daß
er ſich endlich zufrieden gab.
Neuntes Kapitel.
So elend fand ich die Gießer Univerſitaͤt.
In einem Tage reiſeten wir von Frankfurt nach
Gießen, welches ohngefaͤhr zwoͤlf ſtarke Stunden da-
Erſter Theil. E
von liegt. — Mein Vater uͤberließ es unterwegs
meiner Wahl, ob ich Jura oder Theologie ſtudiren
wollte; er ſtellte mir aber auch vor, daß ich in der
Pfalz als Juriſt keine Verſorgung, oder doch nur
ſehr ſchwerlich zu erwarten haͤtte. Er fuͤgte hinzu,
daß Poteſtanten wegen ihrer Religion wenig An-
ſpruͤche auf kurfuͤrſtliche Bedienungen machen duͤrften.
Er rieth mir alſo zur Theologie, ob er gleich im Her-
zen die meiſten Saͤtze des Kompendiums fuͤr Erdich-
tungen oder erzwungene Lehrvorſchriften hielt. Ich
verſprach demnach, Theologie zu ſtudiren; aber im
Ernſt hatte ich das nicht im Sinne. Ich wollte
naͤmlich noch ſehen, wie es mit meinem Maͤdchen
und ihrem Anhang werden wuͤrde. In Beiſeyn
meines Vaters verſprach ich zwar hoch und theuer,
an Thereſen nicht mehr zu denken, und noch weniger
an ſie zu ſchreiben; aber mein Herz hing noch feſt an
ihr, ſo feſt naͤmlich, als es fuͤr das Herz eines aͤuſ-
ſerſt leichtſinnigen und unerfahrnen jungen Menſchen
moͤglich iſt: — und noch hatte ich keine andre Vorſtel-
lung von Gluͤck, als von dem in ihrem Beſitz. Ich
wollte alſo, wie ſchon geſagt iſt, zuſehen, wie es noch
werden wuͤrde.
In Gießen ließ ich mich inmatrikuliren, und
meinen Hut nach der neueſten Mode zuſtutzen. So-
dann ſuchte ich mir auf dem Lektions-Katalog einige
Collegien aus, praͤnumerirte ſie, kaufte die Kompen-
dien, ſtattete meinen Beſuch auf den Doͤrfern ab,
und verſchafte mir einen neuen blauen Flauſch mit
rothen Kragen und Aufſchlaͤgen. Mein Vater blieb
nicht lange: er gab mir noch gute Lehren in Menge,
und reiſete zu Hauſe.
Hier muß ich dem Leſer eine Beſchreibung von
der Gießer Univerſitaͤt liefern, wie dieſe damals war,
als ich dahin kam. Ich wuͤnſchte, daß dieſe Be-
ſchreibung weder langweilig noch laͤppiſch ſcheinen
moͤchte. Aber bei der Beſchreibung einer Univerſitaͤt
muß doch nothwendig manches Laͤppiſche mit vorkom-
men, wenn ſie anders die noͤthige Vollſtaͤndigkeit ha-
ben ſoll. —
Gießen ſelbſt iſt ein elendes Neſt, worin
auch nicht eine ſchoͤne Straße, beinahe kein einziges
ſchoͤnes Gebaͤude hervorragt, wenn man das Zeug-
haus und das Univerſitaͤts-Gebaͤude ausnimmt. Es
fuͤhrt den Namen einer Feſtung; die aber unter allen
Feſtungen, welche ich je geſehen habe, die elendeſte
iſt. Zudem wird ſie von einem Berge kommandirt,
von woher man ſie recht gut beſchießen kann. Es
ſteht ein Regiment Soldaten darin, das aber gar
nicht ſtark iſt, und nur, wenn ich nicht ſehr irre,
ſechs Kompagnien zaͤhlt. Das Regiment iſt das
Darmſtaͤdtiſche Kreisregiment, und muß zu der
Reichsarmee ſtoßen, wenn dieſes Heldenkorps zu
Felde zieht. Bei Rosbach ſind die Darmſtaͤdter recht
exemplariſch gelaufen! Die Officiere des Regiments
haben meiſtens von der Muskete an gedient, und
ſind endlich zu Chargen gelangt, aus keinem andern
Grunde, als weil ſie lange gedient hatten. Ihre
Lebensart iſt eben nicht die beſte. Außer Dienſt ſitzen
ſie auf den Dorfſchenken, auf dem Schießhaus, bei
Eberhard Buſch oder ſonſt in einer Kneipe, machen
mit Gnoten oder Philiſtern So werden die Buͤrger auf den Univerſitaͤten von den
Studenten genannt. und mit Studenten
Bruͤderſchaft, und ſpielen Tarock, ſechs Marken zu
einem Pfennig. Sehr wenige dieſer Herren ſind von
Adel. Unter den Soldaten giebt es ſehr viel alte
Invaliden: ſonſt ſind ſie lauter Landeskinder.
Unter den Buͤrgern giebt es mehrere wohlha-
bende; uͤberhaupt aber iſt Gießen kein Ort, wo es
viel Reiche giebt. Die Urſache liegt wohl darin, daß
die Stadt wenig Verkehr, und gar keine Manufak-
turen hat. Ob ſie dergleichen nicht haben koͤnnte, iſt
eine andre Frage; aber daran denkt man vielleicht
nicht. Die Stadt liegt wenigſtens auf einem guten
Boden, und an einem ziemlich ſchiffbaren Fluß —
doch das geht mich nichts an!
Die Univerſitaͤt hatte zu meiner Zeit ſechszehn
beſoldete und etwa drei unbeſoldete oder außerordent-
dentliche Lehrer. Herr D. Bahrdt hat einige dieſer
Herren in ſeiner Lebensbeſchreibung die Revuͤe paſſi-
ren laſſen: ich habe in meinen Beitraͤgen und
Berichtungen zu dieſer Schrift einiges hinzuge-
fuͤgt: daruͤber hat Herr Schmid ein klaͤgliches Ge-
ſchrei erhoben, und fuͤr gut befunden, mich in der
153ten N des Intelligenzblatts der Litteratur-
zeitung von 1791, zu befehden. Ich kann nun
nicht umhin, die Gießer Herren abermals zu beſchrei-
ben, gerade ſo, wie ich ſie gefunden habe. Viel-
leicht ſehen unpartheiiſche Leſer, daß Herr Schmid
mit ſeiner Apologie mein Vorgehen noch nicht ganz
vernichtet hat. — Herr Koch mag den Anfang
machen.
Koch iſt ein Juriſt von Anſehen und nicht ge-
meinen Kenntniſſen, wenn man ihm naͤmlich und
ſeinen Schuͤlern glauben will. Ich habe wohl wenig
Maͤnner geſehen, die die Kunſt verſtanden, ihre
Kenntniſſe ſo geltend zu machen, als dieſer Herr
Kanzler. Sein Ton iſt im Kollegium und im ge-
meinen Geſpraͤch ſo diktatoriſch, ſo zuverſichtlich,
daß es ſcheint, er habe, gleich dem Vicegott zu Rom,
alle Weisheit allein, und befinde ſich im Beſitz, im
ausſchließenden Beſitz der ganzen juriſtiſchen Gelehr-
ſamkeit. Es giebt aber andre Gelehrte, die ihm die-
ſen Vorzug nicht laſſen wollen. Herr Schott in
Leipzig will in den Kochiſchen Schriften nichts als
oberflaͤchliche Kenntniſſe, und ſchales Raͤſonnement
gefunden haben. Kochs Latein ſoll vollends gar
nichts taugen: man ſoll ſogar in ſeinem Jus crimi-
nale grammatikaliſche Schnitzer finden. Dieſes
Buch hat, wie ein großer Juriſt urtheilt, ich meyne
den Herrn Profeſſor Woltaͤr in Halle, mehr Gluͤck
gehabt, als es verdient. Dafuͤr iſt es aber jetzt aller
Orten abgeſchafft, und wird nur noch in Gießen von
Herrn Koch zum Leitfaden ſeiner eignen Vorleſungen
gebraucht, vielleicht auch noch auf jenen Univerſitaͤten,
wo man noch an Hexen glaubt, oder Ketzereien fuͤr
ein Hauptverbrechen ausgiebt: denn dieſes luſtige
Buch enthaͤlt einen Artikel de Magia, und einen —
de Haereſi.
Wenn es wahr waͤre, was Herr Schmid in
ſeiner Apologie gegen mich anfuͤhrt, daß Koch ein
großer Verehrer des großen Leyſers ſey; ſo muͤßte
er gewiß auch von dieſem ſehr vernuͤnftigen Juriſten
gelernt haben, uͤber K. Carl V. Halsgerichts-
ordnung vernuͤnftig zu urtheilen: aber aus dem
criminale des Herrn Koch erhellet gerade das Ge-
gentheil. Leyſer urtheilte von dieſer Compilation
ſehr unvortheilhaft; Koch aber, Duce Kreſs,
macht ſie zum Repertorium aller kriminaliſchen Ein-
ſicht. Indeſſen mag ich doch nicht leugnen, daß
Herr Koch den Leyſer geleſen hat: Leyſer iſt ein
herrliches Huͤlfsmittel zu Vorleſungen uͤber die Pan-
dekten des ſeel. Boͤhmers: auch zu Hellfelds
Pandekten giebt er Stoff genug her, ſo reichlich, daß
man eben nicht noͤthig hat, die alten ohnehin ſo
ſchwerfaͤllig geſchriebenen Schmoͤcher nachzuſchlagen,
und ſich bei ihnen den Kopf zu zerbrechen.
Wie ſtolz uͤbrigens Herr Koch auf ſeine Kan-
zlerwuͤrde halte, erhellet daraus, daß er auch im
Franzoͤſiſchen den Titel Excellence fordert. Herr
Chaſtel, franzoͤſiſcher Sprachmeiſter zu Gießen, de-
dicirte ihm im Jahr 1778. eine Sammlung proſai-
ſcher Aufſaͤtze zum Gebrauch der Anfaͤnger. In der
Dedikation hieß es: dediè très humblement à
Monſieur Koch u. ſ. w. Herr Koch nahm dieſen
Titel ſchroͤklich uͤbel, und Herr Chaſtel mußte, um
ihn zu befriedigen, hinzuſetzen: à ſon Excel-
lence, Monſieur Koch. Jeder Kenner der fran-
zoͤſiſchen Sprache, der den Gebrauch des Wortes
Excellence im Franzoͤſiſchen wußte — in Deutſch-
land kann ihn niemand fuͤhren, nach Richelet und
de la Laine, als wer auch den Titel Monſei-
gneur fuͤhren kann — lachte freilich uͤber die laͤppi-
ſche Titulatur; aber der Herr Kanzler Koch hieß
doch einmal ſon Excellence Monſieur Koch, und
damit war es gut.
In Gießen fuͤrchtet ſich jederman vor dem
Herrn Koch: was Er auf dem akademiſchen Se-
nate ſpricht, muß gelten, und wenn Rector und
alle Profeſſoren andrer Meinung waͤren. Wer da-
her den Herrn Koch zum Freunde hat, darf thun,
was er will: kein Haar darf ihm gekruͤmmt werden.
Er iſt eben darum fuͤrchterlich ſtolz, gebietheriſch nndund
grob gegen die Studenten, welche er, wenigſtens zu
meiner Zeit, wie Schulknaben behandelte. Dabei
macht er ein Geſicht — wie ein fuͤrſtlicher Befehl.
Eben ſo deſpotiſch verfaͤhrt er in ſeinem Hauſe. Zu
meiner Zeit bewohnte es ſein Schwager, ein alter
Kandidat der Rechte, Herr Rolle, dem es aber ſtark
an der ſecunda Petri An der Beurtheilungskraft. Dies Sprichwort
kommt daher, daß Petrus Ramus im zweiten Theil
ſeiner Logik De ludicio handelt. fehlte. Dieſer Mann
durfte nicht mit an ſeinem Tiſche eſſen, obgleich Herr
Koch ſein ganzes Vermoͤgen in Haͤnden hatte.
Freund Rolle hat nicht ſelten uͤber die Haͤrte
und den uͤbertriebnen Stolz ſeines Herrn Schwa-
gers geklagt.
Mit den uͤbrigen Profeſſoren hat Herr Koch
wenig Umgang. Die Juriſten ſind ihm beſonders
ein Dorn im Auge, ſo bald ſie etwas mehr verſtehen,
als Heineccii Inſtitutionen. Der Regierungsrath
Hoͤpfner lehrte zu meiner Zeit mit vielem Beifall
die Rechte in Gießen. Er war ein Mann, der
nicht nur den Leyſer, ſondern auch jene aͤltern Re-
ſtauratoren der Juriſterei, einen Alciatus, Au-
guſtinus und Cujacius fleißig ſtudirt hatte —
der in der alten Litteratur zu Hauſe war, und aͤchtes
Latein ſchrieb. Das war hinlaͤnglich, daß Herr Koch
den guten Herrn Hoͤpfner fuͤrchterlich haßte und
neckte. Herr Hoͤpfner nahm hernach eine Stelle in
Darmſtadt an, blos um aus Kochs Collegenſchaft zu
kommen.
Ich habe in meinen Beitraͤgen S. 49. geſagt,
Herr Kanzler Koch ſey zu Bahrdts Zeiten ein
großer Zotenreißer geweſen: und Herr Schmid
hat ſich daruͤber ſehr aufgehalten. Allein jeder Gießer
weis ja, wie Herr Koch ſogar in Gegenwart der
Frauenzimmer loszieht. Auf der Doktorpromotion
des Herrn Lobſteins, der jetzt Profeſſor in Stras-
burg iſt, riß Freund Koch vor der Frau Doktorin
ſolche Zoten, daß dieſe aufſtand und fortgieng. Herr
Koch entſchuldigte ſich ganz kurz mit dem bekannten
Weidſpruch: naturalia non funt turpia! Uebri-
gens habe ich nicht ſelten gefunden, daß viele ſonſt
angeſehene große Gelehrte auch große Zotenreißer
waren — welches doch wol Herr Schmid nicht
leugnen wird?
Ich komme nun auf einen Punkt von mehrerer
Wichtigkeit. In den erwaͤhnten Beitraͤgen ſteht
S. 20. Herr Koch habe in Jena eine Tochter ge-
habt, welche Hannchen geheißen, und im Jahr
1775 nach Gießen gekommen ſey. Da habe ihr Va-
ter ſie ſchlecht aufgenommen, und ihr gedroht, er
wolle ſie durch den Rathsdiener, ſonſt Haͤſcher,
Neeb Ich hatte Nepp geſchrieben, weil ich die Orthographie
der Haͤſchernamen nicht ſo gut ſtudirt habe, als Herr
Schmid., zum Thor hinaus bringen laſſen. Herr
Schmid widerlegt meine Angabe mit ermuͤdender
Weitſchweifigkeit; laͤßt ſich aber auf die Hauptſache
gar nicht ein, wie ich ſogleich beweiſen will.
Zum voraus muß ich erinnern, daß ich von der
Jenaiſchen Hiſtorie des Hrn. Kochs nichts aus eigner
Erfahrung ſagen kann. Ich habe das alles vom Hoͤ-
renſagen: denn vor dem Herbſt 1776 habe ich Jena
nicht beſucht; aber 1775 habe ich wirklich ein Maͤd-
chen in Gießen geſehen, auch in Lollar bei dem Wirth
Menges, linker Hand, wenn man ins Dorf
kommt, das ſich fuͤr Herrn Kochs Tochter aus Jena
ausgab, und ihre Entſtehungsgeſchichte ſo erzaͤhlte,
wie ich ſie erzaͤhlt habe. Ich habe auch gleich damals
den ganzen Hergang dem noch in Gießen lebenden
Hrn. Prof. Koͤſter entdeckt, der mir aber rieth, ihn
als eine ſkandaloͤſe Geſchichte zu unterdruͤcken. Allein
dieſen Rath befolgte ich aus natuͤrlichem Leichtſinn und
auch deswegen nicht, weil ich damals der Meinung
war: Hobbeſiſche Inquiſitoren verdienten keine Scho-
nung. — Auch ſprach man ſchon vorher merklich
laut von Kochs Hannchen aus Jena. Das
Ding war alſo gar kein Geheimniß.
Soll ich mich auch noch auf Andere berufen?
Allerdings! aber auf welche? Auf Leute, welche da-
mals in Gießen ſtudirt, und jetzt in Darmſtaͤdtiſchen
Aemter haben? — Die werden mir den Henker thun,
und Zeugniß ablegen in einer Sache, wie dieſe iſt!
Aber es ſind doch noch Leute in der Welt, welche
Jungfer Hannchen gekannt haben, und zur Steuer
der Wahrheit meine Behauptung unterſtuͤtzen koͤnnen.
Dieſe Leute ſind Herr Henrici von Kuſel, Herr
Hahn von Stutgard, Herr Luk aus dem Erbachi-
ſchen, Herr Schmid, Doktor der Medicin in Saar-
bruͤck, und Herr Muͤller von Zweybruͤck: — alle
dieſe ſind Auslaͤnder, alle haben damals in Gießen
ſtudirt, haben das huͤbſche Hannchen ſo gut gekannt
als ich — und koͤnnen, wenns ſeyn muß, meine
Ausſage durch ihr Zeugniß beſtaͤtigen. Kann Herr
Schmid mehr verlangen?
Aber der Haͤſcher Neeb weis von Hannchen
nichts, ſpricht Herr Schmid. Wie elend dies Argu-
ment ſey, faͤllt in die Augen. Ich habe ja auch nicht
geſagt, Meiſter Neeb habe ſie wirklich zum Thor
hinaus geſchmiſſen, ſondern nur: daß Herr Koch
dem armen Hannchen gedroht habe: er wolle ſie,
wenn ſie ſich nicht ſelbſt gutwillig abfuͤhrte, durch
Meiſter Neeb hinaus ſchmeißen laßen!
Uebrigens hat Herr Schmid in ſeiner Apologie
nicht geleugnet, daß Herr Koch ſo ein Hannchen in
Jena gehabt habe. Ich will alſo auch dieſen Punkt
nicht weiter beweiſen, ſo leicht es mir ſonſt, ſeyn
wuͤrde.
Die andere Anekdote, welche Herr Schmid
angreift, betrift die Abſetzung des Rectors Ouvrier.
Dieſe ſoll nicht Koch, ſondern der damalige Praͤſi-
dent von Moſer bewirkt haben. Geſetzt, das
waͤre ſo; warum verſprach denn Herr Koch den Stu-
denten Genugthuung? warum ſagte er zu Koch aus
dem Uſingiſchen, und zu Boly von Muͤmpelgard,
ſie ſollten Genugthuung haben, und
wenn auch der hoͤlliſche Satan Rektor
waͤre? Warum ſagte er oͤffentlich: „ohne mich kann
„der Rektor nichts thun! thut ers doch; ſo ſolls
„der Rektor nichts thun! thut ers doch; ſo ſolls
„ihm klaͤglich gehen: er pfeift ſo ſchon auf dem letz-
„ten Loche?“ — Sonſt ſoll, nach Herr Schmids
Angabe, der Schwiegervater des Rektors, Herr
Miltenberg in Darmſtadt, Kochs großer Freund und
was weis ich noch mehr geweſen ſeyn; das iſt aber,
mit Herr Schmids gnaͤdiger Erlaubniß — nicht
wahr: die waren wie canis et anguis!
Aber ich befuͤrchte, meine Leſer zu ermuͤden:
ſonſt wuͤrde ich meine Bemerkungen uͤber Herrn Koch
und ſein Weſen fortſetzen koͤnnen. Indeſſen werde
ich des Herrn Kanzlers im Verlauf dieſer Geſchichte
noch oͤfter gedenken.
Zehntes Kapitel.
Schlechtere Profeſſoren gab es wohl nirgends!
Herr Schmid mag nun vorruͤcken! Er war vor-
her Profeſſor in Leipzig, und wurde nach Gießen
berufen — durch welchen Canal? weiß ich nicht.
Er iſt eigentlich von Profeſſion ein Juriſt; hat aber
auch die ſchoͤnen Wiſſenſchaften begruͤßt, und daher
ein ſehr feines Weibchen geheirathet — die Schweſter
des Profeſſors Schulz.
Herr Schmid hat das mit Herrn Koch gemein,
daß er ſich fuͤr einen Matador unter den deutſchen
Gelehrten haͤlt. Was Wunder, daß er ſich in alle
Wiſſenſchaften gemiſcht; aber auch von den Recenſen-
ten derbe Hiebe bekommen hat — nach dem Sprich-
wort: laſcivienti ferula puero! Er iſt auch der
Redacteur des Leipziger Muſenalmanachs, des fade-
ſten Zeugs der ganzen poetiſchen Leſerei, geweſen,
welcher eben ſeinem Geſchmack wenig Ehre gemacht
hat. Ich erinnere mich, daß Herr Deinet in
Frankfurt der dortigen gelehrten Zeitung einſt ein
Epigram einverleibte, aus welchem ich einige Verſe
zur Curioſitaͤt behalten habe. Hier ſind ſie:
Herr Schmid in Gießen beſtach die Diener der
trefflichſten Dichter:
Gebt mir, ſo ſprach unſer Schmid zu Leuten von
dieſem Gelichter,
Was eure Herren insgeſammt
Zur Straf auf heimliche Gemaͤcher verdammt!
Die Schurken ließen ſich beſtechen – – – Hier ſind mir einige Zeilen entfallen.
Und ſo entſtund denn nach und nach
Der Leipziger Muſenalmanach.
In Gießen hieß man ihn, als ich mich da auf-
hielt, den Reimenſchmid, nach Aehnlichkeit des Hef-
tenſchmids in Jena: Wuͤrklich war auch nichts trau-
riger, als Herrn Schmids Gedichte. Seine Trink-
lieder klangen, wie ſeine Trauergedichte, erbaͤrm-
lich, — alles nach der Melodie: ich liebte nur Is-
menen. Er verfertigte einmal ein Gedicht auf die
Vermaͤhlung des Erbpbinzen von Darmſtadt fuͤr die
Handwerker in Gießen: das Ding war ſo tiefſinnig
gelehrt, daß es kein Menſch verſtehen konnte.
Zu meiner Zeit las Herr Schmid folgende Col-
legia, und zwar alle publice, damit er nur Zuhoͤ-
rer bekam: uͤber Heineccii fundamenta ſtili —
uͤber Peter Muͤllers Buͤcherkenntniß — uͤber Ovidii
faſtos Bei dieſem Buche hat ſich Herr Schmid oft geſchnitten.
Klaͤglicher hat wohl noch kein Docent einen alten
Schriftſteller erklaͤrt. uͤber Gatterers Univerſalhiſtorie — uͤber
Sulzers Encyklopaͤdie. Nicht ſelten verließen ihn
ſeine Gratis Zuhoͤrer mitten im halben Jahr: und
er hatte ſodann Muße genug, Leipziger Muſenalma-
nache zuſammen zu tragen.
Wenn ich gern ſkandaloͤſe Hiſtoͤrchen auftiſchte;
ſo ſollte es mir leicht ſeyn, eine dergleichen von Herrn
Schmids Frau Gemahlin anzubringen. Aber die
Gießer verſtehen mich ſo ſchon.
Herr Schulz war zu meiner Zeit Profeſſor
der orientaliſchen Sprachen, und Extraordinarius
bei der theologiſchen Fakultaͤt. Das iſt ſo ein Mann
Kelebh Adonai, wie David Nach dem Herzen Gottes, d. i. wie es ſchon
ein alter Rabbiner erklaͤrt das der ſich, in die Zeit zu
ſchicken weis, auf deutſch, ein Manteltraͤger.. Er wollte zu
D. Bahrdts Zeiten auch ſein Schaͤrflein zur Auf-
klaͤrung beitragen, und fing an, etwas freier uͤber
das Syſtem zu raͤſonniren. Nachdem er aber inne
ward, daß dergleichen Heterodoxien dem Landgrafen
nicht lieb waͤren; ſo lenkte er ein, und betete die
Konkordienformel eben ſo wieder nach, wie ſein
Schwiegervater, der alte Doktor Benner. Der
verſtorbene Ritter Michaelis hat von Schul-
Tempora cum cauſis Latium digeſta per annum.
Caae bedeuteten hier, — wie Schmid erklaͤrte –
die Urſachen, weshalb der Conſu das Jahr in ge-
wiſſe Abtheilungen brachte. – Sehr gelehrt!
zens Gelehrſamkeit eben nicht ſehr vortheilhaft geur-
theilt, ob er gleich ſein Schuͤler geweſen war.
Sonſt iſt Herr Schulz ein reicher Mann, dabei
aber auch ſo geitzig, daß er auf Pfaͤnder geliehen hat.
Ich weiß es noch, daß der Tambour Hofmann —
ich muß doch die Leute nennen, die man ſogleich in
Gießen fragen kann — oft Kleider, Schnallen, Uh-
ren, Pfeiffenkoͤpfe u. d. gl. hintrug, und bei dem
Herrn Profeſſor verſetzte. Einſt geſchah eine wahre
Schnurre. Die Studenten hatten eine maskirte
Schlittenfahrt, die ſonſt in Gießen ſehr gemein wa-
ren, und es vielleicht noch ſind. Einer davon war
als Jude maskirt, ſaß zu Pferde, und hatte alte
Kleider, Hoſen, Hembden u. d. gl. bei ſich. Herr
Schulz war am Fenſter: der verkappte Jude ritt hin
zu ihm, und fragte, ob er nichts zu ſchachern haͤtte?
Der Herr Profeſſor antwortete, nein. Der Jude
both ihm darauf ſeinen ganzen Troͤdel zum Verſatz
an, und verſprach ihm dreiſſig Procent. Herr
Schulz ſchmiß das Fenſter zu, und die Zuſchauer
lachten. Weiter ward nichts daraus.
Seine Frau Gemahlin iſt die Tochter des ver-
ſtorbenen D. Benners — ein Frauenzimmer von ſel-
tener Fleiſchigkeit, wie Herr Bahrdt ſagt. Aber
nicht der Fleiſchigkeit, ſondern des Geldes wegen hat
Herr Schulz ſie geehliget. Schon vorher war ihr
Ruf ſehr zweideutig, und ſo iſt er auch geblieben.
Einigemal hat ſie ihren Mann verlaſſen, und mit
Studenten communem cauſſam gemacht. Aber
Herr Schulz ließ ſich alles gefallen, weil ſie Erbin
eines betraͤchtlichen Vermoͤgens war.
Nun dann Herr Bechtold! — Ich weiß
nicht, ob ich von dieſem Ehrenmann etwas noch ſa-
gen ſoll, da man ſchon aus Bahrdts Lebensbe-
ſchreibung und meinen Anmerkungen zu derſelben ſich
einen nicht unrechten Begriff von dieſem großen Kir-
chenlicht machen kann. Aber die Leſer dieſer gegen-
waͤrtigen Schrift, leſen jene vielleicht nicht, und die-
ſen zu Gefallen muß ich doch wenigſtens eins und
das andre von Herrn Bechtold anfuͤhren.
Als Gelehrter, ſagt Herr Bahrdt im Kezzer-
almanach, iſt Bechtold unter aller Kritik. Dieſes
Urtheil iſt ſo wahr, das ſelbſt die Gießer Fuͤchſe So nennt man die Neulinge auf der Univerſitaͤt.
ſich uͤber ihn luſtig gemacht haben. Das Epigram
auf den Herrn Stax Siehe die Beitraͤge zu Bahrdts Leben, S. 29.: die Beinamen, die er in
Gießen hatte, Quodammodarius, Grundſuppen-
ſchwabe, und mehrere dergleichen, ſind hiervon Be-
weis genug. Wegen des letzten Namens dient fol-
gendes zur Erlaͤuterung. Er las ein Collegium uͤber
Erſter Theil. F
die dogmatiſchen Beweisſtellen: dieſes Collegium
nannte er fundamentale biblicum; die Studenten
aber hießen es, ſeines ſeltenen elenden Lateins wegen,
fundamentalitium biblicanum, die dictas claſſi-
cas, das Grundfundament, und endlich gar die
Grundſuppe. Daher der Grundſuppenſchwabe. Waͤre
Bechtold nicht Ephorus der Stipendiaten geweſen,
er haͤtte nie einen Zuhoͤrer bekommen: niemand be-
ſuchte ſeine uͤber allen Glauben erbaͤrmlichen Vorle-
ſungen als Stipendiaten, oder ſolche, die es werden
wollten. Die Bedaurungswuͤrdigen! — Seine Or-
thodoxie war ehedem ſo ſtark, daß er in dem Ton ei-
nes Philipp Nicolai War ein lutheriſcher Theolog aus dem 16ten Jahr-
hundert. Er hat einen Aufſatz geſchrieben: Der Cal-
viniſten Gott, der Teufel, worin er unter
andern ſagt: „Der calviniſche Herrgott iſt ein leicht-
„fertiger, geiler, unkeuſcher, blutduͤrſtiger Moloch:
„ein Bruͤllochſe, ein Ochſengott, der hoͤlliſche Bruͤlloch-
„ſe, der alte boͤſe Feind, und verfluchte Leviathan.“
Siehe G. Arnolds Kirchen- und Ketzerhiſtorie B. 16.
Kap. 21. §. 10. – Schade, daß zu der Zeit weder
ein Hume, noch ein Paſtor Schulz in Gielsdorf,
noch ein Kant etwas uͤber den lieben Gott geſchrieben
hatten!, einige Wiſche wider
die Reformirten hinſudelte, unter dem allerliebſten
Titel: Calvinianorum Deus, ſcripturae ignotus
et a ſana ratione abhorrens. Seine Beweiſe wa-
ren, wie die des Philipps Nicolai. — Aber jetzt iſt
Freund Bechtold von ſeiner theologiſchen Duͤſterheit
zuruͤckgekommen, und wundert ſich, daß er ſonſt ſo
einen vernebelten Kopf hat haben koͤnnen. Er raͤſon-
nirt, wie ich vor einigen Jahren bei meiner Durch-
reiſe zu Gießen gehoͤrt habe, uͤber die heiligen
Dogmen ſehr hoͤrbar, und lacht uͤber das alte Sy-
ſtem — das kluͤgſte, was er auch thun kann, we-
nigſtens zehnmal kluͤger, als uͤber das neue Syſtem
roſenkreuzeriſch zu lamentiren.
Sonſt iſt Bechtold ein ſchlauer Politikus, und
ein Schadenfroh, der ſeines Gleichen ſucht. Er und
Koch waren beſonders Urſache, daß Lobſtein von
Gießen weg muſte. Unter ſeinem Rectorate waren
die Eulerkappereien im Flor, ja ſie nahmen zu, weil
er ihnen nicht ſteuerte, oder vielmehr es gern ſah,
daß der arme Eulerkapper recht gepeinigt wurde. —
Bechtolds Toͤchter ſind brevi manu weggegan-
gen: — ſie hatten — Geld!
Von Herrn D. Bahrdt, den ich auch in Gie-
ßen gekannt habe, ſage ich hier nichts: ich habe in
meinen Beitraͤgen von ihm genug geſagt.
Den alten Dogmaticus, den D. Benner,
will ich ebenfalls in Ruhe laſſen.
Aber von Herrn Ouvrier einige Worte! Er
war vorher Hofmeiſter oder Informator bei den
fuͤrſtlichen Kindern in Darmſtadt geweſen, und zur
Dankbarkeit, aus Gnade nach Gießen als Profeſſor
der Theologie geſetzt worden Wie ein gewiſſer P — r vor einiger Zeit nach H — —.
Moͤchten doch die Großen nicht auf Koſten des Publi-
kums ihre Dankbarkeit aͤußern wollen! Die Schande
faͤllt doch zuletzt auf ihr eignes Haupt; aber der Nach-
theil — aufs Publikum. Doch Mancher ſteht ſelbſt
auf einem zu ſehr verfehlten Poſten, um den ange-
meßnen fuͤr Andere nicht wieder zu verfehlen! — Und
daraus pflege ich ſo nach meiner Art zu folgern: daß
entweder die Goͤtter ſich um das Irdiſche nicht bekuͤm-
mern, oder daß noch ein Zeitpunkt ſeyn muͤſſe, wo das
alles (der allgemeinen Gerechtigkeit wegen) wieder ins
Gerad gebracht werden wird. — Es iſt freilich hierbei
das Seltſame, daß man erſt manchen dummen Streich
erleben muß, um – zur Schadloshaltung – dereinſt
einen klugen zu erleben. – So zirkuloͤs denkt vielleicht
kein Otaheiter! Indeß die Schulen lehren es ſo – und
was die Schulen lehren, muß doch wohl wahr ſeyn! –. Er iſt, als Gelehr-
ter, gar keiner Ruͤckſicht werth, hat auch nicht das
geringſte geſchrieben, woraus man auch nur einen
Schein von gelehrter Einſicht erzwingen koͤnnte. Er
las, als ich in Gießen war, uͤber des Jenaͤiſchen
D. Danovs Dogmatik: weil ihm das Latein dieſes
Buches zu hoch war — machte er manches quid
pro quo. In der Frankfurter gelehrten Zeitung iſt
ihm einmal ein lateiniſches Exercitium, dem er den
Titel Programm gegeben hatte, haͤßlich korrigirt
worden. Da gab es mehr als vierzig derbe Gram-
matikalien! Er iſt uͤberhaupt ein Mann, der ſich
zum Profeſſor durchaus nicht ſchickt. Auf der Kan-
zel iſt ſein Vortrag elend, wie im Kollegium; daher
iſt ſeine Kirche und ſein Auditorium gleich leer.
Von ſeinem Karakter weiß ich nichts zu ſagen:
wer ihn zwar ſo ſieht und hoͤrt, ſollte ihn fuͤr einen
ſchleichenden Jeſuiten halten; aber davon muß ich
ihn frei ſprechen: denn zum Jeſuiten fehlt ihm alles.
Sonſt hoͤrt er gern Stadtmaͤhrchen, und erzaͤhlt der-
gleichen gern, wie alle Muͤßiggaͤnger oder Kleingei-
ſter und Schadenfrohe. Er iſt aber von daher in
manche Klatſcherei verwickelt worden, die ihm man-
che truͤbe Stunde gemacht hat.
Zu den Juriſtiſchen Profeſſoren gehoͤrten auſſer
Koch und Hoͤpfner noch die Herren Gatzert und
Jaup. Herr Gatzert iſt jetzt in Darmſtadt, und
Herr Jaup ſpielt gern l'Hombre. Seine Schweſtern
zaͤhlte man zu meiner Zeit in die Zahl der Gießer
Schoͤnheiten.
In der Mediciniſchen Facultaͤt kannte ich nur
den Bergrath Baumer, und den Profeſſor Ne-
bel. Letzterer war ein rechtſchaffener Mann, der
an keinen Kabalen der Univerſitaͤt Theil nahm, und
ein guter Geburtshelfer. Baumer war ehemals
Geiſtlicher geweſen; hatte aber aus guten Gruͤnden
die liebe Theologie mit der Medicin vertauſcht, und
in der letztern viel geleiſtet. Sonſt war er ein Mann,
der einen maſſiven Ton fuͤr deutſche Freimuͤthigkeit
hielt.
Unter den Philoſophen muß ich hier einen Mann
nennen, der ſo viel und wohl noch mehr wehrt war,
als die uͤbrige ganze Univerſitaͤt, ſowohl in Abſicht
der Gelehrſamkeit, als auch der Rechtſchaffenheit
und des Biderſinns. Dieſer Mann war der verſtor-
bene Profeſſor Boehm. Wenig Maͤnner habe ich
gekannt, die mit dieſem trefflichen Manne zu verglei-
chen waͤren. Ob er orthodox war, kann ich nicht
ſagen, wenigſtens zog er in ſeinen Vorleſungen nicht
ſelten auf die Theologen und Pfaffen los, ließ ſich
aber weiter nichts merken, wahrſcheinlich aus Furcht
vor den — Juden. Daß Boͤhm eine gruͤndliche Kennt-
niß, beſonders in der Mathematik gehabt hat, beweiſen
ſeine Schriften: daß er der redlichſte Mann geweſen
ſey, muͤſſen alle geſtehen, die ihn gekannt haben.
Der Profeſſor Koͤſter war vor Zeiten Paſtor
zu Wallertheim in der Pfalz, und hernach Prorector
zu Weilburg. Ich muß geſtehen, daß er viel hiſto-
riſche Kenntniſſe beſitzt, welches ſeine Schriften auch
bezeugen. Um nicht partheiiſch zu ſcheinen, enthalte
ich mich alles weitern Urtheils uͤber ihn: er iſt mein
Vetter.
Die uͤbrigen Herren Profeſſoren der Philoſo-
phie, als Herr Kleveſahl, Herr Link, Herr
Piehl, wie auch Herr Doctor Snell, waren
ſammt und ſonders truͤbſelige Ignoranten, die ſehr
ſelten ein Kollegium zu Stande brachten, und gaͤnz-
lich in Dunkeln vegetirten. Herr Link hatte arabiſch
buchſtabiren gelernt, und fing an, uͤber des Erpe-
nius Grammatik ein Arabicum zu leſen. Da kam
ein Student, welcher den Ritter Michaelis in Goͤt-
tingen uͤbers Arabiſche gehoͤrt hatte, und widerſprach
ihm oͤffentlich im Kollegium — und die Arabiſche
Lektion hatte ein Ende. Link iſt hernach Dorfpaſtor
geworden.
Das waͤre nun eine kurze Nachricht von jenen
Profeſſoren, welche ich in Gießen kennen gelernt ha-
be. Nimmt man alles zuſammen; ſo ergiebt ſich,
daß (auch die luſcos reges inter coecos mitge-
zaͤhlt) in der theologiſchen Fakultaͤt nur Ein Mann
war, der etwas leiſten konnte, und dieſer Mann
war — ich muß es geſtehen — Herr D. Bahrdt.
Der alte Benner konnte vor hohem Alter beinahe
nicht mehr leſen, und was es las, war ſo alt-moͤn-
chiſch-orthodox, daß es ſich auch fuͤr unſre ortho-
doxern Zeiten nicht ſo recht mehr ſchicken wuͤrde.
D. Bechtold und Ouvrier waren theologiſche
Kruͤppel, immer einer truͤbſeliger, als der andre.
Herr Schulz fing erſt nach Bahrdts Abſchied an,
eigentliche Theologie vorzutragen, ja man konnte
recht merken, daß er erſt damals anfing, Theologie
zu ſtudiren. Er ſchrieb ganze Stellen aus Gru-
ners deutſcher Dogmatik und andern dergleichen
Buͤchern woͤrtlich ab, und trug ſie ſeinen Zuhoͤrern
huͤbſch wieder vor.
In der philoſophiſchen Fakultaͤt wuͤßte ich aus
jener Zeit niemanden vorzuͤglich zu nennen, als die
Herren Boͤhm und Koeſter, obgleich dieſe auch
von ſehr betraͤchtlicher Verſchiedenheit waren. Noch
zu meiner Zeit kam Herr Schlettwein in dieſe
Fakultaͤt, und ward ihre Zierde.
Von den Medicinern will ich noch anmerken,
daß innerhalb den drei Jahren, und druͤber, die ich
in Gießen verlebt habe, nur ein einziger Kadaver auf
dem anatomiſchen Theater iſt ſecirt worden. Der-
gleichen herrliche Anſtalten ſind da getroffen, die Wiſ-
ſenſchaften in Flor zu bringen!
Der Grund von der aͤuſſerſt elenden Beſetzung
der Profeſſorſtellen — ich rede noch immer von der
Zeit, als ich nach Gießen kam — iſt nicht ſchwer zu
entdecken. Die Profeſſoren ſind meiſtens Landeskin-
der, welche auſſer Gießen nicht ſtudirt haben. Sie
kennen alſo nur den hergebrachten Schlendrian der
Gießer Univerſitaͤt: und da wird denn das Ding fort-
geſetzt, wies von alten Zeiten her gewoͤhnlich war.
Selten wird ein Auslaͤnder dahin berufen, oder wird
es ja einer; ſo hat er ſeine liebe Noth. Die ehrli-
lichen Maͤnner Bahrdt, Kartheuſer, Koͤſter, ſelbſt
Koch und mein Panegyriſt, Signor Schmid, haben
erfahren, was es heißt, in Gießen Profeſſor zu
ſeyn, ohne ſeinen Stammbaum von denen herleiten
zu koͤnnen, welche unter Philipp, dem Groß-
muͤthigen, der Reformation beigetreten ſind. Zu
Heidelberg iſt das noch aͤrger, wie auch zu Mainz:
doch davon zu ſeiner Zeit.
Daß auch Auswaͤrtige, um dieſe Zeit, die Gie-
ßer Univerſitaͤt nicht hoch geachtet haben, zeigt eine
Anekdote, welche mir der jetzige Profeſſor zu Gießen,
Herr Roos, erzaͤhlt hat, als ich vor einigen Jah-
ren da war. Ich will ſie hier anbringen.
Nach dem Abſterben des Profeſſors Wolff wur-
de der Lehrſtuhl der orientaliſchen Sprachen erledigt.
Das Kuratorium glaubte, daß der Profeſſor Klotz
zu Halle auch in dieſem Fache gelehrt ſey, und both
ihm die Stelle an. Klotz dankte fuͤr die Ehre aus
guten Gruͤnden. Er verſtuͤnde, ſchrieb er in ſeiner
Antwort, zwar kein Hebraͤiſch, noch ſonſt etwas
Orientaliſches; doch ceteris paribus ſollte ihn das
nicht abhalten, die Profeſſur anzunehmen, indem
er, binnen vier Wochen, ſoviel von dergleichen zu ler-
nen gedaͤchte, als die Gießer Studenten nimmermehr
brauchen wuͤrden. —
Wenn es uͤbrigens wahr iſt — wie es nur ein
Strohkopf, ein wahrer Quodammodarius leugnen
kann — daß aͤchtes Studium der Philologie, der
Philoſophie und der Geſchichte die Grundfeſte aller
wahren Gelehrſamkeit ausmachen; ſo muß jeder ohne
mein Erinnern einſehen, daß in Gießen zu der Zeit,
als ich mich daſelbſt aufhielt, blutwenig Gelehrſamkeit
zu holen war. Der alte Boͤhm las zwar philoſophi-
ſche Kollegien; aber das war weiter nichts, als
Wolffiſche Logik und Wolffiſche Metaphyſik: uͤber die
uͤbrigen Theile der Weltweisheit las kein Menſch, das
Jus naturae ausgenommen, welches Herr Hoͤpfner
fuͤr Juriſten erklaͤrte nach Achenwall: die Geſchichte
der Philoſophie, die Aeſthetik und die zu dieſen Wiſ-
ſenſchaften gehoͤrige Litteratur waren ganz unbekannte
Dinge.
In der Philologie ſah es noch ſcheußlicher aus.
Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie
man ſagt, publice, die fundamenta Styli; ver-
ſtand aber ſelbſt den lateiniſchen Styl ſo wenig, daß
er alle Augenblicke wider die Grammatik verſtieß,
wenn er als Profeſſor der Eloquenz eine lateiniſche
Rede — vorm lateiniſch Schreiben nahm er ſich in
Acht — halten mußte. So hielt er einſt eine Rede auf
die Vermaͤhlung des Erbprinzen, woraus ich mir einige
Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be-
kannten daruͤber luſtig gemacht habe. Dergleichen
waren: benedicat Deus principi juventutis (Gott
ſegne den Erbprinzen!) Et noſtram olim curam
geres, o Princeps. Quis eſt, qui vocem no-
ſtram jubeat obmuteſcendam? — Neque eſt
operae pretium, commemorandi. Freilich ſind
dieſe Schnitzer nicht ſo grell, als die, welche Herr
Deinet in dem Ouvrierſchen Exercitium korrigirt
hat; aber fuͤr einen Profeſſor der heiligen Eloquenz
ſind ſie doch immer grell genug.
Eben dieſer Herr Schmid erklaͤrte auch dann
und wann einen lateiniſchen Claſſiker; da war aber
nichts von dem Geiſt, der in den Vorleſungen eines
Heyne zu Goͤttingen oder eines Wolfs zu Halle
ſichtbar iſt: da wurden die Anmerkungen Anderer
z. B. die des Baxters und Geßners uͤber den Horatz,
und Lubini notae zum Juvenal — geritten, daß
es eine Art hatte. Wer den Baxter hatte, konnte
Herr Schmids Lectionen gar wohl entbehren.
Ueber griechiſche Skribenten wurde vollends gar
nicht geleſen, auch nicht uͤber einen einzigen. Da
hieß es, und es heißt vielleicht noch ſo in Gießen:
graeca ſunt: non leguntur. Der jetzige Profeſ-
ſor Roos las damals, als Student, fuͤr ſich den
Homer und andre Griechen: und die Studenten
ſahen ihn als ein Monſtrum der Gelehrſamkeit an.
Eben ſo ging es mir, weil ich Xenophons Kyropaͤdie
und den Anakreon las. — Aber wer haͤtte auch da-
mals Griechiſche Autoren erklaͤren ſollen! Benner
verſtand wohl Griechiſch, wie man aus ſeinen recht
guten Anmerkungen zu Lucians ſomnium de lon-
graevis ſieht; aber der war zu alt und zu ſtolz dazu:
alle andre waren nicht weiter gekommen, als ans
neue Teſtament: und da lieſt ſichs nicht ſo leicht uͤber
griechiſche Skribenten.
In der Geſchichte gings nicht viel beſſer. Herr
Koͤſter erbot ſich zwar immer, uͤber alle Theile der
Geſchichte zu leſen; aber ſelten konnte er einige Kol-
legia zu Stande bringen. Der Geſchmack war ein-
mal verdorben: wer ſeine Brodlectionen gehoͤrt hatte,
fragte viel nach derlei Nebenſachen. Koͤſter mußte
ſogar die Kirchengeſchichte in einem halben Jahre
endigen, wenn er Zuhoͤrer haben wollte.
Das mag hinlaͤnglich ſeyn, um meine Leſer in
den Stand zu ſetzen, ein richtiges Urtheil uͤber die
damalige zweckwidrige Einrichtung der ganzen Gießer
Univerſitaͤt zu faͤllen. Daß ſie auch noch zu jetziger
Zeit nicht viel beſſer iſt, habe ich erſt 1787 er-
fahren.
Manche Eltern glauben noch immer, man koͤnne
auf jeder Univerſitaͤt das Seine lernen, — welches
freilich in Anſehung einiger guter Koͤpfe wahr iſt —
man muͤſſe daher den wohlfeilſten Ort ausſuchen, und
den Herrn Sohn da ſtudiren laſſen. Aber dieſe gu-
ten Eltern verrechnen ſich haͤßlich: vielmehr ſollten
ſie eine Univerſitaͤt waͤhlen, auf welcher die groͤßte
Anzahl der beruͤhmteſten Maͤnner das Fach lehren,
fuͤr deſſen Erlernung ihr Sohn entſchieden iſt, es
ſey nun Medicin, Jurisprudenz, Theologie oder ein
anderes — und wo bei angemeſſenen Beſoldungen,
Bibliotheken und Curatoren die ausgedehnteſte Schreib-
Lehr- und Preßfreiheit herrſchet. Freilich wird auch
da aus Manchem nichts; aber an einem Orte, wie
Gießen, Heidelberg, Rinteln, Mainz, Strasburg
und auf mehr dergleichen Univerſitaͤten, wo Sub-
jekte lehren, die kaum auf einer Trivialſchule lehren
ſollten, oder wo ein Landesherr oder ein Curator
ohne Kopf den Vorſitz fuͤhrt, und alles ſo engbruͤſtig
ſchematiſirt, daß man den Verſtand daruͤber verlie-
ren koͤnnte — wird es vollends gar nichts. Die
Anmerkung iſt freilich bitter, ſie iſt aber wahr, und
deswegen ſage ich ſie gerade hin, wenn ſich auch
Herr Schmid in Gießen, nebſt Konſorten weit und
breit, noch ſo ſehr darob aͤrgern ſollte.
Eilftes Kapitel.
So commerſirten damals die Gießer Burſche!
Zu meiner Zeit waren ohngefaͤhr 250 Studenten in
Gießen, obgleich in allen Zeitungen herumſtand, es
waͤren uͤber 500 da. Aber man darf von dergleichen
nur die Haͤlfte glauben. Im Durchſchnitt trifft das
ſo bei allen Univerſitaͤten ein, z. B. gegenwaͤrtig ſol-
len in Halle 1600, in Jena 1000, in Goͤttingen
1200 Studenten ſeyn — wenigſtens ſagens die ſo,
welche von ſo einer Univerſitaͤt herkommen. — Un-
terſucht man aber das Ding genauer; ſo muß man
die Summe merklich vermindern. — Wem das Blut
noch hoch huͤpft, der macht es nicht anders: er er-
hoͤht und dehnt objectiviſch aus, um ſelbſt ſubjectiviſch
dabei zu gewinnen. Machten es die aͤltern Herren
Geſchichtſchreiber nicht beſſer!
Die Gießer Studenten waren meiſtens Landes-
kinder; doch befanden ſich auch viele Pfaͤlzer, Zwei-
bruͤcker und andre daſelbſt. Der Ton der Studenten
oder der Burſche war ganz nach dem Jenaiſchen
eingerichtet: die vielen relegirten Jenenſer, welche
dahin kamen, um auszuſtudiren, machten damals
das fidele Leben der Bruͤder Studio von Jena in
Gießen zur Mode. Zudem iſt Gießen auch ſo recht
der Ort, wo man auf gut Moſellaniſch hauſiren kann.
Das Maaß Bier, ein volles Rheiniſches, koſtet zwei
Kreuzer, oder ſechs Pfennige Saͤchſiſch. Freilich iſt
es jaͤmmerliches Bier; aber es fuͤllt doch den Bauch,
und macht endlich — uͤbermaͤßig geſoffen — den Kopf
heroiſch. — Wer leugnen wollte, daß der Hauptkom-
ment zu Jena im Bierſaufen beſtehe, wenigſtens noch
vor Kurzem darin beſtanden habe, iſt in Jena nicht
geweſen.
Zu Gießen borgen die Hauswirthe nicht, oder
ſie geben, ſtudentiſch geſprochen, keinen Pump;
hoͤchſtens bekommt auf die Art der Student nur
Milch zum Kaffee. Alles andre muß er ſich ſelbſt
holen laſſen, auch ſelbſt fuͤr ſein Bier ſich im Wirths-
hauſe Pump verſchaffen. Auf den Stuben wird da-
her ſelten gejubelt; vielmehr ſetzt man ſich zuſammen
ins Bierhaus, und zecht auf Rechnung. Das iſt
auch die Urſache, warum alle Kneipen oder Bier-
ſchenken, wo ſonſt Burſche hingehen, zu allen Zeiten,
voll Studenten ſind. In meinen Tagen beſuchte
man beſonders den Rappen, den Stern, die Rei-
berei, die beiden Buſchereien, das Schießhaus den
Stangenwirth Balthaſar, und einige andre. Wein-
haͤuſer beſuchte man ſeltener. Wer nun ein honoriger
Burſch heißen wollte, ging des Abends wenigſtens
in eine dieſer Bierkneipen, ſoff bis zehn oder eilf
Uhr, und ſchob hernach ab. Und daß es noch jetzt
ſo iſt, hab ich erſt vor einigen Jahren ſelbſt wieder
geſehen.
Da man es fuͤr Pedanterie hielt, von gelehr-
ten Sachen zu ſprechen; ſo wurde von Burſchen Af-
fairen diskurirt, und groͤßtentheils wurden Zoten ge-
riſſen. Ja, ich weis noch recht gut, daß man in
Eberhards-Buſch-Kneipe ordentliche Vorleſungen
uͤber die Zotologie hielt, woruͤber ein Kompendium
im Manuſcript da war. Herr Schmid erwaͤhnt in
ſeinem Pamphlet, ich ſelbſt habe in Gießen Profeſſor
Zotarum geheißen: davon werde ich zum Jahr 1777
mehr ſagen.
In Gießen ſind die Kommerſe erlaubt: wir
haben mehrmals auf der Straße kommerſirt, und
das Ecce quam bonum zur großen Freude der Gie-
ßer Nymphen hingebruͤllt. Herr Schmid muß das
recht gut wiſſen: er bewohnte damals des Schuſters
Beſt Haus auf dem Kirchenplatz. — Man ſtellt ſich
alſo leicht vor, daß die Kommerſe bei den taͤglichen
Saufgelagen der Studenten ſehr frequent werden
geweſen ſeyn: und ſo war es auch wirklich. Ich
habe oft vierzehn Tage nach einander alle Tage einem
Hoſpitz oder einem commerſirenden Saufgelage bei-
gewohnt.
Die Hauptbeſtandtheile eines damaligen Gießer
Burſchen oder Renommiſten findet man in einer Be-
ſchreibung, welche man der poetiſchen Laune des
Herrn Hild von Saarbruͤcken zu danken hat. Ich
will ſie meinen Leſern mittheilen. Die Verſe ſind
zwar elend; aber man kann doch hinlaͤnglich daraus
erſehen, was fuͤr Eigenſchaften man an einem hono-
rigen Gießer Burſchen gefordert hat. Man hoͤre
nur!
Wer iſt ein rechter Burſch? – Der, ſo am Tage
ſchmauſet,
Des Nachts herum ſchwaͤrmt, wetzt D. i. Mit dem Degen ins Pflaſter haut, daß die Fun-
ken heraus ſpruͤhen. – –
Der die Philiſter ſchwaͤnzt Nicht bezahlt, anfuͤhrt., die Profeſſores prellt,
Und nur zu Burſchen ſich von ſeinem Schlag geſellt:
Der ſtaͤts im Carcer ſitzt, einher tritt wie ein
Schwein,
Der uͤberall beſaut, nur von Blamagen rein,
Und den man mit der Zeit, wenn er gnug renom-
miret,
Zu ſeiner hoͤchſten Ehr' aus Gießen relegiret.
Das iſt ein firmer Burſch: und wers nicht alſo
macht,
Nicht in den Tag 'nein lebt, nur ſeinen Zweck
betracht,
Ins Saufhaus niemals kommt, nur ins Collegium,
Was iſt das fuͤr ein Kerl? – das iſt ein Draſti-
kum! Ein damals bekannter Schimpfnamen, womit man
Burſche belegte, die anderwaͤrts Thekeſſel genannt
werden.
Was meynen meine Leſer zu dieſem Ideal? Ich
kann ſie aber auf Ehre verſichern, daß alle unſre ſo-
genannten honorigen Burſche demſelben ſo aͤhnlich
waren, wie ein Ey dem andern: nur das Philiſter-
ſchwaͤnzen und Profeſſoresprellen wollte nicht immer
ſo recht gelingen: die meiſten Studenten waren ſehr
nahe zu Hauſe, und folglich hielt es nicht ſchwer, ſie
nach ihrem Abzuge zum Bezahlen gerichtlich anzu-
halten.
Erſter Theil. G
Wer den Gießer Studenten Petimaͤterei ſchuld
giebt, thut ihnen wahrlich Unrecht. Die meiſten tra-
ten einher — nach dem Liedchen — wie die Schwei-
ne. Ein gewiſſer Noͤllner aus dem Elſaß hatte keine
Luſt, das Burſchikoſe mitzumachen; er kam alſo ſel-
ten in die Gelage, und ließ ſich auch ein gutes Kleid
machen. Dies war Loſung genug, ihn nicht ſchlecht
zu verfolgen: in allen Kollegien wurde ihm Muſik
gemacht, und auf der Straße nachgeſchrieen. Das
wurde ſo lange getrieben, bis er endlich abzog, und
nach Goͤttingen gieng: hier konnte er nun freilich
ohne Gefahr, ausgepfiffen zu werden, in ſeinem ro-
then Kleide mit dem ſeidnen Futter ſpaniſch einher-
treten.
In Kleidern verthut der Burſche in Gießen da-
her blutwenig: ein Flauſch iſt ſein Kleid am Sonn-
tag und am Werktag: ſelten hat einer neben dem
Flauſch noch einen Rock. Dann traͤgt er lederne
Beinkleider und Stiefeln: weil aber die ledernen
Beinkleider ſelten gewaſchen werden; ſo ſehen ſie ge-
meiniglich aus, wie die der Fleiſcher.
Nur wenig Studenten in Gießen machen
Knoͤpfe Knopfmachen heißt dem Frauenzimmer aufwarten:
daher Knopfmacher. Dieſe Phraſis iſt auch in Wezlar
bekannt, und ſchon in einem Stuͤck des deutſchen Mu-
ſeums erklaͤrt worden.: das wird uͤberhaupt daſelbſt fuͤr petimaͤ-
triſch und unburſchikos gehalten. Vielmehr giebt es,
oder gabs doch zu meiner Zeit einige, welche das
gute Frauenzimmer bei jeder Gelegenheit proſtituir-
ten. So zogen ſie z. B. auf dem Walle, wenn ſie
ſpatzieren giengen, hinter ihnen her, und wiederhol-
ten laut ein Kapitel aus der Zotologie. Herr Hand-
werk, Oekonom der Univerſitaͤt, hatte eine ganz
huͤbſche Tochter, Minchen, welche was ehrliches ge-
neckt wurde. Die Studenten kamen des Abends vor
ihr Haus, und ſchrien: Minchaͤ as de ham gießt,
as de die Schwernuth krieſt Mienchen, willſt du nach Hauſe gehen, oder du ſollſt
die Schwerenoth kriegen.. Mit dieſen Worten
hatte ſie ihr Vater einmal nach Hauſe geholt.
Noch eins! Die Tochter des R.Raths Reuß
hatte ſich mit einem Muſenſohn zuweit eingelaſſen.
Zum Ungluͤck erfuhren die Studenten, daß die Heb-
amme zu ihr gerufen ſey: Fluchs zogen ſie vor das
Haus, und machten eine Katzenmuſik, wobei die
ſchaͤndlichſten Lieder geſungen wurden. Der R.R.
beſchwerte ſich bei dem Rektor; aber der freute ſich
ſelbſt uͤber den ſchnurrigen Einfall ſeiner Burſche, und
ließ es gut ſeyn.
Schlaͤgereien ſind in Gießen gar nicht ſelten.
So klein die Univerſitaͤt iſt, ſo viel Balgereien fallen
vor: manchmal haben ſie einen gefaͤhrlichen Aus-
gang. Zu meiner Zeit war es gewoͤhnlich, ſich auf
der oͤffentlichen Straße zu ſchlagen, und dies als-
dann, wenn man zum voraus gewiß war, daß es
wuͤrde verrathen werden. In dieſem Falle gieng der
Herausforderer vor das Fenſter ſeines Gegners,
nahm ſeinen Hieber Der Stoͤßer diente zu geheimen Schlaͤgereien., hieb damit einigemal ins
Pflaſter, und ſchrie: pereat N. N. der Hundsfott,
der Schweinekerl! tief! pereat! pereat! Nun
erſchien der Herausgeforderte: die Schlaͤgerei gieng
vor ſich, endlich kam der Pedel, gab Inhibition,
und die Raufer kamen aufs Carcer: und ſo hatte der
Spaß ein Ende.
Bordelle giebt es in Gießen nicht; aber doch
unzuͤchtige Menſcher, und folglich auch — wie jetzt
leider auf jeder Univerſitaͤt — veneriſche Krankhei-
ten. Was fuͤr fuͤrchterliche Folgen hieraus entſtehen,
lehrt die taͤgliche Erfahrung. Der luͤſterne Juͤng-
ling laͤßt ſich hinreißen, zumal der, den der kurz-
ſichtige Vater oder Lehrer von allem Umgang mit
Maͤdchen entfernt gehalten hat. Er wird inficirt.
Sein irriges Ehrgefuͤhl haͤlt ihn zuruͤck, ſich einem
geſchickten Arzte zu entdecken. Dieſer iſt ihm zu be-
ruͤhmt, zu anſehnlich. Um ſich weniger ſchaͤmen zu
muͤßen, vertraut er ſich einem noch ſtudierenden Me-
diciner, oder einem Feldſcheerer an — und wird —
verpfuſchert. Denn wenn je in einer Krankheit ge-
pfuſchert wird; ſo geſchieht es in der veneriſchen nach
allen ihren Aeſten und ſchoͤnen Abſtufungen. Und
doch iſt in keiner Krankheit das Pfuſchern gefaͤhrli-
cher, als eben in dieſer. Jeder Bartkratzer, jeder
Junge, der kaum zur Ader laſſen kann, giebt ſich
hier fuͤr einen erfahrnen Doktor aus. Einige Infi-
cirte ſind gar ſo kuͤhn, ihre Kur nach Buͤchern oder
auspoſaunten Zeitungs-Arkanen ſelbſt zu uͤbernehmen.
Wer kann hier genug warnen! Mehr als fuͤnfhun-
dertmal habe ich es erlebt, daß unwiſſende Quackſal-
ber oder voreilige Bloͤdlinge aus einem kleinen Uebel
von der Art, ein rechtfuͤrchterliches, ja unheilbares
gemacht haben Sonderbar iſt es, daß der groͤßte Theil der inficirten
Studenten gerade Theologen — Schullehrer- und
Prediger-Soͤhne — geweſene Wayſenhaͤusler oder —
uͤberhaupt ſolche ſeyn ſollen, die man zu Hauſe oder
auf Paͤdagogien, und andern eingeſchraͤnkten
Schulanſtalten zur Univerſitaͤt vorbereitet hat. — Noch
ſonderbarer iſt es, inficirte Stipendiaten — man
merke dies fuͤr Halle! — ſo bald ſie entdeckt werden,
des Stipendiums verluſtig zu erklaͤren. Zur Schaam,
ſich einem geſchickten Arzte zu entdecken, kommt hier
ja noch Furcht vor Verluſt hinzu! und das erſchwert
die Kur noch mehr. Er mag nun wollen oder nicht —
er faͤllt Pfuſchern in die Haͤnde, und verpflanzt, als
halbgeheilter, uͤber kurz oder lang, ſein Gift weiter:
ja, er bringt es nach Gegenden, wo es vorhin viel-
leicht noch unbekannt war, und macht auf dieſe Art
ſeine wuͤrkliche Suͤnde zur Erbſuͤnde, wider die weder.
Die fieberhafte Hitze, brav Hefte nachzuſchmie-
ren, plagt die Gießer Studenten nicht, wenigſtens
zu meiner Zeit nicht, wenn man die Pandecten-
Schuͤler des Kanzlers Koch ausnimmt. Dieſer hielt
keinen Studenten fuͤr fleißig, welcher die vorgetra-
gne Weisheit nicht ſchriftlich eintrug, oder doch we-
nigſtens einige Bemerkungen daruͤber nachſchrieb.
Auf andern Univerſitaͤten hab ich immer ruͤſtige Hef-
tenſchreiber gefunden; nirgends aber aͤrger als in
Halle. Hier fuͤllen die Studenten viele Quartbaͤnde
mit akademiſcher Kollegien-Weisheit an, und ſchrei-
ben oft Dinge nach, welche in dem Kompendium
weit beſſer ſtehen, als in ihren Heften, oder gar
nicht zur Sache gehoͤren. Das macht aber in Gieſ-
ſen, daß die Profeſſoren alle uͤber gedruckte Buͤcher
leſen, und durchaus nicht dictiren, und dadurch das
Hefteſudeln verhindern. Einige Zuhoͤrer moͤgen
wohl auch den Vortrag ihrer Lehrer keiner ſchriftli-
chen Bemerkung werth finden, — und andern mag
es an Vorkenntniſſen fehlen, um Spreu von Korn
zu unterſcheiden.
In Goͤttingen wird freilich auch nachgeſchrieben,
aber doch nicht ſo, wie in Halle. Dies Unweſen
Taufe noch Exorcismus etwas vermoͤgen. — Hierauf
mit Ernſt Ruͤkſicht zu nehmen, iſt wahrlich mehr Ver-
dienſt, als mit ſpaniſcher Inquiſitionswuth auf theolo-
giſchen Unſinn zu dringen!
hat auch die vorige Herbſtmeſſe eine ſehr uͤble Folge
fuͤr einen Halliſchen Profeſſor gehabt. Ein Student
hatte naͤmlich die juͤdiſche Geſchichte, ſo wie ſie Hr.
D. Knapp vortrug, nachgeſchmiert, und ſie her-
nach in Leipzig drucken laſſen. Und das wird, wie
ich befuͤrchte, noch oͤfter geſchehen. Mit den exege-
tiſchen Heften des Hn. D. Noͤſſelt, und der The-
rapie des ſeel. Oberbergraths Goldhagen Herr Boͤhm, ein Arzt und Herr Hecker, jetzt Pro-
feſſor der Medicin zu Erfurt, haben ſich hieran zu Rit-
tern geſchlagen; doch der letztere mit mehr Verdienſt,
als der erſtere. iſt es
nicht beſſer gegangen. — Außerdem rechnet der Nach-
ſchmierer auf das Bleibende ſeiner Hefte, und verſchiebt
eben darum das Durchdenken und Wiederholen —
oft bis zur Ewigkeit. Einige ſchreiben auch zu ſchnell
nach, um ihr Gekratztes dereinſt nicht ſelbſt eckelhaft
oder unleſerlich zu finden. In Gießen moͤchte der
Abdruck der Hefte freilich nicht zu befuͤrchten ſeyn,
wenn auch alles nachgeſchrieben wuͤrde: denn wel-
cher Verleger wuͤrde wohl die Vorleſungen eines Hrn.
Bechtolds, Schmids u. a. in Verlag nehmen?
Zwoͤlftes Kapitel.
Leider auch ich ward burſchikos!
Ich fand zu Gießen einige Landsleute, welche mich
zuſtutzten und mit dem Kommang, ſo wie ich ihn
hier beſchrieben habe, vertraut machten. Ich ſah
die Burſche, ich bewunderte ſie und machte ſo recht
affenartig alles nach, was mir an ihnen als heroiſch
auffiel. Da ich bemerkte, daß die meiſten den Hut
queer trugen; ſo trug ich meinen auch ſo, und gefiel.
Zum Ungluͤck war gleich nach der Abreiſe meines Va-
ters in Wieſek ein Kommers: ich wohnte demſelben
bei, mußte uͤber zehn Maaß Bier zur Strafe aus-
leeren, weil ich die Kommerslieder nicht auswendig
wußte, und erwarb uͤber dreißig Dutzbruͤder! Wer
war froher als ich! Dreißig honorige Burſche, die
ich von dem Augenblick an Du heißen durfte!
Calvin mag ſich kaum ſo gefreut haben, uͤber die
Quaalen des braven Servets in den Flammen, als
ich mich freuete, da ich den Degen am Balken be-
trachtete, woran die Huͤte und mit ihnen die Bruͤ-
derſchaften angeſpießt waren! Ich ſahe mich nun
mit ganz andern Augen an, als zuvor, und ward
um ſo eifriger in dem edlen Vorſatz, ein recht hono-
riger Burſch zu werden.
Hierzu zeigte ſich auch bald Gelegenheit. Es
ſtudirte ein gewiſſer von Avemann in Gießen, ein
Erzrenommiſt und Schlaͤger, vor dem man gewiſſen
Reſpekt aͤußerte, ob er gleich an Liederlichkeit ſeines
gleichen nicht mehr hatte. Es ſchien ihm ſogar
der geſunde Menſchenverſtand zu fehlen. Dieſer
Avemann nannte oder ſchalt mich einſt auf dem
Schießhaus — Fuchs. Ich nahm das Wort
haͤßlch auf: denn meine Kameraden hatten mir auf-
gebunden, mich durchaus nicht Fuchs, kraſſen
Kerl u. ſ. w. nennen zu laſſen. Alſo trat ich zu
ihm, und verbath mir den Ehrentitel. Avemann
lachte mir ins Geſicht, woruͤber ich ſo erboßte, daß
ich ihn einen dummen Jungen nannte. Hierauf
hob er die Hand auf, um mich zu maulſchelliren.
Meine Freunde hielten ihn zuruͤck, und erklaͤrten dem
Großſprecher, daß er Desavantage ſey, und daher
von mir Satisfaktion fordern muͤßte. Avemann
ergrimmte ſchrecklich: denn nichts konnte ihm em-
pfindlicher ſeyn, als daß er, ein Erzrenommiſt, von
einem Fuchs Genugthuung fordern ſollte. Aber es
mußte einmal ſo ſeyn! Der uͤbermorgige Tag wurde
alſo zur Balgerei feſtgeſetzt. Ich hatte mich zwar
ſchon vorhin etwas im Fechten geuͤbt; jetzt aber ga-
ben ſich meine Freunde alle Muͤhe, mich ein wenig
mehr einzuſchuſtern in dieſe edle Kunſt, um doch
nicht ganz als Naturaliſt aufzutreten.
Wir ſchlugen uns nun wirklich. Avemann ver-
letzte mir ein klein wenig den Arm; ich ihm aber
derber ſein Collet — und der Skandal hatte ein En-
de. Nachdem wir Frieden gemacht hatten, ſahen
alle Anweſende mich mit Augen an, die vor Freude
und Beifall funkelten: da war Bruder Laukhard
hinten und Bruder Laukhard vorn! jeder wuͤrdig-
te mich ſeiner beſondern Freundſchaft — und ich
Thor war uͤber den Ausgang dieſes Handels ſo be-
geiſtert, als kein General es ſeyn kann, wenn er
eine Menſchen-Schlacht gewonnen hat!
Ich weiß nicht, ob der Rektor den Vorfall
klagbar erfahren hat: ich wenigſtens bin deshalb
nicht zur Verantwortung oder Strafe gezogen wor-
den. Daß aber doch etwas davon entdeckt worden
ſey, folgere ich aus den Vorwuͤrfen daruͤber, die der
Kanzler Koch mir kurz darauf vor dem akademiſchen
Gerichte gemacht hat. Genug, man hat wahrſchein-
lich von der Sache gerichtlich nichts wiſſen wollen,
und das vielleicht wegen der Mutter meines Ge-
gners, der Frau Geheime-Raͤthin von Avemann, die
damals ſich zu Gießen aufhielt. Waͤre auch eben
dieſe Dame hernach nur nicht in des Herrn Prof.
Hoͤpfners Haus gezogen, ihr Sohn waͤre wahrlich
nicht relegirt worden, ſo ſehr tolle Streiche er auch
weiterhin getrieben haͤtte. Allein kaum war ſie ein-
gezogen; ſo fiel auch gleich ein Theil des Grolls,
womit Herr Kanzler Koch den Herrn Prof. Hoͤpfner
verfolgte, auf ſie, und Avemann wurde relegirt. —
So gerecht verfuhr dieſer Inhaber der Gerechtigkeit
zu Gießen! Herr Schmid mag das nun leugnen,
wenn er kann: die Leute in Gießen wiſſen aber das
alles recht gut, und die Frau von Avemann kann be-
zeugen, wie diskret der Kanzler Koch in Ruͤckſicht
auf ſie verfahren iſt. Doch was kuͤmmern uns die,
die draußen ſind!
Nach meiner ritterlichen That wurde ich in eine
geheime Gießer-Studenten-Geſellſchaft aufgenom-
men, die nun glaubte, ein ſehr reſpektables Mitglied
in meiner Perſon zu acquiriren. Die Geſchichte da-
von iſt lang: ich will ſie aufſparen.
Ich hatte in meinem Vaterlande zwar derb ler-
nen Wein trinken, wie meine Leſer aus dem vorher-
gehenden wiſſen koͤnnen; aber Schnapps war nie in
meinen Mund gekommen. Das Brandtweintrinken
wird uͤberhaupt in der Pfalz gleichſam fuͤr ſchaͤndlich
gehalten Ein guͤnſtiges Vorurtheil! Es foͤrdert den Abſatz und
Anbau des Weins, und beuget dort dem Kornmangel
vor, der aus ſtark betriebner Brandtweinbrennerei ent-
ſtehen wuͤrde. Und dann ein Pfaffenland!!. Die Trunkenheit haͤlt man nicht fuͤr
ſchaͤndlich; nur das Vehikel, wodurch ſie entſteht!
Ich hatte zwar einen ganz artigen Wechſel; aber der
wuͤrde nicht zugereicht haben, wenn ich haͤtte taͤglich
Wein trinken wollen. Alſo da doch manchmal eine
Schnurre paſſiren ſollte; ſo ahmte ich meinen hono-
rigen Bruͤdern nach, und trank — Schnapps.
Der Gießer Schnapps iſt, wie das Bier, ſehr
elend: er hat einen Geſchmack, wie wenn er mit
Rauch von Nußlaub geraͤuchert waͤre. Dabei iſt er
ſehr wohlfeil: wer fuͤr ſechs Kreuzer oder achtzehn
Pfennige trinkt, ohne ganz berauſcht zu werden,
muß ein kapitaler Saͤufer ſeyn Zu Gießen iſt das Brandtweintrinken mehr als viel-
leicht an einem Ort in Deutſchland Mode: daher giebt
es dort auch die groͤßten Saͤufer. Ein gewiſſer Huſa-
ren Korporal, Faſian, konnte drei Schoppen (etwas
uͤber anderthalb Kannen) einſchieben, ohne zu taumeln.
Habeat ſibi!.
Eines Tages kommerſirten wir in Schnapps
auf dem Schießhaus bei Balzer. Mein vieles pro
poena trinken brachte mich von Sinnen. Eben
dies widerfuhr noch vier andern von der Geſellſchaft.
In der Beſoffenheit trieben wir allerhand Muthwil-
len. Endlich taumelten wir in die Stadt herein —
es war noch heller Tag — und ſetzten unſer baechan-
tiſches Weſen fort. Auf der Straße fiel ich hin
nebſt noch einem, und man mußte uns zu Hauſe
tragen.
Am folgenden Tag wurden wir auf den Senat
vorgefordert zur Unterſuchung der Sache. Das war
ſchon recht: denn ſolchen Exceſſen ſollte billig jedes-
mal geſteuert werden. Der damalige Rektor der
Univerſitaͤt, Herr Schulz, hielt es fuͤr hinlaͤnglich,
uns unſere Ausſchweifung zu verweiſen, und unter
der Androhung einer ſchaͤrfern Ahndung im Wieder-
holungsfall zu entlaſſen. Allein der Kanzler Koch
war andrer Meinung. Man vernehme — warum?
Einer von uns vieren, Namens Schacht aus Dil-
leburg — ich muß die Leute recht genau beſchreiben,
blos um des Herrn Schmids willen, damit der
Mann doch wiſſe, wo er die Belege zu meinen Be-
hauptungen finden kann — alſo Schacht aus Dille-
burg, Student der Medicin, hatte kurz vor unſerm
Tumulte den aͤlteſten Sohn des Kanzlers, einen
ausgelaſſenen Jungen, der Schachten geneckt hatte,
derb maulſchellirt, und einen dummen Buben ge-
ſcholten. Das war in den Augen des Kanzlers ein
crimen laeſae majeſtatis, welches er gewiß mit
Carcer und Arreſt geraͤcht haͤtte, wenn die groͤßte
Schuld nicht ſelbſt auf ſeinen Sohn Ich ſpreche noch mehr von dem guten Menſchen: er
hat ſeinem Vater tauſend Verdruß gemacht, iſt endlich
franzoͤſiſcher Soldat geworden u. ſ. w. gefallen waͤre.
Er mußte alſo die Beleidigung fuͤr dasmal einſtecken.
Aber hier nun zeigte ſich eine Gelegenheit, ſeine Rach-
ſucht ſcheinrechtlich zu befriedigen. Er ſagte alſo
dem Rektor vor Gericht gerade heraus: „Ein Ver-
weis waͤre nicht hinlaͤnglich, wir muͤßten exemplari-
ſcher beſtraft werden — Schacht insbeſondere.“ —
Der Rektor, der ſich vor Kochs Allmachtswort fuͤrch-
tete, gab nun nach, und ſo kamen wir jeder zwei
Tage, Schlacht aber vier Tage ins Carcer. Auſſer-
dem mußten wir noch die Relegation unterſchreiben,
das heißt, verſprechen ſchriftlich, daß wir uns gern
wollten relegiren laſſen, wenn wir uns wieder gegen
die Geſetze vergehen wuͤrden. — So exemplariſch
raͤchte ſich Herr Koch! —
Ich ſtellte mir dieſe Unterſchrift als etwas vor,
das wichtige Folgen haben koͤnnte; aber meine Be-
kannten erklaͤrten mir das Ding anders: ſie nannten
es eine akademiſche Spiegelfechterei, und ſo vergieng
mir die Furcht.
Nicht lange nach meiner Ankunft zu Gießen
wohnte ich auch einem Kreuzzuge bei. Das Ding
war ſo: Sechs derbe Burſche bewaffneten ſich mit
Flinten und dem Zugehoͤr, und marſchirten gegen
Abend auf ein Dorf, etwa zwei Stunden von der
Stadt. In dieſem Dorfe wurde derb gezecht, und
dann gieng der Zug auf ein anderes. In jedem
Dorfe wurden die Bauern perirt, die Flinten losgeſchoſ-
ſen, dem Nachtwaͤchter das Horn genommen, wild
darauf geblaſen: kurz, ein Spektakel verfuͤhrt, daß
alle Bauern in Harniſch geriethen. Wagten ſie es
dann, ſich uns zu widerſetzen; ſo wurde ihnen ge-
droht, daß, ſobald ſie ſich weiter mokirten, wir ſcharf
auf ſie feuren wuͤrden, ohne die Ankunft unſrer uͤbri-
gen Kameraden abzuwarten: wir waͤren, wer weis
wie ſtark! Wuͤrden ſie aber Friede machen; ſo woll-
ten wir abziehen und dergl. In einigen Doͤrfern
wurde wirklich auf dieſe Art Friede gemacht; aber in
Buſeck, wohin wir gegen Tages Anbruch kamen,
und wo wir weit aͤrger tobten, als vorher irgendwo,
wollten die Bauern von kapituliren ſo wenig wiſſen,
daß ſie uns, nachdem wir eine blinde Salve auf ſie
gegeben hatten, dergeſtalt durchkeilten, daß es uns
vergieng, den Kreuzzug fortzuſetzen. Freilich haͤtte
mich dies witzigen ſollen, dergleichen Kreuzzuͤgen nicht
wieder beizuwohnen: gefaͤhrlich waren ſie immer
und ſehr tief unter der Wuͤrde eines Univerſitaͤters,
aber — wie man iſt! Mein Leichtſinn, mein ſtu-
dentiſcher Heroismus verleiteten mich noch dreimal
dazu!
Dreizehntes Kapitel.
Thereschen kommt wieder zum Vorſchein.
In dem wilden Leben vergaß ich ganz meines The-
reschens, oder beſſer zu ſagen, die Burſchenphrene-
ſie bemaͤchtigte ſich aller meiner Sinne ſo ſehr, daß ich
an ſie nicht denken konnte. Freilich fiel ſie mir mehrmals
ein: allein der ſtaͤrkere Gedanke, daß ich Burſch
waͤre, und nun als Burſch leben muͤßte, verſcheuch-
te ſogleich das Bild des guten Kindes, und jagte
mich zum Balzer oder zum Eberhardt-Buſch.
An einem Sonntage, — es war der Sonntag
Exaudi 1775, — wollte ich eben mit meinem
Freund Diefenbach nach Reiskirchen gehen, wo
er zu Hauſe war, drei Stuͤndchen von Gießen.
Diefenbach und ich waren die innigſten Freunde. Er
war, ob ich gleich Fuchs, und er ſchon ein alter
Burſche war, doch mein Schuͤler im Lateiniſchen
und Hebraͤiſchen. Da nun einige Tage Vacanz
einfielen; ſo wollten wir dieſe bei ſeinem Vater, ei-
nem altem kreutzbraven Manne, zubringen. Wir
waren ſchon beinahe am Thor, als der Poſtbote
Linker Herr Schmid meint, ich habe ſo ein ungetreues Ge-
daͤchtniß: aber ſehen Sie, Herr Schmid, daß ich ſogar
den Namen des Gießer Poſtboten noch weis — mir zwei Briefe uͤberreichte: den
einen von meinem Vater, mit etwas Geld von mei-
ner Mutter; den andern, wie ich aus der Hand der
Aufſchrift ſchloß, von meinem Onkel, dem Pfarrer
zu Oppenheim. Ich gab dem Linker ſeine Gaben,
und ſteckte die Briefe zu mir, um ſie in Reiskirchen
mit voller Muße zu leſen. In Reiskirchen konnte
ich erſt den Abend beim Schlafengehen Zeit dazu ge-
gewinnen: der ganze Tag wurde mit lauter erhei-
ternden Zerſtreuungen hingebracht, und dann hatte
die Schweſter des Herrn Diefenbachs, ein liebens-
wuͤrdiges Landmaͤdchen, jetzt die wuͤrdige Gattin des
Herrn Rectors Roͤmheld in Geudern, mich entzuͤckt,
ſo ſehr entzuͤckt, daß ich beinahe vergeſſen haͤtte, daß
ich Burſche war.
Auf meinem Schlafzimmer oͤffnete ich meine
Briefe, und las den meines Vaters zuerſt: er war
lateiniſch mit vielen griechiſchen Verſen aus dem Ho-
mer, Theokrit u. a. nach ſeiner Gewohnheit ausge-
ſchmuͤckt. Nachher oͤffnete ich den meines Onkels;
aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getaͤuſcht
fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte!
Lange Zeit konnte ich vor Zittern und Verwirrung
keinen Buchſtaben weiter heraus bringen: endlich
ſucht' ich mich zu faſſen, las mit Beſinnung, und
wurde jetzt nur noch tiefer geruͤhrt. Thereſe meldete
mir, daß ſie ſich in Manheim bei der Frau B....
ihrer Baſe, aufhalte, und machte mir uͤber mein Still-
ſchweigen Vorwuͤrfe. Sie wiſſe, ſchrieb ſie, daß wir
verrathen waͤren, daß mein Vater alles erfahren
haͤtte, und daß er mir nicht haͤtte erlauben wollen,
von ihr Abſchied zu nehmen: daß alſo dies nicht ge-
ſchehen ſey, waͤre leicht zu verzeihen; daß ich aber
von Gießen aus auch nicht einmal an ſie ſchriebe,
Erſter Theil. H
waͤre ihr ein Raͤthſel. Ob ich ſie vielleicht nicht mehr
liebte? u. ſ. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit
waͤre, fuͤgte ſie hinzu, ſo wuͤrde ſie mich bitten, ſie in
Mannheim zu beſuchen.—
Ich bedaure, daß ich dieſen Brief nicht mehr
in Haͤnden habe; ſonſt wuͤrde ich ihn meinen Leſern
mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unſchul-
dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanſchreiber
nachahmen kann — Ich konnte die ganze Nacht nicht
ſchlafen: hundertmal wollte ich aufſtehen, und gerade
hin nach Mannheim laufen: tauſend andere Gedan-
ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich
war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht
ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur-
ſchenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete
mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre ſie gegenwaͤrtig,
klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, ſchwur
ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb-
ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas
ich — wer weis wie oft! — und lernte ihn faſt
auswendig.
Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam,
mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich
meine Verwirrung nicht; aber ſeine Schweſter ſah
mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich
am vergangenen Tage geweſen war. Sie fragte
mich, ob ich vielleicht nicht gut geſchlafen haͤtte?
Niemals beſſer, war meine Antwort. — Diefenbach
hatte ſich auf eine halbe Stunde entfernt, und nach
ſeiner Zuruͤckkunft bat er mich, ihn in den Garten
zu begleiten. Ich thats, und nachdem wir unſere
Pfeiffen geſtopft hatten, fragte Diefenbach ernſtlich:
Hoͤre Laukhard! wie ſiehſt du aus? du machſt ja ein
Geſicht, wie eine verhunzte Grundbirnen-Paſtete!
ſag', was iſt dir?
Ich: nichts Lieber, gar nichts: ich wuͤßte
nicht, was mir fehlen ſollte!
Diefenbach: das muſt du einem Narren
weis machen! dir iſt was begegnet, es ſey nun,
was es wolle!
Ich: ſey verſichert, mir fehlt gar nichts.
Diefenbach: biſt verliebt Kerl, geſteh's
nur; was hilft das leugnen! Nicht wahr, biſt
verſchoſſen?
Ich: In wen denn? Ich glaube, du willſt
mich zum Narren haben!
Diefenbach: (indem er Thereſens Brief
hervorzieht) Sieh, Freund, du muſt deine Korre-
ſpondenz kuͤnftig beſſer verwahren! Meine Schweſter
hat den Brief da droben in der Stube gefunden,
und hat ihn auch geleſen, und ich hab ihn auch ge-
leſen. — Schau, nun leugne, daß du ein verſcham-
merirter Haſe biſt!
Ich: (wie vom Blitz getroffen) du wirſts doch
in Gießen nichts ſagen?
Diefenbach: da muͤßte mich der Gukkuk pla-
gen! meynſt du denn, daß ich ein Draſtikum bin?
Sey nur getroſt: von mir erfaͤhrt der Teufel ſelbſt
kein Wort, und von meiner Schweſter auch
nicht. —
Waͤhrend dieſes Geſpraͤchs war auch Mamſel
Diefenbach in den Garten gekommen, und fing nun
an, mich aufzuziehen; als ſie aber ſah — und ſo
was ſehen die Frauenzimmer eher, als der feinſte
Kritiker ein mendum, — daß ſie mich tief kraͤnkte,
aͤnderte ſie ihren Ton, und theilte meine Empfin-
dung. Nichts iſt labender fuͤr einen Verliebten, als
ein ſchoͤnes Frauenzimmer, das in ſeine Gefuͤhle ein-
ſtimmt. Ich ſchwamm in Seligkeit und gerieth uͤber
dem Lob meines Maͤdchens ſo in Enthuſiasmus, daß
ich vergaß, daß das Lob des einen Frauenzimmers
beinahe allemal die Eitelkeit des andern beleidiget.
Mamſell Diefenbach beſtaͤrkte mich in meinem
Vorhaben, nach Manheim zu reiſen, um Theres-
chen zu beſuchen. Ich blieb noch einige Tage in
Reiskirchen; aber dann konnt' ichs nicht mehr aus-
halten vor lauter Sturm und Drang, wie Meiſter
Klinger ſpricht: ich gieng nach Gießen zuruͤck,
ruͤſtete mich, gab vor, ich wollte meine Bekannten
in Weilburg beſuchen, und begab mich auf die Wan-
derſchaft der Liebe.
Ich machte in einem Tage die Strecke von
Gießen nach Frankfurt, und das zu Fuße. — Nun,
meine Herrn Pſychologen, will ich Ihnen was ſa-
gen, das Ihnen vielleicht nicht ſo leicht zu erklaͤren
ſeyn moͤchte, als die Ideen-formen. Ich war
doch voll von Thereſens Bild, war ihr von ganzer
Seele wieder ergeben: rege Sehnſucht trieb mich zu
ihr hin, kein Gedanke ſtund in mir auf, an dem
die Idee meines Maͤdchens ſich nicht ſogleich ange-
kettet haͤtte; und doch beſuchte ich den Abend, als ich
zu Frankfurt angekommen war, die beruͤchtigte Ma-
dam Agrikola. Wie gieng das zu? –
Den folgenden Tag fuhr ich mit dem Marktſchiffe
nach Mainz, am dritten ſetzte ich mich in eine Re-
tourchaͤſe, war ſchon um eilf Uhr in Worms, und
kam des Abends noch vor dunkel in Manheim an.
Ich logirte im goldnen Stern, wo ich den Wirth
kannte, der ſich nicht wenig wunderte, mich bei ſich
zu ſehen. Sogleich fertigte ich ein Billet in das
Haus der Madame B.... des Inhalts, daß je-
mand aus der Gegend der Mamſel .... da waͤre,
und ſich erkundigte, ob ſie nichts an ihren Herrn
Vater zu beſtellen haͤtte? Abſichtlich gab ich mir ei-
nen falſchen Namen. Der Bothe kam zuruͤck,
brachte mir ein Kompliment von der Mamſel, mit
dem Zuſatz: man wuͤrde ſich freuen, wenn ich ſie
des andern Tages zum Koffe beſuchen wollte.
Wer war froher als ich? Ich ließ mich fruͤh
à la mode de Manheim friſiren, buͤrſtete meinen
Rock fein aus, und marſchirte mit tauſend Herz-
klopfen nach dem Hauſe der Madam B.... in der
Nachbarſchaft der Dominikaner. Thereſe empfing
mich an der Hausthuͤr, gab mir einen Wink, mach-
te mir ein gleichguͤltiges Kompliment auf franzoͤſiſch,
und ſagte ſodann: je vous donnerai une lettre;
onvrez-la, quand vous ferez hors d'ici Ich werde Ihnen einen Brief geben; oͤffnen Sie ihn,
wenn Sie von hier weg ſind..
Die alte Baſe empfieng ſehr hoͤflich, und erkundigte
ſich nach dem Befinden ihres Herrn Vetters, den
ſie noch vor einem Monate; ich aber ſeit einem hal-
ben Jahre nicht geſehen hatte. Thereſe gab mir
waͤhrend des Koffeetrinkens den Brief, den ich ihrem
Vater uͤberreichen ſollte; ich merkte aber wohl, daß
er fuͤr mich war. Ich blieb lange da, und es wur-
de vielerlei geſprochen. Einmal aber haͤtte ich den
ganzen Spaß bald verrathen: denn ich fing an, eine
Gießer Hiſtorie aufzutiſchen, und von Burſchenkom-
ment zu unterhalten. Thereſe ward feuerroth: da
merkte ich erſt, wie dumm ich geweſen war, und
lenkte ein; erzaͤhlte aber doch weiter, nur ſagte ich,
ein guter Freund, der vor kurzem von Gießen ge-
kommen waͤre, haͤtte mir den Jux (Spaß) mitge-
theilt. Die Alte merkte auf die Art nichts. —
Endlich kam ein Schneider, welcher Thereschen das
Maaß zu einem Schlender nehmen wollte. Sie
ging mit ihm ins Nebenzimmer, und da hob ſich
folgendes Geſpraͤch an:
Baſe: Sind Sie denn auch katholiſch?
Ich: O ja! — Mein Vater iſt ja Oberfoͤrſter.
Baſe: Nun, ſo darf ich Sie ja um etwas be-
fragen! Kennen Sie den jungen Laukhard?
Ich: (beſtuͤrzt) O ja, warum ſolte ich den
nicht kennen!
Baſe: Nun, wie iſts denn mit dem?
Ich: (gefaßter) Er iſt jetzt in Gießen: erſt
vor einigen Tagen habe ich einen Brief von ihm er-
halten, worin er mir ſchreibt, daß es ihm recht
gefalle, daß er ſich das Burſchenleben recht zu Nutze
mache, und den Burſchenkomment ſchon ziemlich
verſtehe. Ich muß Ihnen doch einen Begriff machen
vom Burſchenkomment, wie Laukhard mir ihn be-
ſchrieben hat. Sehen Sie, ein rechter Burſch —
Baſe: Laſſen Sie jetzt die Burſche und ihren
Comment — wir haben uͤber wichtigere Dinge zu
ſprechen. Sie wiſſen doch, daß Laukhard auf
Thereſe ein Auge geworfen hat?
Ich: davon weis ich nichts!
Baſe: Nicht? die ganze dortige Gegend iſt
davon voll. Sie werdens gewiß auch wiſſen! Doch
dem mag ſeyn, wie's will; meynen Sie denn im
Ernſt, daß Laukhard es ehrlich meynt?
Ich: Laukhard hat mir immer ein ehrlicher
Kerl zu ſeyn geſchienen.
Baſe: Ja, geſchienen — aber ſeine Auffuͤh-
rund beweiſet ja, daß er ein Schlingel iſt, ein recht
undankbarer Gukkuk, ders gute Maͤdel hat in der
Leute Maͤuler gebracht, verſprochen, er wollte katho-
liſch werden, und dann einmal Thereschen heura-
then: Und jetzt geht der Schlingel hin, und ſtudirt
lutheriſch geiſtlich — pfui!
Ich: Hoͤren Sie, Sie thun vielleicht dem
Menſchen unrecht. Sein Vater iſt ein ſtrenger
Mann: der hat ihn gezwungen, nach Gießen zu
gehen.
Baſe: Ach, was gezwungen! Glauben Sie
denn, daß der Eſel nur einmal geſchrieben haͤtte? —
Das gute Naͤrrchen, die Thereſe, hat ſich bald die
Augen ausgeheult, und der Flegel ſitzt zu Gießen,
und denkt nicht mehr an ſie. Von Komment kann
er Briefe ſchreiben; aber an das gute Maͤdel auch
nicht eine Zeile!
Ich: Aber wenn er nun auch geſchrieben haͤtte,
das waͤre ja doch vergebens geweſen!
Baſe: Ih, warum nicht gar! — Man haͤtte
doch noch Mittel und Wege finden koͤnnen, wenn nur
der Schliffel nicht ſo ein Schuft geweſen waͤre.
Mit dem kam Thereſe wieder, und unſer Ge-
ſpraͤch hatte ein Ende. Wer war froher als ich!
Zwar hatte ich nun meine Ehren Titel gehoͤrt; ſah
aber doch auch, daß noch Hoffnung fuͤr mich uͤbrig
war. Ich eilte darauf weg, um zu ſehen, was The-
reſe geſchrieben haͤtte.
Ehe ich in mein Quartier kam, begegnete mir
Herr Emons, jetzt Stadtſchreiber in Oppenheim,
und noͤthigte mich, mit ihm auf ein Koffehaus zu
gehen. Wir ſpielten eine Parthie Billard; ich ent-
fernte mich aber auf einige Augenblicke, um den In-
halt von Thereschens Brief zu erfahren. Der war
ſehr kurz! Ich ſollte, ſchrieb ſie, um vier Uhr jen-
ſeits des Neckers in der Aue ſeyn, da wuͤrde ſie mich
ſprechen: ich ſollte nur am rothen Haͤuschen verwei-
len. Das war viel Troſt fuͤr mich!
Auf dem Koffehaus wurde onze et demi ge-
ſpielt: ich wollte einige Gulden wagen, die ich ent-
behren konnte — ich hatte von Gießen uͤber vier
Louisd'or mitgenommen — war aber gluͤcklich, und
gewann gegen dreißig Gulden. Gegen Mittag hoͤrte
das Spiel auf. Ich bin niemals ein Freund vom
Spiel geweſen; aber wenn ich ſpielte, hatte ich mei-
ſtens Gluͤck.
Um vier Uhr — o wie bleiern langſam ſchleppte
ſich dieſe ſo ſehnlich gewuͤnſchte Stunde heran! —
war ich ſchon lange am rothen Haͤuschen jenſeits des
Neckers. Endlich erſchien auch Thereſe, und fuͤhrte
mich hinter die Baͤume, wo wir ungeſtoͤrt koſen konn-
ten. Das Geſpraͤch beſtand aus Vorwuͤrfen, Ent-
ſchuldigungen, Nachrichten, und Betheurungen ewi-
ger Liebe u. dergl. Leſer von Erfahrung wiſſen, was
wir reden konnten. Zuletzt offenbarte ich Theres-
chen das Geſpraͤch ihrer Baſe. Sie war ſehr froh
daruͤber, und ſagte mir, daß ich am folgenden Tage
unter meinem eignen Namen in ihrer Wohnung
erſcheinen ſollte. Die Baſe ſoll doch ſehen, ſetzte ſie
hinzu, daß Laukhard kein Schuft iſt: kommen Sie,
wir wollen nach der Stadt gehen.
Ich begleitete mein Maͤdchen bis an ihre Woh-
nung, wo die Baſe zum Fenſter heraus ſahe, und
mich bat, herein zu kommen; aber das war wider
unſre Abrede. Ich entſchuldigte mich, gab Geſchaͤfte
vor, und ging — weiter.
Ein Hanswurſt hatte einige Tage vorher in
Manheim durch ſeine ſieben Kuͤnſte die Beutel der
Muͤßiggaͤnger, der Domherren und des uͤbrigen hei-
ligen und unheiligen Poͤbels in Contribution geſetzt,
und hielt ſich jetzt in Frankenthal auf, um ſeine
Poſſen auch da zu benutzen. Eine große Menge
Manheimer, — ſo erbaulich iſt auch da der Ge-
ſchmack! — fuhren, ritten und gingen nach Fran-
kenthal, und auch ich ließ mich von Herrn Emons
bereden, in einer Kaleſche ihn dahin zu begleiten.
Der Hanswurſt balanſirte auf dem Drath, ließ Ma-
rionetten ſpielen u. ſ. f. wobei das Zuſchauervolk ſein
Zwerchfell maͤchtig voltigiren ließ. Wir ſpeiſeten den
Abend im Wirthshaus; aber wie fuhr ich zuſammen,
als ich den Kupferſchmid Keßler von Alzey gewahr
wurde! er logirte im naͤmlichen Gaſthofe. Er fragte
mich nach der Urſach meines dortigen Aufenthalts:
Herr Dietſch von Frankfurt, antwortete ich, hat mich
zu dieſer Reiſe bewogen, und Keßler fragte nicht
weiter.
Nachts um eilf Uhr war ich wieder bei meinem
Freund Sternwirth. Fruͤh kam die Magd der
Madam....und bat mich im Namen ihrer Herr-
ſchaft, doch gegen neun Uhr zum Fruͤhſtuͤck zu er-
ſcheinen. Ich flog um die beſtimmte Stunde dahin.
„Ach, ſagte die Baſe, Sie haben mich ſchoͤn ange-
„fuͤhrt! aber dafuͤr haben Sie geſtern Ihren Text
„hoͤren muͤſſen! — Wir wollen es gegen einander
„aufheben, und gute Freunde ſeyn!“ Mit dieſen
Worten nahm ſie mich bei der Hand, und ſetzte mich
neben ſich.
Nun ward das Geſpraͤch ſehr ernſthaft, ſo
ernſthaft, daß Thereschen ſich wegbegab. Es wur-
de, damit ichs kurz mache, der Entſchluß gefaßt,
daß ich zwar fuͤr jetzt in Gießen bleiben, aber in den
Herbſt-Ferien meine Eltern beſuchen ſollte. In-
zwiſchen wuͤrde ſich ſchon ein Mittel zeigen, unſern
großen Zweck auszufuͤhren. Das war die ganze Ab-
rede. — Ich blieb noch zwei Tage in Manheim,
ſah alle Tage mein liebes Maͤdchen, und reiſete dann
mit ſchwerem Herzen wieder ab. Meinen Ruͤckweg
nahm ich durch die Bergſtraße, und kam nach einer
Abweſenheit von ohngefaͤhr zwoͤlf oder dreizehn Ta-
gen in Gießen wieder an.
Vierzehntes Kapitel.
Nichts zu voreilig, meine Herren!
Meine Kameraden ließen ſich leicht bereden, daß
ich in Weilburg geweſen waͤre, und waren fideel froh,
daß ſie mich wieder ſahen.
Ich hatte einige Kollegia bei Hn. Boͤhm, naͤm-
lich die Logik und reine Mathematik, welche letztere
er zwar nach Wolffs Auszug, aber doch mehr nach
dem vortrefflichſten aller mathematiſchen Lehrbuͤcher
des Herrn Kaͤſtners Seit Kaͤſtners Lehrbuch haͤtte billig kein anderes uͤber
dieſe Wiſſenſchaft ſollen geſchrieben werden. Alle an-
dere, das Karſteuſche ſelbſt nicht ausgenommen, blei-
ben weit hinter ihm. ſehr gruͤndlich lehrte. Dann
beſuchte ich das Grammatikale Hebraͤum des Herrn
Link, welches aber ſo traurig war, daß ich es ſchon
mit der ſechſten Stunde aufgab. Die allgemeine
Geſchichte hoͤrte ich bei Herrn Koͤſter, und die Dog-
matik bei Hrn. Schulz. Letzterem gab ich nun auch
den Abſchied, weil ich ſeit meiner Conferenz mit der
Baſe meines Thereschens feſt entſchloſſen war, blos
ſchoͤne Wiſſenſchaften, Mathematik und Geſchichte
zu treiben, um meinen großen Zweck deſto eher zu
erreichen.
Ich war ziemlich fleißig, ſchwaͤnzte Schwaͤnzen heißt, nach der Studenten-Sprache,
die Vorleſungen verſaͤumen. nie, und
ließ es an guter Repetition nur ſelten fehlen. Herr
Koͤſter borgte mir manches gute Buch, aus dem ich
viel lernen konnte. So las ich damals ſchon die
treffliche Theodicee des unſterblichen Leibnitz, und ge-
rieth oft in gewaltigen Enthuſiasmus, wenn ich eins
ſeiner Argumente gefaßt zu haben glaubte. Beiher
habe ich auch im erſten Sommer meines Aufenthalts
zu Gießen den ganzen Ovidius und den ganzen Taci-
tus geleſen. Beim Tacitus hatte ich eine franzoͤſiſche
Ueberſetzung zu Huͤlfe, die zwar ſehr alt, aber zum
Verſtehen des Schriftſtellers ſehr dienlich war. —
Auch legte ich mich aufs Italiaͤniſche, und brachte
es unter der Anleitung eines gewiſſen Exkapuziners
von Modena, Paters Brunelli, innerhalb drei Mo-
naten ſo weit, daß ich ohne Muͤhe ein italiaͤniſches
Buch, auch wohl einen italiaͤniſchen Dichter leſen konn-
te. Herr Schmid hat mir damals die Komoͤdien
des Goldoni, und den Taſſo geborgt, wofuͤr ich ihm
hiermit oͤffentlich danke, damit er mich nicht auch in
Abſicht Seiner des Undanks beſchuldige, wie er in
Abſicht des Herrn Kochs gethan hat.
Es mochten wol vier Wochen ſeit meiner Rei-
ſe nach Manheim verfloſſen ſeyn, als ein Brief
von meinem Vater ankam. Das war ein Brief!
Schrecklicher, als er darin auf mich loszog, kann
ein Musketier-Kapitaͤn nicht auf einen Soldaten los-
ziehen, der die Parade verſchlafen hat. Er hatte
von dem Alzeyer Keßler meine Donkiſchotts-Reiſe
erfahren; — und die Urſache davon konnte er ſich
leicht hinzudenken. Er wußte, daß Thereſe in Man-
heim war, und mußte alſo auch ſchließen, daß ich
ſie da geſehen und geſprochen hatte. Er drohte mir,
mich von Gießen wegzunehmen, und nach Koppen-
hagen auf die Univerſitaͤt zu ſchicken: da ſollte es
mir wol vergehen, nach Manheim zu reiſen! Er
wollte mit aller Gewalt meine unwuͤrdige Liebſchaft
ſtoͤren: da muͤßte ſonſt der Henker drein ſitzen u. ſ. w.
Sogleich ſollte ich antworten, und den Verlauf mei-
ner Reiſe aufrichtig und ohne Umſchweife erzaͤhlen:
er wiſſe doch ſchon alles, und wenn ich nicht aufrich-
tig waͤre; ſo wuͤrde er ſelbſt nach Gießen kommen,
und mich nach Koppenhagen hinfuͤhren — in eigner
Perſon.
Dieſe Drohung ſchlug mich gewaltig nieder:
denn ich fuͤrchtete nichts ſo ſehr, als nach Daͤnemark
geſchickt zu werden. Um alſo dieſem Uebel vorzu-
beugen, antwortete ich, daß ich zwar in Manheim
geweſen, aber blos mit einem guten Freunde dahin
gereiſet ſey, der im Elſaß zu Hauſe waͤre, und zu
Gießen ſtudiert haͤtte. Ich leugnete geradezu, The-
reſen geſehen zu haben: ich wuͤßte ja nicht einmal,
daß ſie ſich in Manheim aufhielte! Uebrigens raͤum-
te ich ein, einen erzbummen Streich gemacht zu ha-
ben; verſprach aber, mich zu beſſern, und bat um
Verzeihung. Ich hatte meinen Brief lateiniſch ge-
ſchrieben und brav mit griechiſchen Stellen ausſtaf-
firt, welches meinem Vater denn dergeſtalt behagte,
daß er mir verzieh, und mich nur noch zum Gehor-
ſam anwieß.
Nun war ich wieder getroͤſtet! Aber der an-
gelobte Gehorſam blieb aus: ich wechſelte von der
Zeit an beſtaͤndig mit Mamſell Thereschen Briefe,
und ſchrieb auch von Zeit zu Zeit an den Paſtor
Neuner. Dieſer gute Mann ermahnte mich, fleißig
gute katholiſche Buͤcher zu leſen; und dem zufolge
hohlte ich mir auf der Univerſitaͤts-Bibliothek das
Manuale Controverſiarum Becani, eines gelehr-
ten Jeſuiten. Ich habe mich hernach oft gewundert,
wie ich ſchon damals im Stande war, einen alten
polemiſchen Klopfechter, wie Becani Manuale iſt,
mit Aufmerkſamkeit und Lernbegierde zu leſen. Die
Folge zu ſeiner Zeit.
Funfzehntes Kapitel.
Die Muſenſoͤhne ſind oft ſehr boͤsartige Kinder!
Ohngefaͤhr im Monat Auguſt dieſes Jahrs entſtan-
den in Gießen die Eulerkappereien, welche
mir und vielen andern zu ſchaffen gemacht haben: ſie
verdienen daher allerdings eine Stelle in meiner
Biographie. Ich muß aber zum voraus den Ur-
ſprung dieſer Benennung erklaͤren.
Zu Gießen am Wagengaͤßchen, wohnte ein ge-
wiſſer Euler, welcher in ſeiner Jugend Theologie
ſtudiert hatte, hernach aber wegen eines illegalen
Beitrags zur Bevoͤlkerung, der durch ſeines Vaters
Magd zum Vorſchein gekommen war, die Hoffnung
verlohr, ein geiſtliches Amt zu bekleiden. Er hatte
die Maͤdchenſchule in Gießen angenommen, war da-
bei Leichenbitter, Kantor in der Zuchthauskirche,
und Klingelbeuteltraͤger in der Stadtkirche. Dieſer
Euler, oder nach dem Eckelnamen, den ihm die
Studenten gegeben hatten, Eulerkapper, war ein
aͤußerſt laͤcherlicher Menſch: ſeine Minen, ſein An-
zug, ſein Gang, kurz, alles war ſo auffallend beſchaf-
fen, daß ihn niemand anſehen konnte, ohne uͤber-
laut zu lachen. Er war eben darum der allgemeine
Gegenſtand fuͤr die Neckereien der Gießer Studenten:
und dieſe Neckereien nannte man — Eulerkap-
pereien. Was man alles mit ihm vorgenommen
hat, lehrt unter andern folgendes.
Neben Eulerkappern wohnte ein Student,
welcher aus ſeinem Kammerfenſter gerade in deſſen
Putzſtube ſehen konnte. Der Student nahm einmal
den Zeitpunkt in Acht, als das Fenſter dieſer Putz-
ſtube offen ſtand, befeſtigte ſeinen Kammertopf an
eine Stange, langte dieſelbe hinuͤber und leerte den
Topf — es war Unrath von verſchiedener Gattung
darin — in der Putzſtube aus. Euler mußte das
Ding bald erfahren, mußte auf den Urheber ſchließen,
und nun war es ganz natuͤrlich, daß er ihn beim
Rector verklagte.
Der Student wurde vorgefordert, er lehnte
aber die Beſchuldigung von ſich ab, durch Vorgeben:
Erſter Theil. I
daß manche Burſche in ſeiner Abweſenheit auf ſeine
Stube zu gehen pflegten, und da koͤnnte es immer
ſeyn, daß ſie den Muthwillen veruͤbt haͤtten. Er
fuͤr ſeine Perſon waͤre von dergleichen ſchmutzigen
Affaͤren weit entfernt. — Auf dieſe Art kam Bru-
der Schacht — eben der, von dem oben geſprochen
iſt — ohne Strafe davon, und der Rector lachte
blos uͤber den Einfall, einen Kammertopf in ein
fremdes Viſitenzimmer auszuleeren.
Den folgenden Sonntag verſammelte Herr
Schacht eine große Menge Studenten auf ſeine Stu-
be. Kaum war Euler mit Frau und Tochter zur
Kirche, ſo wurde ſein Fenſter mit einer Stange ein-
geſtoßen, und auf die vorhin beſchriebene Art eine
Menge Ladungen in die Putzſtube transportirt. Eu-
ler erfuhr ſchon auf dem Ruͤckweg nach Hauſe, was
vorgefallen war. Er klagte; aber nun halfen dem
guten Schacht ſeine Ausfluͤche nicht: er mußte vier
Tage ins Karcer, mußte Eulern das Fenſter neu
einſcheiben laſſen, und dreißig Kreutzer zur Reinigung
der Putzſtube hergeben.
Zu Gießen war es damals Mode, daß ein in-
karcerirter Student einen andern des Nachts zur Ge-
ſellſchaft bei ſich haben konnte. Herr Schacht waͤhlte
mich dazu: ich ging hin, und hier verbanden wir
uns, den Euler forthin auf alle moͤgliche Art zu
necken und zu beſchimpfen. Ich hielt redlich Wort,
wie ich denn uͤberhaupt bei dergleichen Verſprechun-
gen niemals wortbruͤchig geworden bin. Waͤre ich
nur in andern Dingen auch ſo genau geweſen!! Ich
hielt Wort, und perirte den Eulerkapper gleich am
folgenden Abend, und warf ihm die Fenſter ein.
Aber das Ungluͤck wollte, daß ich erkannt und beim
Prorector angegeben wurde. Dieſer dictirte mir
zwei Tage Karcer, und die Unkoſten fuͤr die einge-
worfenen Fenſterſcheiben. Einige andre Freunde,
welche den Eulerkapper auch perirt hatten, kamen
gleichfalls aufs Karcer, oder wie man in Gießen ſpricht,
nach Cordanopolis Der damalige Karcerknecht — eine recht gute Anſtalt
iſt das mit dem Gießer Karcerknecht! — hieß Conrad.
Dieſen Namen veraͤnderten die Studenten in Corda-
nus, und das Karcer hieß daher, und heißt noch Cor-
danopolis.. Daruͤber ergrimmte die ganze
Burſchenſchaft, und ſchwur dem Eulerkapper den
Tod.
Schacht indicirte nun ein Parlament, wel-
ches ſich im Rappen verſammelte, und ein Urtheil
uͤber den Eulerkapper ſprechen ſollte. Das Parla-
ment kam zuſammen, Schacht redete, nachdem jeder
ſeinen Bierkrug vor ſich, und ſeine Pfeiffe angeſteckt
hatte, die Verſammlung an, und ſtellte ihr vor,
wie Euler, der Maͤdchenſchulmeiſter, bisher Urſache
geweſen ſey, daß ſo manche brave honorige Burſche
ins Karcer gekommen und ſonſt geſtraft worden waͤ-
ren; daß alſo eine allgemeine Entſcheidung zu faſſen
ſey, wie man es in Zukunft mit dem Euler halten
ſollte. Er fuͤr ſein Theil faͤnde nothwendig, daß
man ihm einen angemeßnen Eckelnamen beilegte. —
Hierauf wurde debattirt und endlich beſchloſſen: daß
der Maͤdchenſchulmeiſter Euler in Zukunft Eulerkap-
per heißen und jeder Burſche ihn wenigſtens einmal
die Woche periren ſollte. Die Perificationsformel
wurde auch durch die meiſten Stimmen folgender-
maßen angegeben: „Es leben Ihre Magnifizenz,
der Herr Johann Heinrich Eulerkapper, Ritter von
Fellago, des heiligen Roͤmiſchen Reichs Großkron-
eſelsohrtraͤger, Hunzfott und Schwerdtfeger, hoch
und abermal hoch und noch einmal hoch! Pereat
Eulerkapper!“ — Dabei ſollte, wenn ſichs ſonſt
thun ließe, der Perifikant dem Eulerkapper auch die
Fenſter einwerfen.
Das loͤbliche Parlament gab gleich denſelben
Abend ein Beiſpiel der Befolgung der ſancirten Ge-
ſetze. Alle Aſſeſſoren, nachdem ſie ſich derb benebelt
hatten, zogen vor des armen Mannes Haus und
perirten ihn in der beſten Form. Der Eulerkapper,
welcher ſich nicht getrauete, vor ſeine Thuͤr zu treten,
mußte dem Laͤrmen ohngeraͤcht zuhoͤren: denn er
kannte niemanden, war alſo nicht im Stande, einen
Perifikanten bei der Obrigkeit anzugeben.
Seit dem Parlamentstage hatten die Kappe-
reien kein Ende: alle Abende wurde von mehr als
hundert Studenten, pereat Eulerkapper, gegroͤlt, und
eine Fenſterkanonade vorgenommen. Ja, einſt
perirten ihn gar zwei junge Frauenzimmer. Es
blieb aber nicht beim Periren und Fenſtereinſchmeißen
allein: es wurden auch Pasquille, Liedchen und
ſcheußliche Gemaͤlde gemacht, und aller Orten, be-
ſonders in der Gegend des Hauſes dieſes geplagten
Schulmeiſters, angeklebt.
Da ſo oft Studenten vom Kapper erkannt
wurden; ſo kamen auch nicht wenige aufs Karcer.
Freilich war dieſe Strafe niemals ſcharf: ein, hoͤch-
ſtens zwei, bei oͤfterer Wiederholung auch drei oder
vier Tage Arreſt, war die ganze Zuͤchtigung — nebſt
der Bezahlung der zerſchmiſſenen Fenſterſcheiben. Der
Rector lachte allemal, wenn er jemanden wegen
Kapperei vorhatte. Vorzuͤglich gefielen dieſe Poſſen
dem Herrn Bechtold, welcher mich beſonders, frei-
lich im Spaß und mit großem Gelaͤchter, des Satans
Engel hieß, der Eulerkappern mit Faͤuſten ſchluͤge.
Dafuͤr muſte ich indeß doch nach Cordanopolis wan-
dern.
Ehemals war das Karcer in Gießen ſo wie die
Karcer auf andern Univerſitaͤten, blos mit dem Na-
men derer bemalt, welche in demſelben kampirt hat-
ten; aber ſeit der Eulerkappereien fings auch an, an
den Waͤnden tapezirt zu werden. Anfangs wurde
blos der Eulerkapper gerade der Thuͤr gegen uͤber ge-
malt mit ſchwarzem Rock, gelber Weſte, rothen
Beinkleidern u. ſ. w. Bald hernach wurde ein Teu-
fel in ſcheußlicher Geſtalt vor ihm hingeſtellt, der ihm
Bruͤderſchaft zutrank. Die Malerei blieb nicht beim
Eulerkapper ſtehen: es wurden noch mehr Perſonen
mit Epigrammen abkonterfeiet, — und auf dieſe
Art wurden alle Waͤnde ſo voll, daß innerhalb Jah-
resfriſt kein Platz zu Portraͤts uͤbrig blieb.
Ein gewiſſer Student, Namens Anaker ſollte
einmal eingeſteckt werden; er ſtellte aber gleich am
erſten Abend bei Herrn Bechtold vor, daß er ſich vor
den vielen im Karcer abgemalten Teufeln fuͤrchte,
und wurde losgelaſſen. Als ich vor einigen Jahren
durch Gießen reiſete, waren noch die meiſten dieſer
Gruppen im Karcer ſichtbar. Doch genug hiervon!
Man muß die Nachſicht ſeiner Leſer nicht mis-
brauchen.
Sechszehntes Kapitel.
Illiacos intra muros peccatur et extra!
Die Stadt Wezlar habe ich bald nach meiner An-
kunft in Gießen beſucht. Sie liegt kaum drei Stun-
den von da, und iſt ein ungleiches, ruſtiges, ſchlecht
gebautes Neſt. Die Stadt iſt gemiſchter Religion.
Die Geiſtlichkeit derſelben iſt ſo bigot, daß man
wohl ſchwerlich in der Welt bigotteres Grob antref-
fen wird. Nur ein Proͤbchen hiervon.
Kurz vor meiner Zeit hatte ſich der Sekretaͤr
Jeruſalem, der Sohn des beruͤhmten Abts Jeru-
ſalem aus Haß gegen einen Geſandten und aus Liebe
zur Tochter des Amtmanns Buff, erſchoſſen. Man
ſagte damals in Gießen und Wetzlar, daß eine Belei-
digung, welche Jeruſalem in dem Hauſe des Praͤſi-
denten, Grafen von Spauer, habe erdulden muͤßen,
bei dem ſehr empfindlichen und ſtolzen Juͤngling das
meiſte zu dieſem traurigen Entſchluß gewirkt habe.
Genug, Jeruſalem erſchoß ſich: und nun hatte es
Schwierigkeit mit ſeiner Begraͤbnißſtaͤtte. Der Amt-
mann Buff, ein redlicher Mann, bath den Pfarrer
Pilger um die Erlaubniß, die Leiche des Ungluͤck-
lichen auf den Gottesacker zu begraben: aber der
Pfaffe, der leider in dieſer Sache zu befehlen hatte,
ſah jeden Selbſtmoͤrder als ein Aas an, das eigent-
lich fuͤr den Schinder gehoͤre, und verſagte die Er-
laubniß. Kaum konnte der Graf v. Spauer, der
ſich recht thaͤtlich fuͤr Jeruſalems ehrliche Beerdigung
intereſſirte, ſoviel erhalten, daß der Erblaßte auf
einer Ecke des Gottesackers durfte begraben werden.
Der Paſtor Pilger hat hernach mehreer Predigten
wider den Selbſtmord gehalten, und den guten Je-
ruſalem ſo kenntlich beſchrieben, daß jederman merk-
te, er ſey es, der nun in der Hoͤlle an eben dem
Orte ewig brennen muͤße, wo Judas der Verraͤther
brennt, der ſich erhenkte, mitten entzwei barſtete
und all ſein Eingeweide ausſchuͤttete. (Act. 1, 18)
So elend Wezlar ſonſt iſt, ſo volkreich iſt es
wegen des dortigen Reichskammergerichts. Da giebt
es außer den vieler Aſſeſſoren, Prokuratoren, Advo-
katen, Notarien und Skribaxen, wovon alle Gaſſen
wimmeln, und welche ſich alle gewoͤhnlich ſchwarz
kleiden, auch noch eine Menge von Fremden, wel-
che dahin kommen, den Gang ihrer Proceſſe zu be-
foͤrdern, d. i. die Referenten auszuſpaͤhen, denen
ihre Acten uͤbergeben ſind, und dieſe dann mit baa-
rem ſchweren Gelde, oden ſonſt etwas zu beſte-
chenDaß dieſes und noch vielmehr in Wezlar gaͤng und
gaͤbe ſey, lehrt die vor 20 Jahren angeſtellte Viſitation,
wobei Herr von Nettelbla, Herr von Papius, und
mehr andere Herrn von und nicht von als Schelme
ſich aus dem Staube machen muſten, um dem Galgen,
den ihnen Kaiſer Joſeph II. gedrohet hatte, zu entge-
hen. Moſers Staastrecht giebt Auskunft daruͤber..
Bei dieſer großen Volksmenge fehlt es nicht an
allerhand Vergnuͤgungen, an anſtaͤndigen und unan-
ſtaͤndigen, wie einer Luſt hat. Oft halten ſich, zum
Beiſpiel, Komoͤdianten da auf, welche aber meiſtens
ſo elend ſpielen, wie weiland Signor Schmettau in
Paſſendorf, oder der Signor, welcher dieſen Win-
ter, 1792, in Merſeburg die beſten Stuͤcke ſo fein
radebrechen konnte. Mein Geſchmack iſt wahrlich
nicht fein; aber von den vielen Schauſpielen, wel-
chen ich in Wetzlar beiwohnte, hat mir auch nicht
eins gefallen. Einſt ſah ich Leßings Emilia Ga-
lotti: da agirte Odoardo wie ein beſoffener Korporal,
Marinelli wie ein Hanswurſt, und der Prinz natuͤr-
lich wie ein Schuhknecht. Klaudia ſah aus, wie
eine Paſtorswittwe, Emilia wie ein Hockenmaͤdchen,
und die Graͤfin Orſina endlich wie eine kuraſchirte
derbe Burſchen-Aufwaͤrterin. Schreien konnten
die Kerls und die Menſcher, als wenn alle halb taub
geweſen waͤren. So war die Komoͤdie! dem aber
ohngeachtet klatſchten die Wezlariſche Herren und Da-
men, als ſpielte ein Garrik!
Das Entree koſtete indeſſen auch nicht viel —
drei Batzen auf dem Parterr! Und fuͤr kupfer-Geld
kriegt man auch nur kupferne Seelmeſſen! Daher iſt
das Theater immer ſchlecht erleuchtet, und die Muſik
ganz abſcheulich. Nirgends kann eine Muſik elender
ſeyn, als ſie dort im Schauſpielhauſe und auf den
Baͤllen iſt. Ordentliche Konzerte hoͤrt man da nicht,
wenigſtens zu meiner Zeit nicht; dann und wann,
eben wie in Gießen, kommt ein Fremder, und laͤßt
ſich hoͤren. Sonſt giebts Karruſſel u. d. g, in Wez-
lar, auch einige Gaͤrten, wo man ſich ſo ziemlich
zerſtreuen kann.
Die Gießer Studenten beſuchen Wezlar ſehr
oft, wie denn uͤberhaupt die Studenten gewohnt
ſind, außerhalb des Ortes, wo ſie ſich aufhalten,
ihre Vergnuͤgungen aufzuſuchen, geſetzt auch, ſie
koͤnnten dergleichen in ihrer Heimath weit beſſer an-
treffen. Daß ich nicht lange wartete, dieſen Ort
zu beſuchen, laͤßt ſich ſchon aus dem Vorhergehenden
abnehmen, da ich uͤberhaupt gern alles das nach-
machte, was Leute meines Zirkels und meines Glei-
chens zu thun pflegten. Allein mir gefiel das alte
Neſt nicht; deſto beſſer aber behagte mir die Tiſchge-
ſellſchaft im Adler, weil da Leute aus allerlei Pro-
vinzen ſpeißten, und ihre Avantuͤren beim Glas
Wein erzaͤhlten, ſo unwahrſcheinlich einige auch klin-
gen mochten. Ich habe hernach noch viermal, von
Gießen aus, Wezlar beſucht, und mich allemal ge-
freut, wenn ich mit Deputirten von Doͤrfern und
Staͤdten aus allen Theilen desjenigen deutſchen
Reichs, woruͤber die Kammer zu Wezlar noch etwas
zu ſagen hat, kannegießern konnte.
Da in Gießen keine Bordelle ſind, und doch
die Burſche daſelbſt den Stachel der Sinnlichkeit
eben ſo gut fuͤhlen, wie an jedem andern Orte; ſo
ziehen die meiſten nach Wezlar, um das Vergnuͤgen
zu genießen, ſich mit dem Auswurf des weiblichen
Geſchlechts zu unterhalten. Freilich ſind außer der
Geldzerſplitterung, die uͤbrigen Folgen oft ſehr trau-
rig: denn die Wezlariſchen Nymphen ſind groͤßten-
theils franzoͤſiſch, und begaben ihre Liebhaber mit
einer Galanterie, die alle andere Vergnuͤgungen ver-
giftet, ſo lange ſie dauert. Ich ſelbſt — warum
ſollt' ichs nicht geſtehen, da ich alles geſtehen will,
was mir begegnet iſt, es ſey gut oder boͤſe? Hat ja
doch Herr Schubart auch dergleichen von ſich ge-
ſtanden? Ich ſelbſt habe die boͤſen Folgen eines Um-
gangs mit dergleichen gefaͤlligen Menſchern empfun-
den. Im zweiten Halbenjahre meines Aufenthalts
in Gießen, ritt ich einmal nach Wezlar in Beglei-
tung einiger Burſche. Des Abends gingen wir zu
einer gewiſſen Makerelle, welche da unter dem Na-
men der Poſtmeiſterin bekannt war, und divertirten
uns. Ich hatte nicht Luſt, mich weiter einzulaſſen,
als es unter aller Augen geſchehen konnte: ich be-
gnuͤgte mich daher mit der Zotologie u. dgl. Allein
da meine Kammeraden alle, einer nach dem andern,
mit den Maͤdchen verſchwanden, und hernach hoͤchſt
vergnuͤgt, wie es ſchien, zuruͤckkamen, da beſonders
ein ganz artiges Geſchoͤpfchen ſich mir mehr, als
dienlich war, naͤherte; ſo ließ ich mich denn auch
vom Satan blenden, und gieng mit ihr in ein Apar-
tement, wohin ſchon viele große Maͤnner, auch
theologiſche Profeſſoren, Doctoren u. d. gl. gegan-
gen waren. Einige Tage hernach empfand ich das
Geſchenk, welches das Wezlariſche Menſch mir ge-
macht hatte. Ich war gleich anfangs ſo gluͤcklich,
in die Haͤnde eines geſchickten Studenten der Medi-
cin, des jetzigen Herrn Doctor Adrian Diels
von Gladenbach, der ſich ſeither durch einige gute
Schriften bekannt gemacht hat, zu gerathen. Die-
ſer ließ mich eine angemeſſene Diaͤt halten, und ku-
rirte mich innerhalb vier Wochen aus dem Grunde.
Waͤre ich ungluͤcklich genug geweſen, einem Gießer
Quackſalber, deren es dort viele giebt, in die Kral-
len zu fallen, vielleicht waͤre meine ſonſt dauerhafte
Geſundheit in ihrer Grundfeſte erſchuͤttert und zer-
ſtoͤhrt worden.
Ehe ich mein Kapitel von Wezlar ſchließe, muß
ich noch etwas von dem Ton, welcher daſelbſt herrſcht,
ſagen, und dann eine empfindſame Proceſſion zum
Grabe des jungen Werthers erwaͤhnen.
Nirgends in ganz Deutſchland, ſelbſt in Lauch-
ſtaͤdt nicht, in Eiſenach nicht, und in Merſeburg
nicht, iſt der Ton in den vornehmen Geſellſchaften
ſteifer, als eben in Wezlar. Ich habe dieſes zwar
nicht aus unmittelbarer Erfahrung: denn der Gießer
Student hat wenig Zutritt zu den vornehmen Geſell-
ſchaften daſelbſt; allein jeder, den ich daruͤber habe
ſprechen hoͤren, — und ich habe mehrere Sachkun-
dige gehoͤrt, — haben mir das ſo geſagt. Der
Adeliche, und beſonders die adelichen Damen, wiſ-
ſen es gar zu gut, daß ſie adlich ſind, und laſſen
es jedem, der mit ihnen umgeht, recht empfin-
den. Beiher muß man wiſſen, daß der Adel in
Wezlar eben nicht durch die Bank ſtiftsmaͤßig iſt,
daß viel funkelneue darunter ſind, auch wohl ſolche,
welche gar nicht von Adel, aber unverſchaͤmt genug
ſind, ſich fuͤr ſolche auszugeben. Haben ſie einen
Ball; ſo wird er mit folgenden Worten angezeigt:
den und den, iſt im Hauſe des und des Herrn oͤf-
fentlicher Ball, woran jeder adeliche Herr und
jedes adeliche Frauenzimmer Theil nehmen
kann. — Einige adeliche Damen nehmen es indeſ-
ſen nicht uͤbel, wenn ein buͤrgerlicher, der klingende
Muͤnze hat, und ſonſt robuſt iſt, ihnen die Kur
macht, und ſich die Muͤhe nimmt, dem hochwohlge-
bornen Eheherrn Hoͤrner aufzuſetzen. Beiſpiele ſind
verhaßt. —
Die Proceſſion nach dem Grabe des armen
Jeruſalems wurde im Fruͤhlinge 1776 gehalten.
Ein Haufen Wezlariſcher und fremder empfindſamer
Seelen beiderlei Geſchlechts beredeten ſich, dem un-
gluͤcklichen Opfer des Selbſtgefuͤhls und der Liebe
eine Feierlichkeit anzuſtellen, und dem abgefahrnen
Geiſte gleichſam zu parentiren. Sie verſammelten
ſich an einem zu dieſen Vigilien feſtgeſetzten Tage des
Abends, laſen die Leiden des jungen Wer-
thers von Herrn von Goͤthe vor, und ſangen
alle die lieblichen Arien und Geſaͤnge, welche dieſer
Fall den Dichterleins entpreßt hat. Nachdem dies
geſchehen war, und man tapfer geweint und geheult
hatte, gieng der Zug nach dem Kirchhof. Jeder
Begleiter trug ein Wachslicht, jeder war ſchwarz ge-
kleidet, und hatte einen ſchwarzen Flor vor dem Ge-
ſicht. Es war um Mitternacht. Diejenigen Leute,
welchen dieſer Zug auf der Straße begegnete, hiel-
ten ihn fuͤr eine Proceſſion des hoͤlliſchen Satans,
und ſchlugen Kreutze. Als der Zug endlich auf den
Kirchhof ankam, ſchloß er einen Kreis um das
Grab des theuren Maͤrtyrers, und ſang das Liedchen
„Ausgelitten haſt du, ausgerungen.“ Nach
Endigung deſſelben trat ein Redner auf, und hielt
eine Lobrede auf den Verblichnen, und bewies beiher,
daß der Selbſtmord — verſteht ſich aus Liebe, —
erlaubt ſey. Hierauf wurden Bluͤmchen aufs Grab
geworfen, tiefe Seufzer herausgekuͤnſtelt, und nach
Hauſe gewandert mit einem Schnupfen — im Her-
zen.
Die Thorheit wurde nach einigen Tagen wieder-
holt; als aber der Magiſtrat es ziemlich deutlich
merken ließ, daß er im abermaligen Wiederholungs-
fall thaͤtlich gegen den Unfug zu Werke gehen wuͤrde;
ſo unterblieb die Fortſetzung. Haͤtten lauter junge
Laffen, verſchoſſene Haſen und andere Firlefanze, wie
auch Siegwartiſche Maͤdchen, rothaͤugige Kuſinchen
und vierzigjaͤhrige Tanten dieſes Poſſenſpiel getrieben;
ſo koͤnnte mans hingehen laſſen: aber es waren Maͤn-
ner von hoher Wuͤrde, Kammeraſſeſſoren, und Da-
men von Stande. Das war doch unverzeihlich!
Und alle die Thorheit hat das ſonſt in ſeiner Art mei-
ſterhafte Buͤchlein des Herrn von Goͤthe verurſacht!
So relativ wirkſam ſind Vorſtellungen, wenn ein
Mann von Anſehen ſie ſo oder ſo ſtafiret!
Das Grab des jungen Werthers wird noch
immer beſucht, bis auf den heutigen Tag.
Siebzehntes Kapitel.
Wer einmal Don Quixote gegen ſich ſelbſt iſt, wird es
auch gegen Vater und Geliebte!
Ich hatte den Sommer fideel und burſchikos zuge-
bracht, hatte mich zweimal geſchlagen, war drei oder
viermal im Karzer geſeſſen, und hatte nach den Sta-
tuten des eben erwaͤhnten Parlaments den Eulerkap-
per bis aufs Leben geketzert. Da freute ſich nun
meine Seele, als ich gegen das Ende des Halbjahrs
meine Thaten ſo uͤberlegte, und keine einzige fand,
warum ich mir — wie ich damals dachte — haͤtte
Vorwuͤrfe machen duͤrfen. Das waren aber meine
tollen Streiche noch nicht alle.
Einmal war es mir gar eingefallen, einem Ball
am Ludwigstage als dem Namenstage des Landgrafen,
beizuwohnen. Ich ließ mich deswegen chapeaubas
friſiren, zog ſeidne Struͤmpfe an — und ging nach
dem Rathhauſe zu, wo der Ball gegeben wurde.
Unterwegs begegnete mir ein gewiſſer Brumhard,
welcher eben dahin wollte. Wir beredeten uns, vor-
her zum Stangenwirth — ſo hieß der Wirth Bal-
thaſar bei den Studenten — zu gehen, und da einige
Stangen Doppelbier auszuleeren. Als wir ins
Bierhaus kamen — man ſtelle ſich eine erzraucherige
Stube, voll Tabacksqualm vor, wo Studenten,
Philiſter und Soldaten beiſammen ſitzen, und Bier
trinken: und dann denke man ſich uns beide, ball-
maͤßig gekleidet und chapeaubas auf der Bierbank
mit einer Stange — einem großen Paßglaſe in der
Hand: — genug, als wir hinkamen, fanden wir ſo
viel Bekannte, daß wir bis zehn Uhr verweilten,
und uns derb benebelten. Dann fiel es uns ein, auf
den Ball zu gehen. Wir gingen hin; aber gleich
merkte jederman, daß uns der Kopf ſchwer war.
Brumhard hoͤrte, daß man ſich uͤber ihn aufhielt,
er fing daher an zu ſpektakeln, bis man ihn endlich
zur Thuͤr hinaus transportirte. Er trat hierauf
vors Rathhaus und perirte den ganzen Ball: dafuͤr
mußte er auf einige Tage nach Cordanopolis wan-
dern.
Ich war, als dieſes vorgieng, in einem Ne-
benzimmer, wo ein gewiſſes Frauenzimmer, welches
ich kannte, mir Thee einſchenkte. Es war die De-
moiſelle Langsdorf, welche mir beſonders gewo-
gen war, weil ich einem dummen Jungen (Musje
Lauer hieß er), der ihr einen Eckelnamen einſt gab,
derbe Ohrfeigen zugetheilt hatte. Dieſe Heldenthat
hatte ſie erfahren, und belohnte mich dafuͤr mit ihrer
Freundſchaft Woraus ſich die Regel ergiebt: daß man ſich beim
Frauenzimmer ſtark in Gunſt ſetzt, wenn man ihrent-
wegen Ohrfeigen austheilt. Die alten Ritter waren
warlich nicht dumm: ſie wagten noch mehr; aber
auch — wie's ſich verſteht — gegen etwas mehr, als
eine Taſſe Thee.. Mamſel Langsdorf hatte wohl
geſehen, daß es mit mir nicht richtig war: ſie ſorgte
alſo dafuͤr, daß ich im Nebenzimmer blieb, und kei-
nen Skandal machte, wie mein Kamerad. Endlich
ging ich doch in den Tanzſaal, und tanzte einige
Menuets; wie aber — das kann man ſchon
denken!
Kurz darauf ſchrieb ich meinem Vater, daß
jetzt bald Ferien waͤren: er moͤchte mir alſo erlauben,
ihn zu beſuchen. Meine Leſer errathen, ohne daß
Erſter Theil. K
ich es ſage, daß nicht die Begierde, meine Eltern
zu ſehen, ſondern ein aufwiegelnder Drang, mein
Maͤdchen zu ſprechen, Urſache war, warum ich um
dieſe Erlaubniß anhielt. Thereschen war wieder von
Manheim nach Hauſe gereiſet, und daß mußte ich:
denn ich hatte wohl ein halbes Dutzend Briefe von
ihr erhalten, und lauter Briefe, ſo lang, als immer
einer aus Sophiens Reiſen ſeyn mag.
Mein Vater mochte das Ding merken: wenig-
ſtens ſchrieb er mir: „ich ſollte fein huͤbſch in Gie-
ßen bleiben, und die Ferien zur Repetition meiner
Kollegien anwenden: es ſchicke ſich nicht, daß der
Student alle Augenblick von der Univerſitaͤt zu Hauſe
lief: das ſaͤhe ja aus, als wollte er ſeiner Mutter
Katz' noch einmal ſehen.“ — So haͤtte ich alſo blei-
ben muͤſſen, und waͤre auch wirklich geblieben, wenn
nicht ein Vetter von mir, Herr Boͤhmer, damals
Hofmeiſter bei einem Herrn von Breidenbach in Mar-
burg, ſeine Reiſe durch Gießen genommen, und
mich zum Mitreiſen in die Pfalz aufgefodert
haͤtte.
Von der Reiſe ſelbſt will ich nichts erwaͤhnen:
es iſt mir nichts Merkwuͤrdiges dabei aufgeſtoßen,
außer dem folgenden.
Eine halbe Stunde von Wendelsheim wird
jaͤhrlich ein beruͤhmter Jahrmarkt unter dem Namen
Bellermarkt gehalten, und zwar im blanken
Felde, woran mehrere Ortſchaften Theil nehmen.
Dahin kommen Kaufleute und Kraͤmer viele Meilen
her — von Mainz, Worms, Manheim, ja ſogar
von Frankfurt und Strasburg. Es werden auch
eine Menge Weinhuͤtten, ohngefaͤhr 50, errichtet,
und von allen Bierfiedlern aus dem ganzen Umkreis
her bemuſicirt. Daher beſucht die dortige Gegend
von weit her den Jahrmarkt. Da findet man
Graͤfliche und Adeliche, Civilbediente und Prediger,
Frauenzimmer von Stande, auch Hans und Gretel,
Creti und Plethi, nebſt einer anſehnlichen Menge
Toͤchter der Freude, und die Anzahl dieſer letztern
ſoll ſich, wie man ſagt, noch jaͤhrlich vermehren.
Ich hoͤrte in Flonheim, daß heute eben der
erſte Bellermarktstag waͤre. Das war mir eine er-
wuͤnſchte Nachricht. Ich hatte von Alzey aus ein
Pferd mitgenommen, und nun ſtatt nach Wendels-
heim zu reiten, ritt ich à la Burſch angezogen, mit
einem derben Hieber verſehen, auf den Bellermarkt.
Gleich vorne an traf ich den chen Toͤpfer Engel
aus Wendelsheim, der da ſein irdenes Geſchirr feil
hatte.
Engel: Ei Herr Jeh! Muſche Fritz, will-
kum! Ach um Gottes Wille, wo kumme Sie dann
her?
Ich: Heute nicht weiter, als von Alzey. Hoͤr
Er, Meiſter, iſt mein Vater hier?
Engel: Noch nit: er werd abber doch bal
kumme. Die Mammeſe kimt och, un och die Tan-
teſe, (Mamma und Tante.)
Ich: Iſt ſonſt kein Bekannter hier?
Engel: (vertraulich) Muſche Fritz, Ehr
Menſch, (Ihre Geliebte) es ſchun da mit ehrem
Babe (Papa).
Ich: Das waͤre! Und wo ſind die, mein lie-
ber Meiſter?
Engel: Da unne in Bremshuͤtt.
Ich: Da muß ich gleich hin! à propos Lie-
ber! ich habe eine Bitte an Ihn.
Engel: Wann eichs (ich es) thu kan, mit
Froͤde.
Ich: Kann er mir einige Gulden vorſtrecken,
bis wir nach Hauſe kammen?
Engel: (ſehr freudig) Ei warum nit! Eich
will Ehne zehn Gulle gebe: hun Se damet
genuk?
Ich: Mit der Haͤlfte! wenn ich nur fuͤnf Gul-
den habe.
Engel: (zaͤhlt Geld) Naͤ, da ſeyn Zehn Gulle,
Es eß ſchun gut. Se (zu) Wennelshem gebe Se
mer ſe wedder.
Auf dieſe Weiſe war mein Beutel wieder in
Ordnung, welcher auf der Reiſe, beſonders zu
Frankfurt, ziemlich ſchwindſuͤchtig geworden war.
Hierauf band ich mein Pferd an den Wagen des ehr-
lichen Engels, und ging, mein Maͤdchen aufzuſu-
chen. Ich fand ſie bald; aber wie roth ward ſie
uͤber und uͤber, als ſie mich erblickte! Ihr Vater
ſchuͤttelte mir indeß traulich die Hand, und bewill-
kommte mich, als waͤre ich ſein Sohn geweſen.
Aber wegen der Herumſtehenden konnten wir nichts
reden, was zur Sache gehoͤrte. Vielmehr ermahn-
te er mich, ihn und ſeiner Tochter zu verlaſ-
ſen, damit uns mein Vater, der wahrſcheinlich auch
kommen wuͤrde, nicht zuſammen faͤnde, und hernach
von neuem laͤrmte. Ich fand dieſen Grund vernuͤnf-
tig, empfahl mich, verſprach aber, den folgenden
Morgen ſie wieder zu beſuchen, und ging.
Weit von Bremshuͤtte ſetzte ich mich in eine
andere, worin ich einige geiſtliche Herren, die ich
kannte, ſah, und fing an, à la Burſch zu zechen.
Kaum hatte ich einen Schoppen Wein geleert, als
mein Vater mit einer ſtarken Geſellſchaft vorbeiging.
Ich lief auf ihn zu, gruͤßte ihn: und der gute Mann,
ſo unerwartet ihm auch mein Hervortreten war, gab
doch ſein Vergnuͤgen zu erkennen, daß er mich ſah.
Ich meldete ihm die Veranlaſſung zu dieſer Reiſe
durch Herrn Boͤhmer, und er glaubte alles, oder
ſchien es doch zu glauben, was ich ihm ſagte. Wir
waren recht vergnuͤgt: es war da alles ſo philanthro-
piniſch! keiner nahm dem andern etwas uͤbel.
Den Abend ging es nach Wendelsheim: mein
Vater und ſeine Geſellſchaft zu Fuße; ich aber ritt
ganz burſchikos neben her, und ſprach vom Kom-
ment. Meinem Vater misfiel dies, wie ich aus
ſeiner verdrieslichen Mine merkte; die andern ſchie-
nen aber ganz Ohr zu ſeyn. Endlich kamen wir an,
und die Bauern und Nachbarn liefen alle zuſammen,
den Muſche Fritz, den ſie ſeit dem Jaͤnner nicht ge-
ſehen hatten, zu beſchauen, ob er auch recht benge-
lich (ſtark und robuſt) geworden waͤre. Mein Va-
ter fragte mich, woher ich das Roß haͤtte, und da
log ich ihm vor, ich habe es zu Flonheim genommen,
wo noch ein Bekannter von mir ſich aufhielte: ich
wuͤrde es den folgenden Morgen wieder dahin reiten:
und ſo fragte er nicht weiter.
Ich war freilich ſehr muͤde, und haͤtte gern
den andern Tag geſchlafen bis 8 Uhr; aber ich wollte
ja Thereschen beſuchen! Das weckte mich ſchon um
fuͤnfe. Ich ſtand auf, zog mich an, und friſirte
mich, ſo gut ach konnte; ſodann mußte unſer Knecht
das Pferd ſatteln, und darauf gings fort, noch lange
vorher, ehe mein Vater aufſtand.
Als ich zu Thereſen kam, war ſie eben aufge-
ſtanden, und noch ganz im Negliſchee. Ich genoß
da wieder ſelige Augenblicke! Es wurde alles in Bei-
ſeyn ihres Vaters wiederholt, was ſchon mehrmals
war verabredet worden, beſonders an Pfingſten in
Manheim. Das Pferd ſchickte ich durch einen Bo-
ten nach Alzey, und begab mich bald zu Fuße zuruͤck,
um wenigſtens zum Mittags-Eſſen zu Hauſe zu ſeyn,
und meinem Vater Argwohn zu erſparen. Der gute
Alte hat auch nicht gemerkt, daß ich ihn gleich am
erſten Tage hintergangen hatte. So leichtſinnig iſt
man, ſo lange man noch unſtaͤtig iſt!
Der Bellermarkt ging ganz in Jubel voruͤber,
und ich ſah mein Maͤdchen noch einmal daſelbſt.
Aber wenn ich mich nun ſo unterſuchte; ſo fand ich,
daß meine ſonſt ſo feurige Liebe, viel von ihrer
Staͤrke verloren hatte. Die lange Abweſenheit hatte
ſie wahrlich nicht geſchwaͤcht: denn noch, als ich mit
dem Toͤpfer Engel redete, war Thereſens Bild ſo
in meiner Seele, daß es dieſelbe ganz und gar aus-
fuͤllte: nur als ich ſie in der Weinhuͤtte ſah, nahm
das Bild an Lebhaftigkeit ab, und wurde jedesmal,
ſo oft ich nachher bei ihr war, ſchwaͤcher. Ob die
kleinlichen Verhaͤltniſſe ihres Aufenthalts in der Huͤt-
te, ſie ſelbſt bei mir verkleinert, oder ob die vielen
und rauſchenden Zerſtreuungen meine Empfaͤnglichkeit
fuͤr ſie vermindert hatten, weiß ich nicht: genug,
ich fuͤhlte nach acht Tagen Aufenthalt in der Pfalz,
keinen allgewaltigen Drang mehr, mein Maͤdchen zu
beſuchen, und war in ihrer Abweſenheit ſogar auf-
geraͤumt. Eine neue Liebſchaft hatte hieran keinen
Antheil: denn ich kann ſchwoͤren, daß damals kein
Maͤdchen außer Thereſen meine Aufmerkſamkeit auf
ſich zog. Kurz, mein Enthuſiasmus in der Liebe
hatte nachgelaſſen. Der Verſuch alſo, mich uͤber die-
ſen Punkt auszuſpaͤhen, mislang meinem Vater: er
fragte mich naͤmlich, ob ich nicht Luſt haͤtte, den
Amtmann.....zu beſuchen? Er ſey immer ein
Freund unſerer Familie geweſen: auch wuͤrde hoffent-
lich die Lapperei mit ſeiner Tochter — ſo nannte er
unſre Liebſchaft — nun ihr Ende erreicht haben. —
Ich ſagte ihm ganz unbefangen: wenn er es haben
wollte, ſo wuͤrde ich ihn beſuchen, wenn er aber im
geringſten beſorgt waͤre, daß ich wieder in meine
vorigen Schwachheiten zuruͤckfallen moͤchte; ſo ſollte
es nicht geſchehen. Mein Vater war damit zufrie-
den, und verſprach mir, daß er ſelbſt mit mir zum
Amtmann gehen wollte. Das geſchah auch einige
Tage hernach; aber unſere Zuſammenkunft war ſo
ziemlich kalt und gleichguͤltig. Thereſe ſelbſt ſchien
mich nicht mehr als ihren Einzigen zu betrachten.
Vielleicht hatte ſie einige Erkaͤltung in meiner Liebe
gegen ſich bemerkt: und Bemerkungen von der Art,
ziehen etwas aͤhnliches nach ſich: vielleicht — Doch
die Zeiten aͤndern ſich mit uns, und wir mit
ihnen.
Ich hab einmal geleſen, ich glaub' es war in
der Mariane von Mariveaux, daß Liebe ſo
lange ihre Herrſchaft ausuͤbe, bis ein anderer Ge-
genſtand, oder bis Eckel, Alter oder grobe Belei-
digung andre Leidenſchaften rege machten, oder ſie
vertilgten. Das iſt aber nicht wahr: Liebe vergehet
wie hitzige Krankheit. Heftig iſt ihr Anfall, und
heftig ſind ihre erſten Paroxismen: dieſe laſſen nach,
und hoͤren endlich gar auf. Dann brauchts nur ein
klein wenig Arzenei: und die ganze Krankheit iſt ge-
hoben. — Aber freilich iſt die erſte Leidenſchaft dieſer
Art von wunderbar langer Dauer, wenn man ſie
gegen andre Liebſchaften haͤlt, die mancher hernach in
der Welt angiebt. Vielleicht theile ich derer noch
mehrere mit: einige muß ich ſchon mittheilen, denn
ohne ſie zu kennen, wuͤrden einige meiner Begeben-
heiten nicht leicht zu erklaͤren ſeyn. Doch genug
davon.
Waͤhrend meines damaligen Auffenthalts in der
Pfalz, hatte ich auch einigemal Gelegenheit, mit
einigen Herren Paſtoren und andern orthodoxen Her-
ren uͤber Gegenſtaͤnde der Theologie zu diſputiren,
von der ich freilich damals noch blutwenig wußte.
Ich hatte aber doch gehoͤrt, daß die Gottheit des
Herrn Chriſtus anfinge, ſtark bezweifelt zu werden:
daß Bahrdt die Eiwigkeit der Hoͤllenſtrafen, die
Kraft der Taufe bei kleinen Kindern u. ſ. w. leug-
nete: daß Semler in Halle ganz neue Grundſaͤtze
uͤber den Kanon aufgeſtellt haͤtte, und was der-
gleichen Weisheiten mehr waren. Ich brachte meine
Saͤtze, die ich noch ſo vom Hoͤren-ſagen hatte, und
eben darum nur halb vertheidigen konnte, aller Or-
ten vor: man widerſprach mir maͤchtig; ich war aber
immer gluͤcklich genug, meine Gegner in die Enge
zu treiben, und freute mich allemal in der Seele,
wenn ſo ein Herr Paſtor nicht weiter fortkonnte,
und ſeine Zuflucht zu Machtſpruͤchen, und Schim-
pfereien nehmen mußte. Herr Pfarrer Mach-
wirth von Morſchheim wurde einſt uͤber Tiſche
gleich nach der Suppe, ſo uͤber mich erboßt, als ich
behauptete, das Hohelied des Salomo ſey nichts,
als eine Sammlung von Fragmenten aus Liebeslie-
dern, und ſey noch obendrein ſchmutziges Inhalts,
wenn man es nach unſern Zeiten betrachtete, —
daß er keinen Biſſen weiter zu ſich nehmen konnte:
ſo ſehr hatte ihn der Eifer fuͤr die reine Lehre er-
griffen!
Mein Vater ſah mit Vergnuͤgen, daß ich nach
ſeinem Ausdruck, anfing zu erkennen, wo Barthel
Moſt hohlt. Er empfahl mir zugleich das Buͤchel-
chen des Samuel Crellius de uno Deo Patre,
welches er mir mit nach Gießen gab, das ich ihm
aber nach einigen Monaten zuruͤckſchicken mußte.
Ich habe dieſem Buche wahrlich zu verdanken, daß
ich anfing, uͤber die von der Kirche und den Theolo-
gen geheiligten Fratzen ganz anders zu denken, als
man ſo gewoͤhnlich denkt. Crellius hat das ſoge-
nannte Geheimniß der Dreieinigkeit nach meiner
Einſicht gruͤndlich untergraben, und deſſen Ungrund
ſogar aus dem neuen Teſtamente ſo buͤndig bewieſen,
daß kein Theologe bisher auf ſeine achilleiſchen Ar-
gumente hat antworten koͤnnen. Sociniani pflegte
mein Alter zu ſagen, in eo reliquis Chriſtianis
praeſtant, quod ibi philoſophantur, ubi ceteri
credunt. Ich glaube, der Alte hatte vollkommen
recht. Er empfahl mir zwar das Buch des Crellius
nicht, daß ich blos auf ſein Wort glauben und an-
nehmen ſollte, was darin ſtaͤnde, ſondern um zu
ſehen, wie noͤthig theologiſche und philoſophiſche und
andre Gelehrſamkeit waͤre, um das Syſtem der
Kirche nur einigermaßen zu vertheidigen, wenn Geg-
ner von Crellius Art dagegen auftraͤten. Hier im
ganzen Lande, und auch im Darmſtaͤdtiſchen, ſagte
mein Vater, wird niemand ſo leicht den Crellius
widerlegen. Waͤhrend dieſes meines Auffenthalts
bei meinen Eltern, machte ich eine Acquiſition, die
mir in der Folge unendliches Vergnuͤgen gemacht hat.
Das war die Bekanntſchaft und Freundſchaft des
Pfaͤlziſchen Foͤrſters, Herrn Haags, dieſes von
Bonzen und Talapoinen in der Pfalz genug verketzer-
ten Mannes. Ich werde fernerhin mehr von dieſem
aufgeklaͤrten Manne ſagen, und da muß ich denn
freilich vom katholiſchen Paſtor zu Woͤllſtein und den
Alzeier Kapucinern einiges anbringen, das dieſen
Derwiſchen nicht gefallen wird. Aber dergleichen
Dermiſche und Kalender leſen ja mein Geſchriebe-
nes nicht!
Achtzehntes Kapitel.
Siehe da einen Ordensbruder!
Die Ferien waren ſchon acht Tage zu Ende, als
ich nach Gießen zuruͤck kam. Ich ordnete meine
Kollegia, und fing an, fleißig zu ſtudiren. Ich
fand jetzt mehr als jemals, daß Kenntniſſe ein wah-
res Beduͤrfniß fuͤr meinen Kopf waren. Ich habe
auch, ohne mich zu ruͤhmen, blos aus innerm Trieb,
und niemals deswegen gelernt, weil ich einmal mein
Brod damit verdienen wollte. Meine Weisheit iſt
niemals weit her geweſen, und in keiner einzigen
Wiſſenſchaft hab ich mich uͤber das ſehr Mittelmaͤßige
erhoben; doch habe ich ohne Unterlaß ſtudirt, und
ſtudire noch recht gern; nur muß mir ein Buch in
die Haͤnde fallen, worin mehr erzaͤhlt, als raͤſonnirt
wird. Denn gegen das Raͤſonnement hab ich von
jeher einen gewiſſen Widerwillen gehabt: und das iſt
auch der Grund, daß ich in der Philoſophie ein jaͤm-
merlicher Stuͤmper geblieben bin. Vielleicht war
aber das auch ſo uͤbel nicht!
Ich hatte bisher bei einem gewiſſen Schneider
Klein gewohnt; nun aber quartirte ich mich zum
Eberhard Buſch, beruͤhmten Bierſchenken zu Gie-
ßen, ein. Dies Logis war in der ganzen Stadt
bekannt, und das Bier war da wenigſtens ſo gut,
als man es in Gießen haben konnte. Mein Haus-
wirth war ein luſtiger braver Mann, bei dem ich
ausgehalten habe, bis ich von Gießen abzog.
Ohngefaͤhr zwei Jahre vor meiner Univerſitaͤts-
zeit, waren die Orden auch zu Gießen eingefuͤhrt.
Dieſe unſinnigen Verbindungen ſind eigentlich in
Jena entſtanden. Die Moſellaner Landmannsſchaft
hat zuerſt dergleichen ausgebruͤtet. Nach und nach
haben ſie ſich an mehreren Orten eingeſchlichen, ſo daß
ſchon 1778. viele deutſche Univerſitaͤten von ihnen
inficiret waren, beſonders Jena, Goͤttingen, Halle,
Erlangen, Frankfurt, Gießen, Marburg, u. a.
Einige Jenenſer hatten den Orden der ſogenanten
Amiciſten L'ordre de l'amitiè auf franzoͤſiſch genannt: denn
die Deviſe war: Amitiè, welche durch dieſes Zeichen
XX (vivat Amicitia!) angezeigt wurde., nach Gießen gebracht. Anfaͤnglich
blieb das Ding geheim: nachdem aber die Ritter,
ich wollte ſagen, die Herren Ordensbruͤder inne wur-
den, daß man in Gießen alles thun durfte; ſo
machten ſie ihre Sache publik. Sie trugen auszeich-
nende Kokarden, und litten nicht, daß die Profa-
nen So nennen Ordensbruͤder diejenigen, welche keine
Ordensbruͤder ſind. Den Profanen ſteht aber, wie
jeder weis, das Heilige entgegen. Wofuͤr ſich doch die
Herren halten muͤſſen! O ſancta ſimplicitas!! dergleichen nachmachten. Den andern Stu-
denten gefiel das Ding: ſie rotteten ſich alſo zuſam-
men, und ſtifteten der Orden mehrere. Und ſo ent-
ſtand der Heſſen-Orden, ja ſogar der Renommiſten-
Orden oder der Orden des heiligen Fenſters, welcher
aber leider, wegen der großen Schifitaͤt, der ſchiefe
Orden und der Lauſe-Orden benannt wurde.
So war die Lage der Orden, als ich nach Gie-
ßen kam. Ich gerieth gleich Anfangs in Bekannt-
ſchaft mit mehrern Ordensbruͤdern; aber doch konnte
ich mich nicht entſchließen, ihrer Verbindung beizu-
treten. Ich war einmal verſichert, daß ich bei Haͤn-
deln fremder Huͤlfe nicht bedurfte: zum andern fing
man von Seiten der Univerſitaͤt an, auf die Orden
aufmerkſam zu werden, und drittens mochte ich mit
einer ganzen Bande keine genaue Freundſchaft auf-
richten, von welcher mich viele nach dem Gießer
Ausdruck, laxirten, d. i. mir hoͤchſt unausſtehlich
waren. So blieb ich alſo vom Orden frei, auf eine
Zeitlang naͤmlich.
Indeſſen hatten die Pfaͤlzer ein Kraͤnzchen
unter ſich errichtet, welches herumgieng, und uns
viel Vergnuͤgen machte. Wir hatten freilich unſere Ge-
ſetze und Statuten, die den Geſetzen der Orden ziemlich
nahe kamen: unſer Zweck war auch der Zweck aller Or-
den, naͤmlich ein gewiſſes Anſehn auf der Akademie zu
behaupten. Aber wir waren weder eidlich, noch auf
ſonſt eine Art an einander gekettet, und es ſtand einem
jedem frei, uns zu verlaſſen, ſobald es ihm beliebte.
Uebrigens herrſchte unter uns die groͤßte Freundſchaft
und Harmonie, und da wir lauter ſolche zu Mitglie-
dern hatten, die als honorige Burſche auf der Uni-
verſitaͤt angeſehen waren; ſo wagte es niemand, das
Pfaͤlzer-Kraͤnzchen zu beleidigen, oder ſchlecht davon
zu ſprechen. So blieben die Sachen eine geraume
Zeit, bis endlich ich und noch zwei andere aus un-
ſerm Kraͤnzchen uns in den Amiciſten Orden aufneh-
men ließen.
Haͤtte ich vor meiner Aufnahme das eigentliche
Weſen einer ſolchen Verbindung gekannt; ich wuͤrde
wahrlich niemals hineingetreten ſeyn. Das Ding
iſt ein Gewebe von Kindereien, Abſurditaͤten und
Praͤſumtionen, uͤber welche ein kluger Mann bald
unwillig werden muß. Die Geſetze ſind alle ſo elend
abgefaßt, und ſo kauderwaͤlſch durch einander gewor-
fen, daß man Muͤhe hat, ſich aus dem Labyrinthe
derſelben heraus zu winden. Ueberhaupt iſt es ein
erztoller Gedanken, daß ein Haufen junger Leute
eine geheime Geſellſchaft ſtiften wollen, deren Zweck
iſt, ſich ausſchließlich das hoͤchſte Anſehen zu verſchaf-
fen: deren Oberhaupt ein Burſche iſt, welcher eine
Gewalt in ſeinem Orden ausuͤbt, wie weiland der
Jeſuiten General in der Geſellſchaft Jeſu. So un-
gern es manche hoͤren werden, muß ich doch die
Wahrheit bekennen, und gerade herausſagen: daß
akademiſche ſogenannte Orden Orden ſind bei Leuten, welche den Sprachgebrauch
nicht verhunzen wollen, oͤffentiche Societaͤten, oder
oͤffentliche Ehrenzeichen Der Studenten-Orden aber
iſt eine geheime Geſellſchaft, und niemand geſteht gern,
daß er ein Mitglied davon iſt: das iſt contradictio im-
plicita., unſinnige Inſti-
tute ſind. Ich muß die Sache naͤher beleuchten.
Als ich hineintrat, las man mir die Geſetze
vor, welche in gewiſſe Titel, z. B. von Schlaͤge-
reien, vom Borgen und Bezahlen, vom Fluchen
und Zotenreißen – abgetheilt waren. Die Sprache
der Geſetze war aͤuſſerſt legal, das iſt, undeutſch und
unverſtaͤndlich. Da die Geſetze nach und nach ge-
macht ſind; ſo fehlt es ihnen nicht an Widerſpruͤchen,
Wiederholungen und ganz unbrauchbaren Vorſchrif-
ten. Doch das iſt ja auch der Fall im Corpus ju-
ris und in mancher andern heiligen und unheiligen
Sammlung von Geſetzen.
Ich erinnere mich noch an viele Geſetze des
gedachten Ordens, wovon ich meinen Leſern einige
der vornehmſten mittheilen will.
Der Zweck des Ordens iſt, ſich auf der Uni-
verſitaͤt Ehre und Anſehn zu verſchaffen, d. h. ſich in
ſolche Poſitur zu ſetzen, daß alle Studenten, ja
ſelbſt die Profeſſoren und die Vorgeſetzten ſich vor
den Herren Ordensbruͤdern fuͤrchten moͤchten.
Daher iſt die engſte Verbindg noͤthig. Dieſe
erfordert natuͤrlicher Weiſe, daß kein Mitglied das
andere beleidigen darf. Alle Beleidigungen, die vor-
fallen, muͤſſen vom Senior geſchlichtet werden. Ue-
berhaupt ſind viele Geſetze da, welche Freundſchaft,
Vertraͤglichkeit u. d. gl. gebieten. Da aber Freund-
ſchaft ein Ding iſt, das ſich nicht gebieten laͤßt; ſo
giebt es im Orden immer ſo viele Disharmonien,
daß gewiß ſtets Schlaͤgerei ſeyn wuͤrde, wenn nicht
andere praͤgnante Gruͤnde Ruhe heiſchten.
Das Oberhaupt des Ordens iſt der Senior,
welchem die andern gehorchen muͤſſen. Er hat ihnen
zwar nur in Ordensſachen zu befehlen: da ſich aber da-
hin allerlei ziehen laͤßt; ſo iſt der Senior gleichſam
der Herr der Mitglieder, und die Mitglieder ſind,
wenn er es verlangt, ſeine gehorſamen Diener. So
wird man Sklave, um frei zu ſeyn!
Neben dem Senior iſt noch ein Subſenior, der
auch etwas zu ſagen hat, vorzuͤglich in Abweſenheit
des großen Moguls, ich meyne, des Seniors: dann
Erſter Theil. L
folgt das fuͤnfte Rad am Wagen, — der Herr Se-
kretaͤr.
Ordnung muß ſeyn: wer alſo gegen den Senior
ſpricht, ihn ſchimpft, und ſich ſeinen Befehlen fre-
ventlich widerſetzt, wird ohne alle Gnade, wenns
naͤmlich der Herr Senior befiehlt, aus dem Orden
herausgeſchmiſſen. An Satisfaction darf er nicht
denken.
Die vom Senior angegebne Kontribution muß
richtig bezahlt werden. Fuͤgt es ſich, daß Ausgaben
zu einer Zeit vorfallen, wo nicht alle Glieder bei
Gelde ſind; ſo muͤſſen die, welche Geld haben, vor-
ſchießen; das Vorgeſchoſſene muß aber promt erſetzt
werden, unter Strafe der Verbannung aus dem
Orden.
Um die Koſten zu beſtreiten, muß eine Kaſſe
angelegt werden, welche unter der Aufſicht des Se-
niors ſteht, und woruͤber ordentlich Rechnung ge-
fuͤhrt werden muß.
Wenn ein Mitglied Haͤndel bekommt; ſo muß
er ſich ſchlagen: doch aus guten Gruͤnden, ſchlaͤgt
ſich auch der Senior oder ein anderes Mitglied fuͤr
ihn. Ueberhaupt muͤſſen in dieſem Fall die Glieder
dafuͤr ſorgen, daß ſie und nicht ihre Gegner in
Avantage ſind. Lieber eine Niedertraͤchtigkeit be-
gangen, lieber ſich à la mode der Gaſſenjun-
gen herumgebalgt, als den Vortheil und die Ehre
der Avantage aus den Haͤnde gelaſſen.
Bei den Zuſammenkuͤnften muß der, an dem
die Reihe iſt, rechtſchaffen aufwichſen: Geht aber
die Zeche auf gemeinſchaftliche Koſten; ſo zahlt jeder
ſeinen Antheil, auſſer dem Senior, der immer frei
iſt, weil er der Herr iſt.
Eine Klugheitsregel hieß es: keine arme Ver-
wachſene, Muthloſe u. dergl. aufzunehmen. Der
Orden haͤtte von dieſen Menſchenkindern keinen Vor-
theil, und nichts als Koſten, Schande und Ver-
druß. So ſoldatiſch-amikabel dachten die Ami-
ciſten! —
Und von dieſer Art waren die Regeln, oder die
Geſetze des wohlloͤblichen Ordens der Herren Ami-
ciſten. Ihre Anzahl ließe ſich noch ſtark vermehren,
wenn ich nicht befuͤrchten muͤßte, meinen Leſern zur
Laſt zu fallen. Einige ihrer Geſetze waren aber doch
gut, z. B. daß die Mitglieder fleißig ſeyn, die Kol-
legia nicht verſaͤumen, nicht fluchen oder Zotenreißen
ſollten, u. dergl. Allein dieſe Vorſchriften wurden
nicht befolgt, vielmehr wurde in unſern Zuſammen-
kuͤnften geflucht und gezotologirt, wie auf keiner
Hauptwache. — Die meiſten andern Geſetze waren
aͤuſſerſt unſinnig und laͤppiſch, z. B. die, uͤber die
Aufnahme, uͤber das Zeichen, wodurch ein Glied
ſich dem andern entdecken konnte, uͤber die Art, ſich
zu gruͤßen, uͤber das Einzeichnen in den Stammbuͤ-
chern u. ſ. w. Herr Profeſſor Iſenflamm in Er-
langen hat, wenn ich nicht irre, 1780 auf der dor-
tigen Univerſitaͤt den Amiciſten Orden zerſtoͤrt, und
ihre Geſetze drucken laſſen.
Ich habe hernach mehrere akademiſche Orden
kennen gelernt, und alle kamen in der Hauptſache
mit einander uͤberein: nur daß jeder ſeine beſondern
Geheimniſſe, das heißt, ſeine beſondern Zeichen und
andre Alfanzereien vorgiebt. In Halle gab es ein-
mal einen Orden der Inviolabiliſten, und ei-
nen andern der Deſperatiſten. Wer dergleichen
Namen hoͤrt, ſollte meynen, das waͤren gewiſſe
Secten oder Ketzereien, wie die Interimiſten, Adia-
phoriſten, Antinomiſten u. ſ. w., wenigſtens koͤnnte
man leicht Unitarier in Polen und Unitiſten auf Uni-
verſitaͤten fuͤr eins halten.
Obgleich der Hauptzweck der Orden, vorzuͤglich
nach einer neuern Einrichtung bei einigen, auf eine
unzertrennliche Freundſchaft und gegenſeitige Befoͤr-
derung hinauslaufen ſoll; ſo iſt doch das Ding zuletzt
lauter Wind oder kindiſche Speculation. Auf der
Univerſitaͤt hindert oder verdirbt einer den andern,
und hernach verabſcheuen ſie ſich oft um ſo mehr, je
mehr ſie an Reife zunehmen, und nun den Nachtheil
einſehen, der aus dieſer Spiegelfechterei fuͤr ſie ent-
ſtanden iſt. Herr Clemens in Hersfeld, wollte mich
vor fuͤnf Jahren gar nicht mehr kennen, und doch
war ich lange ſein Ordensbruder geweſen, und hatte
mich ſogar einmal fuͤr ihn, oder doch wegen ſeiner,
herumgebalgt.
Die uͤbrigen Zwecke werden auch ſehr ſelten er-
reicht. Ich habe ſelten geſehen, daß ein Ordens-
bruder vor andern Profanen einen Vorzug gehabt
haͤtte: es geht ihnen, wie allen hochmuͤthigen
Schwaͤchlingen, die ihren Werth nicht von ſich, ſon-
dern von Andern hernehmen wollen. Und dies gilt
vom Innern, wie vom Aeußern. Mir ſind Faͤlle
bekannt, wo Ordensbruͤder von ſogenannten Pro-
fanen verachtet, derb ausgepruͤgelt und hernach mit
Schande beſtanden ſind. Einmal hat ſogar ein Herr
Senior auf oͤffentlicher Straße beinahe alle Zaͤhne
verloren.
Fuͤr manchen Profeſſor, Sprachmeiſter, Stie-
felwichſer, Schneider, Pferdeverleiher, Feldſchee-
rer, Gaſtwirth und Haarkrauſeler haben die Orden
allerdings Vortheile. Dieſe guten Leute — zumal
die groͤßten Fuſcher darunter, ſtecken ſich hinter an-
geſehne Mitglieder derſelben, und nun werden alle
uͤbrigen ihre Kunden. Die Beiſpiele davon ſind
freilich verhaßt; ſie finden ſich aber leider mehr, als
zu viel.
Es iſt wohl nicht zu hoffen, daß die Orden auf
Univerſitaͤten durch die Kraft der Geſetze werden
vertilgt werden. Es ſind immer einige angeſehne
und reiche junge Leute in denſelben; und dieſe haben
Anhang. Nun mag das Curatorium oder der Lan-
desherr noch ſo ſcharfe Edicte wider ſie ergehen laſ-
ſen — man ſtellt wohl Unterſuchungen an; aber die
endigen ſich mit Geldſtrafen, und der Orden wird
ſtaͤrker, als zuvor. Auch hiervon hat man Beiſpiele
die Menge.
Aber da doch der Schaden, welchen die Orden
unter jungen Leuten ſtiften, unermeßlich iſt: da dieſe
Verbindungen die Juͤnglinge von Fleiß und Subor-
dination abbringen: da ſie ihnen aufwiegelnde
Grundſaͤtze von Ehr' und Schande einfloͤßen, da-
durch ſie einen Staat im Staate bilden lehren, un-
vertraͤglicher machen und ſo gleichſam ein Bellum
omnium contra omnes unterhalten: da ſie ſich
einander auf Abwege fuͤhren, in Gefahren ſtuͤrzen,
und ſchaͤndlich ums Geld prellen, und dabei auch
nicht den geringſten wahren Nutzen aufweiſen koͤn-
nen; ſo waͤre es durchaus der Muͤhe werth, ein
Mittel auszuſinnen, wie dieſe Art von Verbindun-
gen koͤnnte geſtoͤhrt werden. Geſetze, Verbote,
Strafen, Karcer und Relegation enthalten dies Mit-
tel nicht; noch weniger die ſo haͤufig angewandten
Geldſtrafen: das hat die Erfahrung gelehrt. Es
giebt aber doch eins dergleichen; nur iſt hier der Ort
nicht, davon weiter zu reden. Vielleicht liegt auch
den Akademiſchen Senaten wenig daran; dieſe ſehen
vielleicht aus oͤkonomiſchen Ruͤckſichten gern, daß das
Unweſen fortdaure. Wenigſtens weis ich, daß Herr
Iſenflamm in Erlangen ſich manchen von der
Akademie daſelbſt zum Feinde gemacht hat, als er
etwas unſaͤuberlich mit den hochloͤblichen Herren Or-
densbruͤdern umgieng.
Aber genug von den Orden: ich habe vielleicht
ſchon mehr davon geſagt, als mein Zweck mit ſich
bringt.
Neunzehntes Kapitel.
Weiber Sinn und Mondesſchein
Koͤnnen nie beſtaͤndig ſeyn!
Die Univerſitaͤt Marburg habe ich einigemal be-
ſucht, und da ſowohl den Burſchen-Komment als
auch einige Gelehrte kennen gelernt. Die Univerſitaͤt
war damals ſehr ſchwach: ſie hatte kaum 180 Stu-
denten, deren Komment elend genug war, naͤmlich
Burſchikos zu reden. Die Studenten waren meiſt
Landeskinder, und man hielt ſie in gar ſtrenger Zucht.
Die Univerſitaͤt ſoll ſich ſeit der Regierung des jetzi-
gen Landgrafen merklich zu ihrem Vortheil vermehrt
und verbeſſert haben. Dieſes beſtaͤtigte mir vor kur-
zen noch Hr. Dambmann aus Darmſtadt, den ich in
Halle daruͤber geſprochen habe. Als ich von Gießen
aus da war, machten die Marpurger Studenten
eine Figur, wie ohngefaͤhr die Schuͤler auf dem Hal-
liſchen Waiſenhaus. Sie waren den Gießer Studen-
ten nur darin aͤhnlich, daß ſie derb Bier trinken und
ſchnappſen konnten. In Kleidern gingen ſie etwas
galanter, als die Gießer; dafuͤr wuſten ſie aber auch
keinen Komment. Wir kommerſirten einſt — ver-
ſteht ſich ein Schwarm Gießer — in einem Gaſt-
hauſe zu Marburg. Einige Marburger ſahen uns
zu; wurden aber nicht eingeladen zum mitmachen.
Wir ſangen aus dem erbaulichen Liede ça donc ça
donc folgende Verſe ſehr oft zur Erbauung der Her-
ren Marburger:
Rien, Rien :,:
So ſpricht der dumme Teufel
Der noch nicht den Comment verſteht.
Seht doch den dummen Marburger an,
Der noch nicht kommerſiren kann!
Courage, Courage :,:
So ſpricht der Gießer Burſche
Der da recht den Comment verſteht
Seht doch den Gießer Burſchen an,
Wie er brav kommerſiren kann!
Die Marburger hatten nicht das Herz, uns et-
was uͤbel zu nehmen: Vielleicht waren ſie zu klug
dazu. Als wir ſie fragten- wie ihnen unſer Kom-
mers gefallen haͤtte, und ſie mit einem: ſehr ſchoͤn
antworteten, ſagte Bruder Henrici: „Ja, Ihr
„muͤßt auch wiſſen, Ihr Marburger, daß die Gießer
„den Komment erſt recht verſtehen. Das ſind ganz
„andre Kerls, als ihr! Schwerenoth, zu uns muͤßt
„ihr kommen! Ein Fuchs bei uns weis mehr Kom-
„ment, als eure ganze Univerſitaͤt! Gott ſtraf mich,
„das iſt wahr!“ — Die Herren Marburger laͤchel-
ten und gingen ihrer Straße. Sie waren kluͤger,
als wir.
In einigen Kollegien hoſpitirte ich, und be-
ſuchte auch ſelbſt einige gelehrte, bei denen mich mein
Vetter Boͤhmer, der Hofmeiſter bei Herrn von Brei-
tenbach, einfuͤhrte. Es waren die Herren Wyt-
tenbach, Coing, Seip und Curtius.
Herr Curtius iſt ein herrlicher Mann, ſo viel
ich naͤmlich nach der kurzen Bekanntſchaft urtheilen
konnte. Er ſprach ſehr huͤbſch und gruͤndlich uͤber
Litteratur und Philologie, und machte auch einige
Anmerkungen uͤber Herrn Schmid in Gießen, die mir
baß behagten.
Coing iſt ein finſterer Mann, ſo recht von der
Mine eines Dorfſchulmeiſters: dabei iſt er ſchroͤcklich
orthodox, und im hohen Grade impertinent. Er
hat auch allerhand geſchrieben, aber niemand hat es
leſen wollen. Die Titel ſeiner Buͤcher ſtehen im ge-
lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man
ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern.
Wyttenbach iſt ſchon lange todt. Er war
ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte:
ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha-
berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein
ſtrenger Verfechter des herrlichen decreti abſoluti,
woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt
Schubert gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein
alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz-
balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu-
tirte de omnipraeſentia carnis Chriſti. Ich ſagte
ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes
Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter
mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie?
fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraeſentiam,
oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem
carnis domini? — So ſind Sie auch nicht γνηοιως
ein Lutheraner.
Ich: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri-
ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche
Grille einiger Privatlehrer.
Er: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der
heiligen formula concordiae, die die Herren Lu-
theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen?
Ich: Das kann ich nicht ſagen: ich habe die
Formula Concordiaͤ noch nicht geleſen: aber das weis
ich, daß die Ubiquitaͤt ſo wenig Lehre unſrer Kirche
iſt, als das abſolutum decretum eine weſentliche Lehre
der Reformirten.
Er: Ei, ſieh doch: abſolutum decretum!
Ih nun, wie mans nimmt! Aergert Sie das Wort
abſolutum decretum; das kann man aufgeben:
aber die Sache iſt doch certa ſub limitatione rich-
tig, und ein weſentlicher Artikel des Glaubens.
Nun folgte eine fuͤrchterliche Erlaͤuterung des
Artikels von den goͤttlichen Rathſchluͤſſen, wobei der
alte Doctor ſo ſehr in die Hitze gerieth, daß er ſeine
Pfeife — daruͤber zerbrach. Dieſer Zufall machte,
daß er ſich wieder erholte. Hernach ging der Laͤrmen
von neuem los. Einigemal gedachte er des Sankt
Calvins mit großen Lobſpruͤchen, nannte ihn einen
frommen treuen Arbeiter im Weinberge Jeſu u. ſ. w.
Allein ich war dem Sankt ſchon ſeit langer Zeit ſpinne
feind, weil ich die Hinrichtung des Servetus in Mos-
heims Geſchichte ſchon zu Hauſe geleſen hatte.
Ich nahm mir daher die Freiheit dem Herrn Doctor
zu erwiedern: Calvin ſey ein Mann von ſehr haͤmi-
ſchen, heimtuͤckiſchen, erzboshaften Character gewe-
ſen, ſo ungefaͤhr wie der Sankt Dominik oder ſein
Ebenbild Meiſter Hochſtraten. Da fing Wyttenbach
Feuer, vertheidigte den Calvin, und behauptete ge-
radezu, daß man gotteslaͤſterliche Ketzer, wie Ser-
vet, der die Trinitaͤt einen dreikoͤpfigen Cerberus ge-
heißen haͤtte Nichts iſt abgeſchmackter, als wenn die Verfechter
Calvins von Servetus Gotteslaͤſterungen was daher
plappern! Servet laͤugnete die Trinitaͤt: ſie war ihm
ein Non-Ens; wie konnte er ſie alſo laͤſtern? Oder
warum verbrannte man nicht auch den Luther, als
Blasphemanten, da er die Meſſe einen Drachenſchwanz,
Teufelopfer u. ſ. w. nannte? Hier iſt ja alles relativer
Ideenkrieg! Und wenn der liebe Gott ſelbſt Philoſoph
genug iſt, die Queergrillen der Menſchenkinder uͤber
ſich zu dulden: wer gibt denn uns Thoren das Recht,
ſtatt ſeiner zu haͤſchern, oder zu dominiciren? – Aber
freilich, die Herren Feuer- und Schwerd-Apoſtel waren
von jeher unausſtehliche, ſelbſtſuͤchtige Grillenfaͤnger,
die fuͤr ihre Rechthaberei und Verfolgungsſucht keinen
glaͤnzernden Deckmantel finden konnten, als die Auf-
rechthaltung der Ehre Gottes, oder der – reinen
Lehre., hinrichten koͤnnte. Calvin haͤtte
recht gehabt.
Dieſer Freund Wyttenbach haͤtte ſich ganz vor-
treflich zu einem Ketzermeiſter oder Inquiſitor ge-
ſchickt. Hier will ich nur ſo im Vorbeigehen bemer-
ken, daß man bei den Reformirten weit mehr Into-
leranz und Geiſt der Verfolgung antrift, als bei den
Lutheranern. Woher das kommen mag, weis ich
nicht; es iſt aber in der That ſo. Auch fand ich bei
ihnen in der Pfalz immer mehr Rechthaberei und
geiſtlichen Stolz, als bei den Lutheranern. Ich
denke je ſpitzfuͤndiger ein Syſtem iſt, deſto mehr
Schulfuͤchſerei, Schlupfwinkel, Ausfluͤchte, Recht-
haberei, Intoleranz — deſto mehr Sache der Phan-
taſie, mehr Indolenz u. ſ. w. Da ich gegen alle
Sekten ſo ziemlich gleichguͤltig bin: ſo wird man
mir auf mein Wort glauben, daß ich nicht aus
Partheiſucht dieſe Anmerkungen herſchreibe. Doch
weiter!
Das erſte Jahr hatte mein Wechſel huͤbſch
zugereicht, und ich war um Oſtern 1776 keinen
Pfennig ſchuldig. Ich hatte zwar luſtig gelebt, doch
hatte ich meine Oekonomie ſo eingerichtet, daß ich
mit meinem Beſtimmten auskam. Auch hatte ich
mir einige gute Buͤcher, unter andern die Bouſſuet-
Cramerſche Hiſtorie, Mosheims Inſtitutiones Hiſt.
Eccleſ. majores, le ſiécle de Louis XIV. und
einige andre angeſchaft. Meine Mutter gab mir das
Geld dazu her, und bezahlte mir auch den Italiaͤ-
niſchen Sprachmeiſter.
Auf Oſtern zog ich wieder nach Hauſe, meine
Eltern zu beſuchen, und beiher auch Thereschen zu
ſehen. Freilich ſehnte ich mich nach ihr nicht mehr
ſo ſehr, als vorhin.
Mein Vater wollte jetzt durchaus, daß ich ein-
mal predigen ſollte: ich lernte alſo eine auswendig:
denn ſelbſt konnte ich noch keine machen, hatte auch
nicht Luſt dazu, und hielt ſie mit vieler Dreiſtig-
keit in Moͤrsfeld vor Bergknappen und Bauern.
Mein Vater hatte mir vor der Kirche zugehoͤrt,
ohne daß ich es wußte, und war hernach ganz ent-
zuͤckt uͤber meine Eloquenz, — nur meinte er, ich
muͤßte kuͤnftig meine Predigten huͤbſch ſelbſt ausar-
beiten, und mich ja nicht, wie ſonſt die Herren, aufs
Reiten legen. In der Folge habe ich zwar manche
Predigt ſelbſt gemacht; die meiſten aber ſchrieb ich
ab, und hielt ſie. Ich glaubte das naͤmliche Recht
zu haben, was ein Profeſſor der Geſchichte hat,
welcher ſie woͤrtlich abſchreibt, und hernach ſeinen
Herren Zuhoͤrern dahin kanzelt.
Meine Thereſe bekam ich fuͤr diesmal nicht zu ſe-
hen: ſie war in Manheim, und mir war die Luſt ver-
gangen, mich einem Wiſcher von meinem Vater da-
durch auszuſetzen, daß ich dahin haͤtte fahren moͤgen.
Beiher hatte ich auch ein anderes Maͤdchen kennen
gelernt, welches mir meinen Aufenthalt zu Hauſe
ziemlich angenehm machte. Verliebt in ſie — bin
ich wahrlich nicht geweſen, bin auch ſeit Thereſens
Zeiten es in keine mehr geworden, hab' gar hernach
uͤber die verliebten Thorheiten oft weidlich gelacht!
Doch hatt' ich ſo mein Behagen an huͤbſchen Geſich-
tern, aber auch blos an Geſichtern, d. i. am Koͤr-
perlichen: denn fuͤr die Seelen der Weiber hab' ich
von jeher blutwenig Reſpect gehabt. Es ſind, ſo
nach meiner Meinung, welche ich aber niemanden
aufdringen will, die ſich indeß ſchon von ſelbſt in
der leidigen Erfahrung aufdringt — eitle, einge-
bildete, aberglaͤubiſche, neidiſche Dinger, die gern
wollen brilliren, die ſich blos am Schein beluſtigen,
in Kleinigkeiten Kabalen ſpielen, ſich durch Nach-
aͤffung formen, keinen Karakter haben, Gottes- und
Pfaffengunſt durch geiſtliche Coquetterie zu erſchlei-
chen ſuchen, und wie's Wetter im April bald gut
und ſanft, bald ſtuͤrmiſch und tigermaͤßig grauſam
ſind. —
Das iſt ſo mein Glaubensbekenntniß vom lieben
Frauenzimmer, wozu ich mir die Gruͤnde aus der
Erfahrung abſtrahirt habe. Ich habe ſie geſehen in
vornehmen Zirkeln, und in Buffkellern: ſie waren
aber da wie dort: immer gleiche Geſinnungen, nur
beſtand der Unterſchied in einigen Schattirungen,
welche groͤber und feiner ſind, und die Frauenzimmer
von Qualitaͤt von denen ohne Qualitaͤt unterſchei-
den. — Ja meine liebe Dame, daß es auch hierbei
Ausnahmen gebe, weis ich; daß aber dieſe ſelten
ſind, weis ich eben ſo gut, als daß Sie ſich zu dieſen
Ausnahmen rechnen werden, oder mein Buch mit
Verachtung hinwerfen. Der groͤßte Theil von Ihnen
iſt nun ſo!
Das Maͤdchen, von dem ich zuvor redete,
hieß Lorchen, und war die Tochter eines ehrlichen
Pfarrers, der in der Folge mein beſter Freund ge-
worden iſt. Wenn ich nicht das Ungluͤck gehabt
haͤtte, welches ich weiterhin berichten werde; ſo
waͤre ich laͤngſt Pfaffe, und Lorchen waͤre meine
Frau geworden. Aber ſo wollte mein Misgeſchick
das nicht. Und wenn ichs ſo recht bedenke, aͤrgere ich
mich auch daruͤber nicht. Wer weis, wie ungluͤcklich
ich mich mit meiner Familie noch gemacht haͤtte!
Zum Pfaffen war ich verdorben, und wuͤrde gewiß
uͤber kurz oder lang wegen Ketzerei ſeyn kaſſirt wor-
den. Wenn ich alſo im Ungluͤck bin — und ich bin
meiner Meinung und meiner Empfindung zu Folge
nicht ganz darin — ſo bin ich allein darin.
Ich habe bei meiner Biographie gar den Zweck
nicht, dem Leſer eine mitleidige Thraͤne abzulocken,
und dem Publikum ſo was vorzuwinſeln: nein, mei-
ne Begebenheiten ſollen nur den Beweis erneuern:
„daß man bei ſehr guter Anlage und
„recht gutem Herzen ein kreuzliederli-
„cher Kerl werden und ſein ganzes Gluͤck
„ruiniren kann.“ Da wird nun vielleicht Man-
cher, der das ließt, vorſichtiger in der Welt handeln,
damit er nicht auch anrenne, wie ich angerennet
bin!
Der Paſtor Neuner beſuchte uns fleißig in
Wendelsheim, und da ich mehrmals Gelegenheit
hatte, mit ihm allein zu ſprechen; ſo ermangelte er
nicht, mir vorzuſtellen, daß es bald Zeit waͤre, das
große Vorhaben des Katholiſchwerdens auszufuͤhren.
Er erſchrack aber nicht wenig, als er hoͤrte, daß ich
den Lehren, welche ich ſonſt fuͤr gewiß zu halten
ſchien, jetzt geradezu widerſprach, und mit Gruͤn-
den dawider diſputirte. Ich hatte naͤmlich nach dem
Manuale controverſiarum Becani auch das Buch
von dem verſtorbenen Gießer Kanzler Pfaffen:
Réponſe aux douze lettres du R. P. Scheffma-
cher geleſen, und war dadurch in den Stand geſetzt
worden, den Katholiſchen Kirchenplunder etwas
richtiger zu beurtheilen.
Ich fand damals Wohlgefallen an dergleichen
Kontroverſen, und disputirte gern: hernach aber,
als ich in Abſicht der ganzen heiligen Religion andere
Gedanken bekam, verlohr ich auch die Luſt, dogma-
tiſche Kontroversbuͤcher zu leſen: doch haben mir die
Hiſtoͤrchen dieſer Katzbalgereien immer gefallen, und
gefallen mir noch.
Mein Paſtor Neuner richtete alſo nichts bei mir
aus, und gab ſchon die Hoffnung halb auf, daß ich
mich jemals bekehren wuͤrde. Freilich ſtellte er mir
vor, daß ich nun ein haereticus formalis waͤre,
und wenn ich ſtuͤrbe, ſchlechterdins, ohne allen Par-
don ſchibes d. i. verloren gehen muͤßte.
Erſter Theil. M
Zwanzigſtes Kapitel.
Ein Maͤuſekrieg in Gießen!
Auf den Neujahrstag 1776 war Freund Ouvrier
Rector der Univerſitaͤt geworden. Er verwaltete
ſein Rectorat nach gewiſſen Grundſaͤtzen, die ihn aͤuſ-
ſerſt verhaßt machten, und ihm manches pereat zu-
zogen. Der Kanzler Koch haßte ihn aus vielen
Urſachen, vorzuͤglich wegen ſeines Schwiegervaters,
des Geheimen Raths Miltenberg zu Darmſtadt.
Herr Schmid ſagt zwar in der dickbelobten Apologie:
Millenberg ſey immer ein vorzuͤglicher Freund
und Goͤnner von Kochen geweſen; das iſt aber mit
Herrn Schmids Erlaubniß, nicht wahr: wenigſtens
haßte Koch im Jahr 1776 den Geheimen Rath
Miltenberg von ganzem Herzen, von ganzer Seele
und von ganzem Gemuͤthe, und aus allen ſeinen
Kraͤften, und hielt dieſen Haß fuͤr ſein erſtes und
groͤſtes Gebot. Freilich ſehr unevangeliſch; aber
Herr Koch iſt nicht ſehr orthodox, was die Moral
betrift — wie das gewoͤhnlich der Fall bei vielen
Orthodoxen iſt! — In der Dogmatik iſt er aller-
dings rechtglaͤubig, geht aber nicht in die Kirche, als
am Neujahrstage, wenn der neue Rector in der
Kirche inaugurirt wird.
Von den uͤbrigen Profeſſoren waren nur wenige
dem guten Ouvrier geneigt, und ſo war er als Rec-
tor nicht in der beſten Lage.
Im Fruͤhlinge dieſes Jahres kam der Bruder
des regierenden Herzogs von Wuͤrtenberg durch Gie-
ßen, mit ſeiner Tochter, die fuͤr den Ruſſiſchen Groß-
fuͤrſten zur Gemahlin beſtimmt war. Der Herzog
logirte uͤber Nacht im Poſthauſe. Die Studenten
wußten das vorher, und machten Anſtalt zu einer
Serenade, ſo gut man dergleichen in Gießen haben
kann. Die Gießer Hautboiſten, die ſich freilich un-
ter Meiſter Wittichs Anfuͤhrung, wenig uͤber gemei-
ne Bierfiedler erheben, wurden in Beſchlag genom-
men; und damit alles recht feierlich herginge, wur-
den Pechfackeln beſtellt, fuͤr jeden ein Paar. Der
Herr Rector wußte um alles, und ließ uns machen,
bis an dem Tage, fuͤr den die Serenade beſtimmt
war. Da erſchien ploͤtzlich des Nachmittags um drei
Uhr ein Edict am ſchwarzen Bret unter dem Ru-
brum: Rector Univerſitatis Ludovicianae cum
Senatu Mir iſt aus guten Gruͤnden das cum Senatu immer
als ein Schnitzer vorgekommen. Die Roͤmer ſchrieben:
Senatus Conſule C Fannio et C. Meſſala. Doch man
muß das nicht ſo genau nehmen., worin den Studenten durchaus verbo-
then wurde, der Prinzeſſin von Wuͤrten-
berg Muſik zu bringen: ſonſt moͤchten ſie Muſik
bringen, wem ſie wollten: man wolle ihnen ihre
Gerechtſame nicht ſchmaͤlern.
Die Studenten laſen den Anſchlag: viele ge-
riethen daruͤber in Furcht, weil Meiſter Ouvrier
dabei geſetzt hatte: ſub poena relegationis in per-
petuum Meinen lateiniſchen Leſern, die nicht auf Univerſitaͤten
geweſen ſind, muß ich ſagen, daß das akademiſches La-
tein iſt. Freilich ſtehts ſo nicht im Cicero.; allein die Entrepreneurs der Serenade,
Herr Lang aus dem Naſſauiſchen und Herr Bohy
aus Muͤmpelgard ſetzten auf dem Billard, wo eine
Zuſammenkunft war, feſt, daß das infame Hunds-
foͤtter, Draſtika und Laxierpillen ſeyn ſolltenGießiſche Studenten-Terminologie., die
ſich an des Roͤckels Befehle kehren wuͤrden: wer ein
rechtſchaffner honoriger Burſch waͤre, kaͤme auf den
Abend, das Trifolium, den Rector und die verfluch-
ten Pedelle Moͤſer und Stein tief zu periren!—
Das war das concluium, welchem ſtreng nachge-
lebt wurde. Ich ſelbſt hatte viel zu laͤppiſche Be-
griffe von akademiſcher Freyheit, als daß ich dieſe
Gelegenheit nicht haͤtte ergreifen ſollen, mich zu zei-
gen, und uͤbernahm eine Adjutanten Stelle. Gegen
Abend verſammelten ſich alle Burſche auf dem Kir-
chenplatz, und nach acht Uhr warteten wir dem Her-
zog mit der Serenade auf. Er ſchien mit dieſer Ach-
tung gegen ihn auſſerordentlich zufrieden zu ſeyn, und
dankte nebſt der Prinzeſſin ſehr hoͤflich. Auch ließ
er im Poſthauſe ſo viel Wein auftiſchen, als uns zu
trinken beliebte. Da die meiſten ohnehin ſchon bei-
nahe zu viel hatten; ſo kam es jetzt dahin, daß der
ganze Haufen ſehr bezecht wieder abzog.
Auf dem Kirchenplatz wurden die uͤbrigen Fak-
keln und Fackelſtummel verbrannt, der akademiſchen
Freiheit ein Vivat und den Unterdruͤckern derſelben
ein helles Pereat geſchrieen. Sofort wurde das
ſchwarze Bret, woran das Edict geheftet war, her-
abgeriſſen, in Stuͤcken zerſchlagen und ins Fackel-
feuer geworfen. Das war nun das voͤllige Signal
zum Tumulte. Die ganze Nacht ging der Spektakel
nach Panduren Art fort, bis an den hellen Tag: der
arme Eulerkapper mußte ſchrecklich herhalten: dem
Schuſter Wannich Das war ein ſogenannter Pietiſt oder Separatiſt in
Gießen, der immer betete; aber auch alle Jahr wenig-
ſtens ein Hurenkind fabricirte. Die Studenten zuͤch-
tigten ihn aber auch dafuͤr ganz ſeparat. wurde das Haus geſtuͤrmt,
und alle Fenſter eingeſchmiſſen. Dem Rector er-
ſcholl manches wilde Pereat.
Den andern Tag fruͤh ſetzten ſich die Hauptan-
fuͤhrer Lang und Bohy zu Pferde, und ritten nach
Butzbach, wo damals Herr Koch ſich auf dem Land-
tage aufhielt. Sie ſtellten vor, was geſchehen war.
Koch ermahnte ſie zur Ruhe, und verſprach ihnen
Genugthuung, und wenn auch der hoͤlliſche Satan
Rector waͤre. Das waren ſeine eignen Worte.
Obgleich die Hauptanfuͤhrer nicht in Gießen
waren, ſo fehlte es doch nicht an ſolchen, welche den
Aufruhr verbreiteten und unterhielten. Kein Menſch
wollte weiter ins Kollegium, bis nach ausgemachter
Sache. Der Rector ließ in aller Eile wieder ein
ſchwarzes Bret verfertigen, ermahnte zum Frieden,
und hielt ein Concilium, worauf ſich Lang und Bohy,
die jetzt von Butzbach zuruͤck waren, mit aller moͤg-
lichen Inſolenz und Grobheit vertheidigten. Herr
Ouvrier wurde nun noch mehr aufgebracht, und da
er ſich von Darmſtadt aus Unterſtuͤtzung verſprach;
ſo ließ er die Relegation der beiden Anfuͤhrer anſchla-
gen: den Andern wurde die Carcerſtrafe zuerkannt.
Aber nun gings auch vollends loß. Den folgenden
Tag ſahe man an verſchiedenen Orten der Stadt
Zettel angeheftet, worin von Seiten der Bur-
ſche verboten wurde, in ein Collegium zu gehen,
und wer hineinginge, bekam nicht nur die allerſchoͤn-
ſten Beinamen, ſondern man wollte ihn auch mit der
Hundspeitſche begruͤßen, und er ſollte ein blamirter
Junge ſeyn und bleiben. Das ſchwarze Bret litte aber-
mals Noth. Ich ſelbſt beging zu der Zeit den dummen
Streich, mich an meinem Freunde und wahren Goͤn-
ner, dem Bergrath Boͤhm zu verſuͤndigen. Er las
von 8 bis 9 die Metaphyſik, welche ich ſonſt ſelbſt
hoͤrte. Nun wollte ich doch ſehen, ob welche
da waͤren, und fand ohngefaͤhr vier oder fuͤnf Zuhoͤ-
rer, welche vielleicht vom Interdict nichts wiſſen
mochten. Dieſe preſchte ich mit ſtarken Worten her-
aus, und machte ſolchen Laͤrmen, daß der Sohn des
wuͤrdigen Mannes, Herr Aſſeſſor Boͤhm, dazu kam,
und mir meine Impertinenz verwies. Aber da war
fuͤr dasmal weder Gefuͤhl noch Beſinnung: ich ant-
wortete grob, und das Kollegium ward leer. Nach-
her hab ich mich freilich geſchaͤmt, und beide um Ver-
zeihung gebeten: allein der dumme Streich aͤrgert
mich noch bis auf die heutige Stunde.
Ouvrier hielt von neuem ein Concilium; woran
aber nur wenig Profeſſoren Theil nahmen, und be-
ſtaͤtigte die zuerkannten Strafen. Dies war Oel ins
Feuer gegoſſen: es empoͤrte noch mehr.
Aber warum verfuhr denn Herr Ouvrier ſo?
Man muß wiſſen, daß er ehemals Lehrer der fuͤrſtli-
chen Kinder in Darmſtadt geweſen war, und folglich
auch die erſte Gemahlin des Ruſſiſchen Großfuͤrſten
unterrichtet hatte. Nun ſchien es ihm nicht recht zu
ſeyn, daß man im Darmſtaͤdtiſchen zu eben der Zeit,
wo man noch uͤber den Tod jener Fuͤrſtin trauerte,
Freude uͤber derſelben Nachfolgerin feierlich beweiſen
wollte. Das war ſo ſeine Empfindung, und da
glaubte er denn durchzudringen. Beiher rechnete er
auch auf den Beiſtand ſeines Schwiegervaters, und
aͤrgerte ſich, daß ſich die Burſche an den Kanzler ge-
wandt hatten, und ihm auf dem Concilium grob
begegnet waren: und ſo beging er eine Uebereilung,
welche ihm ſo viel Unluſt und ſo wenig Ehre gebracht
hat.
Nachdem man gewiß war, daß Lang und Bohy
relegirt waren; ſo verſammelten ſich alle Studenten
auf den groͤßern Plaͤtzen in Gießen, und berath-
ſchlagten, was zu thun waͤre. Kurz, es wurde
einhellig beſchloſſen, auszuziehen, und ſich auf die
Doͤrfer zu begeben, bis man Genugthuung erhalten
haͤtte.
Der Rector bath den General von Rothberg
und den Obriſten Zangen um einige Patrouillen,
welche den Skandal ſtillen ſollten, den die Studen-
ten durch ihr wildes Herumlaufen und Toben auf
den Straßen erregten. Aber die Herren erwieder-
ten: „die Sache ginge ſie nichts an: die Studenten
„vertheidigten ihre Rechte, und darin koͤnnte man
„ſie nicht ſtoͤren.“
Gegen ein Uhr ging der Zug zum Thor hinaus.
und keine zehn Studenten blieben in dir Stadt. Die
Hautboiſten bließen vorn weg, und dann folgten
die Burſche. Viele hatten ſich mit Kienruß große
Baͤrte in die Geſichter gemalt, und trugen Huſaren-
pelze, und große Huſarenſaͤbel, welche ſie von den
Gießiſchen Huſaren geborgt hatten. Sie ſaßen zu
Pferde, und machten die Anfuͤhrer, Schließer und
Adjutanten. Ich ſchloß den ganzen Zug, und hatte
mich ſo verſtellt und verkienrußt, daß mich niemand
erkennen konnte.
Auf dem naͤchſten Dorfe wurde Halt gemacht,
gezecht, dann auf ein anderes marſchirt, und dabei
alle moͤgliche Poſſen veruͤbt, wie man leicht denken
kann.
Am andern Morgen kamen Lang und Bohy
von Butzbach, und verkuͤndigten uns den naͤhern
Willen des Kanzlers. Er wuͤrde, ſo hieß es, uns
vollkommene Satisfaction ſchaffen: keinem Menſchen
ſollte ein Haar gekruͤmmt werden; nur ſollten wir
ruhig nach Gießen zuruͤckkehren, und das Laͤrmen
einſtellen. Auf dieſe Verſicherung bezogen wir wie-
der die Stadt; aber die Gaͤhrung dauerte noch uͤber
acht Tage fort, ſo daß auch kein Profeſſor Kollegien
leſen konnte. Der Kanzler machte indeß einen Be-
richt nach Pirmaſens an den Landgrafen — nach
ſeiner Art — worin er das Vergehen der Studen-
ten entſchuldigte; hingegen den Rector als die ein-
zige Urſache des Tumultes, und des Schadens und
Schimpfes fuͤr die Univerſitaͤt ſchilderte. Auf dieſen
Bericht wurde der Rector ſogleich abgeſetzt, und ſein
Amt auf den D. Bechtold uͤbertragen. So endigte
ſich dieſer Maͤuſekrieg; aber die Kataſtrophe zog
dem verſchwaͤrzten Herrn Ouvrier ein Gallenfie-
ber zu.
Herr Schmid will in ſeiner Apologie die Schuld
dieſer Abſetzung ganz vom Kanzler Koch abwelzen,
und ſie blos dem damaligen Praͤſidenten Herrn von
Moſer zuſchieben. Dieſer war zu der Zeit zwar
auch in Butzbach; allein wie ſollte der Herr von
Moſer, der niemals in Gießen geweſen war, der
den Rector nicht kannte, und von der Verfaſſung
der Univerſitaͤt nichts wußte, an den endlich kein
Deputirter geſchickt war, der mit keinem Studenten
geſprochen hatte: der ferner in der Sache nicht einmal
berichten konnte, da das Ding dem Kanzler oblag,
wie ſollte, frage ich, dieſer Mann dem Landesherrn
den Vorfall berichtet, und ganz allein, wie Herr
Schmid vorgiebt, ſo berichtet haben, daß darauf ein
Mann geſtuͤrzt waͤre, der ihn nie beleidiget hatte? —
Wer das alles uͤberlegt, und das vorſichtige bis zur
Grillenfaͤngerei behutſame Verfahren des Herrn von
Moſers kennt, der muß das Vorgeben des Herrn
Schmids ungegruͤndet, das Meinige hingegen nicht
nur wahrſcheinlich, ſondern beinahe ausgemacht ge-
wiß finden.
Was aber fuͤr ein ſchiefes Licht aus dieſer ver-
zerrten Geſchichte auf den Karakter des Herrn Kanz-
lers falle, moͤgen andre beurtheilen. Mich geht das
hier weiter nicht an.
Unter Bechtolds Regierung blieb der Zuſtand
der Gießer Univerſitaͤt ziemlich ruhig. Man ging
vorſichtiger zu Werke, und die akademiſchen Kinder
hatten, fuͤr ihr Theil, nun einmal ausgetollt! —
Ein und zwanzigſtes Kapitel.
Wer zu Hauſe nicht klug iſt, iſt es in der Fremde auch
nicht.
Lange hatte ich den Wunſch genaͤhrt, die ihres
Komments wegen hochberuͤhmte Univerſitaͤt zu Jena
kennen zu lernen. Dieſen Wunſch befriedigte ich im
Herbſt 1776. Ich machte mich auf, nachdem ich
meinen Wechſel ſchon in der erſten Frankfurter Meß-
woche erhalten hatte, und wanderte ganz allein zu
Fuße dahin. Meinen Weg nahm ich uͤber Gruͤnberg,
Alsfeld, Hersfeld, Eiſenach, Gotha, Erfurt und
Weimar. Ich waͤhlte mit Fleiß dieſen Weg, um
einige Staͤdte mit zu beſehen, welche mir ſchon aus
Beſchreibungen bekannt waren.
Auf dieſer Fahrt hatte ich nun ſo recht Gelegen-
heit, die niedere Klaſſe der Einwohner dieſer Laͤnder
kennen zu lernen, eine Klaſſe, welche ich immer ſo
gern kennen lernte. Im Heſſenkaſſelſchen hatte ich
hierzu vorzuͤglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu
genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich uͤber-
ſpannte Grundſaͤtze herrſchten. Die Bauern waren
durchaus arme Leute, und eben damals hatte der
verſtorbene Landgraf ſeine Unterthanen nach Amerika
verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kin-
der nach, baten um ein Allmoſen, und klagten, daß
ihre Vaͤter nach Amerika geſchickt waͤren, und daß
ihre armen verlaßnen Muͤtter und ihre alten abge-
lebten Großvaͤter das Land bauen muͤßten. Das
war ein trauriger Anblick! Dergleichen empoͤrt tau-
ſendmal mehr, als alle ſogenannten aufruͤhreriſchen
Schriften: jenes ergreift und erſchuͤttert das Herz;
dieſe beſchaͤftigen meiſt blos den Kopf. Aber von
dieſen will man nichts wiſſen, um jenes deſto unge-
ſtoͤhrter treiben zu koͤnnen — wie wenn es nicht weit
aufruͤhreriſcher waͤre, aufruͤhreriſch zu regieren, als
aufruͤhreriſch zu ſchreiben, zumal, da dieſes groͤß-
tentheils eine Folge von jenem iſt! Iſt das conſe-
quent? — Iſt es im Ganzen klug, den Thurm-
huͤtern und Nachtwaͤchtern das Laͤrmenmachen uͤber
Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das fuͤr
das oͤffentliche Wohl beſorgt ſeyn? — Einſichtige,
vaͤterliche Regenten denken hierbei weit vernuͤnftiger:
man uͤberdenke die Regierung Friedrichs des
Einzigen! —
Ich gab ſoviel von meiner Baarſchaft her, als
ich entbehren konnte. Ich ſprach in allen Heſſiſchen
Schenken ein, und hoͤrte da nichts als Klagen und
Verwuͤnſchungen. Ich ſtehe dafuͤr, wenn ein Fuͤrſt
zu Fuße und unbekannt eine Reiſe durch ſeine Laͤnder
vornaͤhme: es wuͤrde manches geaͤndert werden;
aber ſo ſitzen die guten Herren in Schloͤſſern und in
Zirkeln, wo Noth und Armuth fremde Namen ſind;
und da lernen ſie die Beulen und Wunden nicht
kennen, an denen ihre armen Unterthanen krank
liegen.
Ganz anders ſieht es im Gothaiſchen und Wei-
marſchen aus und noch beſſer im Erfurthiſchen. Zu
Erfurth ſelbſt lernte ich einige Studenten kennen,
welche aber meinem damaligen Geſchmack weit weni-
ger entſprachen als die Marburger. Ich hoſpitirte
auch in den Vorleſungen zweier Profeſſoren, des
Paters Grant — nicht le Grand, wie Herr D.
Bahrdt ſchreibt — und des Profeſſors Froriep,
welcher damals ſchon allerlei Specktackel und Haͤn-
del machte. Herr Grant hat mir ſehr gefallen: er
las Phyſik. — Der Herr Froriep behagte mir gar
nicht. Gern haͤtte ich auch einen katholiſchen Theo-
logen hoͤren moͤgen; aber da war niemand, der mich
in ein ſolches Auditorium haͤtte fuͤhren koͤnnen, oder
wollen. Das Hoſpitiren iſt uͤberhaupt in den katho-
liſchen Theologiſchen Hoͤrſaͤlen gar nicht Mode.
Zu Jena kam ich gegen Abend an, und trat
im halben Mond ab. Da ich hier gar keine Burſche
antraf, ließ ich mich nach dem Abendeſſen auf den
Fuͤrſtenkeller fuͤhren, wovon ich ſchon vieles gehoͤrt
hatte. Ich fand da einen ganzen Haufen Studen-
ten, welche mir alle unbekannt waren. Ich forderte
Bier, und rauchte meine Pfeiffe an. Ein Student
trat zu mir, und fragte; Der Herr iſt gewiß
Burſch?
Ich: Natuͤrlich!
Er: Woher? — von Halle?
Ich: Nein, von Gießen!
Er: Das iſt brav: wie iſts denn in Gießen?
Alles noch fluͤchtig?
Ich: O ja, fidel!
Er: Recht ſo! Wollen Sie hier bleiben?
Ich: Nein, ich will mich hier nur beſehen.
Er: Schoͤn! — Hier koͤnnen Sie den Kom-
ment recht lernen. Sapperment! Sie werden die
Reiſe nicht bereuen!
Ich: Das glaub ich auch: hab' immer viel vom
Jenaiſchen Komment gehalten!
Er: (nimmt ſeinen Krug) à bonne!
Ich: (gleichfalls mit dem Krug) Schmollis!
Ich empfehle mich deiner Freundſchaft, heiß Lauk-
hard, und bin aus der Pfalz.
Er: Gleichfalls: heiße Kroͤber, und bin aus
der Pfalz So macht man die akademiſche Bruͤderſchaft!. — Alſo Landsleute: Pardid! das iſt
ja exellent! Komm Bruder, ſetz dich hierher! —
Nun hatte ich ſchon Einen Bruder in Jena, aber
noch ehe ich den Fuͤrſtenkeller verließ, zaͤhlte ich derer
uͤber zwanzig. Die Burſche wetteiferten, mir nach
ihrer Art Hoͤflichkeiten zu bezeugen.
Man muß es den Jenaiſchen Studenten laſſen
daß ſie alle ſehr freundlich gegen Fremde ſind, und
die Gaſtfreiheit in einem hohen Grade ausuͤben.
Das findet in Halle und Erlangen wenig und in Goͤt-
tingen gar nicht ſtatt. Zu Mainz, Heidelberg,
Strasburg, Fulda und Wuͤrzburg iſt auch nicht ein
Schatten von akademiſcher Gaſtfreiheit. Die Gießer
kommen den Jenenſern darin an naͤchſten. Vielleicht
traͤgt die Wohlfeilheit des Unterhalts zu Jena und
Gießen vieles dazu bei; doch ſcheint mir der Haupt-
grund in den Gelagen zu liegen, welche auf den ge-
dachten Univerſitaͤten mehr oder weniger im Gange
ſind. Gelage machen herzliche Freundſchaften, we-
nigſtens auf einige Zeit; und herzliche Freundſchaft
erzeugt Gaſtfreiheit. „Freude laͤßt uns unſere
„Nebenmenſchen im vortheilhaften Lichte erſcheinen:
„ſie macht wohlwollend und zutraulich, oͤffnet das
„Herz und beſonders den jugendlichen Buſen fuͤr
„Freundſchaft und Liebe. Niemand, als der Froͤh-
„liche, iſt bereitwilliger, Fehler zu verzeihen, Freund-
„ſchaften zu ſchließen, ſelbſt ſeine Geheimniſſe Andern
„zu vertrauen. Daher ſind Heiterkeit der Seele,
„und Gemuͤthsruhe, wegen der wohlwollenden Ur-
„theile und Gefuͤhle, die ſie fuͤr Andere in uns er-
„wecken, die reichhaltigſten Quellen der geſelli-
„gen Tugend!“ So ſchreibt Hr. Prof. Maaß in
ſeinem Verſuch uͤber die Einbildungskraft
(1792.) S. 160: ein Verſuch, der, nach meiner
Einſicht, in der Hand eines jeder Pſychologen, Ae-
ſtheſtikers und Paͤdagogen ſeyn ſollte.
Als die Jenaiſchen Studenten hoͤrten, daß ich
im halben Mond logirte, unterſagten ſie mir, laͤn-
ger dort zu bleiben, und einer von ihnen both ſich
ſogleich an, mich in ſeiner Wohnung ſo lange aufzu-
nehmen, als ich in Jena verweilen wuͤrde. Ich
nahm dies an, und wohnte jetzt in der Laͤuterſtraße
bei einem Becker, aber ſo ſchrecklich hoch, daß mir
allemal die Beine wehe thaten, wenn ich die Treppen
ſteigen mußte.
Der Ton der Jenenſer behagte mir ſehr: er
war blos durch mehrere Roheit von dem der Gießer
unterſchieden. Der Jenenſer kannte — wenigſtens
damals — keine Komplimente: ſeine Sitten hießen
Petimaͤterei, und ein derber Ton gehoͤrte zum rech-
ten Komment. Dabei war der Jenenſer nicht be-
leidigend grob, oder impertinent; vielmehr zeigte ſich
viel Trauliches und dienſtfertiges in ſeinem Betragen.
Ich habe hernach den viel feinern Ton in Goͤttingen,
und den ſuperfeinen Leipziger kennen gelernt: da lobe
ich mir denn doch meinen Jeniſchen. Vielleicht war
mein Geſchmack verdorben, und zu ſehr an groͤbere
Speiſen gewoͤhnt: aber bei dem allen ſcheint es doch
der Sache angemeſſen zu ſeyn, daß der Student auf
Univerſitaͤten ſich, ſo viel er kann, von allem verzaͤr-
telten und verfeinerten Weſen abhalte. Dieſes hat
ſichtbare boͤſe Folgen, wie es bei einer andern Gele-
genheit erhellen wird, naͤmlich da, wo ich das
glaͤnzende Elend der Studenten zu Leipzig beſchrei-
ben werde.
Man hatte mir ſchon geſagt, daß Schlaͤgereien
in Jena haͤufig vorfielen: und in der That fand ich,
daß es gar leicht war, in Haͤndel zu gerathen. Sie
wurden zwar mit dem Degen ausgemacht; da aber
immer fuͤr gute Sekundanten geſorgt wurde; ſo wa-
ren die Balgereien ſelten gefaͤhrlich. Doch iſt noch
vor ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren ein gewiſſer Baron von
Herſtal auf der Raſenmuͤhle erſtochen worden Dieſer Vorfall machte, daß der Beſuch der genannten
Muͤhle den Studenten verboten wurde..
Erſter Theil. N
Seit kurzem ſollen jetzt in Jena alle Duelle durch
eine recht artige Konvenienz der Studenten ſelbſt ab-
geſchaft ſeyn. In Kiel ſoll man etwas Aehnliches
vorhaben. Auch ſoll der Herzog von Weimar, die-
ſes edle Muſter aller Humanitaͤt an einem Fuͤrſten,
ſich auf die liberaleſte Art bemuͤhen, die Denkungs-
und Lebensart der Studenten zu Jena ſo zu modi-
ficiren, daß die akademiſche Freiheit auf eine ange-
meſſene Art dabei beſtehen koͤnne. Heil dieſem Vater
ſeiner Laͤnder!
Die Profeſſores laſen damals gerade nicht, weil
die Ferien eben angegangen waren. Doch beſuchte
ich den Profeſſor Danovius, deſſen Dogmatik,
im ſchwerfaͤlligſten Latein, ich ſchon in Gießen gele-
ſen hatte. Der Mann war ſehr zuruͤckhaltend, und
wollte nicht recht mit der Sprache heraus, als ich
mit der Weisheit hervorplatzte, die ich aus Crellius
Buch geſchoͤpft hatte. Er ſagte mir, das Leſen der
Schriften von Socinianern ſey ſehr verfuͤhreriſch,
und einem jungen Menſchen hoͤchlich zu misrathen.
Als ich ihn bath, mir ein Buch anzugeben, worin
des Socinismus vollkommen widerlegt, und die Lehre
von der Trinitaͤt und der Satisfaction hinlaͤnglich
bewieſen waͤre, bedaurete er, daß er mir keine Schrift
von der Art anzeigen koͤnnte, weil man nicht ſo wohl
auf die Lehre ſelbſt, als vielmehr auf den Beweis
der kirchlichen Beſtimmungen geſehen haͤtte. Doch
empfahl er mir Reuſch's Introductio in Theo-
logiam revelatam. Ich habe zwar hernach dieſes
Buch auch geleſen: aber da ich ſchon weiter mit mei-
nem Syſtem gekommen war, und es damals ſchon
durch Tindals bekanntes Buch „Erweis, daß
„das Chriſtenthum ſo alt iſt, als die Welt“ berich-
tiget hatte; ſo konnte keine Erlaͤuterung und Modi-
fikation eines ſo genannten Geheimniſſes bei mir wei-
ter Statt finden.
Danovius empfahl mir vor allen Dingen das
Studium der alten Sprachen und der Geſchichte:
ſonſt meinte er, koͤnne aus allem Studiren nichts
werden, auch aus dem Theologiſchen nichts. Die-
ſer rechtſchaffene Mann hat nachgehends, weil er ſein
Hauskreutz nicht laͤnger tragen konnte, ſich in der
Saale erſaͤuft!
Meine Freunde ſuchten mir meinen Aufenthalt
ſo angenehm zu machen, als ſie vermochten. Die
Doͤrfer Ammerbach, Lichtenhein, Loͤbſtaͤdt, Ziegen-
hein, wie auch die Muͤhlen, hab ich in ihrer Ge-
ſellſchaft fleißig beſucht: auch in der Oelmuͤhle in ei-
ner Bataille mit den Gnoten derbe Kopfnuͤſſe davon
getragen. Auf der Schneidemuͤhle und in Wenig-
Jena habe ich einige unſaubere Nymphen angetrof-
fen, welche den Beutel, die Geſundheit und die
Sitten der Juͤnglinge ſo ſchaͤndlich verwuͤſten. Da-
mals war eine gewiſſe Hanne in Wenig- Jena, der
ein Student die Ehe durch einen ſchriftlichen Auf-
ſatz verſprochen hatte. Seine Kameraden mochten
ſeine Reue daruͤber wiſſen, und um ihn zu be-
ruhigen, ſtuͤrmten ſie nach ſeinem Abzuge das Haus
der Dirne, und zwangen ſie, den Aufſatz heraus
zu geben. So war alſo das Maͤdel geprellt! —
Wenn ich daͤchte, daß es etwas fruchten wuͤr-
de, ſo erzaͤhlte ich in einem eignen Kapitel einige auf-
fallende Beiſpiele von Maͤdchen, auch ſonſt nach ih-
rer Art recht guten Maͤdchen, die von leichtſinnigen
Studenten auf den Univerſitaͤten durch Eheverſpre-
chungen an der Naſe herumgefuͤhrt, hernach vom
Poͤbel beklatſchet und endlich ungluͤcklich geworden
ſind. Ich habe in der langen Zeit, die ich unter
Studenten verlebt habe, eine ſolche Menge von der-
gleichen Beiſpielen erfahren, daß ich wohl eine ganze
Chronik damit fuͤllen koͤnnte. Aber was wuͤrde eine
Nachricht der Art nutzen? Mannſuͤchtige Maͤdchen
werden ſich ſo lange anfuͤhren laſſen, als es noch
neugierige Verfuͤhrer und wolluſtgierige Wuͤſtlinge
geben wird: und an dieſen fehlt es niemals.
Den Orden der Amiciſten fand ich auch in Je-
na im beſten Flor: er behauptete damals den Vor-
zug auf der ganzen Univerſitaͤt, und beſtand vorzuͤg-
lich aus Moſellanern. Die Ordensbruͤder hielten
ſich aber jetzt ſtille, weil kurz vor meiner Ankunft eine
Unterſuchung wider ſie ergangen war. Die Moſel-
laner waren zu der Zeit die angeſehnſten Burſche,
wenigſtens die fideelſten, welche das meiſte Bier ſof-
fen, und am wenigſten ins Konvikt gingen. Dieſes
iſt ein herrſchaftlicher Freitiſch, den aber auch ſolche
benutzen, die den Freitiſch nicht haben, und doch
einen wohlfeilen Tiſch ſuchen muͤſſen. Es iſt ſonder-
bar, daß der Jenenſer die Studenten, welche das
Konvikt beſuchen, nicht fuͤr voll anſieht. Der Stu-
dent an allen Orten verachtet zwar keinen wegen ſei-
ner Armuth; aber ſo recht leiden er es doch nicht,
daß ein Armer, um wohlfeil durch zu kommen, die
Mittel benutzt, welche auf den Univerſitaͤten fuͤr Un-
bemittelte dazu da ſind. So gilt einer, der in Halle
das Waiſenhaus, in Jena das Konvikt, in Heidel-
berg die Sapienz beſucht, ſchon darum etwas weni-
ger. Lieber verzeiht mans, daß einer Schulden ma-
che, und die Philiſter prelle. Ich glaube dies ruͤhrt
von dem Contraſt her, den man nach einem gewiſ-
ſen Wuͤrdigungsgefuͤhl der Studenten zwiſchen einer
liberalen Jovialitaͤt und der Scheinheiligkeit oder dem
ſonderbaren abgeſchmackten Weſen antrift, deſſen ſich
die Benefiziaten befleißen muͤſſen, um zu dergleichen
freilich ohnehin ſehr kuͤmmerlichen Anſtalten nur Zu-
tritt zu haben. Der groͤßte Theil dieſer Duͤrftigen
ſind armer Prediger, oder Schullehrer Soͤhne, de-
ren gerader, offener Sinn ſchon durch den Druck
der Duͤrftigkeit zu Hauſe verſtimmt, oft gar zur
Unempfindlichkeit gegen herabwuͤrdigende Behan-
dlungen, oder zu allerhand Tuͤcken, Schleichwegen,
und Niedertraͤchtigkeiten verwoͤhnt, und deren Ehr-
gefuͤhl eben darum groͤßtentheils abgeſtumpft oder
gar erſtickt iſt. Geht es ihnen hernach auf der Uni-
verſitaͤt nicht beſſer: wie werden ſie den Ekelnamen
und der damit verknuͤpften Verachtung entgehen
koͤnnen? — Das eine erzeugt das andere! Und
doch ſind dieſe beinahe durchgaͤngig diejenigen, denen
man die Erziehung und Bildung der kuͤnftigen Ge-
nerationen in Kirchen, Schulen und anderwaͤrts an-
vertraut! Aber unſere Zeiten ſind finanzioͤs, und das
Wohlfeilſte haͤlt man fuͤrs Beſte! —
Außer der Moſellaner Landmannſchaft ſpielten
die Lieflaͤnder und Meklenburger eine anſehnliche Rol-
le. Die Landeskinder waren wie uͤberall, wo ſehr
viel Fremde ſind, und das Land klein iſt, am wenig-
ſten geachtet. Die Naͤhe oder die Aufſicht der El-
tern haͤlt ſie etwas knapp: ſie koͤnnen alſo nicht ſo
recht mitmachen, und dadurch ſinkt ihr Anſehn.
Auch wirkt hier das Vorurtheil, nach welchem man
von extenſiver Groͤße auf intenſive ſchließt — von
Menge auf Werth. —
Es hat auch jemand, als ich in Jena war, fuͤr
den mediciniſchen Doktor diſputirt; aber ſo elend,
wie ichs ſchon oft geſehn und gehoͤrt habe. Kochs
Hannchen — denn ſo hieß ſie — hab ich damals
zwar nicht geſehn; wohl aber viel von ihr gehoͤrt.
Sie fing um dieſe Zeit ſchon an, gemeinnuͤtzig zu
werden.
Noch etwas von Jeniſcher Policei! Es war
den Schenken verboten, nach zehn Uhr in der Stadt
Bier und dergleichen herzugeben. Wenn nun die
Burſche beiſammen ſaßen, und nach zehn Uhr blei-
ben wollten — und das wollten ſie immer, — ſo
ließ ſich ein jeder ſo viel Bier geben, als er zu trin-
ken gedachte, zwei, drei und mehr Stuͤbchen: her-
nach konnte ihn doch niemand zwingen, eher wegzu-
gehen, als bis er ſein Bier ausgeleert hatte! Und
ſo ſaß er dann bis nach Mitternacht. Fuͤrs hinein-
kommen in ſein QaartierQuartier durfte er nicht ſorgen: die
Haͤuſer ſtanden meiſtens die ganze Nacht uͤber auf.
Die Aufwaͤrterinnen ſind eben darum in Jena mehr
geplackt, als auf irgend einer Univerſitaͤt. In Goͤt-
tingen ſind ſie es am wenigſten. — Ein Maaßſtab
der Cultur im Kleinen!
Nachdem ich ohngefaͤhr drei Wochen in Jena
zugebracht hatte, trat ich meinen Ruͤckweg an. Zu
Weimar ſprach ich den Hofrath Wieland, oder
vielmehr, ich ſah ihn nur: denn kaum hatte ich und
ein Lieflaͤnder Platz genommen, als ein Fremder ſich
anmelden ließ, welcher allein den Diskurs fortfuͤhrte.
Ich habe ſeinen Namen vergeſſen: es war aber einer
von denen, die von ſich ſo ſehr eingenommen ſind,
daß ſie niemanden als ſich ſelbſt gern reden hoͤren.
Ich war aber doch froh, daß ich nun den herrlichen
Wieland in Perſon kannte! — Groß und beruͤhmt
zu ſeyn, iſt indeß doch etwas Laͤſtiges: jeder will da-
von participiren auf dieſe oder jene Art: und ſo iſt
ein ſolcher Mann ſelten ganz Herr von ſich und dem
Seinen, am wenigſten von dem ungeſtoͤhrten Ge-
brauch ſeiner Zeit. Jeder Eingriff in dieſelbe, ohne
vollguͤltigen Erſatz, ſollte man aber billig fuͤr eine
Suͤnde wider den heiligen Geiſt halten.
Ich ging nicht wieder uͤber Hersfeld, ſondern
uͤber Fulda, wo auch ein Stuͤck von Univerſitaͤt iſt.
Ich fand einige Studenten in einer Schenke vor der
Stadt, die man die Moſchee hieß: aber die Leut-
chen waren zu ſehr mit ihrem Regeln beſchaͤftigt, als
daß ſie mich haͤtten unterhalten ſollen. Ich ſchloß,
ſie muͤßten wenig Komment verſtehen. Wohl ihnen!
Zwei und zwanzigſtes Kapitel.
Opinionum commenta deler dies: Naturae confirmat.
Als ich wieder nach Gießen kam, waren die Win-
tervorleſungen ſchon einige Tage angegangen. Ich
waͤhlte mir gute Kollegia, und fing an, recht emſig
zu ſtudiren. Der Profeſſor Koͤſter, mein Vetter,
und der Bergrath Boͤhm ſetzten mir beſonders zu,
ja recht fleißig zu ſeyn. Ich faßte auch wirklich den
feſten Vorſatz, zwar burſchikos zu leben, doch aber
meine Wiſſenſchaften immer daneben zu treiben, um
einmal etwas leiſten zu koͤnnen, oder vielmehr, weil
mir die Litteratur von je her behagt hat. Haͤtte ich
in der gehoͤrigen Ordnung ſtudirt; ſo glaube ich, daß
ich es in einigen Kenntniſſen ziemlich weit gebracht
haͤtte.
Ich gerieth dieſen Winter in die Bekanntſchaft
des Prof. Lobſtein. Dieſer Mann war an Hrn.
D. Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem
Bahrdts Geiſt, und hellen Kopf nicht. Lobſtein
war ein Mann von einiger Gelehrſamkeit; er hatte
in Strasburg und Paris ſtudirt, und ſein Gedaͤcht-
niß nicht uͤbel angefuͤllt; ſein Verſtand war aber lei-
der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er
ſich den orthodoxen pietiſtiſchen Ton angewoͤhnt, der
dort Mode war, und den wollte er nun auch in
Gießen einfuͤhren. Er warf ſich alſo zum unbefug-
ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb
dadurch ſeinen ganzen Credit. Wenn er ſeine Lehr-
ſtunden anfing, ſo betete er allemal eine Viertelſtun-
de, und wenn er ſie endigte, ſo empfahl er ſeine Zu-
hoͤrer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ
ſie im Frieden Jeſu gehen. Kam ein Student zu
ihm; ſo fragte er ihn, ob er auch ein Regeni-
tus vereque Converſus waͤre? Dabei tobte und
ſchimpfte er auf die Theologen und Heterodoxen, ſo
wie auf die Baͤlle, Schlittenfahrten und den Kopfputz
der Damen. In ſeinen Predigten war er uͤber die
maßen abgeſchmackt, und handelte lauter Fratzen ab,
z. B. die Suͤnde in den heil. Geiſt, die Ewigkeit
der Hoͤllenſtrafen, den thaͤtigen Gehorſam Jeſu, und
dergleichen. Durch ſolches Betragen mußte nun Lob-
ſtein laͤcherlich werden: er ward es auch, und ſein
Hoͤrſaal blieb leer.
Er hatte ein Collegium uͤber den Jeſaias ange-
ſchlagen, welches ich gern hoͤren wollte, da ich
wußte, daß der Mann im Hebraͤiſchen nicht uͤbel
zu Hauſe war. Ich beſorgte alſo eine Anzahl von
16 Zuhoͤrern: und Lobſtein ward von dem Augen-
blick an mein Freund und Goͤnner. Seine ganze
Bibliothek ſtand mir offen, und taͤglich hatte ich
freien Zutritt zu ihm Durch nichts kann man ſich bei den Herren Profeſſoren
mehr inſinuiren, als wenn man fuͤr ſie wirbt: das
ſchmeichelt zugleich ihrem Ehrgeiz und ihrer Kaſſe..
Lobſtein diſputirte ſehr oft mit mir, welches
mir aber allemal ungelegen war: denn ich woll-
te ihn gern zum Unterricht und nicht zur Bekeh-
rung gebrauchen: er ſollte mich im Hebraͤiſchen
weiter bringen, und wenigſtens arabiſch leſen leh-
ren Der groͤßte Theil unſrer Herren Orientaliſten weiß
vom Arabiſchen ja auch nicht mehr! In keinem Theil
der Gelehrſamkeit wird aͤrger aufgeſchnitten, als in der
morgenlaͤndiſchen.. Ich wich daher immer aus, wenn er ein
Geſpraͤch von der Bekehrung anfing, und fuͤhrte
eine Stelle an, die er erſt erklaͤren, das iſt, nach
der Grammatik durchgehen muſte.
Da er keine ſchlechten hiſtoriſchen Kenntniſſe im
Gedaͤchtniß hatte, beſonders in der Geſchichte von
Frankreich; ſo war ſein Geſpraͤch daruͤber unterhal-
tend und lehrreich. Er borgte mir aus ſeiner Bi-
blothek das beruͤhmte Werk des Auguſt von Thou
(Thuanus) woraus ich wirklich manches Nuͤtzliche
gelernt habe. Um mich, wie er ſagte, wider den
neuen Unglauben zu ſichern, gab er mir des beruͤhm-
ten Lardners Werk uͤber die Glaubwuͤrdigkeit —
zu leſen. Ich las es; fand aber ſelten etwas, das
mir behagt haͤtte. Nun ſollte ich auch die Einwuͤrfe
der Gegner kennen lernen, und zu dem Ende borg-
te er mir die deutſche Ueberſetzung von dem verrufe-
nem Erweis — des Englaͤnders Matthias
Tindal. Gott, mit welchem Vergnuͤgen und An-
halten las ich dies merkwuͤrdige Buch! wie aͤnderten
ſich nun auf einmal alle meine Gedanken uͤber Ge-
heimniſſe und Offenbarung. Alle Zweifel vergingen
mir ploͤtzlich, und ſind ſeitdem auch nicht wieder in
meine Seele gekommen. Ich uͤberzeugte mich gleich-
ſam mit mathematiſcher Gewißheiß: daß Geheim-
niſſe nicht einmal der Gegenſtand des Glaubens ſeyn
koͤnnen: daß ſie als unbegreifliche Dinge, den Wil-
len nicht beſtimmen, und folglich die Moralitaͤt
nicht befoͤrdern helfen: daß ſie vielmehr eine Mis-
ſtimmung in dem Gebrauch unſrer Vorſtellungskraft
hervorbringen, den geſunden Menſchenverſtand noth-
zuͤchtigen, und den Weg zum Wahn und Aberglau-
ben bahnen: daß eben darum Jeſus und die Apo-
ſtel dergleichen auch nicht gelehrt haben; ſondern blos
natuͤrliche Religion, hier und da geſchmuͤckt mit Bil-
dern aus der aͤltern orientaliſchen Bilderſprache,
woraus hernach die finſtere hierarchiſche chriſtliche
Kirchenparthei ſolche Raritaͤten, wie die Geheimniſſe
ſind, gebildet, und zu Glaubensartikeln erhoben hat:
daß die moraliſche Religion, wie die Einſicht der
Menſchen, eines ſtaͤten Fortſchrittes und folglich der
Verbeſſerung faͤhig ſey: daß es alſo gar nicht noͤthig,
ja pflichtwidrig ſey, bei den Lehren des neuen Te-
ſtaments und den kirchlichen Beſtimmungen daruͤber
ſtehen zu bleiben: daß eben dies Buch nur localen
und temporellen Werth gehabt habe, und der Ethik
des Ariſtoteles, den Pflichtbuͤchern des Cicero, und
andern moraliſchen Schriften der ſogenannten Heiden
nachſtehen muͤſſe. — Das war ſo das Reſultat von
meiner Lectuͤre der Tindaliſchen Schrift. Ich habe
hernach eine Widerlegung derſelben vom Abt Schu-
bert geleſen, welche er ſeinem Buche oder vielmehr
Werke von der Wahrheit der chriſtlichen Religion an-
gehenkt hat; aber die begnuͤgte mich nicht: vielmehr
wurde ich in meinem naturaliſtiſchen Denken be-
ſtaͤtiget.
Da ich ſchon ſeit meiner Jugend die Hierarchie
der Pfafferei gehaßt hatte; ſo mußte mir ein Buch
dieſer Art ſehr willkommen ſeyn. Ich ſah jezt die
heiligen Dogmen mit ganz andern Augen an, und
las nach ganz andern Grundſaͤtzen die Kirchenhiſto-
rienſchreiber. Das ganze Kirchenſyſtem erſchien mir
nun als ein Gebaͤude, welches auf Fratzen, Aber-
glauben, Unwiſſenheit, Herrſchſut und Betrug ſich
ſtuͤtzte: und einige naͤhere Bekanntſchaft mit der
Geſchichte, beſonders der Kirchengeſchichte, welche
ich mir in der Folge verſchaffte, hat mir die Beweiſe
fuͤr dieſen Glauben, in Menge dargeboten. — Mei-
ne Leſer moͤgen mir mein freimuͤthiges Glaubensbe-
kenntniß verzeihen: ich ſage nur, was ich denke,
und will keine Proſelyten machen.
Prof. Lobſtein wollte gern Doktor der Theo-
logie werden, und waͤhlte mich zu ſeinem Reſponden-
ten. Ich hatte alſo die Ehre, daß mein Name auf
einer Diſputation gedruckt ſtand, und daß ich ſelbſt
mit den Herren Benner, Bechtold und Ou-
vrier diſputiren konnte In Gießen iſt es Mode, daß jedesmal, auch bei den
Disputationen der Mediciner, nicht Studenten, ſon-
dern die Fakultiſten, d. i. die Profeſſores ordinarii der
Fakultaͤt opponiren. Bei den theologiſchen Doktor
Promotionen mag das gut ſeyn; aber bei andern ſollte
billig den Studenten die Gelegenheit gelaſſen werden,
ſich ein Biſſel im Latein zu uͤben: denn das thut doch
heutzutage warlich Noth.. Ich machte meine
Sache ziemlich gut, und erhielt allgemeinen Beifall.
Lobſtein gab nach dieſer Fehde einen koſtſpieligen
Schmaus, worauf die ganze Gießer Nobleſſe zuge-
gen war. Die Herren waren alle ſeelenluſtig, ließen
ſichs wohl ſchmecken, und machten dem Herrn Doktor
freundſchaftliche Komplimente, und hatten doch den
Schalk im Buſen, zum Theil naͤmlich: denn ſchon
hatte der damalige Prorektor Hoͤpfner, und der
Kanzler Koch, welche ſich nun, um einen Dritten
zu ſtuͤrzen, verſoͤhnt hatten, einen Bericht nach
Pirmaſens gemacht, und den Profeſſor Lobſtein als
einen Mann geſchildert, welcher der Univerſitaͤt
Schande mache, und ſich zum Lehrer durchaus nicht
ſchicke Zum Doktor der Theologie war er alſo dennoch . Der Landgraf war Lobſteinen gewogen,
und ließ die Sache liegen; allein die Gießer Herren,
die den guten Mann aus vielen Gruͤnden, und auch
beſonders deswegen haßten, weil er ein Auslaͤnder,
ein Strasburger, war, behelligten den Fuͤrſten ſo
lange, bis er ihn auf Butzbach verſetzte. Lobſtein
arbeitete zwar aus allen Kraͤften dagegen, und ſup-
plicirte; aber es half einmal nichts: er muſte gegen
den Herbſt abziehen.
Gießen hat freilich an dieſem Manne nichts,
gar nichts verlohren: denn er hatte wirklich keinen
Beifall, und ſtiftete wenig Nutzen: aber doch haͤtte
der Kanzler und der Prorektor nicht ſo heimlich zu
Werke gehen, und die Lobſteiniſche Sache vielmehr
der ganzen Univerſitaͤt und dem Kuratorium uͤberlaſ-
ſen ſollen. Lobſtein iſt vor einiger Zeit Profeſſor in
Strasburg geworden Die jetzigen Lutheriſchen Profeſſoren in Strasburg
muͤſſen doch gar huͤbſch neben den beiden Katholiſchen,
Schneider und Dorſch, paradiren!. Bei aller ſeiner Pietiſte-
rei und uͤbertriebenen Orthodoxie hatte er doch das
Gluͤck, das ſchoͤnſte Maͤdchen in Gießen, die Toch-
ter des Profeſſors Diez, zur Frau zu bekommen.
Man wird gemeiniglich finden, daß die Pietiſten das
huͤbſche Frauenzimmer ſehr gern haben. Das ge-
hoͤrt ſo zum beſchaulichen Leben! Liebte doch der
Schwaͤrmer und Polemiker Sankt Hieronymus
auch huͤbſche Geſichter! —
Ich komme wieder auf mich. Seit dem Herbſt
1776 bis in den Sommer 1777 habe ich ſehr fleißig
ſtudirt, und nicht nur meine Wiſſenſchaften, beſon-
ders Geſchichte und Geographie, letztere nach Cel-
larius und Buͤſching, ſtark getrieben, ſondern
auch die Lebensbeſchreibungen des Plutarchs,
mehrere Schriften des Cicero und den Athe-
naͤus durchgegangen. Auch hatte ich von den grie-
chiſchen Dichtern, außer der Iliade, wenig geleſen;
nun aber las ich den Theokrit, den Bion, Mo-
ſchus und einiges in der Chreſtomathia Tragica.
Daß ſich durch dieſe Lectuͤre meine Kenntniſſe ſtark
mehrten, iſt gewiß; daß ich aber nicht aͤcht ſchmecken
lernte, machte der Mangel an vernuͤnftiger Anfuͤh-
rung, die ich in Gießen gaͤnzlich vermißte. Meine
philologiſchen Kenntniſſe haben daher immer einem
Chaos aͤhnlich geſehen, wo alles wie Kraut und Ruͤ-
ben durch einander liegt: Viel Materie; aber keine
Verbindung! Vielleicht liegt auch ein Theil dieſer
Schuld in der Verabſaͤumung einer vernuͤnftigen ge-
laͤuterten Philoſophie: denn die Wolffiſche Logik und
Metaphyſik, welche ich bei Herrn Boͤhm lernte,
mag ich doch nicht gute Philoſophie nennen.
Drei und zwanzigſtes Kapitel.
Neuer Krieg. Ruin der Gießer Univerſitaͤt.
In den Ferien des Jahres 1777 kam ein ge-
wiſſer Wittenberg nach Gießen Er war ein
Genie, — focht unverbeſſerlich auf Hieb und Stich,
und ſpielte die Geige und den Baß meiſterhaft; war
aber dabei der liederlichſte Kerl, den man ſich vor-
ſtellen kann. Durch dieſen Menſchen, der ſich zu
den Amiciſten geſellte, entſtand allerlei Unruhe, und
manche Schlaͤgerei. Die Amiciſten bekamen daher
eine Menge Gegner und Feinde, und die Gaͤhrung
ward allgemein. Endlich trafen einmal einige vor
der Stadt am Waſſer zuſammen, und behandelten
ſich, wie beſoffene Bauern: ſie ſchoſſen ſogar auf ein-
ander; und ein gewiſſer Lange aus dem Elſaß,
wurde durch einen Schuß ſo gefaͤhrlich verwundet,
daß man an ſeinem Leben lange zweifelte. Er mu-
ſte uͤber fuͤnf Monate die Stube huͤten. Einer,
Namens Conradi, hieb einen andern dergeſtalt
zuſammen, daß man mehr als zwoͤlf Wunden vor-
fand. Dieſer Auftritt endigte den Spektakel noch
nicht, und ſo klein die Univerſitaͤt war, fielen
doch innerhalb acht Tagen mehr als dreißig Schlaͤge-
Erſter Theil. O
reien vor. Die Antagoniſten der Orden wollten
die Ordensbruͤder und die Orden herunter haben;
und dieſe ſuchten ihren Vorzug, den ſie ſich einmal
angemaßt hatten, zu behaupten.
Endlich, nachdem die Haͤndel ſchon ſehr lange
gedauert hatten, fing der Prorector an, zu inquiri-
ren. Einige wurden relegirt, z. B. Wittenberg:
andere mußten aufs Karzer; und einen gewiſſen
Breithaupt fuͤhrte man nach Pirmaſens ab, und
ſteckte ihn daſelbſt unter die Soldaten. Aber durch
dieſe Proceduren ward der Raufereien noch kein En-
de: taͤglich hoͤrte man von neuem Skandal, und
neuen Strafen.
Ich war bei der Sache nicht ruhig geblieben:
der Senior meines Ordens war weggejagt, und der
Senior von unſrer Landmannſchaft war auch be-
ſtraft worden. Ich ermahnte daher, ſo viel ich
konnte, die guten Freunde zur Standhaftigkeit, und
legte ſelbſt hand an, ſo viel ich konnte. Der Prorek-
tor ſchickte mir einmal den Pedell Moͤſer; da er mir
aber grob zuſprach, warf ich ihn zur Thuͤr hinaus,
und maulſchellirte ihn zur Treppe hinunter. Nun
brannte alles gegen mich. Ich wurde abermals ci-
tirt, erſchien aber nicht: endlich beſchloß man, mich
zu relegiren, oder vielmehr mir das Conſilium abeun-
di zu geben.
Man hatte damals gewiß Urſache, mich fort zu
ſchicken: das kann ich nicht leugnen. Einmal hatte
ich mich geſchlagen, dann Fenſter eingeworfen, den
Spektakel nach Vermoͤgen vermehrt: auch war ich
nicht erſchienen, als man mich zum zweiten und gar
zum drittenmal citirt hatte: endlich hatte ich ein
ſkandaloͤſes Lied auf den Rektor und Kanzler ge-
macht, welches die Studenten des Abends auf der
Gaſſe abſungen. Dieſes alles zuſammen genommen,
war ſchon hinlaͤnglich, mir die Relegation zuzuziehen,
die mir indeß doch, als Auslaͤnder, wenig geſchadet
haͤtte.
Ich wuͤſchte aber in Gießen zu bleiben. Als
ich nun hoͤrte, daß man mich relegiren wollte, und
daß einer meiner Freunde ſchon wirklich relegirt ſey,
gieng ich zum Rektor, und gab gute Worte. Die-
ſer ſagte mir, daß ich ſehr gravirt waͤre, beſonders
wegen eines Pasquills, welches ich aber ableugnete.
Darauf gab er mir zu verſtehen, daß ich eine kleine
Bittſchrift an ihn aufſetzen moͤchte: er wuͤrde die-
ſelbe ſchon empfehlen. Ich that dieſes, und meine
Relegation wurde aufgehoben; ich aber doch auf vier
Wochen ins Carzer geſetzt.
Herr Schmid — daß ich doch mit dem Eh-
renmann ſo oft zuſammen komme! Herr Schmid
gibt vor: ich waͤre wegen ſchaͤndlicher Lebensart
relegirt worden; dieſe Strafe aber haͤtte der Kanzler
Koch in Karzerſtrafe verwandeln helfen. Das iſt
mit Hrn. Schmids kritiſcher und poetiſch-muſenal-
manachiſcher Erlaubniß, nicht wahr. Er ſetzt hin-
zu: das waͤre auf mein Bitten bei Hrn. Koch ge-
ſchehen; da ich doch den Kanzler niemals um etwas
gebeten habe, und auch gewiß — haͤtte ich es jezt
thun wollen — bei dem gegen mich aͤußerſt aufge-
brachten Mann fehl gebeten haͤtte. — Das al-
les iſt nicht wahr, und die noch in Gießen lebenden
Profeſſoren, Herr Jaup, Herr Koͤſter und Herr
Dietz muͤſſen mir bezeugen, daß es nicht wahr iſt.
Denn an dem Tage, woran die Vota uͤber meine
Beſtrafung geſammelt wurden, ſtimmten beinahe alle
Profeſſoren auf Karzerſtrafe, und nur Hr. Koch
drang auf meine Relegation: er haͤtte mich gar zu
gern fortgejagt. Wenn alſo Hr. Schmid mir Un-
dank gegen meinen Retter, Hern Koch, vorwirft;
ſo hat er wahrlich Unrecht: Koch hat mich niemals
leiden koͤnnen. Ich hatte ſeinem Jungen Ohrfeigen
gegeben, ich hatte gegen den damaligen Exkaplan,
jezt Profeſſor in Jena, Schnaubert Im andern Theil dieſer Biographie rede ich von die-
ſem Herrn weiter., eben
nicht zum Beſten geſprochen: und Schnaubert war
ſo quaſi der Maͤhrchen- und Neuigkeitskontrolleur
des Kanzlers; daher ſich auch die Studenten gewal-
tig vor ihm in Acht nahmen: und endlich hatte ich
dem Hrn. Koch das Latein in ſeinem Kompendium
des Criminalrechts korrigirt. Lauter Urſachen, wel-
che mich bei einem ſtolzen egoiſtiſchen, rachgierigen
Manne hoͤchſt verhaßt machen muſten. So haͤtte ich
denn abermals einen Vorwurf, den Herr Schmid
mir macht, widerlegt!
Auf dem Karzer ſtudirte ich fleißig, und Herr
Boͤhm verſah mich mit Buͤchern aus ſeiner Bi-
bliothek. Aber indeſſen ich auf dem Karzer war,
entſtand ein gefaͤhrlicher Aufſtand. Der Rektor
wollte naͤmlich die uͤberall ſchaͤdlichen Geldſtrafen
einfuͤhren, welche mehr eine Strafe fuͤr die Eltern,
als fuͤr ihre ſtudierenden Soͤhne ſind, und die bisher
in Gießen unerhoͤrt waren. Daruͤber kam nun alles
in Harniſch: die feindſeligen Geſellſchaften und In-
nungen verſoͤhnten ſich mit einander, machten ge-
meinſchaftliche Sache, laͤrmten, tobten, und zo-
gen aus, ſo wie ſie im vorigen Jahre ausgezo-
gen waren.
Sie zogen wieder auf darmſtaͤdtiſche Doͤrfer,
bis ſie merkten, daß man Mine machte, ſie von da
nach einigen Tagen weg zu holen, und mit Gewalt
nach Gießen zuruͤck zu ſchleppen. Jetzt begaben ſie
ſich ins Weilburgiſche, wo die meiſten in Aßbach und
Gleiberg den ganzen Sommer uͤber zubrachten. Die
Univerſitaͤt ſah ſehr traurig aus, und mehrere Pro-
feſſoren mußten ihre Vorleſungen ausſetzen. In
Gleiberg lagen ſie in den Scheunen und Bauernſtu-
ben auf dem Stroh, und ſahen aus, wie die Hot-
tentotten. Wie viel Unordnungen und Skandale
da vorgegangen ſind, kann man denken.
Dem Kanzler und Rektor war es bei der Sache
nicht wohl zu Muthe: ſie befuͤrchteten, wenn der-
gleichen Poſſen vor den Landesherrn kaͤmen — in
Darmſtadt hatten ſie ſchon alles zu ihrem Vortheil
eingelenkt — ſo moͤchte man ſie zur Rede ſtellen:
denn ſie waren es doch, die durch eine unzeitige
Einfuͤhrung ganz neuer Strafen, die erſte Gelegen-
heit zu den Haͤndeln gegeben hatten, und recht wohl
wußten, daß die Geldſtrafen ihre und nicht des Fuͤr-
ſten Erfindung, waren. Um indeß den uͤbeln Fol-
gen vorzubeugen, ſuchten ſie um eine Komiſſion bei
dem Kuratorium an, und der Kurator, Herr Ge-
heime-Rath Heß, erſchien ſelbſt in Gießen, inqui-
rirte, und hob die Geldſtrafen auf. Einige ſchon
in die Kaſſen der Herren gefallne Gelder wurden
auch wieder zuruͤck gegeben. Aber Herr Heß war
nicht im Stande, den Tumult zu ſtillen, und die
Univerſitaͤt zu beruhigen. Die meiſten Burſche blie-
ben auf den Doͤrfern bis zum Herbſt, wo ſie entwe-
der abgingen, oder andere Univerſitaͤten bezogen;
einige brachten den Winter in Gleiberg zu.
Die Frankfurter Zeitungen meldeten ſehr oft
Neuigkeiten vom Gießer Kriege, und die Univerſitaͤt
gerieth daruͤber in einen gewaltigen Miskredit, oder
vielmehr wurde der Miskredit, worin ſie ſich
ſchon ſeit langer Zeit befunden hatte, dadurch ſehr
vermehrt. Unter andern las man folgenden Artikel
darin Naͤmlich der Sache nach: denn einige Worte moͤgen
wohl anders gelautet haben. Es war ſonſt ein derber
Artikel, welcher den Gießer Herren gar nicht gefiel.
Aber die Frankfurter Zeitungen, beſonders die Gelehr-
ten, waren ſo der Satansengel, welcher die Herren mit
Faͤuſten ſchlug. Wie froh muß doch Herr Schmid ſeyn,
daß Herr Deinet keine gelehrte Zeitung mehr heraus-
giebt!:
„Gleiberg den 4ten Auguſt. Die Uni-
„verſitaͤt iſt von Gießen hieher verlegt worden.
„Wir haben unſern Rector, Kanzler und Profeſſo-
„ren. Zu den vier Fakultaͤten iſt noch eine fuͤnfte
„gekommen, naͤmlich die Zotologiſche, worin ſich
„die Lehrer ganz beſonders verdient machen. Alle
„Gemeinſchaft mit Gießen iſt abgeſchnitten: die da-
„ſigen Herren moͤgen den Schuͤlern vom Pihjo Kol-
„legia leſen.“ — Pihjo — ſo heißt das Paͤdago-
gium in Gießen.
Hier ſehen meine Leſer zugleich, was Herr
Schmid mit ſeinem Profeſſor Zotarum — ſoll ei-
gentlich Zotologia heiſſen: heißt doch Herr Schmid
auch Profeſſor Poeſeos und nicht Poeticorum! —
haben will. In Gleiberg ließ ich mich naͤmlich zum
Profeſſor dieſer edlen Kunſt ernennen, und las uͤber
ein von mir ſelbſt geſchriebenes Kompendium, dem
ich den Titel Elementa Zotologiae ſive Ae-
ſchrologiae tam theoreticae quam practicae
gegeben hatte, und das damals haͤufig abgeſchrieben
wurde. So war ich alſo in Gleiberg Profeſſor der
Zotologie geworden: aber Herrn Schmids eigner
Schwager war ja mein Kollege in dieſer ſaubern Fa-
kultaͤt!
Die Univerſitaͤt ſuchte auch in Weilburg darum
an, daß man die Gießer Studenten von den Weil-
burgiſchen Doͤrfern entfernen moͤchte; aber das ge-
ſchah nicht: vielleicht dachte mn Weilburg; ha-
ben die Gießer Herren den in den Koth ge-
ſchoben, ſo moͤgen ſie ſelbſt ſehen, wie ſie ihn wie-
der herausziehen!
Bei allem dieſem Laͤrmen vergaßen wir indeß
den Eulerkapper in Gießen nicht: es wurden von
Zeit zu Zeit Deputirte nach der Stadt geſchickt, die
den armen Mann periren, und Pasquille auf ihn an-
ſchlagen mußten. Um der Verfolgung zu entgehen,
veraͤnderte er ſeine Wohnung; aber es blieb beim
alten.
Nach den Michaelis Ferien wurde es zwar wie-
der ruhig; allein die arme Univerſitaͤt hatte eine an-
ſehnliche Anzahl Studenten verlohren, und mußte
obendrein denen, die geblieben waren, nun mehr
noch auch zu verſcheuchen. Aus der Bereitwilligkeit
dazu, haben wir hernach geſchloſſen, daß die Herren
Freiheit verſtatten, als vorhin, um ſie nicht
einen derben Verweis von Pirmaſens aus muͤßten
bekommen haben.
Auch der Komment hatte ſehr gelitten. Die
beſten Schlaͤger waren fort, und die wenigen, wel-
che etwa noch geblieben waren, ſcheuten die Strafen,
welche nun freilich nicht mehr in Geld beſtunden,
aber doch in Relegation und Karzer; und im Karzer
ſitzt ſichs im Winter nicht gut, beſonders in dem zu
Gießen nicht, wo der Ofen ganz moͤrderiſch zu rau-
chen pflegte.
Zu den groben Unanſtaͤndigkeiten, welche um
dieſe Zeit in Gießen Mode wurden, gehoͤrt die Ge-
neralſtallung, uudund das wuͤſte Geſicht. Jene wurde
ſo veranſtaltet, daß zwanzig, dreiſſig Studenten,
nachdem ſie in einem Bierhauſe ihren Bauch weidlich
voll Bier geſchlungen hatten, ſich vor ein vornehmes
Haus, worin Frauenzimmer waren, hinſtellten,
und nach ordendlichem Kommando und unter einem
Gepfeife, wies bei Pferden gebraͤuchlich iſt, —
ſich auch viehmaͤßig, ich meyne, ohne alle Ruͤckſicht
auf Wohlſtand — erleichterten. Das garſtige,
oder wuͤſte Geſicht war eine Larve von ſcheuslichem
Anſehen, welche an einem Buͤndel zuſammengeroll-
ter Lappen auf einer hohen Stange befeſtiget ward.
Dieſe Larve nahm ein Student — ich ſelbſt hab
eine dergleichen gehabt — trat des Abends ſpaͤt
vor ein Haus, wo die Leute, wies in Gießen ſehr
gewoͤhnlich iſt, wegen der Feuchtigkeit, im zweiten
Stock logirten, und klingelte oder klopfte. Kam
nun jemand ans Fenſter, um zu ſehen, wer da
waͤre; ſo hielt man ihm das wuͤſte Geſicht vor, wor-
uͤber dann die guten Leute zu Tode erſchracken. Wir
gaudirten uns aber baß daruͤber. Schuſterjungen
ſind heutzutage delikater und geſetzter!
Ich gerieth dieſen Winter in ſtarke Schulden,
ob ich gleich nicht ſehr fideel lebte. Es ging aber
ganz natuͤrlich zu. Ich hatte in den Herbſtferien
eine Reiſe nach Oppenheim gemacht, wo meines Va-
ters Bruder Prediger war, der mich noch einmal
vor ſeinem Tode zu ſehen wuͤnſchte. Auf dieſer Rei-
ſe empfing ich mein Geld zu Frankfurt am Main,
und brachte, beſonders in Mainz, wo ich und Herr
Lony, der von Jena gekommen war, und nach Hau-
ſe reiſete, den Komment einfuͤhrten, eine ziemliche
Summe durch. Ich muß doch meinen Leſern dieſe
Komments-Schnurre mittheilen.
Vier und zwanzigſtes Kapitel.
Burſchenkomment in Mainz.
Wir waren gegen Abend in Mainz angekommen,
und in den Gaſthof, die Pfalz, eingekehrt. Da
wir daſelbſt alles thek und draſtiſch fanden, gingen
wir zum Abendeſſen vors Muͤnſterthor, auf ein an-
ſehnliches Gartenhaus, welches damals einem ge-
wiſſen Dillmann zugehoͤrte, und wegen ſeiner
ſchoͤnen Tochter fleißig beſucht wurde. Die Tochter
hieß in Mainz die huͤbſche Gretel. Hier trafen
wir Mainzer Juriſten an. Juriſten heißen hier ei-
gentlich, im Gegenſatz der Seminariſten, oder Theo-
logen, diejenigen Studenten, welche ganz ſo zu ſagen
von den uͤbrigen abgeſondert ſind, und ihr Weſen
fuͤr ſich haben. Dieſe Herren waren artig und ließen
ſich mit uns ins Geſpraͤch ein. Ihre Hoͤflichkeit
machte, daß wir uns ihrer erbarmten, und beſchloſ-
ſen, ihnen den Komment beizubringen: denn wir ſa-
hen wohl, daß ſie in dieſem Stuͤck arme Suͤnder
waren. Ich fragte daher den erſten beſten: wie
ſiehts denn hier mit dem Komment aus?
Student: Komment? — was iſt das, wenn
ich gehorſamſt bitten darf?
Ich: Je nun, Komment iſt Komment: das
iſt ſo die rechte Art, das rechte Avec, wie der
Burſche auf Univerſitaͤten leben ſoll!
Student: Ja, liebſter Freund, die iſt hier
ſehr verſchieden. Einige unſerer Studenten — von
den Seminariſten will ich nichts ſagen: die liegen ſo
nur auf der faulen Haut — ſind recht fleißige Leute,
und von feinen Sitten und Lebensart, —
Ich: (einfallend) Ei, wer Teufel fraͤgt denn
nach Sitten und Lebensart und Fleiß! Ich frage nach
dem Komment!
Lony: Du mußt mit dem Herrn ins Detail
gehen, Bruder Herz, damit er das Ding recht
faſſe.
Ich: Haſt recht! Sagen Sie mir mein Beſter,
wird hier oft kommerſirt?
Student: Kommerſirt? —
Nun erfolgte von meiner Seite eine weitlaͤuftige
Erklaͤrung des Kommerſirens: darauf ſangen Lony
und ich einige Kernſtrophen aus dem Liede Ecce
quam bonum. Das Ding gefiel den Mainzer-Stu-
denten, und es wurde beſchloſſen, ſogleich eine Pro-
be davon zu machen. Alſo praͤſidirte ich; Lony praͤ-
ſidirte kontra, und der Kommers ging vor ſich.
Freilich war's ein ſehr ſchofeler Kommers, weil kei-
ner von den Mainzern mitſingen konnte; jedoch wur-
den ſie alle ſo betrunken in dem Doppel-Bier- daß
ſie kaum noch ſtehen konnten. Den andern Gaͤſten,
welche uns zuſahen, wie auch der huͤbſchen Gretel
behagte das Ding gar ſehr, und ſie wuͤnſchten nur,
daß auch ihre Herren dergleichen Komment verſtehen
und ausuͤben moͤchten.
Nach dem Kommers gingen wir zur Stadt,
und ſchrieen auf den Straßen, gleich Unſinnigen,
ein Lurrah uͤber das andere. Wer uns nicht weit
auswich, den ſchuppten wir, daß er wie weit auf
die Seite flog. Unſre Herren Mainzer gingen nach
ihrem Logis, bis auf einen, der uns in die Pfalz
begleitete. Den andern Morgen nahm uns der
Student, ich glaube er hieß Blumers, mit auf ein
Kaffeehaus, und traktirte uns mit Aquavit: vorher
hatte er ſich von uns die beſten Burſchenlieder Zu jener Zeit waren die Burſchenlieder meiſt ſchaͤnd-
liche Zoten, und abgeſchmackte Reime, worin oft wenig
Verſtand war. Z. B.
Die Welt mag immer brummen,
Die alten Weiber ſummen!
Brumme die Welt,
Das gilt mir gleich viel.
Hab ich kein Geld,
So hab' ich kein Spiel.
Haſt du nicht geſehn des Teufels fein Spiel?
Die Melodien zu dieſen Raritaͤten waren noch abge-
ſchmackter, als der Text ſelbſt. Der Geſchmack aber dik-
tiren laſſen, und ſie nachgeſchrieben. Nachmittags
kamen noch mehrere auf Dillmanns Garten, und es
wurde abermals kommerſirt.
Nun wollten wir auch einen Orden in Mainz
ſtiften, wenigſtens wollten wir daſelbſt ſo eine Geſtalt
von Amiciſtenklupp aufbringen. Auch das gelang
uns. Wir entwarfen, weil wir die aͤchten Geſetze
nicht bei uns hatten, eine Art von Geſetzbuch, er-
klaͤrten alles, recipirten neun Studenten im Namen
der Mutterloge in Jena, lieſſen einen Senior, Sub-
ſenior, und Sekretaͤr waͤhlen, lehrten ſie die Zeichen
und Merkmale, und verpflichteten die Mitglieder des
hochloͤblichen Amiciſten Ordens durch einen Hand-
ſchlag und eine Art von Eidesformel, dem Orden
getreu zu bleiben, die Geſetze zu beobachten, und
was dergleichen Tollheiten mehr waren. So wurde
denn auch das Ordensgift nach Mainz gebracht. Ob
ſich die Thorheit daſelbſt erhalten und ausgebreitet
habe, kann ich nicht ſagen. So viel iſt gewiß, daß
noch im Jahr 1781 Amiciſten in Mainz geweſen
ſind, aͤchte oder unaͤchte, darauf kommt bei einem
akademiſchen Orden gar nichts an: jeder kann der-
gleichen ſtiften, wenn er nur Leute findet, die dumm
oder leichtſinnig genug ſind, ſeine naͤrriſchen Grillen
gut zu heißen, und ihnen nachzuahmen.
iſt auch hierin viel feiner geworden, wenn ſonſt guter
Geſchmack uͤberhaupt beim Kommerſch ſtatt finden kann.
Wir hielten uns uͤber acht Tage in Mainz auf,
wonach Lony in ſein Vaterland, und ich zu meinem
kranken Onkel nach Oppenheim, und von da uͤber
Darmſtadt wieder nach Gießen zuruͤckkehrte.
Die Univerſitaͤt zu Mainz hat nie viel getaugt.
Man giebt zwar vor, daß mehrere Proteſtanten da-
ſelbſt ſtudiren; aber das iſt nicht wahr. Ich habe
noch im verwichnen Sommer einen Studenten in
Halle geſprochen, der von Mainz kam, und mich
verſicherte, es ſeyen gar keine Proteſtanten da. Vor
drei Jahren wollte ein Vetter von mir, Herr Vi-
triarius von Partenheim bei Mainz, der in Jena
Medicin ſtudirt hatte, daſelbſt Doctor werden: die
mediciniſche Fakultaͤt war es zufrieden; aber die The-
ologen, beſonders Herr Hettersdorf und Freund
Goldhagen, der Exjeſuit, widerſprachen: „der
„Eid rede ja — gaben ſie vor — von der immacu-
„lata conceptione B. Virginis Dieſen frommen Glaubensartikel hat die Mainzer Uni-
niverſitaͤt angenommen, zum Beweiſe ihrer erbaulichen
Herablaſſung zu den Galanterie-Grillen der Franzis-
kaner uͤber — die liebe Maria!, und den koͤnne
„kein Proteſtant ablegen.“ So wurde denn Herr
Vitriarius abgewieſen, und mußte in Gießen ſich
promoviren laſſen. Das iſt ein ganz neues Proͤb-
chen von der ſonſt hochgelobten Mainzer Toleranz!
Der Jeſuit oder Exjeſuit Goldhagen iſt quaſi
das Haupt der theologiſchen Fakultaͤt. Ich hatte
im Jahr 1781 Gelegenheit, dieſen Herrn nebſt einem
andern ſehr korpulenten Theologen, dem Herrn Het-
tersdorf kennen zu lernen, als ich fuͤr den Pfarrer
Thiels in Undenheim bei ihnen ſollicitirte, wie ich
an ſeinem Ort berichten werde.
Goldhagen hat nicht das einnehmende We-
ſen, das man ſonſt bei Jeſuiten bemerkt, oder viel-
mehr bemerkt haben will: denn die ich geſehen habe,
waren meiſt grobe ungeſchliffene Menſchen: und
Goldhagen iſt nichts anders. Er verſprach mir da-
mals zwar, fuͤr Herrn Thiels bei dem Herrn von
Koͤth zu intercediren; wollte aber durchaus nicht zu-
geben, daß ich den Herrn Thiels Pfarrer nannte,
noch weniger Prieſter: Praͤdikant muͤſſe er heiſ-
ſen! Und nun mußte ich eine weitlaͤufrige Demon-
ſtration anhoͤren, daß die unkatholiſchen — ſo
glimpflich nannte er die Proteſtanten — obgleich auf
dieſe Art auch jeder Jude, Muhamedaner u. ſ. w.
unkatholiſch und folglich Proteſtant iſt — keine aͤch-
ten Prieſter haͤtten, die konſekriren koͤnnten. Er
fuͤhrte noch mehr Kontroverſen mit mir, halb latein
und halb deutſch, nach aͤchter Jeſuiter- Methode,
und nannte mir hundertmal die Namen des heiligen
Auguſtins, Hieronymus, Athanaſius, Bernhardus
und andrer Pſeudoheiligen, welche ich beſſer kannte,
und von ganzer Seele verabſcheute Voltaire ſagt im Maͤdchen von Orleans, oder laͤßt
vielmehr den Pater Grisburdon ſagen: die ganze Hoͤlle
ſey voller Heiligen. Die hier genannten finden ſich ge-
wiß auch da. Ihr Leben war, ihrer ſonſtigen Heilig-
keit unbeſchadet, voller Greuel.. Er mußte
um drei Uhr eine Vorleſung halten, und er erlaubte
mir, derſelben beizuwohnen. Es waren ohngefaͤhr
acht Seminariſten gegenwaͤrtig. Er las Scripturi-
ſtik; aber ich konnte leider von der heilloſen Poſtillen-
Exegeſe, wobei auch nicht ein geſcheuter Gedanke,
nicht ein liberales Urtheil vorkam, nichts verſtehen,
noch weniger gebrauchen.
Dieſer Herr Goldhagen hat Gellerts Moral
mit den Schluͤſſen der Trientiſchen Synode zu ver-
einigen geſucht, und hat eine Ausgabe des neuen
Teſtaments veranſtaltet, wo er aus den Varianten,
die Mill und Wetſtein geſammelt haben, bewei-
ſen will, daß die Vulgata latina aͤchter ſey, als der
griechiſche Text Wie wenn der auch ſo aͤcht waͤre! Wo ſollten die
Verfaſſer des Neuen Teſtaments, die groͤßtentheils Ju-
den vom gemeinen Schlage waren, ſo viel auslaͤndi-
ſche Sprachkenntniß geſammelt haben, um ihre Denk-
wuͤrdigkeiten in griechiſcher Sprache aufzuzeich-
nen? –. O ſancta ſimplicitas! Er iſt
Erſter Theil. P
aber auch daß dafuͤr ausgeziſcht worden! Jetzt hoͤre
ich, daß er vom Erzbiſchof oder Kurfuͤrſten Dieſe Wuͤrden trennte der vorige Kurfuͤrſt Emmerich
Joſeph ſtark, und war ſelten Erzbiſchof: der jetzige
iſt taͤglich beides. zum
Großinquiſitor bei einer Kommiſſion gegen die Illu-
minaten ernannt ſey. Der wird abermals ſauberes
Zeug von den Illuminaten herausbringen, ohngefaͤhr
ſolches, wie Herr von Einen in ſeinem Ketzerlexi-
kon, unter dem Artikel Illuminaten aus den
einſeitigen Berichten einiger baieriſcher Bonzen auf-
getiſcht hat. Wer weis auch, was das fuͤr giftige
gottloſe Ketzer ſeyn moͤgen! Sie haͤngen ja der ge-
faͤhrlichſten Ketzerinn an, die es fuͤr Katholiken geben
kann — der Vernunft! – Was uͤbrigens Herr
Goldhagen fuͤr ein ruͤſtiger Klopffechter in Sachen
des Vicegotts zu Rom, und deſſen Anhangs ſey —
erhellet aus der Mainzer Monatsſchrift in geiſtlichen
Sachen, und aus Winkopps Bemerkungen uͤber
dieſelbe.
Herr Hettersdorf iſt zwar, oder ſcheint
wenigſtens nicht ſo intolerant zu ſeyn, als Goldhagen:
doch merkt mans ihm ſehr an, daß er ein Schuͤler
der Jeſuiten iſt, und blutwenig Weltkenntniß be-
ſizt. Er iſt, ehe er Profeſſor, und Vikariatsrath
ward, Paſtor in Niederſaulheim geweſen, wo er
fleißig Kontrovers predigte; aber noch fleißiger die
Raͤnke des Mainzer Vikariats ſtudirte. Der jetzige
Kurfuͤrſt lernte ihn kennen, und glaubte, das waͤre
der Mann, welcher ihm dienen koͤnnte, das Vika-
riat zu demuͤthigen. Er machte ihn daher zum geiſt-
lichen Rath, und einen gewiſſen Heimes zum Weih-
biſchof. Ob der Kurfuͤrſt wirklich durch dieſe Krea-
turen das Anſehen des Vikariats geſchwaͤcht haben
mag? — Es iſt gar ſchwer, ſo ein Vikariat herun-
ter zu bringen: eher geht das mit allen Kollegien
in einem Koͤnigreiche an, als mit dem Vikariat des
geringſten Biſthums Sehr natuͤrlich! Denn das Vicariat behandelt ſeine
Didceſan- Rechte nach dem allgemeinen paͤpſtlichen
Kirchenrechte, dem auch der Herr Kurfuͤrſt als Erzbiſchof
und Katholik unterworfen iſt. Ueberdem da es nur
Einen Gott, Eine Taufe und Eine Kirche giebt: da
ferner jeder anathematiſirt iſt, der es ſich herausnimmt,
an jenen Beſtimmungen etwas zu aͤndern, die die liebe
Mutter Kirche, zu ihrem eignen Vortheil in ihrer
eignen Sache feſtzuſetzen fuͤr gut gefunden hat: da
endlich das Geiſtliche dem Leiblichen, das Ewige dem
Zeitlichen vorzuziehen iſt, ſo wie die Seele dem Koͤrper;
ſo muͤßten die Handhaber der Geiſtlichen Gerichts-
barkeit ihren Vortheil wenig verſtehen, wenn ſie der
weltlichen nachgeben wollten. Ja vielmehr wollen
ſie, als Stellvertreter Gottes, deſſen doch Himmel und. Die Exempel hat das Main-
zer und Wormſer in Ueberfluß hergegeben: ſonſt kenne
ich keine.
Uebrigens iſt Mainz gar die Stadt nicht, wo
eine Univerſitaͤt gedeihen koͤnnte. Der Student,
wenn etwas liberales aus ihm werden ſoll, muß ei-
nen gewiſſen Ton angeben, und ſich an dem Orte,
wo er iſt, bemerkbar machen koͤnnen. In Leipzig
z. B. iſt es mit den Studenten nichts: da richtet er
ſich nach dem Kaufmannsdiener, der reicher iſt, als
er: und in Mainz bemerkt man ihn vollends ganz
und gar nicht. Dieſe Stadt ſteckt voller Kaufleute,
voller reichem Adel, und voller vornehmer Geiſtlich-
keit. Da herrſcht Pracht und Ueppigkeit in vollem
Maaße, und der Student, der nicht mitmachen
kann, gafft und ſtaunt ſo eine hochwuͤrdige Excellenz
oder Gnaden an, und fuͤhlt ſeine eigne Vernichtung
ſo ſehr, daß er ſichs gar nicht einfallen laͤßt, ſelbſt
Erde iſt, daß die weltliche Regierung ſich nach der geiſt-
lichen richte — der Staat nach der Kirche. In katho-
liſchen Bisthuͤmern mag das fuͤr dieſe hingehen: denn
die guten Leute wiſſen, und wollen das nun einmal
nicht anders; aber wie denn da, wenn Maͤnner von
dieſer Denkungsart einen Poſten bekleiden, auf welchem
es ihnen moͤglich wird, nach dieſen Grundſaͤtzen Con-
cluſa herauszubringen, die der Gewiſſensfreiheit der
Proteſtanten Eintrag thun, indem ſie es ihnen zum
Geſetz machen, ſich nach Axiomen und Poſtulaten der
Katholiſchen Kirche zu richten, oder behandeln zu laſ-
ſen? — Man denke an neuere Vorfaͤlle! – In dieſem
Falle hat es der Proteſtant aͤrger, als der Schutzjude.
Doch Intelligenti pauca, ſo wie Vigilantibus jura! –
etwas vorzunehmen, um ſich zu erheben. Nebenher
ſind die Profeſſores, wie unter dem Zuchtmeiſter.
Sagt einer etwas auf dem Katheder, das vielleicht
dem oder jenem geiſtlichen Herrn misfaͤllt; wie ein
Blitz, iſt die Sache beim Vikariat, und der Pro-
feſſor hat Spectakel. Die Geſchichte des ehrlichen
Iſenbiehls, der ſich an einer Stelle des Jeſaias
vergriff, d. i. ſie anders auslegte, als ſie Cornelius
a Lapide oder ſonſt ein kontrackter Ausleger ausge-
legt hatte, iſt davon, nebſt dem ehrlichen Molitor,
ein derber Beweis. Der verſtorbene Kurfuͤrſt ſchuͤtzte
die Maͤnner gegen die Kabalen der Pfaffen; aber
der jetzige fand fuͤr gut, den Iſenbiehl den 13. Dec.
1777 einzuſtecken, und ſein Buch zu Rom von Pius
den Sechſten verdammen zu laſſen. Das iſt erſt in
der That nur ſo genannte Aufklaͤrung! Mit der
Mainzer Toleranz ſieht es nicht beſſer aus.
In Niederolm, wo Herr Dorſch Amtsver-
walter iſt, wurde vor zehn Jahren eine neue Kirche
fuͤr die dortigen Katholiken gebauet. Der Maurer,
der den Bau im Verding hatte, nahm proteſtantiſche
Geſellen dabei an. Das verdroß den Herrn Jacobi
und er forderte vom Maurer, daß er die ketzeriſchen
Geſellen fortjagen ſollte. Der Meiſter that das nicht,
und Herr Dorſch, ein geſcheuter Kopf, wollte ſich
auch vom Pfaffen nicht bewegen laſſen, den
Maurer zu einer ſolchen Abgeſchmacktheit zu zwingen.
Was hatte Jacobi zu thun? – Er berichtete die
Sache nach Mainz, und ſiehe da, es erſchien der
Befehl, daß der Maurer die proteſtantiſchen Geſellen
vom Kirchenbau entfernen, oder ſelbſt den Akkord
aufgeben ſollte. Nun wars alle! die Geſellen muß-
ten fort. In dergleichen unbedeutenden Stuͤckchen
offenbart ſich der Geiſt der Intoleranz und der
Dummheit oft mehr, als in großen Vorfaͤllen. Die
Urſachen ſind nicht ſchwer zu entdecken.
Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
Noch endlich gar ein Komoͤdiant!
Ich habe ſo viel von Gießen geſchrieben, daß ich
beinahe befuͤrchte, meine Leſer ermuͤdet zu haben.
Aber dafuͤr ſoll nun auch alles kurz gefaßt werden,
damit ich Raum uͤbrig behalte, mich als Kandidaten
der hochheiligen Theologie zu produciren. Eine ganze
Geſchichte von anderthalb Jahren ſoll nur wenige
Blaͤtter einnehmen.
Mein letzter Winter in Gießen ging ziemlich ru-
hig voruͤber, das heißt, ich wurde nicht mehr citirt,
ſchlug mich nicht, kam nicht ins Karzer, und beſoff
mich nur hoͤchſt ſelten.
Ein Marionettenſpieler, Joſeph Wieland, brach-
te mich, Tenner und Dern auf den Gedanken,
auch Komoͤdien zu ſpielen. Aber wie, wo und durch
welche Mittel? das war die Frage. Ich beſprach
alles mit dem Herr Profeſſor Schmid. Er erboth
ſich gleich, die Direction zu uͤbernehmen, und rieth
mir, einen Aufſatz cirkuliren zu laſſen, und Beitraͤge
von Geld bei den Honoratioren einzuſammeln. Ge-
rathen, gethan! Der Tambour Hofmann und der
Karzerknecht Cordanus, mußten kontrolliren, und
in einigen Tagen hatten wir ſo viel Geld, als noͤthig
war, ein Theater zu bauen, und Kuliſſen nebſt andern
Beduͤrfniſſen anzuſchaffen. Zum Theater ſchlug Herr
Schmid das theologiſche Auditorium vor: denn das
große Juriſtiſche war zu Diſputationen und Promo-
tionen beſtimmt. Ich hielt beim Dekan darum an:
aber der alte D. Benner hielt dies fuͤr Entheili-
gung, und ſchlug das Geſuch ab. Alſo mußte das
philoſophiſche Auditorium dazu herhalten. Dieſes
war ſeit langer Zeit der Heuſtall der Pedellen gewe-
ſen!! Wir ließen es reinigen, und bauten ein Theater
fuͤr 80 Gulden. Kuliſſen, Vorhang, Lichter zur
erſten Vorſtellung und dergleichen koſteten beinahe
eben ſo viel. So waren wir denn im Stande,
unſre Kunſt zu zeigen. Ich war Rollenmeiſter,
Tenner Aufſeher der Kaſſe, und Dern Theater-
meiſter: uͤber uns alle war der dux gregis ipſe ca-
per, Herr Schmid, velut inter ignes Inna mi-
nores. Das erſte Stuͤck, welches wir gaben, war
Brandes Trau, ſchau, wem. Unſre Actri-
zen waren anfangs huͤbſche milchbaͤrtige Studenten;
nachher aber ſpielten auch wirkliche Frauenzimmer
mit. So wurde noch die Zeit uͤber, die ich in Gie-
ßen war, Leſſings junger Gelehrter, der Zerſtreute
aus dem komiſchen Theater der Franzoſen, Ste-
phanis Deſerteur aus Kindesliebe, der Bramar-
bas von Hollberg, und der Poſtzug u. a. aufge-
fuͤhrt. Herr Schmid ließ jedesmal in der Darm-
ſtaͤdter Zeitung ein großes Weſen von der Vortref-
lichkeit unſrer Action machen. Anfangs ſpielte ich
ſelbſt mit, war z. B. der Graf von Werlingen im
Trau, ſchau, wem, und Magiſter Stifelius im
Bramarbas. Aber da ich bald merkte, daß ich zum
Theater verdorben war; ſo gab ich das Mitſpielen
auf, behielt aber mein Amt, als Rollenmeiſter, bis
zu meinem Abzug aus Gießen.
Dieſes Komoͤdienſpielen hat wenig gutes geſtif-
tet. Unſre Burſche fanden einen ſo ſtarken Geſchmack
am Specktakel, daß alles ernſthaftere Studiren dar-
uͤber vernachlaͤſſigt wurde, und jeder nur Komoͤdien
las. Die mitſpielenden Perſonen konnten vollends
gar nicht ſtudiren. Nach meinem Abſchied hat der
Landgraf die Komoͤdie verbieten laſſen. Man haͤtte
ihm vorgeſtellt, daß ſie die ganze Univerſitaͤt zerruͤt-
ten wuͤrde. Nichts hat aber durch das Schauſpiel
mehr gelitten, als der Komment, und die Orden.
Denn die Verbindungen der Spielenden waren nun
viel feſter, als die der Orden, und uͤber den Kom-
ment wurde gelacht. Eulerkapper hatte auch mehr
Ruhe. Der Ton war Frivolitaͤt.
Bei Gelegenheit der Komoͤdie lernte ich ein ge-
wiſſes Buͤrgermaͤdchen naͤher kennen, welches von
der Zeit an mein Umgang wurde. Dieſer Umgang
hat mir viel Geld gekoſtet: ich mußte bald dieſes,
bald jenes fuͤr ſie kaufen, und ihr bald ſo, bald an-
ders ein Vergnuͤgen machen. Dadurch gerieth ich
immer tiefer in Schulden. Ich rathe jedem, der
dies lieſet, ja nicht auf Univerſitaͤten eine Liebſchaft
zu unterhalten: es kommt nichts dabei heraus, als
Skandal, und wenn ja das Ding ohne Skandal ab-
geht; ſo ſind Schulden allemal das Ende vom Lie-
de. Die meiſten Nymphen, welche ſich mit Stu-
denten abgeben, wollen von ihnen ziehen, halten es
eben darum mit mehrerern, und lachen hernach die
geprellten Mosjees in die Fauſt aus. Ich wußte das
Ding recht gut, und ließ mich doch prellen: denn
meine Liebſchaft mit Gretchen Krauskopf war nichts
weniger, als ſolide.
An dem Hrn. Regierungsrath Schlettwein,
welcher dieſen Sommer nebſt dem armen Suͤnder,
Breitenſtein, Profeſſor in Gießen geworden
war, erhielt ich einen wahren Freund, der mir tau-
ſend Gefaͤlligkeiten erwieſen, und mich zu einer et-
was ſolidern und konſequentern Lebensart angehalten
hat. Seine Frau, welche eine ſehr einſichtsvolle
Dame iſt, erzeigte mir alle Freundſchaft. Ich war
gewoͤhnlich in dieſem Hauſe zu Gaſte; und haͤtte ich
das Gluͤck gehabt, den Umgang dieſer edlen Men-
ſchen noch lange zu genießen, ich glaube, daß ich
mich bekehrt haͤtte, und ein geſetzter ordentlicher
Mann geworden waͤre. Allein das leidige Schickſal
wollte, daß ich im Taumel meines Leichtſinns noch
ſchreckliche Begebenheiten erleben ſollte: und ſo habe
ich jetzt leider nichts, als ſchmerzhafte Erinnerungen
an etwas Gutes, das mir vielleicht zu theil gewor-
den waͤre, wenn nicht ein verkehrter Studentenſinn
mich verleitet haͤtte, da mein kuͤnftiges Ungluͤck vor-
zubereiten, wo meine lieben Eltern mich hinſchickten,
um mein kuͤnftiges Gluͤck fuͤr ſie und mich zu gruͤn-
den. — Doch geſchehene Dinge laſſen ſich nicht aͤn-
dern, ſagt man im Sprichwort, und dabei will und
muß ich mich beruhigen. Du aber, Juͤngling auf
dem Irrwege —
Principiis obſta: ſero medicina paratur!
Und ſo waͤre ich mit meiner Geſchichte, in ſo fern
dieſe Gießen betrift, fertig. Sie iſt mir unter der
Hand weitlaͤuftiger geworden, als ich ſelbſt willens
war, ſie zu ſchreiben. Da aber Gießen eine ganz
obſkure Univerſitaͤt iſt; ſo war vielleicht eine etwas
genauere Beſchreibung derſelben nicht uͤberfluͤßig, we-
nigſtens fuͤr manchen Leſer nicht ganz unangenehm.
Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
Abzug von Gießen. Haͤndel in Frankfurt.
Ich hatte meinem Vater meine Schulden, welche
ſich auf 180 Gulden beliefen, ehrlich gemeldet. Der
gute Mann mußte freilich ſtutzen, da er mir immer
hinreichenden Wechſel geſchickt, und zur rechten Zeit
geſchickt hatte, daß ich jetzt mit einer ſo großen Nach-
rechnung auftrat! Zu dem hatte er beſchloſſen, mich
nach Goͤttingen noch gehen zu laſſen: und da konnte
er ſchon ausrechnen, daß ihm mein Studiren eine
anſehnliche Summe koſten wuͤrde. Bezahlt mußte
indeß einmal ſeyn: er ſchickte mir alſo das Geld,
und obgleich ſein Brief viele Vorwuͤrfe enthielt; ſo
hatte ich doch nicht Urſache, daß ich mich fuͤrchtete,
vor ihm zu erſcheinen.
Nachdem das Geld in meinen Haͤnden war,
bezahlte ich meinen Glaͤubigern, doch ſo, daß ich
ein anſehnliches Reiſegeld uͤbrig behielt. Um dies
zu bewerkſtelligen, kontrahirte ich mit ihnen, blieb
dem 6, dem 8, dem 12 Gulden ſchuldig, und die
Leute lieſſen das gern geſchehen, da ich ſie die drei
Jahre hindurch immer ehrlich befriedigt hatte.
Es war ohngefaͤhr acht Tage vor Oſtern, als
ich von Gießen abgieng. Da ich auf die erwaͤhnte
Art mit Gelde verſehen war, ſo machte ich mich in
Frankfurt ausſchweifend luſtig: und meine Baar-
ſchaft nahm zuſehends ab, ſo daß nach Verlauf
von vier Tagen, die ich da zubrachte, nicht viel
uͤber einen Louisd'or uͤbrig war. Ich hatte vorher
vor lauter Luſtbarkeit nicht Zeit, meine Kaſſe zu un-
terſuchen: denn ich war — zu meiner Schande muß
ich dergleichen bekennen — wenig nuͤchtern gewor-
den, und noch weniger von der Madam Agrikola weg-
gekommen. Ich dachte: Jetzt iſts mit dem Studen-
tenleben alle — biſt nun Philiſter — nach Goͤttin-
gen kommſt du nicht: weil dein Vater dir befohlen
hat, geradesweges nach Hauſe zu kommen — mußt
nun pauken (predigen), mußt dich alſo, da du's noch
haben kannſt, noch einmal zu guter lezt recht luſtig
machen. Dieſer ſchoͤnen Reflexion folgte ich denn
treulich nach, und lebte in Frankfurt einige Tage
das wuͤſteſte, roheſte Leben. Gott! wenn mein gu-
ter Vater mich da geſehen haͤtte!
Um wieder Geld zu bekommen, wendete ich
mich an einen gewiſſen Hrn. Gebhard, der meine
Familie kannte, und bath ihn, mich mit 18 Gul-
den Reiſegeld auszuhelfen. Der ehrliche Mann that
es gern, und erſt vier Jahre hernach iſt er be-
zahlt worden, weil er nicht mahnte, und ich mei-
nem Vater von dieſer Schuld nichts ſagen, aber
auch, wenn ich Geld hatte, von dem Meinigen
nicht bezahlen wollte.
Nun nahm ich mir im Ernſte vor, den andern
Tag Frankfurt zu verlaſſen; doch ſollte den Abend
Madam Agrikola noch einmal beſucht werden. Ich
ging zeitig hin, und erklaͤrte, daß ich morgen abrei-
ſein wuͤrde. Ein gewiſſer Menſch von etwa dreiſſig
Jahren, den ich einigemal in dieſem berufenen Loche
geſehen hatte, war zugegen, und fragte mich, ob
ich uͤber Darmſtadt oder Mainz gehen wuͤrde? Ich
antwortete ihm: daß ich uͤber Mainz muͤſte, weil ich
dahin meinen Koffer von Gießen aus geſchickt haͤtte.
„So waͤren wir ja Reiſegefaͤhrten: ich gehe Morgen
auch dahin,“ ſagte er, und trank mir zu. Ich freute
mich, jemanden zu haben, mit dem ich unterwegs
auf dem Marktſchiffe vom Jubel in Frankfurt ſchwa-
tzen koͤnnte, und draͤngte mich naͤher an den —
Spitzbuben.
Gegen neun Uhr wollte ich fort. Mein ſaube-
rer Kumpan begleitete mich: ich hatte ſchon eine
Schnurre, und ſo wars ihm leicht, mich noch ein-
mal in ein Wirthshaus zu verfuͤhren. Er ſagte mir,
da gaͤb es herrlichen Wein, und wohlfeilen, und
ganz kapitale Menſcher. Das war Einladung genug
fuͤr mich: doch ſagte ich ihm gleich, daß ich nicht
viel verzehren koͤnnte: denn ich muͤßte mein Geld zu
Rathe halten, weil ich einige Tage in Mainz zubrin-
gen wollte. Ei was, ſagte er, was wird's denn
koſten? drei oder ſechs Batzen, das iſt's all! ſeyen
Sie doch artig! —
Der Kerl fuͤhrte mich in ein Weinhaus, wel-
ches, wie ich hernach erfuhr, der rothe Ochſe hieß,
und das oͤſterreichiſche Werbhaus war. Wir kamen
in eine artige Stube, wo allerlei Leute waren, mei-
ſtens oͤſterreichiſche Soldaten, und Muſik. Mein
Begleiter ging ſogleich zur Thuͤr hinaus, um wie er
ſagte, etwas noͤthiges auszufuͤhren, kam hernach zu-
ruͤck und trank mit mir, einen Schoppen nach dem
andern. Endlich als er merkte, daß es mir im
Kopfe warm war, fragte er, ob ich nicht tanzen
wollte? Ich ſchlug es ab. So wollen wir, er-
wiederte er, uns wenigſtens dort oben an den Tiſch
ſetzen: da iſt doch Geſpraͤch! das war ich zufrieden,
und wir veraͤnderten unſern Platz. Ich kam neben
einem Unterofficier zu ſitzen, welcher ganz artig von
gleichguͤltigen Dingen ſprach. Er trank mir einige-
mal zu, und ich that Beſcheid. Der Wein ſtieg
mir endlich ſo ſtark in den Kopf, daß ich Bruͤder-
ſchaft mit dem Unterofficier und meinem Begleiter,
und wer weis, mit wem noch mehr, trank, daß ich
tanzte, und bei den anweſenden Maͤdchen Gewoͤhnlich werden in den Werbhaͤuſern Maͤdchen ge-
halten: durch dieſe traͤgt mancher den rothen, weißen,
blauen oder gruͤnen Rock. Mags wohl große Ehre ſeyn,
durch Kunſtgriffe, welche jederman verabſcheut, z. B.
vermittelſt niedertraͤchtiger Huren, Beſoffenheit, Be-
truͤgerei u. ſ. w. junge Leute wo nicht zu verfuͤhren
doch zu betruͤgen! herum-
ſchaͤkerte. Das Ding mag bis nach Mitternacht ge-
dauert haben: denn bis halb zwoͤlf Uhr hatte ich
meine Beſinnungskraft: was aber hernach mit mir
vorgegangen iſt, weis ich nicht.
Den andern Morgen erwachte ich erſt um 10
Uhr, und hatte ſchrecklichen Durſt. Ich lag noch
voͤllig gekleidet im Bette, außer, daß man mir den
Ueberrock ausgezogen hatte. Doch war ich ordent-
lich zugedeckt, und hatte ein Tuch um den Kopf.
Meine Uhr, Stock und Huth lagen auf dem Tiſch,
wie auch der Siegwart, den ich in Gießen zum
Zeitvertreib zu mir geſteckt hatte: Er war damals
die Modelektuͤre. Das Zimmerchen, worin ich lag,
war ſehr klein, doch reinlich. Ich wußte nicht, wo
ich mich befand, ging alſo nach der Thuͤr: aber wie
erſchrack ich, als dieſe verſchloſſen war! Ich pochte
ſtark an: endlich erſchien ein Unterofficier mit einem
Maͤdchen, welches Koffe herauftrug. „Guten Mor-
gen Herr Bruder, ſagte er, wie haſt du geſchlafen?
Ich: Gut; aber mir thut der Kopf weh, und
Durſt hab ich wie'n Pferd.
Er: Glaub's halter Ein oͤſterreichiſches Provinzialwort, welches die oͤſter-
reichiſchen Herren Werber jeden Augenblick anbringen,
und daher im Reiche vom Poͤbel auch nur ſchlechthin
die Halters genannt werden. gern: trink du nur
Koffe: es wird ſchon vergehen.
Ich: Ja, ja. Was koſtet der Koffe? will gleich
bezahlen, auch das Logis.
Er: Iſt halter alles bezahlt, Herr Bruder!
trink du nur.
Das Maͤdchen: Je nun mein Herzchen, du
warſt geſtern Abend recht ſelig. Schaͤm dich, du haſt
bei mir ſchlafen ſollen; aber da warſt du beſoffen wie
ein Kater.
Der Unterof. Kann ja noch geſchehen: will
hinunter gehn!
Ich: Bleiben Sie nur, und ſagen mir, wo
ich bin.
Der Unterof. Im rothen Ochſen, Herr
Bruder.
Ich: Gut! wie viel Uhr iſts?
Der Unterof. Halb elf.
Ich: Potz tauſend, dann muß ich fort.
Der Unterof. Ha, ha, daraus wird halter
nichts: du biſt ja Soldat, dienſt dem Kaiſer!
Ich: Was, Soldat?
Der Unterof. Ja, komm nur mit hinunter.
Ich mußte mit ihm hinabgehen. In der großen
Stube fanden wir eine Menge Leute; aber mein ſau-
berer Begleiter war nicht darunter. Hoͤren Sie,
meine Herren, fing mein Unterofficier an, iſt der
Herr da halter nicht Soldat? — Alle bejahten dies.
Hat er halter nicht Handgeld genommen? — Auch
dieſe Frage wurde bejahet. Ich laͤugnete das alles,
aber man befahl mir, meine Boͤrſe zu unterſuchen.
Ich that es und fand, außer meinem Gelde, noch
vier Kremnitzer Dukaten. Ich erſchrack zu Tode,
da ich den Beweis ſahe, von dem, was der Unter-
officier mir geſagt hatte. Doch faßte ich mich, und
fragte, ob kein Officier da waͤre: ich muͤſte mit ihm
ſprechen. Das ſoll ſchon halter geſchehen, war die
Antwort: er wird bald kommen.
Ich ſetzte mich in eine Ecke des Zimmers, ſtieß
jeden, der mit mir reden wollte, von mir, forderte ein
Glas Brandtewein, und las vor lauter Aerger in mei-
nem Siegwart. So leerte ich zwei oder drei Glaͤſer,
und da der Spiritus vom vorigen Tage noch nicht
ganz verraucht war; ſo wurde mein Kopf wieder
verwirrt.
Es ſchlug zwoͤlf, und noch kam kein Officier.
Ich ließ mir etwas zu eſſen geben, und muſte vieles
Erſter Theil. Q
von den Herrlichkeiten anhoͤren, welche bei der Ar-
mee auf mich warten ſollten. Endlich riß mir die
Geduld: ich forderte, daß man einen Officier holen
ſollte. Man lachte. Ich wollte mit Gewalt zur Thuͤr
hinaus, aber man hielt mich auch mit Gewalt zuruͤck:
und indem wir uns ſo balgten, trat ein Officier in die
Stube, der, wie ich hernach erfuhr, Major war.
Major: Was giebts denn da? rief der an-
ſehnliche Mann, ich glaub ihr habt Haͤndel?
Ein Unterof. Verzeihens halter, Ihr Gna-
den, da iſt ein Rekrute, der will ausreiſſen.
Major: (zu mir) Haben Sie Sich anwer-
ben laſſen?
Ich: Nein, mein Herr!
Major: Aber die Leute da, die Unterofficiere
ſagens doch?
Ich: Mein Herr, ich kam geſtern Abend hier
her und —
Major: (einfallend) und ſoffen ſich ſo voll,
daß Sie noch nicht nuͤchtern ſind. Hab' davon hoͤ-
ren muͤſſen! Wer ſind Sie?
Ich: Ein Student von Gießen.
Major: Wie lange ſtudiren ſie ſchon?
Ich: Seit drei Jahren.
Major: So, ſo! — Aber was nehmen Sie
denn Handgeld? — Haben wahrſcheinlich nichts ge-
lernt? Nicht wahr?
Ich: Sie beleidigen mich —
Major: Daß ich naͤmlich bei einem Menſchen
von Ihrem Betragen keine Kenntniſſe vorausſetze!
Nun, wie hieß der erſte Kaiſer aus dem oſterreichi-
ſchen Stamme?
Ich: Rudolph von Habſpurg.
Major: Und der letzte?
Ich: Carl der Sechſte.
Major: Wann haben beide regiert?
Ich: Jener kam 1273 zur Regierung, und
dieſer ſtarb 1740.
Major: Schoͤn! Ich bin kein Gelehrter,
ſonſt ſetzte ich das Examen fort. Es thut mir leid,
daß Sie ihr Gluͤck verſcherzen. — Doch ich will
ſehen, was ſich thun laͤßt. Ich moͤcht Ihnen gern
helfen. Haben Sie Bekannte hier?
Ich: Ja, den Herrn Bucher, Stadtchirur-
gus, den Gaſtwirth Tennemann und —
Major: Schon gut: wollen ſehen, was zu
thun iſt. Ich komme hernach wieder. Unterdeſſen
halten Sie ſich ruhig: aber ſauffen muͤſſen Sie nicht
mehr, hoͤren Sie? —
Der rechtſchaffene Mann ging fort, und die
Unterofficiere waren gleich weit hoͤflicher gegen mich,
als zuvor: keiner ſagte mehr Du zu mir. „Den
kriegen wir halter nicht!“ ſagten ſie unter einan-
der.
Nach ohngefaͤhr drei Stunden kam der Major
zuruͤck mit noch zwei jungen Officieren. Der eine
war der Sohn eines lutheriſchen Predigers aus
Schwaben, und hieß Funk. Der Major trat ganz
hoͤflich zu mir „Mein Freund ſagte er, Sie geben
die vier Dukaten heraus!“ — Ich that dieſes mit
Freuden — „der Spektakel hier, fuhr er fort, hat
„ohngefaͤhr zwoͤlf Reichsthaler Unkoſten gemacht: aber
„da Sie wahrſcheinlich nicht ſo viel bei ſich haben;
„ſo habe ich mit Herrn Bucher geſprochen, und der
„haftet dafuͤr. Sie ſchicken aber innerhalb ſechs
„Wochen zwoͤlf Thaler an den ehrlichen Mann, da-
„mit er ſie ſonſt nicht aus ſeinem Beutel bezahlen
„muͤſſe. Uebrigens ſind Sie frei: denn unſer Kai-
„ſer will nicht, daß man beſoffene Leute anwirbt:
„ja, wenn Sie auch jetzt Dienſte nehmen wollten;
„ſo muͤßten Sie erſt Ihren Rauſch ausſchlafen.“
Ich: Herr Major, wie ſoll ich Ihnen meinen
Dank —
Major: Stille, mein Freund: ich thue, was
Menſchenliebe erfordert, und vollbringe den Willen
meines Herrn, der edel denkt. Danken Sie Gott,
daß der Emiſſaͤr Sie nicht in ein Paar andere der
hieſigen Werbhaͤuſer gefuͤhrt hat. Da waͤren Sie,
ſo wahr ich lebe, nicht wieder weggekommen. Dieſe
Herren ſcheeren ſich den Henker um Menſchenliebe und
Menſchenrechte, wenn ſie nur Leute kriegen: obs ehr-
lich oder unehrlich dabei zugehe, darum bekuͤmmern
ſie ſich nicht. Aber huͤten Sie ſich vor aͤhnlichen
Haͤndeln: Sie moͤchten ſonſt nicht ſo gluͤcklich wieder
heraus kommen.
Mit dieſen Worten verließ mich der edle Major,
ohne meine Dankſagung abzuwarten. Ich bin ſeinen
Namen vergeſſen, und das aͤrgert mich in der Seele.
Sollte er aber noch leben, und dieſe Blaͤtter zu ſehen
bekommen; ſo wird er ſich dieſer Geſchichte erinnern,
und dann verſichere ich ihn, daß ich, ſo oft ich an
ihn denke, und das geſchieht ſehr oft, es nie ohne
das innigſte Gefuͤhl von Hochachtung und Dankbar-
keit thue. Moͤchte ich doch erfahren, daß er die
hoͤchſte Stufe der Ehre und des Gluͤcks erſtiegen
haͤtte: wie ſollte mich das freuen! — Aber dem
braven Mann muͤſſen die ſchoͤnen Handlungen, deren
er ſich bewußt iſt, ſchon vollkommene Belohnung
ſeyn!
So war ich alſo durch einen Schurken ins Un-
gluͤck gebracht, und durch einen rechtſchaffnen Mann
wieder errettet worden. — Aber in ſolchem Waſſer
faͤngt man ſolche Fiſche! Was hatte ich noͤthig mich
in ſolche Loͤcher zu begeben, wo Geſundheit, Ehre,
Geld und Freiheit aufs Spiel geſetzt wird! So oft
gewitzigt und doch nicht klug! Es geſchah mir alſo
recht, daß ich in dieſe Verlegenheit gerietht: wohl
mir, und mehr, als ich verdiente, daß ein Men-
ſchenfreund ſich meiner annahm! Wer war froher,
als ich! Tages darauf verließ ich Frankfurt, und
kam wohlbehalten nach einigen Tagen bei meinen
Eltern an.
Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
Examen. Goͤttingen.
Mein Vater haͤtte wohl viel Urſache gehabt, mich
mit einem tuͤchtigen Wiſcher zu bewillkommen, um
ſo mehr, da ich eine weit ſtaͤrkere Summe zum Ab-
ſchiedswechſel gefordert hatte, als er erwartete: auſ-
ſerdem waren ihm auch mehrere meiner Stuͤckchen
bekannt geworden, beſonders die Eulerkappereien.
Aber mein Vater erklaͤrte gern alles aufs beſte, und
ſo machte ers auch hier: er entſchuldigte mich bei
ſich ſelbſt, und empfing mich mit freundlichem Ge-
ſicht.
Die erſten Tage gingen ruhig vorbei: dann
nahm er mich auf ſein Stuͤbchen, um, wie er ſagte,
zu ſehen, ob ich was wuͤßte, oder ob Oehl und Ar-
beit verloren ſey? Ich beſtund aber in ſeinem Exa-
men ſo gut, daß er mehrmals ausrief: non me
poenitet pecuniae, quam in tua ſtudia impendi
In der einzigen Metaphyſik kam ich nicht recht fort,
und konnte ihm z. B. nicht beweiſen, daß die Monaden
eine Kraft haben, ſich die Welt dunkel vorzuſtellen,
und daß in dem Beweiſe dieſes Satzes eine Petitio
Principii ſtecke, und folglich zu den Schwachheiten
der Leibnitziſch-Wolffiſchen Metaphyſik gehoͤre. Du
wirſt ſchon noch, ſetzte er hinzu, die Metaphyſik kennen
lernen: nimm dir aber das Esſe zum erſten Grund:
poſſe eſſe et tamen non eſſe widerſpricht ſich, ſi
ſermo eſt de realitate activa, wenn man aber von
der wirklichen Subſiſtenz redet, kann man wohl
ſagen, poteſt eſſe, ſed non eſt. Ich verſtand
das alles nicht, fand aber ſpaͤterhin, daß es ſich auf
die Philoſophie des Spinoſa bezog.
Da mein Vater mit meinen Kenntniſſen ſowohl
zufrieden war, war ich ſelbſt froh, und dachte an
nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch
zu Hauſe meine Tage vergnuͤgt hinzubringen. Mein
Vater hatte aber nach unſerm Examen ſich eines an-
dern beſonnen und jetzt neuerdings beſchloſſen: daß
ich noch auf ein Jahr die Goͤttingiſche Univerſitaͤt
beziehen ſollte, und das deswegen, damit ich mehr
in den orientaliſchen Sprachen leiſten, und uͤberhaupt
mich in Abſicht meiner Sitten beſſern moͤchte, welche
in Gießen ganz verwildert waren. Goͤttingen ſtand
ſchon damals im Rufe ſehr feiner Sitten. Mein
Vater entdeckte mir ſeinen Vorſatz, und befahl mir
mich zur Abreiſe in wenigen Tagen anzuſchicken.
Man ſtelle ſich meine Freude vor, abermals eine
Univerſitaͤt zu beſuchen, welche die, wo ich geweſen
war, unendlich uͤbertraf. Mein Gepaͤcke wurde in
etwas ausgebeſſert, und mit neuer Waͤſche verſehen,
und dann fuhr ich ab. Ich darf meine Reiſe wohl
nicht beſchreiben: ſie ging uͤber Gießen, Marburg,
Kaſſel und Minden. Mein Vater hatte mich aber-
mals bis Frankfurt begleitet.
Meine Leſer werden es ſchon glauben, daß ich
die Univerſitaͤt Goͤttingen mit ganz andern Augen
angeſehen habe, als die zu Gießen. In Goͤttingen
lehrten damals ſehr viele beruͤhmte Maͤnner: ein
Walch, Muͤller, Boͤhmer, Klaproth,
Puͤtter, Selchow, Baldinger, Richter,
Murray, Michaelis, Heyne, Feder, Lich-
tenberg, Kaͤſtner, Meiſter, Gatterer,
Schloͤtzer, und einige andre ſehr gelehrte, ver-
dienſtvolle Maͤnner. Quanta nomina! Und wie
hervorſtechend groß werden nicht erſt dieſe Namen,
wenn man zwiſchen ihnen und den Gießer-Profeſſo-
ren einen Vergleich anſtellt! wenn man z. B. einen
Walch mit Bechtolden oder Ouvrier, einen Boͤhmer
mit Kochen, einen Heyne mit Herrn Schmid ver-
gleicht!
Wenn es wahr iſt, daß das Anſehen und die
Celebritaͤt der Lehrer einen maͤchtigen Einfluß auf
den Eifer und die Fortſchritte der Schuͤler in den Wiſ-
ſenſchaften hat, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß der
Student in Goͤttingen nach Vorausſetzung alles
Uebrigen, weit fleißiger ſtudiren, und folglich weit
mehr lernen muß, als der in Gießen, Heidelberg,
Rinteln oder ſonſt einem Orte, wo die großen Mu-
ſter ſo ſelten ſind. Und ſo iſt es auch in der That,
ob ich gleich herzlich gern geſtehe, daß ſehr viele un-
fleißige Studenten zu meiner Zeit auch in Goͤttingen
waren.
Ich war an den ſeligen D. Walch empfohlen,
welchen mein Vater in Jena genau gekannt, und
ſeine FreuudſchaftFreundſchaft genoſſen hatte. Walch war ein
vortreflicher Mann, ſowohl von Seiten der Kennt-
niſſe und Gelehrſamkeit, als in Anſehung des Bie-
derſinns, und der Redlichkeit. Man findet der
Maͤnner wenige, welche verdienen, mit einem Walch
verglichen zu werden. Ich habe viel Gutes von ihm
genoſſen: manchen Gefallen, manche Freundſchaft
hat er mir erwieſen, und mit manchen Kenntniſſen
hat er mich bereichert; dafuͤr danke ich ihm noch
jetzt. — Man weis, daß Walchs Staͤrke in der
Litteratur und Geſchichtskunde beſtand: alles hieher
gehoͤrige hatte er geleſen, gepruͤft, und zur Verbeſ-
ſerung der hiſtoriſchen Vorſtellungen und Begriffe
nach ſeiner Arr, ſorgfaͤltig benutzt. Einige Theile
der Kirchengeſchichte waren vor ſeiner Zeit noch ganz
unbearbeitet: er bearbeitete ſie zuerſt — freilich nur
in ſo fern, als man es von einem orthodoxen Manne
erwarten darf. Was haͤtte Walch nicht aus der
Geſchichte der Ketzereien machen koͤnnen, wenn er
Semlers Freimuͤthigkeit gehabt haͤtte! Eine Haͤre-
ſiologie von einem Manne, der ganz von den Feſſeln
der Kirchenreligion entladen waͤre, der aber Walchs
entſetzliche Beleſenheit und eiſerne Geduld haͤtte, muͤßte
wahrlich mehr fruchten, als alle Dogmatiken mit
und ohne Dogmengeſchichte, und als alle Beſtreitun-
gen oder Rechtfertigungen der Symboliſchen Buͤcher
u. ſ. w. Eine Haͤreſiologie von der Art wuͤrde au-
genſcheinlich einen jeden uͤberzeugen: daß die meiſten
kirchlichen Dogmen, wie ſie da im Katechismus
vorliegen, zu gewiſſen Zeiten und in gewiſſen Laͤndern
Ketzerei, und zu andern gewiſſen Zeiten und in an-
dern gewiſſen Laͤndern wieder Orthodoxie geweſen
ſind. Und wer das ſo anſieht, und erkennt, muß ja
doch wahrhaftig das Gehirn erfroren haben, wenn
er das Gewebe von Dogmen — von Chriſti Per-
ſon, von der Erbſuͤnde, Gnade, Praͤdeſtination
u. ſ. w. — noch fuͤr Gottes Wort und Offenbarung
zur Seligkeit noͤthig halten kann Wie dergleichen Vorſtellungen nach dem Geſetz der Ein-
bildungskraft und des Vernunftaͤhnlichen allmaͤlig fa-
bricirt ſind, zeigt ſehr einleuchtend Herr Prof. Maaß. Das heißt doch
den lieben Gott zum Hottentottiſchen Tyrannen her-
abwuͤrdigen!
Ob Walch ſehr orthodox geweſen ſey — dar-
an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafuͤr halte, daß
er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn
in der Kirchengeſchichte trug er mehrmals ziemlich
freie Amerkungen vor, und bekannte ſogar, daß in
den aͤrgerlichen Pelagianiſchen Specktakeln, Auguſtin
und die Orthodoxen ſich mehrerer Fehler ſchuldig ge-
macht haͤtten, als ſelbſt die Ketzer: aber in ſeinen
Vorleſungen uͤber die Dogmatik hing er ganz an den
Beſtimmungen der Orthodoxen.
Herr Leß war der Mann bei weitem nicht.
Ich will ihm Gelehrſamkeit nicht abſprechen; aber
ſein Ton, ſeine Thraͤnen bei dem Vortrage der Mo-
ral haben mich nie geruͤhrt, da ich hingegen, wenn
Walch bei der Erzaͤhlung der Grauſamkeiten des
Dſchinkiskan, oder des Timurs weinte, gern
mitgeweint haͤtte. Leß iſt ein pietiſches Quodlibet,
ſo recht nach den Umſtaͤnden, und hat etwas an ſich
von dem Weſen der Betſchweſtern in Frankreich, die
in der Jugend — nicht beten, und im Alter — die
Religion, als eine entſchaͤdigende Galanterie behan-
deln. Dafuͤr hat man ihn aber auch tuͤchtig geſchul-
in ſeinem Verſuch uͤber die Einbildungs-
kraft.
meiſtert — und das nach Verdienſt — in dem
Sendſchreiben des jetzigen Thorſchreibers zu
G. vormaligen Kandidaten der Theologie — be-
treffend des Herrn D. Leß Entwurf eines philoſo-
phiſchen Kurſus der chriſtlichen Religion, im 10ten
Stuͤck des Braunſchweigiſchen Journ. 1791.
Muͤller war der beſte Mann, ein wahrer
Menſchenfreund, der gern alles that, um frohe
Menſchen zu machen.
Oſſa quieta precor tuta requieſcere in urna
Et ſit humus cineri non oneroſa ſuo!
Herr Meiners iſt gewaltig gelehrt: er hat
faſt alles geleſen, und das Geleſene ziemlich alle be-
halten: und doch lernt man aus ſeinen Vorleſungen
gar wenig. Da er kein philoſophiſcher Kopf iſt; ſo wirft
er alles durcheinander wie Kraut und Ruͤben. Aber
ich will keine Karakteriſtik der Goͤttingiſchen Lehrer
aufſtellen: dazu bin ich zu ſchwach, und die Maͤnner
ſind ohnehin zu bekannt, als daß meine Beſchreibung
noch noͤthig waͤre. Von zwei Maͤnnern aber muß
ich doch noch ein Paar Worte ſagen.
Herr Puͤtter iſt, wie jedermann weis, ein
großer Publiciſt, und ein großer Kenner der Va-
terlaͤndiſchen Geſchichte: in dieſer Ruͤckſicht verdient
er alle Hochachtung. Daß aber Herr Puͤtter den
frommen Andaͤchtling, und den Hyperorthodoxen
macht, und dabei immer, wie ein Milzſuͤchtiger,
andrer Leute Sitten ſpeculirt, kann nicht gefallen.
Wie juriſtiſch-poſitiv er ſich den lieben Gott in Ruͤck-
ſicht auf das Wohl ſeiner vernuͤnftigen Geſchoͤpfe vor-
modle, zeigt ſein einziger Weg zur Gluͤckſe-
ligkeit, den man aber in Goͤttingen nicht anders,
als die Himmelspoſt beniehmte. Wenn Herr Puͤtter
die Reichsgeſchichte vortraͤgt; ſo haͤlt er ſich bei den
wichtigſten Sachen nur kurz auf; hingegen bei D.
Luthern und den Symbolen bringt er mehrere Wo-
chen zu. Selten verſaͤumt er eine Kirche, geht auch
regelmaͤßig zum Abendmal, und betet ohne Unterlaß;
beiher jagt er aber ſein Geſinde uͤber das kleinſte Ver-
ſehen fort, und laͤßt ſeinen frommen Stolz jeder-
man empfinden, der zu ihm kommt: beſonders ſoll
er denen, welche Huͤlfe und Unterſtuͤtzung bei ihm
ſuchen, auſſerordentlich ſtreng und grob begegnen.
Das iſt denn ſo der rechte Weg zur Gluͤckſelig-
keit!
Der andre Mann, den ich noch nennen will,
iſt der verſtorbene Ritter Michaelis. Die großen
Verdienſte dieſes Gelehrten um die morgenlaͤndiſche
Litteratur weiſen ihm billig einen Platz unter den
groͤßten Maͤnnern ſeines Jahrhunderts an, und
ſichern ſeinen Namen vor jener Vergeſſenheit, welche
auf ſo manchen wartet, der ſich jetzt fuͤr ein Licht der
Welt haͤlt. Aber ſein bis an Niedertraͤchtigkeit graͤn-
zender Geitz, ſein haberechtiges Weſen, und ſeine
Verachtung aller andern Gelehrten neben ſich, wer-
fen ein ſehr gehaͤſſiges Licht auf ſeinen Karakter.
Man hat viel Anekdoten von ihm erzaͤhlt, welche
ich aber aus Achtung fuͤr ſeine ſonſtigen Verdienſte
gern unterdruͤcke, und vielmehr auf meine Geſchichte
zuruͤck komme.
Ich logirte bei der Prof. Koͤhlerin, einer
recht braven Frau. Walch hatte mir ſehr gute Re-
geln des Verhaltens gegeben, und hinzu geſetzt, daß,
da ich ſchon laͤnger auf Univerſitaͤten geweſen waͤre,
ich gewiß geſetzt ſeyn muͤßte: er wolle mir alſo nicht
weiter ſagen, was ich als Student zu thun haͤtte.
Der gute Mann hat ſich nicht wenig geirrt! Ich
war noch ſo frivol, als ich vor drei Jahren gewe-
ſen war.
Ein gewiſſer Sturm war in Goͤttingen, den
ich in Gießen gekannt hatte: das wußte ich, und
ſuchte ihn auf. Nun Bruder, ſagte ich zu ihm,
wie ſiehts denn hier aus mit den Komment?
Sturm: Schofel Bruder, ſehr ſchofel! Die
Kerls wiſſen dir den Teufel, was Komment iſt: hal-
ten ihre Kommerſe in Wein und Punſch, ſaufen ih-
ren Schnapps aus lumpigen Matierglaͤſern, laſſen
ſich alle Tage friſiren, ſchmieren ſich mit wohlriechen-
der Pommade und Eau de Lavende, ziehn ſeidne
Struͤpfe an, gehn fleiſſig ins Conzert zum Profeſſor
Gatterer, kuͤſſen den Menſchern die Pfoten; kurz
Bruder Herz, der Komment iſt hier ſchofel.
Ich: Aber doch nicht allewege?
Sturm: Nein Bruͤderchen! es giebt noch
derbe Kerls; aber die ſtehn wenig in Anſehn: man
haͤlt ſie fuͤr liederlich, und deswegen muͤſſen ſie fuͤr
ſich leben, und mit einander ihre Sachen allein
treiben.
Ich: Hoͤr' Bruder, ſo viel an uns iſt, muͤſſen
wir den Komment wieder herſtellen, oder gar ein-
fuͤhren à la Jena —
Sturm: Haſt Recht: aber das wird ſchwer
halten: wollen indeß ſehen, quid virtus et quid
ſapientia poſſit. Du gehſt den Abend doch mit
zum Schnapps-konradi? Nicht? —
Wir begaben uns wirklich denſelben Abend zum
Schnapps-konradi, einem Bruder des Schnapps-
konradi in Halle. Wir fanden einige Studenten da,
welche aus kleinen Bolen Punſch und aus Finger-
hutsglaͤschen Schnapps tranken. Ich forderte ein
Glas Schnapps, und Sturm auch eins. Man
brachte es uns, aber in kleinen Glaͤschen; ich ließ
mir alſo einen Bindfaden geben, um das Glas an-
zubinden, damit wenn es, wie ich ſagte, die Kehle
hinein wiſchte, ich es herausziehen koͤnnte. Man
lachte uͤber meinen Einfall, beklatſchte ihn, und wir
ließen uns ein Noͤßel Schnapps geben, leerten es aus
und gingen ſo wohlbezecht nach Hauſe. Wir fuhren
fort den Schnapps- konradi fleißig zu beſuchen; wa-
ren aber doch nicht im Stande, die Mode aus Noͤ-
ßeln zu Schnappſen, einzufuͤhren, obgleich einige es
nachmachten: denn man kann nichts ſo ſehr naͤrri-
ſches anfangen, das nicht einige Nachahmer finden
ſollte.
Herr Walch erfuhr dieſe Wirthſchaft, und gab
mir deshalb einen derben Wiſcher. Ich unterließ
hierauf das haͤufige Beſuchen des Konradi's, des
Kellers und der Doͤrfer, und fing an, ernſtlich zu
ſtudiren.
Meine Kollegien hatte ich, ſo lange ich mich in
Goͤttingen aufhielt, ſo eingetheilt, daß ich bei Mi-
chaelis die Pſalmen, das Moſaiſche Recht und den
Hiob hoͤrte: bei Schloͤzern die Staatengeſchichte, bei
Walchen Kirchengeſchichte und Dogmatik, bei Herrn
Leß Moral, aber nicht ganz aus, bei Heyne eini-
ge Philologica, bei Kaͤſtner Mathematik u. ſ. w.
Den Herrn Kulenkamp konnte ich in der Erklaͤ-
rung des Theokrits nicht ausſtehen: da wußte ich
mehr als er, ob ich gleich blutwenig wußte. Es
iſt wunderbar, daß ein Kulenkamp es ſich heraus-
nimmt, auf einer Univerſitaͤt zu dociren, wo ein
Heyne aͤhnliche Vorleſungen haͤlt! Der verſtorbene
Geheimerath Klotz hat ihm mehrmals die Exerci-
tia korrigirt.
Die vortreffliche Bibliothek zu Goͤttingen, die
wohl leicht die beſte Univerſitaͤtsbibliothek in Deutſch-
land iſt, habe ich zu meinem wahren Vortheil fleißig
benutzt, und bin uͤberhaupt in Goͤttingen anhalten-
der und ordentlicher im Studiren geweſen, als in
Gießen: einmal waren da nicht ſo viel herrſchende
Reitze zur Renommiſterei und zur Liederlichkeit, und
fuͤrs andere hatte ich Maͤnner von Anſehn und Ge-
wicht vor mir, fand mehr Muſter und mehr Gele-
genheit, etwas rechts zu lernen.
Acht und zwanzigſtes Kapitel.
Jung gewoͤhnt; alt gethan!
Ich fand auch in Goͤttingen einen gewiſſen Italiaͤ-
ner, Badiggi, einen Exjeſuiten, mit dem ich
ſchon in Gießen Umgang gepflogen hatte. Dieſer
Badiggi war ein Menſch von viel Kopf und viel Er-
fahrung; aber auch ohne Religion, ohne Sitten und
ohne Geſetze, kurz, ein wahres moraliſches Unge-
heuer. Er erzaͤhlte von ſich alle moͤgliche Schand-
thaten, ohne Erroͤthen, und ſchrieb gewoͤhnlich in
die Stammbuͤcher den Denkſpruch des Pabſtes Ale-
xanders VI.
Erſter Theil. R
Chi a dieci otto anni, e non é pazzo,
O buzzera, o fotte, o ſi mena il cazzo.
Latein konnte Badiggi reden wie Waſſer, und Latein,
das ſich immer hoͤren ließ, das keine Schnitzer hatte.
Beiher hatte er eine große Beleſenheit in jenen
freiern Schriften der Italiaͤner, welche das ſechzehn-
te Jahrhundert erleuchtet haben, z. B. in denen des
Aretin, Pulci, Arioſto, Pallavicino, u.
a. m. Einen groͤßern Zotenreiſſer und Laͤſterer aller
Religion, aller Sitten und aller Moral hab ich nie
gehoͤrt. Das waren aber in meinen Augen damals
Tugenden, und verbanden mich um ſo mehr mit
Badiggi, oder um beſſer zu ſagen, ſie machten, daß
ich ſeinen Umgang fleißig ſuchte, ohne jedoch ſeine
Perſon zu lieben oder zu ſchaͤtzen. Dieſer Menſch
genoß allerhand Unterſtuͤtzungen, ſowohl von Pro-
feſſoren als von Studenten, welche letztern er mit
ſeinen Schwaͤnken beluſtigte. Er erhielt auch Geld
von Auswaͤrtigen. Endlich iſt er heimlich entwichen,
nachdem er viele Leute geprellt, die Univerſitaͤtsbi-
bliothek um 100 Thaler Buͤcher betrogen, und mehr
andre Lumpenſtreiche begangen hatte.
Ich fuͤr mein Theil gewoͤhnte mir in dem Um-
gange mit dieſem Menſchen einen aͤußerſt freien und
ſchluͤpfrigen Ton, in Ruͤckſicht auf die Religion und
ihre Lehren an: einen Ton, der mir, wie ich bald
erzaͤhlen werde, in meinem Vaterlande ſehr viel ge-
ſchadet, und mein ganzes theologiſches Gluͤck verdor-
ben hat. Herr Walch merkte dieſen Ton, und ver-
wies mir ihn, „Hoͤren Sie, ſehen Sie, ſagte er zu
mir, das iſt einfaͤltig geſprochen. Was Sie nicht
glauben, muͤſſen Sie mit Gruͤnden widerlegen; aber
nicht beſchimpfen.“ — Klug war das wohl gera-
then; aber wo ſollt ich ſo viel Klugheit hernehmen,
einem klugen Rath zu folgen? — Obgleich Walch
mich fuͤr einen Religionsſpoͤtter hielt; ſo entzog
er mir ſeine Freundſchaft doch nicht: und das war
ſehr tolerant!
Nun muß ich noch einen Narren beſchreiben,
deſſen Gleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der
Menſch hieß Dippel oder Timbel — ich habe den
Namen nicht recht behalten: man hieß ihn gewoͤhn-
lich Mosjeh Kilian, oder Bruder Kilian. — Er
lebte als theologiſcher Student, von der Gutherzig-
keit anderer Studenten. An einem gewiſſen Tiſche,
wo ohngefaͤhr einige dreiſſig Studenten ſpeiſeten,
ging er herum, ſo daß ihn alle Tage ein anderer fuͤt-
terte. Sein Logis hatte er umſonſt beim Kauff-
mann Backhaus, ich glaube, ſo hieß er — hin-
ten im Hof uͤber dem Pferdeſtall und unter dem
Taubenſchlag. Da er ſich von jederman gebrau-
chen ließ, wozu man nur wollte; ſo waren die
Burſche freigebig gegen ihn, wenn er etwas noͤ-
thig hatte. Hier einige Proͤbchen zur Erſchuͤtte-
rung des Zwerchfells.
In einer Geſellſchaft von Studenten war Mei-
ſter Dippel auch. Einer davon ſagte: „wenn ich
doch nur mit Heynen nicht uͤbern Fuß geſpannt waͤ-
re, ſo ließ ich mir ſeine Ausgabe von Horazens he-
braͤiſchen Georgicis und ſeiner griechiſchen Ueberſe-
tzung des Eulenſpiegels geben. Sie kommen erſt auf
die Meſſe in den Buchlaͤden; aber Heyne hat ſie
ſchon an mehrere verborgt.“ Dippel erboth ſich alſo-
bald, er wolle zu Heynen gehen, und ſich die Buͤ-
cher ausbitten. Man ſtelle ſich nun Heynen vor,
wie Dippel vor ihm ſtand und Horazens hebraͤiſche
Georgica und den griechiſchen Eulenſpiegel aus-
bath! Es waren gerade Fremde zugegen, und
Heyne, der ſich ſehr aͤrgerte, ſchmiß den guten Dip-
pel zur Thuͤr hinaus, und ſchalt ihn einen dum-
men Eſel.
Ein andermal machte ein Englaͤnder dem Men-
ſchen weiß, man truͤge jezt nach der neueſten Mode
Halsbinden von bundem Stroh, mit einer Schelle
vorn am Hals, ſtroͤherne Kokarden und eben ſolche
Roͤschen hinten auf dem Zopf. Er ſchenkte ihm ſo-
gleich eine ſolche Garnitur, deren er etliche hatte
machen laſſen, um den Einfaltspinſel anzufuͤhren:
und dieſer legte den Ornat auch an, wanderte ſo lan-
ge damit durch die Straßen, bis die hinter ihm her-
ſchreienden Jungen deutlich genug zu verſtehen gaben,
daß er ein Geck ſey.
Die Studenten nahmen ihn in allerhand erdich-
tete Orden auf, z. B. in den Orden der heiligen Ge-
noveva, des heil. Kriſpinus u. a. m. machten ihm
hernach weiß, er ſey nun zum Großmeiſter des Or-
dens ernannt worden: und Dippel unterſchrieb ſich
ſo in den Stammbuͤchern. Aber nicht ſelten wurden
Komoͤdien mit ihm geſpielt, von denen die Spielen-
den wenig Ehre hatten. So brachte man ihn einſt
in Einbeck mit einem uͤber und uͤber inficirten Menſch
zuſammen, woher der arme Teufel ein Uebel abkrieg-
te, welches ihn uͤber zwei Monate gequaͤlt hat, ſo
fleißig die Feldſcheerer ihn auch beſuchten. Das
Geld zu dieſer Kur wurde an den Tiſchen und an-
dern oͤffentlichen Orten geſammelt.
Mit dem Herrn Luther, Superintendent in Goͤt-
tingen, habe ich und Sturm eine kleine Fehde ge-
habt: wir ſchrieben ihm naͤmlich ſeine uͤber allen
Glauben elende Predigten nach, und hielten ſie in
luſtigen Geſellſchaften. Sturm konnte ſeine Geſtus ſo
treffend nachmachen, daß man dachte, man haͤtte
Luthern ſelbſt vor ſich. Der Ehrenmann erfuhr die
Neckerei, verklagte Sturm und mich; und der
Prorektor verboth uns das Halten der Lutheriſchen
Predigten. Da unterblieb denn auch das Nach-
ſchreiben.
Die Studenten haben zu meiner Zeit auch ei-
nen Krieg mit den Schneidern gefuͤhrt, der aber
ausging, wie alle Studentenkriege. Es ſind Lappe-
reien, woruͤber der geſcheute Mann — der man lei-
der als Akademiſt ſo ſelten iſt — die Achſel zuckt.
Bei Gelegenheit dieſes Krieges kamen auch verſchie-
dene Schriften heraus, wie vor einigen Jahren zu
Halle wegen der beruͤhmten Fenſterkanonade. Es
wurde auch ein ſchoͤnes Lobgedicht auf die Schneider
komponirt, und einige Zeit uͤber von den Studen-
ten auf den Straßen abgeſungen.
In Goͤttingen konnte ich bei weitem die Figur
nicht ſpielen, welche ich in Gießen geſpielt hatte:
dazu hatte ich nicht Geld genug. Mein Vater gab
mir zwar ſo viel, als ich brauchte, um ordentlich zu
leben, und nicht noͤthig zu haben, Waſſer zu trin-
ken, wie er ſagte: aber ich koͤnnte doch nicht aus-
reuten, ausfahren, nach Kaſſel reiſen, alle
en Wichs erſcheinen, wie ſo viel andre, welche G
hatten. Daher blieb ich immer im Dunkeln, und
war blos meinen Freunden naͤher bekannt. Ich will
nicht ſagen, daß ich mich geaͤrgert haͤtte, daß ich kei-
ne Rolle ſpielen konnte: ich ſtand damals in den Ge-
danken, daß Concerte, Baͤlle, Aſſambieen, Spatzier-
fahrten u. d. g. gar nicht zum Weſen des Studen-
ten gehoͤrten: daß der Burſch eben nicht gerade im
Briefwechſel mit Mamſell Philippine G — — —
ſtehen muͤſſe, und das es nicht noͤthig ſey, bei der
Frau Magiſter V — —, oder der ſchoͤnen Nichte
des Profeſſors P — — ſeine Aufwartung dann und
wann zu machen, und dieſe Aufwartung mit baarem
Gelde, oder mit theuren Geſchenken zu erkauffen.
Und doch waren die, welche dieſes konnten, die an-
geſehnſten auf der Akademie. Da es hier nicht ſel-
ten geſchieht, daß Profeſſoren die Studenten auf
ihren Stuben beſuchen; ſo gehoͤrt es auch zum guten
Ton, dergleichen Herren dann und wann zu ſich zu
bitten, und ſich in große Unkoſten zu ſtecken. Ich
halte nichts davon, wenn Profeſſores die Studen-
ten in ihrer Wohnung heimſuchen. Wollen ſie Um-
gang mit ihnen haben; ſo ſey es an einem driften
Ort. Der Profeſſor verliert nach und nach ſein An-
ſehen, und der Student macht ſich ſchwere unnuͤtze
Koſten. Am beſten iſt es, wenn beide in einer ge-
wiſſen Entfernung von einander bleiben.
Ich muß doch ein klein Woͤrtchen vom Goͤttin-
ger Frauenzimmer ſagen. Dieſe ſind mit gnaͤdiger
und großguͤnſtiger Erlaubniß der Goͤttinger Damen
durch die Bank — nicht ſchoͤn. Ich weis es ſelbſt
nicht: ſie haben ſo was widerliches im Geſicht,
welches durchaus misfaͤllt: und ihre Farbe, oder
der Teint, wie man ſagt, iſt weit entfernt von je-
nen Lilien und Roſen, von denen unſre Herren
Reimemacher ſo viel zu ſagen wiſſen. Unter den
gemeinen Maͤdchen findet man auch ſehr wenig
rares.
Es ſtehen einige Kompagnien Soldaten in Goͤt-
tingen, roth mit weiſſen Aufſchlaͤgen, welche eben
ſo, wie in Gießen und Halle ihren Kommers mit
den Studenten treiben, ihnen die Stifeln wichſen,
fuͤr ſie marſchandiren, kuppeln — und ſich ſo eini-
ges nebenher zu ihrer Loͤhnung zu verdienen ſuchen.
Ich haͤtte uͤber den Umgang der Studenten mit Sol-
daten verſchiedenes nicht undienliches zu ſagen; allein
ich mag niemanden ſchaden, der auch eine Uniform
traͤgt, wie ich.
Die Doͤrfer um Goͤttingen werden nicht ſo oft
beſucht, als die um Gießen, Jena und Halle; doch
giebt es da auch Dorfbruͤder, und dieſe laufen ge-
woͤhnlich nach Boſten oder Doͤppeltshauſen: am
letztern Orte iſt alle Freiheit, weil er Heſſiſch iſt.
Man findet keine Bordelle in Goͤttingen, we-
nigſtens fand man zu meiner Zeit keine; aber an
Nymphen, welche fuͤr einige Groſchen, und an Ma-
damen und Mamſellen, welche fuͤr einige Thaler
nach advenant feil ſind, fehlt es auch da nicht. Es
ſoll ſogar einige Damen daſelbſt geben, die ihre Lieb-
haber bezahlen. Auf den Doͤrfern halten ſich dann
und wann auch Luſtdirnen auf: und daher laſſen ſich
die haͤufigen Galanteriekrankheiten erklaͤren, welche
in Goͤttingen graſſiren. Ich glaube nicht, daß die-
ſes ſeit meiner Zeit beſſer geworden iſt. Auf dem
Keller waren die Maͤdchen recht fideel: man hieß ſie
ſchlechtweg die Kellermenſcher.
In Jena hat der Burſch ſeine ſogenannte
Scharmante: das iſt ein gemeines Maͤdchen, mit
welcher er ſo lange umgeht, als er da iſt, und das
er dann, wenn er abzieht, einem andern uͤberlaͤßt.
In Goͤttingen hingegen ſucht der Student, der's
zwingen kann, das heißt, der Geld hat, bei einem
vornehmern Frauenzimmer anzukommen, und macht
dem ſeinen Hof. Gemeiniglich bleibt es beim Hof-
machen, und hat keine weiteren Folgen, als daß dem
Galan der Beutel tuͤchtig ausgeleert wird. Man-
chesmal geht das Ding freilich weiter, und es folgen
lebendige Zeugen der Vertraulichkeit, die eine Rit-
terstochter oft eben ſo bezaubernd feſſelt, als eine ge-
faͤllige buſenreiche Aufwaͤrterin.
Man hat es als einen Vorzug der Goͤttinger
Univerſitaͤt angeſehen, daß daſelbſt der Student Ge-
legenheit habe, in Umgang mit Familien zu kom-
men. Man hat geſagt, das waͤre ein Mittel, wo-
durch er die Roheit der Sitten ablegen, und ſich
verfeinern koͤnnte. Ich weiß aber einmal nicht, ob
der Familienton in Goͤttingen ſo fein ſey, daß ſich
ein junger Menſch daran auspoliren koͤnne: und
dann ſteht gewoͤhnlich nur da die Thuͤr auf, wo man
gern auf Unkoſten der Studenten ſich vergnuͤgen
macht. In andern Haͤuſern wird der Student ſo,
wie an andern Orten, ausgeſchloſſen. Dafuͤr raͤchen
ſich dann die Herren mit Pasquillen, welche man in
Goͤttingen alle Tage leſen kann, und worauf nie-
mand mehr achtet, weils gewoͤhnliche Dinge ſind.
Neun und zwanzigſtes Kapitel.
Ich bin nun Kandidat.
Meinen Leſern habe ich vielleicht lange Weile ge-
macht, da ich ihnen ſo viel von Univerſitaͤten vorge-
ſchwaͤtzt habe. Daß ich das ſelbſt muͤſſe gefuͤhlt ha-
ben, beweiſen die ſo ins Enge gepreßten Erzaͤhlungen
der Begebenheiten von vollen zwei Jahren. Aber
nun ſollen ſie auch Begebenheiten von einer andern
Art leſen, welche freilich in ſo fern, als wieder dum-
me Streiche mit vorgefallen ſind, meinen Burſchen-
ſtreichen gleich kommen, und ſie vielleicht noch uͤber-
treffen. Ich wuͤnſche nur, daß wenn dem Leſer der
Student nicht zuwider war, es der Kandidat auch
nicht ſeyn moͤge.
Ich kam im Fruͤhling 1779 nach Hauſe. Mein
Vater ſtellte abermals ein Examen mit mir an, und
war zufrieden. Ich predigte mit Beifall: denn ich
predigte Moral, und nicht vom Satan oder vom
Blut Jeſu Chriſti, das uns rein macht von allen
Suͤnden. Genug die Bauern und die Buͤrger hoͤrten,
wo ich auftrat, etwas neues. Ich bin nie ein Red-
ner geweſen; allein in der Pfalz braucht man nur
eine reine Ausſprache zu haben, und nicht abzuleſen,
um des Beifalls beim Predigen ſicher zu ſeyn. Da
die Herren Prediger auch da, wie uͤberall, kommode
ſind, und gern fuͤr ſich kanzeln laſſen; ſo hatte ich
uͤberfluͤſſig Gelegenheit, mich im Kanzelvortrage zu
uͤben, und that es auch. Beſonders predigte ich
gern fuͤr den Pfarrer Stuber zu Flonheim, der
mein wahrer Freund, auch in meinen Muͤhſeligkeiten
geweſen iſt. Herr Stuber gehoͤrt unter die wenigen
Kirchenlehrer in der Pfalz, die man, ohne daß es
einem uͤbel wird, nennen kann, wenn man ſie
kennt.
Ich kam bald in Bekanntſchaft mit dem Amt-
mann Schroͤder in Grehweiler, einem Manne
von ſeltner Ehrlichkeit, und nicht gemeinen Kennt-
niſſen; der aber, weil er ſich mit dem faſelhaften
Kammerrath Fabel und andern dieſes Geſichters
nicht vertragen, das heißt, dieſer Herren Schleich-
wege nicht billigen konnte, tauſend Verdruͤßlichkei-
ten ausſtehen mußte. Herr Schroͤder oͤffnete mir
ſeine wohlverſehene Bibliothek, und da las ich in-
nerhalb einigen Jahren faſt alle Werke des Vol-
taires, den Eſprit des Loix von Montesquieu,
Rouſſeau's Novelle Heloiſe, deſſen Emile,
und andere, freilich ſehr unorthodoxe Buͤcher, wo-
mit die Bibliothek des Amtmanns verſehen war.
Ich lernte aus Voltaire nichts, als ſpotten:
denn andere Buͤcher, beſonders Tindals Werk,
hatten mich ſchon in den Stand geſetzt, richtig —
naͤmlich wie ich die Sache anſehe — uͤber Dogmen
und Kirchenreligion zu urtheilen. Gewiß habe ich
unendliches Vergnuͤgen genoſſen bei der Leſung des
franzoͤſiſchen Dichters, der der Prieſterreligion mit
ſeinem feinern und groͤbern Witz vielleicht mehr ge-
ſchadet hat, als alle Buͤcher der Engliſchen und
Deutſchen Deiſten. Die engliſchen gehen von Gruͤn-
den aus, und ſuchen ihre Leſer durch philoſophiſche
Argumente zu uͤberzeugen: die Deutſchen machen es
beinahe eben ſo, und habens auch mit unter mit der
Philoſophie zu thun. Zudem reduciren letztere alles
auf Geſchichte, und verurſachen dadurch, daß die Le-
ſer ihre gelehrten Werke nicht anders verſtehen, als
wenn ſie ſelbſt gelehrt ſind. Der franzoͤſiſche Deiſt
hingegen wirft einige fluͤchtige Gruͤnde leicht hin,
ſchluͤpft uͤber die Streitfrage ſelbſt weg, und ſpoͤt-
telt hernach uͤber das Ganze, als wenn er ſeine Be-
hauptungen noch ſo gruͤndlich demonſtrirt haͤtte. Ich
weis wohl, daß das nicht uͤberzeugt; aber Tauſende,
die es leſen, halten ſich von nun an fuͤr uͤberzeugt,
und beehren den Philoſophen mit ihrem ganzen Bei-
fall. So war es auch moͤglich, daß Voltaire ſo
viel Proſelyten des Unglaubens anwarb. Er ſchrieb
nicht fuͤr Gelehrte: die, dachte er, moͤgen die
Berichtigung ihrer Denkungsart anderwaͤrts ſuchen,
wenn ſie klug ſind. Er ſchrieb fuͤr Ungelehrte, fuͤr
Frauenzimmer, fuͤr Fuͤrſten und fuͤr Kaufmannsdie-
ner: dieſen ſollten die Schuppen von den Augen weg-
fallen. Und wenn das ſo Voltaire's Zweck war, ſo
hat er ſeine Sachen wirklich klug eingerichtet. Alles
Geſchrei der Gegner, von einem abgeſchmackten Non-
notte an bis auf Herrn Leß, hat dem Manne an
ſeinem Kredit nicht ſchaden koͤnnen. Den Nonnotte
lieſt kein Menſch mehr: Herr Leß wird nur von eini-
gen Geiſtlichen geleſen; Voltaire's Schriften aber
ſind in allen Haͤnden, ſind beinahe in alle Sprachen
uͤberſetzt, und werden dann auch noch mit Vergnuͤ-
gen geleſen werden, wenn man laͤgſt vergeſſen hat,
daß ſolche Gegner in der Welt geweſen ſind. Doch
weiter im Text!
Ich hatte anfangs wenig Umgang. Herr
Haag, Amtskellner Job von Erbesbuͤdesheim,
Pfrarer Stuber und einige andre machten meine
Geſellſchaft aus. Ich ging auf die Jagd, vergnuͤgte
mich mit dem Feld- und Gartenbau, und lebte ſo
vollkommen vergnuͤgt. Aber bald kam ich eine groͤſ-
ſere Verbindung, die mich wie ein Strom fortriß,
und mir ſelten Zeit ließ, mich zu beſinnen. Ich ge-
rieth in die Geſellſchaft des Amtsverwalters Schoͤn-
burg zu Neubamberg, ſeines Aktuars Metz, des
Licentiaten Machers zu Kreuznach, Amtſchreibers
Boger, Oberſchulz Baumann von Woͤllſtein,
und anderer luſtigen Bruͤder. Dieſe Menſchenkinder
hatten ſichs zum Geſetz gemacht, das ſteife Weſen,
welches in den vornehmern Geſellſchaften in der Pfalz
herrſchte, aufzugeben und einen freiern Ton einzufuͤh-
ren. Sie ſprachen daher, wie es ihnen in den Sinn
kam, ohne darnach zu fragen, wer ſie anhoͤrte, mach-
ten keine Komplimente, und bekuͤmmerten ſich gar
nichts darum, was Andre von ihnen urtheilten.
Freilich fielen dieſe Urtheile ſehr unguͤnſtig aus! Wenn
man von ihnen ſprach; ſo hieß es nur ſchlechtweg:
der liederliche Amtsverwalter, der liederliche Macher
u. ſ. w. Mein Vater ſah es eben nicht gern, daß
ich mich ſo ſehr an dieſe Leute anſchloß; aber da es
doch Leute waren, welche in Karakter ſtunden, ſo
ließ er es geſchehen, ohne mir anfangs ernſthafte
Vorſtellungen dawider zu machen.
Daß ich in dieſer Societaͤt nicht wenig werde
brillirt haben, laͤßt ſich denken. Meine Zotologie war
in Goͤttingen gleichſam verroſtet; ich hohlte ſie aber
hier wieder hervor, und erlangte ſolchen Beifall
daß kein Gelag ohne den Großen, ſo nannte man
mich Κατ᾽εξοχὴν, gehalten werden konnte. Unſre
Geſellſchafter dutzten ſich alle, und nahmen einander
durchaus nichts uͤbel. Unſre Gelage waren wenig-
ſtens ſo luſtig und ausſchweifend, wie die Studenten-
gelage in Jena oder Gießen.
Ein Umſtand machte mich doch ein wenig auf-
merkſam. Der Amtsſchreiber Boger trieb Liebelei
mit der Tochter des reformirten Schulmeiſters zu
Wonsheim, und ich, als ſein fideler Kumpan,
begleitete ihn oft dahin, und blieb ſelbſt oft ganze
Naͤchte mit ihm da, wo wir denn ſoffen und aller-
hand Zeug vornahmen. Nicht lange hernach hieß
es, das Maͤdchen ſey ſchwanger, was es auch in
der That war; man wiſſe aber nicht, wer eigentlich
Urheber davon ſey, Boger oder Laukhard: die Freun-
de moͤgten es wohl ſelbſt nicht wiſſen. So wurde
ich alſo ausgetragen, und mein Ruf litte gewaltig
bei dieſer ſcandaloͤſen Relation. Endlich bekannte
ſich Boger, auf des Maͤdchens Ausſage, zum Vater
des Kindes, und ich war frei; doch wurde ich noch
manchmal damit geſchoren, bis endlich die ganze
Sache einſchlief.
Boger verſuͤndigte ſich bald darauf am Amts-
verwalter Schoͤnburg, und durfte nicht mehr in un-
ſere Cirkel kommen. Er hat hernach Baumanns
Tochter geheurathet, und ſich kurz nach der Hochzeit
todt geſoffen. Die ſkandaloͤſe Chronik in der Pfalz
hat aber ſein Ende noch garſtiger erzaͤhlt.
In der Geſellſchaft dieſer Leute ward ich nun
voͤllig liederlich, und fuͤhrte eben ſo ein aſotiſches
Leben, wie ſie; doch nahm ich mich anfangs in Acht,
daß man mich nicht oͤffentlich einen dummen Streich
begehen ſah: und ſo hatte ich noch immer den Ruhm,
daß ich im Roͤckelskollegium — dieſen Namen hat-
ten die Herren der Geſellſchaft ſelbſt gegeben —
noch bei weitem der Geſitteſte ſey. Ueberhaupt muß
man in der Pfalz ſehr merklich ausſchweifen, wenn
man den Namen eines Liederlichen fuͤhren ſoll:
denn die Sitten waren da mein Tage ſo delikat eben
nicht.
Jeder von uns hatte ſein Liebchen. (Meine
Leſer denken hier ja nicht an Tereschen: von dieſer
mach' ich ein eigen Kapitel noch, aber vielleicht nicht
in dieſem Theile). Der Amtsverwalter kareſſirte
oder nach Pfaͤlzer Ausdruck, machte er verliebte Nas-
loͤcher bei der Tochter des lutheriſchen Pfarrers Koͤſter
in Woͤllſtein. Das Maͤdchen ſah huͤbſch aus; aber
wie ich merkte, konnte ſie den wuͤſten Menſchen vor
ihren Augen nicht leiden, allein ihres Vaters wegen,
vor der Schoͤnburgen wohl wollte, mußte ſie ihn dul-
den, und ſeine Zoten anhoͤren. Ueberhaupt wurde die
Liebe von uns recht zotologiſch behandelt. Da der
Amtsverwalter katholiſch war; ſo machte man endlich
dem Pfarrer Koͤſter Vorwuͤrfe, und gab ihm zu
verſtehen, daß er ſeine Tochter in uͤblen Kredit brin-
gen wuͤrde, wenn er dieſen Umgang ferner geſtattete,
beſonders da Herr Schoͤnburg als der groͤßte Schwein-
ygel in der ganzen Gegend bekannt war. Er ließ ſich
bewegen, und ſchickte ſeine Tochter nach Darmſtadt
zu einer Baſe. Schoͤnburg war vor Aerger auſſer
ſich, da ſeine Liebſchaft fort war. Ich begleitete ihn
nach Mainz, wo er ſeine Rechnung ablegen muſte,
und von da aus machten wir eine donquiſchottiſche
Reiſe nach Darmſtadt.
Aber nun war die Frage, wie Schoͤnborn die
Mamſell Koͤſter zu ſprechen kriegen ſollte. Ich ver-
ſprach es zu bewirken, beſuchte ſie alſo, welches
nicht auffallend ſeyn konnte, da ich mit ihr verwandt
war. Hier iſt unſer Geſpraͤch, das wir hielten, ſo
bald wir im Garten allein waren.
Ich: Wiſſen Sie was neues, Mamſell Ku-
ſine? der naͤrriſche Amtsverwalter iſt hier!
Sie: Mein Gott, Herr Vetter, was ſagen
Sie! was will denn der hier?
Ich: Er will Sie ſprechen. Er wird noch
verruͤckt, wenn er Sie nicht bald ſehen darf.
Sie: (erſchrocken) Er wird doch nicht hieher
kommen! Gott! was wuͤrde die Baſe ſagen!
Ich: Er wird gewiß zu Ihnen kommen; ich
habe ihn noch abgehalten, ſonſt waͤre er ſchon da.
Wiſſen Sie was, ich will Ihnen Rath geben: Ver-
Erſter Theil. S
ſprechen Sie mir, daß Sie Heute Nachmittag um
3 Uhr im Schloßgarten ſeyn wollen, da ſoll er an
der Landgraͤfin Begraͤbniß auf Sie warten. Wollen
Sie?
Sie: Das kann ich nicht.
Ich: So koͤmmt wahrlich der naͤrriſche Amts-
verwalter hieher. Sie kennen ihn, und haben nichts
als Schimpf und Schande davon. Ich daͤchte, Sie
machtens, wie ich Ihnen geſagt habe.
Das gute Kind ſann hin und her, und wußte
nicht, wozu ſie ſich entſchließen ſollte: nachdem ich
ihr aber betheuert hatte, daß der Amtsverwalter
ganz gewiß ſelbſt kommen, und Skandal machen
wuͤrde; ſo verſprach ſie endlich, um 3 Uhr in den
Schloßgarten zu kommen. Ich berichtete dieſen
Troſt meinem Schoͤnburg, und der flog ſchon gleich
nach zwei Uhr in den Schloßgarten. Als er wieder zu-
ruͤck kam, war er ganz auſſer ſich vor Freuden, ſoff
vor lauter Jubel drei Buteillen Burgunder ganz
allein aus, und ward ſo ſelig, daß er nicht mehr ſte-
hen konnte.
Aber, werden meine Leſer fragen, blieben Sie
denn ſo nuͤchtern? — Hoͤren Sie nur an, lieben
Leſer. Ich war nicht zu Hauſe, als das vorging,
und hatte einen guten Freund beſucht, der mich nun
eben zum Trinken nicht forcirte. Als ich nach dem
Gaſthofe zuruͤck kam, war mein Schoͤnburg ſchon
im Bette.
Ich trat daher in die Gaſtſtube, um mir da
die Zeit zu vertreiben. Es waren mehrere Darm-
ſtaͤdter Herren zugegen, unter andern auch Herr
Maier, ein Sohn des Pfarrers Maier von Kup-
ferzell, der ſo viel von Oekonomie geſchrieben hat.
Der Sohn ſtund in Darmſtadt als Sekretaͤr bei dem
Praͤſidenten von Moſer, und war ein eingemachter
Haſenfuß. Er trallierte in der Stube herum, und
ich fand ihn ſo aͤrgerlich, daß ich nur auf Gelegenheit
paſte, ihm eine Sottiſe zu ſagen. Dieſe zeigte ſich
bald. Er unterſtand ſich, mich in einem ſchnippigen
Ton zu fragen: „Sind Sie der Kompagnon des
Mosje Firlefanz, der hier logirt?
Ich: Was fuͤr'n Mosje Firlefanz, meint der
Herr?
Er: Je nun, den Menſchen mit der gruͤnen
Wildſchur, der Geſtern hier neben Ihnen ſaß.
Ich: So? Und das war ein Mosje Firle-
fanz? — Herr Sie moͤgen wohl ſelbſt Firlefanz ſeyn,
verdammtes Fratzengeſicht!
Er: (erhitzt) Reden Sie nicht ſo, oder —
Ich: Nun dann (aufſtehend) oder? —
Er: (zuruͤcktretend) Gott ſtrafe mich! haͤtt' ich
nichts zu riskiren, Sie ſollten Maulſchellen haben,
daß Sie hinſaͤnken.
Ich: (ihm hinter die Ohren ſchlagend) Ver-
fluchter Kerl, Du willſt mir Maulſchellen biethen?
Du?
Er ſetzte ſich natuͤrlich zur Wehr, ich aber konnte
leicht dem kleinen Maͤnnchen einen Stoß geben, daß
er weit weg fuhr, und zu Boden ſtuͤrzte. Die An-
weſenden legten ſich alle dazwiſchen, und brachten uns
auseinander. Mosje Maier lief fort, und ſchwur,
daß mir die Sache ſo nicht hingehen ſollte. Der
Wirth ſelbſt, Herr Peter im Trauben, rieth mir,
mich aus dem Staube zu machen: Maier ſey ein rach-
gieriger Menſch, und gelte alles bei ſeinem Herrn:
ich wuͤrde gewiß arretirt werden, und viel Verdruß
haben. Ich ließ mir das nicht zweimal ſagen, ver-
ließ den Trauben, und begab mich noch des Abends
um neun Uhr zu meinem Freund Panzerbieter,
dem jetzigen Prorector am Gymnaſium zu Darmſtadt,
ſchrieb da einen Zettel an den Amtsverwalter, und
meldete ihm, daß ich noch Heute nach Arhelgen ge-
hen wuͤrde, wo er mich den folgenden Tag abholen
koͤnnte. Ich bat Herrn Panzerbieter um die Beſtel-
lung des Billets, und marſchirte zur Stadt hinaus:
im Thor ſagte ich, daß ich auf die Kaͤmmerei gehen
wollte.
In Arhelgen kam ich erſt nach zehn Uhr an,
ſchlief recht gut, und hoffte den folgenden Morgen
meinen Schoͤnburg zu ſehen. Allein ich mußte in
der Schenke bei den Bauern einen ganzen langen
Tag, und zwei Naͤchte harren. Am dritten Tage
gegen Mittag kam Schoͤnburg mit einem ſo genann-
ten ungriſchen Waͤgelchen, dergleichen auf jenen Po-
ſten ſehr gewoͤhnlich ſind, holte mich ab, erzaͤhlte
mir, daß es noch großen Laͤrmen meiner Haͤndel
wegen gegeben haͤtte, und lobte bei dem allen meine
Entſchloſſenheit. — Wir kamen des andern Tages
wieder in Mainz an, wo aber weiter nichts Merk-
wuͤrdiges vorfiel.
Dreißigſtes Kapitel.
Ich ſoll Pfarrer werden.
Die Bauern in Kriegsfeld hatten mich zum Seel-
ſorger — ſo hießen die dortigen Herren Geiſtlichen
gewoͤhnlich, und hoͤren den Titel auch gern — haben
wollen; weil aber die Pfarre daſelbſt gar ſehr ſchlecht
iſt; ſo wollte mein Vater nicht, daß ich ſie annehmen
ſollte.
Ich muß hier mit Erlaubniß meiner Leſer eine
kleine Beſchreibung von den lutheriſchen Pfarreien in
der Kurpfalz einſchalten.
Vorzeiten hatten die Lutheraner in der Pfalz
gute Pfarreien; nachdem ihnen aber die Katholicken,
verbunden mit den Reformirten
Die Reformirten haben beſtaͤndig mit den Katholicken
in der Pfalz gemeinſchaftliche Sache gemacht, um die
Lutheraner zu unterdruͤcken. Hier iſt der Ort nicht,
dieſes weiter auszufuͤhren. Ich merke nur noch an,
daß der Verfaſſer eines ſonſt recht guten Buchs: „Ge-
ſchichte der Reformirten Kirche in der Pfalz“ (Deſſau
1791.) vieles zum Vortheil der Reformirten Pfaͤlzer
ganz falſch vorgeſtellt hat. Der Pfaͤlziſche Lutheraner
weiß wirklich nicht, wer ihn mehr druͤckt, der Katholik,
oder der Reformirte? Jener hat die Macht, und han-
delt gerade zu; dieſer bedient ſich ſtatt der Gewalt haͤ-
miſcher Raͤnke, und iſt nicht minder gefaͤhrlich und
ſchaͤdlich., ihre Kirchenguͤ-
ter genommen, und unter ſich getheilt haben; ſo
muͤſſen die armen lutheriſchen Geiſtlichen ſeit der Zeit
blos von dem Leben, was ihnen ihre Pfarrkinder aus
Gnade und Barmherzigkeit geben wollen. Da aber
der Kurpfalzer Bauer ſelbſt nicht viel hat, und alſo
nicht viel geben kann — ſo ſind die Predigerſtellen
ungemein ſchlecht, und die Inhaber derſelben haben
oft kaum das liebe Brod. Doch ſind die Lutheraner
in der Pfalz, wie jede eccleſia preſſa, ſtreng auf
ihren Glauben, ſo, daß ſie beinahe in jedem Dorf
eine Kirche haben, und auch einen Paſtor. Was
das aber auch fuͤr Paſtoͤre ſind! Kaum kann man
ſich, ich weis nicht, ob ich ſagen ſoll, des Weinens
oder des Lachens enthalten, wenn man ſo einen Pfaͤl-
ziſchen lutheriſchen Gottesmann einhertreten ſieht,
mit einem alten verſchabten Rock, der ehedem ſchwarz
war, nun aber wegen des marasmus ſenilis, wie
D. Bahrdt von ſeinem Hut ſagt, ins rothe faͤllt —
mit einer Peruͤcke, die in zehn Jahren nicht in die
Haͤnde des Friſeurs gekommen iſt — mit Hoſen, die
den Hoſen eines Schuſters in allem gleich kommen,
ſogar in Abſicht des Glanzes, und mit Waͤſche, wie
ſie die Bootsknechte tragen. — Aber freilich der
Mann kann ſich nichts beſſeres anſchaffen: es iſt der
Anzug, welcher bei ſeiner Ordination neu war, und
ihm ſein ganzes Leben hindurch dienen muß.
Das Innere dieſer Herren ſtimmt vollkommen
mit ihrem Aeußern uͤberein, und wenn je das Sprich-
wort wahr iſt: „man ſiehts einem an den Federn
„an, was er fuͤr ein Vogel iſt;“ ſo iſt es gewiß von
den lutheriſchen Herren Pfarrern in der Pfalz wahr.
Darunter findet man die allerkraſſeſten Ignoranten,
welche kaum ihren Namen ſchreiben und lateiniſch
leſen koͤnnen. Sie ſind zwar auf Univerſitaͤten ge-
weſen, weil ſie aber ſchlecht unterrichtet dahin kamen;
ſo lernten ſie auch da nichts: und der gaͤnzliche Man-
gel an Buͤchern — einige alte Schunken und Poſtil-
len, welche vom Vater auf den Sohn fort erben,
ausgenommen — verbietet ihnen weiter zu ſtudieren.
Aber wenn man ihnen auch Buͤcher geben wollte;
ſo wuͤrde ihre kraſſe Orthodoxie, welche allemal bei
Ignoranten und Dummkoͤpfen kraſſer iſt, als bei
Gelehrten, nebſt ihrer natuͤrlichen Traͤgheit ſie hin-
dern, irgend einen Gebrauch von einem guten Buche
zu machen.
Die Lebensart dieſer Leutchen iſt — abſcheu-
lich. Sauffen — das karakteriſtiſche Laſter der
Pfalz — iſt auch ihre Sache: da ſitzen ſie in den
Dorfſchenken, laſſen ſich von den Bauern tractiren,
ſaufen ſich voll, und pruͤgeln ſich mit unter ſehr er-
baulich. So bekam der Pfarrer Weppner zu
Alsheim einſt ſo viel Pruͤgel in der Schenke, daß er
in drei Wochen nicht predigen konnte. In einem
andern Lande wuͤrden dergleichen Skandale auf ver-
druͤßliche Konſequenzen ziehen; aber in der Pfalz
nimmt mans ſo genau nicht.
Ich rede aber, welches ſich von ſelbſt verſteht,
nicht von allen und jeden, ſondern vom groͤßten Hau-
fen. Giebt es daher noch nige, welche beſſer ſind
von Kenntniſſen und Sitten – und daß es derglei-
chen gebe, weis ich ſelbſt — ſo habe ich dieſe nicht
gemeint. Es iſt hier nur die Rede von dem, was
gemeiniglich geſchieht. Und wer koͤnnte fuͤr ſo
ſchlechte Stellen auch wohl etwas beſſeres verlan-
gen! —
Die Reformirten und Katholiſchen HerreuHerren ſind
nicht viel beſſer, was naͤmlich ihre Sitten und Kennt-
niſſe betrifft, ob ſie gleich beſſer gekleidet gehen, beſ-
ſern Wein trinken, und der guten Atzung wegen,
auch dickere Baͤuche haben, als die lutheriſchen.
Mein Vater wollte nun nicht haben, daß ich
in der Kurpfalz Pfarrer werden ſollte: dazu, meinte
er, haͤtte ich zu viel gelernt. Ich hatte auch nicht
Luſt, mich dem traurigen Joch des Pfaͤlziſchen Kon-
ſiſtoriums und der Tirannei der Oberamtmaͤnner zu
unterwerfen: uͤberhaupt verlangte mich damals nicht
nach einem Amte, welches nur meine Vergnuͤgungen
wuͤrde erſchwert haben.
In unſrer Grafſchaft war zwar eine nicht
ſchlechte Stelle aufgegangen, welche mir als einem
Landeskinde gebuͤhrt haͤtte: allein der Herr Konſiſto-
rialrath Dietſch, ein ſonſt braver Mann, und der
damalige Adminiſtrator der Grafſchaft Herr von
Zwirlein, waren von einem Auslaͤnder durch Geld
praͤoccupirt worden, der denn auch die Pfarre er-
hielt.
Aber da ſtarb im Herbſt 1779 der Pfarrer
Ritterſpacher in Badenheim, einem dem Gra-
fen Schoͤnborn, Heuſenſtamſcher Linie, zugehoͤrigem
Dorfe. Ritterſpracher war mein Freund und Uni-
verſitaͤtsbruder geweſen, und hatte die Wittwe ſeines
Vorgaͤngers geheurathet. Weil er aber auf der Aka-
demie ſehr akademiſch gelebt hatte; ſo bekam er die
Schwindſucht und muſte abfahren. Waͤhrend ſeiner
Kraͤnklichkeit hatte ich einigemal fuͤr ihn gepredigt,
und alles Lob der Bauern davon getragen. Dieſe
lagen mir nun, nach ſeinem Abſterben aͤuſſerſt an,
mich zur Pfarre zu melden. Ich wollte anfangs
nicht: weil es aber eine ſehr gute Stelle war; ſo drang
auch mein Vater darauf, daß ich mich melden ſollte.
Ich that es, und gab eine Bittſchrift bei dem Gra-
fen, oder vielmehr des Grafen Beamten, dem Hof-
rath Schott zu Mainz ein. Dieſer Hofrath iſt
ein ruͤder unwiſſender Menſch, welcher vorher hinter
der Kutſche geſtanden hatte. Er ſagte mir gerade
heraus: „Herr, Sie muͤſſen die Frau nehmen, ſonſt
„kriegen Sie die Pfarre ſchwerlich.“ Ich gab ihm
zu verſtehen, daß es wider meine Grundſaͤtze waͤre,
je ein Frauenzimmer zu heurathen, das mich an Al-
ter uͤbertraͤfe, und ſchon zwei Maͤnner gehabt haͤtte.
Der Hofrath bedaurte meine Delikateſſe; verſprach
aber doch, die Sache beßtens zu beſorgen.
Ich traute dem Menſchen nicht recht, und
ſchrieb gerade an den Grafen nach Wien, der mir
zwar auch ſehr artig antwortete; aber zugleich zu
verſtehen gab, daß die Sache nicht mehr ganz von
ihm abhinge, indem er dieſelbe bereits einem andern
uͤbergeben haͤtte; doch wollte er ſehen, was ſich fuͤr
mich noch thun ließe. Als mein Vater dieſen Brief
geleſen hatte, rieth er mir, alle Hoffnung aufzuge-
ben: weil ich durchfallen wuͤrde. Er hatte recht:
denn nicht lange darauf heurathete die Frau einen
Pfaͤlzer Pfarrer, ſo einer von denen, die ich ſo eben
beſchrieben habe: und der wurde Pfarrer in Baden-
heim. Freilich rebellirten die Bauern ein wenig
daruͤber, aber Bauernrebellion hat ſelten Beſtand.
Der erſte Mann der Pfarrin, die eine Schweſter
des bekannten Malers Muͤller von Kreuznach iſt,
hatte 1000 Gulden fuͤr die Stelle gegeben: weil er
aber, ſo wie der zweite bald ſtarb, ohne fuͤr ſein vie-
les Geld die Pfarrei benutzt zu haben; ſo ließ ihr
der Graf die Freiheit ſich zur Schadloshaltung noch
einen dritten zum Nachfolger des zweiten zu waͤhlen.
Allein auch der iſt bald hernach geſtorben, und da
ſoll man die Pfarrei an Herrn Straͤuber, einen
Menſchen, der es im Saufen mit jedem Matroſen
aufnimmt, abermals fuͤr 1000 Gulden verkauft
haben.
Ich koͤnnte nicht ſagen, daß dieſe fehlgeſchlage-
nen Ausſichten mich ſehr geaͤrgert haͤtten: aber deſto
mehr aͤrgerte ſich mein Vater, daß man das Ding
angefangen hatte. Er wuͤnſchte indeß gar ſehr, mich
verſorgt zu ſehen, um mich aus dem unbeſtimmten
wuͤſten Leben heraus zu reißen, wie er ſagte. Als
demnach eine ſehr elende Pfarre in der kaiſerlichen
Grafſchaft Falkenſtein aufging: ſo mußte ich mich
auch da melden, aber vergeblich: ein Landeskind
wurde mir vorgezogen. Indeſſen gab man mir bei
dem Oberamte zu Winweiler zu verſtehen, daß wenn
ich etwas daran wenden wollte, das Ding ſich ſo
karten ließe, daß das Landeskind ſeinem Vater ad-
jungirt wuͤrde, und ich die Pfarre bekaͤme. Dieſer
Vorſchlag war ſo unrecht nicht: denn weil viel alte
Pfarrer in der Grafſchaft waren; ſo haͤtte ich Hoff-
nung gehabt, bald weiter zu ruͤcken: allein er ſtand
mit einem Schurkenſtreich in Parallelle: und ſo
wollte mein Vater durchaus nichts weiter davon
wiſſen.
Dieſe mislungenen Verſuche, mir in der Kur-
pfalz eine Pfarrſtelle zu verſchaffen, brachten meinen
Vater auf den Entſchluß, mich zu Heidelberg exa-
miniren und in die Zahl der Pfaͤlziſchen Kandidaten,
deren es wenige giebt daß hier die Rede von lutheriſchen Kandidaten ſey,
verſteht ſich von ſelbſt: denn der Name der Reformir-
ten heißt Legion, die lutheriſchen Pfarrſtellen werden
auch meiſtens mit Auslaͤndern, und zwar mit verlauffe-
nen Auslaͤndern beſetzt., aufnehmen zu laſſen. Ich
hatte freilich keine Luſt in der Pfalz angeſtellt zu
werden; doch mußte ich meinem Vater fuͤr ſein oͤfte-
res Nachgeben, wohl auch einmal wieder nachgeben,
und nach Heidelberg reiſen, um mich da einſtweilen
zu erkundigen, wie mir wohl die Thuͤr zum pfaͤlzi-
ſchen Schaafſtall offen ſtehen moͤchte, oder ob ich ſo
ſonſt irgendwo hineinſteigen muͤßte.
Ich hatte einen Vetter im Heidelberger Kon-
ſiſtorium, den Rath Zehner: ich glaube der Mann
lebt noch. An dieſen hatte mir mein Vater einen
Brief mitgegeben. Der Rath war, welches ſonſt
ſeine Gewohnheit nicht iſt, ziemlich hoͤflich, und be-
hielt mich zum Eſſen. Es wuͤrde, meinte er, mit
meinem Unterkommen in der Pfalz keine Schwierig-
keit haben, wenn ich mich einem rigoroͤſen Examen
unterwerfen wollte und — koͤnnte. Das Ding aͤr-
gerte mich, und ich ſagte meinem Herrn Rath, daß
er an mir nicht verzweifeln ſollte: ich haͤtte meine
Sache ehrlich gelernt, und wuͤrde gewiß ſo gut be-
ſtehen, als Weppner, Georgi, und viel andre
Herrchen, die man doch auf dem Konſiſtorium zu
Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugniſſen
verſehen haͤtte. Zehner laͤchelte, und fing an, mich
zu tentiren; doch nur ſo gewandsweiſe: er brachte
das Geſpraͤch auf die Reformirte Gnadenwahl.
Aber da kam er mir eben recht: denn obgleich ich
mich in der Kirchen Geſchichte nicht verſtiegen hat-
te, ſo wuſte ich doch recht gut, was Auguſtin, die
Praͤdeſtinatianer, Gottſchalk und Luther, von dieſer
Lehre geſagt hatten, kannte die Haͤndel des Amyral-
dus, der Remonſtranten, Janſeniſten und Jeſuiten
weit beſſer, als Herr Zehner, und war daher im
Stande, eine Gelehrſamkeit auszukramen, woruͤber
der alte Rath ſtaunte. Er ließ es daher gleich gut
ſeyn, leitete das Geſpraͤch auf die Weinleſe, und ent-
ließ mich, mit dem Verſprechen, daß er fuͤr mich
ſorgen, und mir den Tag beſtimmen wuͤrde, wo ich
mich zum Examen ſtellen ſollte. Aber es wurde
nichts daraus: denn es oͤffneten ſich fuͤr mich andre
Ausſichten, und da dachte ich nicht mehr an die
Pfaͤlzer Verſorgungen. Weil ich bei dieſer Gelegen-
heit zuerſt die antiquiſſima Heidelbergenſis, oder
die roſtige Univerſitaͤt zu Heidelberg habe kennen ler-
nen; ſo mag ein Kapitel daruͤber nicht am unrechten
Orte hier ſtehen.
Ein und dreißigſtes Kapitel.
Univerſitaͤt zu Heidelberg.
Wenn ſich eine Stadt in Deutſchland zu einer Uni-
verſitaͤt ſchickt; ſo iſts gewiß Heidelberg.
Sie liegt in einer der ſchoͤnſten Gegenden:
alles iſt wohlfeil da; und da weder Hof noch Regie-
rung die Stadt verfuͤhreriſch und brillant macht,
auch wenig Soldaten da ſind; ſo koͤnnte der Studen-
daſelbſt eine angemeßne Rolle fuͤr ſich ſpielen und
ceteris paribus den Zweck ſeiner Ausbildung da weit
wohlfeiler und ungeſtoͤhrter erreichen, als in Mainz,
Halle oder Leipzig.
Vorzeiten hat dieſe Univerſitaͤt große beruͤhmte
Maͤnner unter ihre Lehrer gezaͤhlt: aber das achtzehn-
te Jahrhundert hat auch nicht einen einzigen da auf-
kommen laſſen, deſſen Name mehr verdiente, als
eine Stelle im gelehrten Deutſchland, wo freilich die
theuren Namen eines Brumbeys, Cranz, Roͤnn-
bergs, Pater Merz, und hundert und neun und
neunzig andrer Strohkoͤpfe und Diſtelkoͤpfe eben ſo
gut genannt zu werden pflegen, als dit eines Wie-
lands, Kants, Schulz, Amelangs und
Semlers. — Herr Succow lehrt aber doch
jetzt in Heidelberg, und das ſoll ein gelehrter Chemi-
kus ſeyn. Iſt es indeß wahr, daß er fleißig Gold
laborire, ſo macht es ſeinen chemiſchen Einſichten
eben nicht viel Ehre. Niemand ſagt Herr Profeſſor
Gren in Halle, kocht Gold, als ein Erzſtuͤmper in
der Phyſick und Chemie.
Die Univerſitaͤt beſteht aus katholiſchen und re-
formirren Lehrern; doch hat die pfaͤlziſche Ketzerin-
quiſition, welche am Hofe beſonders maͤchtig iſt,
dafuͤr geſorgt, daß die Statuten hintangeſetzt, und
beinahe alle Lehrſtuͤhle mit Rechtglaͤubigen beſetzt
ſind.
So beſteht die Juriſtenfakultaͤt aus lauter Ka-
tholiken: die Mediciniſche hat nur einen Reformir-
den D. Nebel: und in der Philoſophiſchen dociren
nur wenige Proteſtanten, damals z. B. Herr Buͤt-
tingshauſen. Die Katholicken ſind zwar keine Hexen-
meiſter in den Wiſſenſchaften; aber die Reformirten
ſind noch zehnmal elender: lauter homines obſcuri
nominis. Die Katholiſchen Theologen ſind Exje-
ſuiten Ich rede immer in tempore praeſenti, weil ſich ſeit
1779 nichts in Heidelberg verbeſſert hat., und lehren die Theologie, wie mans von
Exjeſuiten erwarten kann. Sonſt haͤlt ein gewiſſer
Exjeſuit, Signor Biſſing, ein Dickwanſt, dem das
Feiſt beinahe die Augen zudruͤckt, und der in gar
keiner Verbindung mit der Univerſitaͤt ſteht, dann
und wann Vorleſungen uͤber die Kunſt Beicht zu
ſitzen, gerade als wenn die andern Herren dieſe
große Kunſt nicht auch genug dociren koͤnnten.
Die Reformirten Theologen ſind, beſonders
Herr Mieg, Herr Heddaͤus und Herr Wund.
Erſterer war ſonſt Inſpector in Kreutznach: er hat
ganz und gar keine litterariſchen Kenntniſſe: verſteht
weder hebraͤiſch noch griechiſch, ſo das er, wenn er
ja einmal einen hebraͤiſchen Spruch anfuͤhren will,
ihn erſt mit Muͤhe buchſtabirt, und das buchſtabirte
hernach mit lateiniſchen Lettern aufſchreibt, und auf
dem Katheder abließt. Uebrigens gehoͤrt Herr Wund
zu denen, welche doch nicht kraß ſeyn wollen, und
daher, da ſie ſelbſt nicht Kenntniſſe genug haben, um
den Ungrund des kraſſen Syſtems einzuſehen, ſich an
neuere Buͤcher machen, und ihren Katechismus ut-
cunque reformiren. Aber auch dieſes iſt fuͤr Hei-
delberg ſchon genug: denn da florirt der Urſiniſche
Katechismus neben den Schluͤſſen der Dortrechter
Synode ſo ſchoͤn, wie immer in Holland. Hr. Wund
ſchaͤtzt die Schriften des beruͤhmten Steinbarts, und
was er auf dem Katheder gutes ſagt, iſt aus Stein-
barts Gluͤckſeligkeitslehre. Er hat endlich auch ein-
mal ein geſcheides Kompendium eingefuͤhrt, naͤmlich
das von Murſinna, woruͤber aber die Herren
Kirchenraͤthe nicht das freundlichſte Geſicht gemacht
haben, weil Herr Murſinna alles Diſputiren uͤber
das decretum abſolutum fuͤr Spiegelfechterei und
theologiſchen Aberſinn ausgiebt. — Da man eine
deutſche Ueberſetzung dieſes Kompendiums hat; ſo
haben die Univerſitaͤtsbachhaͤndler zu Heidelberg, die
Herren Pfaͤhler, auch nicht Ein lateiniſches Exemplar
verkaufen koͤnnen. O des lieben Lateins!
Doktor Heddeus iſt ein finſtrer, ſtoͤrriger
Orthodoxe, ein aͤchter Anhaͤnger der Synode von
Dortrecht, der Euch die Meinung der Supralapſa-
rier vertheidiget, wie einſt Meiſter Gomarus, und
der den Heidelberger Katechismus fuͤr inſpirirt haͤlt.
Er lieſt noch jetzt 1792 uͤber das Kompendium Pie-
teti. Wie doch der Mann muß ſtudirt haben, daß
er noch ein ſolch finſteres, und nach unſern Zeiten
Erſter Theil. T
abgeſchmacktes Lehrbuch zum Leitfaden gebrauchen
kann! Deswegen lebt er aber auch mit ſeinem Kol-
legen, dem Hrn. Wund, in ſtaͤter Feindſchaft, wel-
che ſich durch niedertraͤchtige Klatſchereien Luft macht.
Sonſt hat er einige Sprachkenntniſſe, d. i. er kann
Jakob Altings hebraͤiſche Grammatik Dieſe konfuſe, im vorigen Jahrhundert fabricirte Gram-
matik iſt auf den Pfaͤlzer Schulen noch gebraͤuchlich.
Man muß indeß den Ketzern, den Lutheranern, die
Freude nicht machen, auf einer rechtglaͤubigen Refor-
mirten Schule eine lutheriſche Grammatik einzufuͤhren.
Sie ſollten aber uͤberhaupt das Hebraͤiſche abſchaffen:
denn die Herren lernen ja doch keins! auswen-
dig, kann die Bibel durch Huͤlfe eines Woͤrterbuchs
von Wort zu Wort uͤberſetzen, und ſchreibt Latein
ohne grobe Schnitzer, welches in Heidelberg ſchon
fuͤr gar maͤchtige Philologie angeſehen wird. Des-
wegen ſpottet er bei jeder Gelegenheit auf den Pro-
feſſor Wund, welchem er den Namen eines deut-
ſchen Michels giebt.
Von Heddeus Toleranz vernehme man folgen-
des Proͤbchen. Einer meiner Freunde, der dama-
lige Vikarius zu Gundersblum, Hr. Simon, hat-
te ein Geſchaͤft in Heidelberg, zu deſſen Ausfuͤhrung
ihm der Reformirte Inſpektor zu Oppenheim ein
Empfehlungsſchreiben an den Ehrenmann Heddeus mit-
gab. Simon beſtellte ſeine Kommiſſion, und Hed-
deus war ſehr freundlich, ſo freundlich, daß er ihn
zum Mittagseſſen einlud. Hr. Simon nahm die
Einladung an, und kurz vor Tiſche ward Freund Hed-
deus erſt inne, daß ſein Gaſt ein lutheriſcher Vikarius
ſey! Da pochte ihm ſein orthodoxes Herz, er verlohr
die Sprache, und nachdem er oft gejaͤhnt, und 200
Priſen Tabak genommen hatte, verſicherte er Hrn.
Simon, daß er Geſchaͤfte haͤtte, und ihn unmoͤglich
bewirthen koͤnnte. Simon, ein Pfiffikus, verſetzte:
daß wenn S. Hochwuͤrden zu thun haͤtten; ſo wollte
er ſich an der Geſellſchaft der Jungfer Muhme be-
gnuͤgen, welche damals der Hr. Doktor bei ſich hat-
te. Geſagt, gethan! Heddeus muſte nachgeben,
und Simon blieb. Der Doktor entfernte ſich unter
dem Vorgeben, daß er, ich weiß nicht, bei wem,
den uͤbrigen Tag zubringen muͤßte. Ueber Tiſche
verſchnapte ſich aber Mamſell Muhme und verrieth,
daß ihr Herr Vetter auf ſeiner Stube ſey. Ei, fragte
der Vikarius, warum ſpeiſt denn der Hr. Vetter nicht
mit uns? Je nun, erwiederte das Muͤhmchen, ohne
zu uͤberlegen, was ſie ſagte, weil Sie eben lutheriſch
ſind: der Herr Vetter kann einmal die Lutheraner
nicht leiden. — Hab ich nun genug geſagt, lieber
Leſer, vom Gottesmann Heddeus? — Seine Frau
Gemalin hatte vor ihrer Verheurathung einen ge-
nauen Umgang mit einem Dragonerofficier, und
muſte den Doktor wider ihren Willen heirathen. Die
ſkandaloͤſe Kronik in der Pfalz giebt viel Nachrichten
von ihr. —
Der Prof. Buttinghauſen las hiſtoriſche Sa-
chen: aber da er wenig wußte, und alles durch ein-
ander vortrug; ſo glichen ſeine Lektionen einem Quod-
libet. Er iſt nun todt.
Der reformirte Prof. der Philoſophie, Herr
Fauth, iſt, wie ihn ſelbſt die heidelberger Studenten
beſchreiben — man denke ſich heidelberger Stu-
denten, als Kritiker eines Philoſophen! — ein
elender Schwaͤtzer, der das Kompendium abkanzelt,
und hin und wieder ſeinen ſchalen Witz dazu ſetzt.
Er lieſt auch Kirchengeſchichte, zwei Stunden die
Woche. Das mag eine Kirchengeſchichte ſeyn!
Ueberhaupt iſt die ganze philoſophiſche Fakultaͤt
zu Heidelberg eine Geſellſchaft unphiloſophiſcher hirn-
loſer Gruͤtzkoͤpfe, die lieber Vorleſungen uͤber Eulen-
ſpiegel, als uͤber Philoſophie halten ſollten. Das iſt
ein harter Satz, den ich aber augenſcheinlich bewei-
ſen werde. Man hoͤre! Herr Wiehrl, ein katho-
liſcher Weltprieſter, und ſehr beleſner gelehrter Mann,
ward 1778 Profeſſor zu Baden. Er las uͤber des
Goͤttingiſchen Feders — Buͤcher, und das mit
Beifall. Die ſchleichenden Exjeſuiten fanden bald,
daß Hr. Wiehrl ketzeriſche Saͤtze vortruͤge, und mach-
ten beim Biſchof zu Speier, der in Bruchſal wohn-
te, ſo ein abſcheuliches Spektakel, als wenn Hol-
land in Noth waͤre. Was geſchah? der Biſchof
wollte Hn. Wiehrl zuruͤck haben, aber der dankte da-
fuͤr, vielmehr ſchickte er ſeine fuͤr ketzeriſch ausgege-
benen Saͤtze, nebſt den Federiſchen Kompendien an
die katholiſche Univerſitaͤt zu Freiburg im Bries-
gau. Dieſe erklaͤrte, daß weder die Saͤtze des Hrn.
Wiehrls, noch die Buͤcher des Hrn. Feders etwas
ketzeriſches enthielten. Die Bruchſaler Exjeſuiten zo-
gen hierauf die hochloͤbliche philoſophiſche Fakultaͤt zu
Heidelberg zu Rathe, und ſiehe da, dieſe erklaͤrte
die Buͤcher des Goͤttingers, und die Saͤtze des Bader
Profeſſors fuͤr ketzeriſch, gefaͤhrlich, den guten Sit-
ten, (man denke doch!) zuwiderlaufend und fuͤr
aͤrgerlich. Dieſe Cenſur wurde gedruckt, und die
Freiburger balbirten nun die elenden Heidelberger
nach Herzensluſt, und zeigten ihnen, daß ſie das ABC
der Philoſophie noch nicht gelernt haͤtten. Endlich
kam die Sache gar nach Rom: aber die Beiſitzer der
Congregation des Indicis waren viel kluͤger, als die
Heidelberger Diſtelkoͤpfe. Sie ſchickten naͤmlich dem
Hrn. Wiehrl eine Expoſition zu, welcher er gern unter-
ſchrieb, weil ſie weiter nichts enthielt, als eine Er-
laͤuterung ſeiner Saͤtze. So mußten denn die Her-
ren Heidelberger ſich ſchaͤmen, und ſtille ſeyn. Das
war ſo ein Proͤbchen von der Heidelberger Weisheit
und Orthodoxie.
Außer den Katholiſchen und Reformirten Theo-
logen ſollen auch die lutheriſchen Konſiſtorialraͤthe fuͤr
lutheriſche Landeskinder theologiſche Vorleſungen hal-
ten. So will es wenigſtens der Kurfuͤrſt; allein da
die lutheriſchen Raͤthe Leute ſind, denen es an Kennt-
niſſen fehlt, ſo hat kein Menſch von Lutheranern da-
hin gehen wollen: und das Projekt iſt mißlungen.
Es war auch uͤberhaupt ein ſeltſamer Gedanke, die
dortigen Herren Michaelis, Zehner u. d. g. Colle-
gien halten zu laſſen!
Nun noch ein Wort von den Heidelberger Stu-
denten. Dieſe ſind lauter Landeskinder: denn ſehr
ſelten verlaͤuft ſich ein Auslaͤnder dahin, und ſelbſt
diejenigen Landeskinder, welche etwas rechts lernen
wollen, gehen auf andre Schulen und Univerſitaͤten.
So beſuchten Hr. Abbeg, jetzt Rektor zu Heidelberg,
die Schule in Gruͤnſtadt, und ſtudirte hernach in
Halle, wo er unter der Leitung des vortreflichen
Wolfs ſich ſo bildete, daß er mit Recht fuͤr den groͤß-
ten Philologen am Rheinſtrom gehalten wird. Die
beiden Hrn. Weikom haben es eben ſo gemacht: aber
das ſind ſeltene Beiſpiele.
Da die Pfaͤlzer Schulen uͤber allen Glauben
elend ſind; ſo kommen die Herren Fuͤchſe ohne alle
Vorkenntniſſe nach Heidelberg, nehmen die Lehrſtun-
den an, welche ihnen der Herr Kirchenrath, an den
ſie empfohlen ſind, vorſchlaͤgt, und hoͤren dann zu.
Hefte werden in Heidelberg bei den Reformirten gar
nicht geſchrieben: bei den Katholiken aber wird alles
Vorgeſagte von den Zuhoͤrern ſchriftlich aufgezeichnet.
Wenn ein Student zehn Stunden woͤchentlich zu hoͤ-
ren hat, ſo denkt er wunder, welche Arbeit er habe!
Nach drei Jahren zieht er wieder ab, laͤßt ſich exa-
miniren, und zwar bei ſeinen Lehrern, die ihn dann
freilich nicht abweiſen, und er wird mit der Zeit
Paſtor, Schaffner, Amtmann, Doktor oder ſonſt
etwas.
Der Komment iſt zu Heidelberg elend, auch
nur wenn man ihn nach eingefuͤhrten akademiſchen
Regeln mißt. Die Studenten unterſcheiden ſich in
Abſicht ihrer Auffuͤhrung wenig von Gymnaſiaſten:
es fehlt ihnen allen das ſonſt bei Studenten gewoͤhn-
liche freie unbefangene Weſen. Doch ſaufen die Leut-
chen wie die Buͤrſtenbinder, denn der Wein iſt ſehr
wohlfeil da. Schlaͤgereien ſind gar nicht Mode, ob-
gleich den Studenten erlaubt iſt, Degen zu tragen.
Aber en Revanche nehmen die Herren allerhand
Zeug vor, welches ſonſt Schuͤler aus Muthwillen
oder Langerweile zu thun pflegen: ſie ſpielen Ball,
gehen auf Stelzen, ſuchen Vogelneſter, ſpielen mit
Weinſchrotern, welche ſie zuſammenjochen, und an
ein kleines Waͤgelchen ſpannen u. d. g. Das Pasquil-
liren iſt auch ihnen gar gewoͤhnlich.
Die Studenten zu Heidelberg werden abge-
theilt in Seminariſten, Juriſten und Sapienzkna-
ſter. Seminariſten ſind katholiſche Theologen,
meiſt Kinder armer Eltern: denn wer Geld hat, und
geiſtlich werden will, den ſchnappen die Kuttenpfaf-
fen (ſo heiſſen die Moͤnche in der Pfalz) weg, und
machen einen Heiligen aus ihm. Sie, die Semi-
nariſten, werden von Exjeſuiten und Piariſten unter-
richtet, lernen Jeſuitiſche Theologie kennen, und ſe-
tzen das liebliche Syſtem des Jeſuitismus fort, wenn
ſie mit der Zeit Pfarreien erhalten. Unter dem
Namen Juriſten begreift man alle wuͤrklich Jura
Studirende, ſodann die Mediciner und Proteſtanti-
ſche Theologen. Dieſe ſind eigentlich der Kern der
Univerſitaͤt, und alleinige Inhaber des Komments.
Sapienzknaſter endlich heiſſen diejenigen armen
reformirten Theologen, welche auf der ſogenann-
ten Sapienz, einem mit Einkuͤnften, zur Erhaltung
duͤrftiger Studenten, errichteten Kollegium woh-
nen, und alſo von der Gnade des Hrn. Kirchen-
raths leben muͤſſen. Dieſe Sapienzknaſter ſind ſehr
verachtet, und duͤrfen ſich nirgends ſehen laſſen,
wo Juriſten hinwandern: ſonſt bekommen ſie Na-
ſenſtuͤber. In den Kollegien wird ihnen Muſik ge-
macht, und wer des Nachts bei der Sapienz vorbei
geht, der ſchreiet: heraus ihr lumpigen Sapienz-
knaſter! pereant!
Die Anzahl der Studenten belief ſich ohngefaͤhr
vor zwoͤlf Jahren auf zwei hundert: nachher hat ſich
dieſe Zahl ſehr verringert und muß, wenn keine beſſere
Einrichtung getroffen wird, ſich noch immer mehr
verringern. Die Regierung ſcheint ſich ganz und gar
nicht um die Verbeſſerung der Akademie zu bekuͤmmern.
Das Reformirte Weſen iſt dem Kirchenrath uͤber-
laſſen, und fuͤr die Beſetzung der Katholiſchen Stellen
ſorgt der berufene Exjeſuit Frank, dieſer Malleus
Haereticorum, d. i. der Antijeſuiten, Illuminaten
und aller Vernunftfreunde zu Muͤnchen! Man hat den
jetzigen Kurfuͤrſten von der Pfalz geruͤhmt, daß er
fuͤr die Aufnahme der Heidelberger Univerſitaͤt ge-
ſorgt habe. Wenn ich aber die Anſtellung einiger Ka-
meraliſten ausnehme, ſo kann ich nicht begreifen,
worin dieſe Fuͤrſorge beſtanden habe. Indeſſen —
was ruͤhmt man nicht alles an Fuͤrſten!
So viel von Heidelberg!
Zwei und dreißigſtes Kapitel.
Mein Apoſtolat des Deismus.
Ich habe ſchon oben gemeldet, daß ich durch Crel-
lius Buch um meinen Glauben an Dreieinigkeit, und
durch Tindals Schrift vollends um allen Glauben
gekommen war. In der Pfalz ſuchte ich nun Proſe-
lyten zu machen, und fand mehrere Anhaͤnger. An-
faͤnglich erſtreckte ſich mein Bekehrungseifer blos auf
meine Freunde: mit dieſen ſprach ich oft uͤber heilige
Dogmen, und das Reſultat war jedesmal, daß das
Dogma falſch und laͤppiſch waͤre. Da unter meinen
Freunden mehrere Katholiken waren; ſo huͤtete ich
mich, Unterſcheidungslehren anzutaſten: denn ſo
wuͤrde ich ſie niemals gewonnen haben; vielmehr
griff ich die ſogenannten Grundlehren des Chriſten-
thums an, und widerlegte ſie mit Argumenten, wel-
che bei meinen Leuten fangen mußten. Gewoͤhnlich
ſchlug ich den Weg ein, daß ich die ganze Hiſtorie
der Bibel ſuchte verdaͤchtig zu machen, und das
gelang mir allemal, weil ich die Widerſpruͤche der
Schriftſteller grell genug darſtellte, und dann fragte,
ob man einem Buche glauben koͤnnte, welches ſich ſo
oft widerſpraͤche? Bald beſchrieb ich den Abraham,
Moſes, David, Samuel, Elias und andre in der
Bibel als Heilige dargeſtellte Perſonen, als Erzſchur-
ken, Spitzbuben und Rebellen, deren Stuͤckchen ich
erzaͤhlte, und mit Anmerkungen erlaͤuterte. Sofort
ging ich ans neue Teſtament, machte mich uͤber die
Lehrart Jeſu und der Apoſtel luſtig, und bewies, daß
die weiſen Heyden, Sokrates, Plato, Xeno-
phon, Zeno, Plutarch, Cicero und Se-
neka die Moral oder die eigentliche ewige allgemeine
Religion weit ſchoͤner und gruͤndlicher gelehrt haͤtten,
als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk-
te, daß die Hiſtorien der unendlichen chriſtlichen
Zaͤnkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf-
fenſpitzbuͤbereien den meiſten Eindruck auf meine
Freunde machten; ſo blieb ich bei dieſem Kapitel im-
mer recht lange ſtehen, und erlaͤuterte alles, ſo gut
ich konnte. Voltaire kam mir, wie man denken
kann, recht wohl zu ſtatten. Dabei gab ich mir ein
ſehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf
die herab, welche die Kirchen- Religion vertheidigten.
Mußte ich dem einen und andern dieſer Vertheidiger
die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er ein ge-
lehrter Mann und heller Kopf ſey; ſo gab ich vor:
der Mann ſey nur einſeitig aufgeklaͤrt, ſey ein Heuch-
ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen.
Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich
zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu-
mente, deren Schwaͤche ich ſelbſt einſah; allein
ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich
ſagte, fuͤr baare Muͤnze annahmen, und da dachte
ich, ſey eine pia fraus erlaubt. In dieſem Falle
machte ich es gerade ſo, wie die heiligen Kirchenvaͤter,
ja ſelbſt wie die Apoſtel, welche kat anthropon bewie-
ſen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhoͤrer glaubten,
ſie mochten nun uͤberzeugt, oder uͤbertoͤlpelt ſeyn.
Endlich erhielt ich die beruͤhmten Fragmente,
die Leſſing herausgegeben hat. Jetzt war ich vol-
lends recht in meinem Elemente. Bisher hatte ich
die chriſtliche Religion noch immer als eine gute mo-
raliſche Stiftung fuͤr ihre erſten Anhaͤnger, vorzuͤg-
lich aus den Juden, angeſehen, und verehrte den
Urheber derſelben, ſo wie ſeine erſten Nachfolger,
als brave ehrliche Maͤnner, die hoͤchſtens Fanatiker
und Feinde des Prieſter- Despotismus geweſen waͤ-
ren. Aber von nun an erblickte ich in dem ganzen
chriſtlichen Syſtem nichts als Betrug und zwar Be-
trug, der ſich auf die abſcheulichſten Abſichten gruͤn-
dete. Ich theilte meinem Vater die Dinge mit. Er
las ſie durch, und gab ſie mir mit den Worten wie-
der: haec et ego dudum cogitaram: nil inveni
novi! Dabei rieth er mir, da ich nun geſcheut genug
ſeyn muͤſte, alles das fuͤr mich zu behalten, und nichts
davon ins Publikum zu bringen. Aber das war
kein Rath fuͤr mich. Ich las meinen Freunden die
Fragmente, beſonders das uͤber die Auferſtehung
Jeſu und deſſen Zweck und ſeiner Juͤnger mehrmals
vor. Letzteres Buch wurde, weil ich es wieder zu-
ruͤck geben muſte, von uns abgeſchrieben, und war
von nun an unſre Bibel.
Auf dieſe Art hatte ich eine kleine deiſtiſche
Geſellſchaft geſtiftet, wovon ich der Matador
war: jeder konſulirte mich, trug mir ſeine Zweifel
vor, und bath ſich meine Orakelſpruͤche aus. Ich
nenne die Namen meiner Glaubensbruͤder nicht:
denn es moͤchte ihnen in einem Lande ſchaden, wo
man ſo inquiſitoriſch denkt, wie in der Pfalz. Es
waren uͤbrigens Leute von ziemlich guter Auffuͤhrung,
unter welchen ich — zu meiner Schande muß ichs
geſtehen! — wegen meiner Sauferei der liederlichſte
war. Die uͤbrigen tranken zwar auch, wie alle
Pfaͤlzer, und wurden oft ſchnurrig: ich aber, vom
Gießer Komment und Commers ganz und gar ver-
woͤhnt, trieb die Sache weit ſtaͤrker, als die andern.
Unſre Diſputationen wurden meiſtens beim Wein-
glaſe gefuͤhrt, und da diſputirt ſichs freilich ganz
allerliebſt.
Ob wir gleich unſre Sache ziemlich geheim an-
fangs hielten; ſo waren doch verſchiedene Pfaffen
auf unſre Spur gekommen, und hatten uns, beſon-
ders mich und meinen ehrlichen Haag, als Erzfrei-
geiſter ausgeſchrieen. Um dieſem uͤblen Geruͤchte zu
entgehen, fertigte ich auf Anrathen meines Vaters eine
kleine Schrift aus, und ließ ſie im Manuſkript zirku-
liren. Das Ding war lateiniſch und hieß: Diſſer-
tatiuncula de veritate Religionis Chriſt. argu-
mentum morale. Es enthielt die gewoͤhnlichen
moraliſchen Beweiſe fuͤr die Wahrheit der chriſtlichen
Religion, und that ziemlich gute Wuͤrkung. In
meinen Zirkeln widerlegte ich, nach Art ſo man-
ches andern gezwungenen Schriftſtellers, mein eignes
Schriftchen, und machte es laͤcherlich.
Mein redlicher Freund, der Inſpector Birau
zu Alzey, den ich ſehr oft und auf mehrere Tage be-
ſuchte, ermahnte mich fleißig, mein freies Reden
uͤber die Religion einzuſtellen. „Sauft, lieber
„Freund,“ſagte er oft zu mir, „macht Hurkinder,
„ſchlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Exceſſe: das
„wird Euch nicht ſo viel ſchaden, als Eure Freigei-
„ſterei.“ — Er hatte Recht: denn Saufen, Hu-
ren u. d. gl. ſind peccatilia, Herrn Simons Suͤn-
den, wie D. Luther ſagte, die der Kuͤſter vergiebt;
aber uͤber die Dreifaltigkeit zweifelhaft reden, ver-
dient alle Anathemen. Ich ließ dieſe Ermahnungen
im Ganzen vorbei gehen, und ward nur dann und
wann behutſamer, warf mich auch zuweilen zum
Apologeten des Chriſtenthums in Geſellſchaften auf,
aber man merkte gar gut, daß es mir nicht Ernſt
war.
Da ich in der Rheingrafſchaft Kandidat war,
ſo kam das Ding von meiner Ketzerei vor das hoch-
wuͤrdige Ohr des Grehweileriſchen Conſiſtoriums,
welches mir dann ein Monitorium zuſchickte, und
mich ad diem — ich weis nicht mehr welchen —
vor ſich beſchied. Ich erſchien. Herr Rath Dietſch
ließ mich doch niederſetzen, raͤuſperte ſich dann, und
fing in einem gravitaͤtiſchen Ton alſo an: „Mein lie-
„ber Herr Kandidat, Sie ſind in Verdacht gera-
„then, als ob Sie an verſchiedenen Orten, nament-
„lich zu Flonheim im Bock, zu Buͤdesheim beim
„Herrn Schulz, zu Wonsheim gleichfalls im Bock,
„und neulich auf dem Bellermarkt in der Weinhuͤtte
„verſchiedene freigeiſtiſche Reden gefuͤhrt, und da-
„durch nicht geringes Aergerniß gegeben haben.“
Ich: Verzeihen Ew. Hochwuͤrden: davon weiß
ich gar nichts!
Dietſch: Und doch hat mans nicht nur ge-
ſagt, ſondern uns ſogar geſchrieben. Wollen Sie
Briefe ſehen? — Hier leſen Sie!
Er reichte mir einen Brief, deſſen Unterſchrift
mit einem Papier beklebt war. Ich fand darin die
fuͤrchterlichſten Beſchuldigungen, und Anklagen. Es
hieß, daß ich zu Flonheim im Bock in großer Geſellſchaft
uͤber die Gottheit Chriſti diſputirt und behauptet
habe, ſie ſey eine Erfindung der Pfaffen aus dem
vierten Jahrhundert: die aͤltern Vaͤter haͤtten ganz
anders davon gelehrt, und uͤberhaupt nicht gewußt,
was ſie damit machen ſollten. Ferner gab mir der
Verfaſſer Schuld, uͤber Taufe und Abendmal geſpot-
tet und dieſen heiligen Gnadenmitteln alle Kraft ab-
geſprochen zu haben. Das alles, und noch mehr
haͤtte ich mit ſtarken Gruͤnden unterſtuͤtzt, und daher
ſey zu befuͤrchten, durch mich moͤchten in den Irrthum
gefuͤhrt werden, wenns moͤglich waͤre, auch die Aus-
erwaͤhlten. Daher bat der Schreiber das Conſiſto-
rium, dem Unweſen zu ſteuren: er habe das Seine
gethan, waſche ſeine Haͤnde in Unſchuld u. ſ. w. Ich
ſchloß aus der Handſchrift, daß der Pfarrer Flieb-
ner zu Bornheim der Schreiber des Briefs waͤre.
Nachdem ich den Brief geleſen hatte, ſagte
ich, daß das nur halb wahr, und vom Schreiber
boshafter Weiſe falſch vorgeſtellt ſey. Aber Herr
Dietſch erwiederte „das iſt nicht das einzige,
was Sie gravirt. Sie koͤnnen doch nicht laͤugnen,
daß Sie uͤber die Religion geſpottet haben zu Wons-
heim im Bock, zu –
Ich: Laſſen Sie mich Ihnen die Wahrheit
ſagen. Ich habe mehrmals, das iſt wahr, uͤber ei-
nige Dogmen geredet, aber nur ſo pro und contra.
Ich wollte nur zeigen, daß ich auch was geleſen
haͤtte.
Dietſch: Ey, ey, wenn man nur pro und
contra redet, ſo diſputirt man nicht im Wirthshaus.
Und zu dem ſah man es Ihnen recht wohl an, daß
ſie im vollem Ernſt die Parthei der Freigeiſter er-
griffen. Sie ſprachen da von nichts als von dum-
men Pfaffen, von unwiſſenden Geiſtlichen, und
ſo fort.
Ich: Das iſt wahr: ich habe wenig Theolo-
gen kennen gelernt, welche geſcheute Maͤnner gewe-
ſen waͤren.
Dietſch: (erboßt) Und doch haben Sie de-
ren Buͤcher nicht geleſen: ich werte, Hrn. Seilers
Apologie der chriſtlichen Religion iſt Ihnen nicht in
die Haͤnde gekommen.
Ich: O doch. Ich kenne das Buch; aber es
behagt mir nicht: es iſt ein dummer Wiſch, und wei-
ter nichts! Alles iſt aus Lardner ausgeſchmiert.
Sie wiſſen das doch ſelbſt, Herr Rath?
Dietſch: (betroffen) Wohl wahr! (ſanfter)
Sie ſind alſo kein Freigeiſt?
Ich: Behuͤte Gott! Aber, wie Sie ſelbſt
wiſſen: man kann heut zu Tage nicht alles mehr
glauben, was in der formula concordiae ſteht.
Zum Beiſpiel die Genugthuung Chriſti. —
Dietſch: Genugthuung Chriſti? — das iſt
ja dogma ſtantis et cadentis eccleſiae!
Ich: Erlauben Sie. Man muß das Ding
recht verſtehen: in gewiſſem Sinn hat Chriſtus fuͤr
das nicht genug gethan, naͤmlich in dem Sinn nicht,
wie es der Erzbiſchof Anſelm von Canterbury nahm.
Aber im moraliſchen Sinn iſt es wahr. Haben Sie
die neue Apologie des Sokrates von Eberhard
geleſen?
Dietſch: Nein! das Buch kenne ich nur aus
den Danziger Berichten, als ein erzgottloſes Buch,
das alle Religion ruiniren ſoll.
Ich: Dann will ich die Ehre haben, Ihnen
damit aufzuwarten. Sie ſind ein Mann von Ein-
Erſter Theil. U
ſichten, und Gelehrſamkeit, Sie muͤſſen alſo ſchon
finden, daß der Verfaſſer, einer der groͤßten Philo-
ſophen unſrer Zeit, die Sache in das ſchoͤnſte Licht
geſezt, und eine Menge von Wahrheiten aufgeſtellt
hat, deren Beherzigung viel gutes ſtiften kann.
Nun hatte ich den Herrn Rath an der Ambi-
tion angegriffen: er wurde ſehr ſanft, und war zu-
frieden, daß ich ihn verſicherte, ich ſey kein Freigeiſt,
und ihm verſprach, nie wieder in Wirthshaͤuſern von
der Religion zu ſprechen. Ich war froh, daß ich ſo
weg kam; auch mein Vater freute ſich uͤber den Aus-
gang der Sache: denn er befuͤrchtete ſchon, man
moͤchte mir das Predigen verbieten.
Sonntags drauf muſte ich in Flonheim fuͤr den
Pfarrer Stuber auftreten. Da nahm ich Gelegen-
heit die Gottheit Chriſti zu beweiſen, das heiſt, ich
ſchrieb alle Beweiſe aus Schuberts Kompendium
ab, brachte ſie in Form einer Predigt, und warnte
am Ende meine Zuhoͤrer vor dem im finſtern ſchlei-
chenden Gift der Freigeiſter. So wollten es die
Umſtaͤnde! —
Nach der Kirche ſtellte mich der Kantor, Herr
Herrmann Dieſer Herrmann iſt ein recht guter Muſiker, oder viel-
mehr der einzige Kantor in der ganzen Gegend, welcher
Muſik verſteht. Er hat einige Klavierſonaten drucken
laſſen, welche den Beifall der Kenner erhalten haben. mein guter Freund, zur Rede: wie
ich eine Lehre vertheidigen koͤnnte, uͤber die ich ſchon
ſo oft in ſeinem Beiſeyn geſpottet haͤtte? Ich er-
zaͤhlte ihm aber den Vorfall mit dem Konſiſto-
rium, und bat ihn: er moͤchte den Inhalt mei-
ner Predigt ſo bekannt machen, als er koͤnnte. Hr.
Herrmann bat ſich mein Konzept aus, ſchrieb es
fein ab, und ließ es zirkuliren. Dieſes Beneh-
men brachte meine Rechtglaͤubigkeit wieder zu ei-
nem gewiſſen Kredit, der aber leider nicht ſehr lan-
ge waͤhren wollte.
Denn Hr. Hahn, Pfarrer zu Kirchheim Po-
landen, verhunzte denſelben bei dem Adminiſtrator
der Rheingrafſchaft, dem Herrn von Zwirnlein.
Hahn iſt ein Menſch ohne Kopf, das Hirn voll duͤ-
ſterer Orthodoxie, welche er aus D. Seilers herr-
lichen Schriften geſchoͤpft hat. Dabei lieſt er einige
Zeitſchriften, welche man dort haben kann: und ob
dieſer Leſerei haͤlt er ſich fuͤr gelehrt. Uebrigens iſt
er ſtolz, rachſuͤchtig und haͤmiſch im hoͤchſten Grade,
ſo wie er kriechend und bis zur Niedertraͤchtigkeit de-
muͤthig bei Vornehmen iſt. Mit dieſem feinen Ka-
rakter hat er ſich in die Gunſt der Herren geſezt,
womit der kleine Naſſau-Weilburgiſche Hof verſe-
hen iſt. Bei den Hrn. von Botsheim, Zwirnlein,
Geiſpizheim, Normann u. a. iſt er immer zu Gaſte,
weil er gern neue Maͤhren erzaͤhlt, und gut Tarok
ſpielt.
Dieſen Mann Gottes fand ich einmal beim
Hrn. Balleyrath Alefeld zu Oberfloͤrsheim. Bei
Tiſche fing er an, uͤber gelehrte Dinge zu reden; ich
miſchte mich ins Geſpraͤch und bald ſaß mein Herr
Hahn auf dem Miſt. Ich konnte ihm ſogar weiß
machen, daß Cromwell (es wurde von England
geſprochen) mit Peter dem Großen und Ferdinand
dem Katholiſchen in vertrautem Briefwechſel geſtan-
den, und Paraguay, welches zwiſchen Perſien und
China liegt, an die Jeſuiten fuͤr ſechs Millionen
Pfund Sterling verkauft habe. Nachher kam das
Geſpraͤch auf D. Bahrdt. Hahn verdammte ihn,
als einen Erzketzer, ob er ihm gleich ſonſt ſeinen Hof
gemacht hatte. Er ſtuzte nicht wenig, als ich ganz
kalt behauptete, Bahrdt habe gar kein Verdienſt um
die Aufklaͤrung: denn nicht mehr ſagen, als er ge-
ſagt haͤtte, ſey gar nichts geſagt: die engliſchen und
franzoͤſiſchen Deiſten ſeyn andre Kerls u. ſ. w. Als
nun Herr Hahn mit ſeiner Seileriſchen Weisheit an-
geſtochen kam, kappte ich ihn ab, und ließ ihn mar-
ſchiren. Der Hofmeiſter des Balleyraths, Herr
Otto, den wir in Gießen, auch wegen ſeiner armen
Suͤnderſchaft, den Sur nannten, begleitete mich
eine Strecke, als ich fortging – ich ging nach
Worms — und da erklaͤrte ich ihm, daß Hahn ein
gewaltiger Ignorant ſeyn muͤſte, da er die groben
Anachronismen und geographiſchen Schnitzer, die ab-
ſichtlich von mir gemacht waͤren, nicht gemerkt haͤtte.
Hier machte ich mich uͤber den Herrn Hahn nicht we-
nig luſtig. Ich dachte, Otto wuͤrde ſchweigen, aber
der war niedertraͤchtig genug, gleich darauf dem
theuren Herrn Paſtor meine Geſpraͤche bruͤhheis zu
hinterbringen.
Nun hatte ich einem giftigen Pfaffen auf die
Fuͤße getreten, und der muſte ſich nun raͤchen. Er
that es auch. Da er bei dem Hrn. v. Zwirnlein,
welcher Adminiſtrator Subdelegatus der Rhein-
grafſchaft war, manchmal Tarok ſpielte, und der
gnaͤdigen Frau Stadtmaͤhrlein zutragen durfte; ſo
bediente er ſich dieſer Gelegenheit, mich dem Admi-
niſtrator als einen hoͤchſt aͤrgerlichen und gefaͤhrlichen
Menſchen von den ſchlechteſten Sitten vorzuſtellen.
Alles, was er von mir wuſte, brachte er an, und
dichtete und log noch auf gut pfaffiſch brav dazu!
Der orthodoxe Adminiſtrator, erſchrak uͤber die Be-
ſchreibung des Pfaffen, und befahl bei ſeiner Anwe-
ſenheit in Grehweiler dem Rath Dietſch, mich
vorzunehmen, und die Sache zu unterſuchen. Der
Herr Rath berichtete ihn, daß dieſes ſchon geſchehen
ſey: daß ich ein leichtſinnige Menſch und kein Frei-
geiſt waͤre u. ſ. w. Da beſaͤnftigte ſich der Herr von
Zwirnlein, und trug dem Rath nichts weiter auf,
als mich zu ermahnen, vom Saufen zu laſſen, die
Wirthshaͤuſer ſparſamer zu beſuchen, und mich aller
Reden uͤber Religion und Gottesdienſt zu enthalten.
Dabei blieb es fuͤr dasmal.
Wenn ich einen Roman ſchreiben wollte, ſo
koͤnnte ich alle meine Ungluͤcksfaͤlle ganz kommode,
wie Herr Bahrdt, den Pfaffen in die Schuhe ſchuͤt-
ten, und mich ſchneeweis brennen. Allein, ob mich
gleich giftige orthodoxe Ochſen von Pfaffen genug ge-
druckt und geſtoßen haben; ſo muß ich doch bekennen
daß die Hauptſchuld meiner Unfaͤlle auf mich kommt.
Waͤre ich behutſamer geweſen, und haͤtte ich das
Weinglas weniger geliebt, — alle Pfaffen, alle
Hahns, Wagner, Fliedner, Schukmann, und der-
gleichen Geſindel wuͤrden mir nichts geſchadet haben.
Aber ſo. — Doch ich muß nur weiter erzaͤhlen,
nachdem ich mit Fleiß in dieſem Kapitel mehrere
Dinge zuſammen geſtellt habe, welche in mehrere
Jahre, naͤmlich in die 1780 und 1781 gehoͤren.
Alles that ich, um nicht jeden Augenblick von mei-
ner Ketzerei ſprechen zu muͤſſen.
Zwei und Dreiſſigſtes Kapitel.
Ausſichten ins Darmſtaͤdtiſche!
Mein Vater war ein geborner Darmſtaͤdter und
hatte in dieſem Lande viel Freunde und Verwandten,
er ſollte auch einmal eine Stelle in dieſem Fuͤrſten-
thum bekleiden: allein ſein Wendelsheim war ihm
lieber. Nun aber dachte er daran, ob er mich vielleicht
an eine Stelle bringen koͤnnte, etwa an eine Schul-
ſtelle, deren es in dem Darmſtaͤdtiſchen manche
giebt. Er ſchrieb daher an ſeinen Freund den Hof-
prediger Kremer. Dieſer antwortete, er duͤrfe
ſich deshalb gerade an den Landgrafen wenden: der
waͤre ein guter Herr, und wenn er bei dem Re-
gierungs-Rath Stauch Eingang finden koͤnnte; ſo
waͤren die Sachen ſo gut, wie fertig. Stauch war
ſeines Handwerks ein Schneider von Kyrn an der
Nohe, und ein Vetter meines Freundes, des ehr-
lichen Pfarrers Stuber zu Flonheim. Da er gut
ſchreiben konnte, auch franzoͤſiſch auf der Wander-
ſchaft gelernt hatte, ſo ward er erſt Schreiber bei
dem Rath Kappes Dieſer Kappes war ein Erzfilou, von welchem die
guten Darmſtaͤdter noch lange ein Liedchen ſingen wer-
den: der Landgraf hat ihn 1776 als einen Schelmen
weggejagt. zu Pirmaſens. Nach Rath
Kappes Kaſſirung kam er in Landgraͤfliche Dienſte,
benutzte die aͤuſſerſt ſchwachen Seiten des Landgrafen
zu ſeinem Vortheil, und ward Regierungsrath, pro
titulo naͤmlich, denn im Grunde regierte er das
ganze Land. Ich bat Herr Stubern um eine Em-
pfehlung an dieſen Herrn Stauch; und der war auch
ſogleich bereit mir, das beſte Zeugniß zu geben,
und mich ſeinem Vetter de optima nota zu empfeh-
len. Sein Brief wuͤrkte; Herr Stauch verſprach,
ſich fuͤr mich zu verwenden, nur moͤchte er mich erſt
ſehen, und ſeinem Herren vorſtellen. Ich reiſete
alſo nach Pirmaſens, wo der Landgraf Ludwig IX.
ſeine Reſidenz hatte. Pirmaſens liegt in der Graf-
ſchaft Lichtenberg ohnweit der franzoͤſiſchen Graͤnze.
Es iſt ein kleiner Ort, den der Landgraf voll Solda-
ten geſteckt hat. Man muß wiſſen, daß dieſer Fuͤrſt
eben ſo in Soldaten verliebt war, wie der Herzog
von Zweibruͤcken in ſeine Jagdhunde und Katzen.
Nach Darmſtadt kam der Landgraf niemals, und die
Regierungsgeſchaͤfte waren gaͤnzlich in den Haͤnden
ſeiner Bedienten und ſeiner Kreaturen. Er hatte
immer Maͤtreſſen, freilich gegen das Ende ſeines
Lebens blos zum Spiel und Zeitvertreib. Die, welche
er damals hatte, war ein gemeines Maͤdchen von
Rheims, die lange in Paris als fille de joie gelebt
hatte. Der Fuͤrſt hatte die Gnade gehabt, ihr den
Titel einer Comteſſe von Lemberg zu geben.
In Pirmaſens logirte ich bei meinem Vetter,
dem reichen Gerber Boͤhmer, welcher bei Herrn
Stauch gut ſtand, und mich auch da einfuͤhrte.
Herr Stauch parlirte franzoͤſiſch mit mir, und war
auſſerordentlich hoͤflich. Es war ihm, meinte er,
une ſatisfaction inſinie, einen braven Mann,
einen homme de merite zu pouſſiren. Das freute
mich, und ich inſinuirte mich beſonders dadurch bei
Herrn Stauch, daß ich ihm erzaͤhlte, wie, ſeitdem er
am Ruder waͤre, die Klagen nicht mehr ſo gehoͤrt
wuͤrden, als vorher: das muͤſte durchaus von den
guten Anſchlaͤgen herkommen, die er ſeinem Herrn
dem Landgrafen gaͤbe. Und in dieſem Stuͤck hatte
ich auch nicht gelogen: denn obgleich Stauch nicht
ſtudiert hatte, und ein gelernter Schneider war; ſo
machte er doch weit kluͤgere Anſtalten im Lande, als
viele ſeiner ſtudierten Vorfahren, welche Schurken
geweſen waren, und die Noth der mitlern und un-
tern Volksklaſſen vielleicht nicht ſo gut gekannt hatten,
als er.
Herr Stauch ſtellte mich auf der Parade dem
Landgrafen vor, welcher ſehr freundlich und herab-
laſſend nach ſeiner ſtaͤten Gewohnheit, mit mir redete,
und mir ganz treuherzig auf die Achſel klopfte. Er
befahl mir, eine Schrift bei ihm einzugeben, und ihm
meine Wuͤnſche bekannt zu machen; hernach wollte
er ſchon ſehen, was man thun koͤnnte, das hieß
denn, er wollte es Herrn Stauch uͤberlaſſen, wie
ich koͤnnte placirt werden. Die herablaſſende Guͤte
des ehrlichen Fuͤrſten ruͤhrte mich, und ich bedauerte
ganz aufrichtig, daß ein Regent von ſo gutem
Karacter und Herzen ſo wenig Regent war.
Ich beſuchte, auf Herrn Stauchs Rath, auch
den Feldprobſt Venator, einen erzorthodoxen duͤſtern
Kopf, der mir alſobald auf den Zahn fuͤhlte, und
mich aus einen dogmatiſchen Kapitel examinirte. Ich
hielt Farbe und behauptete das abſurdeſte Zeug
mit allen Gruͤnden, die ich aus dem Kompendium
behalten hatte. Das behagte dem guten Herrn,
welcher uͤber die einreiſſende Ketzerei heftig klagte,
und mich ermahnte, die Buͤcher des David Hollaz
fleiſſig zu leſen: Hollaz habe das Syſtem recht aufs
reine gebracht u. ſ. w. Uebrigens konnte Venator
bei dem Landgrafen viel ausrichten, und wer daher
etwas zu ſuchen hatte, durfte es mit ihm nicht ver-
derben. Er war des Landgrafen geiſtlicher Konſu-
lent, und mußte ſeine geiſtlichen Grillen aufs reine
bringen. Der Landgraf hatte dergleichen mehrere.
Z. B. wenn er des Nachts nicht ſchlafen konnte;
ſo dachte er an dies und jenes, und wenn ihm etwas
einfiel, worin er ſich nicht zu finden wußte; ſo ließ
er jemanden holen, der ihm ein kompetenter Richter
zu ſeyn ſchien, und ſollte es auch Mitternacht ſeyn.
In geiſtlichen Sachen war Herr Venator ſein gehei-
me Rath und ſein Orakel.
Zum Beiſpiel mag folgendes dienen, das mir
Herr Venator ſelbſt erzaͤhlt hat. Dem Landgrafen
fiel einſt die wichtige Frage ein: ob der hohe Prie-
ſter im alten Teſtament mit bedecktem oder unbedeck-
tem Haupte ins Allerheiligſte eingegangen ſey? Dar-
uͤber konnte er ſich nun nicht finden, und Venator
muſte herbei des Nachts zwiſchen zwoͤlf und eins, um
ihm dieſe wichtige Frage auseinander zu ſetzen. Bei
einer ſolchen naͤchtlichen Conſultation ergriff auch ein-
mal Venator die Gelegenheit, den D. Bahrdt, der
von 1771 bis 1775 in Gießen Profeſſor war, dem
Landgrafen als einen Socinianer verdaͤchtig zu machen,
und ſo — orthodox zu ſtuͤrzen.
Mir ſchien Venator gewogen zu ſeyn: warum?
weis ich ſelbſt nicht: der Auditeur Reinhard gab
mir von weitem zu verſtehen, daß der Herr Feld-
probſt eine Abſicht mit mir im Sinne haͤtte. Es
kann ſeyn, daß das wahr war: aber da aus der
ganzen Sache nichts geworden iſt: ſo hab ich niemals
erfahren koͤnnen, was das fuͤr eine Abſicht geweſen
ſey.
Meine Supplike an den Landgrafen wurde von
Herrn Stauch ſo gut unterſtuͤtzt, daß ich 14 Tage
nach meiner Zuruͤckkunft, ein Dekret erhielt, darin
mir Verſorgung verſprochen wurde, wenn ich mich
in Darmſtadt examiniren ließe, und beſtuͤnde. Ich
ſchrieb deswegen an den Hofprediger Kremer und
an den Superintendenten Olf. Beide antworteten
mir, und beſtimmten mir einen Tag, wo ſie einen
Kandidaten-Examen halten wuͤrden. Ich erſchien,
und wurde in der beſten Form examinirt. Es waren
auſſer mir noch ſechs Kandidaten, deren einige ich
noch von Gießen aus kannte: und da ſtaͤrkte ſich mein
Muth gewaltig, weil mir die große Unwiſſenheit die-
ſer Herren recht gut bekannt war. Der Superin-
tend hielt eine lange aufgeſchriebene lateiniſche Rede,
worin er den Spruch des Apoſtels erklaͤrte: „Wer
„ein Biſchofsamt begehrt, begehrt ein koͤſtliches
„Werk.“ Nachher gings an die liebe Dogmatik,
und zwar an den Artikel vom Abendmal, wo die
ganze Orthodoxie ausgekramt wurde. Ich antwor-
tete fertig, und hatte die Ehre, die hieher gehoͤrigen
Stellen aus dem 10ten und 11ten Kapitel des erſten
Briefes an die Korinther auszulegen. Es wurden
noch mehr Artikel, und beſonders der von der heil.
Schrift mit uns durchgegangen, wobei man die liebe
Inſpiration ſehr vertheidigte. Ich wuͤrde meine
Leſer beleidigen, wenn ich ihnen das Darmſtaͤdtiſche
Examen weitlaͤuftiger beſchreiben wollte: es war erz-
orthodox, ſo orthodox, daß Albertus Grauerus oder
Paſtor Goͤtz ihre Freude haͤtten haben muͤſſen, wenn
ſie dabei geweſen waͤren. — Alle Kandidaten wur-
den approbirt, obgleich einige keine drei Worte her-
vorbringen konnten. Von den Examinatoren fehlte
nur einer, naͤmlich der Hofprediger Stark, welcher
eben damals, oder doch nicht lange vorher nach
Darmſtadt berufen war, und zwar auf Betrieb des
Erbprinzen: denn ſonſt wuͤrde Herr Stark, deſſen
Orthodoxie ſchon damals ſehr verdaͤchtig roch, gewiß
in dieſer rechtglaͤubig Stadt nicht angekommen ſeyn.
Allein da der Erbprinz darauf drang, weil er eben,
wie Herr Stark, ein Freimaurer iſt, ſo hatten die
Herrn Raͤthe das Herz nicht, zu widerſprechen,
und der neue Hofprediger wurde eingefuͤhrt.
Herr Stark hat mir gar nicht gefallen: ich
wollte ihn ſprechen, mußte aber viermal wiederkom-
men, ehe Seine Hochwuͤrden mich vorlieſſen. End-
lich kam ich vor, und erblickte eine Phyſionomie, die
mich gleich zuruͤckſcheuchte: ich fand auch nicht einen
Zug im ganzen Geſicht, der etwas gutes verſpro-
chen haͤtte. Die Unterhaltung war aͤuſſerſt kalt, und
von Seiten des Herrn Stark ſehr nachlaͤſſig. Ich
lenkte mit Fleiß das Geſpraͤch auf den Hephaͤſtio;
aber Herr Stark wollte mir nicht Rede ſtehen: er
ſagte blos, daß man ihn in Koͤnigsberg widerrechtlich
gedruͤckt und verfolgt haͤtte; doch gehorche er der
Vorſehung, und hoffe auf beſſere Zeiten. — Ich
bat ihn, da ich einige deiſtiſche Schriften geleſen
haͤtte, mir eine gute Widerlegung des deiſtiſchen
Syſtems vorzuſchlagen; — und Herr Stark, der
große Litterator, empfahl mir — Nonnotte's Er-
reurs de Ms. de Voltaire. Ich ſtaunte, dieſes
Buch, als eine gute Widerlegung der Deiſten von
einem Manne nennen zu hoͤren, den ich fuͤr ſehr
aufgeklaͤrt hielt, und gab ihm zu verſtehen, daß Non-
notte, deſſen Buch ich auch ſchon in Haͤnden gehabt
haͤtte, der Mann gar nicht ſey, den ich wuͤnſchte.
Je nun, verſetzte Herr Stark gaͤhnend, wenn Ih-
nen der keine Genuͤge leiſtet; ſo leſen Sie Leſſen:
der iſt auch gut. Ich daͤchte aber, Sie haͤtten auf
Univerſitaͤten in den Lektionen uͤber Dogmatik genug
wider die Freigeiſter gehoͤrt: damit koͤnnten Sie zu-
frieden ſeyn. — Ich glaube nicht, daß der Mann
im Ernſt ſo ſprach: vielleicht hatte er ſeine Ruͤckſich-
ten: vielleicht wollte er meiner los ſeyn. — Ich
ging auch bald weg, und aͤrgerte mich uͤber das un-
freundliche Weſen des Ehrenmannes, hernach habe
ich mehrere geſprochen, welche eben ſo von Herrn
Stark waren empfangen worden. Seine Predigt
habe ich auch beſucht; aber eben nichts ſonderbares
gehoͤrt: das Koncept und die Aktion waren beide ſehr
mittelmaͤßig. In Darmſtadt fuͤhrte er ein Leben,
wie ein Einſiedler, ging mit keiner Seele um, und
wurde von Niemanden beſucht: man hielt ihn fuͤr
ſtolz und leutſcheu. Und ſo iſt er noch, wie man mir
geſagt hat. Der Kryptojeſuitismus hat dem armen
Mann viel Verdruß, und ſeine dabei bewieſene Hef-
tigkeit viel Schande gemacht, eben ſo wie dem Buch-
haͤndler Fleiſcher zu Frankfurt am Main — großen
Schaden. Das geht mich aber weiter nicht an.
Auf dieſe Art gehoͤrte ich nun in die Zahl der
Darmſtaͤdter Kandidaten, und erhielt ein vortreffli-
ches Teſtimonium vom Conſiſtorio, worin die Woͤr-
ter praeclare und optime mehrmals angebracht
waren. Indeß auch die Hoffnung, die ich nun
ſchoͤpfen konnte, bald verſorgt zu werden, ging durch
Kabale verloren, wie man bald hoͤren wird.
Drei und dreiſſigſtes Kapitel.
Meine Vikariate.
Der Pfarrer Thiels in Udenheim, drei Stunden
von Mainz, war nicht recht kapitelfeſt. Er war
eben kein vollſtaͤndiger Narr; aber doch ein Haſenfuß,
bei dem es ſtark rappelte. Das Dorf gehoͤrte dem
Baron von Koͤth zu Mainz, der ſich wenig um
den lutheriſchen Pfarrer bekuͤmmerte, und anfangs
die Bauern fortjagte, wenn ſie mit einer Klage
wider ihn einkamen. Endlich wurde der Spekta-
kel zu arg.
Der Pfarrer lief manchmal im Dorfe herum,
pruͤgelte die Jugend, und fluchte wie ein Landsknecht.
Seine Schweſter, welche ihm die Wirthſchaft be-
ſorgte, jagte er von ſich, und drohte ihr, ſie zu er-
ſtechen, wenn ſie ihm wieder vor Augen kommen
wuͤrde. Auch gab er dem Koͤthiſchen Amtmann He-
bel, der ihn einmal zurechte wies, derbe Ohrfeigen.
In die Kirche ging er gar nicht mehr, und ein abge-
ſetzter Schulmeiſter Namens Knoch von Oberſaul-
heim, welcher ehedem ein Bischen Theologie ſtudirt
hatte, verſah ſeine Dienſte. Da konntens dann die
Bauern nicht mehr ausſtehen, und kamen alle Au-
blicke mit Schriften und Klagen bei ihrem Edelman-
ne ein. Herr von Koͤth ſah ſich alſo genoͤthiget
dem Pfarrer einen Vikarius beizufuͤgen und Herr
von Wallbrun zu Partenheim ſchlug mich dazu
vor. Mein Vater, welcher denken mochte, daß
das ſo ein Poſten fuͤr mich werden koͤnnte, gab gern
ſeine Einwilligung, und ich wurde ordentlich inſtal-
lirt. Die Bauern waren auch wirklich ſehr mit mir
zufrieden, und machten mir gleich anfangs ein ange-
nehmes Geſchenk mit zwei Ohm Udenheimer Wein.
Aber eben dieſer Wein haͤtte mich ohne meine Schuld
beinahe in den erſten acht Tagen um Anſehn und
Kredit gebracht. Denn der Oberſchulz Brug von
Niederſaulheim, ein Erzſpaßvogel, ſonſt aber ein
geſcheuter Kopf, ſchmiedete ein Gedicht auf den
Udenheimer Wein, welches er das goldne A B C
titulirte. In dieſem Karmen, das aus lauter Knit-
telverſen beſtand, wurde der Udenheimer Wein ganz
erbaͤrmlich mitgenommen, und als die elendeſte Bruͤ-
he in der daſigen Gegend vorgeſtellt. Ich will einige
Strophen davon herſetzen:
Ya, Ya, ſchreits Eſelein;
Doch gebt ihm Udenheimer Wein
Es wird vor aller Angſt und Pein,
Nicht ferner mehr ſein Ya ſchrein.
Pabſt Pius thu doch in den Bann,
Wer dieſe Bruͤh verdauen kann:
Denn es geſchieht, bei meiner Treu,
Durch Teufels Huͤlf und Hexerei.
Dies Zeug wurde abgeſchrieben, und kam ſo
auch zu den Udenheimer Bauern, deren einige es fuͤr
meine Arbeit ausgaben. Die Bauern ergrimmten
nun ſehr, und ſchwuren, daß ein Menſch, der ſo
ſchlecht von ihrem Wein Der vornehmſte Nahrungszweig der Bauern in jener
Gegend beſteht im Anbau des Weins, welcher ſehr
wohlfeil, aber auch, wie auf dem ganzen Saulgau, den
man vom Rheingau wohl unterſcheiden muß, ſehr ge-
ring und ſchwach iſt. Zu meiner Zeit koſtete das Rhei-
niſche Maaß Wein – zwei Bouteillen – ſechs Kreuzer,
oder 18 Pfennige ſchreiben koͤnnte, ihr Vi-
karius nicht ſeyn duͤrfte. Der Kirchen-Vorſteher,
Jaun, dachte aber ehrlich gegen mich, und behaup-
tete, man muͤſſe die Sache erſt unterſuchen. Er
kam auch wirklich zu mir, und konſtituirte mich.
Hoͤren Saͤ aͤmal, ſagte er zu mir, do hun ſaͤ ge-
ſaat, Saͤ haͤttaͤ aͤ grauſam Ding gemacht uf unſere
Wei. Eß das ach wohr?
Erſter Theil. X
Ich: Da weis ich kein Wort von! Was iſt
denn das fuͤr ein Ding?
Jaun: Do ſeyn daͤ Verſch uf unſere Wei. Eß
eß was grauſames, wie der Wei erunner gemacht eß.
Wonn das die Leute hoͤraͤ, ſaͤ kofe uns ach kaͤn Troppaͤ
maͤh ab.
Ich las die Knittelverſe, und konnte mich
des Lachens nicht enthalten. Dann verſicherte ich
den Vorſteher, daß ich das Gedicht nicht gemacht
haͤtte und es jetzt das erſtemal ſaͤhe: ich daͤchte aber
den Urheber herauszubringen: denn ich muͤßte mich
ſehr irren, oder der Oberſchulz Bruͤg waͤre Verfaſ-
ſer. Jaun gab mir Recht, und ich ſchrieb noch
denſelben Tag an Bruͤg, und erhielt zur Antwort,
daß er die Verſe ſchon vor langer gemacht haͤtte, und
recht froh waͤre, daß es die Udenheimer Grobians
wuͤßten, und ſich baß aͤrgerten. So kam ich bei
meinen Bauern wieder in Kredit, und der Jaun,
ein Bruder des Kirchenvorſtehers, bat mich im Na-
men der ganzen Gemeinde um Nachſicht mit ihrer
Uebereilung.
Mit dem Pfarrer Thiels ward ich ziemlich gut
fertig: ich gab ihm in allem Recht und diſputirte
mit ihm brav aus den Zeitungen. Wir lebten ſehr
friedlich zuſammen, und wenn er manchmal mit mir
zanken wollte; ſo ging ich fort, und ließ ihn ſitzen.
Er kam gar nicht aus ſeiner Stube; ich aber lief flei-
ßig in der Gegend herum, und machte mich ſo luſtig,
als ich konnte. Zu meinem Vater kam ich ſelten;
aber den Amtsverwalter Schoͤnburg beſuchte ich
oft, und fand mich auch oft in meinem Deiſten-
Klubb ein.
Im Sommer 1781 entſtand eine andere Ka-
bale, welche mich vom Vikariat, und den Pfarrer
Thiels von ſeinem Dienſt brachte. Der Hergang
der Sache war folgender:
Der Pfarrer Wagner zu Werrſtadt, in jener
Gegend der Jeſuit genannt In keinem Lande ſind die Ekelnamen haͤufiger als eben
in der Pfalz. Die Geiſtlichen haben deren beinahe alle
einen. So heißt der eine Curtius Rufus, der andere
der Hanebuͤchene; dieſer Langhals, jener Gaͤnſehals
u. ſ. w. Ich erinnere mich nicht, daß jemals we-
gen ſolcher Benennungen ein Injurienproceß gefuͤhrt
waͤre., hatte vier Soͤhne,
welche alle vier Erzignoranten und ſchiefe Priſen wa-
ren. So wenig ſcharf die Conſiſtorien dort herum
ſind, wurden doch die jungen Wagner allemal ab-
gewieſen. Der Vater ſah ſich alſo genoͤthigt, ihnen
eine Pfruͤnde zu kaufen, und ſie auf die Art unter-
zubringen. Der juͤngſte davon, Namens Ernſt Wa-
gner, welchem man den Beinamen Magiſter Weit-
maul gegeben hatte, ſtand damals in Wendersheim,
einem dem Mainziſchen Grafen von Elz gehoͤrigen
Doͤrfchen, als Pfarrer. Hier hatte er eine ſchlechte
Beſoldung, und ſuchte Gelegenheit zu einer beſſern.
Er hoͤrte, daß der Pfarrer Thiels nicht recht bei
Gelde ſey, und glaubte, durch ſeine Bekannte in
Mainz deſſen Stelle erhalten zu koͤnnen. Dieſe Be-
kannte waren der Vikariats-Rath Hettersdorf,
der Karthaͤuſerpater Heinrich Das ſcheint ein Widerſpruch zu ſeyn, da die ſtrenge
Regel der Kathenſermoͤnche bekannt iſt. Aber dieſe
Herren bekuͤmmern ſich in ihren Zellen auch noch ums
Sekulum, und wiſſen gut genug, was darin vorgeht.
Pater Heinrich war einer von denen, die ſich ums
memento mori blutwenig bekuͤmmern. das Orakel des
Herrn von Koͤth, der Amtmann Hebel und ein
Erzſchuft, Namens Brandenburger. Alle dieſe
Leute waren bei dem Herrn von Koͤth ſehr angeſe-
hen: den Hettersdorf und P. Heinrichen hielt er gar
fuͤr Heilige! Hebel war ſein Beamter, dem er alle
ſeine Geſchaͤfte uͤberließ. Denn der Herr Kammer-
herr waren ſchwachen Geiſtes, und Brandenburger
ſorgte ſo fuͤr ſeine menus plaiſirs: er iſt naͤmlich als
ein großer Hurenſpediteur in Mainz bekannt, ich
meyne den Brandenburger, und verſieht Hochwuͤrdige
Gnaden, Excellenzen und Kaufmannsdiener mit leich-
ter Waare, wenn er nur Geld bekoͤmmt. Das mag
denn nun ſeyn; daß aber Leute von Karakter dieſen
Schuft in ernſthaften Geſchaͤften gebrauchen konn-
ten, war mir zu begreifen unmoͤglich, beſonders da
der nichtswuͤrdige Kerl nicht ſchweigen konnte, und
alles, was er wußte, ausplapperte und es noch mit
ſeinen Luͤgen anſehnlich vermehrte.
Die gedachten vier Herren in Mainz, welche
man freilich mit Geld gewinnen mußte, arbeiteten
nun gemeinſchaftlich an dem Sturz des Pfarrers
Thiels, um dem Ernſt Wagner Platz zu machen.
Man wollte aber bei meiner Anweſenheit in Uden-
heim nichts vornehmen, weil ich, als Freund des
Pfarrers, mich gewiß den Machinationen der nieder-
traͤchtiger Kabale widerſetzt haͤtte. Allein zum Un-
gluͤck fuͤr Thiels verreißte ich auf einige Tage zu mei-
nem Vater. Gleich den folgenden Tag kam Herr
von Koͤth, Hettersdorf und Hebel nach Udenheim,
und brachten es theils durch Drohungen, theils durch
gute Worte dahin, daß Thiels gegen 800 Gulden
ſeine Pfarrei reſignirte, und dies eigenhaͤndig unter-
ſchrieb. Als ich zuruͤck kam, erfuhr ich den dummen
Streich, den Thiels gemacht hatte, und aͤrgerte
mich nicht wenig. Selbſt Thiels bereute ſeine Toll-
heit, und heulte wie ein armer Knabe, der ſeinen
Kreuzer verloren hat. Ich lief den andern Tag nach
Mainz, und ſagte dem Herrn von Koͤth, und ſei-
nem Amtmann gerade heraus, daß die Reſignation
des Pfarrers unguͤltig ſey, weil er nicht recht bei
Sinnen waͤre. Herr von Koͤth erſchrak uͤber meine
Vorſtellung; der Amtmann aber ſagte mir gerade
heraus, daß ich die Rechte nicht verſtuͤnde, und da-
her zur Sache nichts ſagen koͤnnte. Den Vikariats-
rath Hettersdorf beſuchte ich auch; aber das iſt ein
kalter Jeſuitenſchuͤler, der mich ohne Troſt fuͤr den
Pfarrer gehen ließ. Nun fragte ich den Aſſeſſor
Schad, meinen Freund, den ich bei Schoͤnburgen
hatte kennen lernen, und der ein vollkommner
Rechtsgelehrter war, was in dieſer Sache Rechtens
waͤre? Dieſer verſicherte mich, daß die Reſignation
des Pfarrers unſtatthaft ſey, daß man aber doch ei-
nen geſchickten Juriſten annehmen muͤßte, der die
Sache erſt bei Hn. von Koͤth betriebe, und wenn
das nichts helfen wuͤrde, zu Wezlar anhaͤngig machte.
Dieſer Rath gefiel mir, und als ich ihn dem Pfarrer
entdeckte, uͤberließ er mir die ganze Sache, und
bath mich, einen geſchickten Advokaten fuͤr ihn anzu-
nehmen. Dergleichen Maͤnner ſind nun in der Pfalz
ſehr ſelten, ob es gleich an Rabuliſten nicht fehlt:
doch fand ich einen in der Perſon des Leiningiſchen
Amtmanns Hn. Suͤſſenmiehl zu Bechtheim,
eines Juriſten, der in der Pfalz, wenige ſeines glei-
chen hat. Ich ſtellte dieſem braven Mann das Un-
recht vor, welches man dem guten Thiels anthun
wollte, und er nahm ſich ſeiner auf eine ſo thaͤtige
Weiſe an, daß das Ding bald eine andere Wendung
nahm.
Mein Vater, welcher inzwiſchen ein Dekret
fuͤr mich zum Gymnaſium in Darmſtadt von Pirma-
ſens erhalten hatte, wovon ich im naͤchſten Abſchnitt
reden werde, trug mir auf, mein Vikariat in Udenheim
aufzugeben, welches ich auch that, obgleich die Bau-
ern ſehr unzufrieden damit waren. Doch fuhr ich
fort, den Pfarrer Thiels zu unterſtuͤtzen, und alles,
was ich vermochte, wider den unwiſſenden intrigan-
ten Wagner in Aktivitaͤt zu ſetzen. Weil ich aber
nicht in den Schranken der Klugheit und Behutſam-
keit blieb; ſo hezte ich mir eine eine Menge Feinde
auf den Hals, und zog mir eine Art von Injurien-
prozeß zu. Die Sache war dieſe.
Wagner hatte ſich mit der Tochter des Poſt-
halters Specht von Duͤrkheim an der Hardt, der
auch zugleich Gaſtwirth und Pfennigskraͤmer war,
verſprochen. Ich und der Oberſchulz Bruͤg nahmen
daher Gelegenheit, zwei Epiſteln in Verſen zu fabri-
ciren, und ſie ſo einzurichten, als wenn die eine von
Wagnern an ſeine Braut, die andre aber von der
Braut an Wagner geſchrieben waͤre. Ich muß
doch meinen Leſern eine davon, die ich noch auswen-
dig weis, mittheilen, naͤmlich die der Jungfer Braut
an ihren Geliebten.
An den Herrn Magiſter Weitmaul.
Herr Gott behuͤte! welche Freud
Schoͤpf ich aus Ihrem Karmen heut!
Sie wollen, daß ich lieben ſoll:
Ach, ich war laͤngſtens Maͤnnertoll!
Kyrieleis!
Ich hab' manch liebe lange Nacht,
Mit Mannsgedanken zugebracht,
Mit Hand und Fuͤßen ſtaͤts gezuckt:
Denn grauſamlich hat's mich gejuckt.
Kyrieleis!
– – – – – –
– – – – – –
Mein goldnes Herr Magiſterlein,
Ich will Ihr Schaͤfchen werden fein;
Sie ſollen ſeyn mein Troͤſter werth,
Den mir der Himmel hat beſcheert.
Kyrieleis!
Ich will mich heben aus dem Staub,
Und tragen eine hohe Haub,
Und ziehen einen Reifrock an,
Da nun Herr Weitmaul wird mein Mann.
Kyrieleis!
Nur machen Sie ſich bald herbei,
Denn in drei Wochen iſt es Mai
Da laſſen Sie die Hochzeit ſeyn,
Und nehmen mich ins Bettelein.
Kyrieleis!
Gewiß, daß mich der Teufel hol',
Wenn ich noch laͤnger warten ſoll,
Und nicht bald Ihnen werd getraut,
So fahr ich wahrlich aus der Haut.
Kyrieleis!
Es geht mir grad, wie meiner Katz,
Drum ſputen Sie ſich lieber Schatz,
Und machen mich fein bald zur Frau,
Sonſt werden mir die Haare grau.
Kyrieleis!
Dieſe Knittelverſe machten ſehr viel Aufſehen,
und waren in kurzer Zeit in der ganzen Gegend
weit und breit bekannt. Die Jungen ſangen ſie auf
der Gaſſe. Daß ich Antheil daran haͤtte, muthmaß-
te man, und auf dieſe Muthmaßung gab Wagner
eine Klagſchrift zu Grehweiler wider mich ein; aber
der Rath Dietſch war zufrieden, daß ich erklaͤrte,
ich ſey nicht Verfaſſer, und ſo hatte der Proceß ein
Ende. Ich habe es aber doch nachher bedauret, daß
ich dieſe Schnurre hatte machen helfen: denn ich ver-
mehrte nur meine Feinde; und ſelbſt Leute, die mir
ſonſt gut waren, lachten zwar uͤber die Poſſen, aber
verachteten doch den Urheber derſelben. Es iſt un-
glaublich, auf welchen Grad man ſeinen Kredit durch
Pasquillen verlieren, und ſich gehaͤſſig machen kann!
Das bischen boshaften Witz muß man wahrlich
theuer bezahlen!
Ohnerachtet aber aller Bemuͤhungen des Amt.
manns Suͤſſemiehl, und andrer Freunde, wollte
doch das Misgeſchick, daß Thiels ſeine Pfarre ver-
lohr. Denn die Magd des Thiels ward ſchwanger.
Sie war, wie ich ſelbſt bezeugen kann, eine erzlieder-
liche Kreatur, und ich habe Bauernkerls genug bei
ihr geſehen. Zu dem hing ſie an einem Kerl von
Niederſaulheim, den ſie auch anfangs als den Urhe-
ber ihrer Entjunferung angab, bis — der vorhin-
genannte Brandenburger ſie durch Geld beredete,
auf den Pfarrer Thiels zu bekennen. Das that der
Schuft auf Anſtiften des Pfarrers von Vendersheim,
wie er ſelbſt mehrmals bekannt hat. So machens
aber ſchlechte Menſchen, wenn ſie zum Zweck gelangen
wollen! Alsdann gelten ihnen alle Mittel gleich: ſie
bedienen ſich der ſchurkiſchten Raͤnke, und werden
dabei nicht einmal roth.
Nun konnte Herr Suͤſſemiehl den armen Thiels
nicht ferner durchhelfen, beſonders da dieſer ſelbſt
vor Angſt und Narrheit, die erkaufte Ausſage der
Magd beſtaͤtigte. Der redliche Suͤſſemiehl war von
der abſcheulichen Kabale des Brandenburgers nicht
unterrichtet: Er zog ſich alſo zuruͤck, und ließ es ge-
ſchehen, daß dem beaͤngſtigten Thiels jaͤhrlich 200
Gulden von den Pfarr-Einkuͤnften lebenslaͤnglich zu-
geſichert wurden. Wagner wurde demnach inſtal-
lirt, Thiels zog ab, und ſeine Sachen verauktionir-
te man unter allerlei Betruͤgereien.
Als ich vor fuͤnf Jahren in der Pfalz war,
hoͤrte ich, daß Wagner immer Zank und Spektakel
mit der Gemeinde haͤtte und uͤberhaupt der Gegen-
ſtand der allgemeinen Verachtung waͤre. Das iſt
auch ſchon recht: er hat es durch ſeine ſchuftigen Ka-
balen wohl verdient, und der Name Magiſter
Weitmaul wird ihm bleiben, ſo lang er lebt.
Thiels iſt immer naͤrriſcher geworden, und hielt
ſich meiſtens in den Kneipen auf, wo er von gewiſ-
ſen Inſecten ſo voll ward, daß er zu keinem ehrbaren
Menſchen mehr kommen durfte. Die 200 Gulden
werden ihm, wie ich gehoͤrt habe, nicht mehr aus-
gezahlt: denn der Herr von Koͤth iſt ohne Erben
geſtorben, und Udenheim iſt Pfaͤlziſch geworden.
Da hat Wagner Wege gefunden, ſich von dieſer
Laſt loszumachen. Freilich wirds beim Hn. Gehei-
merath Koch zu Alzey Geld genug gekoſtet haben:
denn ohne Geld richtet man in der Pfalz nichts aus;
aber mit Geld dringt jeder durch, er mag nun ge-
rechte Sache haben, oder einen ſchuftigen Handel aus-
machen wollen. Da heißt es:
— — venalia nobis
Templa, ſacerdotes, altaria, ſacra,
deusque.
Vier und Dreiſſigſtes Kapitel.
Ich ſoll Konrektor werden.
Herr Stauch hatte gut fuͤr mich geſorgt, und
als Herr Klein, bisheriger Konrektor in Darmſtadt
verſetzt wurde, wuͤrkte er mir ein Dekret vom Land-
grafen zu dieſer Stelle aus. Mein Vater war uͤber
meine ſo nahe ſcheinende Verſorgung faſt auſſer ſich
vor Freude, und um ſo mehr, da ich nicht Prediger,
ſondern Schulmann werden ſollte. In dieſem
Stande, ſagte er, brauchſt du nichts contra con-
ſcentiam zu lehren, wie leider! der Volkslehrer
oft thun muß, um die Schwachen nicht zu zertreten,
und das nicht einzureiſſen, was ſich vermoͤge des Al-
terthums und der langen Gewohnheit entweder gar
nicht, oder doch wenigſtens ohne viel Muͤhe und
Einſicht nicht wieder aufbauen laͤßt. — Ich ſelbſt
fand bei einer ſolchen Stelle mein ganzes Behagen:
denn zum Verkuͤndigen des goͤttlicheugoͤttlichen Worts verſpuͤr-
te ich wenig Neigung. Anfangs arbeitete ich zwar
meine heiligen Reden ſelbſt und ſorgfaͤltig aus, ſo
daß ich oft drei bis vier Tage darauf verwandte;
hernach ward ich kluͤger. Ich folgte dem Beiſpiele
der meiſten meiner geiſtlichen Reiſegefaͤhrten: ich be-
ſtieg den ſanftmuͤthigen Eſelsruͤcken, und ritt, ſtatt
zu Fuße zu gehen, die Poſtillen meiner Vorgaͤnger
und Vorreiter, ganz bequem und erbaulich. Unter
andern Bruͤcken dieſes Bequemern Apoſtoliſirens,
haben mir die Dispiſitionen des Doktor Muͤnters
viel Dienſte geleiſtet. Im Grunde, dachte ich, ſey
es einerlei, ob ich oder ein anderer den Leuten die
chriſtliche Glaubens- und Sittenlehre predige; und
mir war es um ſo mehr einerlei, da ich von dem,
was ich vortrug, wenig oder gar nichts glaubte.
Ich behandelte das Predigtamt, wie ein Handwerk,
bei dem man ſich aller kleinen Vortheile und Kunſt-
griffe bedienen duͤrfte. So dachte und handelte ich,
und ſo denken und handeln, wie mich duͤnkt, jetzt
die mehreſten!
Ich begab mich nach Darmſtadt, und glaubte,
da ich die Hand des Landgrafen hatte, daß meine
Anſtellung keine weitere Schwierigkeit haben koͤnnte.
Allein wie kann der Menſch ſich truͤgen! — Der
Superintendent Olf und der Rektor Wenk hatten
ein anderes Subjekt im Sinne, welches ein gewiſſer
Kandidat Zimmermann war. Dieſer hatte ſich,
auſſer andern ſchoͤnen Kuͤnſten, auch im Verſificiren
geuͤbt und durch gereimte und ungereimte Gratula-
tionen bei den vornehmern Darmſtaͤdtern in große
Gunſt geſetzt. Der Superintendent verlangte daher,
daß ich mich erſt pro re ſcholaſtica, wie er ſich
ausdruͤckte, examiniren laſſen muͤßte. — Ich un-
terzog mich der Pruͤfung, welche Olf und Wenk mit
uns beiden anſtellten, willig, und bewunderte dabei
nichts mehr, als die große Pedanterie und Scharla-
tanerie der beiden Examinatoren.
Der Superintendent diktirte unter andern ein
Exercitium, ohngefaͤhr folgendes Inhalts: „Lieber
„Bruder! meine Struͤmpfe ſind zerriſſen; bitte des-
„halb die liebe Mutter, daß ſie mir neue ſchickt.
„Auch habe ich neulich meine Kappe verlohren, und
„muß eine andere haben. Meine Hoſen wollen
„auch nicht mehr halten u. ſ. w.“ — Ich lachte
uͤber dies laͤppiſche Exercitium uͤberlaut; allein dies
Mokkiren nahm Herr Olf ſo uͤbel auf, daß er mir
einen recht derben Verweis gab. — Ich mußte ihn
hinnehmen: warum ließ ichs mir einfallen, uͤber
einen Geiſtespruͤfer zu lachen! — Meine Verſion
wurde zwar nicht gelobt, aber auch nicht getadelt;
allein Zimmermann hatte mehrere grammatikaliſche
Schnitzer in ſeinem Thema gemacht, und dies war
Waſſer auf meine Muͤhle. Ich freute mich ſchon
innerlich uͤber die Maaße, als Wenk ſie bemerkte
und urgirte; aber wie es die Dummkoͤpfe zu machen
pflegen, Zimmermann gab ſie fuͤr Schreibfehler
aus So ohngefaͤhr, wie Herr Prof. P. in der litteratur
Zeitung 1791 die lieblichen Schnitzer: oſtendidir,.
Unter dieſen Umſtaͤnden glaubte ich, gut beſtan-
den und tuͤchtig befunden zu ſeyn, die Stelle zu er-
halten; aber mein Freund, der Hofprediger Kre-
mer, aͤuſſerte doch große Bedenklichkeit, und rieth
mir, auf meiner Huth zu ſeyn, da man Kabalen
wider mich ſchmieden wuͤrde. In der Meinung, daß
doch der Fuͤrſt ſein Wort halten muͤſſe, ſchien mir
dieſe Muthmaßung unwahrſcheinlich, und ließ mich
daher weder durch ihn, noch durch andere irre ma-
chen. Allein Kremers Vermuthungen waren nicht
ohne Grund geweſen: dies lehrte der Ausgang der
Sache. — Rektor Wenk, ein eben ſo geſchickter
Schulmann als gruͤndlicher Hiſtoriker, welches letz-
tere, wie mich duͤnkt, er in ſeiner Heſſiſchen Ge-
ſchichte hinlaͤnglich bewieſen hat, war ſehr freundlich
gegen mich, gab mir indeß doch zu verſtehen, daß
er es lieber ſaͤhe, wenn Zimmermann die Stelle er-
hielte. Damals gefiel mir dies Benehmen nicht;
allein uͤberlege ichs jetzt nun kaltblutig, und bedenke
ich, daß der verſtorbene Landgraf meiſt Auslaͤnder
quarundarum, provinciam offertam, tota orbis lit-
teraria, und andere mehrere als Schreibfehler ange-
ſehen wiſſen will: Denn Druckfehler koͤnnen dies eben
ſo wenig ſeyn, als das rationem obmuteſcendam eſſe
in einem ſonſt guten Compendium der Dogmatik S. 3.
lin. 9. Oder der ganze Mann iſt ein Druckfehler, und
dann laͤßt ſichs entſchuldigen!
und wenig Inlaͤnder befoͤrderte; ſo kann ichs weder
ihm noch dem Superintendenten verdenken, daß ſie
die Stelle lieber mit einem Landskinde als mit mir
beſetzen wollten. Nur haͤtte keiner von beiden ſich
niedertraͤchtiger Kabalen bedienen ſollen, um den
Zimmermann zu befoͤrdern und mich hintan zu ſetzen.
Dergleichen iſt ſchlecht; und doch thaten ſie es.
Ich hatte im Darmſtaͤdtſchen einige Feinde. Da-
hin gehoͤrt Mosje Jawand, damals Buͤchſenſpan-
ner beim Erbprinzen, welchem ich einmal auf die
Fuͤße getreten hatte. Dieſer Mosje Jawand, der,
wie die Leute ſeines Geſchlechts, viel bei Hofe galt,
und der Zimmermanns Goͤnner war, brachte es bei
ſeinem Prinzen dahin, daß dieſer nach Pirmaſens
ſchrieb, und Zimmermannen zu der Stelle empfahl,
die mir zugedacht war. Das war eins aus dem
Kapitel der Vorſehung und Regierung Gottes in der
Menſchenwelt! Ferner hatte ich Wagenern von
Udenheim beleidigt, und dadurch ſeine Feindſchaft
mir zugezogen. Wagener war, wie alle kleinen
Seelen, auf niedrige Rache bedacht. Man hoͤre,
wie ers anfing! —
Der jetzige Amtmann von Niederſaulheim
wollte damals eben die Schweſter des Wageners
heirathen. Jener war ehemals Hofmeiſter des jun-
gen Herrn von Wallbrunn in Darmſtadt geweſen,
hatte mich in Gießen kennen gelernt, und trieb ſich
nachher unſtaͤt und unverſorgt herum, bis Herr von
Wallbrunn ſeinen bisherigen Amtmann Wolf in
Niederſaulheim, einen Mann ohne Vermoͤgen, einen
Vater mit ſechs Kindern, einen braven gelehrten
Mann, einen nahen Anverwandten des Herrn Prof.
Schloͤzers in Goͤttingen, blos deshalb abſetzte, um
den Hofmeiſter — ſein Name iſt mir nicht ganz mehr
erinnerlich; allein den wenigen Spuren meiner Ge-
daͤchtnißkraft zu folge, heißt er Walther — ins
Brodt bringen zu koͤnnen.
So war denn dieſer unwiſſende Menſch, wel-
chen der Oberſchulz Brug nicht ſelten geketzert hat,
in die Pfalz gekommen; Wagener hatte ihn wider
mich aufgebracht und die Procedur ging folgender-
maßen. Der neue Amtmann ſteckte ſich hinter ſeinem
Herrn, und dieſer, vom Apellationsrathe Hoͤpf-
ner, ehemaligen Profeſſor in Gießen, und einem
Kandidaten, Namens Baumann, der mich noch
von Gieſſen aus haßte, unterſtuͤtzt, verfertigte eine
ſehr ſchlimme Schilderung von meinem Charakter,
und ſchickte ſelbige nach Pirmaſens an den Feldprobſt
Venator. — Bisher hatte ſich Herr Stauch
meiner angenommen; allein da dieſer durch Venator
Nachricht davon erhielt, und der Landgraf ihn mer-
ken ließ, daß er gern den Zimmermann befoͤrdert
Erſter Theil. Y
ſaͤhe; ſo nahm er ſich meiner nicht weiter an. —
Ich benahm mich hierbei ſo ziemlich leidlich. Die
Nachricht, daß Zimmermann an die per decretum
Sereniſſimi mir zuerkannte Stelle gekommen ſey, er-
trug ich ohne viele Kraͤnkung; allein die vom Hof-
prediger, Herrn Kremer, jetzigen Oberpfarrer zu
Rheinheim, nach der Hoͤpfner und der Baron von
Wallbrunn vermoͤge ihrer elenden Relationen an mei-
nem Durchfall Schuld geweſen waren, aͤrgerte mich
ganz grimmig. Ich ſah indeß den Zuſammenhang
der ganzen Kabale ſehr gut ein, und fand in meinem
unbeſonnenen Betragen gegen den Pfarrer Wagener,
ſonſt Magiſter Weitmaul genannt, mancherlei
Urſache dazu; allein, ſtatt kluͤger zu werden, ſuchte
ich mich durch neue auf ihn verfertigte Schmaͤhſchrif-
ten zu raͤchen, die theils den vatinianiſchen Haß der
ganzen Wageneriſchen Familie vermehrte, theils bei
ihrem Anhange mir neuen zuzog. — Ich verfer-
tigte naͤmlich eine genealogiſche Tabelle der Wage-
ners, welche ich von dem Famulus des beruͤchtigten
Schwarzkuͤnſtlers, Doktor Fauſts, der auch Wa-
gener geheißen haben ſoll, abſtammen ließ. Dies
Ding wurde fleißig geleſen, und wurde ſogar mit
Beifall beklatſcht und belacht. So angenehm ich
aber andern dadurch geworden war, ſo vielen Ver-
druß und ſo viele Vorwuͤrfe zog ich mir deshalb bei
meinem Vater und meinen Anverwandten zu.
Ich ſchaͤme mich faſt, hier zu geſtehen, daß ich
ein ſehr unedles Mittel anwandte, mich an den Wa-
genern zu raͤchen: aber ich muß aufrichtig ſeyn. —
Der aͤlteſte Bruder des Pfarrers von Udenheim mit ſei-
nem Schimpfnamen, in jener Gegend der Hoſenknopf
genannt, hatte ſich die Pfarre zu Mommenheim,
einem katholiſchen Edelleuten zugehoͤrigen Dorfe,
fuͤr baar Geld gekauft. Die Bauern, welche die
kraſſe Ignoranz des Menſchen aus den Nachrichten
anderer, deren ſie in dieſem Stuͤcke gern glaubten,
ſchon kannten, und nun noch ſeine niedrigen Sitten
und ſeine ſaͤuiſche Lebensart mit Augen ſahen, fingen
einen Prozeß wider ihn an, und forderten von ihren
Edelleuten, daß das uͤber allen Glauben elende Sub-
jekt ſollte removirt werden. Der Prozeß kam nach
Wezlar; allein das Kammergericht ging, wie die
Juſtiz nach alter Gewohnheit immer zu gehen pflegt,
den langſam kriechenden Schneckengang, und ſo ver-
gingen mehrere Jahre, bis endlich die Bauern des
Prozeſſirens uͤberdruͤſſig wurden, und die Sache lie-
gen ließen. Dies aͤrgerte mich. Ich feuerte alſo die
Bauern von neuem an, ſchanzte ihnen einen recht
beiſſigen Advokaten zu, und brachte es durch meine
Veranſtaltung endlich dahin, daß die Mommenhei-
mer Gemeinde Deputirte nach Wezlar ſchickte, wel-
che ſo lange dableiben mußten, bis der Prozeß zu
Wageners Nachtheil entſchieden ward. — Ich ge-
ſtehe gern, daß dieſe meine Handlungsart unedel und
niedrig, und vielleicht Folge von dem Ausſpruche
Juvenals war:
At vindicta bonum, vita jucundius ipſa,
und daß ich die Vorwuͤrfe, die mir mein Vater, der
alle Kabalen haßte und verabſcheuete, deshalb machte,
wohl verdient hatte; indeß dem Wagener, der der
allgemeine Gegenſtand der Verachtung und des Spot-
tes aller klugen Leute in daſiger Gegend war, geſchah
hierdurch keinesweges Unrecht. Es war unedel von
mir in ſofern, da mich die Sache nichts anging, und
Rachſucht, geſetzt ſie beabſichtet auch keine Schurke-
rei, groͤßtentheils unter der Wuͤrde des Menſchen iſt.
Mancher ſkandaloͤſen Auftritte beſchuldigte man
mich auſſerdem, woran ich aber auf Ehre nicht Schuld
war. So iſt z. B. der Udenheimer Pfarrer, kurz
vor meiner Abreiſe nach Halle, zwiſchen Werrſtadt
und ſeinem Dorfe von einem Bauernkerl, — ſo
hat es ihm wenigſtens geſchienen, — jaͤmmerlich
ausgepruͤgelt worden, und man ſchob das Ding
auf mich, als haͤtte dergleichen nur auf meinen
Betrieb und auf meine Veranſtaltung geſchehen
koͤnnen. Das war nun falſch geſchloſſen! Ich
habe keinen Antheil daran gehabt, ſonſt wuͤrde ichs,
da mir ein Geſtaͤndniß ſolcher Art jetzt nicht ſchaden
koͤnnte, frei geſtehen. Das Ding laͤßt ſich erklaͤren,
ohne mich zum Schluͤſſel zu nehmen. Wagener hatte
viele Feinde, die ihm aufpaßten, folglich war eine
Pruͤgelſuppe gar kein ungewoͤhnliches und auslaͤndi-
ſches Gericht fuͤr ihn, zumal in der Pfalz, wo der-
gleichen Auftritte nichts Neues ſind. Dies macht
aber der Wein, der hier geſoffen und nicht getrun-
ken wird.
Man kann ſich leicht vorſtellen, daß mein Va-
ter auf die Nachricht, daß ich wegen meines in Gie-
ßen und ſonſt gefuͤhrten Lebens Repulſe erhalten und
die Konrektorſtelle in Darmſtadt nicht erlangt haͤtte,
recht ernſtlich boͤſe auf mich geworden ſey. Er hielt
mir eine recht derbe Strafpredigt deshalb, und er-
mahnte mich bei allem, was ihm theuer und heilig
war, anders zu leben, und geſetzt zu werden. Ich
verſprach alles, und mein Vater troͤſtete mich, daß
dann noch alles gut werden wuͤrde. Ich ſchoͤpfte
hierzu um ſo mehr Muth, da der Pfarrer Stuber
an Herrn Stauch ſchrieb, und meinem Lebenswandel
eine lange Apologie hielt. Er gab die Berichte der
Darmſtaͤdter Herren fuͤr lauter Laͤſterungen aus, und
bat, daß Stauch ſich ferner meiner annehmen moͤchte.
Dies geſchah auch, und ich bekam abermals ein De-
kret vom Landgrafen, daß ich naͤchſtens ſollte befoͤr-
dert werden. Ich habe aber von dieſem letztern
Dekret niemals Gebrauch gemacht; und wenn ichs
auch haͤtte thun wollen, ſo wuͤrde ich doch deshalb
nie reuͤſſirt haben, weil Meiſter Olf, der Super-
intendent zu Darmſtadt, bei der Beſetzung des Kon-
rektorats mein erklaͤrter Feind geworden war. Ich
hatte naͤmlich in dem Hauſe des Faſanenmeiſters
Jawand zu Dornberg dieſen Herrn Olf als den
abſcheulichſten Dummkopf beſchrieben, und eine ge-
druckte Predigt von ihm gemuſtert und mit allerlei
ſpoͤttiſchen Anmerkungen verſehen. Dieſer leichtſin-
nige Streich war dem theuren Mann bei Gelegenheit
der Konrektorei hinterbracht worden, und er hatte
in heiligem Grimm geſchworen, daß er ſein Haupt
nicht geſund tragen wolle, wenn ich in ſeinem Lande
Speiſe und Trank bekaͤme fuͤr die Weidung geiſtli-
cher Schaafe und Laͤmmer.
Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.
Ein Schuft wird mein Patron.
Nachdem ich in Darmſtadt durchgefallen war, durch-
irrte ich aus Langerweile und Unluſt gegen das Da-
heimſitzen die ganze umliegende Gegend unſtaͤt und
fluͤchtig, faſt wie Kain. Meine vielen Bekannten
in dem Kreiſe erleichterten mir mein Leben, und oft
verfloſſen drei bis vier Wochen, ehe ich wieder der
Wohnung meines Vaters zueilte. Dieſer war zwar
mit meinem Umherlaufen wenig zufrieden, weil er
es aber der Mißmuth zuſchrieb, die ich, ſeiner Mei-
nung nach, uͤber mein Misgeſchick empfand, ſo ließ
ers unter der vaͤterlichen Einſchraͤnkung, keine Exceſſe
zu machen, gut ſeyn. Freilich in den Haͤuſern des
Inſpektors Birau zu Alzey, meines Stubers,
Freſenius und anderer gingen auch keine Exceſſe
vor; aber wenn ich beim Chirurgus L., im Bock
zu Flonheim oder ſonſt in einer Kneipe kampirte; ſo
wurde nicht nur ſehr ſcharf geſoffen, ſondern auch
anderer Unfug getrieben. — Ich verlohr durch dieſes
rohe und unbeſtimmte Leben nach und nach alle Ach-
tung fuͤr meinen Kandidatenſtand, und da galt es
mir gleich viel, mit wem ich umging, wovon ich
redete, und wie ich mich betrug. Ich ſaß oft ganze
Naͤchte in den Bauernkneipen, und raiſonnirte mit
den beſoffenen Kerls uͤber allerlei. Die Leute hoͤrten
mich immer gern ſchwatzen, und da ich in jener Ge-
gend fuͤr einen Gelehrten paſſirte, ſo ſchaͤtzten ſichs
faſt alle fuͤr eine Ehre, wenn ich bei ihnen ſaß und
mit ihnen zechte. Dieſes Betragen ſchwaͤchte meinen
Kredit bei dem geiſtlichen Stande noch mehr, und
ich ſank ſo ſehr in meiner beſondern Achtung, daß
meine Freunde, beſonders mein ehrlicher Haag und
mein guter Job, mich oft und angelegentlich baten
und ermahnten, anders und beſſer zu werden, we-
nigſtens den Beſuch der Wirthshaͤuſer einzuſtellen.
Allein es half nichts: ich aͤſtimirte mich ſelbſt nicht
mehr, wie ſollte ich alſo fuͤr meine Reputation ſor-
gen! — dies war fuͤr mich nicht moͤglich, meine
Lebensart war andere Natur, und ich ließ mich bis
zu den gemeinſten Geſchoͤpfen herab.
Der Wirth im Bock zu Wonsheim hatte eine
Magd, mit welcher ich bei der Gelegenheit in Be-
kanntſchaft gerathen war, weil ich, wenn ich zu
Schoͤnburg nach Neubamberg gehen wollte, Wons-
heim paſſiren mußte. Dieſe Bekanntſchaft ſtieg bis
zur Vertraulichkeit, und ward der Gegenſtand der
muͤßigen Schwaͤtzerzungen, welche, auſſer vielem
andern naͤrriſchen Zeuge, auch das von mir aus-
ſprengten, daß das Maͤdchen von mir ſchwanger
ſey. Ich bekuͤmmerte mich um das Geruͤcht der
ſkandaloͤſen Chronik nicht; denn es war falſch.
Schon ſeit einigen Jahren war ich auch mit
einem gewiſſen Baron von F. aus M. bekannt. Die-
ſer Edelmann war zwar katholiſch der Profeſſion
nach, aber ſeiner Praxis zu folge, war er ein Freigeiſt;
zwar mehr aus Leichtſinn und Spottſucht, wie viele
dergleichen Helden, denn auch der Unglaube hat ſeine
blinden Anbeter, als aus Grundſaͤtzen. Dieſer F.
war ein eingemachter Wolluͤſtling, der ganze Tage
bei Wein und in Geſellſchaft feiler Menſcher, nach
denen er ohne alle Delikateſſe jagte, zubrachte. Zo-
tenreiſſen und fluchen waren ſeine ſchoͤnen Kuͤnſte:
und ſeine einzige Wiſſenſchaft, da er von allen uͤbri-
gen Kenntniſſen entbloͤßt war, beſtand darin, daß er
Tag und Nacht auf den Strich ging, Maͤdchen,
wie Lerchen, fing, und dieſen die Taille verdarb.
Sonſt war er ein ganz guter Menſch, d. h. ganz ſo,
wie wolluͤſtige und kreuzliederliche Leute zu ſeyn pfle-
gen: ſie theilen mit was ſie haben, und freuen ſich,
wenn ſie fuͤr ihr Geld einen Zirkel gleichgeſinnter
Menſchen errichten koͤnnen, die eben ſo ausſchweifen
und tolliren als ſie. Ich hatte dieſen Herrn von F.
zwar bei dem Amtsverwalter Schoͤnburg kennen ler-
nen; allein unſere wechſelſeitige Hauptfreundſchaft
war waͤhrend meines Vikariats in Udenheim zu Nie-
derolm, im Hauſe des Wirthes Noll auf folgende
Weiſe geſtiftet worden.
Der Paſtor Jacobi in Niederolm, einem
zwei Stunden von Mainz gelegenen Dorfe, hatte
eine Baſe oder Nichte bei ſich, welche zwar nicht
ſchoͤn war, uͤbrigens doch Reize genug hatte, jun-
ge Leute luͤſtern zu machen. Herr Dorſch mein
Freund, Amtsverwalter daſelbſt, verſchafte mir zuerſt
Bekanntſchaft in dem Hauſe dieſes Paſtors, den ich
denn nachher von ſelbſt, da uͤberdem Udenheim nur
eine Stunde weit davon liegt, oͤfters beſuchte. Einſt,
da ich dahin geritten war, und nach abgelegter Viſite
meinen Gaul aus Noles Wirthshauſe, wo ich logirte,
wieder abholen wollte, rief mich der Baron F. an,
und noͤthigte mich, auf ſein Zimmer zu kommen.
Ich thats, und es wurden zuerſt einige Glaͤſer Wein
verſenkt. Hernach fragte er ſogleich, wen ich be-
ſucht haͤtte, und auf meine Antwort, daß ich beim
Hrn. Paſtor geweſen waͤre, kam er auſſer ſich und
rief: „ei! Schwerenoth! da haben Sie ja auch das
huͤbſche Fratzchen geſehen? — Schwerenoth! wenn
ich doch auch da koͤnnte bekannt werden! — — “
Ich: Das koͤnnen Sie leicht. Gehen Sie
nur hin: der Paſtor iſt ein hoͤflicher freundlicher
Mann.
Er: Herr ſchaffen Sie mir Bekanntſchaft und —
ich verſchreibe Ihnen Leib und Seele, wie man ſie
dem Teufel verſchreibt. —
Ich: Die Verſchreibung iſt unnoͤthig. Wiſſen
Sie was? auf den Sonntag kommt Mamſel Jacobi
mit der Tochter des Chirurgus nach Udenheim zu
mir — kommen Sie auch und — Ihre Bekannt-
ſchaft iſt gemacht.
Er: Topp! Freund! Ihr ſeyd mein Mann! —
(greift nach dem Glaſe) Auf gute Freundſchaft, du
und du! —
Ich: Blox! — Da hab ich wieder einen
neuen Dutzbruder. —
Er: Kerl! hol mich der Teufel — biſt mein
Mann! — Nur halt Wort, und ſey geſcheut! —
Auf den Sonntag puncto ein Uhr bin ich bei
dir! — —
Nach dieſer Abrede ritt ich nach Udenheim, und
mein Herr Baron F.... nach Mainz. Sonntags Vor-
mittags kamen die Mamſellen, und um ein Uhr war
Bruder F.... da. Er ſpielte den Unſchenirten ſo
huͤbſch, daß das Frauenzimmer ſeine innige Freude uͤber
ihn empfinden mußte. Ich merkte bald, daß Mamſell
Jacobi eben nicht boͤſe ward, wenn der Ritter ihr
nahe kam, und Handgriffe wagte. Es wurde ge-
lacht und geſchaͤkert, bis gegen ſechs Uhr hin, wo
die Maͤdchen aufbrechen wollten. Der Baron hatte,
wahrſcheinlich abſichtlich, eine Kaleſche bei ſich, und
war alſo im Stande, ſowohl ſeinen eigenen, als den
Wuͤnſchen der beiden Schoͤnen ein Genuͤge zu lei-
ſten. — Ich war daruͤber nicht eiferſuͤchtig und
neidiſch — Dies iſt mein Zug nicht — vielmehr
freuete ich mich, daß ich einem jungen Menſchen zum
Anfange einer Liebſchaft geholfen hatte. Einige Zeit
hernach bekannte mir F...., daß ſeine Liebſchaft gut
von ſtatten ginge: und das dies keine Luͤge war, be-
wies das allgemeine Geruͤcht, welches in der dortigen
Gegend von dem aͤrgerlichen Umgange der Nichte
ſeiner Hochwuͤrden, des Herrn Paſtors Jacobi, mit
dem Baron von F.... zirkulirte. Aber das taugte
nicht und war intolerant, daß die Leute daſiger Ge-
gend zuviel und gerade das Schlimmſte ſupponirten.
So gehts indeß in der Welt! — Huͤbſch und artig
zeigte ſich der Baron auch nicht. Er machte es, wie
die meiſten ſeines Gleichen: er ließ das buͤrgerliche
Ding, was er karreſſirt hatte, ſitzen, heurathete
eine aus adlichem Blut entſproſſene, und Mamſel
Jacobi mußte, um nur mit Ehren unter die Hau-
be zu kommen, den oben genannten Gaſtwirth
Noll heurathen. Dies war nun kein Cavalier
Streich! —
Meine Acquiſition war indeß doch gut; denn
Herr von F.... hat mir, ſo lange ich mit ihm um-
gegangen bin, viel Freundſchaft erwieſen. Ich wuͤrde
ſeinen Namen ausſchreiben; da ich aber noch meh-
rere Streiche und Schwaͤnke mittheilen will, die wir
gemeinſchaftlich mit einander ausfuͤhrten; ſo mag
der erſte Buchſtabe hinreichen. In jenen Gegen-
den, wie ich glaube, verſteht man doch, wen ich
meine.
Nachdem ich in Darmſtadt nicht hatte reuͤſſiren
koͤnnen, und ich mich nachher, wie ſchon geſagt, in
der Gegend unſtaͤt umhertrieb, traf ich einſt meinen
treuen Baron F... beym Licenciaten M...... in
Kreuznach, der ein ſehr fideler Bruder war. „Ei!
„du infamer Schlingel, ſchrie er mir entgegen, als
„ich ins Zimmer trat, wo kommſt du her? Hab
„ja dich, wer weis wie lange, nicht geſehen! —
„Wollt, der Teufel holte dich!“ — Das war nun ſo
ein Compliment; aber in unſern Zirkeln waren ſie
nicht beſſer gebraͤuchlich. Ich erzaͤhlte ihm mein in
Darmſtadt gehabtes Malheur, die Kabalen daſelbſt
und deren wahrſcheinliche Urſachen. Er fuͤhlte ſtark
das Haͤßliche darin, verfluchte die Kabbaliſten bis
in den tiefſten Abgrund, und verſicherte mich, daß,
wenn er einen ſolchen politiſchen und moraliſchen
Moͤrder ertappen wuͤrde, er ihn zuſammenſchießen
und, wie das angeſchoſſene Wild, krepiren laſſen
wolle. Dis klingt zwar hart, aber der Baron hatte
auch Gefuͤhl und rechtes Gefuͤhl fuͤr das Schickliche
und Menſchliche. — Nun, fuhr er fort, mußt du
mit nach Mainz: ich hoffe, fuͤr dich alten Schweden
etwas thun zu koͤnnen. — Ich mußte auch wirklich
mit nach Mainz. Hier lebten wir mehrere Tage
fidel und gedachten des uns getroffenen Ungluͤcks
nicht. Der Baron machte mir Vergnuͤgen allerlei
Art, wozu auch dieſer Auftritt gehoͤrt. Er ſagte
unter andern, er wolle einen Kerl kommen laſſen,
mit dem man den Teufel im freien Felde fangen
koͤnnte. Einen ſolchen Menſchen mocht ich gern ein-
mal ſehen, und ſiehe da, dieſer Teufelsjaͤger war der
ſchon oben beſchriebene Mosje — Brandenburger.
Hier iſt unſer Geſpraͤch.
Baron F.: Hoͤre du Hoͤllenbrand, du ordent-
licher und auſſerordentlicher Ambaſſadeur des Satans,
willſt du mir zu Dienſten ſeyn?
Brandenburger: Von Herzen gern, gnaͤ-
diger Herr, mit meinem Blute. —
Baron F.: Hat den Henker von deinem
Blut! Glaub, haſt ſo nur Wagentheer in den
Adern. — Zwei Dinge ſollſt du mir ausrichten.
Einmal beſorgſt du einige ordentliche Menſcher auf
den Abend in Dillmanns Garten.
Brandenburger: Blox! gnaͤdiger Herr,
da hab ich Waare! — Mein Seel Waare, wie
Sie noch nicht geſehen haben! — Herrliche Maͤ-
del! — Blox! wenn Sie ſie ſehen, die Augen ſte-
hen Ihnen auf, wie einem abgeſtochenen Kalbs-
kopfe.
Baron F.: Gut! aber Kerl, wenn die Ca-
naillen nicht koſcher ſind, ſo brech ich dir deinen ver-
fluchten Hals, und ſchicke dich einige Tage fruͤher
zum Teufel, Verſtehſt du mich? — Fuͤrs andere
will ich dich fragen, ob du keine lutheriſche Pfarre
vakant weißt, da fuͤr den (auf mich zeigend.).
Brandenburger: O Herr Baron, dazu
ſoll Rath werden. Blox, wenn der Herr Geld an-
wenden kann und will, ſo wirds nicht fehlen. Mor-
gen ſag ich Ihnen davon mehr. (ab)
Wir marſchirten gegen Abend nach Dillmanns
Garten, und der Bube hatte Wort gehalten: es
waren wirklich einige Maͤdchen da, dem Geſicht und
der Taille nach ganz niedliche Nymphen, welche, ſo
bald wir ankamen, ſich zu uns ſetzten, und uns die
Zeit ſo vertrieben, wie man es nur von dergleichen
Geſchoͤpfen erwarten kann. Wir blieben die ganze
Nacht in dieſem Garten, und Herr von F.... wel-
cher die Zeche allein gut machen wollte, mußte den
Morgen gegen 18 Gulden bezahlen, die Gratiale
abgerechnet, welche die Maͤdchen auſſerdem nebenher
bekommen hatten. Wie viel koſtet doch Wolluſt und
Ausſchweifung nicht! —
Brandenburger beſuchte uns den andern Tag
und berichtete, daß der Graf Schoͤnborn, Wie-
ſenheitſcher Linie, der ſeine Guͤter in Franken, ober-
halb Aſchaffenburg hat, eine lutheriſche Pfarre zu
vergeben haͤtte; daß aber der Prediger noch lebe,
jedoch den Tod ſchon auf der Zunge habe, und bald
abfahren muͤſſe u. ſ. w. Die Pfarre habe der Graf
dem Domvikar Stark uͤbergeben, und dieſem er-
laubt, ein Subjekt zu waͤhlen, und ſich von dieſem
die Gebuͤhren bezahlen zu laſſen. Mein F.... fand
die Sache etwas unglaublich und drohte, dem Bran-
denburger Naſen und Ohren abzuhauen, und ihn
noch obendrein zu kaſtriren, wenn er uns hinterginge;
aber Brandenburger blieb dabei, es ſey wahr.
Wir zogen Erkundigung ein, und Herr Stark
verſicherte, daß Brandenburger wahr geredet habe,
daß er es auch wohl zufrieden ſey, wenn ich die
Pfarrei mit 200 Dukaten bezahlte und erhielte, da
ſie jaͤhrlich 600 Gulden eintruͤge u. ſ. w. Ich aͤuſ-
ſerte meine Verwunderung gegen Baron F....,
das ein angeſehner Geiſtliche, wie Herr Stark,
gegen einen Hurenſpediteur, wie Herr Brandenbur-
ger, vertraut ſeyn koͤnnte. Ja, war Herrn von
F.... Antwort, da verſtehſt du den Henker da-
von! — die Pfaffen muͤſſen dergleichen Geſindel
auf ihrer Seite haben: denn woher bekaͤmen ſie ſonſt
ihre Menſcher?
Ich ſchrieb nun an meinen Vater den Vorfall;
doch ließ ich den ſchuftigen Brandenburger aus dem
Bericht. Er antwortete mir wieder, daß er es
herzlich gern ſaͤhe, wenn ich koͤnnte befoͤrdert werden,
damit ich einmal aus dem liederlichen und wuͤſten
Leben herausgeriſſen, und in eine beſtimmte Renn-
bahn verſetzt wuͤrde. Ich ſollte die Sache mit Herrn
Stark gewiß machen, aber auch mit dem Grafen in
Mainz reden, damit das Ding am Ende nicht auch
wieder ſchief ginge: er wuͤrde dann, im Fall die
Pfarrei mir wirklich conferirt ſeyn wuͤrde, das Geld
ſchon bezahlen. Nun wurde ein Aufſatz gemacht,
Stark und ich unterſchrieben ihn und Baron F....
ſignirte ihn qua teſtis. F.... ſchlug mir nun vor,
eine Tour nach Franken zu machen, wohin er mich
begleiten wollte, um die Pfarrei zu beſehen, und
naͤhere Nachrichten davon einzuziehen. Mir behagte
der Vorſchlag, und — die Reiſe ging vor ſich.
Sechs und dreiſſigſtes Kapitel.
Reiſe nach Franken à la Don Quixote.
Wir reiſten bis nach Aſchaffenburg auf dem Main
zu Waſſer, und nahmen von da aus Pferde. Wir
kamen innerhalb drei Tagen in dem Orte an, wo
ich nach Brandenburgers Anſtalten fuͤr die Zukunft
den Bauern das Evangelium predigen ſollte. Das
Dorf hieß, wenn ich nicht ſehr irre, Uthoffen, und
war eben keins von den angeſehnſten, ob es gleich
auch nicht zu den ſchlechteſten gehoͤrte. Wir ſtiegen
im Wirthshauſe ab, und ließen uns auftiſchen, was
das Zeug hielt, oder vielmehr, was des Wirths
Kuͤche und Keller vermochten. Fruͤh Morgens
fragte der Baron den Wirth nach dem Befinden des
Pfarrers, ob er noch huͤbſch geſund ſey u. ſ. w.,
und die Antwort war, daß er zwar geſund, aber
ſchon aͤuſſerſt alt waͤre, und er es wol nicht lange
mehr machen koͤnnte. Dieſe Nachricht war mir eben
nicht ſehr unangenehm. So geh er hin, ſagte F...
zum Wirthe, und ſage er dem Herrn Paſtor: der
Baron (ich weiß nicht mehr, was F... ſich fuͤr einen
Namen gab) und ſein Schloßprediger Herr (auch
Erſter Theil. Z
mein cognomen iſt mir entfallen) waͤren hier, und
wuͤnſchten ihn zu ſprechen. Dictum factum. Der
Wirth kam zuruͤck und ſagte, der geiſtliche Herr
wuͤrde es ſich fuͤr eine hohe Ehre ſchaͤtzen, wenn ſo
vornehme Herren bei ihm einſprechen wollten. Wir
fanden an dem Pfarrer einen Greis, der zwar kein
gelehrter aber doch ein ſehr ehrlicher, aufrichtiger
und freundſchaftlicher Mann war. Er ſuchte uns
nach ſeiner Art ſo gut als moͤglich zu bewirthen, mit
warmen Bier und — Schnaps: denn Wein iſt in
daſiger Gegend ſelten, obgleich er weit wohlfeiler als
in Sachſen iſt. Wir zogen den letztern vor.
Der ehrliche Alte, welcher uns beide fuͤr Pro-
teſtanten hielt, kam auf das Kapitel der Katholiken,
und da war des Klagens kein Ende. Er erzaͤhlte
mit dem groͤſten Feuer, wie die Proteſtanten von
dieſen in Franken auf alle Weiſe geneckt und gedruͤckt
wuͤrden, und wie beſonders der Fuͤrſtbiſchof zu Bam-
berg viel Intoleranz ausuͤbe. Ich gab mein Befrem-
den daruͤber zu erkennen, da ich das Gegentheil gehoͤrt
hatte, und der Pfarrer erzahlte mehrere Beiſpiele
von Neckereien und Unterdruͤckungen, daß ich meine
vortheilhaften Begriffe von der Religionsduldung
dieſes Fuͤrſten fahren ließ. Ich fand, was ich im-
mer erlebte, auch hier beſtaͤtigt. Die roͤmiſchkatho-
liſche Religion bleibt immer dieſelbe, d. h. immer
intolerant, nur daß ſie an dieſem oder jenem Orte
ſich mehr oder weniger ſchaͤmt, Menſchen des Glau-
bens wegen oͤffentlich zu necken und zu druͤcken.
Wir entdeckten in Uthoffen die Abſichten unſrer
Reiſe nicht, und reiſten nach zwei Tagen wieder mit
Bauerpferden ab. F.... ein kreuzbraver Junge,
der gern ſeinen Freunden Vergnuͤgen machte, und
bei dem ich ſo gut ſtand, that mir hierauf den Vor-
ſchlag, eine Tour nach Bamberg und Wuͤrzburg mit
zu machen, unter der Verſicherung, mich ſollte die
Reiſe auch nicht einen Kreuzer koſten. Vielleicht
wußte ers, daß meine Boͤrſe kaum zur Ruͤckreiſe von
Uthoffen nach Mainz hinreichen wuͤrde. Ich ließ
mir den Vorſchlag unter der Einſchraͤnkung, daß ich
ihm an Ort und Stelle das ausgelegte Geld wieder
erſetzen duͤrfte, gefallen. Das wollen wir ſchon ſe-
hen, ſagte er, und ſo gings nach Wuͤrzburg, Bam-
berg, Anſpach, Erlangen, Nuͤrnberg, und den an-
dern Staͤdten, welche in der dortigen Gegend herum
liegen. Ich ſchrieb hier weder Reiſekunden noch
Topographien, folglich darf man hier nichts weiter
erwarten, als was mich betrifft. In Bamberg blie-
ben wir nicht lange; ich hatte alſo keine Gelegenheit
dies Ding, was misbraͤuchlich Univerſitaͤt genannt
wird, naͤher kennen zu lernen. So viel weiß ich,
daß hier nur der katholiſche Prieſter ausſtudiren kann,
ob gleich auch dieſer dies eben ſo gut in jedem Kapu-
cinerkloſter beim Pater Lektor thun koͤnnte.
Wuͤrzburg iſt ohne Zweifel die beſte katholiſche
Univerſitaͤt in Deutſchland. Sie hat beſonders ei-
nige recht gute Maͤnner in der Geſchichte, den Rech-
ten, der Arzeneikunde, und ſogar in der Philologie
aufzuweiſen. Die Studenten, welche hier auch Ju-
riſten heißen, und deren Anzahl damals an 400 war,
die ſogenannten Seminariſten abgerechnet, ſind mei-
ſtens artige, gutgeſittete junge Maͤnner, und ganz
anders, als jene in Heidelberg, Straßburg und
Mainz. Weil ich ganz nach Burſchen Art gekleidet
war, und einen gruͤnlichen Flauſch trug, welchen ich
noch in Halle verſchenkt habe, nebſt geſtreifter Weſte,
gelben ledernen Beinkleidern, großen großen Stiefeln,
nebſt einem derben Hieber an der Seite; ſo ward
es mir leicht, mich fuͤr einen Jenaiſchen Studenten
auszugeben. Auch mein Reiſegefaͤhrte, oder viel-
mehr mein Reiſepatron that dies, und es hatte die
gute Wirkung, daß ſich die Herren Wuͤrzburger um
die Wette beeiferten, uns recht viel Vergnuͤgen zu
machen. Aber bald haͤtten wir doch Haͤndel bekom-
men. Die Burſchen erfuhren, daß F.... kein Je-
naiſcher Student ſeyn koͤnne: daß er vor mehrern
Jahren ſelbſt in Wuͤrzburg ſtudirt habe, und mit
mehrern Domherren und Adlichen daſelbſt, deren
Namen hier, wie an allen geiſtlichen Stiftern, Legion
iſt, verwandt ſey: ſie ſetzten uns alſo deshalb zu
Rede. Ich vertheidigte meinen Kameraden, brach
in hitzige Worte aus, und bald bald waͤre es zu
Schlaͤgereien gekommen, wenn nicht der Student
eben ſo hitzig, als gutmuͤthig und vertraͤglich waͤre.
Wir verſoͤhnten uns bald, und ich wurde wegen mei-
ner maͤnnlichen Entſchloſſenheit als Bruder Studio
von Jena anerkannt. Ich bemerkte viel gute Zuͤge
an dieſen Leuten. So hab ich unter den Wuͤrzbur-
ger Studenten nur wenige gefunden, die ſich daran
ſtießen, daß ich lutheriſch war, obgleich einige des-
halb, weil ich nicht den rechten Glauben hatte, kalt
gegen mich thaten. Doch dieſe Kaͤlte erſetzte der
daſige vortreffliche Steinwein, der, wie mich duͤnkt,
wegen ſeiner Guͤte eben ſo weit und breit beruͤhmt zu
ſeyn verdient, als der Hochheimer, Nierſteiner oder
Riedesheimer. Einigemal hat mich dieſer koͤſtliche
Rebenſaft um all mein Beſinnen gebracht. Ehe ich
weiter gehe, noch eine Statiſtiſch politiſche Bemer-
kung. Das Wuͤrzburgiſche iſt ungleich beſſer be-
voͤlkert und kultivirt, als das Bayreuthiſche. Die
Bauern klagen dort nicht ſo ſehr uͤber Abgaben, als
hier. Der Grund iſt leicht. Unter einem katholi-
ſchen Biſchof darf man freilich nicht alles ſagen,
was man uͤber Religion denkt, wie unter einem
lutheriſchen Markgrafen; allein der katholiſche Bi-
ſchof braucht auch nicht ſo viel Ausgaben als der lu-
theriſche Markgraf; folglich braucht auch jener nicht
ſo viel Abgaben aufzulegen, als dieſer. Die To-
leranz allein macht die Unterthanen noch nicht
gluͤcklich.
Als wir beinahe eine Woche in Wuͤrzburg zu-
gebracht hatten, ohne daß es uns viel gekoſtet hatte,
zogen wir weiter, durchſtrichen einige Staͤdte als:
Bayreuth, Schweinfurth und andere, und gingen
nach Erlangen. Ich traf hier einige meiner Landesleute
an, unter denen vorzuͤglich Herr Kiefer von Saar-
bruͤcken mir viel Vergnuͤgen gemacht hat. Die
Univerſitaͤt iſt zwar klein; aber die Lebensart und
der Ton der Studenten vortreflich und zweckmaͤßig.
Ich traf viele wilde Chriſten und recht ausgelernte
Schlaͤger unter ihnen an — indeß die meiſten begehr-
ten den lieben Frieden und hielten ſich ruhig. —
Nicht lange vorher hatte Herr Iſenflamm den
Amiciſten-Orden zerſtoͤhrt, aber nicht ausgerot-
tet. Denn da die Burſchen erfuhren, daß ich auch
zu dieſer loͤblichen Geſellſchaft gehoͤrte; ſo brachten
ſie mich in eine feierliche geheime Geſellſchaft, wol
von zwoͤlf Ordensbruͤdern, trieben ihre Poſſen, und
hielten auf die Obſervanz ihrer Geſetze ſo ſtreng, als
waͤre ihr Klupp mit einem Kaiſerlichen Privilegium
fundirt geweſen. Was gings mich an! ich logirte,
wie uͤberhaupt, ſo auch hier, auf dieſe Art bei Or-
densbruͤdern, und ließ meinen Baron, wenn er
den Studententummel verließ, in den Gaſthof
gehen.
In Erlangen lernte ich auch einige Profeſſoren
kennen, naͤmlich die Herren Seiler, Roſenmuͤl-
ler, Harles, Hufnagel, und Meuſel. Nur
einiges von ihnen.
D. Seiler iſt ein kraſſer und dabei ganz ab-
ſcheulich intoleranter Orthodox. In ſeinen Schrif-
ten ſchimpft er zwar nicht; allein deſto aͤrger macht
ers in ſeinem Kollegio. Er ſchaͤndet die Semlere,
Tellers, Steinbarte, und ſogar die Leſſe,
was das heilige Zeug haͤlt. Sonſt ſcheint mir Herr
Seiler kein großer Gelehrter; und daß ers uͤberhaupt
nicht iſt, das haben ihm auch andere, vorzuͤglich Bahrdt
in ſeiner Apologie der Vernunft recht derbe
geſagt. — Freund Harles iſt ein Grammatiker;
und da denkt er denn ſo in ſeinem Sinn, wie viele
ſeiner Bruͤder, nun ſey er ein Philologe! Ich hoͤrte
ihn uͤber den Theophraſt leſen; das war mir aber
eine Leſerei, wobei mir angſt und bange ward. Die
Herren Studioſi ſchrieben indeß dieſe philologiſche
Weisheit von Wort zu Wort nach. Das waren mir
auch Wichte! –
Hufnagel war damals noch Profeſſor extra-
ordinarius, und las Exegetica. Wenn ich je ei-
nen Mann habe kennen lernen, der mit blutwenig
Gelehrſamkeit ſich breit machen, und den Meiſter
aller Meiſter ſpielen konnte; ſo war es gewiß Herr
Profeſſor Hufnagel in Erlangen. Ich wurde durch
einen Studenten mit ihm ſelbſt bekannt, und fand
einen jungen raſchen Mann an ihm von unbeſchreib-
lichem Duͤnkel, der uͤber die groͤßten Maͤnner ſo rai-
ſonnirte, als wenn ſie kaum ſeine Schuͤler ſeyn
koͤnnten. So redete er mit Verachtung von Leß,
Muͤller und Walch, — fand an Doͤderlein, Sem-
ler, Erneſti, und vielen andern Matadoren der
deutſchen Litteratur viel auszuſetzen, — allegirte
fleißig ſeinen Hiob und ſeine uͤbrigen kleinen Schrift-
chen, und machte durch Faͤllung ſeiner Urtheile, daß
ich anfing, ſtark an ſeiner Gelehrſamkeit zu zweifeln.
Meine Vermuthungen beſtaͤtigten auch mehrere An-
dere durch Erfahrung. — Ich hoͤrte damals in Er-
langen, daß Doktor Seiler Herrn Hufnagel gern
ſeine Tochter habe anhaͤngen wollen; dieſer habe aber
die Ehre ausgeſchlagen, und daher komme es, daß
Seiler den Hufnagel haſſe, und dieſer an jenem
durch bittern Spott und Raiſonnirerei in allen Ge-
ſellſchaften ſich zu raͤchen ſuche. Doktor Seiler hatte
wenig Freunde, und dies nicht ſowohl wegen ſeiner
Orthodoxie, als vielmehr wegen mancher Fraubaſe-
reien, wozu er die Haͤnde geboten hatte.
Aber an Herrn Meuſel hab ich einen rechten
Mann getroffen. Dies iſt ein Mann, deſſen heller
Kopf, geſunde und freimuͤthige Urtheile, deſſen aus-
gebreitete Gelehrſamkeit und edles Herz jeder, der
ſich ihm naͤhert, bewundern muß. Ich bin drei
bis viermal bei ihm geweſen, und jedesmal mit einer
Art von Bezauberung von ihm gegangen. Er war
ehedem Profeſſor in Erfurt und zwar zu der Zeit,
als D. Bahrdt dieſe Univerſitaͤt zierte; allein er
huͤtete ſich recht ſehr, in das von den Herren, Bahrdt,
Riedel, Bollmann und einigen andern errichtete col-
legium zotologicum einzutreten.
Nuͤrnberg ſah ich bei dieſer Gelegenheit auch,
und freuete mich uͤber die allgemeine Induſtrie, wel-
che in dieſer Stadt herrſcht.
Ohngefaͤhr ſechs Wochen nach unſrer Abfahrt
von Mainz, trafen wir endlich nach vielen Umſchwei-
fen und luſtigen Streichen daſelbſt wieder ein. Doch
ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich noch ein Anekdoͤtchen
nachholen. In einem Dorfe oͤhnweit Aſchaffenburg
mußten wir uͤbernachten, theils weil wir uns unter
Weges zu lange in den Dorfkneipen aufgehalten hat-
ten, theils weil uns unſer Bote verſicherte, daß wir
fuͤr den Tag Aſchaffenburg nicht erreichen koͤnnten.
Es war an einem Sonntage, und die Bauern, maͤnn-
lichen und weiblichen Geſchlechts, machten ſich beim
duͤrren Holze fuͤrbaß luſtig. Ein Maͤdel unter den
Baͤurinnen zog des Herrn von F.... Aufmerkſamkeit
auf ſich — er nahm es und ſchaͤkerte mit ihm bis in
die Mitternacht. Er ſchien von demſelben gleichſam
angeſchoſſen zu ſeyn: denn den folgenden Morgen
hatte er Pferde und Boten wieder zuruͤck geſchickt,
ohne mir ein Wort davon zu ſagen. Ich trieb;
allein er erklaͤrte mir, daß er dieſen Tag ſchlechter-
dings noch dableiben muͤßte. Warum er mußte, ſah
ich bald ein. Baͤrbel, ſo hieß das Maͤdchen, er-
ſchien kurz nachher, und blieb den ganzen Tag bei
uns. Ich mochte predigen, bitten, und ſchelten wie
ich wollte; — F.... war nicht zum Abmarſch zu
bewegen, und erſt den Mitwochen konnt ichs dahin
bringen, daß er mit mir abreiſete. Ich bin einige-
mal Zeuge ganz vertrauter Auftritte geweſen; ich
habe zwar nichts erfahren, aber wundern ſollt es
mich doch, wenn dieſe Vertraulichkeit keine weitern
Folgen gehabt haͤtte. Nun das wird Baͤrbel am be-
ſten wiſſen!
Als wir wieder in Mainz angelangt waren,
ſtatteten wir dem Herrn Grafen von Schoͤnborn
und dem Vikarius Stark Bericht von unſrer Reiſe
ab, und erhielten von beiden die troͤſtliche Antwort:
daß, wenn der alte Praedikant So nennen die Katholiken die proteſtantiſchen Geiſtli-
chen, indem ſie dieſe fuͤr keine Prieſter gelten laſſen.
Ihrer Meinung nach, ſoll es ein Unname ſeyn; allein
dies iſt er eben ſo wenig, als die Benennungen von
Proteſtanten und Diſſidenten, die immer an große Be-
gebenheiten erinnern, und denen, die ſie fuͤhren, keine
Schande ondern Ehre machen. abfahren wuͤrde,
keiner als ich die Pfarre, verſteht ſich, gegen Erlegung
von 200 Dukaten, oder 1000 Rheiniſchen Gulden,
erhalten ſollte. — Brandenburger beſuchte mich
gleich den Tag nach meiner Ankunft in Mainz, und
erzaͤhlte mir mit Entzuͤcken, daß er, wie er ſich aus-
druͤckte, ein gewaltiges Menſch fuͤr mich aufgetrieben
haͤtte, deſſen Vermoͤgen an barem Gelde ſich an 6000
Gulden beliefe. Es war eine Muͤllerstochter im In-
gelheimer Grund. Brandenburger wollte haben,
daß ich, um die Sache bald in Richtigkeit zu brin-
gen, ſogleich mit ihm herausgehen ſollte; aber ich
hatte keine Luſt dazu, weil er als mein Freiwerber
und Unterhaͤndler ein zu jaͤmmerlicher Schuft war.
Beſprochen hatte er den Muͤller wirklich meinetwe-
gen, auch fuͤrchterlich von mir aufgeſchnitten: dies
hoͤrte ich nachher von andern. Das Band der Ehe
muß mir damals aber eben ſo wenig als jetzt beſtimmt
geweſen ſeyn; ſonſt waͤre aus der Sache wohl etwas
geworden. Doch ich muß nun weiter gehen.
So ſtand die Sache mit der Pfarrei in Fran-
ken, die ich haͤtte erlangen und bei der ich ein be-
ſtimmtes und ruhiges Leben haͤtte fuͤhren koͤnnen,
wenn nicht eigener Leichtſinn, Verabſaͤumung guͤn-
ſtiger Gelegenheiten, und endlich Kabalen Anderer
mich immer weiter und weiter, wie die Folge meiner
Geſchichte zeigen wird, von meinem irrdiſchen Ziele
entfernt haͤtten.
Sieben und dreiſſigſtes Kapitel.
Ein neues Vikariat
Mein Vater war mit meiner donkiſchottiſchen Reiſe
nach Franken ſehr uͤbel zufrieden, und er hatte Recht.
Er kannte mich, und mußte ſichs ſchon zum voraus
vorſtellen, daß ich auf meiner Wallfahrt viele und
mannigfaltige Suiten geſpielt habe. Um aber ſo viel
als moͤglich ſeinen Unwillen von mir abzuleiten, be-
ſchrieb ich ihm die zuruͤckgelegte Reiſe nach meiner
Art, d. h. ich ließ aus, was er nicht wiſſen ſollte,
und ſagte blos das, was ich, ohne Wiſcher zu be-
kommen, getroſt erzaͤhlen konnte. Daß ich in Erlan-
gen geweſen war, verſchwieg ich; und mein Vater
haͤtte es vielleicht nie erfahren, wenn es ihm nicht
vom Herrn von Meiern gemeldet waͤre, der es
vom D. Seiler, ſeinem ehemaligen Hofmeiſter, gehoͤrt
hatte. Mein Vater filzte mich deshalb ſehr derbe
aus, beſonders da Herr Seiler, nach ſeiner theolo-
giſchen Humanitaͤt, gar ſchief von mir geurtheilt,
und mich als einen heilloſen Menſchen beſchrieben
hatte, an dem auch nicht Ein Haar gut waͤre.
Wahrſcheinlich that dies der theologiſche Ehrenmann,
um ſich an mir zu raͤchen. Als eine eingemachte Frau
Baſe, die gern Stadtmaͤhrchen hoͤrt und giebt, hatte
er vermuthlich auch meine freimuͤthigen Raiſonne-
ments uͤber ſich und ſeine Gelehrſamkeit erfahren,
aber ſelbige ſehr unguͤtig aufgenommen. Herr von
Meiern haßte mich, das wußte ich; er ſuchte mir
alſo bei meinem Vater einzuhauen. Der Groll kam
daher. Ich entdeckte meiner Freundin, dem Fraͤulein
Henriette von Hunoltſtein zu Niederwieſen,
die wahren Umſtaͤnde dieſes Mannes. Er wollte
dies tugenthafte und ſchoͤne Fraͤulein heurathen, mehr
aus Gier zu ihren 30000 Thalern, als aus Liebe zu
ihrer Perſon. Denn im Punkte der Liebe war er
ein Stoiker: er nahms, wie ers vorfand, nach Art
vieler ſeines Gleichen. Er war von Zwingenberg im
Darmſtaͤdtiſchen, hatte auch wirklich als R. Rath in
Darmſtadt geſtanden, und war wegen verbrannter
Akten ſchon vom Praͤſident Moſer fortgeſchickt wor-
den. Dem Fraͤulein Jettchen und deren Bruder
hatte er nun viel weis gemacht von ſeinem Vermoͤgen,
und ſo fuͤrchterlich bramarbaſirt, daß man haͤtte glau-
ben ſollen, wer weis wie viel Tauſende er beſitze! —
Ich demuͤthigte dieſen Großſprecher, der nachher ka-
tholiſch wurde, und vor zehn Jahren zu Lemberg im
Kaiſerlichen ſich aufhielt.
Mein Vater begehrte, daß ich dem Baron
F.... ſein fuͤr mich ausgelegtes Geld — das ſich
immer auf 60 Gulden belaufen konnte — erſetzen
ſollte; allein der Baron ſchlug dieſe Erſtattung groß-
muͤthig aus. Ich bin ſein Schuldner, und werde
es auch wahrſcheinlich bleiben bis an den juͤngſten
Tag.
Waͤhrend meiner Abweſenheit aus der Pfalz
hatte der alte Pfarrer Koͤſter zu Oberſaulheim, ei-
nem Rheingraͤflichen Dorfe, um einen Subſtituten
oder Vikarius angehalten, und das Conſiſtorium zu
Grehweiler hatte mich zu dieſer Stelle auserſehen,
und mein Vater drang darauf, daß ich ſie annehmen
ſollte. Sie war auch wirklich des Annehmens werth.
Ich hatte da freie Station, d. h. meinen Koffee,
der aber in jenen Gegenden nicht ſo frequent geſchluͤrft
wird, als in Sachſen und Preuſſen, meinen Toback
und Wein, mein Reitpferd zum Vergnuͤgen, mo-
natlich ſechs Gulden Geld, und endlich alle bei der
Pfarrei einlaufenden Accidenzien. Dafuͤr hielt ich
nur Sonntags vormittags eine Predigt, und Nach-
mittags entweder Kinderlehre oder eine ſogenannte
Betſtunde. Kurz, dieſe Stelle war nicht unrecht.
Ich ſiſtirte mich daher bei dem Conſiſtorium. Rath
Dietſch hielt mir eine derbe, jedoch freundſchaft-
liche Strafpredigt, welche meine Ketzerei, meinen
ſchlechten Umgang, meine Trunkenheit, und endlich
mein liederliches Leben mit Frauenzimmern von der
niedrigſten Klaſſe betraf. — Ich wollte mich ver-
theidigen; allein Herr Dietſch empfahl mir, ſtatt der
Apologie meines Lebens, behutſames und kluges Be-
tragen, und ſagte, ich moͤchte mich nur nach Ober-
ſaulheim begeben und mein Amt daſelbſt ſo verrichten,
wie ich es zu verantworten, mir getrauete.
In dieſem Vikariate hab ich viel Vergnuͤgen
genoſſen. Der Pfarrer Koͤſter, ein alter Mann
von beinahe achtzig Jahren, und deſſen Frau, die
nicht viel juͤnger war, machten mir nebſt ihrem Sohn,
der Apotheker in demſelben Dorfe war, mein Leben
angenehm und vergnuͤgt. Dieſer junge Mann hatte
zwar keine Medicin ſtudirt, d. h. war nicht auf Uni-
verſitaͤten geweſen, hatte da fuͤr ſchweres Geld keine
Collegia gehoͤrt, hatte ſich endlich auch keine mit
Griechiſch verhraͤmte, und mit hundert und neun
und neunzig Citaten verſehene, Diſſertation von ei-
nem expediten allzeit fertigen Diſſertationsfabrikanten
fuͤr bares Geld zuſammenſchmieren laſſen, (derglei-
chen Dinge einem ſolchen um ſo leichter werden, wenn
er die abſurdeſten Saͤtze hinſudeln, und die lateiniſche
Sprache mit neuen barbariſchen Woͤrtern und Phra-
ſen bereichern kann z. B. praetervidere uͤberſehen)
hatte auch keine ſtumme Perſon auf dem Katheder
agirt, war auch endlich nicht auctoritate impera-
toria et regia zum Doktor geſchaffen worden —
das alles hatte Herr Koͤſter nicht gethan. Aber en
revanche beſaß er eine tiefe Kenntniß der Phyſio-
logie, der Therapie, Pathologie und Semiotik, hatte
ein hell ſehendes Auge, that die gluͤcklichſten Kuren,
und war in der ganzen Gegend weit angeſehener, als
jene mit Privilegien und Diplomen der Univerſitaͤt
verſehene Pfuſcher. Dieſer, junge Mann ward mein
innigſter Freund, ſo wie ſein Bruder, der Pfarrer
zu Niederſaulheim. Waͤre ich nicht ſchon zu ſehr
verdorben geweſen, oder haͤtte ich nur Muth genug
gehabt, mich von meinen luſtigen Verbindungen los-
zureißen; ich glaube, dieſe Leute haͤtten mich noch auf
beſſere Wege bringen koͤnnen.
Oberſaulheim iſt nur eine halbe Stunde von
Udenheim entfernt, wo ich Vikarius geweſen war.
Die Udenheimer Bauern hatten noch viel Liebe zu
mir, wenigſtens liebten ſie mich weit mehr, als ihren
Paſtor, den ſie nur ſchlechtweg den Magiſter Weit-
maul und den Zundermann titulirten. Daher
kam es, daß die Udenheimer fleißig nach meinen
Predigten liefen, und Wageners Kirche leer ſtehen
ließen. Daruͤber aͤrgerte ſich nun Mosje Wagener
ganz abſcheulich, und eiferte in allen ſeinen heiligen
Reden uͤber gewiſſe Leute, die zwar Gottes Wort
lehren wollten; aber von dem, was ſie ſagten, auch
kein Wort glaubten, und uͤberdem noch ein lieder-
liches Leben fuͤhrten u. ſ. w. — — Der Schulmei-
ſter Tautfeß von Udenheim, gab mir von dieſen
erbaulichen Reden Nachricht, und ich — war ſo un-
klug, daß ich gegen den Menſchen, den ich haͤtte
verachten ſollen, eben ſolche Waffen ergriff, und phi-
lippiſche Reden hielt. Ich ſuchte alles auf, was ich
von dem Herrn Magiſter Weitmaul wußte, und
ſetzte moraliſche Karaktere zuſammen, welche ſo kennt-
lich waren, daß ſelbſt die Bauern, wenn ſie aus der
Kirche gingen, zu einander ſagten: „Heut hott der
Vikaries dan Magiſchter Weitmaul wedder amol
„racht herunner kefummelt; es keſchieht am aber
„ſchone racht!“
In die Laͤnge thats doch kein gut mit dieſen
Controverspredigten. Ich bekam ein Monitorium
von Herrn Dietſch, mich aller Anzuͤglichkeiten auf
der Kanzel zu enthalten, weil, wenn die Sache zur
Klage kaͤme, ich nicht mehr predigen duͤrfte. — Jetzt
wurde ich erſt klug, oder vielmehr, jetzt fuͤrchtete ich
mich, und ließ das Ding ſeyn.
Meine Bauern zu Oberſaulheim waren mir ſehr
gewogen; denn ich war gegen ſie freundlich, und
that auf das Anſehen eines Gelehrten, in welchem
Rufe, ohne mich zu ruͤhmen, ich bei ihnen ſtand,
Verzicht. Bauern dulden an ihrem Paſtor gern alle
Fehler, wenn er nur, wie ſie ſagen, was gelernt hat.
Sie entſchloſſen ſich, mich dahin zu bringen, die
Tochter des Pfarrer Koͤſters zu heurathen, und
mir auf dieſe Art die Hofnung der Nachfolge zu
ſichern. Der Schulz, und noch einige andere Bau-
ern, baten mich daher in einer dazu angeſtellten Zu-
Erſter Theil. Aa
ſammenkunft, ihnen einen Weg zu zeigen, wie dies
Ding am beſten zu bewerkſtelligen waͤre.
Ich ſchlug vor, daß ſie meinetwegen eine Bitt-
ſchrift beim Konſiſtorium zu Grehweiler eingeben
moͤchten. — Freilich hatte mein Herz gegen die
Verbindung mit der Mamſell Koͤſter gar ſehr viel
einzuwenden. Einmal war das Maͤdchen, wenig-
ſtens ſechszehn Jahr aͤlter als ich, und dann hatte
ſie auch nicht die geringſte Spur von Schoͤnheit.
Sonſt ſchien es ein gutes und ſtilles Geſchoͤpf zu ſeyn;
aber mir wollte ſie nicht gefallen, ohnerachtet ich
doch auch gar nicht der Kerl war, der viel Wahl vor
ſich hatte. Dies mein Zuruͤckziehen von dem Maͤd-
chen, konnte ich mir ganz gut erklaͤren.
Bei dem Vorſchlage, ſie zu nehmen, ſtellten
ſich mir die Bilder meiner vorigen Bekannt- und
Liebſchaften wieder dar, und ſobald ſich mir Theres-
chen Vielleicht haben ſchon manche meiner Leſer gefragt,
warum ich denn ſo ganz und gar von dieſem herrlichen
Geſchoͤpfe ſchweige? Aber warten Sie nur meine Her-
ren, im andern Theile dieſer Hiſtorie ſoll Thereschen
ſchon wieder auftreten, und ihre Rolle ausſpielen. Sa-
chen, ſo zuſammen gehoͤren, zerſtuͤck ich nicht gern. wieder vor die Augen mahlte, ſo empoͤrte
ſich alles in meiner Vorderbruſt.
Ich hatte ſchon mehrmals eine beinahe feſtge-
gruͤndete Hoffnung verloren, war als ein Libertiner
bekannt, und hatte blutwenig Freunde von Einfluß.
Da dachte ich dann, es ſey beſſer, in einen ſauren
Apfel zu beiſſen, als gar Hungers zu ſterben — und ſo
faßte ich den heldenmuͤthigen Entſchluß, durch den
Canal der Mamſel Katharine in den Schafſtall der
Heerde Chriſti einzugehen, und mein Kreuz, als
Juͤnger und Apoſtel Jeſu, geduldig auf mich zu neh-
men und zu tragen.
Ich notificirte meinem Vater dieſen Vorſchlag
und meinen Entſchluß; aber der hatte eben ſoviel da-
wider zu erinnern, als ich im Anfange der Sache.
Er meinte, das ſei eine ungluͤckliche Heurath, welche
auf ein Lamy, verdollmetſcht Lamentiren, hinaus-
laufen wuͤrde. Ein junger Mann muͤſſe ſeine aͤltere
Frau verachten und extra ſteigen: das koͤnne gar
nicht anders ſeyn. Bei dieſer Gelegenheit erklaͤrte
er mir allerlei Geheimniſſe des Eheſtandes. Doch
wollt er mir nicht zuwider ſeyn, fuͤgte er zuletzt hin-
zu: Er ſaͤhe wohl, daß, wenn ich laͤnger ohne feſte
Station bliebe, mein ganzes Weſen noch voͤllig ver-
dorben werden wuͤrde, wenn ja noch etwas Gutes
in mir ſtecken ſollte.
Wie mein Vater, eben ſo dachten auch die
Bruͤder der Mamſel, ohne es gerade mir unter die
Augen zu ſagen; allein die Mamſel ſelbſt, dachte
weit anders, als wir alle. Sie fand, daß ſie fuͤr
mich, und ich fuͤr ſie von Gott gemacht waͤren: daß
ein junger Menſch von drei und zwanzig, und ein
zahnloſes Frauenzimmer von vierzig Jahren, ein
allerliebſtes Paͤrchen machen wuͤrden: und bei die-
ſer Vorausſetzung fing ſie an, nachdem der Herr
Schulz ſeinen Sermon, die Sache betreffend, bei ihr
abgelegt hatte, die Verliebte und Zaͤrtliche zu ſpie-
len. — Was man ſo im gemeinen Leben ſagt, hab
auch ich, oft und Beſonders an dieſer Katharine
wahr gefunden. Das Frauenzimmer laͤßt ſich, we-
gen ſeiner natuͤrlichen Eitelkeit, die uͤber alles geht,
gern, von jedermann, er ſei geliebt oder gehaßt,
huͤbſch oder garſtig, jung oder alt, von Qualitaͤt
oder ohne Qualitaͤt, flattiren und kareſſiren. Auch
Katharine war ſo. Ihr Schoͤnthun kam aber ſehr
naͤrriſch heraus, und quaͤlte mich ganz abſcheulich.
Und ich glaube, fuͤr jeden braven deutſchen Kerl iſt
nichts unertraͤglicher und ekelhafter, als Schmeiche-
leien, Kuͤſſe, und zaͤrtliches Necken eines verliebten
und empfindſamen Weibesbildes, fuͤr welches man
nichts empfindet.
Das Aergſte bei der ganzen Sache war dies.
Wenn ich nicht alle abſurden Zaͤrtlichkeiten und alle
haͤufigen und vollmaͤuligen Kuͤſſe ſogleich mit allem
Ernſt erwiederte; ſo ward die Mamſel boͤſe, und
klagte recht ernſtlich uͤber meinen Kaltſinn. Ich
war alſo allemal, ſo oft ich um und neben ihr ſeyn
mußte, auf der Folterbank, und lief, um mir doch
einigermaßen meinen Unmuth und Langeweile zu
vertreiben, ſaſtfast taͤglich ſpatzieren, durchſtrich die da-
ſiege Gegend, und ſtiftete endlich wieder eine Art
von Liebesverſtaͤndniß mit der Tochter eines Refor-
mirten Pfarres: dies Liebesbuͤndniß hab ich ſelbſt
noch von Halle aus fortgeſetzt und bei meiner Nachhaus-
reiſe vor fuͤnf Jahren ſogar wieder erneuert.
So wenig Wahrſcheinlichkeit auch daſeyn mochte,
daß die Sache zu Stande kommen wuͤrde, ſo betrach-
tete ſich doch Mamſell Katharinchen ſchon als meine
wirkliche Braut, und verlangte daher, eiferſuͤchtig
wie alle alte Jungfern, von allen meinen Tritten
und Schritten genaue Rede und Antwort, ſpuͤrte
ihnen nach, und ſiehe, ſie witterte meine Gaͤnge zu
dem Reformirten Pfarrer. Sie hoͤrte, daß da huͤb-
ſche Maͤdchen waͤren: daß ich mit Karolinchen fidel
umginge u. ſ. w., und nun hatt' ich meine liebe
Noth. Ich mochte ſagen, was ich wollte, mochte
ſchwoͤren, ſo hoch ich wollte, und meine arme Seele
auch neun und neunzig mal in den Abgrund der Hoͤlle
verfluchen, es half alles nichts: ſie kiff und ſchmollte,
daß es eine Art hatte. Und wollt' ich ſie ja gut
machen; ſo mußt' ich ſie auf den Schooß nehmen, ſie
necken, druͤcken und kuͤſſen, und alle Thorheiten
treiben, die der allerverliebteſte Junge mit ſeinem
Maͤdchen nur treiben kann.
Die Bauern ließen indeß eine Bittſchrift verfer-
tigen, und reichten ſelbige beim Konſiſtorium zu Greh-
weiler ein. Der Rath Dietſch war mir nicht abge-
neigt, und waͤre es blos auf ihn angekommen, ſo
haͤtt' ich die Pfarre erhalten; allein auch heiraus
ſollte nichts werden, wie die naͤhere Beſchreibung
meiner damaligen Lage zeigen wird.
Acht und dreiſſigſtes Kapitel.
O weh mir armen Korydon!
Ich ſchaͤme mich beinah, meinen Leſern die Geſchichte
dieſes Kapitels mitzutheilen. Ich weis es, daß ich
ihnen Achtung ſchuldig bin, und war deshalb lange
unſchluͤſſig, ob ich ihnen dieſelbe erzaͤhlen duͤrfte
oder nicht. Jedoch, da ich alles angeben will, was
Grund zu meinen Verirrungen gab, oder was in
meinen Verirrungen gegruͤndet war; ſo kann ich doch
wirklich dieſe Paſſage nicht auslaſſen. Es kommt
mir freilich etwas hart an, frei herauszugeſtehen;
allein ich muß einmal hereinbeiſſen in den ſauren
Apfel, da dies uͤberdem, wie ich glaubte, eben ſo gut,
wie mancher Spruch in der Bibel, manchem zur
Lehr' und Warnung geſchrieben ſeyn kann.
Daß ich den Baron F.... in Mainz mehrmals
waͤhrend meines Auffenthalts daſelbſt beſucht habe,
daß ich ihn auch oft im erwaͤhnten Paſtorhauſe zu
Niederolm antraf, und ich allemal, wenn ich in ſeiner
Geſellſchaft war, in Freund und Wonne ſchwamm,
kann jeder ſich ſchon von ſelbſt denken, wer das
Harmoniſche und Gleiche unter beider Denkungsart
in den vorigen Kapitel bemerkt hat.
Einſt beſuchte ich ihn, und er bat mich, da
ich gewoͤhnlich dieſe Vergnuͤgenstour hin und her
in einem Tage machte, die Nacht bei ihm zu bleiben:
denn er wolle mich auf den Abend an einen Ort
bringen, wo es recht flott und fidel herginge. Ich
erkundigte mich nach dieſem Orte, und erfuhr, daß
daſelbſt einige Nymphen ſich aufhielten, welche nicht
boͤſe wuͤrden, wenn junge Mannsperſonen ſie beſuch-
ten. Zu Deutſch war alſo dieſer fidele Ort weiter
nichts, als ein Bordel, welches nur das Schild und
das Privilegium nicht aushangen durfte: denn ſo
viel oͤffentliche Huren es auch ſonſt in Mainz giebt,
welche des Abends alle Straßen durchkreuzen, ſo iſt
doch da kein oͤffentliches Haus, wo man unterm
Schutz der Obrigkeit huren koͤnnte. — Ich ſtellte
meinem Freunde vor, daß dergleichen mir als Theo-
logen nachtheilig werden koͤnnte, zumal wenn ich
verrathen, oder erkannt wuͤrde, „Narr, erwie-
„derte der Baron, biſt nicht klug! — wer kennt dich
„denn — machſt die Haare auf — nimmſt einen
„Mantel um, und der hoͤlliſche boͤſe Feind entdeckt
„dich nicht! Komm nur und ſey geſcheut! —“ Ich
ging auch wirklich mit: denn wozu konnte man mich
nicht bringen, bei ſothanen Umſtaͤnden! — Wahr-
haftig, zu einer ſolchen Zeit konnte man leicht aus
und mit mir machen, was man Luſt hatte.
Wir begaben uns nach der Gaugaſſe, und
gingen ohnweit der Kaſerne in ein Haus, in deſſen
oberm Stockwerke drei recht charmante Nymphen
ſich aufhielten. Anfangs ging alles recht keuſch und
zuͤchtig zu: wir ließen Kaffe machen, Gebackenes
und Wein holen, und die Maͤdchen participirten wie
wir. — Dies Schmauſen dauerte bis zwoͤlf Uhr,
und wir hatten bis jetzt noch weiter nichts gethan,
als geſchaͤkert, Handgriffe gewagt, und Zoten und
zweideutige Reden mancherlei Art reichlich in ihren
Schooß ausgeſchuͤttet. — Die Maͤdchen verſtanden
die Liebeskuͤnſte beſſer. Die eine entfernte ſich, und
zwei blieben bei uns, von denen die eine nicht lange
darauf ſo zu uns redete: „Meine Herren! wir muͤſ-
„ſen ſchlafen gehen, es iſt ſchon ſpaͤt! (hier rieb ſie
„ſich die Stirn und die Augenlieder) entweder leiſten
„Sie uns Geſellſchaft, oder entfernen Sie ſich, es
„ſchlaͤgt den Augenblick zwoͤlf! —“ „Ei was, hob
„die andere an, ſo huͤbſche Herren nach Hauſe gehen
„laſſen: die Herren bleiben bei uns, nicht wahr?“
Wir waren beide von Wein und wolluͤſtigen Bildern
erhitzt, ſahen den Tiſch gedeckt, und, weil wir des-
halb gekommen waren, unſere Wuͤnſche erfuͤllt: was
ſollten wir alſo auf das Nicht wahr des Maͤdchens
antworten? Nichts weiter, als daß wir blieben:
nicht wahr? — Und ſo war es auch wirklich.
Ehe wir uns mit unſern Maͤdchen auf die Sei-
te machten, hielten wir Abrede, nach zwei Stunden
dieſen Ort zu verlaſſen, weil ich fuͤrchtete, wenn ich
laͤnger oder bis an den Tag an dieſem Orte des Ver-
gnuͤgens weilte, ein Bekannter mich ſehen und die
ganze Geſchichte auspoſaunen moͤchte. F... gab
mir hierin Recht, und ſetzte hinzu: „Ich ſcheere mich
„zwar den Teufel drum, ob man mich ſieht, oder
„nicht; aber du mußt dich ſchon wegen der Leute ein
„Biſſel ſcheniren, wenn du zu'n Menſchern gehſt.
„Du biſt'n Pfaff, und die Pfaffen duͤrfen dieſe
„Sache nicht ſo kommode haben, als die Welt-
„kinder.“
Es war auch wirklich noch nicht Tag, als
wir unſere Nymphen verließen; der Baron zwar
ungern, denn er kehrte oft in der Thuͤr um, und
ſprach noch mit dem Maͤdchen leiſe. Wir marſchir-
ten ſogleich nach dem Kranich, einem vornehmen
Wirthshauſe, pochten den Hausknecht daſelbſt her-
aus, und ſchliefen auf dieſe Motion bis zehn Uhr.
Nachmittags wollt' ich gleich fort, aber F....
war dawider. Ich reite, ſagte er, mit nach Nie-
derolm: gegen ſechs oder ſieben Uhr muͤſſen wir da
ſeyn — freſſen mit dem Pfaffen — holen zu Nacht
die Balbierſchuͤſſel Die Frauenzimmer in jener Gegend haben ſo gut ihre
Schimpfnamen als die Mannsperſonen. Die Tochter des
Chirurgus in Niederolm hieß Balbierſchuͤſſel.
Vor einigen Jahren fing ein luſtiger Zeiſig auch in
Halle an, dem Frauenzimmer ſchimpfliche Beinamen zu
geben; allein das Ding fand keinen Beifall, wahr-
ſcheinlich weils gar ein dummes Ding war. heruͤber — ſchaͤkern bis elf Uhr,
ſchlafen hernach beim Fellſack (ſo hieß der Wirth
Noll) und Morgen reiſeſt du nach Oberſaulheim,
und ich mache Retour nach Mainz. —
Wie geſagt, ſo gethan. Ich blieb bis nach
vier Uhr in Mainz, dann wurde mein Brauner ge-
ſattelt, welcher immer, wenn ich in Mainz war, die
Ehre hatte, in dem Stalle eines Domherrn, der mit
dem Hn. F.... ſehr nahe verwandt war, (naͤmlich
des Herrn Domprobſtes von F.) zu ſtehen, und da
auf Unkoſten der heiligen Kirche gefuͤttert zu wer-
den.
Am Schoſſeehauſe, eine Stunde von Mainz,
ſtieg F.... ab: ich mußte nolens volens folgen,
und erſchrack nicht wenig, als ich unſere beiden Maͤd-
chen da wieder antraf. N'eſt ce pas, mon cher,
ſprach F...., que je prens bien des ſoins pour
vos plaiſirs? l'ai fait en ſorte, que ces ſilles
ſont venues içi, pour vous amuſer encore.
Ich erwiderte ihm, um von den Anweſenden nicht
verſtanden zu werden, franzoͤſiſch, daß dieſer Auf-
tritt mir gewaltig ſchaden koͤnnte, und bat ihn bei
allen Teufeln, bei denen er ſich einzig und allein erbit-
ten ließ, mich fortreiten zu laſſen: ſonſt wuͤrde ich in
des Henkers Kuͤche kommen. Nach vielem Bitten
ließ er mich endlich fort, und ſo kam ich noch gegen
neun Uhr in meiner Station an. Er blieb zuruͤck
bei den Maͤdchen, und reiſte erſt den folgenden Tag
wieder nach Mainz.
Einige Tage vergingen, und ich hatte die Main-
zer Auftritte faſt ſchon wieder vergeſſen, als ich zu
meinem Schrecken auf einmal die abſcheulichſten
Folgen meiner Ausſchweifung an meinem Koͤrper in
ſehr ſichtbaren Zeichen gewahr wurde. Ich hatte zwar
noch nie dergleichen Ungluͤck recht erlebt; allein nach
den gemachten Erfahrungen an meinen Bekannten,
konnt' ich mich in Abſicht der Natur meiner Krank-
heit nicht irren. Nun fiel mir aller Muth, und ein
wuͤthender Schmerz vergaͤllte mir Wachen und Schlaf,
kurz, ich war in der ſchrecklichſten Lage.
Was war zu thun? — einen Arzt mußt' ich
haben, aber welchen? — Meinem guten Koͤſter
durft' ich mich nicht anvertrauen, nicht, als wenn
er mich nicht haͤtte kuriren koͤnnen: er war uͤberhaupt
geſchickt, und verſtand die Heilung veneriſcher Krank-
heiten, die in dortiger Gegend gar keine ſeltene Er-
ſcheinungen ſind, aus dem Fundament, ſondern
weil ich mit ſeiner Schweſter in einem ſolchen Ver-
haͤltniſſe ſtand, nach welchem die Entdeckung aͤuſſerſt
delikat ward. — Ich ging alſo zu dem Feldſcheer
Kiſſel nach Schornsheim, einem Manne, der
wenigſtens den Ruf der Verſchwiegenheit hatte, und
entdeckte ihm mein Malhoͤr. Er ſah das Ding fuͤr
eine Kleinigkeit an, gab mir Arzenei und verſprach
mir, in wenig Wochen meine Geſundheit wieder
herzuſtellen. Allein Meiſter Kiſſel war ein Igno-
rant in ſeiner Kunſt, deſſen Gleichen Legion heißt:
er verſtand das Uebel nicht, und machte es durch
ſeine reizenden Mittel ſo ſchlimm, daß ich die hoͤlliſch-
ſten Schmerzen empfand, und endlich gar im Bette
bleiben mußte. Koͤſter mochte wol merken, wo es
mir fehlte; da ich aber nichts geſtand, ſondern blos
uͤber Magendruͤcken klagte, ſo ließ ers gut ſeyn, und
gab mir Arzenei fuͤrs Magendruͤcken. —
In dieſer Noth ſchrieb ich nach Mainz, und
bat den Baron, mich zu beſuchen, aber in einem
Wagen, weil ich mit ihm hereinfahren wollte und
muͤßte. Er kam, und nachdem ich ihm meine Um-
ſtaͤnde entdeckt hatte, ſchuͤttelte er den Kopf gewal-
tig, doch ſprach er mir Troſt ein: Doktor Strack
wuͤrde mich ſchon kuriren.
Sobald ich nach Mainz kam, beſuchte ich ſo-
gleich dieſen vortrefflichen Arzt. „Herr! fing er an,
„nachdem er das Uebel unterſucht hatte, was ha-
„ben Sie fuͤr einen Doktor gebraucht?“ —
Ich: Den Barbier Kiſſel von Schornsheim.
Strack: Das iſt ein Schurke — ein wahrer
Spitzbube iſt das! — denn jeder Doktor iſt ein
Hallunke und Spitzbube, der Krankheiten uͤbernimmt,
die er nicht verſteht! — die Canaille haͤtte Sie hin-
liefern koͤnnen! — Doch es iſt noch Zeit — dies da
muß geheilt und jenes wieder hergeſtellt werden! —
Heute, Morgen und Uebermorgen bleiben Sie
hier — dann wird der Schmerz weg ſeyn, und Sie
koͤnnen wieder gehen. Ich will Ihnen Arznei ver-
ſchreiben, bei deren rechtem Gebrauch nebſt ſtrenger
Diaͤt Sie bald wieder hergeſtellt ſeyn ſollen.
Die Worte des rechtſchaffenen Mannes gingen
in Erfuͤllung: innerhalb drei Wochen war ich voll-
kommen geſund; haͤtte ich aber den Ignoranten, den
Meiſter Kiſſel fortgebraucht, ich glaube, ich laͤge ſchon
laͤngſt in Oberſaulheim auf dem Kirchhofe begra-
ben. — — Herr Strak lebt noch, und ſollte ihm
dieſe Schrift zu Geſichte kommen; ſo verſichere ich
ihn hier oͤffentlich, daß ich nie des ihm ſchuldigen
Danks vergeſſen werde. Moͤchten doch recht viele
ſeines Gleichen ſeyn, beſonders dort uͤbern Rhein,
wo alles ſaalbadert, und alles kurirt! —
Einige Zeit hernach bekannt' ich Koͤſtern die
ganze Sache, und erzaͤhlte ihm die Art, wie Strack
mit mir verfahren waͤre. Er lobte dieſe Procedur,
und verſicherte, daß ſie die einzig vernuͤnftige ſey,
dergleichen Uebel zu heben, und daß die, welche hier
das Meſſer gebrauchten, nur auf den Namen der Af-
teraͤrzte und Kuhdoktoren Anſpruch machen koͤnnten.
Quod nocet, docet optime. Seit jener
Zeit bin ich in Abſicht des naͤhern Umgangs mit fei-
len Maͤdchen ſehr behutſam geworden, und die Luſt,
mich auf eine ſo grobe Art zu vergnuͤgen, iſt mir ver-
gangen, ſo bald ich das augenblickliche Angenehme
mit dem vielen moͤglichen und wirklichen Unangeneh-
men genau berechnete. Schade nur, daß bei den
meiſten jungen Leuten, wie bei mir, Ciceros Aus-
ſpruch eintrifft: Eventus Stultorum Magiſter.
Ich hoͤre hier einige, ja ſehr viele fragen, ob
ich Suͤnder mich denn nicht gefuͤrchtet und ge-
ſchaͤmt habe, mit einer ſolchen Krankheit behaftet,
noch das Wort Gottes zu verkuͤndigen? — Freilich
ſchaͤmte ich mich; indeß meine Reflexionen uͤber an-
dere meines Gleichen, welche mit der ſchwarzeſten,
boshafteſten Seele, mit raͤuberiſchen Haͤnden, und
mit giftiger Zunge auch hintreten und Tugend predi-
gen, machten mich glauben, daß ich, wo nicht
beſſer, doch wenigſtens, meiner koͤrperlichen Krankheit
ungeachtet, eben ſo gut waͤre als ſie, die noch dazu
fuͤr Heilige galten, und — mein Gewiſſen ſchwieg.
Ob mein Schluß ganz richtig war, weiß ich in der
That ſelbſt nicht; genug aber, er beruhigte mich
und legte meinem Gewiſſen Stillſchweigen auf.
Neun und dreiſſigſtes Kapitel.
Ich falle wieder durch. Nachwehen.
Das Konſiſtorium zu Grehweiler konnte auf die
Bittſchrift der Bauern nichts reſolviren, ſondern
mußte die Sache dem Adminiſtrator, Herrn von
Zwirnlein uͤberlaſſen, meinem Feinde. Ich hatte
dieſen Mann, meines Wiſſens, nicht beleidigt; allein
ich ſtand wegen der Verlaͤumdungen des Paſtor
Hahns zu Kirchheim, wie ich ſchon oben erzaͤhlt
habe, bei ihm in einem ſehr uͤbeln Kredit. Hiernach
ließ ſich ſchon vermuthen, daß mein unmittelbares
Geſuch nicht durchgehen wuͤrde: indeß, da die Bau-
ern ſupplicirten, ſo gab ich nicht alle Hofnung auf.
Die Antwort der Commiſſion erfolgte bald und
erklaͤrte: daß die Pfarre Oberſaulheim ſchon laͤngſt
an den Prediger Wagner vom Miniſter verſprochen
ſey, und ich keine Hofnung dazu bekommen koͤnnte.
Wagner, auch ein Sohn des Jeſuiten zu Werrſtadt,
hatte naͤmlich Herrn von Zwirnlein einige Dutzend
Fuͤchſe zugeſchickt, und alſo die Exſpektanz auf Ober-
ſaulheim dafuͤr erhalten, wofuͤr man damals faſt alle
Bedienungen erhielt — fuͤr Geld.
Alſo auch dieſe meine Hofnung war verſchwun-
den, und mit ihr meine Anhaͤnglichkeit an Mamſel
Katharinchen, der ich bisher blos als moͤglichem Ka-
nale zur Pfarre geſchmeichelt hatte. Sie machte mir
anfangs zaͤrtliche, hernach groͤbere Vorwuͤrfe, und
endlich ſprach ſie zu meiner Freude gar nicht mehr
mit mir.
Mein Vater war hoͤchſt unzufrieden mit meiner
Lage, noch viel unzufriedener als ich ſelbſt. Wenn
du, ſagte er oft zu mir, noch lange ohne Verſor-
gung bleibſt, ſo gehſt du an Leib und Seele verlo-
ren. — Ich troͤſtete ihn mit meiner Hofnung, eine
Pfarre in Franken zu erhalten; aber dieſe beruhigte
ihn nicht. Das Ding, meinte er, verzoͤgere ſich —
mit unter machte ich auch wohl einen dummen
Streich, und dann waͤre alles verloren. Ich ſollte
mich in Heidelberg zu einer Stelle melden, und gaͤb'
es gleich nicht viel dabei zu ſpeiſen, ſo ſtuͤrbe doch
auch keiner Hungers.
Ich ſchrieb alſo nach Heidelberg, und erinnerte
Herrn Zehnern an das mir ſchon vor mehrerer
Zeit gethane Verſprechen, mit der Bitte, mir eine
Zeit zu beſtimmen, wo ich etwa mich zum Examen ſtel-
len ſolte. Allein Herr Zehner ſchrieb wieder zuruͤck:
fuͤr mich waͤre in der Kurpfalz nichts zu machen —
ich haͤtte an der Hundelſchen Schrift Theil ge-
habt — man wuͤßte ſogar, welche Nachrichten in
derſelben von mir herkaͤmen — das Konſiſtorium
duͤrfe durchaus beim Kurfuͤrſten nicht anſtoßen, und
bedauerte endlich am Ende ſeines Briefes, daß er mir
nicht dienen koͤnnte. — — — Alſo war mein
Gluͤcksſtern auch in der Kurpfalz, wo jeder Schuft
Pfarrer werden kann, untergegangen! — Wenn
ich ſage jeder Schuft, ſo ſoll das nicht ſo viel
heißen, als wenn alle lutheriſchen Prediger in der
Kurpfalz Schufte waͤren, ſondern daß laut der Er-
fahrung auſſerordentlich viel Schufte da Pfarrer ge-
worden ſind und noch werden. Nur ein Paar
Beiſpiele.
Ein gewiſſer Homann, der in ſeiner Ju-
gend etwas ſtudiert, hernach aber ſich durchs Korb-
machen ernaͤhrt hatte, erhielt die Pfarre zu Kriegs-
feld, wo er ſo viel dumme und grobe Streiche
machte — er ganfte ſogar Homann ſtahl einſt dem Grafen von Grehweiler eine
goldene Tabatiere. Der Graf wurde den Verluſt ge-
wahr, und ſagte ganz kalt zu Homann: „Herr Pfarrer, — daß ihn das Kon-
Erſter Theil. Bb
ſiſtorium abſetzen mußte. Er lief hernach als Bettler
im Lande herum. Nach dieſem erhielt dieſe Stelle
ein gewiſſer Erneſti, ein getaufter Jude aus dem
Waldeckiſchen, der, nachdem er in Halle Theologie
ſtudiert, und dem Schuſter Sauer daſelbſt ſein
Schuldbuch vergroͤßert hatte, (er ſteht noch in ſeiner
Kreide) poſt varios caſus in die Pfalz gekommen
war. Dieſer Menſch legte ſich aufs Saufen, lief den
Menſchern in die Kuhſtaͤlle nach, und wurde ebenfalls
von den Bauern beim Konſiſtorium verklagt. Allein
Mosje Erneſti ſpielte das praevenire und wandte
den Magen um, das heißt nach der Pfaͤlzer Sprache,
er wurde Katholiſch. — Nachdem er nun den rech-
ten Glauben hatte, halfen ihm die Alziger Kapuziner
zu einer eintraͤglichen Gerichtsſchreiberſtelle, wo er
ſeine Bubenſtuͤcke als Rechtglaͤubiger ungeſcheut und
ungeahndet fortſetzt. — Ich koͤnnte die Liſte der
Schufte, welche in der Pfalz Pfarren bekommen
haben, noch anſehnlich vermehren, wenn hier der
Ort dazu waͤre, die dortigen Herren uͤberm Rhein
die Revue paſſiren zu laſſen. Vielleicht zeigt ſich bald
„erlauben Sie mir eine Priſe aus meiner Doſe.“
Dieſer entſchuldigte ſich, der Graf griff ihm aber gerade
nach dem Hoſenlatze und entdekte die Tabatiere. Nun
rief er geſchwind dem Bedienten zu, welcher die Doſe
herausholen, und den Pfarrer vors Schloß fuͤhren
mußte.
eine andere und beſſere Gelegenheit, und dann ſoll
ihnen das Ihrige ſchon werden.
Mein natuͤrlicher Leichtſinn kam mir bei allen
dieſen widrigen Vorfaͤllen ſehr gut zu ſtatten. Ich
zerſtreuete mich, und vergaß in frohen Geſellſchaften,
bei Trinkgelagen und im Zirkel guter Freunde all
mein Ungemach. Meinem Symbolum: nunquam
traurig, ſemper luſtig, hab ich treulich nachgelebt. —
Ich hatte ſeit einiger Zeit den Amtsverwalter Schoͤn-
burg, den Licenciat Macher, und andere fidele
Bruͤder weniger als gewoͤhnlich beſucht, und war
deshalb oft von ihnen zur Rede geſetzt worden. Jetzt
fing ich wieder an, ganze Tage, ja mehrere Tage
nach einander bei ihnen zuzubringen, und die Grillen
durch Zotologie und ein gut Glas Wein zu ver-
ſcheuchen.
Mein redlicher Haag war zwar keiner von
meinen ausſchweifenden Freunden, aber deſto ſolider
war ſeine Freundſchaft. Er ließ es an gutem Rath
und an Ermahnungen nicht fehlen, und wenn ich
ihm gefolgt waͤre, ſo wuͤrde vielleicht noch alles recht
gut gegangen ſeyn. Ich war erſt drei und zwanzig
Jahr, und konnte meine Verſorgung wohl abwarten,
allein der Rath dieſes braven Freundes gefiel mir
nicht. Denn wollte ich ihm folgen, ſo durfte ich
nicht mehr ſaufen, mußte den Umgang mit Schoͤn-
burg und deſſen Freunden meiden, durfte nicht mehr
in allen Weinhaͤuſern und Kneipen herumliegen, mit
den Baurendirnen und andern nicht unanſtaͤndig
ſcherzen, und endlich nicht mehr ſo frei uͤber Religion
ſpotten. Und doch machten dieſe Dinge mein hoͤch-
ſtes Gut aus, ſie mir nehmen wollen, hieß mich
vernichten.
Was insbeſondere meine Religionsgeſpraͤche be-
trifft, ſo waren ſie aͤcht deiſtiſch, d. h. ich ſuchte mit
Gruͤnden darzuthun, daß die im neuen Teſtament
enthaltene Lehre nichts ſey, wenigſtens nichts anders
ſeyn koͤnne als natuͤrliche Religion, daß folglich die
Wunder, Geheimniſſe und dergleichen, erdichtete
Fabeln waͤren. Nachdem ich die Fragmente ſtudiert
hatte, fand ich in der chriſtlichen Hiſtorie nichts als
boshaften Betrug, und raͤſonnirte nun aus einem
andern Tone. Ich hielt es jetzt uͤberhaupt nicht
mehr der Muͤhe werth, die chriſtliche Religion mit
Gruͤnden zu widerlegen, betrachtete ſie blos als einen
wuͤrdigen Gegenſtand des Spottes, und brachte die-
ſen Spott bei jeder Gelegenheit an, ohne auf Zeit,
Ort und Perſon zu ſehen, mit denen ich zu thun
hatte.
Auf dieſe Art verlohr ich ſogar bei denen den
Kredit, welche mich bis jetzt, meiner verdorbenen
Sitten und meines Deismus ungeachtet, noch geliebt
und vertheidigt hatten. Die Kandidaten in jener
Gegend, die ſonſt gern mit mir umgingen, weil ſie
etwas von mir zu profitiren glaubten, flohen mich
nun wie die Peſt, um nicht in den Ruf der Freigei-
ſter- und Religionsſpoͤtterei zu gerathen. Selbſt
mein trefflicher Haag mußte meinetwegen leiden. Er
iſt, wie ich ſchon geſagt habe, katholiſch, und ſteht
als Pfarrkind unter dem Paſtor von Woͤllſtein, ei-
nem Erzgruͤtzkopfe und impertinenten Kanzelſchwaͤ-
tzer Hier ein Proͤbchen ſeiner Beredſamkeit: Meine Freun-
de! nehmt ein Beiſpiegal (Beiſpiel) an dem frommen
Samaritan, und vergedemuͤthigt euch unter die Demuth.
Der fromme Samaritan war mit ein polirten Stifal-
len, mit ſilbernen Sporenen, mit ſchoͤnen Stifallen-
manſchetten angethan, und gezieret: da vergedehmuͤ-
thigte er ſich aber, als er u. ſ. w. Man denke ſich
hierzu, noch die fuͤrchterlichſten Geſtus, und die fuͤrch-
terlichſte Stimme, und — man hat das Bild dieſes
Herrn Paſtors.. Dieſer Pfaffe, dem ich auch bekannt ge-
worden war, koramirte meinen Haag, wegen des
Umgangs mit mir, und gebot ihm denſelben aufzu-
geben, oder er wuͤrde ihm die Abſolution verſagen,
und die Sache hoͤheres Orts anzeigen. Eben ſo
macht' es auch der Oberforſtmeiſter Martin zu
Kriegsfeld. Haag aber antwortete, daß er ſich um
meine Grundſaͤtze nicht bekuͤmmere und blieb mein
Freund nach wie vor. Ich muß aufrichtig geſtehen,
einen ehrlichern Freund, der es beſſer mit mir ge-
meint haͤtte als Haag, hab ich in der Pfalz nicht ge-
funden. Ich hatte zwar noch mehrere Freunde auſſer
ihm, allein das Spruͤchwort: viel Hunde ſind der
Haſen Tod, traf auch bei mir ein. Die Zahl mei-
ner Feinde war weit groͤßer, man druͤckte mich, und
ich mußte hoͤren, daß man ſich in Geſell chaften von
mir und meiner ſkandaloͤſen Chronik unterhielt. —
Statt ſtillzuſchweigen, und die Laͤſterungen der Frau-
baſen in der Pfalz, eines elenden Oberſchulz An-
dreaͤ zu Woͤllſtein, der kaum ſeinen Namen ſchrei-
ben kann, eines Pfarrers Fliedner, Mach-
wirth, Wagner, und andere ſchiefe Menſchen-
kinder zu verachten, gerieth ich in Zorn, und ſuchte
mich, gerade auf die ſchlechteſte Art, muͤndlich durch
haͤmiſche Raiſonnements, und ſchriftlich durch Pas-
quillen und Knittelverſe aͤrgerlichen Inhalts an ihnen
zu raͤchen.
Ich ſchrieb unter andern Briefe aus Uto-
pien (Schlaraffenland), worin ich die Leute gewal-
tig heruntermachte. Sie fanden Beifall, und wur-
den unzaͤhlichemal abgeſchrieben. Ich wuͤnſchte,
meinen Leſern etwas daraus mittheilen zu koͤnnen;
denn ſo aͤuſſerſt plump auch meine Schilderungen der
Pfaͤlzer Herren und Damen ſeyn mochten, ſo waren
ſie doch getreu, treffend und grob deutlich, daß man
ſogleich die gemeinten Perſonen, der fingirten Namen
ungeachtet, erkannte.
Keiner ließ ſich auf dieſe Art des Streits mit
mir ein, auſſer ein gewiſſer Mosje Varena, Schrei-
ber zu Odernheim. Dieſer Menſch fabricirte ein
uͤber allem Begriff elendes Ding in Verſen auf mich,
was ſeiner wuͤrdig, ganz ohne Kopf, Magen und
Schwanz war. Jedoch replicirte ich darauf durch
ein Ding, betitelt: Valentin Pillendrechs-
lers Medicinae Doctoris Nachricht von einer
veneriſchen Kur.
Mit dem Stock hab ich mich nur einmal revan-
ſchirt. Der Amtsaktuar Haas zu Sprendlingen hatte
meinen Umgang mit der Tochter des daſigen reformirten
Predigers bemerkt, und war deshalb eiferſuͤchtig ge-
worden, oder er hatte es vielleicht uͤbel genommen, daß
ich ihm einigemal ins Angeſicht geſagt: bei ihm traͤfe
nomen et omen zuſammen. — Er fing alſo an,
meine Hiſtoͤrchen im Pfarrhauſe vorzutragen, und
mich da aufs aͤrgſte zu blamiren. Mamſel Karoline,
ſo hieß die Tochter des Pfarrers, ſagte mir alles
treulich wieder, und ich ſchwur, den Kerl durchzu-
gerben, wo ich ihn auch treffen wuͤrde. Nicht
lange hernach traf ich ihn im Wirthshauſe zu Baden-
heim an. A propos, ſagt' ich zu ihm, Mosje
Windſack, was unterſteht er ſich denn, von mir zu
raiſonniren? Was hat er im Pfarrhauſe zu Sprendlin-
gen von mir geſagt? O kein Wort, erwiederte er.
Wie! kein Wort? — Du biſt ein Schlingel, Kerl,
ein elender Laͤſterer! — bald moͤcht' ich dich aus-
ſchmieren, daß du den Prieſter begehren ſollteſt! —
Hier ſtand er auf, ich griff ihn aber beim Kollet,
ſchleuderte ihn an die Erde, und gerbte ihm das
Fell rein aus. Der Wirth, der Haaſen ohnehin
nicht hold ſeyn mochte, ließ mich geruhig fortpruͤgeln;
endlich aber brachte er uns aus einander. Haas
ſchwur mir die empfindlichſte Rache, von der ich aber
bis jetzt nicht das Geringſte gefuͤhlt habe.
Auch dieſe Geſchichte wurde in der Gegend be-
kannt, und machte — neues Aufſehen.
Vierzigſtes Kapitel.
Dem Faſſe geht der Boden aus.
Mein Vater, benachrichtigt von meiner Auffuͤhrung,
kraͤnkte ſich ſehr, daß alle ſeine Ermahnungen nicht
fruchteten, und prophezeihte mir im voraus den gaͤnz-
lichen Ruin meines Gluͤcks. Er bat mich mit Thraͤ-
nen, eine andere Lebensart anzufangen, huͤbſch auf
meinem Vikariate zu bleiben, fleiſſig zu ſtudiren, und
ſo die boͤſen Geruͤchte nach und nach verrauchen zu
laſſen; allein er predigte tauben Ohren. Theils
hatte ich Selbſt keine Achtung mehr vor mir, theils
hatten mir eine falſche Eigenliebe und ein unkluger
Duͤnkel den Kopf ſo verruckt, daß ich blos mir folgte,
keinen, weder Vater noch Freund, hoͤrte, und gegen
alles, was man von mir ſagte und dachte, verachtend
und unempfindlich wurde.
So gleichguͤltig ich indeß gegen die Cenſuren
meiner Feinde war, ſo lieb war es mir doch, wenn
ich auch an ihnen Fehler entdecken konnte. Ich wuß-
te, Zwirnlein wollte mir nicht wohl, und druͤckte
mich durch den Pfaffen Hahn von Kirchheim. Dis
war mir ſchon Sporn genug, die Conduite und die
Proceduren deſſelben, womit er die Rheingrafſchaft
adminiſtrirte, auszuſpioniren. Ich erkundigte mich
bei den Bauern nach ihren Klagen, und fand ſo viel
krumme Wege und Gaͤnge der Zwirnleinſchen Juſtiz,
daß ſelbſt Ich daruͤber erſchrak.
Die kaiſerlichen Commiſſionen werden, der In-
tention des Kaiſers und der Reichsgerichte nach, des-
halb geſetzt, damit ein Land nach beſſern Grundſaͤtzen
regiert werde; allein dieſer Zweck wird ſelten erreicht,
und am wenigſten durch Herrn von Zwirnlein. Es
iſt ein Gluͤck fuͤr ihn, daß die Preuſſiſche Cenſur mir
die einzeln data geſtrichen hat, ſonſt laͤſe er hier Din-
ge, ob deren Bekanntſchaft er bei den bedenklichen
Kriſen unſrer Zeiten ſtutzen muͤßte. Auſſer vielen
andern Ungerechtigkeiten der ſchrecklichſten Bedruͤ-
ckung und der Simonie nur dies.
Die Gemahlin des auf die Feſtung gebrachten
Rheingrafen, und ſeine damals noch unverheurathete
Tochter Luiſe, wie auch des Grafen Schweſter, muß-
ten allen Drang und alle Inſolenzien von dieſem
ſtolzen Adminiſtrator leiden, der beſonders die letztere
ſeine ſchwere Hand dadurch fuͤhlen ließ, daß er der-
ſelben oft ihr Geld vorenthielt, unter dem Vorwande:
es ſey nichts in der Kaſſe. Die gute Charlotte mußte
daher oft darben, und von ihren groben Glaͤubigern
ſich ſchrecklich quaͤlen laſſen.
Ich war ſehr eifrig, alles dies zu verbreiten
und meine Gloſſen daruͤber zu machen, welche alle-
mal zum Nachtheil des Herrn Adminiſtrators aus-
fielen. Ich griff auch ſeinen intimſten Freund, den
Kammerrath Fabel zu Grehweiler an. Dieſer
Menſch, gelehrt bis an den Hoſenknopf und ſtolz wie
Goliath, hatte einen gewiſſen Schneidermeiſter Eckel
gedruͤckt, und ihm Unrecht gethan. Dieſer Mann
war mein Gevatter; ich machte ihm alſo eine Schrift
an die Commiſſion, worin ich des Kammerraths In-
triguen ſchilderte, wies ſich gebuͤhrte, und deſſen
Ungerechtigkeiten ruͤgte. Fabel erfuhr den Verfaſſer,
und ward mir — ſpinnefeind.
Nun erhielt ich um Martini 1781 ein Schrei-
ben von der Kommiſſion des Inhalts: „daß Seine
„Durchlauchten, der Herr Fuͤrſt von Naſſau-Weil-
„burg, mit hoͤchſtem Unwillen vernommen habe,
„wie der Kandidat Laukhardt noch immer das Vika-
„riat in Oberſaulheim verwalte, welches ohne großes
„Aergerniß und Skandal der chriſtlichen Gemeinde
„nicht mit angeſehen werden koͤnnte. Der Kandidat
„ſey als ein Menſch bekannt, der ganz und gar keine
„Religion habe — der uͤber die heiligſten Geheim-
„niſſe der chriſtlichen Lehre oͤffentlich ſpotte — uͤber-
„dies ausſchweifend lebe — dem Trunk ſich ergebe —
„Pasquillen auf andere ſchmiede, und ſogar die Kan-
„zel zum Tummelplatz ſeiner ſkandaloͤſen Auftritte
„mache: deshalb truͤgen Seine Durchlauchten dem
„Konſiſtorio auf, den bisherigen Vikarius Laukhardt
„zu removiren, und ein anderes unbeſcholtenes Sub-
„jekt an die Stelle zu ſetzen.“
Herr von Zwirnlein hatte mir dieſen Befehl des
Fuͤrſten, den er aber ſelbſt geſchmiedet und dieſem
Herrn zur Unterſchrift vorgelegt hatte, abſchriftlich
zugeſchickt, und mir es freigeſtellt, ob ich entweder
freywillig, oder gezwungen durch das Konſiſtorium
meinen Poſten verlaſſen wollte. Ich waͤhlte natuͤr-
lich das Erſte, ſchrieb dem Adminiſtrator, daß er
einen Vikarius ſchicken koͤnnte, welchen er wollte —
ich ginge gern weg; denn die Freiheit uͤber alles
reden zu koͤnnen, was mir mißfiele, und ein Zuſtand,
worin ich mich vor keinen Kabaliſten und Dumm-
koͤpfen zu fuͤrchten brauchte, ſey mir theurer als das
Predigervikariat zu Oberſaulheim. Dann hielt ich
zu guter Letzt noch eine Predigt uͤber den Vorzug des
Suͤnders vor dem Gerechten, die ich ſelbſt ausge-
arbeitet, und aͤuſſerſt anzuͤglich zugerichtet hatte.
Auf dieſe Art war nun auch mein Gluͤcksſtern
in unſerer Grafſchaft untergegangen. Sobald dieſe
Nacht des Mißgeſchicks mein Vater wahrnahm,
ſchrieb er mir einen Brief und bat mich, Seiner
fuͤr jetzt zu ſchonen, und ihm nicht eher wieder vors
Angeſicht zu kommen, als bis ers erlauben wuͤrde.
Ich koͤnnte indeß nach Strasburg zu unſerm Vetter
d'Autel reiſen, weshalb er mir auch Geld mit-
ſchicke. — Dieſer Brief kraͤnkte mich wahrlich in
allem Ernſte mehr als alle Neckereyen der Commiſ-
ſion, und alle uͤbeln Nachreden meiner Feinde; allein
machte er mich auch vorſichtiger, kluͤger und gluͤckli-
cher? — Nein! mein Schickſal verſchlimmerte ſich
von dieſer Zeit an immer mehr und mehr, und faſt
immer durch meine eigene Schuld, wie die Fortſe-
tzung zeigen wird.
Ende des erſten Theils.
Gedrukt bei Fr. Wilh. Michaelis.
Bei den Verlegern dieſes Werks ſind zur
Oſtermeſſe 1792 auch noch folgende Ar-
tikel herausgekommen:
Briefe eines Englaͤnders uͤber den gegenwaͤrtigen Zu-
ſtand der deutſchen Litteratur und beſonders der Phi-
loſophie, an ſeinen Freund in Edinburg. Aus dem
Engliſchen uͤberſetzt und herausgegeben von H. v. B.
Gemaͤhlde des menſchlichen Herzens in Erzaͤhlungen von
Miltenberg. Erſtes Baͤndchen. Der Naturmenſch.
Mit einem Titelkupfer. (Dieſes Werkchen iſt auch
einzeln unter dem Titel: Der Naturmenſch, zu
haben.)
Verſuch uͤber die Einbildungskraft. Von Johann Geb-
hard Ehrenreich Maaß, Profeſſor der Philoſophie
zu Halle.