ÜBER DIE HÖHE DES MEXIKANISCHEN VULKANS POPOCATEPETL.
Auszug aus einem Briefe von Alexander von Humboldt an A. Petermann (datirt: „Berlin, im Dezember 1856“).
Indem ich so oft das Bedürfniss fühle, theuerster Herr
Dr. Petermann, Ihnen den Ausdruck meiner vieljährigen
freundschaftlichen Anhänglichkeit wie der Hochachtung,
welche Ihren schönen geographischen Arbeiten gebührt, zu
erneuern, will ich Sie bitten, um Missverständnisse bei
mehr als 500 theils barometrischen, theils trigonometri-
schen Messungen, die ich in Süd-Amerika und Mexiko mit
allem Detail bekannt gemacht, zu verhüten, dass Sie fol-
gender kleinen Notiz in Ihren Mittheilungen einen Platz
gewähren möchten.
In dem Aufsatz des Herrn Craveri (Heft X. S. 359)
wird wundersamerweise behauptet, die von mir dem
Vulkan Popocatepetl zugeschriebene Höhe sei darum un-
genügend, „weil Humboldt, wie er uns selbst benachrich-
tigt, sich eines Barometers bediente, das nichts als eine
Torricelli'sche Röhre war, deren Füllung er bei jeder
Beobachtung vornahm, wobei ein kleiner Theil Luft in
die Röhre eindrang ...“ Ich habe nie den Popocate-
petl bestiegen, habe ihn daher nie mit schlecht gefüllten
Röhren messen können. Meine Messung des Vulkans war
eine trigonometrische, welche in dem zweiten Bande mei-
nes „Recueil d'Observations astronomiques, d'opérations tri-
gonométriques et de mésures barométriques“ (Paris 1810) vom
Prof. Oltmanns beschrieben ist. Alle meine Barometer-
Messungen sind mit gewöhnlichen Ramsden'schen Gefäss-
Barometern à niveau constant gemacht, deren wir uns
auch, Gay-Lussac und ich, 1805 auf einer Reise durch
Frankreich, Italien und die Schweiz zu unserer beidersei-
tigen Befriedigung bedient haben (Vol. I. p. 365). Die
eben erschienenen vortrefflichen Arbeiten des Olmützer
Astronomen Julius Schmidt an den Krater-Rändern des Ve-
suvs (Beschreibung der Eruption im Mai 1855, S. 114 u.
116) bieten in der Vergleichung mit ältern Beobachtungen
neue Motive zu dieser Befriedigung dar. Zu der Mythe
von der jedesmal neu gefüllten Torricelli'schen Röhre hat
wahrscheinlich eine Stelle in meiner Abhandlung über
Barometer-Messungen der Reisenden im Allgemeinen (Vol. I.
p. 363–373) Anlass gegeben: „Comme il vaut mieux ne
pas observer du tout que de mal observer, on doit crain-
dre beaucoup moins de briser le baromètre que de le voir
dérangé. Depuis le mois de Juillet 1801 jusqu'au mois de
Janvier 1804, au Mexique, dans la Nouvelle Grenade, à
Quito et au Pérou, où nous avons, Mr. Bonpland et moi,
traversé quatre fois la chaîne centrale des Andes, les mé-
sures qui m'intéressoient le plus, ont été répétées à diffé-
rentes reprises; on est retourné aux endroits qui parois-
soient douteux: on s'est servi de tems en tems de l'ap-
pareil de Mutis dans lequel on fait l'expérience primitive
de Torricelli, en appliquant successivement trois à quatre
tubes fortement chauffés, remplis de mercure récemment
bouilli dans un creuset de grès. Lorsque l'on est sûr de
ne pas pouvoir remplacer les tubes, il est peut-être pru-
dent de ne pas faire bouillir le mercure dans le tube
même. C'est ainsi que j'ai trouvé dans des expériences
faites conjointement avec Mr. Lindner, professeur de chimie
à l'école des mines, la hauteur de la colonne de mercure
à Mexico dans six tubes de
259,7 lignes
259,5 〃
259,9 〃
259,9 〃
260,0 〃
259,9 〃
A. v. Humboldt, über die Höhe des Vulkans Popocatepetl.
les deux derniers tubes seuls avoient été purgés d'air par
le feu par Mr. Bellardoni, ingénieur d'instrumens à Mexico.
Comme l'exactitude dépend en partie de la propreté inté-
rieure des tubes vides, si faciles à transporter, il est utile
de les fermer à la lampe. Voyageant dans des pays où,
en m'éloignant des côtes, j'étois sûr de ne trouver des ba-
romètres qui pourroient être comparés aux miens (ceux de
Ramsden), qu'à Bogota, à Popayan, à Quito et à Lima, il
m'étoit agréable de confirmer de tems en tems les résul-
tats du baromètre dont je me servois dans le voyage, à
l'appareil à plusieurs tubes.“ Solche Confirmations-Ver-
suche können ihrer Natur nach nicht in freier Luft, auf
dem Gipfel oder am Abhange der Berge, sondern, und
zwar nur in sehr seltenen Fällen, im Inneren von Häu-
sern, in der Bequemlichkeit, welche Städte darbieten, ge-
macht werden! Diese Rathschläge würde ich heute noch,
ein halbes Jahrhundert später, nachdem ich mich der Ba-
rometer von Gay-Lussac und im nördlichen Asien des von
Fortin bedient habe, Reisenden als Beruhigungsmittel in
gewissen Fällen mit eben dem Vertrauen empfehlen als in
Mexiko oder in den Cordilleren. Von einem wirklichen
Ersatz tragbarer Reise-Barometer durch primitive Expe-
rimente in einem Apparate mit vielfachen Röhren konnte
wohl nicht in den Schriften eines Reisenden die Rede sein,
der schon im vorigen Jahrhundert sich des mündlichen Ra-
thes von Saussure, Pictet und Tralles erfreute.
Die erste Höhenbestimmung des Popocatepetl ist, so
viel ich weiss, die meinige vom 24. Januar 1804; sie war
eine trigonometrische in dem Llano de Tetimba, an der
östlichen Seite des Vulkans. Diese Messung gab mit
einer Standlinie von 2799 Fuss nach meiner eigenen er-
sten Berechnung (Géographie des Plantes. 1807. p. 148)
den Gipfel des Vulkans über dem Meere zu 5387 Meter.
Die Berechnung meines Freundes und astronomischen Mit-
arbeiters, Prof. Oltmanns (Humb., Observ. astron. 1810. Vol. II.
p. 543), veranlasst durch die Prüfung des Meridian-Ab-
standes der Städte Mexiko und Veracruz mittelst senkrech-
ter Basen und vieler Azimuthe, ergab fast ebenso, durch
zufällige Übereinstimmung, den Gipfel zu 1536 Toisen über
der horizontalen Standlinie in dem Llano von Tetimba
und, da das Llano, barometrisch bestimmt, 1234 Toisen
über Veracruz liegt, 2770 Toisen (16,620 Par. Fuss =
5399 M.) über dem Meere. Dieselbe trigonometrische
Messung des Popocatepetl, die einzige, welche, so viel
ich weiss, bisher gemacht ist, bestimmte damalsWährend unter dem Äquator selbst die mittlere Oscillation der
ewigen Schneegrenze nur 40–60 Toisen beträgt, erreicht diese Oscil-
lation zwischen 16 und 19° Nördl. Breite im Mittel über 320 Toisen.
Das Maximum der ewigen Schneegrenze habe ich gefunden am Vulkan die
mittlere Schneegrenze zu 1973 Toisen über dem Meeresspie-
gel. In meinem Essai pol. sur le roy. de la Nouvelle-
Espagne. T. I. p. 185, in meinem Nivellement barométri-
que et géodésique (Observ. astron. Vol. I. p. 331) und in
den Kleineren Schriften, Bd. I. S. 463, habe ich demnach
die Höhe des Popocatepetl zwischen 16,626 und 16,638
Par. Fuss, meist in runder Zahl zu 5400 Meter angege-
ben. Diese meine Höhe hat auch Arago in die Höhentafel
des Annuaire du Bureau des Longitudes aufgenommen.
Seit meiner Abreise aus Mexiko ist die erste Baro-
meter-Messung des Gipfels und lange die einzige, deren
Detail umständlich mitgetheilt worden ist (s. die mexika-
nische Zeitung el Sol, No. 1432), die von Hrn. William
Glennie gewesen, der, begleitet von seinem Bruder und
Don Juan Tayleur, am 20. April 1827 in den Krater ge-
langte. Das Resultat seiner Barometer-Messung des Gipfels
waren, wie die mexicanische Zeitung angiebt, 17,884 Engl.
oder 16,780 Par. Fuss (2796 Toisen) über dem Meere:
also noch 27 Toisen mehr, als meine trigonometrische
Messung ergeben hatte. Nach Mittheilungen, welche ich
dem um die Hypsometrie von Mexiko so verdienten Ober-
bergrath Burkart verdanke, würden Vergleichungen mit fast
gleichzeitigen Barometer-Höhen in Veracruz für Glennie
sogar 16,900 Par. Fuss geben, während die Barometer-Mes-
sungen von Samuel Birbeck (nach Oltmanns' Tafeln von
Burkart berechnet) 16,753 Par. Fuss (10. Nov. 1827), die
von Alexander Doignon, deren Herr Pieschel erwähnt,
5403 Meter = 17,725 Engl. oder 16,632 Par. Fuss bestim-
men. Birbeck's Resultat ist wieder grösser, und zwar um volle
132 Par. Fuss grösser als das meinige; das Herrn Doignon zu-
geschriebene Resultat stimmt wundersam, fast zu höflich, mit
dem meinigen trigonometrischen überein (vgl. den interessan-
ten Aufsatz über die mexikanischen Vulkane des Preuss. Lega-
tions-Secretärs Hrn. Pieschel, dem es selbst geglückt ist, am
26. März 1853 [wie 19 Jahre früher unserm jetzigen sehr
kenntnissvollen Gesandten in Washington, Hrn. von Gerolt,
begleitet von dem Baron Louis Gros, am 29. April 1834]
an den Krater zu gelangen: in Gumprecht's Zeitschr. für
Allg. Erdkunde. Bd. IV. S. 390. und Bd. V. S. 124–147).
Nach der sehr genauen Barometer-Messung des Hrn. von
Gerolt (28. Mai 1833) hat der Pico del Fraile, unterhalb
des Kraters des Popocatepetl, 15,850 Par. Fuss Höhe über
dem Meere.
Die neueste, gewiss mit vieler Sorgfalt angestellte Mes-
sung des Popocatepetl von den Herren Truqui und Craveri,
welche Sie in Ihren lehrreichen und so geschmackvoll
ausgestatteten Mittheilungen vom Jahre 1856 in Heft X.
Popocatepetl 2340 T.; an dem Nevada Iztaccihuatl 2305 T.; am Vul-
kan von Tolnea 2295 T. (s. über die numerischen Fundamente dieser
Resultate mein Asie centrale T. III. p. 251–270)
Geographische Notizen.
S. 358 bekannt gemacht haben, musste mich um so mehr
interessiren, als die bisherigen Barometer-Messungen eher
hatten zu der Vermuthung Anlass geben können, als sei
das Resultat meiner trigonometrischen Messung zu gross.
Herr Craveri fand im Sept. 1855 die Höhe des höchsten,
d. i. nordwestlichen, Randes des Kraters, mit dem vergli-
chen, was man für die mittlere Höhe des Luftdrucks in
Veracruz hielt, 5230 Meter = 16,099 Par. Fuss: also
170 Meter = 522 Par. Fuss geringer als ich, \nicefrac{1}{12} der
ganzen gemessenen Höhe. Auch die Stadt Mexiko fand
Hr. Craveri 2217 Meter hoch, während meine Beobachtun-
gen und die des Oberbergraths Burkart übereinstimmend
2277 Meter (1168 Toisen) gaben: also um 60 Meter
(184 Par. Fuss) oder \nicefrac{1}{37} der ganzen Höhe niedriger.
Da in Gebirgsgegenden alle trigonometrischen Messun-
gen, welche wegen der Kleinheit der Höhenwinkel nicht
vom Meeresufer aus unternommen werden können, gemisch-
ter Natur und zu einem beträchtlichen Theile (oft zu ½
oder \nicefrac{1}{2,7}) barometrisch sind, so ist die Höhen-Bestimmung
der Hochebene, in welcher die Standlinie (base) gemessen
worden, von grosser Wichtigkeit. Weil korrespondirende
Barometer-Beobachtungen am Meere selten oder meist in
allzu grosser Entfernung erhalten werden, so sind die Rei-
senden sehr geneigt, das, was sie aus Beobachtungen ge-
schlossen, die zu verschiedenen Jahreszeiten von ihnen
angestellt wurden, für die mittlere Höhe des Luftdrucks
in der Hochebene und an dem Meeresufer zu halten! Ich
kenne nur für Bogota vortreffliche Reihen Jahre lang täg-
lich zu denselben Stunden angestellter Barometer-Beobach-
tungen, von zweien meiner Freunde bekannt gemacht: dem
Dr. José Caldas (1807 und 1808), der, wie mein Begleiter
Carlos Montufar, als ein Opfer des Parteigeistes im Spa-
nischen Befreiungskriege fiel, und von dem geistreichen
Boussingault (1823 und 1824). Von Mexiko und Vera-
cruz sind mir keine sicheren mittleren Jahresbeobachtungen
bekannt, obgleich der verdienstvolle Spanische Hafen-Ka-
pitän Ortis, durch die Vorbedeutung der Nordstürme im
Luftdruck veranlasst, vielmalige tägliche Beobachtungen,
von 1791 bis 1803, über 28,000 an der Zahl, gesammelt,
aber nicht reducirt hatte (s. mein Voyage aux Régions équi-
noxiales du Nouveau Continent. 1825. T. X. p. 455 u. 447).
Reisende, gleichzeitig mit naturhistorischen, astronomischen
und magnetischen Beobachtungen beschäftigt, können nur
annähernde Resultate liefern. „Il n'y a pas très longtems
que l'on n'auroit pas osé agiter la question de savoir, si
une mésure faite au moyen du baromètre peut atteindre
l'exactitude des opérations trigonométriques. Aujourd'hui
il ne s'agit que d'examiner. si les deux genres de mésures
ont été faites dans des circonstances également favorables,
c'est-à-dire, en remplissant les conditions que la théorie
et une longue expérience ont préscrites. Le géomètre re-
doute le jeu des réfractions terrestres, le physicien doit
craindre la distribution si inégale et peu simultanée de la
température dans la colonne d'air aux extrémités de la-
quelle se trouvent placés les deux baromètres. Il est plus
que probable que, près de la surface de la terre, le dé-
croissement du calorique est plus lent qu'à de plus gran-
des élévations; et pour connoître avec précision la densité
moyenne de toute la colonne d'air, il faudroit, en s'élé-
vant dans un ballon, pouvoir examiner la température de
chaque couche.“ (Humb., Observ. astron. Vol. I. p. 138
und 371).