DER TOD DES TIZIAN
EIN DRAMATISCHES FRAGMENT
VON HUGO VON HOFMANNSTHAL
GESCHRIEBEN 1892
AUFGEFUEHRT ALS TOTENFEIER FUER
ARNOLD BOECKLIN IM KUENSTLERHAUSE
ZU MUENCHEN DEN 14. FEBRUAR 1901 .
ERSCHIENEN IM VERLAGE DER INSEL BEI
SCHUSTER & LOEFFLER BERLIN SW 46.
GEDRUCKT IN DER OFFICIN W. DRUGULIN
LEIPZIG .
DER TOD DES TIZIAN
EIN DRAMATISCHES FRAGMENT
VON HUGO VON HOFMANNSTHAL
GESCHRIEBEN 1892
AUFGEFUEHRT ALS TOTENFEIER FUER
ARNOLD BOECKLIN IM KUENSTLERHAUSE
ZU MUENCHEN DEN 14. FEBRUAR 1901 .
DRAMATIS PERSONAE .
Der Prolog .
Filippo Pomponio Vecellio , genannt Tizianello ,
des Meisters Sohn .
Giocondo .
Desiderio .
Gianino , er ist 16 Jahre und sehr schön .
Batista .
Antonio .
Paris .
Lavinia , eine Tochter des Meisters .
Cassandra .
Lisa .
Spielt im Jahre 1576 , da Tizian neunundneunzigjährig starb .
D ER Vorhang , ein Gobelin , ist herabgelassen . Im Proscenium
steht die Büste Böcklins auf einer Säule ; zu deren Fuss ein
Korb mit Blumen und blühenden Zweigen .
In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf , seine
Fackelträger hinter ihm .
Der Prolog ist ein Jüngling ; er ist venezianisch gekleidet , ganz
in schwarz , als ein Trauernder .
Der Prolog :
Nun schweig , Musik ! nun ist die Scene mein ,
Und ich will klagen , denn mir steht es zu !
Von dieser Zeiten Jugend fliesst der Saft
In mir ; und er , dess Standbild auf mich blickt ,
War meiner Seele so geliebter Freund !
Und dieses Guten hab ich sehr bedurft ,
Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit ,
Und wie der Schwan , ein selig schwimmend Tier ,
Aus der Najade triefend weissen Händen
Sich seine Nahrung küsst , so bog ich mich
In dunklen Stunden über seine Hände
Um meiner Seele Nahrung : tiefen Traum .
Schmück ich dein Bild mit Zweig und Blüten nur ?
Und du hast mir das Bild der Welt geschmückt ,
Und aller Blütenzweige Lieblichkeit
Mit einem solchen Glanze überhöht ,
Dass ich mich trunken an den Boden warf
Und jauchzend fühlte , wie sie ihr Gewand
Mir sinken liess , die leuchtende Natur !
Hör mich , mein Freund ! ich will nicht Herolde
Aussenden , dass sie deinen Namen schrein
In die vier Winde , wie wenn Könige sterben :
Ein König lässt dem Erben seinen Ruf
Und einem Grabstein seines Namens Schall . —
Doch du warst solch ein grosser Zauberer ,
Dein Sichtbares ging fort , doch weiss ich nicht
Was da und dort nicht alles von dir bleibt ,
Mit heimlicher fortlebender Gewalt
Sich dunklen Auges aus der nächtigen Flut
Zum Ufer hebt — oder sein haarig Ohr
Hinter dem Epheu horchend reckt ,
drum will ich
Nie glauben , dass ich irgendwo allein bin ,
Wo Bäume oder Blumen sind , ja selbst
Nur schweigendes Gestein und kleine Wölkchen
Unter dem Himmel sind : leicht dass ein Etwas ,
Durchsichtiger wie Ariel , mir im Rücken
Hingaukelt , denn ich weiss : geheimnisvoll
War zwischen dir und mancher Creatur
Ein Bund geknüpft , ja ! und des Frühlings Au
Siehe , sie lachte dir so wie ein Weib
Den anlacht , dem sie in der Nacht sich gab !
Ich meint’ um dich zu klagen ; und mein Mund
Schwillt an von trunkenem und freudigem Wort :
Drum ziemt mir nun nicht länger hier zu stehen .
Ich will den Stab dreimal zu Boden stossen
Und dies Gezelt mit Traumgestalten füllen .
Die will ich mit der Last der Traurigkeit
So überbürden , dass sie schwankend gehn ,
Damit ein jeder weinen mag und fühlen :
Wie grosse Schwermut allem unsren Thun
Ist beigemengt .
Es weise euch ein Spiel
Das Spiegelbild der bangen , dunklen Stunde
Und grossen Meisters trauervollen Preis
Vernehmet nun aus schattenhaftem Munde !
Er geht ab , die Fackelträger hinter ihm . Das Proscenium liegt
in Dunkel . Die Symphonie fällt wieder ein . Das Standbild ver-
schwindet .
Darauf ertönt das dreimalige Niederstossen eines Stabes . Der
Gobelin teilt sich und enthüllt die Scene .
Die Scene ist auf der Terrasse von Tizians Villa , nahe bei
Venedig . Die Terrasse ist nach rückwärts durch eine steinerne ,
durchbrochene Rampe abgeschlossen , über die in der Ferne die
Wipfel von Pinien und Pappeln schauen . Links rückwärts läuft
eine ( unsichtbare ) Treppe in den Garten ; ihr Ausgang vor der
Rampe ist durch zwei Marmorvasen markiert . Die linke Seite
der Terrasse fällt steil gegen den Garten ab . Hier überklettern
Epheu- und Rosenranken die Rampe und bilden mit hohem Ge-
büsch des Gartens und hereinhangenden Zweigen ein undurch-
dringliches Dickicht .
Rechts füllen Stufen fächerförmig die rückwärtige Ecke aus und
führen zu einem offenen Altan . Von diesem tritt man durch
eine Thür , die ein Vorhang schliesst , ins Haus . Die Wand des
Hauses , von Reben und Rosen umsponnen , mit Büsten geziert ,
Vasen an den Fenstersimsen , aus denen Schlingpflanzen quellen ,
schliesst die Bühne nach rechts ab.
Spätsommermittag . Auf Polstern und Teppichen lagern auf den
Stufen , die rings zur Rampe führen , Desiderio , Antonio , Ba-
tista und Paris . Alle schweigen . Der Wind bewegt leise den
Vorhang der Thür . Tizianello und Gianino kommen nach einer
Weile aus der Thür rechts . Desiderio , Antonio , Batista und
Paris treten ihnen besorgt und fragend entgegen und drängen
sich an sie . — Nach einer kleinen Pause :
Paris : Nicht gut ?
Gianino , mit erstickter Stimme :
Sehr schlecht .
Zu Tizianello , der in Thränen ausbricht :
Mein armer , lieber Pippo !
Batista : Er schläft ?
Gianino : Nein . Er ist wach und phantasiert
Und hat die Staffelei begehrt .
Antonio : Allein
Man darf sie ihm nicht geben , nicht wahr , nein ?
Gianino : Ja , sagt der Arzt . Wir wollen ihn nicht quälen
Und geben , was er will , in seine Hände .
Tizianello , ausbrechend :
Heut oder morgen ist ’s ja doch zu Ende !
Gianino : Er darf uns länger , sagt er , nicht verhehlen …
Paris : Nein , sterben , sterben kann der Meister nicht !
Da lügt der Arzt , er weiss nicht , was er spricht .
Desiderio : Der Tizian sterben , der das Leben schafft !
Wer hätte dann zum Leben Recht und Kraft ?
Batista : Doch weiss er selbst nicht , wie es um ihn steht ?
Tizianello : Im Fieber malt er an dem neuen Bild ,
In atemloser Hast , unheimlich wild :
Die Mädchen sind bei ihm und müssen stehn ,
Uns aber hiess er aus dem Zimmer gehn .
Antonio : Kann er denn malen , hat er denn die Kraft ?
Tizianello : Mit einer rätselhaften Leidenschaft ,
Die ich beim Malen nie an ihm gekannt ,
Von einem martervollen Zwang gebannt …
Ein Page kommt aus der Thür rechts , hinter ihm Diener . Alle
erschrecken .
Tizianello :
Gianino :
Paris : Was ist ?
Page : Nichts , nichts . Der Meister hat befohlen ,
Dass wir vom Gartensaal die Bilder holen .
Tizianello : Was will er denn ?
Page : Er sagt , er muss sie sehen …
„ Die alten , die erbärmlichen , die bleichen ,
Mit seinem neuen , das er malt , vergleichen …
Sehr schwere Dinge seien ihm jetzt klar ,
Es komme ihm ein unerhört Verstehen ,
Dass er bis jetzt ein matter Stümper war … “
Soll man ihm folgen ?
Tizianello : Gehet , gehet , eilt !
Ihn martert jeder Pulsschlag , den ihr weilt .
Die Diener sind indessen über die Bühne gegangen . An der
Treppe holt sie der Page ein . Tizianello geht auf den Fuss-
spitzen , leise den Vorhang aufhebend , hinein . Die Andern gehen
unruhig auf und nieder .
Antonio , halblaut :
Wie fürchterlich , das Letzte , wie unsäglich …
Der Göttliche , der Meister , lallend , kläglich …
Tizianello , zurückkommend :
Jetzt ist er wieder ruhig . Und es strahlt
Aus seiner Blässe , und er malt und malt .
In seinen Augen ist ein guter Schimmer ,
Und mit den Mädchen plaudert er wie immer .
Antonio : So legen wir uns auf die Stufen nieder
Und hoffen bis zum nächsten Schlimmern wieder .
Sie lagern sich auf den Stufen . Tizianello spielt mit Gianinos
Haar , die Augen halb geschlossen .
Batista , halb für sich :
Das Schlimmre … dann das Schlimmste endlich …
nein .
Das Schlimmste kommt , wenn gar nichts Schlimmres
mehr .
Das tote , taube , dürre Weitersein …
Heut ist es noch , als ob’s undenkbar wär …
Und wird doch morgen sein .
Pause .
Gianino : Ich bin so müd .
Paris : Das macht die Luft , die schwüle und der Süd .
Tizianello , lächelnd :
Der Arme hat die ganze Nacht gewacht !
Gianino , auf den Arm gestützt :
Ja , du … die erste , die ich ganz durchwacht .
Doch woher weisst denn du’s ?
Tizianello : Ich fühlt es ja ,
Erst war dein stilles Atem meinem nah ,
Dann standst du auf und sassest auf den Stufen …
Gianino : Mir war , als ginge durch die blaue Nacht ,
Die atmende , ein rätselhaftes Rufen .
Und nirgends war ein Schlaf in der Natur .
Mit Atemholen tief und feuchten Lippen ,
So lag sie , horchend in das grosse Dunkel ,
Und lauschte auf geheimer Dinge Spur .
Und sickernd , rieselnd kam das Sterngefunkel
Hernieder auf die weiche , wache Flur .
Und alle Früchte schweren Blutes schwollen
Im gelben Mond und seinem Glanz , dem vollen ,
Und alle Brunnen glänzten seinem Ziehn ,
Und es erwachten schwere Harmonien .
Und wo die Wolkenschatten hastig glitten ,
War wie ein Laut von weichen , nackten Tritten …
Leis stand ich auf — ich war an dich geschmiegt —
Er steht erzählend auf , zu Tizianello geneigt :
Da schwebte durch die Nacht ein süssen Tönen ,
Als hörte man die Flöte leise stöhnen ,
Die in der Hand aus Marmor sinnend wiegt
Der Faun , der da im schwarzen Lorbeer steht ,
Gleich nebenan , beim Nachtviolenbeet .
Ich sah ihn stehen still und marmorn leuchten ;
Und um ihn her im silbrig Blauen , Feuchten ,
Wo sich die offenen Granaten wiegen ,
Da sah ich deutlich viele Bienen fliegen ,
Und viele saugen , auf das Rot gesunken ,
Von nächtgem Duft und reifem Safte trunken .
Und wie des Dunkels leiser Atemzug
Den Duft des Gartens um die Stirn mir trug ,
Da schien es mir , wie das Vorüberschweifen
Von einem weichen , wogenden Gewand
Und die Berührung einer warmen Hand .
In weissen , seidig weissen Mondesstreifen
War liebestoller Mücken dichter Tanz ,
Und auf dem Teiche lag ein weicher Glanz
Und plätscherte und blinkte auf und nieder .
Ich weiss es heut nicht , ob’s die Schwäne waren ,
Ob badender Najaden weisse Glieder ,
Und wie ein süsser Duft von Frauenhaaren
Vermischte sich dem Duft der Aloë …
Und was da war , ist mir in eins verflossen :
In eine überstarke , schwere Pracht ,
Die Sinne stumm und Worte sinnlos macht .
Antonio : Beneidenswerter , der das noch erlebt
Und solche Dinge in das Dunkel webt !
Gianino : Ich war in halbem Traum bis dort gegangen ,
Wo man die Stadt sieht , wie sie drunten ruht ,
Sich flüsternd schmieget in das Kleid von Prangen ,
Das Mond um ihren Schlaf gemacht und Flut .
Ihr Lispeln weht manchmal der Nachtwind her ,
So geisterhaft , verlöschend leisen Klang .
Beklemmend seltsam und verlockend bang .
Ich hört es oft , doch niemals dacht ich mehr …
Da aber hab ich plötzlich viel gefühlt :
Ich ahnt’ in ihrem steinern stillen Schweigen ,
Vom blauen Strom der Nacht emporgespült ,
Des roten Bluts bacchantisch wilden Reigen ,
Um ihre Dächer sah ich Phosphor glimmen ,
Den Widerschein geheimer Dinge schwimmen .
Und schwindelnd überkam’s mich auf einmal :
Wohl schlief die Stadt : es wacht der Rausch , die
Qual ,
Der Hass , der Geist , das Blut : das Leben wacht .
Das Leben , das lebendige , allmächtge —
Man kann es haben und doch sein’ vergessen ! …
Er hält einen Augenblick inne .
Und alles das hat mich so müd gemacht :
Es war so viel in dieser einen Nacht .
Desiderio , an der Rampe , zu Gianino :
Siehst du die Stadt , wie jetzt sie drunten ruht ?
Gehüllt in Duft und goldne Abendglut
Und rosig helles Gelb und helles Grau ,
Zu ihren Füssen schwarzer Schatten Blau ,
In Schönheit lockend , feuchtverklärter Reinheit .
Allein in diesem Duft , dem ahnungsvollen ,
Da wohnt die Hässlichkeit und die Gemeinheit ,
Und bei den Tieren wohnen dort die Tollen ;
Und was die Ferne weise dir verhüllt ,
Ist ekelhaft und trüb und schaal erfüllt
Von Wesen , die die Schönheit nicht erkennen
Und ihre Welt mit unsren Worten nennen …
Denn unsre Wonne oder unsre Pein
Hat mit der ihren nur das Wort gemein …
Und liegen wir in tiefem Schlaf befangen ,
So gleicht der unsre ihrem Schlafe nicht :
Da schlafen Purpurblüten , goldne Schlangen ,
Da schläft ein Berg , in dem Titanen hämmern — —
Sie aber schlafen , wie die Austern dämmern .
Antonio , halb aufgerichtet :
Darum umgeben Gitter , hohe schlanke ,
Den Garten , den der Meister liess erbauen ,
Darum durch üppig blumendes Geranke
Soll man das Aussen ahnen mehr als schauen .
Paris , ebenso :
Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge .
Batista , ebenso :
Das ist die grosse Kunst des Hintergrundes
Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter .
Tizianello , mit geschlossenen Augen :
Das macht so schön die halbverwehten Klänge ,
So schön die dunklen Worte toter Dichter
Und alle Dinge , denen wir entsagen .
Paris : Das ist der Zauber auf versunknen Tagen
Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen ,
Denn wir ersticken , wo wir uns gewöhnen .
Alle verstummen . Pause . Tizianello weint leise vor sich hin .
Gianino , schmeichelnd :
Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken ,
Nicht unaufhörlich an das Eine denken .
Tizianello , traurig lächelnd :
Als ob der Schmerz denn etwas andres wär
Als dieses ewige dran-denken-müssen ,
Bis es am Ende farblos wird und leer …
So lass mich nur in den Gedanken wühlen ,
Denn von den Leiden und von den Genüssen
Hab längst ich abgestreift das bunte Kleid ,
Das um sie webt die Unbefangenheit ,
Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen .
Pause . Gianino ist seitwärts auf den Stufen , den Kopf auf den
Arm geschmiegt , eingeschlummert .
Paris : Wo nur Giocondo bleibt ?
Tizianello : Lang vor dem Morgen
— Ihr schlieft noch — schlich er leise durch die
Pforte ,
Auf blasser Stirn den Kuss der Liebessorgen
Und auf den Lippen eifersüchtge Worte …
Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne ( die Venus mit den
Blumen und das grosse Bacchanal ) . Die Schüler erheben sich
und stehen , solange die Bilder vorübergetragen werden , mit ge-
senktem Kopf , das Barett in der Hand .
Nach einer Pause ( Alle stehen ) :
Desiderio : Wer lebt nach ihm , ein Künstler und Lebendiger ,
Im Geiste herrlich und der Dinge Bändiger
Und in der Einfalt weise wie das Kind ?
Antonio : Wer ist , der seiner Weihe freudig traut ?
Batista : Wer ist , dem nicht vor seinem Wissen graut ?
Paris : Wer will uns sagen , ob wir Künstler sind ?
Tizianello : Er hat den regungslosen Wald belebt :
Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen
Und Epheuranken sich an Buchen schmiegen ,
Da hat er Götter in das Nichts gewebt :
Den Satyr , der die Syrinx tönend hebt ,
Bis alle Dinge in Verlangen schwellen
Und Hirten sich den Hirtinnen gesellen …
Batista : Er hat den Wolken , die vorüberschweben ,
Den wesenlosen , einen Sinn gegeben :
Der blassen weissen schleierhaftes Dehnen
Gedeutet in ein blasses , süsses Sehnen ;
Der mächt’gen goldumrundet schwarzes Wallen
Und runde , graue , die sich lachend ballen ,
Und rosig silberne , die abends ziehn :
Sie haben Seele , haben Sinn durch ihn .
Er hat aus Klippen , nackten , fahlen , bleichen ,
Aus grüner Wogen brandend weissem Schäumen ,
Aus schwarzer Haine regungslosen Träumen
Und aus der Trauer blitzgetroffner Eichen
Ein Menschliches gemacht , das wir verstehen ,
Und uns gelehrt , den Geist der Nacht zu sehen .
Paris : Er hat uns aufgeweckt aus halber Nacht
Und unsre Seelen licht und reich gemacht :
Und uns gewiesen , jedes Tages Fliessen
Und Fluten als ein Schauspiel zu geniessen ,
Die Schönheit aller Formen zu verstehen
Und unsrem eignen Leben zuzusehen .
Die Frauen und die Blumen und die Wellen
Und Seide , Gold und bunter Steine Strahl
Und hohe Brücken und das Frühlingsthal
Mit blonden Nymphen an krystallnen Quellen ,
Und was ein Jeder nur zu träumen liebt ,
Und was uns wachend Herrliches umgiebt :
Hat seine grosse Schönheit erst empfangen ,
Seit es durch Seine Seele durchgegangen .
Antonio : Was für die schlanke Schönheit Reigentanz ,
Was Fackelschein für bunten Maskenkranz ,
Was für die Seele , die im Schlafe liegt ,
Musik , die wogend sie in Rhythmen wiegt ,
Und was der Spiegel für die junge Frau
Und für die Blüten Sonne licht und lau :
Ein Auge , ein harmonisch Element ,
In dem die Schönheit erst sich selbst erkennt —
Das fand Natur in seines Wesens Strahl .
„ Erweck uns , mach aus uns ein Bacchanal ! “
Rief alles Lebende , das ihn ersehnte
Und seinem Blick sich stumm entgegendehnte .
Während Antonio spricht , sind die drei Mädchen leise aus der
Thür getreten und zuhörend stehen geblieben . Nur Tizianello ,
der zerstreut und teilnahmslos etwas abseits rechts steht , scheint
sie zu bemerken . Lavinia trägt das blonde Haar im Goldnetz
und das reiche Kleid einer venezianischen Patrizierin . Cassandra
und Lisa , etwa 19- und 17jährig , tragen Beide ein einfaches
Gewand aus weissem , anschmiegendem , flutendem Stoff ; nackte
Arme mit goldenen Schlangenreifen am Oberarm ; Sandalen ,
Gürtel aus Goldstoff . Cassandra ist aschblond , Lisa hat eine
gelbe Rosenknospe im schwarzen Haar . Irgend etwas an ihr
erinnert ans Knabenhafte , wie irgend etwas an Gianino ans
Mädchenhafte erinnert . Hinter ihnen tritt ein Page aus der Thür ,
der einen getriebenen , silbernen Weinkrug und Becher trägt .
Antonio : Dass uns die fernen Bäume lieblich sind ,
Die träumerischen , dort im Abendwind …
Paris : Und dass wir Schönheit sehen in der Flucht
Der weissen Segel in der blauen Bucht …
Tizianello , zu den Mädchen , die er mit einem leichten Nicken
begrüsst hat . — Alle Andern drehen sich um :
Und dass wir eures Haares Duft und Schein
Und eurer Formen mattes Elfenbein
Und goldne Gürtel , die euch weich umwinden ,
So wie Musik und wie ein Glück empfinden —
Das macht : Er lehrte uns die Dinge sehen …
Bitter :
Und das wird man da drunten nie verstehen !
Desiderio , zu den Mädchen :
Ist er allein ? Soll Niemand zu ihm gehen ?
Lavinia : Bleibt Alle hier . Er will jetzt Niemand sehen .
Tizianello : O , käm ihm jetzt der Tod , mit sanftem Neigen ,
In dieser schönen Trunkenheit , im Schweigen !
Alle schweigen .
Gianino ist erwacht und hat sich während der letzten Worte
aufgerichtet . Er ist nun sehr blass . Er blickt angstvoll von
einem zum andern .
Alle schweigen .
Gianino thut einen Schritt auf Tizianello zu . Dann hält er inne ,
zusammenschaudernd ; plötzlich wirft er sich vor Lavinia hin ,
die vorne allein steht und drückt den Kopf an ihr Knie .
Gianino : Der Tod ! Lavinia , mich fasst ein Grausen !
Ich war ihm nie so nah ! Ich werde nie ,
Nie mehr vergessen können , dass wir sterben !
Ich werde immer stumm daneben stehn
Wo Menschen lachen , und mit starrem Blick
Dies denken : dass wir alle sterben müssen !
Ich sah einmal : sie brachten mit Gesang
Einen geführt , dem war bestimmt zu sterben .
Er schwankte hin und sah die Menschen alle
Und sah die Bäume , die im leisen Wind
Die süssen Schattenzweige schaukelten .
Lavinia , wir gehen solchen Weg !
Lavinia , ich schlief nur eine Weile
Dort auf den Stufen , und das erste Wort ,
Da ich die Augen aufschlug , war der Tod !
Schaudernd :
Ein solches Dunkel senkt sich aus der Luft !
Lavinia steht hochaufgerichtet , den Blick auf den völlig hellen
Himmel geheftet . Sie streift mit der Hand über Gianinos Haar .
Lavinia : Ich seh kein Dunkel . Ich seh einen Falter
Dort schwirren , dort entzündet sich ein Stern
Und drinnen geht ein alter Mann zur Ruh .
Der letzte Schritt schafft nicht die Müdigkeit ,
Er lässt sie fühlen .
Indem sie spricht , und der Thür des Hauses den Rücken wendet ,
hat dort eine unsichtbare Hand den Vorhang lautlos aber heftig
zur Seite gezogen . Und alle , Tizianello voran , drängen lautlos
und atemlos die Stufen empor , hinein .
Lavinia , ruhig weitersprechend , immer gehobener :
Grüsse du das Leben !
Wohl dem der von des Daseins Netz gefangen
Tief atmend und nicht grübelnd , wie ihm sei ,
Hingiebt dem schönen Strom die freien Glieder ,
Und schönen Ufern trägt es ihn —
Sie hält plötzlich inne und sieht sich um . Sie begreift was ge-
schehen ist und folgt den andern .
Gianino , noch auf den Knieen , schaudernd vor sich hin :
Vorbei !
Er richtet sich auf und folgt den andern .
Der Vorhang fällt .