Meine Herren!
Ich habe niemals ein Hehl daraus gemacht, dass ich ein
Gegner der Bestrebungen war und bin, welche zum Aufgeben
der Bau-Akademie und zur Einrichtung eines Polytechnikums in
Berlin geführt haben.
Doch ist diese Angelegenheit, so viel ich weiss, entschieden,
und es kann nicht lohnen darüber noch ein Wort zu verlieren,
um so mehr, als ich weiss, dass ich in dieser Frage mit der Ma¬
jorität des geehrten Vereins nicht übereinstimme.
Doch war, m. H., bei den damaligen Berathungen der Archi¬
tekten-Verein nahezu einstimmig der Ansicht, dass das Polytech¬
nikum nur dann überhaupt segensreich wirken kann, wenn für die
Aufnahme in dasselbe eine gleichmässige und mindestens gleich
hohe Vorbildung gefordert würde, wie sie bisher bei der Aufnahme
in die Bau-Akademie verlangt wurde.
Ich erlaube mir zum Beweise dessen die bezüglichen Stellen
aus der Eingabe vom 7. October 1874 zu verlesen, welche der
Verein dem Herrn Handelsminister mit der Bitte um Berücksichti¬
gung überreicht hat. Es heisst dort:
„Für die Organisation der von uns zunächst für Berlin empfoh¬
lenen technischen Hochschule dürften die bei den Universitäten
gewonnenen Erfahrungen einen trefflichen Anhalt bieten, da es uns
unerlässlich erscheint, dass von den Studirenden jener Hoch¬
schule ausnahmslos dasselbe Maass allgemeiner wissenschaft¬
licher Vorbildung gefordert werden muss, wie von den Studirenden
der Universitäten. Dass der höhere Ziele erstrebende Techniker
eine derartige Vorbildung ebenso nöthig hat, wie der Angehörige
eines auf der Universität vertretenen Berufsfaches, ist eine Ueber¬
zeugung, die in technischen Kreisen immer weiteren Eingang findet
und durch die Erfahrung täglich als richtig bestätigt wird. Die
bestehenden polytechnischen Schulen Deutschlands, Oesterreichs
und der Schweiz, deren Erfolge übrigens hinreichen, um die Vor¬
theile der empfohlenen Vereinigung für die höchsten technischen
Lehranstalten klar zu stellen, haben sich diese Erfolge leider
zum Theil dadurch verkümmert, dass sie bezüglich der
Vorbildung der Aufzunehmenden zu geringe und ausser¬
dem nicht gleichmässige Anforderungen stellen. Die
Gründung einer, strengere Vorbedingungen für die Aufnahme stellen¬
den, technischen Hochschule in Preussen, würde unzweifelhaft auf
diese älteren Anstalten zurückwirken und die werthvolle Möglich¬
keit in Aussicht stellen, für die deutschen Polytechniken allmälig
eine ebenso einheitliche Organisation zu erzielen, wie für die deut¬
schen Universitäten.
Damit würde nicht nur die Gewinnung und Ausbildung von
Lehrkräften gefördert, sondern auch den Studirenden höchst er¬
wünschte Gelegenheit geboten werden, durch den Besuch verschie¬
dener technischer Hochschulen reichere Anschauungen zu sammeln.“
Ich bin mir bei den damaligen Berathungen vollkommen klar
gewesen, dass die Erfüllung dieser Forderung ihre Schwierigkeiten
haben werde, und gerade die Besorgniss meinerseits, dass man
diese Schwierigkeiten nicht überwinden werde, hat mich dahin
geführt, mich überhaupt gegen ein Polytechnikum auszusprechen.
Die Erfahrung lehrt nun, m. H., dass, wie es scheint, meine
Befürchtung keine unbegründete war.
Wir lesen in der „Deutschen Bauzeitung“ No. 64 vom 10. Aug.
dieses Jahres in einem „zur Reorganisation der preussischen Ge¬
werbeschulen“ überschriebenen Artikel, dass am 2. und 3. Aug. a. c.
eine Conferenz zur Begutachtung der Reformen der nach dem
Plan von 1870 eingerichteten Gewerbeschulen zusammen getreten
sei, welche auf ihr vorgelegte Fragen beschlossen hat:
1. Es soll in Zukunft zwei Gruppen von Gewerbeschulen
geben. Die eine als Vorbereitungsschule für das Polytechnikum.
Die andere als Vorbereitungsfachschule für Techniker mittleren
Ranges.
2. Beide Gruppen sollen ihre Schüler von Sexta an aus¬
bilden.
3. Die unteren (Vorklassen) sollen in Bezug auf Verwaltung
und Aufsicht mit den Klassen der eigentlichen Gewerbeschule in
einen einheitlichen Organismus verschmolzen werden.
4. Die Zahl der Vorklassen soll auf 5 vervollständigt werden.
5. und 6 bezieht sich lediglich auf die Gewerbeschulen für die
Techniker mittleren Ranges.
7. Der jetzt bestehende 8jährige Cursus der Gewerbeschulen,
welcher für die Studien auf der technischen Hochschule (Gewerbe-
Akademie) vorbereiten soll, ist auf einen 9jährigen auszudehnen; die
Abiturienten solcher Anstalten mit 9jährigem Cursus sollen nicht
nur zu allen höheren technischen Studien, sondern auch zu
den Staatsprüfungen auf dem gesammten technischen
Gebiet zugelassen werden.
Hiernach, m. H., soll nach den Vorschlägen der Conferenz eine
neue Gewerbeschule mit 9jährigem Lehrgang, d. h. eine neue
Art von Realschulen ohne Latein gebildet werden, welche
das Recht zum Besuch des Polytechnikums giebt, und deren Ab¬
solvirung das Recht zur Zulassung zu den Staatsprüfungen auf
dem gesammten technischen Gebiet gewährt.
Niemand von Ihnen, m. H., wird bestreiten können, dass dieser
Antrag, über dessen Annahme, so viel ich weiss, der Herr Han¬
delsminister noch keineswegs entschieden hat, vitale Interessen un¬
seres Vereins berührt, und dass er im Widerspruch steht mit
derjenigen Auffassung des Architekten-Vereins, welche derselbe in
seinem Bericht an den Herrn Handelsminister vom 7. October 1874
niedergelegt hat.
Hiernach scheint es mir eine unabweisliche Pflicht des Archi¬
tekten-Vereins zu sein, diese Angelegenheit in den Kreis seiner
Berathungen zu ziehen und wenn sich dabei eine Abweichung von
den Auffassungen der oben erwähnten Conferenz ergeben sollte,
hierüber dem Herrn Handelsminister ehrerbietigst seine Ansicht zur
Sache vorzutragen.
Wenn wir nun den in der „Deutschen Bauzeitung“ mitgetheil¬
ten, übrigens aus dem „Deutschen Reichsanzeiger“ entnommenen,
Bericht, seinem Wortlaute nach, genau prüfen, so ergiebt sich
meines Erachtens mit unbestreitbarer Sicherheit, dass es sich keines¬
weges in dieser Conferenz darum gehandelt hat, die Interessen
des Berufs, dem wir alle angehören, zu fördern und zu dem Ende
die hierauf bezüglichen Verordnungen und Bestimmungen nach
ihrem Werth oder Unwerth hin zu prüfen, sondern, dass es darauf
ankam, neue lebensfähige Gewerbeschulen oder ältere nicht lebens¬
fähige Gewerbeschulen lebensfähig zu machen, und dass sich aus
diesem Grunde und bei diesem Beginnen beiläufig die Nothwen¬
digkeit ergab, Forderungen aufzustellen, welche, wie Jeder zugeben
wird, die Interessen unseres Berufs auf’s Einschneidenste berühren,
und wie ich in diesem Augenblicke, freilich nur für mich, sagen
kann, verletzen.
Aber auch der geehrte Verein wird diese meine Auffassung
theilen müssen, wenn er heute noch auf dem Standpunkte seines
Berichtes vom 7. October 1874 steht.
Hätte es sich, m. H., überhaupt um eine Frage in der Conferenz
gehandelt, welche nicht die Gewerbeschulen, sondern uns
betroffen hätte, so würde unzweifelhaft die Vertretung unseres
Berufs in der Conferenz eine andere gewesen sein.
Die Herren Architekten auf der Conferenz werden uns ebenso
zugeben, dass wir ihnen persönlich als hochbegabte und einsichts¬
volle Collegen gerne den Tribut unserer Hochachtung darzubringen
bereit sind, wie, dass sie nicht als Vertreter unserer nach Tau¬
senden zählenden Fachgenossen, zumal ohne jede vorherige Rück¬
frage und Verständigung mit denselben, gelten können.
Wenn ich dies sonach auch als einen Beweis dafür ansehe,
dass der Zweck der Conferenz nur die Lebendigmachung der Ge¬
werbeschulen war, so wird dieser Beweis noch verstärkt, wenn
wir uns sonst die Zusammensetzung dieser Conferenz ansehen und
überall in den Beschlüssen derselben das Bestreben wahrnehmen,
durch Verleihung von Rechten, wie desjenigen zum einjährigen
Militairdienst und zum Besuch des Polytechnikums, die Gewerbe¬
schulen besucht und lebensfähig zu machen.
Ich und wir alle, m. H., anerkennen im höchsten Maasse diese
Bestrebungen; wenn wir aber, wie ich dies jetzt thue, uns dagegen
verwahren, dass wir, unser Stand, dabei nicht unter die Räder
eines Wagens gerathen, welcher einem andern Ziele als dem
unserigen, zufährt, wenn wir uns vertheidigen, aufgeschreckt durch
die Nachricht von einem anderweitigen Vorgehen, welches unsere
Verhältnisse ungehört und unseren ausgesprochenen Wünschen ent¬
gegen ändert — und wie ich annehme, sehr zu unserem Nachtheil,
damit anderweitige Bestrebungen unterstützt werden, so wird man
uns wenigstens nicht den Vorwurf machen können, dass es unsere
Absicht sei, anderweitiges Gute zu hindern; wir wünschen den
Gewerbeschulen jedes Glück und Gedeihen; was wir aber nicht
wollen, ist, dass die Interessen unseres Faches in Verbindung damit
gebracht und verletzt werden.
Was mich, m. H., seinerzeit besonders besorgt machte, als
es sich um die Errichtung eines Polytechnikums handelte, war,
dass eine solche Schule nur dann eine wirklich höhere Schule
ist, und nur dann den Charakter einer besonderen Abrichtungs¬
anstalt für bestimmte Fächer vermeidet, wenn sämmtliche Schüler
einer solchen Hochschule in Bezug auf ihre allgemein wissenschaft¬
liche Vorbildung und somit, in ihrer sozialen Stellung, einander
im Wesentlichen gleich stehen; dass aber dieses Ziel nicht zu
erreichen sei, wenn man in unnöthig harter Weise die, aus der
freien und selbständigen Entwickelung verschiedener Berufe histo¬
risch verschieden geformten, allgemeinen wissenschaftlichen Vor¬
bedingungen auf ein Maass zusammendrückt; wer bislang mehr
leisten musste, soll fortan weniger, wer weniger leistete, mehr
leisten, und warum? damit das Polytechnikum lebensfähig werde.
Dieser Fall ist, m. H., jetzt eingetreten, die Gewerbeschulen
werden heraufgeschraubt, die Ansprüche an die wissenschaftliche
Vorbildung der Bautechniker sollen herabgedrückt werden.
Zu einer Zeit, in welcher in fast Gefahr drohender Weise
sich die Spezialitäten entwickeln, um Freiheit in formeller Beziehung,
Gründlichkeit auf beschränkterem Gebiet zu erlangen, soll hier,
um alles unter einen Hut bringen zu können, die natürliche
Verschiedenheit vernichtet werden; um alle unter diesen grossen
Hut bringen zu können, soll der Kleine auf die Bank gestellt
werden und der Grosse gebückt stehen.
Liegt nun für uns eine Veranlassung vor, uns zu bücken? war
das Maass unseres Wissens zu gross und das Maass unseres Könnens
zu klein? Ich bestreite beides. Es ist recht, wenn wir gegen uns
selbst eine strenge Kritik üben oder mit unseren Gesammtleistungen
nicht zufrieden sind, aber ich glaube, nur wir haben dieses Recht
dazu. Wie sich seit dem Anfang dieses Jahrhunderts, als in Armuth
und Dürftigkeit der preussische Staat darnieder lag, bei dem Anfangs
vollständigen Fehlen aller bedeutenden Aufgaben, deren nur die
neuere Zeit, allerdings in steigender Progression, einige gereift hat,
bei der fast mehr als bescheidenen Besoldung und Honorirung
Angesichts der Verantwortlichkeit, die uns zufällt, das technische
Leistungsvermögen unseres Berufs entwickelt hat, die Stufe,
auf der wir im Hochbau, im Bau-Ingenieurwesen stehen, die Achtung,
welche wir uns in der treuen und gewissenhaften Verwaltung der
unserer Disposition unterstellten Bauten und Bausummen verschafft
haben, der Einfluss, den wir uns, kraft unserer wissenschaftlichen
Vorbildung in den eigentlichen Verwaltungskreisen gesichert haben,
verdient und geniesst, wie ich denke, volle Anerkennung; steht unser
Eisenbahnwesen etwa auf einer niedrigern Stufe in technischer Bezie¬
hung? haben unsere Hochbauer nicht von dem Augenblicke an, als
ihnen in nennenswerthem Maasse Aufgaben zu öffentlichen und
Privat-Bauten zufielen, ihre Leistungsfähigkeit in bester Weise und,
wir dürfen wohl sagen, in schnellerem Tempo entwickelt, als ihnen
Aufgaben gestellt wurden?
Gefällt das eine oder das andere nicht, so möge man sich des
richtigen Sprüchwortes erinnern, dass über den Geschmack schwer
zu disputiren ist, auch möge man zugeben, dass manche Aufgabe
wohl nicht immer der richtigen Persönlichkeit gestellt sei, aber an
vorhandenen Männern, welche der Aufgabe gewachsen wären, hat
es wohl nicht gefehlt.
Warum also ändern, warum herabdrücken wollen? Wenn es
einer Aenderung bedarf, so kann diese meines Erachtens nur darin
bestehen, dass die wissenschaftlichen Anforderungen, bezüglich
der Vorbildung, verschärft und nicht herabgedrückt werden, es wird
dadurch am ehesten vielleicht mancher gelegentlich gehörten Klage
über Zurücksetzung unseres Standes aus unseren eigenen Kreisen
ein Ende gemacht werden können.
Die Forderung der Conferenz vom 3. August c. ist aber eine
solche Herabdrückung.
Ich werde das in der Folge beweisen, möchte hier aber vor¬
erst von einer Richtung sprechen, welche, wie mir scheint, das
Vorgehen der Conferenz unterstützt; es ist dieses die rein künst¬
lerische Richtung, welche, mit einiger Neigung sich abzutrennen
von den uns allen gemeinsamen Lebens- und Strebensbedingungen
fast ausschliesslich als Aufgabe die Darstellung des Schönen durch
und in der Architektur anerkennt.
Ich lasse es unerörtert, wie gross denn thatsächlich der Raum
ist, den diese ausschliessliche Richtung in unserem gemeinsamen
Berufsleben in Rücksicht auf unsere Armuth und auf die Entwicke¬
lung der übrigen freien Künste beanspruchen kann; ich lasse den
Widerspruch unerörtert, der gerade darin liegt, dass Männer dieser
Richtung einerseits die Bildung des nivellirenden Polytechnikums
forderten, andererseits dieselben Männer oder ihnen Nahestehende
in Erwägung zogen, ob es nicht rathsam sei, die eigentlichen
Schönbauer ganz von unserem Bildungsgange abzutrennen und sie
hinüber zu führen in die Akademie der Künste, wo der Schönbau
als freie Kunst neben Malerei und Skulptur gelehrt werden sollte;
darauf aber möchte ich hinweisen, dass, wenn bei unseren Schön¬
bauern selbst eine Unzufriedenheit mit den bezüglichen Leistungen
besteht, und wenn sie den Grund von ungenügenden Leistungen in
dem zu viel Lernen nach der einen und dem zu wenig Lernen nach
der anderen Seite erkennen, sie, m. H., darin irren, wenn sie glauben,
das eigentlich Entscheidende, das eigentlich Bedeutende für und in
ihrer Leistung könne überhaupt erlernt werden; Talent kann nicht
gelehrt werden, und kein Lehrer schafft die Genies; die künstlerische
Leistung ist der Gesammtausdruck des von der Natur allein ver¬
liehenen geistigen und ethischen Vermögens; Hülfswissenschaften,
Schattenconstruction und Perspective, Anatomie und Farbenmischung
kann man lehren, aber wer alles dieses am Schnürchen wüsste, wie
ein akademischer Professor es nur kann, hat sich darum auch noch
nicht um eines Haares Breite des Vermögens bemächtigt, Schönes
darzustellen. Wenn er es gelernt hat, Richtiges zu schaffen, so
kann er dies auch auf dem Polytechnikum erreichen, eines Besuchs
der Kunstakademie bedarf es dazu nicht.
Für die Aufgabe einer Steigerung des künstlerischen Vermögens
kenne ich nur einen Weg, der ein gewisses, wenn auch nur be¬
scheidenes Resultat verspricht; das ist nicht die Kunstakademie,
auch nicht das Polytechnikum, das ist die Atelierausbildung.
Wirklich zu den Füssen eines Meisters sitzen, an seinen Leiden
und Freuden theilnehmen, seinen Stolz und seinen Kummer mit
empfinden, sein erstes naïves Urtheil über Kunstleistungen be¬
lauschen, im Gespräch, mit der Ehrfurcht des Schülers, die Ansichten
des Meisters über alle göttlichen und menschlichen Dinge vernehmen,
das kann fördern, weil es bis zu einem gewissen Grade den Schüler
in seinem gesammten geistigen und ethischen Vermögen zu steigern
vermag.
Ihnen also, die Sie in den Thätigkeitsgebieten unseres Berufs
fast nur das künstlerische Moment anerkennen wollen, rufe ich zu,
dass unsere Bestrebungen niemals die Ihrigen kreuzen können, dass
unsere gesteigerten wissenschaftlichen Anforderungen aber auch
Ihren Schülern zu Gute kommen werden.
Fast könnte man sich schämen, den Gemeinplatz auszusprechen,
dass die Bildung den Menschen veredelt, da niemand daran zweifeln
wird, aber ich hoffe, es wird auch niemand daran zweifeln, dass
das wirkliche künstlerische Vermögen eines Menschen, ich meine
das unlehrbare, nur durch eine Gesammtveredelung des Menschen
gesteigert werden kann. Und so werden auch Sie mir zustimmen,
wenn ich die Forderung aufstelle, unsere allgemeine wissenschaft¬
liche Ausbildung nicht herabzudrücken, sondern ver¬
mehren.
Ich komme nun zu der Frage, ob die neue Gewerbeschule
im Verhältniss zu Gymnasium und Realschule I. Ordnung einen
Rückgang in der allgemeinen wissenschaftlichen Ausbildung bedeutet
oder nicht, und ob unser Stand, welcher neben der rein künstleri¬
schen Richtung, den Tiefbau, das Bauingenieurwesen, das Maschinen¬
bauwesen, das ganze Baubeamtenthum in sich schliesst, einen Rück¬
gang vertragen könne.
Nicht die grössere oder geringere Fülle von solchen Kennt¬
nissen, deren Besitz an sich keinen nachweisbaren Einfluss auf das
menschliche Gemüth ausübt, schafft Bildung.
Zu wissen, dass Kochsalz Chlornatrium ist, dass die Fort¬
pflanzungsorgane der Sagitta so und so beschaffen sind, dass im
Herzen von Afrika der Tanganyika-See liegt, ist werthvoll vom
Standpunkt einer praktischen Verwerthung aus; der letzte Zweck
unseres Lebens aber, die Verschönerung unseres gesammten
inneren Menschen, wird damit nicht erreicht; man legt, wie
Sie wissen, mehr und mehr Gewicht auf die Naturgeschichte, —
wie aber kommt es, dass dabei das weitaus interessanteste Object
der Naturforschung, der menschliche Geist, seine Entwickelung,
seine Geschichte, seine Kultivirung von fast thierischer Rohheit zu
jenen lichtvollen Höhen, die er in verschiedenen Völkern und
zu verschiedenen Zeiten erklommen, in den Hintergrund gedrängt
wird? Ist die Geschichte der Kunst, der Philosophie, der Religion
nicht eine Naturgeschichte des menschlichen Geistes? Ist die Staaten¬
geschichte, alles, was wir politische Wissenschaft nennen mögen,
etwas Anderes?
Erinnern wir uns doch, dass das Leistungsvermögen unserer
Zeit, welches wahrlich kein geringes ist, ganz und gar gekeimt,
gewachsen und zur Blüthe gebracht worden ist auf dem Grunde
jener Bildung, welche die Kenntniss der Naturgeschichte des mensch¬
lichen Geistes geschaffen hat; was giebt Europa die Herrschaft über
die Welt, als diese Bildung; — man mag sich berauschen im Ent¬
zücken über japanesische Kunstleistungen und willig zugeben, dass
Leistungen unserer Industrie jenen weit nachstehen, aber ein Atten¬
tat gegen uns und unsere Geschichte ist es, daraus den Schluss zu
ziehen, wir müssten die Zeit, die wir bislang gewohnt waren, auf
die Kenntniss und das Studium der Geschichte des menschlichen
Geistes zu verwenden, mit Versuchen zur Hervorbringung ähnlicher
Formen ausfüllen; unsere Gesammtbildung wird Herr werden über
jene Kunstindustrie, umgekehrt wird es niemals der Fall sein.
So hoch wir auch den Werth einer schönen Vase taxiren wollen,
— und wahrlich in der Bewunderung von alten Teppichen und Ge¬
wandmustern, Majoliken und Bronzen leisten wir Beachtenswerthes,
— er kommt dem Werth leidenschaftsloser Weisheit, eines billigen
Urtheils, einer humanen Gesinnung nicht gleich, und hierauf soll
Erziehung und Lehre gerichtet sein, und hierhin soll die Bildung
eines Menschen gerichtet werden, so weit als möglich, ehe er an
seine Ausbildung als Künstler, Ingenieur, als Staatsmann oder
Teppichfabrikant geht.
Wenn wir zurückblicken auf die Entwickelung unseres Volkes
seit den vierziger Jahren, so können wir es dem schnellen Tempo
dieser Entwickelung danken, dass wir Lebende noch die Erfahrung
machen, wie Wege, die unter allgemeinster Begeisterung als zum
glücklichsten Ziele führende erschienen, sich als Irrwege heraus¬
gestellt haben, wie wir nach gutem Wandern auf ihnen neuen Zwei¬
feln, neuen Hindernissen begegneten, wie wir auf manchen zur
Umkehr gezwungen wurden. So waren es die Realschulen, die
reale Ausbildung, welche dem Erziehungswesen in unserem Staate
eine befriedigende Lösung aller Schwierigkeiten geben sollten; statt
eingedenk zu sein dessen, was die Gymnasien unserer Nation ge¬
leistet, statt die bessernde Hand anzulegen, wo sich an ihnen Mängel
herausstellten, brach man für einen guten Theil der Nation mit
ihnen und proklamirte das Evangelium der realen Wissenschaften
und der Realschulen. Es ist das so recht ein charakteristisches
Zeichen unserer Zeit; statt zu bessern, — in Missmuth über Un¬
vollkommenheiten Bestehendes aufzugeben und hastig in neuen For¬
men zu experimentiren, ohne zu bedenken, dass jedes neue Gute
auch seine neuen Mängel mit sich bringt. Ich glaube nicht Un¬
recht zu haben, und jedenfalls steht mir das Urtheil erfahrener
Fachmänner zur Seite, wenn ich sage, dass alle Experimente im
Unterrichtswesen, welche der Zeit nach der fast alleinigen Herr¬
schaft der Gymnasien angehören, zum mindesten weit hinter den
Erwartungen zurückgeblieben sind, die man an sie knüpfte. Sieht
nicht die vorliegende Reorganisation der Gewerbeschulen gerade so
aus, als wenn sie auch eine Reorganisation der Realschulen erster
Ordnung wäre? und würde man diese Reorganisation vornehmen,
wenn man zufrieden wäre? Auf alle Fälle ist, was man will, ein
neues Experiment, aber nach dem alten Grundsatze: „fiat experi¬
mentum in corpore vili“; möge man es nicht an uns vornehmen! —
Es liegt nicht die Absicht vor, Abänderungsvorschläge zu
machen; ich begnüge mich vollständig mit der Verfassung, welche
für den Bildungsgang in unserm Beruf vorgeschrieben ist. Wenn
ich das Abiturientenexamen auf den Realschulen erster Ordnung
als ausreichend für unsern Beruf erachte, so geschieht es, weil in
diesen Schulen immer noch, wenn auch vielleicht nicht in ausrei¬
chendem Maasse, die lateinische Sprache betrieben wird. Ueber
ihre Bedeutung für die Schule äusserte sich seiner Zeit die Preussi¬
sche Unterrichtsverwaltung:
„Diese Stellung (als integrirender und wesentlicher Theil des
Lehrplans) gebührt der lateinischen Sprache sowohl wegen der
Wichtigkeit, welche sie für die Kenntniss des Zusammenhanges der
neueren europäischen Cultur mit dem Alterthum hat, wie als grund¬
legende Vorbereitung des grammatischen Sprachstudiums überhaupt
und insbesondere des der neueren Sprachen, welches ohne Kennt¬
niss des Lateinischen immer oberflächlich bleibt.
„In dieser Beziehung ist die lateinische Sprache vorzüglich ge¬
eignet, zur Bildung des Sinnes für scharfe Unterscheidung der
Formen beizutragen.“
Ist nun dieses Ziel, wie Bonitz meint, bei den Realschulen
nicht erreicht, und verwirft die Conferenz den lateinischen Unter¬
richt überhaupt aus diesem Grunde, so scheint es mir doch
näher zu liegen, die Ansprüche an die Kenntnisse dieser Sprache
wiederum so weit zu steigern, dass die Absichten der Unterrichts¬
verwaltung erreicht werden, nicht aber, weil man nicht genug
hatte, auch noch das Wenige wegzuwerfen; sei es so mit der
Gewerbeschule, für die ich zu reden keinen Beruf habe; fort aber
damit für jede Schule, welche die Vorbildung für unsern Beruf ge¬
währen soll; von dieser verlangen wir, was Bonitz von dem Gym¬
nasium sagt:
„Es ist nicht niedere Fachschule für irgend eine besondere
Wissenschaft, sondern hat dem aus ihr austretenden Schüler die
Wahl irgend einer der Wissenschaften offen zu lassen, deren Ver¬
einigung die Universität bildet; es hat daher durch elementare ein¬
dringende Beschäftigung für alle Hauptrichtungen des menschlichen
Wissens dasjenige auf Verständniss beruhende Interesse zu wecken,
von welchem aus Vertiefung in die einzelne Wissenschaft möglich
wird, ohne den Blick und die Werthschätzung für die nach andern
Zielen gehende Forschung zu verlieren. Diese Richtung auf allge¬
meine Bildung gegenüber der frühzeitigen Beschränkung des Blickes
auf ein einzelnes Gebiet, der ideale Zug zur Wissenschaft gegen¬
über der Beschränkung auf das unmittelbar praktisch Verwendbare
darf, wie er auch durch die Mängel der Ausführung getrübt sein
mag, als der Charakter bezeichnet werden, zu dem sich die Gym¬
nasien aus ihrer Aufgabe, zur Universität vorzubereiten, immer ent¬
schiedener entwickelt haben.“
Bonitz spricht hier von der Universität. Schon Recht!
Aber wenn hieraus sich eine Unanwendbarkeit seiner Forderung
für uns ergeben sollte, so resultirt für mich nur der Schluss,
nicht, dass wir die Gymnasien entbehren könnten, sondern viel¬
mehr, dass die technische Hochschule, welche uns für unsern Beruf
vorbereitet, den Universitäten gleich formirt werden müsse.
Die Stellung, welche unsere Berufsgenossen, wer sie auch
seien, im Staat, in der Gesellschaft, in der Gemeinde und im Amt,
auch dem Einzelnen gegenüber, einzunehmen haben, verträgt
nicht den Mangel klassischer Bildung. — Die Aufgaben,
welche uns gestellt werden, verlangen, dass wir in Wort und Schrift
Herr seien über die deutsche Sprache; — ist der das wirklich, dem
die Kenntniss der lateinischen Sprache gänzlich abgeht? Sie ver¬
langt in Allem, was nicht rein fachlicher Natur ist, dieselbe Bil¬
dung, dieselbe sprachliche Gewandtheit, dieselbe Kenntniss der
Geschichte, vor Allem dieselbe Kenntniss der Naturgeschichte des
menschlichen Geistes, wie sie Diejenigen besitzen, mit denen
wir in unserm Berufsleben zu cooperiren haben, und welchen uns
unsere Verfassung gleichstellt. Nicht zu wissen, was Kochsalz sei,
oder wie ein Stern heisse, oder wie man Silber aus dem Erz ge¬
winne, ist für Keinen, ausser dem Fachmann, eine Unwissen¬
heit und ein Bildungsmangel; dem sprachlichen Schatz aber,
um welchen die lateinische Sprache unsere Sprache bereichert hat,
fremd und in etymologischer Beziehung hülflos gegenüber stehen,
ist eine Unbildung und in unserem vorhandenen Volksbewusst¬
sein für denjenigen, welcher Stellungen einnimmt, wie sie uns,
Dank unserer Ausbildung, jetzt zufallen, eine Schmach.
Ich nähere mich dem Schlusse; doch wenn ich auch fürchten
muss, Ihre Geduld auf eine etwas harte Probe gestellt zu haben,
auf zwei Dinge möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch lenken. Ich
halte die Annahme des Conferenzantrages für unmöglich, wenn
unsere Fachgenossen die sociale Stellung beibehalten sollen, die
sie inne haben. Was die amtliche Stellung anbetrifft, und dies ist
bei der grossen Zahl von Beamten unter uns nicht ohne Bedeu¬
tung, so glaube ich, dass der Staat, die Kommunen, ja selbst
grosse Privatverwaltungen denjenigen bei Anstellungen in der Regel
den Vorzug geben werden, welche für ihr Fach die Vorbildung in
der bisherigen Weise genossen haben. Es wird sich dann so
eine Art Fachgenossen erster und zweiter Klasse ausbilden, wie
dies, wenigstens in den fünfziger Jahren, der Fall war, als es nach
einer und nach zwei Richtungen hin geprüfte Baumeister gab.
Auch diese Entwickelung wird, glaube ich, Ihren Beifall nicht
finden.
Das Andere, dessen ich erwähnen wollte, ist, dass, soviel ich
gehört habe, das Bergbaufach auch keine Neigung empfindet, die
Vorschläge der Conferenz für sich gelten zu lassen, dass in den
Ausbildungsanstalten für den militairischen Beruf man nicht
geglaubt hat, auf das Lateinische als Unterrichtsgegenstand verzich¬
ten zu können, dass auf eine Anfrage des Herrn Kultusministers
die Kommission zur Berathung der ärztlichen Prüfungsreform be¬
züglich der Zulassungsbedingungen zum medicinischen Studium sich
dahin entschieden ausgesprochen hat, dass an einer klassischen
Bildungsgrundlage für die Mediciner festgehalten werden
müsse. Es ist dies unzweifelhaft auch eine Lehre für uns.
Ich schliesse. Der Weg des Polytechnikums ist betreten; seine
Consequenzen beginnen sich zu äussern. Möge der geehrte Verein
nicht unterlassen, zu thun, was er, wenn nicht zur Förderung,
so doch zur Sicherung unserer Berufsinteressen für nothwendig
erachtet, und möge der Herr Handelsminister, wie wir es von dieser
hohen Stelle stets gewohnt gewesen sind, wenn wir uns ihr bittend
nahten, unseren Vorstellungen ein geneigtes Gehör schenken!