I.
Reiſe von Muͤnchen nach Genua.
1*
Ein edles Gemuͤth kommt nie in Eure Rechnung;
und daran ſcheitert heute Eure Weisheit. (Er oͤffnet ſeinen
Schreibtiſch, nimmt zwey Piſtolen heraus, wovon er das eine
auf den Tiſch legt und das andre ladet.)
Robert's Macht der Verhaͤltniſſe.
Capitel I.
Ich bin der hoͤflichſte Menſch von der Welt.
Ich thue mir was darauf zu gute, niemals
grob geweſen zu ſeyn auf dieſer Erde, wo es
ſo viele unertraͤgliche Schlingel giebt, die ſich
zu einem hinſetzen und ihre Leiden erzaͤhlen oder
gar ihre Verſe deklamiren; mit wahrhaft chriſt¬
licher Geduld habe ich immer ſolche Miſere ruhig
angehoͤrt, ohne nur durch eine Miene zu ver¬
rathen, wie ſehr ſich meine Seele ennuirte.
Gleich einem buͤßenden Braminen, der ſeinen
Leib dem Ungeziefer Preis giebt, damit auch
dieſe Gottesgeſchoͤpfe ſich ſaͤttigen, habe ich
dem fatalſten Menſchengeſchmeiß oft tagelang
Stand gehalten und ruhig zugehoͤrt, uudund meine
inneren Seufzer vernahm nur Er, der die Tu¬
gend belohnt.
Aber auch die Lebensklugheit gebietet uns
hoͤflich zu ſeyn, und nicht verdrießlich zu ſchwei¬
gen, oder gar Verdrießliches zu erwiedern, wenn
irgend ein ſchwammiger Kommerzienrath oder
duͤrrer Kaͤſekraͤmer ſich zu uns ſetzt, und ein
allgemein europaͤiſches Geſpraͤch anfaͤngt mit den
Worten: „Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung.“
Man kann nicht wiſſen, wie man mit einem
ſolchen Philiſter wieder zuſammentrifft, und er
kann es uns dann bitter eintraͤnken, daß wir
nicht hoͤflich geantwortet: „Die Witterung iſt
ſehr ſchoͤn.“ Es kann ſich ſogar fuͤgen, lieber
Leſer, daß Du zu Caſſel an der Table d'Hôte
neben beſagtem Philiſter zu ſitzen koͤmmſt, und
zwar an ſeine linke Seite, und er iſt juſt der
Mann, der die Schuͤſſel mit braunen Karpfen
vor ſich ſtehen hat und luſtig austheilt; — hat
er nun eine alte Pique auf Dich, dann reicht
er die Teller immer rechts herum, ſo daß auch
nicht das kleinſte Schwanzſtuͤckchen fuͤr Dich uͤbrig
bleibt. Denn ach! du biſt juſt der Dreizehnte
bei Tiſch, welches immer bedenklich iſt, wenn
man links neben dem Trancheur ſitzt, und die
Teller rechts herumgereicht werden. Und keine
Karpfen bekommen, iſt ein großes Uebel; naͤchſt
dem Verluſt der Nationalkokarde vielleicht das
groͤßte. Der Philiſter, der Dir dieſes Uebel
bereitet, verhoͤhnt Dich noch obendrein, und
offerirt Dir die Lorbeeren, die in der braunen
Sauce liegen geblieben; — ach! was helfen
einem alle Lorbeeren, wenn keine Karpfen dabei
ſind! — und der Philiſter blinzelt dann mit den
Aeuglein, und kichert und liſpelt: Es iſt heute
eine ſchoͤne Witterung.
Ach, liebe Seele, es kann ſich ſogar fuͤgen,
daß Du auf irgend einem Kirchhofe neben dieſem
ſelben Philiſter zu liegen koͤmmſt, und hoͤrſt Du
dann am juͤngſten Tage die Poſaune erſchallen
und ſagſt zu Deinem Nachbar: „Guter Freund,
reichen Sie mir gefaͤlligſt die Hand, damit ich
aufſtehen kann, das linke Bein iſt mir einge¬
ſchlafen von dem verdammt langen Liegen!“
dann bemerkſt Du ploͤtzlich das wohlbekannte
Philiſterlaͤcheln, und hoͤrſt die hoͤhniſche Stimme:
Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung.
Capitel II.
„Es iſt heute eine ſcheene Witterung —“
Haͤtteſt Du, lieber Leſer, den Ton gehoͤrt,
den unuͤbertrefflichen Fiſtelbaß, womit dieſe Worte
geſprochen wurden, und ſaheſt Du gar den
Sprecher ſelbſt, das erzproſaiſche Wittwenkaſſen¬
geſicht, die ſtockgeſcheuten Aeuglein, die aufge¬
ſtuͤlpt pfiffige Forſchungsnaſe: ſo erkannteſt Du
gleich, dieſe Blume iſt keinem gewoͤhnlichen Sande
entſproſſen, und dieſe Toͤne ſind die Sprache
Charlottenburgs, wo man das Berliniſche noch
beſſer ſpricht als in Berlin ſelbſt.
Ich bin der hoͤflichſte Menſch von der Welt,
und eſſe gern braune Karpfen, und glaube zu¬
weilen an Auferſtehung, und ich antwortete: In
der That, die Witterung iſt ſehr ſcheene.
Als der Sohn der Spree dermaßen geen¬
tert, ging er erſt recht derb auf mich ein, und
ich konnte mich nimmermehr losreißen von ſeinen
Fragen und Selbſtbeantwortungen, und abſon¬
derlich von ſeinen Parallelen zwiſchen Berlin und
Muͤnchen, dem neuen Athen, dem er kein gutes
Haar ließ.
Ich aber nahm das neue Athen ſehr in
Schutz, wie ich denn immer den Ort zu loben
pflege, wo ich mich eben befinde. Daß ſolches
diesmal auf Koſten Berlins geſchah, das wirſt
Du mir gern verzeihen, lieber Leſer, wenn ich
Dir unter der Hand geſtehe, dergleichen geſchieht
zumeiſt aus purer Politik; denn ich weiß, ſobald
ich anfange, meine guten Berliner zu loben,
ſo hat mein Ruhm bey ihnen ein Ende, und ſie
zucken die Achſel und fluͤſtern einander zu: Der
Menſch wird ſehr ſeicht, uns ſogar lobt er.
Keine Stadt hat nemlich weniger Lokalpatriotis¬
mus als Berlin. Tauſend miſerable Schrift¬
ſteller haben Berlin ſchon in Proſa und Verſen
gefeyert, uudund es hat in Berlin kein Hahn da¬
nach gekraͤht, und kein Huhn iſt ihnen dafuͤr
gekocht worden, und man hat ſie unter den
Linden immer noch fuͤr miſerable Poeten gehal¬
ten, nach wie vor. Dagegen hat man eben ſo
wenig Notiz davon genommen, wenn irgend ein
After-Poet etwa in Parabaſen auf Berlin
losſchalt. Wage es aber mal jemand gegen
Polkwitz, Insbruck, Schilda, Poſen, Kraͤhwinkel
und andre Hauptſtaͤdte etwas Anzuͤgliches zu
ſchreiben! Wie wuͤrde ſich der reſpektive Patrio¬
tismus dort regen! Der Grund davon iſt:
Berlin iſt gar keine Stadt, ſondern Berlin giebt
bloß den Ort dazu her, wo ſich eine Menge
Menſchen, und zwar darunter viele Menſchen
von Geiſt, verſammeln, denen der Ort ganz
gleichguͤltig iſt; dieſe bilden das geiſtige Berlin.
Der durchreiſende Fremde ſieht nur die langge¬
ſtreckten, uniformen Haͤuſer, die langen breiten
Straßen, die nach der Schnur und meiſtens nach
dem Eigenwillen eines Einzelnen gebaut ſind, und
keine Kunde geben von der Denkweiſe der Menge.
Nur Sonntagskinder vermoͤgen etwas von der
Privatgeſinnung der Einwohner zu errathen,
wenn ſie die langen Haͤuſerreihen betrachten,
die ſich, wie die Menſchen ſelbſt, von einander
fern zu halten ſtreben, erſtarrend im gegenſeitigen
Groll. Nur einmal, in einer Mondnacht, als
ich etwas ſpaͤt von Luther und Wegener heim¬
kehrte, ſah ich wie jene harte Stimmung ſich
in milde Wehmuth aufgeloͤſt hatte, wie die Haͤu¬
ſer, die einander ſo feindlich gegenuͤber geſtanden,
ſich geruͤhrt baufaͤllig chriſtlich anblickten, und ſich
verſoͤhnt in die Arme ſtuͤrzen wollten; ſo daß ich
armer Menſch, der in der Mitte der Straße
ging, zerquetſcht zu werden fuͤrchtete. Manche
werden dieſe Furcht laͤcherlich finden, und auch
ich laͤchelte daruͤber, als ich, nuͤchternen Blicks,
den andern Morgen durch eben jene Straßen
wanderte, und ſich die Haͤuſer wieder ſo proſaiſch
entgegen gaͤhnten. Es ſind wahrlich mehrere
Flaſchen Poeſie dazu noͤthig, wenn man in Ber¬
lin etwas anderes ſehen will als todte Haͤuſer
und Berliner. Hier iſt es ſchwer, Geiſter zu
ſehen. Die StadtStaͤdt enthaͤlt ſo wenig Alter¬
thuͤmlichkeit, und iſt ſo neu; und doch iſt
dieſes Neue ſchon ſo alt, ſo welk und
abgeſtorben. Denn ſie iſt groͤſtentheils, wie
geſagt, nicht aus der Geſinnung der Maſſe, ſon¬
dern Einzelner entſtanden. Der große Fritz
iſt wohl unter dieſen wenigen der vorzuͤglichſte,
was er vorfand, war nur feſte Unterlage, erſt
von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen
Charakter, und waͤre ſeit ſeinem Tode nichts
mehr daran gebaut worden, ſo bliebe ein hiſto¬
riſches Denkmal von dem Geiſte jenes proſaiſch
wunderſamen Helden, der die raffinirte Geſchmack¬
loſigkeit und bluͤhende Verſtandesfreyheit, das
Seichte und das Tuͤchtige ſeiner Zeit, recht
deutſch-tapfer in ſich ausgebildet hatte. Potsdam
z. B. erſcheint uns als ein ſolches Denkmal,
durch ſeine oͤden Straßen wandern wir wie
durch die hinterlaſſenen Schriftwerke des Philo¬
ſophen von Sansſouci, es gehoͤrt zu deſſen
oeuvres posthumes, und obgleich es jetzt nur
ſteinernes Makulatur iſt und des Laͤcherlichen
genug enthaͤlt, ſo betrachten wir es doch mit
ernſtem Intereſſe, und unterdruͤcken hie und da
eine aufſteigende Lachluſt, als fuͤrchteten wir
ploͤtzlich einen Schlag auf den Ruͤcken zu be¬
kommen, wie von dem ſpaniſchen Roͤhrchen des
großen Fritz. Solche Furcht aber befaͤllt uns
nimmermehr in Berlin, da fuͤhlen wir, daß der
alte Fritz und ſein ſpaniſches Roͤhrchen keine
Macht mehr uͤben; denn ſonſt wuͤrde aus den
alten, aufgeklaͤrten Fenſtern der geſunden Vernunft¬
ſtadt nicht ſo manch krankes Obſkurantengeſicht
herausglotzen, und ſo manch dummes, aber¬
glaͤubiſches Gebaͤude wuͤrde ſich nicht unter die
alten ſkeptiſch philoſophiſchen Haͤuſer eingeſiedelt
haben. Ich will nicht mißverſtanden ſeyn, und
bemerke ausdruͤcklich, ich ſtichle hier keinesweges
auf die neue Werderſche Kirche, jenen gothi¬
ſchen Dom in verjuͤngtem Maßſtabe, der nur
aus Ironie zwiſchen die modernen Gebaͤude hin¬
geſtellt iſt, um allegoriſch zu zeigen, wie laͤp¬
piſch und albern es erſcheinen wuͤrde, wenn man
alte, laͤngſt untergegangene Inſtitutionen des
Mittelalters wieder neu aufrichten wollte, unter
den neuen Bildungen einer neuen Zeit.
Das oben Angedeutete gilt bloß von Ber¬
lins aͤußerlicher Erſcheinung, und wollte man
in dieſer Beziehung Muͤnchen damit vergleichen,
ſo koͤnnte man mit Recht behaupten: letzteres
bilde ganz den Gegenſatz von Berlin. Muͤnchen
nemlich iſt eine Stadt, gebaut von dem Volke
ſelbſt, und zwar von auf einander folgenden
Generazionen, deren Geiſt noch immer in ihren
Bauwerken ſichtbar, ſo daß man dort, wie in
der Hexenſcene des Makbeth, eine chronologiſche
Geiſterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiſte
des Mittelalters, der geharniſcht aus gothiſchen
Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet
lichten Geiſt unſerer eignen Zeit, der uns einen
Spiegel entgegenhaͤlt, worin jeder ſich ſelbſt
mit Vergnuͤgen anſchaut. In dieſer Reihenfolge
liegt eben das Verſoͤhnende; das Barbariſche
empoͤrt uns nicht mehr und das Abgeſchmackte
verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfaͤnge
und nothwendige Uebergaͤnge betrachten. Wir
ſind ernſt, aber nicht unmuthig bey dem Anblick
jenes barbariſchen Doms, der ſich noch immer, in
ſtieſelknechtlicher Geſtalt, uͤber die ganze Stadt
erhebt und die Schatten und Geſpenſter des
Mittelalters in ſeinem Schooße verbirgt. Mit
eben ſo wenig Unmuth, ja ſogar mit ſpaßhaf¬
ter Ruͤhrung, betrachten wir die haarbeuteligen
Schloͤſſer der ſpaͤtern Periode, die plump deut¬
ſchen Nachaͤffungen der glatt franzoͤſiſchen Un¬
natur, die Prachtgebaͤude der Abgeſchmacktheit,
toll ſchnoͤrkelhaft von Außen, von Innen noch
putziger dekorirt mit ſchreyend bunten Allegorien,
vergoldeten Arabesken, Stukkaturen, und jenen
Schildereyen, worauf die ſeligen hohen Herr¬
ſchaften abkonterfeyt ſind: die Cavaliere mit
rothen, betrunken nuͤchternen Geſichtern, woruͤber
die Alongeperuͤcken, wie gepuderte Loͤwenmaͤhnen,
herabhaͤngen, die Damen mit ſteifem Toupet,
ſtaͤhlernem Corſet, das ihr Herz zuſammenſchnuͤrte,
und ungeheurem Reifrock, der ihnen deſto mehr pro¬
ſaiſche Ausdehnung gewaͤhrte. Wie geſagt, dieſer
Anblick verſtimmt uns nicht, er traͤgt vielmehr
2
dazu bey, uns die Gegenwart und ihren lichten
Werth recht lebhaft fuͤhlen zu laſſen, und wenn
wir die neuen Werke betrachten, die ſich neben
den alten erheben, ſo iſt's, als wuͤrde uns
eine ſchwere Peruͤcke vom Haupte genommen
und das Herz befreyt von ſtaͤhlerner Feſſel.
Ich ſpreche hier von den heiteren Kunſttempeln
und edlen Pallaͤſten, die in kuͤhner Fuͤlle hervor¬
bluͤhen aus dem Geiſte Klenze's, des großen
Meiſters.
Capitel III.
Daß man aber die ganze Stadt ein neues
Athen nennt, iſt, unter uns geſagt, etwas ridi¬
kuͤl, und es koſtet mich viele Muͤhe, wenn ich
ſie in ſolcher Qualitaͤt vertreten ſoll. Dieſes
empfand ich aufs Tiefſte in dem Zweygeſpraͤch
mit dem Berliner Philiſter, der, obgleich er
ſchon eine Weile mit mir geſprochen hatte, un¬
hoͤflich genug war, alles attiſche Salz im neuen
Athen zu vermiſſen.
Des, rief er ziemlich laut, giebt es nur in
Berlin. Da nur iſt Witz und Ironie. Hier
2 *
giebt es gutes Weißbier, aber wahrhaftig keine
Ironie.
Ironie haben wir nicht — rief Nannerl,
die ſchlanke Kellnerin, die in dieſem Augenblick
vorbeyſprang — aber jedes andre Bier koͤnnen
Sie doch haben.
Daß Nannerl die Ironie fuͤr eine Sorte
Bier gehalten, vielleicht fuͤr das beſte Stetti¬
ner, war mir ſehr leid, und damit ſie ſich in
der Folge wenigſtens keine ſolche Bloͤße mehr
gebe, begann ich folgendermaßen zu doziren:
Schoͤnes Nannerl, die Ironie is ka Bier,
ſondern eine Erfindung der Berliner, der kluͤg¬
ſten Leute von der Welt, die ſich ſehr aͤrgerten,
daß ſie zu ſpaͤt auf die Welt gekommen ſind, um
das Pulver erfinden zu koͤnnen, und die deßhalb
eine Erfindung zu machen ſuchten, die eben ſo
wichtig und eben denjenigen, die das Pulver
nicht erfunden haben, ſehr nuͤtzlich iſt. Ehe¬
mals, liebes Kind, wenn jemand eine Dumm¬
heit beging, was war da zu thun? das Ge¬
ſchehene konnte nicht ungeſchehen gemacht wer¬
den, und die Leute ſagten: der Kerl war ein
Rindvieh. Das war unangenehm. In Berlin,
wo man am kluͤgſten iſt und die meiſten Dumm¬
heiten begeht, fuͤhlte man am tiefſten dieſe Un¬
annehmlichkeit. Das Miniſterium ſuchte dagegen
ernſthafte Maßregeln zu ergreifen: bloß die groͤ¬
ßeren Dummheiten durften noch gedruckt wer¬
den, die kleineren erlaubte man nur in Geſpraͤ¬
chen, ſolche Erlaubniß erſtreckte ſich nur auf
Profeſſoren und hohe Staatsbeamte, geringere
Leute durften ihre Dummheiten bloß im Ver¬
borgenen laut werden laſſen; — aber alle dieſe
Vorkehrungen halfen nichts, die unterdruͤckten
Dummheiten traten bei auſſerordentlichen An¬
laͤſſen deſto gewaltiger hervor, ſie wurden ſogar
heimlich von oben herab protegirt, ſie ſtiegen
oͤffentlich von unten hinauf, die Noth war
groß, bis endlich ein ruͤckwirkendes Mittel er¬
funden ward, wodurch man jede Dummheit
gleichſam ungeſehen machen und ſogar in Weis¬
heit umgeſtalten kann. Dieſes Mittel iſt ganz
einfach, und beſteht darin, daß man erklaͤrt,
man habe jene Dummheit bloß aus Ironie
begangen oder geſprochen. So, liebes Kind,
avancirt alles in dieſer Welt, die Dummheit
wird Ironie, verfehlte Speichelleckerey wird
Satyre, natuͤrliche Plumpheit wird kunſtreiche
Perſiflage, wirklicher Wahnſinn wird Humor,
Unwiſſenheit wird brillanter Witz, und Du
wirſt am Ende noch die Aspaſia des neuen
Athens.
Ich haͤtte noch mehr geſagt, aber das
ſchoͤne Nannerl, das ich unterdeſſen am Schuͤr¬
zenzipfel feſthielt, riß ſich gewaltſam los, als
man von allen Seiten „A Bier! A Bier!“
gar zu ſtuͤrmiſch forderte. Der Berliner aber
ſah aus wie die Ironie ſelbſt, als er bemerkte,
mit welchem Enthuſiasmus die hohen ſchaͤumenden
Glaͤſer in Empfang genommen wurden; und indem
er auf eine Gruppe Biertrinker hindeutete, die
ſich den Hopfennektar von Herzen ſchmecken
ließen, und uͤber deſſen Vortrefflichkeit disputirten,
ſprach er laͤchelnd: das wollen Athenienſer ſind?
Die Bemerkungen, die der Mann bey dieſer
Gelegenheit nachſchob, thaten mir ordentlich
weh, da ich fuͤr unſer neues Athen keine geringe
Vorliebe hege, und ich beſtrebte mich daher,
dem raſchen Tadler zu bedeuten: daß wir erſt ſeit
Kurzem auf den Gedanken gekommen ſind, uns als
ein neues Athen aufzuthun, daß wir erſt junge
Anfaͤnger ſind, und unſere großen Geiſter, ja unſer
ganzes gebildetes Publikum noch nicht danach ein¬
gerichtet iſt, ſich in der Naͤhe ſehen zu laſſen. Es
iſt alles noch im Entſtehen und wir ſind noch nicht
komplet. Nur die unterſten Faͤcher, lieber Freund,
fuͤgte ich hinzu, ſind erſt beſetzt, und es wird
Ihnen nicht entgangen ſeyn, daß wir z. B. an
Eulen, Sykophanten und Phrynen keinen Mangel
haben. Es fehlt uns nur an dem hoͤhern Per¬
ſonal, und mancher muß mehrere Rollen zu
gleicher Zeit ſpielen. Z. B. unſer Dichter, der
die zarte griechiſche Knabenliebe beſingt, hat
auch die ariſtophaniſche Grobheit uͤbernehmen
muͤſſen; aber er kann alles machen, er hat alles
was zu einem großen Dichter gehoͤrt, außer etwa
Phantaſie und Witz, und wenn er viel Geld
haͤtte, waͤre er ein reicher Mann. Was uns
aber an Quantitaͤt fehlt, das erſetzen wir durch
Qualitaͤt. Wir haben nur einen großen Bild¬
hauer, — aber es iſt ein “Loͤwe!„ Wir
haben nur einen großen Redner, aber ich bin
uͤberzeugt, daß Demoſthenes uͤber den Malz¬
aufſchlag in Attika nicht ſo gut donnern konnte.
Wenn wir noch keinen Sokrates vergiftet haben,
ſo war es wahrhaftig nicht das Gift, welches
uns dazu fehlte. Und wenn wir noch keinen
eigentlichen Demos, ein ganzes Demagogenvolk
beſitzen, ſo koͤnnen wir doch mit einem Pracht¬
exemplare dieſer Gattung, mit einem Dema¬
gogen von Handwerk aufwarten, der ganz allein
einen ganzen Demos, einen ganzen Haufen
Großſchwaͤtzer, Maulaufſperrer, Poltrons und
ſonſtigen Lumpengeſindels, aufwiegt — und hier
ſehen Sie ihn ſelbſt.
Ich kann der Verſuchung nicht widerſtehen,
die Figur, die ſich uns jetzt praͤſentirte, etwas
genauer zu bezeichnen. Ob dieſe Figur mir
Recht behauptet, daß ihr Kopf etwas Menſch¬
liches habe und ſie daher juriſtiſch befugt ſey,
ſich fuͤr einen Menſchen auszugeben, das laſſe
ich dahin geſtellt ſeyn. Ich wuͤrde dieſen Kopf
vielmehr fuͤr den eines Affen halten; nur aus
Courtoiſie will ich ihn fuͤr menſchlich paſſiren
laſſen. Seine Bedeckung beſtand aus einer
Tuchmuͤtze, in der Form aͤhnlich dem Helm
des Mambrin, und ſteifſchwarze Haare hingen
lang herab und waren vorn à l'enfant ge¬
ſcheitelt. Auf dieſe Vorderſeite des Kopfes, die
ſich fuͤr ein Geſicht ausgab, hatte die Goͤttin
der Gemeinheit ihren Stempel gedruͤckt, und
zwar ſo ſtark, daß die dort befindliche Naſe faſt
zerquetſcht worden; die niedergeſchlagenen Augen
ſchienen dieſe Naſe vergebens zu ſuchen und
deßhalb betruͤbt zu ſeyn; ein uͤbelriechendes
Laͤcheln ſpielte um den Mund, der uͤberaus lieb¬
reizend war, und durch eine gewiſſe frappante
Aehnlichkeit unſeren griechiſchen After-Dichter zu
den zarteſten Gaſelen begeiſtern konnte. Die Be¬
kleidung war ein altdeutſcher Rock, zwar ſchon
etwas modifizirt nach den dringendſten Anfor¬
derungen der neueuropaͤiſchen Civiliſazion, aber
im Schnitt noch immer erinnernd an den, wel¬
chen Arminius im teutoburger Walde getragen,
und deſſen Urform ſich unter einer patriotiſchen
Schneidergeſellſchaft eben ſo geheimnißvoll traditio¬
nel erhalten hat, wie einſt die gothiſche Bau¬
kunſt unter einer myſtiſchen Maurergilde. Ein
weißgewaſchener Lappen, der mit dem bloßen,
altdeutſchen Halſe tiefbedeutſam kontraſtirte, be¬
deckte den Kragen dieſes famoſen Rockes, aus
ſeinen langen Aermeln hingen lange ſchmutzige
Haͤnde, zwiſchen dieſen zeigte ſich ein lang¬
weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige
Beine ſchlotterten — die ganze Geſtalt war
eine katzenjaͤmmerliche Parodie des Apoll von
Belvedere.
Und des iſt der Demagog des neuen
Athens? frug ſpottlaͤchelnd der Berliner. Du
juter Jott, des iſt ja ein Landsmann von mich!
Ich traue kaum meinen leiblichen Augen — des
iſt ja derjenige welcher — Ne, des iſt die
Moͤglichkeit!
Ja, Ihr verblendeten Berliner — ſprach
ich, nicht ohne Feuer — Ihr verkennt Eure
heimiſchen Genies, und ſteinigt Eure Propheten.
Wir aber koͤnnen Alles gebrauchen!
Und wozu braucht Ihr denn dieſe ungluͤck¬
liche Fliege?
Er iſt zu Allem zu gebrauchen wozu Sprin¬
gen, Kriechen, Gemuͤth, Freſſen, Froͤmmigkeit,
viel Altdeutſch, wenig Latein und gar kein
Griechiſch noͤthig iſt. Er ſpringt wirklich ſehr
gut uͤber'n Stock; macht auch Tabellen von allen
moͤglichen Spruͤngen und Verzeichniſſe von
allen moͤglichen Lesarten altdeutſcher Gedichte.
Dazu repraͤſentirt er die Vaterlandsliebe, ohne
im mindeſten gefaͤhrlich zu ſeyn. Denn man
weiß ſehr gut, daß er ſich von den altdeutſchen
Demagogen, unter welchen er ſich mahl zufaͤllig
befunden, zu rechter Zeit zuruͤckgezogen, als ihre
Sache etwas gefaͤhrlich wurde, und daher mit
den chriſtlichen Gefuͤhlen ſeines weichen Herzens
nicht mehr uͤbereinſtimmte. Seitdem aber die
Gefahr verſchwunden, die Maͤrtyrer fuͤr ihre
Geſinnung gelitten, faſt alle ſie von ſelbſt auf¬
gegeben, und ſogar unſere feurigſten Barbiere
ihre deutſchen Roͤcke ausgezogen haben, ſeitdem
hat die Bluͤthezeit unſeres vorſichtigen Vater¬
landsretters erſt recht begonnen; er allein hat
noch das Demagogenkoſtuͤm und die dazu gehoͤ¬
rigen Redensarten beybehalten; er preißt noch
immer Arminius den Cherusker und Frau Thus¬
nelda, als ſey er ihr blonder Enkel; er bewahrt
noch immer ſeinen germaniſch patriotiſchen Haß
gegen welſches Babelthum, gegen die Erfindung der
Seife, gegen Thierſch's heidniſch griechiſche Gram¬
matik, gegen Quinctilius Varus, gegen Handſchuh
und gegen alle Menſchen die eine anſtaͤndige
Naſe haben; — und ſo ſteht er da, als wandelndes
Denkmal einer untergangenenuntergegangenen Zeit, und wie
der letzte Mohikan iſt auch er allein uͤbrig ge¬
blieben von einer ganzen thatkraͤftigen Horde,
er, der letzte Demagoge. Sie ſehen alſo, daß
wir im neuen Athen, wo es noch ganz an
Demagogen fehlt, dieſen Mann brauchen koͤn¬
nen, wir haben an ihm einen ſehr guten Dema¬
gogen, der zugleich ſo zahm iſt, daß er jeden
Speichelnapf beleckt, und aus der Hand frißt,
Haſelnuͤſſe, Kaſtanien, Kaͤſe, Wuͤrſtchen, kurz
alles frißt was man ihm giebt; und da er jetzt
einzig in ſeiner Art, ſo haben wir noch den
beſonderen Vortheil, daß wir ſpaͤterhin, wenn
er krepirt iſt, ihn ausſtopfen laſſen und als
den letzten Demagogen, mit Haut und Haar,
fuͤr die Nachwelt aufbewahren koͤnnen. Ich
bitte Sie jedoch, ſagen Sie das nicht dem Pro¬
feſſor Lichtenſtein in Berlin, der ließe ihn ſonſt
fuͤr das zoologiſche Muſeum reklamiren, welches
Anlaß zu einem Kriege zwiſchen Preußen und
Bayern geben koͤnnte, da wir ihn auf keinen
Fall ausliefern werden. Schon haben die Eng¬
laͤnder ihn aufs Korn genommen und Zwei¬
tauſend ſiebenhundert ſieben und ſiebenzig Gui¬
neen fuͤr ihn geboten, ſchon haben die Oeſt¬
reicher ihn gegen die Giraffe eintauſchen wollen;
aber unſer Miniſterium ſoll geaͤußert haben: der
letzte Demagog iſt uns fuͤr keinen Preis feil, er
wird einſt der Stolz unſeres Naturalienkabinets
und die Zierde unſerer Stadt.
Der Berliner ſchien etwas zerſtreut zuzuhoͤren,
ſchoͤnere Gegenſtaͤnde hatten ſeine Aufmerkſamkeit
in Anſpruch genommen, und er fiel mir endlich
in die Rede mit den Worten: Erlauben Sie
gehorſamſt, daß ich Sie unterbreche, aber ſagen
Sie mir doch, was iſt denn das fuͤr ein HnndHund,
der dort laͤuft?
Das iſt ein anderer Hund.
Ach, ſie verſtehen mich nicht, ich meine jenen
großen, weißzottigen Hund ohne Schwanz?
Mein lieber Herr, das iſt der Hund des
neuen Alcibiades.
Aber, bemerkte der Berliner, ſagen Sie mir
doch, wo iſt denn der neue Alcibiades ſelbſt?
Aufrichtig geſtanden, antwortete ich, dieſe
Stelle iſt noch nicht beſetzt, und wir haben
erſt den Hund.
Capitel IV.
Der Ort, wo dieſes Geſpraͤch Statt fand,
heißt Bogenhauſen, oder Neuburghauſen, oder
Villa Hompeſch, oder Montgelasgarten, oder das
Schloͤſſel, ja man braucht ihn nicht einmal zu
nennen, wenn man von Muͤnchen dort hinfahren
will, der Kutſcher verſteht uns ſchon an einem
gewiſſen durſtigen Augenblinzeln, an einem ge¬
wiſſen vorſeligen Kopfnicken und aͤhnlichen Be¬
zeichnungsgrimaſſen. Tauſend Ausdruͤcke hat der
Araber fuͤr ein Schwert, der Franzoſe fuͤr die
Liebe, der Englaͤnder fuͤr das Haͤngen, der
Deutſche fuͤr das Trinken, und der neuere Athener
3
ſogar fuͤr die Orte, wo er trinkt. Das Bier
iſt an beſagtem Orte wirklich ſehr gut, ſelbſt im
Prytaneum, vulgo Bockkeller, iſt es nicht beſſer,
es ſchmeckt ganz vortrefflich, beſonders auf jener
Treppenterraſſe, wo man die Tyroler Alpen vor
Augen hat. Ich ſaß dort oft vorigen Winter
und betrachtete die ſchneebedeckten Berge, die,
glaͤnzend in der Sonnenbeleuchtung, aus eitel
Silber gegoſſen zu ſeyn ſchienen.
Es war damals auch Winter in meiner Seele,
Gedanken und Gefuͤhle waren wie eingeſchneit,
es war mir ſo verdorrt und todt zu Muthe,
dazu kam die leidige Politik, die Trauer um
ein liebes geſtorbenes Kind, und ein alter
Nachaͤrger und der Schnupfen. Außerdem trank
ich viel Bier, weil man mich verſicherte, das
gaͤbe leichtes Blut. Doch der beſte attiſche
Breihahn wollte nicht fruchten bei mir, der ich
mich in England ſchon an Porter gewoͤhnt hatte.
Endlich kam der Tag, wo alles ganz anders
wurde. Die Sonne brach hervor aus dem
Himmel und traͤnkte die Erde, das alte Kind,
mit ihrer Strahlenmilch, die Berge ſchauerten
vor Luſt und ihre Schneethraͤnen floſſen gewal¬
tig, es krachten und brachen die Eisdecken der
Seen, die Erde ſchlug die blauen Augen auf,
aus ihrem Buſen quollen hervor die liebenden
Blumen und die klingenden Waͤlder, die gruͤnen
Pallaͤſte der Nachtigallen, die ganze Natur laͤchelte,
und dieſes Laͤcheln hieß Fruͤhling. Da begann
auch in mir ein neuer Fruͤhling, neue Blumen
ſproßten aus dem Herzen, Freiheitsgefuͤhle, wie
Roſen, ſchoſſen hervor, auch heimliches Sehnen,
wie junge Veilchen, dazwiſchen freilich manch'
unnuͤtze Neſſel. Ueber die Graͤber meiner Wuͤnſche
zog die Hoffnung wieder ihr heiteres Gruͤn, auch
die Melodieen der Poeſie kamen wieder, wie Zug¬
voͤgel, die den Winter im warmen Suͤden ver¬
bracht und das verlaſſene Neſt im Norden wieder
3*
aufſuchen, und das verlaſſene nordiſche Herz
klang und bluͤhte wieder wie vormals — nur
weiß ich nicht, wie das alles kam. Iſt es eine
braune oder blonde Sonne geweſen, die den
Fruͤhling in meinem Herzen auf's Neue geweckt,
und all' die ſchlafenden Blumen in dieſem Her¬
zen wieder aufgekuͤßt und die Nachtigallen wieder
hineingelaͤchelt? War es die wahlverwandte Natur
ſelbſt, die in meiner Bruſt ihr Echo ſuchte und
ſich gern darin beſpiegelte mit ihrem neuen
Fruͤhlingsglanz? Ich weiß nicht, aber ich glaube,
auf der Terraſſe zu Bogenhauſen, im Angeſicht
der Tyroler Alpen, geſchah meinem Herzen ſolch
neue Verzauberung. Wenn ich dort in Gedan¬
ken ſaß, war mir's oft, als ſehe ich ein wunder¬
ſchoͤnes Juͤnglingsantlitz uͤber jene Berge hervor¬
lauſchen, und ich wuͤnſchte mir Fluͤgel, um hin¬
zueilen nach ſeinem Reſidenzland Italien. Ich
fuͤhlte mich auch oft angeweht von Zitronen- und
Orangenduͤften, die von den Bergen heruͤber¬
wogten, ſchmeichelnd und verheißend, um mich
hinzulocken nach Italien. Einſt ſogar, in der
goldenen Abenddaͤmmerung, ſah ich auf der
Spitze einer Alpe ihn ganz und gar, lebensgroß,
den jungen Fruͤhlingsgott, Blumen und Lorbeeren
umkraͤnzten das freudige Haupt, und mit lachen¬
dem Auge und bluͤhendem Munde rief er: Ich
liebe Dich, komm zu mir nach Italien!
Capitel V.
Mein Blick mochte daher wohl etwas ſehn¬
ſuͤchtig flimmern, als ich, in Verzweiflung uͤber
das unabſehbare Philiſtergeſpraͤch, nach den ſchoͤ¬
nen Tyroler Bergen hinausſah und tief ſeufzte.
Mein Berliner Philiſter nahm aber eben dieſen
Blick und Seufzer als neue Geſpraͤchsfaͤden auf,
und ſeufzte mit: „Ach ja, ich moͤchte auch jetzt
in Konſtantinopel ſeyn! Ach! Konſtantinopel zu
ſehen, war immer der eenzige Wunſch meines
Lebens, und jetzt ſind die Ruſſen gewiß ſchon
eingezogen, ach, in Konſtantinopel! Haben Sie
Petersburg geſehen?“ Ich verneinte dieſes und
bat, mir davon zu erzaͤhlen. Aber nicht er
ſelbſt, ſondern ſein Herr Schwager, der Kammer¬
gerichtsrath, war vorigen Sommer da geweſen,
und es ſoll eine ganz eenzige Stadt ſeyn. —
„Haben Sie Kopenhagen geſehen?„ Da ich
dieſe Frage ebenfalls verneinte und eine Schil¬
derung dieſer Stadt von ihm begehrte, laͤchelte
er gar pfiffig und wiegte das Koͤpfchen recht
vergnuͤgt hin und her, und verſicherte mir auf
Ehre, ich koͤnne mir keine Vorſtellung davon
machen, wenn ich nicht ſelbſt dort geweſen ſey.
„Dieſes„ erwiederte ich, „wird vor der Hand
noch nicht Statt finden, ich will jetzt eine andere
Reiſe antreten, die ich ſchon dieſen Fruͤhling
projektirt, ich reiſe naͤmlich nach Italien.„
Als der Mann dieſes Wort hoͤrte, ſprang er
ploͤtzlich vom Stuhle auf, drehte ſich dreimal auf
einem Fuße herum, und trillerte: Tirily! Tirily!
Tirily!
Das gab mir den letzten Sporn. Morgen
reiſe ich, beſchloß ich auf der Stelle. Ich will
nicht laͤnger zoͤgern, ich will ſo bald als moͤglich
das Land ſehen, das den trockenſten Philiſter ſo
ſehr in Extaſe bringen kann, daß er bei deſſen
Erwaͤhnung ploͤtzlich wie eine Wachtel ſchlaͤgt.
Waͤhrend ich zu Hauſe meinen Koffer packte,
klang mir der Ton jenes Tirilys noch immer in
den Ohren, und mein Bruder, Maximilian
Heine, der mich den andern Tag bis Tyrol
begleitete, konnte nicht begreifen, warum ich auf
dem ganzen Wege kein vernuͤnftiges Wort ſprach
und beſtaͤndig tirilirte.
Capitel VI.
Tirily! Tirily! ich lebe! Ich fuͤhle den ſuͤßen
Schmerz der Exiſtenz, ich fuͤhle alle Freuden und
Qualen der Welt, ich leide fuͤr das Heil des
ganzen Menſchengeſchlechts, ich buͤße deſſen Suͤn¬
den, aber ich genieße ſie auch.
Und nicht blos mit den Menſchen, auch mit
den Pflanzen fuͤhle ich, ihre tauſend gruͤnen
Zungen erzaͤhlen mir allerliebſte Geſchichten, ſie
wiſſen, daß ich nicht menſchenſtolz bin, und mir
den niedrigſten Wieſenbluͤmchen eben ſo gern
ſpreche, wie mit den hoͤchſten Tannen. Ach, ich
weiß ja, wie es mit ſolchen Tannen beſchaffen
iſt! Aus der Tiefe des Thals ſchießen ſie himmel¬
hoch empor, uͤberragen faſt die kuͤhnſten Felſen¬
berge — Aber wie lange dauert dieſe Herrlichkeit?
Hoͤchſtens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann
krachen ſie altersmuͤd zuſammen und verfaulen
auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die
haͤmiſchen Kaͤutzlein aus ihren Felſenſpalten her¬
vorgehuſcht, und verhoͤhnen ſie noch obendrein:
Seht, Ihr ſtarken Tannen, Ihr glaubtet Euch
mit den Bergen meſſen zu koͤnnen, jetzt liegt
Ihr gebrochen da unten, und die Berge ſtehen
noch immer unerſchuͤttert.
Einem Adler, der auf ſeinem einſamen Lieb¬
lingsfelſen ſitzt, und ſolcher Verhoͤhnung zuhoͤrt,
muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt
dann an das eigene Schickſal. Auch er weiß
nicht, wie tief er einſt gebettet wird. Aber die
Sterne funkeln ſo beruhigend, die Waldwaſſer
rauſchen ſo troſtvoll, und die eigene Seele uͤber¬
brauſt ſo ſtolz all' die kleinmuͤthigen Gedanken,
daß er ſie bald wieder vergißt. Steigt gar die
Sonne hervor, ſo fuͤhlt er ſich wieder wie ſonſt,
und fliegt zu ihr hinauf, und wenn er hoch ge¬
nug iſt, ſingt er ihr entgegen ſeine Luſt und
Qual. Seine Mitthiere, beſonders die Menſchen,
glauben, der Adler koͤnne nicht ſingen, und ſie
wiſſen nicht, daß er dann nur ſingt, wenn er
aus ihrem Bereich iſt, und daß er aus Stolz
nur von der Sonne gehoͤrt ſeyn will. Und er
hat Recht; es koͤnnte irgend einem von der gefie¬
derten Sippſchaft da unten einfallen, ſeinen Ge¬
ſang zu rezenſiren. Ich habe ſelbſt erfahren,
wie ſolche Kritiken lauten: das Huhn ſtellt ſich
dann auf ein Bein und gluckt, der Saͤnger habe
kein Gemuͤth; der Truthahn kullert, es fehle ihm
der wahre Ernſt; die Taube girrt, er kenne nicht
die wahre Liebe; die Gans ſchnattert, er ſey
nicht wiſſenſchaftlich; der Kapaun kikert, er ſey
nicht moraliſch; der Dompfaff zwitſchert, er habe
leider keine Religion; der Sperling piepſt, er
ſey nicht produktiv genug; Wiedehoͤpchen, Elſter¬
chen, Schuhuchen, Alles kraͤchzt und aͤchzt und
ſchnarrt — Nur die Nachtigall ſtimmt nicht
ein in dieſe Kritiken, unbekuͤmmert um die
ganze Mitwelt, iſt nur die rothe Roſe ihr ein¬
ziger Gedanke und ihr einziges Lied, ſehnſuͤchtig
umflattert ſie die rothe Roſe, und ſtuͤrzt ſich be¬
geiſtert in die geliebten Dornen, und blutet und
ſingt.
Capitel VII.
Es giebt einen Adler im deutſchen Vater¬
lande, deſſen Sonnenlied ſo gewaltig erklingt,
daß es auch hier unten gehoͤrt wird, und ſogar
die Nachtigallen aufhorchen, trotz all' ihren me¬
lodiſchen Schmerzen. Das biſt Du, Karl
Immermann, und Deiner dacht ich gar oft
in dem Lande, wovon Du ſo ſchoͤn geſungen.
Wie konnte ich durch Tyrol reiſen, ohne an das
„Trauerſpiel“ zu denken?
Nun freilich, ich habe die Dinge in anderer
Faͤrbung geſehen; aber ich bewundere doch den
Dichter, der aus der Fuͤlle des Gemuͤthes das¬
jenige, was er nie geſehen hat, der Wirklichkeit
ſo aͤhnlich ſchafft. Am meiſten ergoͤtzte mich,
daß “Das Trauerſpiel in Tyrol„ in Tyrol ver¬
boten iſt. Ich gedachte der Worte, die mir
mein Freund Moſer ſchrieb, als er mir meldete
daß der zweite Band der Reiſebilder verboten
ſey: “Die Regierung haͤtte aber das Buch gar
nicht zu verbieten brauchen, es waͤre dennoch
geleſen worden.„
Zu Insbruck im goldenen Adler, wo An¬
dreas Hofer logirt hatte, und noch jede Ecke
mit ſeinen Bildniſſen und Erinnerungen an ihn
beklebt iſt, fragte ich den Wirth, Herrn Nieder¬
kirchner, ob er mir noch viel von dem Sandwirth
erzaͤhlen koͤnne? Da war der alte Mann uͤber¬
fließend von Redſeligkeit, und vertraute mir mit
klugen Augenzwinken, daß jetzt die Geſchichte
auch ganz gedruckt heraus ſey, aber auch ganz
geheim verboten; und als er mich nach einem
dunkeln Stuͤbchen gefuͤhrt, wo er ſeine Reliquien
aus dem Tyrolerkrieg aufbewahrt, wickelte er
ein ſchmutzig blaues Papier von einem ſchon
zerleſenen gruͤnen Buͤchlein, das ich zu meiner
Verwunderung als Immermanns “Trauerſpiel in
Tyrol„ erkannte. Ich ſagte ihm, nicht ohne er¬
roͤthenden Stolz, der Mann, der es geſchrieben,
ſey mein Freund. Herr Niederkirchner wollte
nun ſo viel als moͤglich von dem Manne wiſſen,
und ich ſagte ihm, es ſey ein gedienter Mann,
von feſter Statur, ſehr ehrlich und ſehr geſchickt
in Schreibſachen, ſo daß er nur wenige ſeines
Gleichen finde. Daß er aber ein Preuße ſey,
wollte Herr Niederkirchner durchaus nicht glauben,
und rief mit mitleidigem Laͤcheln: Warum nicht
gar! Er ließ ſich nicht ausreden, daß der
Immermann ein Tyroler ſey und den Tyroler
Krieg mitgemacht habe, — „wie koͤnnte er ſonſt
alles wiſſen?„
Seltſame Grille des Volkes! Es verlangt
ſeine Geſchichte aus der Hand des Dichters und
nicht aus der Hand des Hiſtorikers. Es ver¬
langt nicht den treuen Bericht nackter That¬
ſachen, ſondern jene Thatſachen wieder aufgeloͤſt
in die urſpruͤngliche Poeſie, woraus ſie hervor¬
gegangen. Das wiſſen die Dichter, und nicht
ohne geheime Schadenluſt modeln ſie willkuͤhrlich
die Voͤlkererinnerungen, vielleicht zur Verhoͤh¬
nung ſtolztrockner Hiſtoriographen und perga¬
mentener Staatsarchivare. Nicht wenig ergoͤzte
es mich, als ich in den Buden des letzten Jahr¬
markts die Geſchichte des Beliſars in grell kolo¬
rirten Bildern ausgehaͤngt ſah, und zwar
nicht nach dem Procop, ſondern ganz treu
nach Schenk's Tragoͤdie. „So wird die Ge¬
ſchichte verfaͤlſcht„ — rief der gelahrte Freund,
der mich begleitete, — „ſie weiß nichts von jener
Rache einer beleidigten Gattin, von jenem ge¬
fangenen Sohn, von jener liebenden Tochter,
und dergleichen modernen Herzensgeburten!„
Iſt denn dies aber wirklich ein Fehler? ſoll man
den Dichtern wegen dieſer Faͤlſchung gleich den
Prozeß machen? nein, denn ich laͤugne die An¬
klage. Die Geſchichte wird nicht von den Dich¬
tern verfaͤlſcht. Sie geben den Sinn derſelben
ganz treu, und ſey es auch durch ſelbſterfundene
Geſtalten und Umſtaͤnde. Es giebt Voͤlker,
denen nur auf dieſe Dichterart ihre Geſchichte
uͤberliefert worden, z. B. die Indier. Dennoch
geben Geſaͤnge wie der Maha Baratha den
Sinn indiſcher Geſchichte viel richtiger als irgend
ein Compendienſchreiber mit all' ſeinen Jahr¬
zahlen. In gleicher Hinſicht moͤchte ich behaupten,
Walter Scotts Romane gaͤben zuweilen den Geiſt
der engliſchen Geſchichte weit treuer als Hume;
wenigſtens hat Sartorius ſehr Recht, wenn
er in ſeinen Nachtraͤgen zu Spittler jene Ro¬
mane zu den Quellen der engliſchen Geſchichte
rechnet.
4
Es geht den Dichtern wie den Traͤumern,
die im Schlafe dasjenige innere Gefuͤhl, welches
ihre Seele durch wirkliche aͤußere Urſachen emp¬
findet, gleichſam maskiren, indem ſie an die
Stelle dieſer letzteren ganz andere aͤußere Ur¬
ſachen ertraͤumen, die aber in ſo fern ganz
adaͤquat ſind, als ſie daſſelbe Gefuͤhl hervorbringen.
So ſind auch in Immermanns „Trauerſpiel“
manche Außendinge ziemlich willkuͤhrlich geſchaffen,
aber der Held ſelbſt, der Gefuͤhlsmittelpunkt, iſt
identiſch getraͤumt, und wenn dieſe Traumgeſtalt
ſelbſt traͤumeriſch erſcheint, ſo iſt auch dieſes der
Wahrheit gemaͤß. Der Baron Hormayr, der
hierin der kompetenteſte Richter ſeyn kann, hat
mich, als ich juͤngſt das Vergnuͤgen hatte ihn
zu ſprechen, auf dieſen Umſtand aufmerkſam ge¬
macht. Das myſtiſche Gemuͤthsleben, die aber¬
glaͤubiſche Religioſitaͤt, das Epiſche des Mannes,
hat Immermann ganz richtig angedeutet. Er
gab ganz treu jene treue Taube, die, mit dem
blanken Schwert im Schnabel, wie die kriege¬
riſche Liebe, uͤber den Bergen Tyrols ſo helden¬
muͤthig umherſchwebte, bis die Kugeln von
Mantua ihr treues Herz durchbohrten.
Was aber dem Dichter am meiſten zur Ehre
gereicht, iſt die eben ſo treue Schilderung des
Gegners, aus welchem er keinen wuͤthenden
Geßler gemacht, um ſeinen Hofer deſto mehr zu
heben; wie dieſer eine Taube mit dem Schwerte,
ſo iſt jener ein Adler mit dem Oelzweig.
4 *
Capitel VIII.
In der Wirthshausſtube des Herrn Nieder¬
kirchner zu Insbruck haͤngen eintraͤchtig neben ein¬
ander die Bilder von Andreas Hofer, Napoleon
Bonaparte und Ludwig von Bayern.
Insbruck ſelbſt iſt eine unwoͤhnliche, bloͤde
Stadt. Vielleicht mag ſie im Winter etwas
geiſtiger und behaglicher ausſehen, wenn die
hohen Berge, wovon ſie eingeſchloſſen, mit
Schnee bedeckt ſind, und die Lawinen droͤhnen
und uͤberall das Eis kracht und blitzt.
Ich fand die Haͤupter jener Berge mit Wol¬
ken, wie mit grauen Turbanen, umwickelt. Man
ſieht dort die Martinswand, den Schauplatz der
lieblichſten Kaiſerſage; wie denn uͤberhaupt die
Erinnerung an den ritterlichen Max in Tyrol
noch immer bluͤht und klingt.
In der Hofkirche ſtehen die oft beſprochenen
Standbilder der Fuͤrſten und Fuͤrſtinnen aus
dem Hauſe Oeſtreich und ihrer Ahnen, worunter
mancher gerechnet worden, der gewiß bis auf den
heutigen Tag nicht begreift, wie er zu dieſer
Ehre gekommen. Sie ſtehen in gewaltiger Lebens¬
groͤße, aus Eiſen gegoſſen, um das Grabmahl des
Maximilian. Da aber die Kirche klein und das
Dach niedrig iſt, ſo kommts einem vor, als ſaͤhe
man ſchwarze Wachsfiguren in einer Marktbude.
Am Fußgeſtell der meiſten lieſt man auch den
Namen derjenigen hohen Perſonen, die ſie vor¬
ſtellen. Als ich jene Statuen betrachtete, traten
Englaͤnder in die Kirche; ein hagerer Mann mit
aufgeſperrtem Geſichte, die Daumen eingehakt in
die Armoͤffnungen der weißen Weſte, und im
Maul einen ledernen guide des voyageurs;
hinter ihm ſeine lange Lebensgefaͤhrtin, eine
nicht mehr ganz junge, ſchon etwas abgeliebte,
aber noch immer hinlaͤnglich ſchoͤne Dame; hinter
dieſer ein rothes Portergeſicht mit puderweißen
Aufſchlaͤgen, ſteif einhertretend in einem dito
Rock, und die hoͤlzernen Haͤnde vollauf befrach¬
tet mit Myladys Handſchuhen, Alpenblumen
und Mops.
Das Kleeblatt ſtieg ſchnurgerade nach dem
obern Ende der Kirche, wo der Sohn Albions
ſeiner Gemahlin die Statuen erklaͤrte, und zwar
nach ſeinem Guide des voyageurs, in welchem
ausfuͤhrlich zu leſen war: Die erſte Statue iſt
der Koͤnig Clodevig von Frankreich, die andere
iſt der Koͤnig Arthur von England, die dritte
iſt Rudolph von Habsburg u. ſ. w. Da aber
der arme Englaͤnder die Reihe von oben anfing,
ſtatt von unten, wie es der Guide des voya¬
geurs vorausſetzte, ſo gerieth er in die ergoͤtz¬
lichſten Verwechſelungen, die noch komiſcher wur¬
den, wenn er an eine Frauenſtatue kam, die er
fuͤr einen Mann hielt, und umgekehrt, ſo daß
er nicht begriff, warum man Rudolph von Habs¬
burg in Weibskleidern dargeſtellt, dagegen die
Koͤnigin Maria mit eiſernen Hoſen und einem
allzulangen Barte. Ich, der ich gerne mit
meinem Wiſſen nachhelfe, bemerkte beilaͤufig:
dergleichen habe wahrſcheinlich das damalige
Koſtuͤm erfordert, auch koͤnne es beſonderer Wille
der hohen Perſonen geweſen ſeyn, ſo, und bei
Leibe nicht anders, gegoſſen znzu werden. So
koͤnne es ja dem jetzigen Kaiſer einfallen, ſich
in einem Reifrock oder gar in Windeln gießen
zu laſſen; — wer wuͤrde was dagegen ein¬
wenden?
Der Mops bellte kritiſch, der Lakay glotzte,
ſein Herr putzte ſich die Naſe, und Mylady
ſagte: a fine exhibition, very fine in¬
deed! —
Capitel IX.
Brixen war die zweite, groͤßere Stadt Tyrols
wo ich einkehrte. Sie liegt in einem Thal, und
als ich ankam, war ſie mit Dampf und Abend¬
ſchatten uͤbergoſſen. Daͤmmernde Stille, melan¬
choliſches Glockengebimmel, die Schafe trippelten
nach ihren Staͤllen, die Menſchen nach den
Kirchen; uͤberall beklemmender Geruch von haͤ߬
lichen Heiligenbildern und getrocknetem Heu.
“Die Jeſuiten ſind in Brixen„ hatte ich
kurz vorher im Hesperus geleſen. Ich ſah mich
auf allen Straßen nach ihnen um; aber ich habe
Niemanden geſehen, der einem Jeſuiten glich, es
ſey denn jener dicke Mann mit geiſtlich drey¬
eckigem Hut und pfaͤffiſch geſchnittenem, ſchwar¬
zen Rock, der alt und abgetragen war, und mit
den glaͤnzend neuen ſchwarzen Hoſen gar auf¬
fallend kontraſtirte.
Das kann auch kein Jeſuit ſeyn, ſprach ich
endlich zu mir ſelber; denn ich habe mir immer
die Jeſuiten etwas mager gedacht. Ob es wirk¬
lich noch Jeſuiten giebt? Manchmal will es
mich beduͤnken, als ſey ihre Exiſtenz nur eine
Chimaͤre, als ſpuke nur die Angſt vor ihnen noch
in unſeren Koͤpfen, nachdem laͤngſt die Gefahr
voruͤber, und alles Eifern gegen Jeſuiten mahnt
mich dann an Leute, die, wenn es laͤngſt aufge¬
hoͤrt hat zu regnen, noch immer mit aufgeſpann¬
ten Regenſchirmen umhergehen. Ja, mich duͤnkt
zuweilen, der Teufel, der Adel und die Jeſuiten
exiſtiren nur ſo lange als man an ſie glaubt.
Vom Teufel koͤnnten wir es wohl ganz beſtimmt
behaupten; denn nur die Glaͤubigen haben ihn
bisher geſehen. Auch in Betreff des Adels
werden wir im Laufe einiger Zeit die Erfahrung
machen, daß die bonne société aufhoͤren wird
die bonne société zu ſeyn, ſobald der gute
Buͤrgersmann nicht mehr die Guͤte hat, ſie fuͤr
die bonne société zu halten. Aber die Jeſui¬
ten? Wenigſtens haben ſie doch nicht mehr die
alten Hoſen an! Die alten Jeſuiten liegen im
Grabe mit ihren alten Hoſen, Begierden, Welt¬
plaͤnen, Raͤnken, Diſtinctionen, Reſervazionen
und Giften, und was wir jetzt in neuen, glaͤn¬
zenden Hoſen durch die Welt ſchleichen ſehen,
iſt nicht ſowohl ihr Geiſt, als vielmehr ihr Ge¬
ſpenſt, ein albernes, bloͤdſinniges Geſpenſt, das
uns taͤglich durch Wort und That zu beweiſen
ſucht, wie wenig es furchtbar ſey; und wahrlich
es mahnt uns an die Geſchichte von einem aͤhn¬
lichen Geſpenſte im Thuͤringer Walde, das einſt
die Leute, ſo ſich vor ihm fuͤrchteten, von ihrer
Furcht befreyte, indem es, vor Aller Augen,
ſeinen Schaͤdel von den Schultern herabnahm,
und jedem zeigte, daß er inwendig ganz hohl und
leer ſey.
Ich kann nicht umhin nachtraͤglich zu erzaͤh¬
len, daß ich Gelegenheit fand, den dicken Mann
mit den glaͤnzend neuen Hoſen genauer zu beob¬
achten, und mich zu uͤberzeugen, daß er kein
Jeſuit war, ſondern ein ganz gewoͤhnliches Vieh
Gottes. Ich traf ihn nemlich in der Gaſtſtube
meines Wirthshauſes, wo er zu Nacht ſpeiſte,
in Geſellſchaft eines langen, magern Excellenz ge¬
nannten Mannes, der jenem alten, hageſtolz¬
lichen Landjunker, den uns Shakespear geſchil¬
dert, ſo aͤhnlich war, daß es ſchien, als habe die
Natur ein Plagiat begangen. Beide wuͤrzten
ihr Mahl, indem ſie die Aufwaͤrterin mit Ca¬
reſſen bedraͤngten, die das liebe, bildſchoͤne Maͤd¬
chen nicht wenig anzuekeln ſchienen, ſo daß ſie
ſich mit Gewalt losriß, wenn der Eine ſie hinten
klaͤtſchelte, oder der Andere ſie gar zu embraſſiren
ſuchte. Dabey riſſen ſie ihre roheſten Zoten,
die das Maͤdchen, wie ſie wußten, nicht umhin
konnte anzuhoͤren, da ſie zur Aufwartung der
Gaͤſte und auch um mir den Tiſch zu decken,
im Zimmer bleiben mußte. Als jedoch die Un¬
gebuͤhr ganz unleidlich wurde, ließ die junge
Perſon ploͤtzlich alles ſtehen und liegen, eilte zur
Thuͤr hinaus, und kam erſt nach einigen Minu¬
ten ins Zimmer zuruͤck, mit einem kleinen Kinde
auf dem Arm, das ſie die ganze Zeit auf
dem Arm behielt, waͤhrend ſie im Gaſtzimmer
ihre Geſchaͤfte beſorgte, obgleich ihr dieſe da¬
durch um ſo beſchwerlicher wurden. Die beiden
Cumpane aber, der geiſtliche und der adlige Herr,
wagten keine einzige Belaͤſtigung mehr gegen das
Maͤdchen, das jetzt ohne Unfreundlichkeit, jedoch
mit ſeltſamen Ernſt, ſie bediente;— das Geſpraͤch
nahm eine andere Wendung, beide ſchwatzten jetzt
das gewoͤhnliche Geſchwaͤtz von der großen Ver¬
ſchwoͤrung gegen Thron und Altar, ſie verſtaͤn¬
digten ſich uͤber die Nothwendigkeit ſtrenger
Maaßregeln, und reichten ſich mehrmals die hei¬
ligen Allianzhaͤnde.
Capitel X.
Fuͤr die Geſchichte von Tyrol ſind die Werke
des Joſeph von Hormayr unentbehrlich; fuͤr die
neueſte Geſchichte iſt er ſelbſt die beſte, oft die
einzige Quelle. Er iſt fuͤr Tyrol was Johannes
von Muͤller fuͤr die Schweiz iſt; eine Parallele
dieſer beiden Hiſtoriker draͤngt ſich uns von ſelbſt
auf. Sie ſind gleichſam Wandnachbaren, beide
in ihrer Jugend gleich begeiſtert fuͤr ihre Ge¬
burtsalpen, beide fleißig, forſchſam, von hiſtoriſcher
Denkweiſe und Gefuͤhlsrichtung; Johannes von
Muͤller, epiſcher geſtimmt, den Geiſt wiegend in
den Geſchichten der Vergangenheit, Joſeph von
Hormayr, haſtiger fuͤhlend, mehr in die Gegen¬
wart hineingeriſſen, uneigennuͤtzig das Leben
wagend fuͤr das was ihm lieb war.
Bartholdys „Krieg der Tyroler Landleute
im Jahr 1809“ iſt ein geiſtreich und ſchoͤn ge¬
ſchriebenes Buch, und wenn Maͤngel darin ſind,
ſo entſtanden ſie nothwendigerweiſe dadurch, weil
der Verfaſſer, wie es edlen Gemuͤthern eigen iſt,
fuͤr die unterdruͤckte Parthey eine ſichtbare Vor¬
liebe hegte, und weil noch Pulverdampf die Be¬
gebenheiten umhuͤllte, als er ſie beſchrieb.
Viele merkwuͤrdige Ereigniſſe jener Zeit ſind
gar nicht aufgeſchrieben, und leben nur im Ge¬
daͤchtniſſe des Volkes, das jetzt nicht gern mehr
davon ſpricht, da die Erinnerung mancher ge¬
taͤuſchten Hoffnung dabey auftaucht. Die armen
Tyroler haben nemlich auch allerley Erfahrungen
machen muͤſſen, und wenn man ſie jetzt fragt,
ob ſie, zum Lohne ihrer Treue, Alles erlangt,
was man ihnen in der Noth verſprochen, ſo
zucken ſie gutmuͤthig die Achſel, und ſagen naiv:
es war vielleicht ſo ernſt nicht gemeint, und der
Kaiſer hat viel zu denken, und da geht ihm
manches durch den Kopf.
Troͤſtet Euch, arme Schelme! Ihr ſeyd nicht
die Einzigen, denen etwas verſprochen worden.
Paſſirt es doch oft auf großen Sklavenſchiffen,
daß man bey großen Stuͤrmen und wenn
das Schiff in Gefahr geraͤth, zu den ſchwarzen
Menſchen ſeine Zuflucht nimmt, die unten im
dunkeln Schiffsraum zuſammengeſtaut liegen.
Man bricht dann ihre eiſernen Ketten, und ver¬
ſpricht heilig und theuer, ihnen die Freyheit zu
ſchenken, wenn durch ihre Thaͤtigkeit das Schiff
gerettet werde. Die bloͤden Schwarzen jubeln
nun hinauf ans Tageslicht, Hurrah! ſie eilen
zu den Pumpen, ſtampfen aus Leibeskraͤften,
5
helfen, wo nur zu helfen iſt, klettern, ſpringen,
kappen die Maſten, winden die Taue, kurz ar¬
beiten ſo lange bis die Gefahr voruͤber iſt. Als¬
dann werden ſie, wie ſich von ſelbſt verſteht,
wieder nach dem Schiffsraum hinabgefuͤhrt, wie¬
der ganz bequem angefeſſelt, und in ihrem dunkeln
Elend machen ſie demagogiſche Betrachtungen
uͤber Verſprechungen von Seelenverkaͤufern, deren
ganze Sorge, nach uͤberſtandener Gefahr, da¬
hin geht, noch einige Seelen mehr einzutauſchen.
O navis, referent in mare te novi
Fluctus? etc.
Als mein alter Lehrer dieſe Ode des Horaz,
worin der Staat mit einem Schiffe verglichen
wird, explizirte, hatte er allerlei politiſche Be¬
trachtungen zu machen, die er bald einſtellte, als
die Schlacht bei Leipzig geſchlagen worden, und
die ganze Claſſe auseinander ging.
Mein alter Lehrer hat alles voraus gewußt.
Als wir die erſte Nachricht dieſer Schlacht er¬
hielten, ſchuͤttelte er das graue Haupt. Jetzt
weiß ich was dieſes Schuͤtteln bedeutete. Bald
kamen die genaueren Berichte, und heimlich
zeigte man einander die Bilder, wo gar bunt
und erbaulich abkonterfeit war: wie die hohen
Heerfuͤhrer auf dem Schlachtfelde knieten und
Gott dankten.
Ja, ſie konnten Gott danken — ſagte mein
Lehrer und laͤchelte, wie er zu laͤcheln pflegte,
wenn er den Saluſt explicirte — der Kaiſer
Napoleon hat ſie ſo oft geklopft, daß ſie es ihm
doch am Ende ablernen konnten.
Nun kamen die Allirten und die ſchlechten
Befreyungsgedichte, Hermann und Thusnelda,
Hurrah, und der Frauenverein und die Vater¬
landseicheln, und das ewige Pralen mit der
5 *
Schlacht bey Leipzig, und wieder die Schlacht
bey Leipzig, und kein Aufhoͤren davon.
Es geht dieſen Leuten, bemerkte mein Lehrer,
wie den Thebanern, als ſie bei Leuktra endlich
einmal jene unbeſiegbaren Spartaner geſchlagen,
und beſtaͤndig mit dieſer Schlacht pralten, ſo daß
Anthiſtenes von ihnen ſagte: ſie machen es wie
die Knaben, die vor Freude ſich nicht zu laſſen
wiſſen, wenn ſie einmal ihren Schulmeiſter aus¬
gepruͤgelt haben. Liebe Jungens, es waͤre beſſer
geweſen, wir haͤtten ſelbſt die Pruͤgel bekommen.
Bald darauf iſt der alte Mann geſtorben.
Auf ſeinem Grabe waͤchſt preußiſches Gras, und
es weiden dort die adeligen Roſſe unſerer reno¬
virten Ritter.
Capitel IX.
Die Tyroler ſind ſchoͤn, heiter, ehrlich, brav,
und von unergruͤndlicher Geiſtesbeſchraͤnktheit.
Sie ſind eine geſunde Menſchenraçe, vielleicht
weil ſie zu dumm ſind, um krank ſeyn zu koͤnnen.
Auch eine edle Raçe moͤchte ich ſie nennen, weil
ſie ſich in ihren Nahrungsmitteln ſehr waͤhlig
und in ihren Gewoͤhnungen ſehr reinlich zeigen;
nur fehlt ihnen ganz und gar das Gefuͤhl von
der Wuͤrde der Perſoͤnlichkeit. Der Tyroler hat
eine Sorte von laͤchelndem humoriſtiſchen Ser¬
vilismus, der faſt eine ironiſche Faͤrbung traͤgt,
aber doch grundehrlich gemeint iſt. Die Frauen¬
zimmer in Tyrol begruͤßen Dich ſo zuvorkommend
freundlich, die Manner druͤcken Dir ſo derb die
Hand, und gebehrden ſich dabei ſo putzig herzlich,
daß du faſt glauben ſollteſt, ſie behandelten Dich
wie einen nahen Verwandten, wenigſtens wie
ihres Gleichen; aber weit gefehlt, ſie verlieren
dabei nie aus dem Gedaͤchtniß, daß ſie nur ge¬
meine Leute ſind, und daß Du ein vornehmer
Herr biſt, der es gewiß gern ſieht, wenn gemeine
Leute ohne Bloͤdigkeit ſich zu ihm herauflaſſen.
Und darin haben ſie einen naturrichtigen In¬
ſtinkt; die ſtarrſten Ariſtokraten ſind froh, wenn
ſie Gelegenheit finden zur Herablaſſung, denn
dadurch eben fuͤhlen ſie, wie hoch ſie geſtellt
ſind. Zu Hauſe uͤben die Tyroler dieſen Servi¬
lismus gratis, in der Fremde ſuchen ſie auch
noch dadurch zu lukriren. Sie geben ihre Per¬
ſoͤnlichkeit preis, ihre Nationalitaͤt. Dieſe bun¬
ten Deckenverkaͤufer, dieſe muntern Tyroler Bua,
die wir in ihrem Nationalkoſtuͤm herumwandern
ſehen, laſſen gern ein Spaͤschen mit ſich treiben,
aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene
Geſchwiſter Rainer, die in England geweſen,
haben es noch beſſer verſtanden, und ſie hatten
noch obendrein einen guten Rathgeber, der den
Geiſt der engliſchen Nobility gut kannte. Daher
ihre gute Aufnahme im Foyer der europaͤiſchen
Ariſtokratie, in the west end of the town.
Als ich vorigen Sommer in den glaͤnzenden
Konzertſaͤlen der Londoner faſhionablen Welt
dieſe Tyroler Saͤnger, gekleidet in ihre heimath¬
liche Volkstracht, das Schaugeruͤſt betreten ſah,
und von da herab jene Lieder hoͤrte, die in den
Tyroler Alpen ſo naiv und fromm gejodelt werden,
und uns auch ins norddeutſche Herz ſo lieblich
hinabklingen — da verzerrte ſich Alles in meiner
Seele zu bitterem Unmuth, das gefaͤllige Laͤcheln
vornehmer Lippen ſtach mich wie Schlangen, es
war mir, als ſaͤhe ich die Keuſchheit des deut¬
ſchen Wortes auf's Roheſte beleidigt, und die
ſuͤßeſten Myſterien des deutſchen Gemuͤthlebens
vor fremdem Poͤbel profanirt. Ich habe nicht
mitklatſchen koͤnnen bei dieſer ſchamloſen Ver¬
ſchacherung des Verſchaͤmteſten, und ein Schwei¬
zer, der gleich fuͤhlend mit mir den Saal ver¬
ließ, bemerkte ganz richtig: wir Schwyzer geben
auch viel fuͤr's Geld, unſere beſten Kaͤſe und
unſer beſtes Blut, aber das Alphorn koͤnnen wir
in der Fremde kaum blaſen hoͤren, vielweniger
es ſelbſt blaſen fuͤr Geld.
Capitel XII.
Tyrol iſt ſehr ſchoͤn, aber die ſchoͤnſten Land¬
ſchaften koͤnnen uns nicht entzuͤcken, bei truͤber
Witterung und aͤhnlicher Gemuͤthsſtimmung.
Dieſe iſt bei mir immer die Folge von jener,
und da es draußen regnete, ſo war auch in mir
ſchlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte
ich den Kopf zum Wagen hinausſtrecken, und
dann ſchaute ich himmelhohe Berge, die mich
ernſthaft anſahen, und mir mit den ungeheuern
Haͤuptern und langen Wolkenbaͤrten eine gluͤck¬
liche Reiſe zunickten. Hie und da bemerkte ich
auch ein fernblaues Berglein, das ſich auf die
Fußzehen zu ſtellen ſchien, und den anderen
Bergen recht neugierig uͤber die Schultern blickte,
wahrſcheinlich um mich zu ſehen. Dabei kreiſch¬
ten uͤberall die Waldbaͤche, die ſich wie toll von
den Hoͤhen herabſtuͤrzten und in den dunkeln
Thalſtrudeln verſammelten. Die Menſchen ſteckten
in ihren niedlichen, netten Haͤuschen, die uͤber
der Halde, an den ſchroffſten Abhaͤngen und bis
auf die Bergſpitzen zerſtreut liegen; niedliche,
nette Haͤuschen, gewoͤhnlich mit einer langen,
balkonartigen Gallerie, und dieſe wieder mit
Waͤſche, Heiligenbildchen, Blumentoͤpfen und
Maͤdchengeſichtern ausgeſchmuͤckt. Auch huͤbſch
bemalt ſind dieſe Haͤuschen, meiſtens weiß
und gruͤn, als truͤgen ſie ebenfalls die Tyroler
Landestracht, gruͤne Hoſentraͤger uͤber dem weißen
Hemde. Wenn ich ſolch' Haͤuschen im einſamen
Regen liegen ſah, wollte mein Herz oft ausſtei¬
gen und zu den Menſchen gehen, die gewiß
trocken und vergnuͤgt da drinnen ſaßen. Da
drinnen, dacht' ich, muß ſich's recht lieb und
innig leben laſſen, und die alte Großmutter er¬
zaͤhlt gewiß die heimlichſten Geſchichten. Waͤhrend
der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, ſchaut' ich
noch oft zuruͤck, um die blaͤulichen Rauchſaͤulen
aus den kleinen Schornſteinen ſteigen zu ſehen,
und es regnete dann immer ſtaͤrker, außer mir
und in mir, daß mir faſt die Tropfen aus den
Augen herauskamen.
Oft hob ſich auch mein Herz, und trotz dem
ſchlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die
ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht
kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig
erfahren von dem, was hier unten geſchieht.
Sie ſind deshalb um nichts minder fromm und
gluͤcklich. Von der Politik wiſſen ſie nichts, als
daß ſie einen Kaiſer haben, der einen weißen
Rock und rothe Hoſen traͤgt; das hat ihnen der
alte Ohm erzaͤhlt, der es ſelbſt in Insbruck ge¬
hoͤrt von dem ſchwarzen Sepperl, der in Wien
geweſen. Als nun die Patrioten zu ihnen hin¬
aufkletterten und ihnen beredtſam vorſtellten, daß
ſie jetzt einen Fuͤrſten bekommen, der einen blauen
Rock und weiße Hoſen trage, da griffen ſie zu
ihren Buͤchſen, und kuͤßten Weib und Kind, und
ſtiegen von den Bergen hinab, und ließen ſich
todtſchlagen fuͤr den weißen Rock und die lieben
alten rothen Hoſen.
Im Grunde iſt es auch daſſelbe, fuͤr was
man ſtirbt, wenn nur fuͤr etwas Liebes geſtorben
wird, und ſo ein warmer, treuer Tod iſt beſſer,
als ein kaltes, treuloſes Leben. Schon allein die
Lieder von einem ſolchen Tode, die ſuͤßen Reime
und lichten Worte erwaͤrmen unſer Herz, wenn
feuchte Nebelluft und zudringliche Sorgen es be¬
truͤben wollen.
Viel ſolcher Lieder klangen durch mein Herz,
als ich uͤber die Berge Tyrols dahinfuhr. Die
traulichen Tannenwaͤlder rauſchten mir ſo manch'
vergeſſenes Liebeswort ins Gedaͤchtniß zuruͤck.
Beſonders wenn mich die großen blauen Berg¬
ſeen ſo unergruͤndlich ſehnſuͤchtig anſchauten, dann
dachte ich wieder an die beiden Kinder, die ſich
ſo lieb gehabt und zuſammen geſtorben ſind.
Es iſt eine veraltete Geſchichte, die auch jetzt
Niemand mehr glaubt, und die ich ſelbſt nur
aus einigen Liederreimen kenne.
„Es waren zwey Koͤnigskinder,
Die hatten einander ſo lieb,
Sie konnten beiſammen nicht kommen,
Das Waſſer war viel zu tief —“
Dieſe Worte fingen von ſelbſt wieder an in
mir zu klingen, als ich, bei einem von jenen
blauen Seen, am jenſeitigen Ufer einen kleinen
Knaben und am diesſeitigen ein kleines Maͤdchen
ſtehen ſah, die beide in der bunten Volkstracht,
mit bebaͤnderten, gruͤnen Spitzhuͤtchen auf dem
Kopfe, gar wunderlieblich gekleidet waren, und
ſich hinuͤber und heruͤber gruͤßten —
Sie konnten beiſammen nicht kommen,
Das Waſſer war viel zu tief.
Capitel XIII.
Im ſuͤdlichen Tyrol klaͤrte ſich das Wetter
auf, die Sonne von Italien ließ ſchon ihre
Naͤhe fuͤhlen, die Berge wurden waͤrmer und
glaͤnzender, ich ſah ſchon Weinreben, die ſich
daran hinaufrankten, und ich konnte mich ſchon
oͤfter zum Wagen hinauslehnen. Wenn ich mich
aber zum Wagen hinauslehne, ſo lehnt ſich mein
Herz mit mir hinaus, und mit dem Herzen all'
ſeine Liebe, ſeine Wehmuth und ſeine Thorheit.
Es iſt mir oft geſchehen, daß das arme Herz
dadurch von den Dornen zerriſſen wurde, wenn
es ſich nach den Roſenbuͤſchen, die am Wege
bluͤhten, hinauslehnte, und die Roſen Tyrols
ſind nicht haͤßlich. Als ich durch Steinach fuhr
und den Markt beſah, worauf Immermann den
Sandwirth Hofer mit ſeinen Geſellen auftreten
laͤßt, da fand ich, daß der Markt fuͤr eine In¬
ſurgenten-Verſammlung viel zu klein waͤre, aber
noch immer groß genug iſt, um ſich darauf zu
verlieben. Es ſind da nur ein Paar weiße
Haͤuschen, und aus einem kleinen Fenſter guckte
eine kleine Sandwirthin und zielte und ſchoß
aus ihren großen Augen; — waͤre der Wagen
nicht ſchnell voruͤbergerollt, und haͤtte ſie Zeit
gehabt noch einmal zu laden, ſo waͤre ich gewiß
geſchoſſen. Ich rief: Kutſcher, fahr' zu, mit
einer ſolchen Schoͤn-Elſy iſt nicht zu ſpaßen; die
ſteckt einem das Haus uͤber dem Kopf in Brand.
Als gruͤndlicher Reiſender muß ich auch anfuͤhren,
daß die Frau Wirthin in Sterzing zwar ſelbſt
eine alte Frau iſt, aber dafuͤr zwei junge Toͤch¬
terlein hat, die einem das Herz, wenn es aus¬
geſtiegen iſt, durch ihren Anblick recht wohlthaͤtig
erwaͤrmen. Aber Dich darf ich nicht vergeſſen,
Du Schoͤnſte von allen, Du ſchoͤne Spinnerin
an den Marken Italiens! O haͤtteſt Du mir,
wie Ariadne dem Theſeus, den Faden Deines
Geſpinnſtes gegeben, um mich zu leiten durch
das Labyrinth dieſes Lebens, jetzt waͤre der Mino¬
taurus ſchon beſiegt, und ich wuͤrde Dich lieben
und kuͤſſen und niemals verlaſſen!
Es iſt ein gutes Zeichen, wenn die Weiber
laͤcheln, ſagt ein chineſiſcher Schriftſteller, und
ein deutſcher Schriftſteller war eben dieſer Mei¬
nung, als er in Suͤdtyrol, wo Italien beginnt,
einem Berge vorbeykam, an deſſen Fuße,
auf einem nicht ſehr hohen Steindamm, eines
von jenen Haͤuschen ſtand, die mit ihrer trau¬
lichen Gallerie und ihren naiven Malereien uns
ſo lieblich anſehen. Auf der einen Seite ſtand
ein großes hoͤlzernes Kruzifix, das einem jungen
Weinſtock als Stuͤtze diente, ſo daß es faſt
ſchaurig heiter ausſah, wie das Leben den Tod,
die ſaftig gruͤnen Reben den blutigen Leib und
die gekreuzigten Arme und Beine des Heilands
umrankten. Auf der anderen Seite des Haͤus¬
chens ſtand ein runder Taubenkofen, deſſen gefie¬
dertes Voͤlkchen flog hin und her, und eine ganz
beſonders anmuthig weiße Taube ſaß auf dem
huͤbſchen Spitzdaͤchlein, das, wie die fromme
Steinkrone einer Heiligenniſche, uͤber dem Haupte
der ſchoͤnen Spinnerin hervorragte. Dieſe ſaß
auf der kleinen Gallerie und ſpann, nicht nach
der deutſchen Spinnradmethode, ſondern nach
jener uralten Weiſe, wo ein flachsumzogener
Wocken unter dem Arme gehalten wird, und der
abgeſponnene Faden an der freihaͤngenden Spin¬
del hinunterlaͤuft. So ſpannen die Koͤnigstoͤchter
in Griechenland, ſo ſpinnen noch jetzt die Parzen
und alle Italienerinnen. Sie ſpann und laͤchelte,
unbeweglich ſaß die Taube uͤber ihrem Haupte,
und uͤber dem Hauſe ſelbſt ragten hinten die
hohen Berge, deren Schneegipfel die Sonne
beſchien, daß ſie ausſahen wie eine ernſte Schutz¬
wache von Rieſen mit blanken Helmen auf den
Haͤuptern.
Sie ſpann und laͤchelte, und ich glaube, ſie
hat mein Herz feſtgeſponnen, waͤhrend der Wagen
etwas langſamer vorbeifuhr, wegen des breiten
Stromes der Eiſach, die auf der andern Seite
des Weg's dahinſchoß. Die lieben Zuͤge kamen
mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedaͤchtniß,
uͤberall ſah ich jenes holde Antlitz, das ein grie¬
chiſcher Bildhauer aus dem Dufte einer weißen
Roſe geformt zu haben ſchien, ganz ſo hinge¬
haucht zart, ſo uͤberſelig edel, wie er es vielleicht
einſt als Juͤngling getraͤumt in einer bluͤhenden
Fruͤhlingsnacht. Die Augen freilich haͤtte kein
Grieche ertraͤumen und noch weniger begreifen
koͤnnen. Ich aber ſah ſie und begriff ſie, dieſe
6 *
romantiſchen Sterne, die ſo zauberhaft die antike
Herrlichkeit beleuchteten. Den ganzen Tag ſah
ich dieſe Augen, und ich traͤumte davon in der
folgenden Nacht. Da ſaß ſie wieder und laͤchelte,
die Tauben flatterten hin und her wie Liebes¬
engel, auch die weiße Taube uͤber ihrem Haupte
bewegte myſtiſch die Fluͤgel, hinter ihr hoben
ſich immer gewaltiger die behelmten Waͤchter,
vor ihr hin jagte der Bach, immer ſtuͤrmiſcher
und wilder, die Weinreben umrankten mit aͤngſt¬
licher Haſt das gekreuzigte Holzbild, das ſich
ſchmerzlich regte, und die leidenden Augen oͤffnete
und aus den Wunden blutete — ſie aber ſpann
und laͤchelte, und an dem Faden ihres Wockens,
gleich einer tanzenden Spindel, hing mein eige¬
nes Herz.
Capitel XIV.
Waͤhrend die Sonne immer ſchoͤner und herr¬
licher aus dem Himmel hervorbluͤhte, und Berg
und Burgen mit Goldſchleyern umkleidete, wurde
es auch in meinem Herzen immer heißer und
leuchtender, ich hatte wieder die ganze Bruſt
voll Blumen, und dieſe ſproßten hervor und
wuchſen mir gewaltig uͤber den Kopf, und durch
die eignen Herzblumen hindurch laͤchelte wieder
himmliſch die ſchoͤne Spinnerin. Befangen in
ſolchen Traͤumen, ſelbſt ein Traum, kam ich nach
Italien, und da ich waͤhrend der Reiſe ſchon
ziemlich vergeſſen hatte, daß ich dorthin reiſte,
ſo erſchrack ich faſt, als mich all die großen italie¬
niſchen Augen ploͤtzlich anſahen, und das bunt¬
verwirrte italieniſche Leben mir leibhaftig, heiß
und ſummend, entgegenſtroͤmte.
Es geſchah dieſes aber in der Stadt Trient,
wo ich an einem ſchoͤnen Sonntag des Nachmit¬
tags ankam, zur Zeit, wo die Hitze ſich legt und
die Italiener aufſtehen und in den Straßen auf-
und ab ſpatzieren. Dieſe Stadt liegt alt und
gebrochen in einem weiten Kreiſe von bluͤhend
gruͤnen Bergen, die, wie ewig junge Goͤtter,
auf das morſche Menſchenwerk herabſehen. Ge¬
brochen und morſch liegt daneben auch die hohe
Burg, die einſt die Stadt beherrſchte, ein aben¬
teuerlicher Bau aus abenteuerlicher Zeit, mit
Spitzen, Vorſpruͤngen, Zinnen und mit einem
breitrunden Thurm, worin nur noch Eulen und
oͤſtreichiſche Invaliden hauſen. Auch die Stadt
ſelbſt iſt abenteuerlich gebaut, und wunderſam
wird einem zu Sinn bey'm erſten Anblick dieſer
uralterthuͤmlichen Haͤuſer mit ihren verblichenen
Freskos, mit ihren zerbroͤckelten Heiligenbildern,
mit ihren Thuͤrmchen, Erkern, Gitterfenſterchen,
und jenen hervorſtehenden Giebeln, die eſtraden¬
artig auf grauen alterſchwachen Pfeilern ruhen,
welche ſelbſt einer Stuͤtze beduͤrften. Solcher
Anblick waͤre allzu wehmuͤthig, wenn nicht die
Natur dieſe abgeſtorbenen Steine mit neuem
Leben erfriſchte, wenn nicht ſuͤße Weinreben jene
gebrechlichen Pfeiler, wie die Jugend das Alter,
innig und zaͤrtlich umrankten, und wenn nicht
noch ſuͤßere Maͤdchengeſichter aus jenen truͤben
Bogenfenſtern hervorguckten, und uͤber den deut¬
ſchen Fremdling laͤchelten, der, wie ein ſchlaf¬
wandelnder Traͤumer, durch die bluͤhenden Rui¬
nen einherſchwankt.
Ich war wirklich wie im Traum, wie in einem
Traume, wo man ſich auf irgend etwas beſinnen
will, was man ebenfalls einmal getraͤumt hat.
Ich betrachtete abwechſelnd die Haͤuſer und die
Menſchen, und ich meinte faſt, dieſe Haͤuſer
haͤtte ich einſt in ihren beſſeren Tagen geſehen,
als ihre huͤbſchen Malereien noch farbig glaͤnzten,
als die goldenen Zierrathen an den Fenſterfrieſen
noch nicht ſo geſchwaͤrzt waren, und als die
marmorne Madonna, die das Kind auf dem
Arme traͤgt, noch ihren wunderſchoͤnen Kopf auf¬
hatte, den jetzt die bilderſtuͤrmende Zeit ſo poͤbel¬
haft abgebrochen. Auch die Geſichter der alten
Frauen ſchienen mir ſo bekannt, es kam mir vor,
als waͤren ſie herausgeſchnitten aus jenen alt¬
italieniſchen Gemaͤlden, die ich einſt als Knabe
in der Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen habe. Eben¬
falls die alten Maͤnner ſchienen mir ſo laͤngſt
vergeſſen wohlbekannt, und ſie ſchauten mich an
mit ernſten Augen, wie aus der Tiefe eines Jahr¬
tauſends. Sogar die kecken jungen Maͤdchen
hatten ſo etwas jahrtauſendlich Verſtorbenes und
doch wieder bluͤhend Aufgelebtes, daß mich faſt
ein Grauen anwandelte, ein ſuͤßes Grauen, wie
ich es einſt gefuͤhlt, als ich in der einſamen
Mitternacht meine Lippen preßte auf die Lippen
Marias, einer wunderſchoͤnen Frau, die damals
gar keinen Fehler hatte, außer daß ſie todt war.
Dann aber mußt' ich wieder uͤber mich ſelbſt
laͤcheln, und es wollte mich beduͤnken, als ſey
die ganze Stadt nichts anderes als eine huͤbſche
Novelle, die ich einſt einmal geleſen, ja, die ich
ſelbſt gedichtet, und ich ſey jetzt in mein eigenes
Gedicht hineingezaubert worden, und erſchraͤcke
vor den Gebilden meiner eigenen Schoͤpfung.
Vielleicht auch, dacht' ich, iſt das Ganze wirklich
nur ein Traum, und ich haͤtte herzlich gern
einen Thaler fuͤr eine einzige Ohrfeige gegeben,
blos um dadurch zu erfahren, ob ich wachte oder
ſchlief.
Wenig fehlte, und ich haͤtte dieſen Artikel
noch wohlfeiler eingehandelt, als ich an der Ecke
des Marktes uͤber die dicke Obſtfrau hinſtolperte.
Sie begnuͤgte ſich aber damit, mir einige wirkliche
Feigen an die Ohren zu werfen, und ich gewann
dadurch die Ueberzeugung, daß ich mich in der
wirklichſten Wirklichkeit befand, mitten auf dem
Marktplatz von Trient, neben dem großen Brun¬
nen, aus deſſen kupfernen Tritonen und Delphi¬
nen die ſilberklaren Waſſer gar lieblich ermunternd
emporſprangen. Links ſtand ein alter Pallazzo,
deſſen Waͤnde mit buntallegoriſchen Figuren be¬
malt waren, und auf deſſen Terraſſe einige grau
oͤſtreichiſche Soldaten zum Heldenthume abge¬
richtet wurden. Rechts ſtand ein gothiſch-lom¬
bardiſch kaprizioſes Haͤuslein, in deſſen Innerm
eine ſuͤße, flatterhafte Maͤdchenſtimme ſo keck und
luſtig trillerte, daß die verwitterten Mauern vor
Vergnuͤgen oder Baufaͤlligkeit zitterten, waͤhrend
oben aus dem Spitzfenſter eine ſchwarze, laby¬
rinthiſch gekraͤuſelte, komoͤdiantenhafte Friſur
herausguckte, worunter ein ſcharfgezeichnetes,
duͤnnes Geſicht hervortrat, das nur auf der
linken Wange geſchminkt war, und daher aus¬
ſah wie ein Pfannkuchen, der erſt auf einer Seite
gebacken iſt. Vor mir aber, in der Mitte, ſtand
der uralte Dom, nicht groß, nicht duͤſter, ſondern
wie ein heiterer Greis, recht bejahrt zutraulich
und einladend.
Capitel XV.
Als ich den gruͤnſeidenen Vorhang, der den
Eingang des Doms bedeckte, zuruͤckſchob und
eintrat in das Gotteshaus, wurde mir Leib und
Herz angenehm erfriſcht von der lieblichen Luft,
die dort wehte, und von dem beſaͤnftigend magi¬
ſchen Lichte, das durch die buntbemalten Fenſter
auf die betende Verſammlung herabfloß. Es
waren meiſtens Frauenzimmer, in lange Reihen
hingeſtreckt auf den niedrigen Betbaͤnken. Sie
beteten bloß mit leiſer Lippenbewegung, und
faͤcherten ſich dabei beſtaͤndig mit großen gruͤnen
Faͤchern, ſo daß man nichts hoͤrte als ein unauf¬
hoͤrlich heimliches Wiſpern, und nichts ſah als
Faͤcherſchlag und wehende Schleier. Der knar¬
rende Tritt meiner Stiefeln ſtoͤrte manche ſchoͤne
Andacht, und große katholiſche Augen ſahen mich
an, halb neugierig, halb liebwillig, und mochten
mir wohl rathen, mich ebenfalls hinzuſtrecken
und Seelenſieſte zu halten.
Wahrlich, ein ſolcher Dom mit ſeinem ge¬
daͤmpften Lichte und ſeiner wehenden Kuͤhle iſt
ein angenehmer Aufenthalt, wenn draußen greller
Sonnenſchein und druͤckende Hitze. Davon
hat man gar keinen Begriff in unſerem prote¬
ſtantiſchen Norddeutſchland, wo die Kirchen nicht
ſo komfortabel gebaut ſind, und das Licht ſo
frech durch die unbemalten Vernunftſcheiben hin¬
einſchießt, und ſelbſt die kuͤhlen Predigten vor
der Hitze nicht genug ſchuͤtzen. Man mag ſagen
was man will, der Katholizismus iſt eine gute
Sommerreligion. Es laͤßt ſich gut liegen auf den
Baͤnken dieſer alten Dome, man genießt dort
die kuͤhle Andacht, ein heiliges Dolce far niente,
man betet und traͤumt und ſuͤndigt in Gedanken,
die Madonnen nicken ſo verzeihend aus ihren
Niſchen, weiblich geſinnt verzeihen ſie ſogar, wenn
man ihre eignen holden Zuͤge in die ſuͤndigen
Gedanken verflochten hat, und zum Ueberfluß
ſteht noch in jeder Ecke ein brauner Nothſtuhl
des Gewiſſens, wo man ſich ſeiner Suͤnden ent¬
ledigen kann.
In einem ſolchen Stuhle ſaß ein junger Moͤnch
mit ernſter Miene; das Geſicht der Dame, die
ihm ihre Suͤnden beichtete, war mir aber theils
durch ihren weißen Schleyer, theils durch das
Seitenbrett des Beichtſtuhls verborgen. Doch
kam außerhalb deſſelben eine Hand zum Vor¬
ſchein, die mich gleichſam feſthielt. Ich konnte
nicht aufhoͤren dieſe Hand zu betrachten; das
blaͤuliche Geaͤder und der vornehme Glanz der
weißen Finger war mir ſo befremdlich wohl¬
bekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele
kam in Bewegung, um ein Geſicht zu bilden,
das zu dieſer Hand gehoͤren konnte. Es war
eine ſchoͤne Hand, und nicht wie man ſie bei
jungen Maͤdchen findet, die halb Lamm, halb
Roſe, nur gedankenloſe, vegetabil animaliſche
Haͤnde haben, ſie hatte vielmehr ſo etwas Gei¬
ſtiges, ſo etwas geſchichtlich Reizendes, wie die
Haͤnde von ſchoͤnen Menſchen, die ſehr gebildet ſind
oder viel gelitten haben. Dieſe Hand hatte dabei
auch ſo etwas ruͤhrend Unſchuldiges, daß es ſchien,
als ob ſie nicht mitzubeichten brauche, und auch nicht
hoͤren wolle was ihre Eigenthuͤmerin beichtete,
und gleichſam draußen warte, bis dieſe fertig
ſey. Das dauerte aber lange; die Dame mußte
viele Suͤnden zu erzaͤhlen haben. Ich konnte
nicht laͤnger warten, meine Seele druͤckte einen
unſichtbaren Abſchiedskuß auf die ſchoͤne Hand,
dieſe zuckte in demſelben Momente, und zwar ſo
eigenthuͤmlich, wie die Hand der todten Maria
zu zucken pflegte, wenn ich ſie beruͤhrte. Um
Gotteswillen, dacht' ich, was thut die todte
Maria in Trient? — und ich eilte aus dem
Dome.
Capitel XVI.
Als ich wieder uͤber den Marktplatz ging,
gruͤßte mich an der Ecke die bereits erwaͤhnte
Obſtfrau, recht freundlich und recht zutraulich,
als waͤren wir alte Bekannte. Gleichviel, dacht'
ich, wie man eine Bekanntſchaft macht, wenn
man nur mit einander bekannt wird. Ein Paar
an die Ohren geworfene Feigen ſind zwar nicht
immer die beſte Introduction; aber ich und die
Obſtfrau ſahen uns jetzt doch ſo freundlich an,
als haͤtten wir uns wechſelſeitig die beſten Empfeh¬
lungsſchreiben uͤberreicht. Die Frau hatte auch
keineswegs ein uͤbles Ausſehn. Sie war freilich
7
ſchon etwas in jenem Alter, wo die Zeit unſere
Dienſtjahre mit fatalen Chevets auf die Stirne
anzeichnet, jedoch dafuͤr war ſie auch deſto kor¬
pulenter, und was ſie an Jugend eingebuͤßt, das
hatte ſie an Gewicht gewonnen. Dazu trug ihr
Geſicht noch immer die Spuren großer Schoͤn¬
heit, und wie auf alten Toͤpfen ſtand darauf
geſchrieben: “lieben und geliebt zu werden, iſt
das groͤßte Gluͤck auf Erden.„ Was ihr aber
den koͤſtlichſten Reiz verlieh, das war die Friſur,
die gekraͤuſelten Locken, kreideweiß gepudert, mit
Pommade reichlich geduͤngt, und idylliſch mit
weißen Glockenblumen durchſchlungen. Ich be¬
trachtete dieſe Frau mit derſelben Aufmerkſam¬
keit, wie irgend ein Antiquar ſeine ausgegrabenen
Marmortorſos betrachtet, ich konnte an jener
lebenden Menſchenruine noch viel mehr ſtudieren,
ich konnte die Spuren aller Civiliſationen Ita¬
liens an ihr nachweiſen, der etruskiſchen, roͤmi¬
ſchen, gothiſchen, lombardiſchen, bis herab auf
die gepudert moderne, und recht intereſſant war
mir das civiliſirte Weſen dieſer Frau im Kontraſt
mit Gewerb und leidenſchaftlicher Gewoͤhnung.
Nicht minder intereſſant waren mir die Gegen¬
ſtaͤnde ihres Gewerbes, die friſchen Mandeln,
die ich noch nie in ihrer urſpruͤnglich gruͤnen
Schale geſehn, und die duftig friſchen Feigen,
die hochaufgeſchuͤttet lagen, wie bei uns die
Birnen. Auch die großen Koͤrbe mit friſchen
Citronen und Orangen ergoͤtzten mich; und wun¬
derlieblicher Anblick! in einem leeren Korbe da¬
neben lag ein bildſchoͤner Knabe, der ein kleines
Gloͤckchen in den Haͤnden hielt, und waͤhrend jetzt
die große Domglocke laͤutete, zwiſchen jedem Schlag
derſelben mit ſeinem kleinen Gloͤckchen klingelte,
und dabei ſo weltvergeſſen ſelig in den blauen
Himmel hineinlaͤchelte, daß mir ſelbſt wieder die
drolligſte Kinderlaune im Gemuͤthe aufſtieg, und ich
mich, wie ein Kind, vor die lachenden Koͤrbe hin¬
ſtellte und naſchte und mit der Obſtfrau diskurirte.
7 *
Wegen meines gebrochenen Italieniſchſprechens
hielt ſie mich im Anfang fuͤr einen Englaͤnder;
aber ich geſtand ihr, daß ich nur ein Deutſcher
ſey. Sie machte ſogleich viele geographiſche,
oͤkonomiſche, hortologiſche, klimatiſche Fragen uͤber
Deutſchland, und wunderte ſich, als ich ihr
ebenfalls geſtand, daß bei uns keine Citronen
wachſen, daß wir die wenigen Citronen, die wir
aus Italien bekommen, ſehr preſſen muͤſſen,
wenn wir Punſch machen, und daß wir dann
aus Verzweiflung deſto mehr Rum zugießen. Ach
liebe Frau! ſagte ich ihr, in unſerem Lande iſt es
ſehr froſtig und feucht, unſer Sommer iſt nur ein
gruͤnangeſtrichener Winter, ſogar die Sonne muß
bey uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn ſie
ſich nicht erkaͤlten will; bei dieſem gelben Flanell¬
ſonnenſchein koͤnnen unſere Fruͤchte nimmermehr
gedeihen, ſie ſehen verdrießlich und gruͤn aus,
und unter uns geſagt, das einzige reife Obſt,
das wir haben, ſind gebratene Aepfel. Was die
Feigen betrifft, ſo muͤſſen wir ſie ebenfalls, wie
die Citronen und Orangen, aus fremden Laͤndern
beziehen, und durch das lange Reiſen werden ſie
dumm und mehlig; nur die ſchlechteſte Sorte
koͤnnen wir friſch aus der erſten Hand bekommen,
und dieſe iſt ſo bitter, daß, wer ſie umſonſt be¬
kommt, noch obendrein eine Realinjurienklage
anſtellt. Von den Mandeln haben wir blos die
geſchwollenen. Kurz, uns fehlt alles edle Obſt,
und wir haben nichts als Stachelbeeren, Birnen,
Haſelnuͤſſe, Zwetſchen und dergleichen Poͤbel.
Capitel XVII.
Ich freute mich wirklich, ſchon gleich bei
meiner Ankunft in Italien eine gute Bekannt¬
ſchaft gemacht zu haben, und haͤtten mich nicht
wichtige Gefuͤhle nach Suͤden gezogen, ſo waͤre
ich vor der Hand in Trient geblieben, bei der
guten Obſtfrau, bei den guten Feigen und Man¬
deln, bei dem kleinen Gloͤckner, und ſoll ich die
Wahrheit ſagen, bei den ſchoͤnen Maͤdchen, die
rudelweiſe vorbeiſtroͤmten. Ich weiß nicht, ob
andere Reiſende hier das Beiwort “ſchoͤn„
billigen werden; mir aber gefielen die Trienterin¬
nen ganz ausnehmend gut. Es war juſt die
Sorte, die ich liebe: — und ich liebe dieſe blaſſen,
elegiſchen Geſichter, wo die großen, ſchwarzen
Augen ſo liebeskrank herausſtrahlen; ich liebe
auch den dunkeln Teint jener ſtolzen Haͤlſe, die
ſchon Phoͤbos geliebt und braun gekuͤßt hat; ich
liebe ſogar jene uͤberreife Nacken, worin purpurne
Puͤnktchen, als haͤtten luͤſterne Voͤgel daran ge¬
pickt; vor allem aber liebe ich jenen genialen
Gang, jene ſtumme Muſik des Leibes, jene Glie¬
der, die ſich in den ſuͤßeſten Rhythmen bewegen,
uͤppig, ſchmiegſam, goͤttlich liederlich, ſterbefaul,
dann wieder aͤtheriſch erhaben, und immer hoch¬
poetiſch. Ich liebe dergleichen, wie ich die Poeſie
ſelbſt liebe, und dieſe melodiſch bewegten Geſtal¬
ten, dieſes wunderbare Menſchenkonzert, das an
mir voruͤberrauſchte, fand ſein Echo in meinem
Herzen, und weckte darin die verwandten Toͤne.
Es war jetzt nicht mehr die Zaubermacht der
erſten Ueberraſchung, die Maͤhrchenhaftigkeit der
wildfremden Erſcheinung, es war ſchon der ruhige
Geiſt, der, wie ein wahrer Kritiker ein Gedicht
lieſt, jene Frauenbilder mit entzuͤckt beſonnenem
Auge betrachtete. Und bei ſolcher Betrachtung
entdeckt man viel, viel Truͤbes, den Reichthum
der Vergangenheit, die Armuth der Gegenwart
und den zuruͤckgebliebenen Stolz. Gern moͤchten
die Toͤchter Trients ſich noch ſchmuͤcken wie zu
den Zeiten des Konziliums, wo die Stadt bluͤhte
in Sammt und Seide; aber das Konzilium hat
wenig ausgerichtet, der Sammt iſt abgeſchabt,
die Seide zerfetzt, und den armen Kindern blieb
nichts als kuͤmmerlicher Flitterſtaat, den ſie in
der Woche aͤngſtlich ſchonen, und womit ſie ſich
nur noch des Sonntags putzen. Manche aber
entbehren auch dieſer Reſte eines verſchollenen
Luxus, und muͤſſen ſich mit allerlei ordinairen
und wohlfeilen Fabrikaten unſers Zeitalters be¬
helfen. Da giebt es nun gar ruͤhrende Contraſte
zwiſchen Leib und Kleid; der feingeſchnittene
Mund ſcheint fuͤrſtlich gebieten zu duͤrfen, und
wird hoͤhniſch uͤberſchattet von einem armſeligen
Baſthut mit zerknitterten Papierblumen, der
ſtolzeſte Buſen wogt in einer Krauſe von plump
falſchen Garnſpitzen, und die geiſtreichſten Huͤften
umſchließt der duͤmmſte Kattun. Wehmuth, dein
Name iſt Kattun, und zwar braungeſtreifter
Kattun! Denn ach! nie hat mich etwas weh¬
muͤthiger geſtimmt, als der Anblick einer Trien¬
terin, die an Geſtalt und Geſichtsfarbe einer
marmornen Goͤttin glich, und auf dieſem antik
edlen Leib ein Kleid von braungeſtreiftem Kattun
trug, ſo daß es ausſah, als ſey die ſteinerne
Niobe ploͤtzlich luſtig geworden, und habe ſich
maskirt in unſere moderne Kleintracht, und
ſchreite bettelſtolz und grandios unbeholfen durch
die Straßen Trients.
Capitel XVIII.
Als ich nach der Lokanda dell' Grande Eu¬
ropa, zuruͤckkehrte, wo ich mir ein gutes Pranzo
beſtellt hatte, war mir wirklich ſo wehmuͤthig zu
Sinn daß ich nicht eſſen konnte, und das will
viel ſagen. Ich ſetzte mich vor die Thuͤre der
nachbarlichen Botega, erfriſchte mich mit Sorbet
und ſprach in mich hinein:
Grillenhaftes Herz! jetzt biſt du ja in Ita¬
lien — warum tirilirſt du nicht? Sind vielleicht
die alten deutſchen Schmerzen, die kleinen
Schlangen, die ſich tief in dir verkrochen, jetzt
mit nach Italien gekommen, und ſie freuen ſich
jetzt, und eben ihr gemeinſchaftlicher Jubel erregt
nun in der Bruſt jenes pitoreske Weh, das darin
ſo ſeltſam ſticht und huͤpft und pfeift? Und
warum ſollten ſich die alten Schmerzen nicht
auch einmal freuen? Hier in Italien iſt es ja
ſo ſchoͤn, das Leiden ſelbſt iſt hier ſo ſchoͤn, in
dieſen gebrochenen Marmorpallazzos klingen die
Seufzer viel romantiſcher, als in unſeren netten
Ziegelhaͤuschen, unter jenen Lorbeerbaͤumen laͤßt ſich
viel wolluͤſtiger weinen als unter unſeren muͤrriſch
zackigen Tannen, und nach den idealiſchen Wol¬
kenbildern des himmelblauen Italiens laͤßt ſich
viel ſuͤßer hinaufſchmachten als nach dem aſchgrau
deutſchen Werkeltagshimmel, wo ſogar die Wol¬
ken nur ehrliche Spießbuͤrgerfratzen ſchneiden
und langweilig herabgaͤhnen! Bleibt nur in
meiner Bruſt, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬
gends ein beſſeres Unterkommen. Ihr ſeyd mir
lieb und werth, und keiner weiß Euch beſſer zu
hegen und zu pflegen als ich, und ich geſtehe
Euch, Ihr macht mir Vergnuͤgen. Und uͤber¬
haupt, was iſt denn Vergnuͤgen? Vergnuͤgen iſt
nichts als ein hoͤchſt angenehmer Schmerz.
Ich glaube, die Muſik, die, ohne daß ich
darauf achtete, vor der Botega erklang, und
einen Kreis von Zuſchauern ſchon um ſich gezogen,
hatte melodramatiſch dieſen Monolog begleitet.
Es war ein wunderliches Trio, beſtehend aus
zwey Maͤnnern und einem jungen Maͤdchen, das
die Harfe ſpielte. Der eine von jenen beiden,
winterlich gekleidet in einen weißen Flausrock,
war ein ſtaͤmmiger Mann, mit einem dickrothen
Banditengeſicht, das aus den ſchwarzen Haupt-
und Barthaaren, wie ein drohender Comet, her¬
vorbrannte, und zwiſchen den Beinen hielt er
eine ungeheure Baßgeige, die er ſo wuͤthend
ſtrich, als habe er in den Abruzzen einen armen
Reiſenden, niedergeworfen und wolle ihm ge¬
ſchwinde die Gurgel abfiedeln; der andre war
ein langer, hagerer Greis, deſſen morſche Gebeine
in einem abgelebt ſchwarzen Anzuge ſchlotterten,
und deſſen ſchneeweiße Haare mit ſeinem Buffo¬
geſang und ſeinen naͤrriſchen Capriolen gar klaͤg¬
lich contraſtirten. Iſt es ſchon betruͤbend, wenn ein
alter Mann die Ehrfurcht, die man ſeinen Jahren
ſchuldig iſt, aus Noth verkaufen, und ſich zur
Poſſenreißerey hergeben muß; wie viel truͤbſeliger
iſt es noch, wenn er ſolches in Gegenwart oder
gar in Geſellſchaft ſeines Kindes thut! und jenes
Maͤdchen war die Tochter des alten Buffo, und
ſie akkompagnirte mit der Harfe die unwuͤrdigſten
Spaͤße des greiſen Vaters, oder ſtellte auch die
Harfe bei Seite und ſang mit ihm ein komiſches
Duett, wo er einen verliebten alten Gecken, und ſie
ſeine junge neckiſche Amante vorſtellte. Oben¬
drein ſchien das Maͤdchen kaum aus den Kinder¬
jahren getreten zu ſeyn, ja es ſchien, als habe
man das Kind, ehe es noch zur Jungfraͤulichkeit
gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und
zwar zu keinem zuͤchtigen Weibe. Daher das
bleichſuͤchtige Welken und der zuckende Mißmuth
des ſchoͤnen Geſichtes, deſſen ſtolzgeſchwungene
Formen jedes ahnende Mitleid gleichſam verhoͤhn¬
ten; daher die verborgene Kuͤmmerlichkeit der
Augen, die unter ihren ſchwarzen Triumphbogen
ſo herausfordernd leuchteten; daher der tiefe
Schmerzenston, der ſo unheimlich kontraſtirte
mit den lachend ſchoͤnen Lippen, denen er ent¬
ſchluͤpfte; daher die Krankhaftigkeit der uͤber¬
zarten Glieder, die ein kurzes, aͤngſtlich violettes
Seidenkleidchen ſo tief als moͤglich umflutterteumflatterte.
Dabei flaggten grellbunte Atlasbaͤnder auf
dem verjaͤhrten Strohhut und die Bruſt
zierte gar ſinnbildlich eine offne Roſenknoſpe,
die mehr gewaltſam aufgeriſſen als in eige¬
ner Entfaltung aus der gruͤnen Huͤlle her¬
vorgebluͤht zu ſeyn ſchien. Indeſſen, uͤber
dem ungluͤcklichen Maͤdchen, dieſem Fruͤhling,
den der Tod ſchon verderblich angehaucht, lag
eine unbeſchreibliche Anmuth, eine Grazie, die
ſich in jeder Miene, in jeder Bewegung, in jedem
Tone kund gab, und ſelbſt dann nicht ganz ſich
verlaͤugnete, wenn ſie mit vorgeworfenem Leibchen
und ironiſcher Luͤſternheit dem alten Vater ent¬
gegen taͤnzelte, der eben ſo unſittſam, mit vorge¬
ſtrecktem Bauchgerippe zu ihr heranwackelte.
Je frecher ſie ſich gebehrdete, deſto tieferes Mit¬
leiden floͤßte ſie mir ein, und wenn ihr Geſang
dann weich und wunderbar aus ihrer Bruſt
hervorſtieg und gleichſam um Verzeihung bat,
dann jauchzten in meiner Bruſt die kleinen
Schlangen, und biſſen ſich vor Vergnuͤgen in
den Schwanz. Auch die Roſe ſchien mich dann
wie bittend anzuſehen, einmal ſah ich ſie ſogar
zittern, erbleichen — aber in demſelben Augen¬
blick ſchlugen die Triller des Maͤdchens um ſo
lachender in die Hoͤhe, der Alte meckerte noch
verliebter, und das rothe Cometgeſicht marterte
ſeine Bratſche ſo grimmig, daß ſie die ent¬
ſetzlich drolligſten Toͤne von ſich gab und die
Zuhoͤrer noch toller jubelten.
Capitel XIX.
Es war ein aͤcht italieniſches Muſikſtuͤck, aus
irgend einer beliebten Opera Buffa, jener
wunderſamen Gattung, die dem Humor den
freyeſten Spielraum gewaͤhrt, und worin er ſich
all' ſeiner ſpringenden Luſt, ſeiner tollen Empfin¬
deley, ſeiner lachenden Wehmuth, und ſeiner
lebensſuͤchtigen Todesbegeiſterung uͤberlaſſen kann.
Es war ganz Roſſiniſche Weiſe, wie ſie ſich im
Barbier von Sevilla am lieblichſten offenbart.
Die Veraͤchter italieniſcher Muſik, die auch
dieſer Gattung den Stab brechen, werden einſt
in der Hoͤlle ihrer wohlverdienten Strafe nicht
8
entgehen, und ſind vielleicht verdammt, die lange
Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hoͤren, als
Fugen von Sebaſtian Bach. Leid iſt es mir
um ſo manchen meiner Collegen, z. B. um
Rellſtab, der ebenfalls dieſer Verdammniß nicht
entgehen wird, wenn er ſich nicht vor ſeinem Tode
zu Roſſini bekehrt. Roſſini, divino Maestro,
Helios von Italien, der du deine klingenden Stralen
uͤber die Welt verbreiteſt! verzeih meinen armen
Landsleuten, die dich laͤſtern auf Schreibpapier
und auf Loͤſchpapier! Ich aber erfreue mich deiner
goldenen Toͤne, deiner melodiſchen Lichter, deiner
funkelnden Schmetterlingstraͤume, die mich ſo
lieblich umgaukeln, und mir das Herz kuͤſſen,
wie mit Lippen der Grazien! Divino Maestro,
verzeih meinen armen Landsleuten, die deine
Tiefe nicht ſehen, weil du ſie mit Roſen bedeckſt,
und denen du nicht gedankenſchwer und gruͤndlich
genug biſt, weil du ſo leicht flatterſt, ſo gottbe¬
fluͤgelt! — Freylich, um die heutige italieniſche
Muſik zu lieben und durch die Liebe zu verſtehn,
muß man das Volk ſelbſt vor Augen haben,
ſeinen Himmel, ſeinen Charakter, ſeine Mienen,
ſeine Leiden, ſeine Freuden, kurz ſeine ganze
Geſchichte, von Romulus, der das heilige roͤmiſche
Reich geſtiftet, bis auf die neueſte Zeit, wo es
zu Grunde ging, unter Romulus Auguſtulus II.
Dem armen geknechteten Italien iſt ja das
Sprechen verboten, und es darf nur durch Muſik
die Gefuͤhle ſeines Herzens kund geben. All ſein
Groll gegen fremde Herrſchaft, ſeine Begeiſtrung
fuͤr die Freyheit, ſein Wahnſinn uͤber das Gefuͤhl
der Ohnmacht, ſeine Wehmuth bey der Erinne¬
rung an vergangene Herrlichkeit, dabey ſein leiſes
Hoffen, ſein Lauſchen, ſein Lechzen nach Huͤlfe,
alles dieſes verkappt ſich in jene Melodien, die
von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegiſcher
Weichheit herabgleiten, und in jene Pantominen,
die von ſchmeichelnden Careſſen zu drohendem
Ingrimm uͤberſchnappen.
8*
Das iſt der eſoteriſche Sinn der Opera Buffa.
Die exoteriſche Schildwache, in deren Gegenwart
ſie geſungen und dargeſtellt wird, ahnt nimmer¬
mehr die Bedeutung dieſer heiteren Liebesge¬
ſchichten, Liebesnoͤthen und Liebesneckereyen, wor¬
unter der Italiener ſeine toͤdlichſten Befreyungs¬
gedanken verbirgt, wie Harmodius und Ariſtogiton
ihren Dolch verbargen in einem Kranze von
Myrthen. Das iſt halt naͤrriſches Zeug, ſagt
die exoteriſche Schildwache, und es iſt gut, daß
ſie nichts merkt. Denn ſonſt wuͤrde der Im¬
preſſario, mitſammt der Prima Donna und dem
Primo Uomo, bald jene Bretter betreten, die
eine Feſtung bedeuten; es wuͤrde eine Unter¬
ſuchungskommiſſion niedergeſetzt werden, alle
ſtaatsgefaͤhrliche Triller und revoluzriſche
Colloraturen kaͤmen zu Protokoll, man wuͤrde
eine Menge Arlekine, die in weiteren Verzwei¬
gungen verbrecheriſcher Umtriebe verwickelt ſind,
auch den Tartaglia, den Brighella, ſogar den alten
bedaͤchtigen Pantalon arretiren, dem Dottore von
Bologna wuͤrde man die Papiere verſiegeln, er
ſelbſt wuͤrde ſich in noch groͤßeren Verdacht hinein¬
ſchnattern, und Columbine muͤßte ſich, uͤber dieſes
Familienungluͤck, die Augen roth weinen. Ich
denke aber, daß ſolches Ungluͤck noch nicht uͤber
dieſe guten Leute hereinbrechen wird, indem die
italieniſchen Demagogen pfiffiger ſind als die
armen Deutſchen, die, Aehnliches beabſichtigend,
ſich als ſchwarze Narren mit ſchwarzen Narren¬
kappen vermummt hatten, aber ſo auffallend truͤb¬
ſelig ausſahen und bey ihren gruͤndlichen Narren
ſpruͤngen, die ſie Turnen nannten, ſich ſo ge¬
faͤhrlich anſtellten und ſo ernſthafte Geſichter
ſchnitten, daß die Regierungen endlich aufmerkſam
werden nndund ſie einſtecken mußten.
Capitel XX.
Die kleine Harfeniſtin mußte wohl bemerkt
haben, daß ich, waͤhrend ſie ſang und ſpielte,
oft nach ihrer Buſenroſe hinblickte, und als ich
nachher auf den zinnernen Teller, womit ſie ihr
Honorar einſammelte, ein Geldſtuͤck warf, das
nicht allzuklein war, da laͤchelte ſie ſchlau, und
frug heimlich: ob ich ihre Roſe haben wolle?
Nun bin ich aber der hoͤflichſte Menſch von
der Welt, und um die Welt! moͤchte ich nicht
eine Roſe beleidigen, und ſey es auch eine Roſe,
die ſich ſchon ein bischen verduftet hat. Und
wenn ſie auch nicht mehr, ſo dacht' ich, ganz friſch
riecht, und nicht mehr im Geruͤche der Tugend
iſt, wie etwa die Roſe von Saron, was kuͤmmert
es mich, der ich ja doch den Stockſchnupfen
habe! Und nur die Menſchen nehmens ſo genau.
Der Schmetterling fragt nicht die Blume: hat
ſchon ein Anderer dich gekuͤßt? Und dieſe fragt
nicht: haſt du ſchon eine Andere umflattert?
Dazu kam noch, daß die Nacht hereinbrach, und
des Nachts, dacht' ich, ſind alle Blumen grau,
die ſuͤndigſte Roſe eben ſo gut wie die tugend¬
hafteſte Peterſilie. Kurz und gut, ohne allzu
langes Zoͤgern ſagte ich zu der kleinen Harfe¬
niſtin: Si Signora —— —
Denk nur nichts Boͤſes, lieber Leſer. Es
war dunkel geworden, und die Sterne ſahen ſo
klar und fromm herab in mein Herz. Im Her¬
zen ſelbſt aber zitterte die Erinnerung an die
todte Maria. Ich dachte wieder an jene Nacht,
als ich vor dem Bette ſtand, worauf der ſchoͤne,
blaſſe Leib lag, mit ſanften ſtillen Lippen —
Ich dachte wieder an den ſonderbaren Blick, den
mir die alte Frau zuwarf, die bey der Leiche
wachen ſollte und mir ihr Amt auf einige
Stunden uͤberließ — Ich dachte wieder an die
Nachtviole, die im Glaſe auf dem Tiſche ſtand
und ſo ſeltſam duftete — Auch durchſchauerte
mich wieder der Zweifel: ob es wirklich ein
Windzug war, wovon die Lampe erloſch? Ob
wirklich kein Dritter im Zimmer war?
Capitel XXI.
Ich ging bald zu Bette, ſchlief bald ein und
verwickelte mich in naͤrriſche Traͤume. Ich traͤumte
mich nemlich wieder einige Stunden zuruͤck, ich
kam wieder an in Trient, ich ſtaunte wieder wie
vorher, und jetzt um ſo mehr, da lauter Blu¬
men ſtatt Menſchen in den Straßen ſpatzieren
gingen.
Da wandelten gluͤhende Nelken, die ſich wol¬
luͤſtig faͤcherten, kokettirende Balſaminen, Hya¬
zinthen mit huͤbſchen leeren Glockenkoͤpfchen,
hinterher ein Troß von ſchnurrbaͤrtigen Narziſſen
und toͤlpelhaften Ritterſporen. An der Ecke
zankten ſich zwey Masliebchen. Aus dem Fen¬
ſter eines alten Hauſes von krankhaftem Aus¬
ſehen guckte eine geſprenkelte Levkoje, gar
naͤrriſch buntgeputzt, und hinter ihr erklang eine
niedlich duftende Veilchenſtimme. Auf dem Bal¬
kon des großen Palazzos am Markte war der
ganze Adel verſammmeltverſammelt, die hohe Nobleſſe,
nemlich jene Liljen, die nicht arbeiten und nicht
ſpinnen und ſich doch eben ſo praͤchtig duͤnken
wie Koͤnig Salomon in all ſeiner Herrlichkeit.
Auch die dicke Obſtfrau glaubte ich dort zu ſehen;
doch als ich genauer hinblickte, war es nur eine
verwinterte Ranunkel, die gleich auf mich los¬
keifte: „Was wollen Sie unreife Blithe? Sie
ſaure Jurke? Sie ordinaͤre Blume mit man
eenen Stoobfaden? Ich will Ihnen ſchon be¬
gießen!“ Vor Angſt eilte ich in den Dom, und
uͤberrannte faſt ein altes hinkendes Stiefmuͤtter¬
chen, das ſich von einem Gaͤnſebluͤmchen das
Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war
es wieder recht angenehm; in langen Reihen
ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten
andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein
ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine
Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam.
Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß
ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte,
die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag.
Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬
nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit
ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und
ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe,
die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen
gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus,
aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche.
Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬
dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und
Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe
hervor und hielt eine lange Leichenpredigt, worin
ſie viel ſchwatzte von den Tugenden der Hinge¬
ſchiedenen, von einem irdiſchen Katzenjammerthal,
von einem beſſeren Seyn, von Liebe, Hoffnung
und Glaube, Alles in einem naͤſelnd ſingenden
Tone, eine breitgewaͤſſerte Rede, und ſo lang
und langweilig, daß ich davon erwachte.
Capitel XXII.
Mein Vetturin hatte fruͤher denn Helios
ſeine Gaͤule angeſchirrt, und ſchon um Mittags¬
zeit erreichten wir Ala. Hier pflegen die Vet¬
turine einige Stunden zu halten, um ihre Wagen
zu wechſeln.
Ala iſt ſchon ein aͤcht italieniſches Neſt.
Die Lage iſt pittoresk, an einem Berghang, ein
Fluß rauſcht vorbey, heitergruͤne Weinreben um¬
ranken hie und da die uͤbereinanderſtolpernden,
zuſammengeflickten Bettlerpallaͤſte. An der Ecke
des windſchiefen Marktes, der ſo klein iſt wie
ein Huͤnerhof, ſteht mit großmaͤchtigen, giganti¬
ſchen Buchſtaben : Piazza di San Marco. Auf
dem ſteinernen Bruchſtuͤck eines großen, altadli¬
gen Wappenſchilds, ſaß dort ein kleiner Knabe
und nothduͤrftelte. Die blanke Sonne beſchien
ſeine naive Ruͤckſeite, und in den Haͤnden hielt
er ein papiernes Heiligenbild, das er vorher in¬
bruͤnſtig kuͤßte. Ein kleines, bildſchoͤnes Maͤdchen
ſtand betrachtungsvoll daneben, und blies zu¬
weilen akkompagnirend in eine hoͤlzerne Kinder¬
trompete.
Das Wirthshaus, wo ich einkehrte und zu
Mittag ſpeiſte, war ebenfalls ſchon von aͤcht
italieniſcher Art. Oben, auf dem erſten Stock¬
werk, eine freye Eſtrade mit der Ausſicht nach
dem Hofe, wo zerſchlagene Wagen und ſehnſuͤchtige
Miſthaufen lagen, Truthaͤhne mit naͤrriſch rothen
Schnabellappen und bettelſtolze Pfauen einher¬
ſpatzierten, und ein halb Dutzend zerlumpter,
ſonnverbrannter' Buben ſich nach der Bell- und
Lankaſterſchen Methode lauſten. Auf jener Eſtrade,
laͤngs dem gebrochenen Eiſengelaͤnder, gelangt man
in ein weites hallendes Zimmer. Fußboden von
Marmor, in der Mitte ein breites Bett, worauf
die Floͤhe Hochzeit halten; uͤberall großartiger
Schmutz. Der Wirth ſprang hin und her, um
meine Wuͤnſche zu vernehmen. Er trug einen
haſtig gruͤnen Leibrock und ein vielfaͤltig bewegtes
Geſicht, worin eine lange hoͤckerige Naſe, mit
einer haarigen rothen Warze, die mitten darauf
ſaß, wie ein rothjaͤckiger Affe auf dem Ruͤcken
eines Kameels. Er ſprang hin und her, und
es war dann, als ob das rothe Aeffchen auf
ſeiner Naſe ebenfalls hin und her ſpraͤnge. Es
dauerte aber eine Stunde, ehe er das Mindeſte
brachte, und wenn ich deshalb ſchalt, ſo be¬
theuerte er, daß ich ſchon ſehr gut Italieniſch
ſpreche.
Ich mußte mich lange mit dem lieblichen Bra¬
tenduft begnuͤgen, der mir entgegenwogte aus der
thuͤrloſen Kuͤche gegenuͤber, wo Mutter und Tochter
neben einander ſaßen und ſangen und Huͤhner rupf¬
ten. Erſtere war remarkabel korpulent; Bruͤſte,
die ſich uͤberreichlich hervorbaͤumten, die jedoch
noch immer klein waren im Vergleich mit dem
koloſſalen Hintergeſtell, ſo daß jene erſt die In¬
ſtituzionen zu ſeyn ſchienen, dieſes aber ihre er¬
weiterte Ausfuͤhrung als Pandekten. Die Tochter,
eine nicht ſehr große, aber ſtark geformte Perſon,
ſchien ſich ebenfalls zur Korpulenz hinzuneigen;
aber ihr bluͤhendes Fett war keineswegs mit
dem alten Talg der Mutter zu vergleichen. Ihre
Geſichtszuͤge waren nicht ſanft, nicht jugendlich
liebreizend, jedoch ſchoͤn gemeſſen, edel, antik;
Locken und Augen brennend ſchwarz. Die Mutter
hingegen hatte flache, ſtumpfe Geſichtszuͤge, eine
roſenrothe Naſe, blaue Augen, wie Veilchen in
Milch gekocht, und liljenweiß gepuderte Haare.
Dann und wann kam der Wirth, il Signor
padre, herangeſprungen, und fragte nach irgend
einem Geſchirr oder Geraͤthe, und im Rezitativ
bekam er die ruhige Weiſung, es ſelbſt zu ſuchen.
Dann ſchnalzte er mit der Zunge, kramte in den
Schraͤnken, koſtete aus den kochenden Toͤpfen,
verbrannte ſich das Maul und ſprang wieder
fort, und mit ihm ſein Naſenkameel und das
rothe Aeffchen. Hinter ihnen drein ſchlugen
dann die luſtigſten Triller, wie liebreiche Ver¬
hoͤhnung und Familienneckerey.
Aber dieſe gemuͤthliche, faſt idylliſche Wirth¬
ſchaft unterbrach ploͤtzlich ein Donnerwetter;
ein vierſchroͤtiger Kerl mit einem bruͤllenden
Mordgeſicht ſtuͤrzte herein, und ſchrie etwas, das
ich nicht verſtand. Als beide Frauenzimmer ver¬
neinend die Koͤpfe ſchuͤttelten, gerieth er in die
tollſte Wuth und ſpie Feuer und Flamme, wie
ein kleiner Veſuv, der ſich aͤrgert. Die Wirthin
9
ſchien in Angſt zu gerathen, und fluͤſterte beguͤti¬
gende Worte, die aber eine entgegengeſetzte Wir¬
kung hervorbrachten, ſo daß der raſende Menſch
eine eiſerne Schaufel ergriff, einige ungluͤckliche
Teller und Flaſchen zerſchlug, und auch die arme
Frau geſchlagen haben wuͤrde, haͤtte nicht die
Tochter ein langes Kuͤchenmeſſer erfaßt und
ihn niederzuſtechen gedroht, im Fall er nicht
ſogleich abzoͤge.
Es war ein ſchoͤner Anblick, das Maͤdchen
ſtand da blaßgelb und vor Zorn erſtarrend, wie
ein Marmorbild, die Lippen ebenfalls bleich, die
Augen tief und toͤdlich, eine blaugeſchwollene
Ader quer uͤber der Stirn, die ſchwarzen Locken
wie flatternde Schlangen, in den Haͤnden ihr
blutiges Meſſer — Ich ſchauerte vor Luſt, denn
leibhaftig ſah ich vor mir das Bild der Medea,
wie ich es oft getraͤumt in meinen Jugendnaͤch¬
ten, wenn ich entſchlummert war an dem lieben
Herzen Melpomene's, der finſter ſchoͤnen Goͤttin.
Waͤhrend dieſer Scene kam der Signor Padre
nicht im mindeſten aus dem Geleiſe, mit geſchaͤf¬
tiger Seelenruhe raffte er die Scherben vom
Boden auf, ſuchte die Teller zuſammen, die noch
am Leben geblieben, brachte mir darauf: Zuppa
mit Parmeſankaͤſe, einen Braten derb und feſt wie
deutſche Treue, Krebſe roth wie Liebe, gruͤnen
Spinat wie Hoffnung mit Eyer, und zum Deſſert
geſtovte Zwiebeln, die mir Thraͤnen der Ruͤhrung
aus den Augen lockten. Das hat nichts zu be¬
deuten, das iſt nun mal Pietro's Methode,
ſprach er, als ich verwundert nach der Kuͤche
zeigte; und wirklich, nachdem der Urheber des
Zanks ſich entfernt hatte, ſchien es, als ob dort
gar nichts vorgefallen ſey, Mutter und Tochter
ſaßen wieder ruhig nach wie vor, und ſangen
und rupften Huͤhner.
Die Rechnung uͤberzeugte mich, daß auch
der Signor Padre ſich aufs Rupfen verſtand,
9 *
und als ich ihm dennoch, außer der Zahlung,
etwas fuͤr die gute Hand gab, da nieſte er ſo
vergnuͤgt ſtark, daß das Aeffchen beynah von
ſeinem Sitze herabgefallen waͤre. Hierauf winkte
ich freundlich hinuͤber nach der Kuͤche, freundlich
war der Gegengruß, bald ſaß ich in dem einge¬
tauſchten Wagen, fuhr raſch hinab in die lom¬
bardiſche Ebene, und erreichte gegen Abend, die
uralte, weltberuͤhmte Stadt Verona.
Capitel XXIII.
Die bunte Gewalt der neuen Erſcheinungen
bewegte mich in Trient nur daͤmmernd und ahn¬
dungsvoll, wie Maͤhrchenſchauer; in Verona
aber erfaßte ſie mich wie ein maͤchtiger Fieber¬
traum voll heißer Farben, ſcharfbeſtimmter For¬
men, geſpenſtiſcher Trompetenklaͤnge und fernen
Waffengeraͤuſches. Da war manch' verwitterter
Pallaſt, der mich ſo ſtier anſah, als wollte er
nur ein altes Geheimniß anvertrauen, und er
ſcheuete ſich nur vor dem Gewuͤhl der zudringlichen
Tagesmenſchen, und baͤte mich zur Nachtzeit
wieder zu kommen. Jedoch trotz dem Gelaͤrm
des Volkes und trotz der wilden Sonne, die ihr
rothes Licht hineingoß, hat doch hie und da ein
alter dunkler Thurm mir ein bedeutendes Wort
zugeworfen, hie und da vernahm ich das Ge¬
fluͤſter gebrochener Bildſaͤulen, und als ich gar
uͤber eine kleine Treppe ging, die nach der Piazza
de' Signori fuͤhrte, da erzaͤhlten mir die
Steine eine furchtbar blutige Geſchichte, und ich
las an der Ecke die Worte: Scala mazzati.
Verona, die uralte, weltberuͤhmte Stadt,
gelegen auf beiden Seiten der Etſch, war immer
gleichſam die erſte Stazion fuͤr die germaniſchen
Wandervoͤlker, die ihre kaltnordiſchen Waͤlder
verließen und uͤber die Alpen ſtiegen, um ſich im
guͤldenen Sonnenſchein des lieblichen Italiens zu
erluſtigen. Einige zogen weiter hinab, anderen
gefiel es ſchon gut genug am Orte ſelbſt, und
ſie machten es ſich heimathlich bequem, und zogen
ſeidne Hausgewaͤnder an, und ergingen ſich fried¬
lich unter Blumen und Zypreſſen, bis neue An¬
koͤmmlinge, die noch ihre friſchen Eiſenkleider
anhatten, aus dem Norden kamen und ſie ver¬
draͤngten, — eine Geſchichte, die ſich oft wieder¬
holte, und von den Hiſtorikern die Voͤlkerwan¬
derung genannt wird. Wandelt man jetzt durch
das Weichbild Verona's, ſo findet man uͤberall
die abenteuerlichen Spuren jener Tage, ſo wie
auch die Spuren der aͤlteren und der ſpaͤteren
Zeiten. An die Roͤmer mahnt beſonders das
Amphitheater und der Triumphbogen; an die
Zeit des Theoderichs, des Ditrichs von Bern,
von dem die Deutſchen noch ſingen und ſagen,
erinnern die fabelhaften Reſte ſo mancher byzan¬
tiniſch vorgothiſchen Bauwerke; tolle Truͤmmer
erinnern an Koͤnig Alboin und ſeine wuͤthenden
Longobarden; ſagenreiche Denkmale mahnen an
Carolum Magnum, deſſen Paladine an der
Pforte des Doms eben ſo fraͤnkiſch roh gemeißelt
ſind, wie ſie gewiß im Leben geweſen — es will
uns beduͤnken, als ſey die Stadt eine große
Voͤlkerherberge, und gleich wie man in Wirths¬
haͤuſern ſeinen Namen auf Wand und Fenſter
zu ſchreiben pflegt, ſo habe dort jedes Volk die
Spuren ſeiner Anweſenheit zuruͤckgelaſſen, freylich
oft nicht in der leſerlichſten Schrift, da mancher
deutſche Stamm noch nicht ſchreiben konnte,
und ſich damit behelfen mußte, zum Andenken
etwas zu zertruͤmmern, welches auch hinreichend
war, da dieſe Truͤmmer noch deutlicher ſprechen,
als zierliche Buchſtaben. Die Barbaren, welche
jetzt die alte Herberge bezogen haben, werden nicht
ermangeln, eben ſolche Denkmaͤler ihrer holden
Gegenwart zu hinterlaſſen, da es ihnen an Bild¬
hauern und Dichtern fehlt, um ſich durch mildere
Mittel im Andenken der Menſchen zu erhalten.
Ich blieb nur einen Tag in Verona, in be¬
ſtaͤndiger Verwunderung ob des nie Geſehenen,
anſtarrend jetzt die alterthuͤmlichen Gebaͤude,
dann die Menſchen, die in geheimnißvoller Haſt
dazwiſchen wimmelten, und endlich wieder den
gottblauen Himmel, der das ſeltſame Ganze wie
ein koſtbarer Rahmen umſchloß, und dadurch
gleichſam zu einem Gemaͤlde erhob. Es iſt aber
eigen, wenn man in dem Gemaͤlde, das man
eben betrachtet hat, ſelbſt ſteckt, und hie und da
von den Figuren deſſelben angelaͤchelt wird, und
gar von den weiblichen, wie's mir auf der Piazza
delle Erbe ſo lieblich geſchah. Das iſt nemlich
der Gemuͤſemarkt, und da gab es vollauf ergoͤtz¬
liche Geſtalten, Frauen und Maͤdchen, ſchmach¬
tend großaͤugige Geſichter, ſuͤße woͤhnliche Leiber,
reizend gelb, naiv ſchmutzig, geſchaffen viel mehr
fuͤr die Nacht als fuͤr den Tag. Der weiße
oder ſchwarze Schleyer, den die Stadtfrauen
auf dem Haupte tragen, war ſo liſtig um den
Buſen geſchlagen, daß er die ſchoͤnen Formen
mehr verrieth als verbarg. Die Maͤgde trugen
Chignons, durchſtochen mit einem oder mehreren
goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬
koͤpfigen Silberſtaͤbchen. Die Baͤurinnen hatten
meiſt kleine, tellerartige Strohhuͤtchen mit koket¬
tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes
gebunden. Die Tracht der Maͤnner war minder
abweichend von der unſrigen, und nur die unge¬
heuern ſchwarzen Backenbaͤrte, die aus der Cra¬
vatte hervorbuſchten, waren mir hier, wo ich
dieſe Mode zuerſt bemerkte, etwas auffallend.
Betrachtete man aber genauer dieſe Men¬
ſchen, die Maͤnner wie die Frauen, ſo ent¬
deckte man, in ihren Geſichtern und in ihrem
ganzen Weſen, die Spuren einer Civiliſazion,
die ſich von der unſrigen in ſofern unterſcheidet,
daß ſie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬
vorgegangen, ſondern noch aus der Roͤmerzeit
herruͤhrt, nie ganz vertilgt worden iſt, und
ſich nur nach dem jedesmaligen Charakter der
Landesherrſcher modifizirt hat. Die Civiliſazion
hat bey dieſen Menſchen keine ſo auffallend neue
Politur wie bey uns, wo die Eichenſtaͤmme erſt
geſtern gehobelt worden ſind, und alles noch nach
Firniß riecht. Es ſcheint uns, als habe dieſes
Menſchengewuͤhl auf der Piazza delle Erbe im
Laufe der Zeiten nur allmaͤhlig Roͤcke und Redens¬
arten gewechſelt, und der Geiſt der Geſittung
habe ſich dort wenig veraͤndert. Die Gebaͤude
aber, die dieſen Platz umgeben, moͤgen nicht ſo
leicht im Stande geweſen ſeyn mit der Zeit fort¬
zuſchreiten; doch ſchauen ſie darum nicht minder
anmuthig, und ihr Anblick bewegt wunderbar
unſre Seele. Da ſtehen hohe Pallaͤſte im vene¬
zianiſch-lombardiſchen Styl, mit unzaͤhligen Bal¬
konen und lachenden Freskobildern; in der Mitte
erhebt ſich eine einzelne Denkſaͤule, ein Spring¬
brunnen und eine ſteinerne Heilige; hier ſchaut
man den launig roth- und weißgeſtreiften Podeſta,
der hinter einem maͤchtigen Pfeilerthor emporragt;
dort wieder erblickt man einen altviereckigen
KirchthumKirchthurm, woran oben der Zeiger und das
Zifferblatt der Uhr zur Haͤlfte zerſtoͤrt iſt, ſo daß
es ausſieht, als wolle die Zeit ſich ſelber ver¬
nichten — uͤber dem ganzen Platz liegt derſelbe
romantiſche Zauber, der uns ſo lieblich anweht
aus den phantaſtiſchen Dichtungen des Ludovico
Arioſto oder des Ludovico Tieck.
Nahe bey dieſem Platze ſteht ein Haus, das
man, wegen eines Hutes, der uͤber dem inneren
Thor in Stein gemeißelt iſt, fuͤr den Pallaſt der
Capulets haͤlt. Es iſt jetzt eine ſchmutzige Kneipe
fuͤr Fuhrleute und Kutſcher, und als Herberge¬
ſchild haͤngt davor ein rother, durchloͤcherter
Blechhut. Unfern, in einer Kirche, zeigt man
auch die Capelle, worin der Sage nach, das
ungluͤckliche Liebespaar getraut worden. Ein Dich¬
ter beſucht gern ſolche Orte, wenn er auch ſelbſt
laͤchelt uͤber die Leichtglaͤubigkeit ſeines Herzens.
Ich fand in dieſer Capelle ein einſames Frauen¬
zimmer, ein kuͤmmerlich verblichenes Weſen, das,
nach langem Knieen und Beten, ſeufzend auf¬
ſtand, aus kranken, ſtillen Augen mich befremdet
anſah, und endlich, wie mit gebrochenen Gliedern,
fortſchwankte.
Auch die Grabmaͤler der Scaliger ſind unfern
der Piazza delle Erbe. Sie ſind ſo wunderſam
praͤchtig wie dieſes ſtolze Geſchlecht ſelbſt, und
es iſt Schade, daß ſie in einem engen Winkel
ſtehen, wo ſie ſich gleichſam zuſammendraͤngen
muͤſſen, um ſo wenig Raum als moͤglich einzu¬
nehmen, und wo auch dem Beſchauer nicht viel
Platz bleibt, um ſie ordentlich zu betrachten. Es
iſt, als ſaͤhen wir hier die geſchichtliche Erſcheinung
dieſes Geſchlechtes vergleichnißt; dieſe fuͤllt eben¬
falls nur einen kleinen Winkel in der allgemeinen
italieniſchen Geſchichte, aber dieſer Winkel iſt
gedraͤngt voll von Thatenglanz, Geſinnungspracht
und Uebermuthsherrlichkeit. Wie in der Geſchichte,
ſo ſieht man ſie auch auf ihren Monumenten,
ſtolze, eiſerne Ritter auf eiſernen Roſſen, vor
allen herrlich Can Grande, der Oheim, und
Maſtino, der Neffe.
Capitel XXIV.
Ueber das Amphitheater von Verona haben
viele geſprochen; man hat dort Platz genug zu
Betrachtungen, und es giebt keine Betrachtun¬
gen, die ſich nicht in den Kreis dieſes beruͤhm¬
ten Bauwerks einfangen ließen. Es iſt ganz
in jenem ernſten, thatſaͤchlichen Styl gebaut,
deſſen Schoͤnheit in der vollendeten Soliditaͤt
beſteht und, wie alle oͤffentlichen Gebaͤude der
Roͤmer, einen Geiſt ausſpricht, der nichts anders
iſt als der Geiſt von Rom ſelbſt. Und Rom?
Wer iſt ſo geſund unwiſſend, daß nicht heimlich
bey dieſem Namen ſein Herz erbebte, und nicht
wenigſtens eine tradizionelle Furcht ſeine Denk¬
kraft aufruͤttelte? Was mich betrifft, ſo geſtehe
ich, daß mein Gefuͤhl mehr Angſt als Freude
enthielt, wenn ich daran dachte, bald umherzu¬
wandeln auf dem Boden der alten Roma. Die
alte Roma iſt ja jetzt todt, beſchwichtigte ich die
zagende Seele, und du haſt die Freude, ihre ſchoͤne
Leiche ganz ohne Gefahr zu betrachten. Aber
dann ſtieg wieder das Falſtaffſche Bedenken in
mir auf: wenn ſie aber doch nicht ganz todt
waͤre, und ſich nur verſtellt haͤtte, und ſie ſtaͤnde
ploͤtzlich wieder auf — es waͤre entſetzlich!
Als ich das Amphitheater beſuchte, wurde juſt
Comoͤdie darin geſpielt; eine kleine Holzbude war
nemlich in der Mitte errichtet, darauf ward eine
italieniſche Poſſe aufgefuͤhrt, und die Zuſchauer
ſaßen unter freyem Himmel, theils auf kleinen
Stuͤhlchen, theils auf den hohen Steinbaͤnken
des alten Amphitheaters. Da ſaß ich nun und
ſah Brighellas und Tartaglias Spiegelfechtereyen
auf derſelben Stelle, wo der Roͤmer einſt ſaß
und ſeinen Gladiatoren und Thierhetzen zuſah.
Der Himmel uͤber mir, die blaue Kryſtallſchale,
war noch derſelbe wie damals. Es dunkelte all¬
maͤhlig, die Sterne ſchimmerten hervor, Truffal¬
dino lachte, Smeraldina jammerte, endlich kam
Pantalone und legte ihre Haͤnde in einander.
Das Volk klatſchte Beyfall und zog jubelnd von
dannen. Das ganze Spiel hatte keinen Tropfen
Blut gekoſtet. Es war aber nur ein Spiel. Die
Spiele der Roͤmer hingegen waren keine Spiele,
dieſe Maͤnner konnten ſich nimmermehr am
bloßen Schein ergoͤtzen, es fehlte ihnen dazu die
kindliche Seelenheiterkeit, und ernſthaft wie ſie
waren, zeigte ſich auch in ihren Spielen der
baarſte, blutigſte Ernſt. Sie waren keine große
Menſchen, aber durch ihre Stellung waren ſie
groͤßer als andre Erdenkinder, denn ſie ſtanden
auf Rom. So wie ſie von den ſieben Huͤgeln
10
herabſtiegen, waren ſie klein. Daher die Klein¬
lichkeit, die wir da entdecken, wo ihr Privatleben
ſich ausſpricht; und Herkulanum und Pompeji,
jene Palimpſeſten der Natur, wo jetzt wieder
der alte Steintext hervorgegraben wird, zeigen
dem Reiſenden das roͤmiſche Privatleben in klei¬
nen Haͤuschen mit winzigen Stuͤbchen, welche ſo
auffallend kontraſtiren gegen jene koloſſalen Bau¬
werke, die das oͤffentliche Leben ausſprachen, jene
Theater, Waſſerleitungen, Brunnen, Landſtraßen,
Bruͤcken, deren Ruinen noch jetzt unſer Stau¬
nen erregen. Aber das iſt es ja eben; wie
der Grieche groß iſt durch die Idee der Kunſt,
der Hebraͤer durch die Idee eines heiligſten Got¬
tes, ſo ſind die Roͤmer groß durch die Idee ihrer
ewigen Roma, groß uͤberall wo ſie in der Be¬
geiſterung dieſer Idee gefochten, geſchrieben und
gebaut haben. Je groͤßer Rom wurde, je mehr
erweiterte ſich dieſe Idee, der Einzelne verlor
ſich darin, die Großen, die noch hervorragen, ſind
nur getragen von dieſer Idee, und ſie macht die
Kleinheit der Kleinen noch bemerkbarer. Die
Roͤmer ſind deßhalb zugleich die groͤßten Helden und
die groͤßten Satyriker geweſen, Helden wenn ſie
handelten, waͤhrend ſie an Rom dachten, Satyriker
wenn ſie an Rom dachten, waͤhrend ſie die
Handlungen ihrer Genoſſen beurtheilten. Ge¬
meſſen mit ſolchem ungeheuren Maßſtab, der
Idee Rom, mußte ſelbſt die groͤßte Perſoͤnlichkeit
zwerghaft erſcheinen und ſomit der Spottſucht
anheim fallen. Tacitus iſt der grauſamſte Mei¬
ſter in dieſer Satyre, eben weil er die Groͤße
Roms und die Kleinheit der Menſchen am tief¬
ſten fuͤhlte. Recht in ſeinem Elemente iſt er
jedesmal wenn er berichten kann, was die mali¬
zioͤſen Zungen auf dem Forum uͤber irgend eine
imperiale Schandthat raiſonnirten; recht ingrimmig
gluͤcklich iſt er, wenn er irgend eine ſenatoriſche
Blamage, etwa eine verfehlte Schmeicheley, zu
erzaͤhlen hat.
10 *
Ich ging noch lange umher ſpatzieren auf den
hoͤheren Baͤnken des Amphitheaters, zuruͤckſinnend
in die Vergangenheit. Wie alle Gebaͤude im
Abendlichte ihren inwohnenden Geiſt am anſchau¬
lichſten offenbaren, ſo ſprachen auch dieſe Mauern
zu mir, in ihrem fragmentariſchen Lapidarſtyl,
tiefernſte Dinge; ſie ſprachen von den Maͤnnern
des alten Roms, und mir war dabey, als ſaͤhe
ich ſie ſelber umher wandeln, weiße Schatten
unter mir im dunkeln Cirkus. Mir war, als ſaͤhe
ich die Grachen, mit ihren begeiſterten Maͤrtyrer¬
augen. Tiberius Sempronius, rief ich hinab,
ich werde mit dir ſtimmen fuͤr das Agrariſche
Geſetz! Auch Caͤſar ſah ich, Arm in Arm wan¬
delte er mit Marcus Brutus — Seyd Ihr
wieder verſoͤhnt? rief ich. Wir glaubten Beide
Recht zu haben — lachte Caͤſar zu mir herauf —
ich wußte nicht, daß es noch einen Roͤmer gab,
und hielt mich deßhalb fuͤr berechtigt, Rom in
die Taſche zu ſtecken, und weil mein Sohn
Marcus eben dieſer Roͤmer war, ſo glaubte er
ſich berechtigt, mich deßhalb umzubringen. Hin¬
ter dieſen Beiden ſchlich Tiberius Nero, mit
Nebelbeinen und unbeſtimmten Mienen. Auch
Weiber ſah ich dort wandeln, darunter Agrippina,
mit ihrem ſchoͤnen herrſchſuͤchtigen Geſichte, das
wunderſam ruͤhrend anzuſehen war, wie ein altes
Marmorbild, in deſſen Zuͤgen der Schmerz wie
verſteinert erſcheint. Wen ſuchſt du, Tochter
des Germanicus? Schon hoͤrte ich ſie klagen —
da ploͤtzlich erſcholl das dumpfſinnige Gelaͤute einer
Betglocke und das fatale Getrommel des Zapfen¬
ſtreichs. Die ſtolzen roͤmiſchen Geiſter verſchwan¬
den, und ich war wieder ganz in der chriſtlich
oͤſtreichiſchen Gegenwart.
Capitel XXV.
Auf dem Platze La Bra ſpatziert, ſobald es
dunkel wird, die ſchoͤne Welt von Verona, oder ſitzt
dort auf kleinen Stuͤhlchen vor den Caffeebuden,
und ſchluͤrft Sorbet und Abendkuͤhle und Muſik.
Da laͤßt ſich gut ſitzen, das traͤumende Herz wiegt
ſich auf ſuͤßen Toͤnen und erklingt im Wiederhall.
Manchmal, wie ſchlaftrunken, taumelt es auf
wenn die Trompeten erſchallen und es ſtimmt
ein mit vollem Orcheſter. Dann iſt der Geiſt
wieder ſonnig ermuntert, großblumige Gefuͤhle
und Erinnerungen mit tiefen ſchwarzen Augen
bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die
Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam
und ewig.
Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht
durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬
ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten.
Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude
und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft
ſah mich an manch' marmornes Geſicht. Ich
eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬
uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande,
artig wie er immer gegen Dichter war, von
ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬
weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich
ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt
der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die
Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und
bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie
treu genug.
Als ich an den roͤmiſchen Triumphbogen kam,
huſchte eben ein ſchwarzer Moͤnch hindurch, und
fernher erſcholl ein deutſch brummendes Werda?
Gut Freund! greinte ein vergnuͤgter Diſkant.
Welchem Weibe aber gehoͤrte die Stimme, die
mir ſo ſuͤß unheimlich in die Seele drang, als
ich uͤber die Scala Mazzati ſtieg? Es war Ge¬
ſang wie aus der Bruſt einer ſterbenden Nachti¬
gall, todtzaͤrtlich, und wie Huͤlferufend an den
ſteinernen Haͤuſern wiederhallend. Auf dieſer
Stelle hat Antonio della Scala ſeinen Bruder
Bartholomeo umgebracht, als dieſer eben zur
Geliebten gehen wollte. Mein Herz ſagte mir,
ſie ſaͤße noch immer in ihrer Kammer, und er¬
warte den Geliebten, und ſaͤnge nur, um ihre
ahnende Angſt zu uͤberſtimmen. Aber bald ſchienen
mir Lied und Stimme ſo wohlbekannt, ich hatte dieſe
ſeidnen, ſchaurigen, verblutenden Toͤne ſchon fruͤher
gehoͤrt, ſie umſtrickten mich wie weiche flehende
Erinnerungen, und — O du dummes Herz,
ſprach ich zu mir ſelber, kennſt du denn nicht
mehr das Lied vom kranken Mohrenkoͤnig, das
die todte Maria ſo oft geſungen? Und die
Stimme ſelbſt — kennſt du denn nicht mehr die
Stimme der todten Maria?
Die langen Toͤne verfolgten mich durch alle
Straßen, bis zum Gaſthof Due Torre, bis ins
Schlafgemach, bis in den Traum — Und da ſah
ich wieder mein ſuͤßes geſtorbenes Leben ſchoͤn
und regungslos liegen, die alte Wachfrau entfernte
ſich wieder mit raͤthſelhaftem Seitenblick, die
Nachtviole duftete, ich kuͤßte wieder die lieb¬
lichen Lippen, und die holde Leiche erhob ſich
langſam um mir den Gegenkuß zu bieten.
Wuͤßte ich nur wer das Licht ausgeloͤſcht hat.
Capitel XXVI.
“Kennſt Du das Land, wo die Zitronen bluͤhen?„
Kennſt du das Lied? Ganz Italien iſt darin
geſchildert, aber mit den ſeufzenden Farben der
Sehnſucht. In der italieniſchen Reiſe hat es
Goethe etwas ausfuͤhrlicher beſungen, und wo
er malt, hat er das Original immer vor Augen
und man kann ſich auf die Treue der Umriſſe
und der Farbengebung ganz verlaſſen. Ich finde
es daher bequem, hier ein fuͤr allemal auf Goe¬
thes italieniſche Reiſe hinzudeuten, um ſo mehr
da er, bis Verona, dieſelbe Tour, durch Tyrol,
gemacht hat. Ich habe ſchon fruͤherhin uͤber
jenes Buch geſprochen, ehe ich den Stoff den es
behandelt, gekannt habe, und ich finde jetzt mein
ahnendes Urtheil vollauf beſtaͤtigt. Wir ſchauen
nemlich darin uͤberall thatſaͤchliche Auffaſſung
und die Ruhe der Natur. Goethe haͤlt ihr den
Spiegel vor, oder, beſſer geſagt, er iſt ſelbſt der
Spiegel der Natur. Die Natur wollte wiſſen,
wie ſie ausſieht, und ſie erſchuf Goethe. Sogar
die Gedanken, die Intenzionen der Natur ver¬
mag er uns wiederzuſpiegeln, und es iſt einem
hitzigen Goethianer, zumahl in den Hundstagen,
nicht zu verargen, wenn er uͤber die Identitaͤt
der Spiegelbilder mit den Objekten ſelbſt ſo ſehr
erſtaunt, daß er dem Spiegel ſogar Schoͤpfungs¬
kraft, die Kraft, aͤhnliche Objecte zu erſchaffen,
zutraut. Ein Herr Eckermann hat mahl ein
Buch uͤber Goethe geſchrieben, worin er ganz
ernſthaft verſichert: haͤtte der liebe Gott bey
Erſchaffung der Welt zu Goethe geſagt “lieber
Goethe, ich bin jetzt Gottlob fertig, ich habe
jetzt Alles erſchaffen, bis auf die Voͤgel und die
Baͤume, und du thaͤteſt mir eine Liebe, wenn du
ſtatt meiner dieſe Bagatellen noch erſchaffen woll¬
teſt„ — ſo wuͤrde Goethe, eben ſo gut wie der
liebe Gott, dieſe Thiere und Gewaͤchſe ganz im
Geiſte der uͤbrigen Schoͤpfung, nemlich die Voͤgel
mit Federn, und die Baͤume gruͤn erſchaffen haben.
Es liegt Wahrheit in dieſen Worten, und
ich bin ſogar der Meinung, daß Goethe manch¬
mal ſeine Sache noch beſſer gemacht haͤtte, als
der liebe Gott ſelbſt, und daß er z. B. den
Herrn Eckermann viel richtiger, ebenfalls mit
Federn und gruͤn erſchaffen haͤtte. Es iſt wirk¬
lich ein Schoͤpfungsfehler, daß auf dem Kopfe
des Herrn Eckermann keine gruͤne Federn wach¬
ſen, und Goethe hat dieſem Mangel wenigſtens
dadurch abzuhelfen geſucht, daß er ihm einen
Doktorhut aus Jena verſchrieben und eigenhaͤn¬
dig aufgeſetzt hat.
Naͤchſt Goethe's italieniſcher Reiſe, iſt Frau
von Morgan's „Italien“ und Frau von Staël's
„Corinna“ zu empfehlen. Was dieſen Frauen
an Talent fehlt, um neben Goethe nicht unbe¬
deutend zu erſcheinen, das erſetzen ſie durch maͤnn¬
liche Geſinnungen, die jenem mangeln. Denn,
Frau v. Morgan hat wie ein Mann geſprochen,
ſie ſprach Scorpionen in die Herzen frecher
Soͤldner, und muthig und ſuͤß waren die Triller
dieſer flatternden Nachtigall der Freiheit. Eben
ſo, wie maͤnniglich bekannt iſt, war Frau v.
Staël eine liebenswuͤrdige Marketenderin im
Heer der Liberalen, und lief muthig durch die
Reihen der Kaͤmpfenden mit ihrem Enthuſias¬
musfaͤßchen, und ſtaͤrkte die Muͤden, und focht
ſelber mit, beſſer als die Beſten.
Was uͤberhaupt italieniſche Reiſebeſchreibungen
betrifft, ſo hat W. Muͤller vor geraumer Zeit im
Hesperus eine Ueberſicht derſelben gegeben. Ihre
Zahl iſt Legion. Unter den aͤltern deutſchen Schrift¬
ſtellern in dieſem Fache ſind, durch Geiſt oder
Eigenthuͤmlichkeit, am ausgezeichnetſten: Moritz,
Archenholz, Bartels, der brave Seume, Arndt,
Meyer, Benkowitz und Rehfus. Die neueren
kenne ich weniger, und nur wenige davon haben
mir Vergnuͤgen und Belehrung gewaͤhrt. Un¬
ter dieſen nenne ich des allzufruͤh verſtorbenen
W. Muͤller's “Rom, Roͤmer und Roͤmerinnen“ —
ach, er war ein deutſcher Dichter! — dann die
Reiſe von Kephalides, die ein bischen trocken iſt,
ferner Leßmanns “cisalpiniſche Blaͤtter„ die
etwas zu fluͤſſig ſind, und endlich die “Reiſen
in Italien ſeit 1822, von Friedrich Thierſch,
Lud. Schorn, Eduard Gerhardt und Leo v. Klenze„
von dieſem Werke iſt erſt ein Theil erſchienen,
und er enthaͤlt meiſtens Mittheilungen von mei¬
nem lieben, edlen Thierſch, deſſen humanes Auge
aus jeder Zeile hervorblickt.
Capitel XXVII.
Kennſt Du das Land, wo die Zitronen bluͤhn?
Im dunkeln Laub die Goldorangen gluͤhn,
Ein ſanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte ſtill und hoch der Lorbeer ſteht,
Kennſt Du es wohl?
Dahin! dahin
Moͤcht' ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn.
— Aber reiſe nur nicht im Anfang Auguſt,
wo man des Tags von der Sonne gebraten,
und des Nachts von den Floͤhen verzehrt wird.
Auch rathe ich dir, mein lieber Leſer, von Ve¬
rona nach Mayland nicht mit dem Poſtwagen
zu fahren.
Ich fuhr, in Geſellſchaft von ſechs Banditen,
in einer ſchwerfaͤlligen Carrozza, die, wegen des
allzugewaltigen Staubes, von allen Seiten ſo
ſorgfaͤltig verſchloſſen wurde, daß ich von der
Schoͤnheit der Gegend wenig bemerken konnte.
Nur zweymal, ehe wir Brescia erreichten, luͤf¬
tete mein Nachbar das Seitenleder, um hinaus
zu ſpucken. Das eine mal ſah ich nichts als
einige ſchwitzende Tannen, die in ihren gruͤnen
Winterroͤcken von der ſchwuͤlen Sonnenhitze ſehr
zu leiden ſchienen; das andere mal ſah ich ein
Stuͤck von einem wunderklaren blauen See,
worin die Sonne und ein magerer Grenadier
ſich ſpiegelten. Letzterer, ein oͤſtreichiſcher Nar¬
ziß, bewunderte mit kindiſcher Freude, wie ſein
Spiegelbild ihm alles getreu nachmachte, wenn
er das Gewehr praͤſentirte oder ſchulterte, oder
zum Schießen auslegte.
Von Brescia ſelbſt weiß ich ebenfalls wenig
zu erzaͤhlen, indem ich die Zeit meines dortigen
Aufenthalts dazu benutzte, ein gutes Pranzo
einzunehmen. Man kann es einem armen Rei¬
ſenden nicht verdenken, wenn er den Hunger des
Leibes fruͤher ſtillt als den des Geiſtes. Doch
war ich gewiſſenhaft genug, ehe ich wieder in
den Wagen ſtieg, einige Notizen uͤber Brescia
vom Cameriere zu erfragen; und da erfuhr ich
unter anderen: die Stadt habe 40,000 Ein¬
wohner, ein Rathhaus, 21 Kaffeehaͤuſer, 20 katho¬
liſche Kirchen, ein Tollhaus, eine Synagoge, eine
Menagerie, ein Zuchthaus, ein Krankenhaus, ein
eben ſo gutes Theater, und einen Galgen fuͤr
Diebe, die unter 100,000 Thaler ſtehlen.
Um Mitternacht arrivirte ich in Mayland,
und kehrte ein bey Herrn Reichman, einem
11
Deutſchen, der ſein Hôtel ganz nach deutſcher
Weiſe eingerichtet. Es ſey das beſte Wirths¬
haus in ganz Italien, ſagten mir einige Bekannte,
die ich dort wiederfand, und die uͤber italieniſche
Gaſtwirthe und Floͤhe ſehr ſchlecht zu ſprechen
waren. Da hoͤrte ich nichts als aͤrgerliche Hiſtoͤr¬
chen von italieniſchen Prellereyen, und beſonders
Sir William fluchte und verſicherte: wenn Eu¬
ropa der Kopf der Welt ſey, ſo ſey Italien das
Diebesorgan dieſes Kopfes. Der arme Baronet
hat in der Locanda Croce bianca zu Padua
nicht weniger als zwoͤlf Francs fuͤr ein mageres
Fruͤhſtuͤck bezahlen muͤſſen, und zu Vicenza hat
ihm jemand ein Trinkgeld abgefordert, als er
ihm einen Handſchuh aufhob, den er beim Ein¬
ſteigen in den Wagen fallen laſſen. Sein Vetter
Tom ſagte: alle Italiener ſeyen Spitzbuben bis
auf den einzigen Umſtand, daß ſie nicht ſtehlen.
Haͤtte er liebenswuͤrdiger ausgeſehen, ſo wuͤrde
er auch die Bemerkung gemacht haben, daß alle
Italienerinnen Spitzbuͤbinnen ſind. Der Dritte
im Bunde war ein Miſter Liver, den ich in
Brighton als ein junges Kalb verlaſſen hatte, und
jetzt in Mayland als einen boeuf à la mode
wiederfand. Er war ganz als Dandy gekleidet,
und ich habe nie einen Menſchen geſehen, der es
beſſer verſtanden haͤtte, mit ſeiner Figur lauter
Ecken hervorzubringen. Wenn er die Daumen
in die Aermelausſchnitte der Weſte einkrempte,
machte er auch mit der Handwurzel und mit
jedem Finger einige Ecken; ja ſein Maul war
ſogar viereckig aufgeſperrt. Dazu kommt ein
eckiger Kopf, hinten ſchmal, oben ſpitz, mit
kurzer Stirn und ſehr langem Kinn. Unter den
engliſchen Bekannten, die ich in Mayland
wiederſah, war auch Liver's dicke Tante; gleich
einer Fettlawine war ſie von den Alpen herab¬
gekommen, in Geſellſchaft zweyer ſchneeweißen,
ſchneekalten Schneegaͤnschen, Miß Polly und
Miß Molly.
11 *
Beſchuldige mich nicht der Anglomanie, lieber
Leſer, wenn ich in dieſem Buche ſehr haͤufig von
Englaͤndern ſpreche; ſie ſind jetzt in Italien zu
zahlreich, um ſie uͤberſehen zu koͤnnen, ſie durch¬
ziehen dieſes Land in ganzen Schwaͤrmen, lagern
in allen Wirthshaͤuſern, laufen uͤberall umher,
um Alles zu ſehen, und man kann ſich keinen
italieniſchen Zitronenbaum mehr denken, ohne
eine Englaͤnderin, die daran riecht, und keine
Galerie ohne ein Schock Englaͤnder, die, mit
ihrem Guide in der Hand, darin umherrennen,
und nachſehen, ob noch alles vorhanden, was in
dem Buche als merkwuͤrdig erwaͤhnt iſt. Wenn
man jenes blonde, rothbaͤckige Volk mit ſeinen
blanken Kutſchen, bunten Lakayen, wiehernden
Rennpferden, gruͤnverſchleierten Kammerjungfern
und ſonſtig koſtbaren Geſchirren, neugierig und
geputzt, uͤber die Alpen ziehen und Italien durch¬
wandern ſieht, glaubt man eine elegante Voͤlker¬
wanderung zu ſehen. Und in der That, der
Sohn Albions, obgleich er weiße Waͤſche traͤgt
und alles baar bezahlt, iſt doch ein civiliſirter
Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener,
der vielmehr eine in Barbarey uͤbergehende Civi¬
liſazion bekundet. Jener zeigt in ſeinen Sitten
eine zuruͤckgehaltene Rohheit, dieſer eine ausge¬
laſſene Feinheit. Und gar die blaſſen italieniſchen
Geſichter, in den Augen das leidende Weiß,
die Lippen krankhaft zaͤrtlich, wie heimlich
vornehm ſind ſie gegen die ſteif brittiſchen
Geſichter, mit ihrer poͤbelhaft rothen Geſundheit!
Das ganze italieniſche Volk iſt innerlich krank,
und kranke Menſchen ſind immer wahrhaft vor¬
nehmer als Geſunde; denn nur der kranke Menſch
iſt ein Menſch, ſeine Glieder haben eine Leidens¬
geſchichte, ſie ſind durchgeiſtet. Ich glaube ſo¬
gar, durch Leidenskaͤmpfe koͤnnten die Thiere zu
Menſchen werden; ich habe mal einen ſterben¬
den Hund geſehen, der in ſeinen Todesqualen
mich faſt menſchlich anſah.
Der leidende Geſichtsausdruck wird bei den
Italienern am ſichtbarſten, wenn man mit ihnen
vom Ungluͤck ihres Vaterlandes ſpricht, und dazu
giebts in Mayland genug Gelegenheit. Das iſt die
ſchmerzlichſte Wunde in der Bruſt der Italiener,
und ſie zucken zuſammen, ſobald man dieſe nur leiſe
beruͤhrt. Sie haben alsdann eine Bewegung
der Achſel, die uns mit ſonderbarem Mitleid
erfuͤllt. Einer meiner Britten hielt die Italiener
fuͤr politiſch indifferent, weil ſie gleichguͤltig zuzu¬
hoͤren ſchienen, wenn wir Fremde uͤber die katho¬
liſche Emanzipazion und den Tuͤrkenkrieg politi¬
ſirten; und er war ungerecht genug, gegen einen
blaſſen Italiener mit pechſchwarzem Barte ſich
daruͤber ſpoͤttiſch zu aͤußern. Wir hatten den
Abend vorher eine neue Oper in der Scala auf¬
fuͤhren ſehen, und den Mordſpecktakel gehoͤrt,
der, wie gebraͤuchlich, bey ſolchen Anlaͤſſen ſtatt
findet. Ihr Italiener, ſagte der Britte zu dem
Blaſſen, ſcheint fuͤr alles abgeſtorben zu ſeyn,
außer fuͤr Muſik, und nur noch dieſe vermag
Euch zu begeiſtern. Sie thun uns Unrecht,
ſagte der Blaſſe und bewegte die Achſel. Ach!
ſeufzte er hinzu, Italien ſitzt elegiſch traͤumend
auf ſeinen Ruinen, und wenn es dann manchmal
bey der Melodie irgend eines Liedes ploͤtzlich er¬
wacht und ſtuͤrmiſch emporſpringt, ſo gilt dieſe
Begeiſterung nicht dem Liede ſelbſt, ſondern viel¬
mehr den alten Erinnerungen und Gefuͤhlen,
die das Lied ebenfalls geweckt hat, die Italien
immer im Herzen trug, und die jetzt gewaltig
hervorbrauſen, — und das iſt die Bedeutung
des tollen Laͤrms, den Sie in der Scala gehoͤrt
haben.
Vielleicht gewaͤhrt dieſes Bekenntniß auch
einigen Aufſchluß uͤber den Enthuſiasmus, den
jenſeits der Alpen Roſſinis oder Mayerbeers
Opern uͤberall hervorbringen. Habe ich jemals
menſchliche Raſerey geſehen, ſo war es bey einer
Auffuͤhrung des Crociato in Egitto, wenn die
Muſik manchmal aus dem weichen, wehmuͤthigen
Ton ploͤtzlich in jauchzenden Schmerz uͤberſprang.
Jene Raſerey heißt in Italien: furore.
Capitel XXVIII.
Obgleich ich, lieber Leſer, jetzt ſchon Gelegen¬
heit haͤtte, bey Erwaͤhnung der Brera und
Ambroſiana Dir meine Kunſturtheile aufzutiſchen,
ſo will ich doch dieſen Kelch an Dir voruͤber
gehen laſſen, und mich mit der Bemerkung be¬
gnuͤgen, daß ich das ſpitze Kinn, das den Bil¬
dern der lombardiſchen Schule einen Anſtrich
von Sentimentalitaͤt giebt, auch auf den Straßen
von Mayland bey mancher ſchoͤnen Lombardin
geſehen habe. Es war mir immer außerordentlich
belehrend, wenn ich mit den Werken einer Schule
auch die Originale vergleichen konnte', die ihr
als Modelle gedient haben; der Character der
Schule kam mir dann klarer zur Anſchauung.
So iſt mir auf dem Jahrmarkt zu Rotterdam
der Jan Steen in ſeiner goͤttlichſten Heiterkeit
ploͤtzlich verſtaͤndlich geworden; ſo habe ich ſpaͤ¬
terhin am Long-Arno die Formenwahrheit und
den tuͤchtigen Geiſt der Florentiner, und auf
dem San Marco die Farbenwahrheit und die
traͤumeriſche Oberflaͤchlichkeit der Venezianer be¬
greifen lernen. Geh' nach Rom, liebe Seele,
und vielleicht ſchwingſt Du Dich dort hinauf zur
Anſchauung der Idealitaͤt und zum Verſtaͤndniß
des Raphael.
Indeſſen eine Merkwuͤrdigkeit Maylands, die
in jeder Hinſicht die groͤßte iſt, kann ich nicht
unerwaͤhnt laſſen — Das iſt der Dom.
In der Ferne ſcheint es, als ſey er aus
weißem Poſtpapier geſchnitzelt, und in der Naͤhe
erſchrickt man, daß dieſes Schnitzwerk aus un¬
widerlegbarem Marmor beſteht. Die unzaͤhligen
Heiligenbilder, die das ganze Gebaͤude bedecken,
die uͤberall unter den gothiſchen Krondaͤchlein her¬
vorgucken, und oben auf allen Spitzen gepflanzt
ſtehen, dieſes ſteinerne Volk verwirrt einem faſt
die Sinne. Betrachtet man das ganze Werk
etwas laͤnger, ſo findet man es doch recht huͤbſch,
koloſſal niedlich, ein Spielzeug fuͤr Rieſenkinder.
Im mitternaͤchtlichen Mondſchein gewaͤhrt es
noch den beſten Anblick, dann kommen all die
weißen Steinmenſchen aus ihrer wimmelnden
Hoͤhe herabgeſtiegen, und gehen mit einem uͤber
die Piazza, und fluͤſtern einem alte Geſchichten
in's Ohr, putzig heilige, ganz geheime Geſchichten
von Galeazzo Visconti, der den Dombau be¬
gonnen, und von Napoleon Buonaparte, der
ihn ſpaͤterhin fortgeſetzt.
Siehſt du — ſagte mir ein gar ſeltſamer
Heiliger, der in der neueſten Zeit aus dem neue¬
ſten Marmor verfertigt war, — ſiehſt du, meine
aͤlteren Kamaraden koͤnnen nicht begreifen,
warum der Kaiſer Napoleon den Dombau ſo
eifrig betrieben hat. Aber ich weiß es ſehr gut,
er hat eingeſehen, daß dieſes große Steinhaus
auf jeden Fall ein ſehr nuͤtzliches Gebaͤude ſeyn
wuͤrde, und auch dann noch brauchbar, wenn
einſt das Chriſtenthum voruͤber iſt.
Wenn einſt das Chriſtenthum voruͤber iſt —
Ich war ſchier erſchrocken, als ich hoͤrte, daß
es Heilige in Italien giebt, die eine ſolche
Sprache fuͤhren, und dazu auf einem Platze,
wo oͤſtreichiſche Schildwachen, mit Baͤrenmuͤtzen
und Torniſtern, auf und abgehen. Indeſſen der
ſteinerne Kauz hat gewiſſermaßen Recht, das In¬
nere des Domes iſt huͤbſch kuͤhl im Sommer,
und heiter und angenehm, und wuͤrde auch
bey veraͤnderter Beſtimmung ſeinen Werth
behalten.
Die Vollendung des Domes war einer von
Napoleons Lieblingsgedanken, und er war nicht
weit vom Ziele entfernt, als ſeine Herrſchaft
gebrochen wurde. Die Oeſtreicher vollenden jetzt
das Werk. Auch an dem beruͤhmten Triumph¬
bogen, der die Simplonſtraße beſchließen ſollte,
wird weiter gebaut. Freylich, Napoleons Stand¬
bild wird nicht, wie fruͤher beſtimmt war, auf
die Spitze jenes Bogens geſtellt werden. Immer¬
hin, der große Kaiſer hat ein Standbild hinter¬
laſſen, das viel beſſer iſt und dauerhafter als
Marmor, und das kein Oeſtreicher unſeren Blicken
entziehen kann. Wenn wir Anderen laͤngſt von
der Senſe der Zeit niedergemaͤht und wie Spreu
des Feldes verweht ſeyn werden, wird jenes
Standbild noch unverſehrt daſtehen; neue Ge¬
ſchlechter werden aus der Erde hervorwachſen,
werden ſchwindelnd an jenes Bild hinaufſehen,
und ſich wieder in die Erde legen; — und die
Zeit, unfaͤhig ſolch Bild zu zerſtoͤren, wird es in
ſagenhafte Nebel zu huͤllen ſuchen, und ſeine
ungeheure Geſchichte wird endlich ein Mythos.
Vielleicht, nach Jahrtauſenden, wird ein
ſpitzfindiger Schulmeiſter, in einer grundgelehrten
Diſſertazion, unumſtoͤßlich beweiſen: daß der Na¬
poleon Bonaparte ganz identiſch ſey mit jenem
andern Titane, der den Goͤttern das Licht raubte
und fuͤr dieſes Vergehen auf einem einſamen
Felſen, mitten im Meere, angeſchmiedet wurde,
preißgegeben einem Geyer, der taͤglich ſein Herz
zerfleiſchte.
Capitel XXIX.
Ich bitte Dich, lieber Leſer, halte mich nicht
fuͤr einen unbedingten Bonapartiſten; meine
Huldigung gilt nicht den Handlungen, ſondern
nur dem Genius des Mannes. Unbedingt liebe
ich ihn nur bis zum achtzehnten Brumaire —
da verrieth er die Freyheit. Und er that es
nicht aus Nothwendigkeit, ſondern aus geheimer
Vorliebe fuͤr Ariſtokratismus. Napoleon Bonaparte
war ein Ariſtokrat, ein adeliger Feind der buͤrger¬
lichen Gleichheit, und es war ein koloſſales Mi߬
verſtaͤndniß, daß die europaͤiſche Ariſtokratie, repraͤ¬
ſentirt von England, ihn ſo todtfeindlich be¬
kriegte; denn wenn er auch in dem Perſonal
dieſer Ariſtokratie einige Veraͤnderungen vorzu¬
nehmen beabſichtigte, ſo haͤtte er doch den groͤ߬
ten Theil derſelben und ihr eigentliches Princip
erhalten, er wuͤrde dieſe Ariſtokratie regenerirt
haben, ſtatt daß ſie jetzt darnieder liegt durch
Alterſchwaͤche, Blutverluſt und Ermuͤdung von
ihrem letzten, gewiß allerletzten Sieg.
Lieber Leſer! wir wollen uns hier ein fuͤr
allemal verſtaͤndigen. Ich preiſe nie die That,
ſondern nur den menſchlichen Geiſt, die That iſt
nur deſſen Gewand, und die Geſchichte iſt nichts
anders als die alte Garderobe des menſchlichen
Geiſtes. Doch die Liebe liebt zuweilen alte Roͤcke,
und ſo liebe ich den Mantel von Marengo.
„Wir ſind auf dem Schlachtfelde von Ma¬
rengo.“ Wie lachte mein Herz, als der Poſtillon
dieſe Worte ſprach! Ich war in Geſellſchaft
eines ſehr artigen Lieflaͤnders, der vielmehr den
Ruſſen ſpielte, des Abends von Mayland abge¬
reiſt, und ſah des folgenden Morgens die Sonne
aufgehn uͤber das beruͤhmte Schlachtfeld.
Hier that der General Buonaparte einen ſo
ſtarken Zug aus dem Kelch des Ruhmes, daß er
im Rauſche Conſul, Kaiſer, Welteroberer wurde,
und ſich erſt zu St. Helena ernuͤchtern konnte.
Es iſt uns ſelbſt nicht viel beſſer ergangen; wir
waren mitberauſcht, wir haben alles mitgetraͤumt,
ſind ebenfalls erwacht, und im Jammer der
Nuͤchternheit machen wir allerley verſtaͤndige Re¬
flexionen. Es will uns da manchmal beduͤnken,
als ſey der Kriegsruhm ein veraltetes Vergnuͤ¬
gen, die Kriege bekaͤmen eine edlere Bedeutung
und Napoleon ſey vielleicht der letzte Eroberer.
Es hat wirklich den Anſchein, als ob jetzt
mehr geiſtige Intereſſen verfochten wuͤrden als
12
materielle, und als ob die Welthiſtorie nicht mehr
eine Raͤubergeſchichte, ſondern eine Geiſtergeſchichte
ſeyn ſolle. Der Haupthebel, den ehrgeizige und
habſuͤchtige Fuͤrſten zu ihren Privatzwecken ſonſt
ſo wirkſam in Bewegung zu ſetzen wußten, nem¬
lich die Nazionalitaͤt mit ihrer Eitelkeit und
ihrem Haß, iſt jetzt morſch und abgenutzt; taͤg¬
lich verſchwinden mehr und mehr die thoͤrigten
Nazionalvorurtheile, alle ſchroffen Beſonderheiten
gehen unter in der Allgemeinheit der europaͤiſchen
Civiliſation, es giebt jetzt in Europa keine Na¬
zionen mehr, ſondern nur Partheyen, und es
iſt ein wunderſamer Anblick, wie dieſe, trotz der
mannigfaltigſten Farben ſich ſehr gut erkennen,
und trotz der vielen Sprachverſchiedenheiten ſich
ſehr gut verſtehen. Wie es eine materielle
Staatenpolitik giebt, ſo giebt es jetzt auch eine
geiſtige Partheypolitik; und wie die Staaten¬
politik auch den kleinſten Krieg, der zwiſchen den
zwey unbedeutendſten Maͤchten ausbraͤche, gleich
zu einem allgemeinen europaͤiſchen Krieg machen
wuͤrde, worin ſich alle Staaten, mit mehr oder
minderem Eifer, auf jeden Fall mit Intereſſe,
miſchen muͤßten: ſo kann jetzt in der Welt auch
nicht der geringſte Kampf vorfallen, bey dem,
durch jene Partheypolitik, die allgemein geiſtigen
Bedeutungen nicht ſogleich erkannt, und die
entfernteſten und heterogenſten Partheyen nicht
gezwungen wuͤrden, pro oder contra Antheil zu
nehmen. Vermoͤge dieſer Partheypolitik, die ich,
weil ihre Intereſſen geiſtiger und ihre Ultimae
Rationes nicht von Metall ſind, eine Geiſter¬
politik nenne, bilden ſich jetzt, eben ſo, wie
vermittelſt der Staatenpolitik, zwey große
Maſſen, die feindſelig einander gegenuͤber ſtehen
und mit Reden und Blicken kaͤmpfen. Die Lo¬
ſungsworte und Repraͤſentanten dieſer zwey
großen Partheymaſſen wechſeln taͤglich, es fehlt
nicht an Verwirrung, oft entſtehen die groͤßten
Mißverſtaͤndniſſe, dieſe werden durch die Diplo¬
12 *
maten dieſer Geiſterpolitik, die Schriftſteller,
eher vermehrt als vermindert; doch, wenn auch
die Koͤpfe irren, ſo fuͤhlen die Gemuͤther nichts
deſto weniger was ſie wollen, und die Zeit
draͤngt mit ihrer großen Aufgabe.
Was iſt aber dieſe große Aufgabe unſerer
Zeit?
Es iſt die Emanzipazion. Nicht bloß die
der Irlaͤnder, Griechen, Frankfurter Juden,
Weſtindiſchen Schwarzen und dergleichen gedruͤck¬
ten Volkes, ſondern es iſt die Emanzipazion der
ganzen Welt, abſonderlich Europas, das muͤndig
geworden iſt, und ſich jetzt losreißt von dem
eiſernen GaͤngelbaͤndeGaͤngelbande der Bevorrechteten, der Ari¬
ſtokratie. Moͤgen immerhin einige philoſophiſche
Renegaten der Freyheit die feinſten Kettenſchluͤſſe
ſchmieden, um uns zu beweiſen, daß Millionen
Menſchen geſchaffen ſind als Laſtthiere einiger
tauſend privilegirter Ritter; ſie werden uns den¬
noch nicht davon uͤberzeugen koͤnnen, ſo lange ſie
uns, wie Voltaire ſagt, nicht nachweiſen, daß
jene mit Saͤtteln auf dem Ruͤcken und dieſe mit
Sporen an den Fuͤßen zur Welt gekommen ſind.
Jede Zeit hat ihre Aufgabe und durch die
Loͤſung derſelben ruͤckt die Menſchheit weiter.
Die fruͤhere Ungleichheit, durch das Feudalſyſtem
in Europa geſtiftet, war vielleicht nothwendig,
oder nothwendige Bedingung zu den Fortſchritten
der Civiliſation; jetzt aber hemmt ſie dieſe, em¬
poͤrt ſie die civiliſirten Herzen. Die Franzoſen, das
Volk der Geſellſchaft, hat dieſe Ungleichheit, die
mit dem Prinzip der Geſellſchaft am unleidlichſten
collidirt, nothwendigerweiſe am tiefſten erbittert,
ſie haben die Gleichheit zu erzwingen geſucht, in¬
dem ſie die Haͤupter derjenigen, die durchaus
hervorragen wollten, gelinde abſchnitten, und die
Revoluzion ward ein Signal fuͤr den Befrey¬
ungskrieg der Menſchheit.
Laßt uns die Franzoſen preiſen! ſie ſorgten
fuͤr die zwey groͤßten Beduͤrfniſſe der menſchlichen
Geſellſchaft, fuͤr gutes Eſſen und buͤrgerliche
Gleichheit, in der Kochkunſt und in der Freyheit
haben ſie die groͤßten Fortſchritte gemacht, und
wenn wir einſt alle, als gleiche Gaͤſte, das große
Verſoͤhnungsmahl halten, und guter Dinge ſind,
— denn was gaͤbe es Beſſeres als eine Geſell¬
ſchaft von Pairs an einem gutbeſetzten Tiſche? —
dann wollen wir den Franzoſen den erſten Toaſt
darbringen. Es wird freylich noch einige Zeit
dauern, bis dieſes Feſt gefeyert werden kann, bis
die Emanzipazion durchgeſetzt ſeyn wird; aber
ſie wird doch endlich kommen, dieſe Zeit, wir
werden, verſoͤhnt und allgleich, um denſelben
Tiſch ſitzen; wir ſind dann vereinigt, und kaͤmpfen
vereinigt gegen andere Weltuͤbel, vielleicht am Ende
gar gegen den Tod — deſſen ernſtes Gleichheits¬
ſyſtem uns wenigſtens nicht ſo ſehr beleidigt, wie die
lachende Ungleichheitslehre des Ariſtokratismus.
Laͤchle nicht, ſpaͤter Leſer. Jede Zeit glaubt,
ihr Kampf ſey vor allen der wichtigſte, dieſes iſt
der eigentliche Glaube der Zeit, in dieſem lebt
ſie und ſtirbt ſie, und auch wir wollen leben und
ſterben in dieſer Freyheitsreligion, die vielleicht
mehr den Namen Religion verdient, als das
hohle ausgeſtorbene Seelengeſpenſt, das wir noch
ſo zu benennen pflegen — unſer heiliger Kampf
duͤnkt uns der wichtigſte, wofuͤr jemals auf dieſer
Erde gekaͤmpft worden, obgleich hiſtoriſche Ahnung
uns ſagt, daß einſt unſre Enkel auf dieſen Kampf
herabſehen werden, vielleicht mit demſelben Gleich¬
guͤltigkeitsgefuͤhl, womit wir herabſehen auf den
Kampf der erſten Menſchen, die gegen eben
ſo gierige Ungethuͤme, Lindwuͤrmer und Raub¬
rieſen, zu kaͤmpfen hatten.
Capitel XXX.
Auf dem Schlachtfelde von Marengo kommen
einem die Betrachtungen ſo ſchaarenweis ange¬
flogen, daß man glauben ſollte, es waͤren die¬
ſelben, die dort ſo mancher ploͤtzlich aufgeben
mußte, und die nun, wie herrenloſe Hunde, um¬
herirren. Ich liebe Schlachtfelder, denn ſo furcht¬
bar auch der Krieg iſt, ſo bekundet er doch die
geiſtige Groͤße des Menſchen, der ſeinem maͤchtig¬
ſten Erbfeinde, dem Tode, zu trotzen vermag.
Und gar dieſes Schlachtfeld wo die Freyheit auf
Blutroſen tanzte, den uͤppigen Brauttanz! Frank¬
reich war damals Braͤutigam, hatte die ganze
Welt zur Hochzeit geladen, und, wie es im
Liede heißt,
Heida! am Polterabend,
Zerſchlug man ſtatt der Toͤpfe
Ariſtokratenkoͤpfe.
Aber ach! jeder Zoll, den die Menſchheit weiter
ruͤckt, koſtet Stroͤme Blutes; und iſt das nicht
etwas zu theuer? Iſt das Leben des Individuums
nicht vielleicht eben ſo viel werth wie das des
ganzen Geſchlechtes? Denn jeder einzelne Menſch
iſt ſchon eine Welt, die mit ihm geboren wird
und mit ihm ſtirbt, unter jedem Grabſtein liegt
eine Weltgeſchichte — Still davon, ſo wuͤrden
die Todten ſprechen, die hier gefallen ſind, wir
aber leben und wollen weiter kaͤmpfen im heiligen
Befreyungskriege der Menſchheit.
Wer denkt jetzt noch an Marengo! — ſagte
mein Reiſegefaͤhrte, der Lieflaͤndiſche Ruſſe, als
wir uͤber das Brachfeld fuhren — jetzt ſind alle
Augen gerichtet nach dem Balkan, wo mein
Landsmann Diebitſch den Tuͤrken die Turbane
zurechtſetzt, und wir werden noch dieſes
Jahr Conſtantinopel einnehmen. Sind Sie gut
ruſſiſch?
Das war eine Frage, die ich uͤberall lieber
beantwortet haͤtte als auf dem Schlachtfelde von
Marengo — Ich ſah im Morgennebel den Mann
mit dem dreieckigen Huͤtchen und dem grauen
Schlachtmantel, er jagte dahin wie ein Gedanke,
geiſterſchnell, in der Ferne erſcholl es wie ein
ſchaurig ſuͤßes allons enfans de la patrie —
Und dennoch antwortete ich: ja, ich bin gut
ruſſiſch.
Und in der That, bey dem wunderlichen Wechſel
der Loſungsworte und Repraͤſentanten in dem
großen Kampfe, hat es ſich jetzt ſo gefuͤgt, daß
der gluͤhendſte Freund der Revoluzion nur im
Siege Rußlands das Heil der Welt ſieht, und
den Kaiſer Nikolas als den Gonfaloniere der
Freyheit betrachten muß. Seltſamer Wechſel!
noch vor zwey Jahren bekleideten wir mit dieſem
Amte einen engliſchen Miniſter, das Geheul des
hochtoryſchen Haſſes gegen George Canning lei¬
tete damals unſre Wahl, in den adlig unedlen
Kraͤnkungen, die er erlitt, ſahen wir die Ga¬
rantieen ſeiner Treue, und als er des Maͤrtyrer¬
todes ſtarb, da legten wir Trauer an, und der
achte Auguſt wurde ein heiliger Tag im Kalender
der Freyheit. Die Fahne aber nahmen wir wie¬
der fort von Downingſtreet, und pflanzten ſie
auf die Petersburg, und waͤhlten zu ihrem Traͤ¬
ger den Kaiſer Nikolas, den Ritter von Europa,
der die griechiſchen Wittwen und Waiſen ſchuͤtzte
gegen aſiatiſche Barbaren, und in ſolchem guten
Kampfe ſeine Sporen verdiente. Wieder hatten
ſich die Feinde der Freyheit zu ſehr verrathen‚
und wir benutzten wieder den Scharfſinn ihres
Haſſes, um unſer eignes Beſte zu erkennen.
Wieder zeigte ſich diesmal die gewoͤhnliche Er¬
ſcheinung, daß wir unſre Repraͤſentanten vielmehr
der Stimmenmehrheit unſerer Feinde als der
eignen Wahl verdanken, und indem wir die
wunderlich zuſammengeſetzte Gemeinde betrachte¬
ten, die fuͤr das Heil der Tuͤrkey und den Un¬
tergang Rußlands ihre frommen Wuͤnſche gen
Himmel ſandte, ſo merkten wir bald, wer unſer
Freund oder vielmehr das Schrecken unſerer
Feinde iſt. Wie mußte der liebe Gott im Him¬
mel lachen, als er zu gleicher Zeit Wellington,
den Großmufti, den Pabſt, Rothſchild I.,
Metternich, und einen ganzen Troß von Rit¬
terlingen, Stockjobbern, Pfaffen und Tuͤrken,
fuͤr dieſelbe Sache, fuͤr das Heil des Halb¬
monds, beten hoͤrte!
Was die Alarmiſten bisher uͤber die Gefahr
gefabelt, der wir durch die Uebergroͤße Rußlands
ausgeſetzt ſind, iſt thoͤricht. Wenigſtens wir
Deutſche haben nichts zu riskiren, etwas mehr
oder weniger Knechtlichkeit, darauf darf es uns
nicht ankommen, wo das Hoͤchſte, die Befreyung
von den Reſten des Feudalismus und Clerikalis¬
mus, zu gewinnen iſt. Man droht uns mit der
Herrſchaft der Knute, aber ich will gern etwas
Knute aushalten, wenn ich ſicher weiß, daß unſre
Feinde ſie mitbekommen. Ich wette aber, ſie
werden, wie ſie immer gethan, der neuen Macht
entgegen wedeln, und grazioͤſe laͤcheln, und zu
den ſchandbarſten Dienſten ſich darbieten, und
ſich dafuͤr, da doch einmal geknutet werden muß,
das Privilegium einer Ehrenknute ausbedingen,
ſo wie der Adlige in Siam, der, wenn er be¬
ſtraft werden ſoll, in einen ſeidenen Sack geſteckt
und mit parfuͤmirten Stoͤcken gepruͤgelt wird,
ſtatt daß der ſtraffaͤllige Buͤrgerliche nur einen
leinenen Sack und keine ſo wohlriechende Pruͤgel
bekoͤmmt. Nun, dieſes Privilegium, da es das
einzige iſt, wollen wir ihnen goͤnnen, wenn ſie
nur Pruͤgel bekommen, beſonders die engliſche
Nobility. Mag man noch ſo eifrig erinnern, daß
es eben dieſe Nobility ſey, die dem Despotismus
die Magna Charta abgezwungen, und daß Eng¬
land, bey aller Aufrechthaltung der buͤrgerlichen
Standesungleichheit doch die perſoͤnliche Freyheit
geſichert, daß England der Zufluchtsort fuͤr freye
Geiſter war, wenn der Despotismus den ganzen
Continent unterdruͤckte; — das ſind tempi
passati! England mit ſeinen Ariſtokraten gehe
jetzt immerhin zu Grunde, freye Geiſter haben
jetzt im Nothfall einen noch beſſern Zufluchtsort,
wuͤrde auch ganz Europa ein einziger Kerker, ſo
gaͤbe es jetzt noch immer ein anderes Loch
zum Entſchluͤpfen, das iſt Amerika, und Gott¬
lob! das Loch iſt noch groͤßer als der Kerker
ſelbſt.
Aber das ſind alles laͤcherliche Grillen, ver¬
gleicht man in freyheitlicher Hinſicht England mit
Rußland, ſo bleibt auch dem Beſorglichſten kein
Zweifel uͤbrig, welche Parthey zu erfaſſen ſey.
Die Freyheit iſt in England aus hiſtoriſchen
Begebenheiten, in Rußland aus Prinzipien her¬
vorgegangen. Wie jene Begebenheiten ſelbſt,
ſo tragen auch ihre geiſtigen Reſultate das Ge¬
praͤge des Mittelalters, ganz England iſt erſtarrt
in unverjuͤngbaren, mittelalterlichen Inſtituzionen,
wohinter ſich die Ariſtokratie verſchanzt und den
Todeskampf erwartet. Jene Prinzipien aber,
woraus die ruſſiſche Freyheit entſtanden iſt, oder
vielmehr taͤglich ſich weiter entfaltet, ſind die
liberalen Ideen unſerer neueſten Zeit; die ruſſiſche
Regierung iſt durchdrungen von dieſen Ideen,
ihr unumſchraͤnkter Abſolutismus iſt vielmehr
Diktatur, um jene Ideen unmittelbar ins Leben
treten zu laſſen; dieſe Regierung hat nicht ihre
Wurzel im Feudalismus und Clerikalismus, ſie
iſt der Adel- und Kirchengewalt direkt entgegen¬
ſtrebend; ſchon Catharina hat die Kirche einge¬
ſchraͤnkt und der ruſſiſche Adel entſteht durch Staats¬
dienſte; Rußland iſt ein demokratiſcher Staat,
ich moͤchte es ſogar einen chriſtlichen Staat
nennen, wenn ich dieſes oft mißbrauchte Wort in
ſeinem ſuͤßeſten, weltbuͤrgerlichſten Sinne anwen¬
den wollte: denn die Ruſſen werden ſchon durch
den Umfang ihres Reichs von der Engherzigkeit
eines heidniſchen Nazionalſinnes befreyt, ſie ſind
Cosmopoliten, oder wenigſtens Sechstel-Cosmopo¬
liten, da Rußland faſt den ſechſten Theil der
bewohnten Welt ausmacht —
Und wahrlich, wenn irgend ein Deutſchruſſe,
wie mein Lieflaͤndiſcher Reiſegefaͤhrte, praleriſch
patriotiſch thut, und von unſerem Rußland und
unſerem Diebitſch ſpricht, ſo iſt mir als hoͤrte
ich einen Haͤring, der das Weltmeer fuͤr ſein
Vaterland und den Wallfiſch fuͤr ſeinen Lands¬
mann ausgiebt.
Capitel XXXI.
Ich bin gut ruſſiſch — ſagte ich auf dem
Schlachtfelde von Marengo, und ſtieg fuͤr einige
Minuten aus dem Wagen, um meine Morgen¬
andacht zu halten.
Wie unter einem Triumphbogen von koloſſalen
Wolkenmaſſen zog die Sonne herauf, ſiegreich,
heiter, ſicher, einen ſchoͤnen Tag verheißend.
Mir aber war zu Muthe wie dem armen Monde,
der verbleichend noch am Himmel ſtand. Er
hatte ſeine einſame Laufbahn durchwandelt, in
oͤder Nachtzeit, wo das Gluͤck ſchlief und nur
13
Geſpenſter, Eulen und Suͤnder ihr Weſen trie¬
ben; und jetzt, wo der junge Tag hervorſtieg,
mit jubelnden Strahlen und flatterndem Morgen¬
roth, jetzt mußte er von dannen — noch ein
wehmuͤthiger Blick nach dem großen Weltlicht,
und er verſchwand wie duftiger Nebel.
Es wird ein ſchoͤner Tag werden! rief mein
Reiſegefaͤhrte aus dem Wagen mir zu. Ja, es
wird ein ſchoͤner Tag werden, wiederholte leiſe
mein betendes Herz, und zitterte vor Wehmuth
und Freude. Ja, es wird ein ſchoͤner Tag
werden, die Freyheitsſonne wird die Erde gluͤck¬
licher waͤrmen, als die Ariſtokratie ſaͤmmtlicher
Sterne; emporbluͤhen wird ein neues Geſchlecht,
das erzeugt worden in freyer Wahlumarmung,
nicht im Zwangsbette und unter der Controlle
geiſtlicher Zoͤllner; mit der freyen Geburt werden
auch in den Menſchen freye Gedanken und Ge¬
fuͤhle zur Welt kommen, wovon wir geborenen
Knechte keine Ahnung haben — O! ſie werden
eben ſo wenig ahnen, wie entſetzlich die Nacht
war, in deren Dunkel wir leben mußten, und wie
grauenhaft wir zu kaͤmpfen hatten, mit haͤßlichen
Geſpenſtern, dumpfen Eulen und ſcheinheiligen
Suͤndern! O wir armen Kaͤmpfer! die wir
unſre Lebenszeit in ſolchem Kampfe vergeuden
mußten, und muͤde und bleich ſind, wenn der
Siegestag hervorſtrahlt! Die Glut des Sonnen¬
aufgangs wird unſre Wangen nicht mehr roͤthen
und unſre Herzen nicht mehr waͤrmen koͤnnen,
wir ſterben dahin wie der ſcheidende Mond —
allzu kurz gemeſſen iſt des Menſchen Wanderbahn,
an deren Ende das unerbittliche Grab.
Ich weiß wirklich nicht, ob ich es verdiene,
daß man mir einſt mit einem Lorbeerkranze den
Sarg verziere. Die Poeſie, wie ſehr ich ſie auch
liebte, war mir immer nur heiliges Spiel¬
zeug, oder geweihtes Mittel fuͤr himmliſche
13 *
Zwecke. Ich habe nie großen Werth gelegt
auf Dichter-Ruhm, und ob man meine Lieder
preiſet oder tadelt, es kuͤmmert mich wenig.
Aber ein Schwert ſollt Ihr mir auf den Sarg
legen; denn ich war ein braver Soldat im Be¬
freyungskriege der Menſchheit.
Capitel XXXII.
Waͤhrend der Mittagshitze ſuchten wir Ob¬
dach in einem Franziskanerkloſter, das auf einer
bedeutenden Anhoͤhe lag, und mit ſeinen duͤſtern
Zypreſſen und weißen Moͤnchen, wie ein Jagd¬
ſchloß des Glaubens, hinabſchaute in die heiter
gruͤnen Thaͤler des Appenins. Es war ein ſchoͤ¬
ner Bau; wie ich denn, außer der Karthauſe zu
Monza, die ich nur von außen ſah, noch ſehr
merkwuͤrdigen Kloͤſtern und Kirchen vorbey ge¬
kommen bin. Ich wußte oft nicht, ſollte ich
mehr die Schoͤnheit der Gegend bewundern, oder
die Groͤße der alten Kirchen, oder die eben ſo
große, ſteinfeſte Geſinnung ihrer Erbauer, die
wohl vorausſehen konnten, daß erſt ſpaͤte Urenkel
im Stande ſeyn wuͤrden, ſolch ein Bauwerk zu
vollenden, und die deſſen ohngeachtet ganz ruhig
den Grundſtein legten, und Stein auf Stein
trugen, bis der Tod ſie von der Arbeit abrief,
und andere Baumeiſter das Werk fortſetzten und
ſich nachher ebenfalls zur Ruhe begaben — alle
im feſten Glauben an die Ewigkeit der katholi¬
ſchen Religion und im feſten Vertrauen auf die
gleiche Denkweiſe der folgenden Geſchlechter, die
weiter bauen wuͤrden wo die Vorfahren auf¬
gehoͤrt.
Es war der Glaube der Zeit, und die alten
Baumeiſter lebten und entſchliefen in dieſem
Glauben. Da liegen ſie nun vor den Thuͤren
jener alten Kirchen, und es iſt zu wuͤnſchen, daß
ihr Schlaf recht feſt ſey, und das Lachen der
neuen Zeit ſie nicht erwecke. Abſonderlich fuͤr
ſolche, die vor einem von den alten Domen lie¬
gen, die nicht fertig geworden ſind, fuͤr ſolche
waͤre es ſehr ſchlimm, wenn ſie des Nachts
ploͤtzlich erwachten, und im ſchmerzlichen Mond¬
ſchein ihr unvollendetes Tagewerk ſaͤhen, und
bald merkten, daß die Zeit des Weiterbauens
aufgehoͤrt hat und daß ihr ganzes Leben nutzlos
war und dumm.
So ſpricht die jetzige neue Zeit, die eine
andere Aufgabe hat, einen anderen Glauben.
Ich hoͤrte einſt in Coͤlln, wie ein kleiner
Bube ſeine Mutter frug: warum man die hal¬
ben Dome nicht fertig baue? Es war ein
ſchoͤner Bube, und ich kuͤßte ihm die klugen
Augen, und da die Mutter ihm keine rechte
Antwort geben konnte, ſo ſagte ich ihm: daß
jetzt die Menſchen ganz etwas anderes zu thun
haͤtten.
Unfern von Genua, auf der Spitze der
Appeninen, ſieht man das Meer, zwiſchen den
gruͤnen Gebirgsgipfeln kommt die blaue Fluth
zum Vorſchein, und Schiffe, die man hie und
da erblickt, ſcheinen mit vollen Segeln uͤber die
Berge zu fahren. Hat man aber dieſen Anblick
zur Zeit der Daͤmmerung, wo die letzten Son¬
nenlichter mit den erſten Abendſchatten ihr wun¬
derliches Spiel beginnen, und alle Farben und
Formen ſich nebelhaft verweben: dann wird
einem ordentlich maͤrchenhaft zu Muthe, der
Wagen raſſelt bergab, die ſchlaͤfrig ſuͤßeſten Bil¬
der der Seele werden aufgeruͤttelt und nicken
wieder ein, und es traͤumt einem endlich, man
ſey in Genua.
Capitel XXXIII.
Dieſe Stadt iſt alt ohne Alterthuͤmlichkeit,
eng ohne Traulichkeit, und haͤßlich uͤber alle
Maßen. Sie iſt auf einem Felſen gebaut, am
Fuße von amphitheatraliſchen Bergen, die den
ſchoͤnſten Meerbuſen gleichſam umarmen. Die
Genueſer erhielten daher von der Natur den beſten
und ſicherſten Hafen. Da, wie geſagt, die ganze
Stadt auf einem einzigen Felſen ſteht, ſo mußten,
der Raum-Erſparniß wegen, die Haͤuſer ſehr hoch
und die Straßen ſehr eng gebaut werden, ſo
daß dieſe faſt alle dunkel ſind, und nur auf zweyen
derſelben ein Wagen fahren kann. Aber die
Haͤuſer dienen hier den Einwohnern, die meiſtens
Kaufleute ſind, faſt nur zu Waarenlagern, und
des Nachts zu Schlafſtellen; den ſchachernden
Tag uͤber laufen ſie umher in der Stadt oder
ſitzen vor ihrer Hausthuͤre, oder vielmehr in der
Hausthuͤre, denn ſonſt wuͤrden ſich die Gegen¬
uͤberwohnenden einander mit den Knieen beruͤhren.
Von der Seeſeite, beſonders gegen Abend,
gewaͤhrt die Stadt einen beſſern Anblick. Da
liegt ſie am Meere, wie das gebleichte Skelett
eines ausgeworfenen Rieſenthiers, dunkle Amei¬
ſen, die ſich Genueſer nennen, kriechen darin
herum, die blauen Meereswellen beſpuͤlen es
plaͤtſchernd wie ein Ammenlied, der Mond, das
blaſſe Auge der Nacht, ſchaut mit Wehmuth
darauf hinab.
Im Garten des Palazzo Doria ſteht der alte
Seeheld als Neptun in einem großen Waſſer¬
baſſin. Aber die Statue iſt verwittert und ver¬
ſtuͤmmelt, das Waſſer ausgetrocknet, und die
Moͤven niſten in den ſchwarzen Zypreſſen. Wie
ein Knabe, der immer ſeine Komoͤdien im Kopf
hat, dachte ich bey dem Namen Doria gleich an
Friedrich Schiller, den edelſten, wenn auch nicht
groͤßten Dichter der Deutſchen.
Obgleich meiſtens im Verfall, ſind die Pallaͤſte
der ehemaligen Machthaber von Genua, der
Nobili, dennoch ſehr ſchoͤn, und mit Pracht uͤber¬
laden. Sie ſtehen meiſtens auf den zwey großen
Straßen, genannt Strada nuova und Balbi. Der
Pallaſt Durazzo iſt der merkwuͤrdigſte. Hier ſind gute
Bilder und darunter Paul Veroneſe's Chriſtus,
dem Magdalena die gewaſchenen Fuͤße abtrocknet.
Dieſe iſt ſo ſchoͤn, daß man fuͤrchten ſollte, ſie
werde gewiß noch einmal verfuͤhrt werden. Ich
ſtand lange vor ihr— ach, ſie ſchaute nicht auf!
Chriſtus ſteht da wie ein Religionshamlet: go
to a nunnery. Hier fand ich auch einige
Hollaͤnder und vorzuͤgliche Bilder von Rubens;
letztere ganz durchdrungen von der koloſſalen
Heiterkeit dieſes niederlaͤndiſchen Titanen, deſſen
Geiſtesfluͤgel ſo ſtark waren, daß er bis zur
Sonne emporflog, obgleich hundert Centner hol¬
laͤndiſcher Kaͤſe an ſeinen Beinen hingen. Ich
kann dem kleinſten Bilde dieſes großen Malers
nicht voruͤbergehen ohne den Zoll meiner Bewun¬
drung zu entrichten. Um ſo mehr, da es jetzt
Mode wird, ihn, ob ſeines Mangels an Ideali¬
taͤt, nur mit Achſelzucken zu betrachten. Die
hiſtoriſche Schule zu Muͤnchen zeigt ſich beſonders
groß in ſolcher Betrachtung. Man ſehe nur mit
welcher vornehmen Geringſchaͤtzung der langhaarige
Cornelianer durch den Rubensſaal wandelt! Viel¬
leicht aber iſt der Irrthum der Juͤnger erklaͤrlich,
wenn man den großen Gegenſatz betrachtet, den
Peter Cornelius zu Peter Paul Rubens bildet.
Es laͤßt ſich faſt kein groͤßerer Gegenſatz erſin¬
nen — und nichts deſtoweniger iſt mir biswei¬
len zu Sinn, als haͤtten beide dennoch Aehn¬
lichkeiten, die ich mehr ahnen als anſchauen
koͤnne. Vielleicht ſind landsmannſchaftliche Ei¬
genheiten in ihnen verborgen, die den dritten
Landsmann, nemlich mich, wie leiſe heimiſche
Laute anſprechen. Dieſe geheime Verwandtſchaft
beſteht aber nimmermehr in der niederlaͤndiſchen
Heiterkeit und Farbenluſt, die uns aus allen
Bildern des Rubens entgegenlacht, ſo daß man
meynen ſollte, er habe ſie im freudigen Rhein¬
weinrauſch gemalt, waͤhrend tanzende Kirmes¬
muſik um ihn her jubelte. Wahrlich die Bilder
des Cornelius ſcheinen eher am Charfreytage ge¬
malt zu ſeyn, waͤhrend die ſchwermuͤthigen Leidens¬
lieder der Prozeſſion durch die Straßen zogen
und im Atelier und Herzen des Malers wieder¬
hallten. In der Produktivitaͤt, in der Schoͤpfungs¬
kuͤhnheit, in der genialen Urſpruͤnglichkeit, ſind
ſich beide aͤhnlicher, beide ſind geborne Maler,
und gehoͤren zu dem Cyklus großer Meiſter, die
groͤßtentheils zur Zeit des Raphael bluͤhten, einer
Zeit, die auf Rubens noch ihren unmittelbaren
Einfluß uͤben konnte, die aber von der unſrigen
ſo abgeſchieden iſt, daß wir ob der Erſcheinung
des Peter Cornelius faſt erſchrecken, daß er uns
manchmal vorkommt, wie der Geiſt eines jener
großen Maler aus raphaelſcher Zeit, der aus
dem Grabe hervorſteige, um noch einige Bilder
zu malen, ein todter Schoͤpfer, ſelbſtbeſchworen
durch das mitbegrabene, inwohnende Lebens¬
wort. Betrachten wir ſeine Bilder, ſo ſehen ſie
uns an, wie mit Augen des funfzehnten Jahr¬
hunderts, geſpenſtiſch ſind die Gewaͤnder, als
rauſchten ſie uns vorbey um Mitternacht, zau¬
berkraͤftig ſind die Leiber, traumrichtig gezeichnet,
gewaltſam wahr, nur das Blut fehlt ihnen, das
pnlſirendepulſirende Leben, die Farbe. Ja, Cornelius iſt
ein Schoͤpfer, doch betrachten wir ſeine Geſchoͤpfe,
ſo will es uns beduͤnken, als koͤnnten ſie alle
nicht lange leben, als ſeyen ſie alle eine Stunde
vor ihrem Tode gemalt, als truͤgen ſie alle die
wehmuͤthige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer
Heiterkeit erregen die Geſtalten des Rubens ein
aͤhnliches Gefuͤhl in unſerer Seele, dieſe ſcheinen
ebenfalls den Todeskeim in ſich zu tragen, und
es iſt uns, als muͤßten ſie eben durch ihre Lebens¬
uͤberfuͤlle, durch ihre rothe Vollbluͤtigkeit, ploͤtzlich
vom Schlage geruͤhrt werden. Das iſt ſie viel¬
leicht, die geheime Verwandſchaft, die wir in
der Vergleichung beider Meiſter ſo wunderſam
ahnen. Die hoͤchſte Luſt in einigen Bildern des
Rubens und der tiefſte Truͤbſinn in denen des
Cornelius erregen in uns vielleicht daſſelbe Ge¬
fuͤhl. Woher aber dieſer Truͤbſinn bey einem
Niederlaͤnder? Es iſt vielleicht eben das ſchaurige
Bewußtſeyn, daß er einer laͤngſt verklungenen
Zeit angehoͤrt und ſein Leben eine myſtiſche Nach¬
ſendung iſt — denn ach! er iſt nicht bloß der
einzige große Maler, der jetzt lebt, ſondern viel¬
leicht auch der letzte, der auf dieſer Erde malen
wird; vor ihm, bis zur Zeit der Caraccis, iſt ein
langes Dunkel, und hinter ihm ſchlagen wieder
die Schatten zuſammen, ſeine Hand iſt eine
lichte, einſame Geiſterhand in der Nacht der
Kunſt, und die Bilder, die ſie malt, tragen die
unheimliche Trauer ſolcher ernſten, ſchroffen Ab¬
geſchiedenheit. Ich habe dieſe letzte Malerhand
nie ohne geheimen Schauer betrachten koͤnnen,
wenn ich den Mann ſelbſt ſah, den kleinen
ſcharfen Mann mit den heißen Augen; und doch
wieder erregte dieſe Hand in mir das Gefuͤhl
der traulichſten Pietaͤt, da ich mich erinnerte,
daß ſie mir einſt liebreich auf den kleinen Fingern
lag, und mir einige Geſichtskonturen ziehen half,
als ich, ein kleines Buͤbchen, auf der Akademie
zu Duͤſſeldorf zeichnen lernte.
Capitel XXXIV.
Die Sammlung von Portraits ſchoͤner Ge¬
nueſerinnen, die im Pallaſt Durazzo gezeigt
wird, darf ich nimmermehr unerwaͤhnt laſſen.
Nichts auf der Welt kann unſre Seele trauriger
ſtimmen, als ſolcher Anblick von Portraits
ſchoͤner Frauen, die ſchon ſeit einigen Jahrhunder¬
ten todt ſind. Melancholiſch uͤberkriecht uns der
Gedanke: daß von den Originalen jener Bilder,
von all jenen Schoͤnen, die ſo lieblich, ſo kokett,
ſo witzig, ſo ſchalkhaft und ſo ſchwaͤrmeriſch
waren, von all jenen Maykoͤpfchen mit April¬
launen, von jenem ganzen Frauenfruͤhling nichts
14
uͤbrig geblieben iſt, als dieſe bunten Schatten,
die ein Maler, der gleich ihnen laͤngſt vermodert
iſt, auf ein morſch Stuͤckchen Leinwand gepinſelt
hat, das ebenfalls mit der Zeit in Staub zer¬
faͤllt und verweht. So geht alles Leben, das
Schoͤne eben ſo wie das Haͤßliche, ſpurlos vor¬
uͤber, der Tod, der duͤrre Pedant, verſchont die
Roſe eben ſo wenig wie die Diſtel, er vergißt
auch nicht das einſame Haͤlmchen in der fernſten
Wildniß, er zerſtoͤrt gruͤndlich und unaufhoͤrlich,
uͤberall ſehen wir, wie er Pflanzen und Thiere,
die Menſchen und ihre Werke, zu Staub zer¬
ſtampft, und ſelbſt jene egyptiſchen Pyramiden,
die ſeiner Zerſtoͤrungswuth zu trotzen ſcheinen,
ſie ſind nur Trophaͤen ſeiner Macht, Denkmaͤler
der Vergaͤnglichkeit, uralte Koͤnigsgraͤber.
Aber noch ſchlimmer als dieſes Gefuͤhl eines
ewigen Sterbens, einer oͤden gaͤhnenden Vernich¬
tung, ergreift uns der Gedanke, daß wir nicht
einmal als Originale dahinſterben, ſondern als
Copien von laͤngſtverſchollenen Menſchen, die
geiſtig und koͤrperlich uns gleich waren, und daß
nach uns wieder Menſchen geboren werden, die
wieder ganz ausſehen und fuͤhlen und denken
werden wie wir, und die der Tod ebenfalls wie¬
der vernichten wird — ein troſtlos ewiges Wieder¬
holungsſpiel, wobey die zeugende Erde beſtaͤndig
hervorbringen und mehr hervorbringen muß, als
der Tod zu zerſtoͤren vermag, ſo daß ſie, in ſolcher
Noth, mehr fuͤr die Erhaltung der Gattungen als
fuͤr die Originalitaͤt der Individuen ſorgen kann.
Wunderbar erfaßten mich die myſtiſchen
Schauer dieſes Gedankens, als ich im Pallaſt
Durazzo die Portraits der ſchoͤnen Genueſerinnen
ſah, und unter dieſen ein Bild, das in meiner
Seele einen ſuͤßen Sturm erregte, wovon mir
noch jetzt, wenn ich daran denke, die Augenwimpern
zittern — Es war das Bild der todten Maria.
14 *
Der Aufſeher der Gallerie meinte zwar, das
Bild ſtelle eine Herzogin von Genua vor, und
im ciceroniſchen Tone ſetzte er hinzu: es iſt ge¬
malt von Giorgio Barbarelli da Caſtelfranco nel
Trevigiano, genannt Giorgione, er war einer der
groͤßten Maler der venezianiſchen Schule, wurde
geboren im Jahr 1477 uudund ſtarb im Jahr 1511.
Laſſen Sie das gut ſeyn, Signor Cusdode.
Das Bild iſt gut getroffen, mag es immerhin
ein Paar Jahrhunderte im voraus gemalt ſeyn,
das iſt kein Fehler. Zeichnung richtig, Farbenge¬
bung vorzuͤglich, Faltenwurf des Bruſtgewandes
banzganz vortrefflich. Haben Sie doch die Guͤte, das
Bild fuͤr einige Augenblicke von der Wand herabzu¬
nehmen, ich will nur den Staub von den Lippen
abblaſen und auch die Spinne, die in der Ecke
des RamensRahmens ſitzt, fortſcheuchen — Maria hatte
immer einen Abſcheu vor Spinnen.
Excellenza ſcheinen ein Kenner zu ſeyn.
Daß ich nicht wuͤßte, Signor Cusdode. Ich
habe das Talent, bey manchen Bildern ſehr ge¬
ruͤhrt zu werden, und es wird mir dann etwas
feucht in den Augen. Aber was ſehe ich! von
wem iſt das Portrait des Mannes im ſchwarzen
Mantel, das dort haͤngt?
Es iſt ebenfalls von Giorgione, ein Meiſterſtuͤck.
Ich bitte Sie, Signor, haben Sie doch die
Guͤte, es ebenfalls von der Wand herabzunehmen
und einen Augenblick hier neben dem Spiegel
zu halten, damit ich vergleichen kann ob ich dem
Bilde aͤhnlich ſehe.
Excellenza ſind nicht ſo blaß. Das Bild iſt
ein Meiſterſtuͤck von Giorgione; er war Rival
des Tiziano, wurde geboren im Jahr 1477 und
ſtarb im Jahr 1511.
Lieber Leſer, der Giorgione iſt mir weit lieber
als der Tiziano, und ich bin ihm beſonders Dank
ſchuldig, daß er mir die Maria gemalt. Du wirſt
gewiß eben ſo gut wie ich einſehen, daß Gior¬
gione fuͤr mich das Bild gemalt hat, und nicht
fuͤr irgend einen alten Genueſer. Und es iſt
ſehr gut getroffen, todtſchweigend getroffen, es
fehlt nicht einmal der Schmerz im Auge, ein
Schmerz der mehr einem getraͤumten als einem
erlebten Leide galt, und ſehr ſchwer zu malen
war. Das ganze Bild iſt wie hingeſeufzt auf
die Leinwand. Auch der Mann im ſchwarzen
Mantel iſt gut gemalt, und die malizioͤs ſenti¬
mentalen Lippen ſind gut getroffen, ſprechend ge¬
troffen, als wollten ſie eben eine Geſchichte er¬
zaͤhlen — Es iſt die Geſchichte von dem Ritter,
der ſeine Geliebte aus dem Tode aufkuͤſſen wollte,
und als das Licht erloſch — —
II.
Die Baͤder von Lukka.
Ich bin wie Weib dem Manne — —
Graf Auguſt v. Platen Hallermuͤnde.
Will der Herr Graf ein Taͤnzchen wagen,
So mag ers ſagen,
Ich ſpiel ihm auf.
Figaro.
Karl Immermann,
dem Dichter,
widmet dieſe Blaͤtter,
als
ein Zeichen freudigſter Verehrung,
der
Verfaſſer.
Capitel I.
Als ich zu Mathilden ins Zimmer trat, hatte
ſie den letzten Knopf des gruͤnen Reitkleides
zugeknoͤpft, und wollte eben einen Hut mit weißen
Federn aufſetzen. Sie warf ihn raſch von ſich,
ſobald ſie mich erblickte, mit ihren wallend gol¬
nen Locken ſtuͤrzte ſie mir entgegen — Doktor
des Himmels und der Erde! rief ſie, und nach
alter Gewohnheit ergriff ſie meine beiden Ohr¬
lappen und kuͤßte mich mit der drolligſten Herz¬
lichkeit.
Wie gehts, Wahnſinnigſter der Sterblichen!
Wie gluͤcklich bin ich Sie wiederzuſehen! Denn
ich werde nirgends auf dieſer weiten Welt einen
verruͤckteren Menſchen finden. Narren und
Dummkoͤpfe giebt es genug, und man erzeigt
ihnen oft die Ehre, ſie fuͤr verruͤckt zu halten;
aber die wahre Verruͤcktheit iſt ſo ſelten wie die
wahre Weisheit, ſie iſt vielleicht gar nichts
anderes als Weisheit, die ſich geaͤrgert hat, daß
ſie alles weiß, alle Schaͤndlichkeiten dieſer Welt,
und die deshalb den weiſen Entſchluß gefaßt
hat, verruͤckt zu werden. Die Orientalen ſind
ein geſcheutes Volk, ſie verehren einen Ver¬
ruͤckten wie einen Propheten, wir aber halten
jeden Propheten fuͤr verruͤckt.
Aber, Mylady, warum haben Sie mir nicht
geſchrieben?
Gewiß, Doktor, ich ſchrieb Ihnen einen lan¬
gen Brief, und bemerkte auf der Adreſſe: abzu¬
geben in Neu-Bedlam. Da Sie aber, gegen
alle Vermuthung nicht dort waren, ſo ſchickte
man den Brief nach St. Luze, und da ſie auch
hier nicht waren, ſo ging er weiter nach einer
aͤhnlichen Anſtalt, und ſo machte er die Ronde
durch alle Tollhaͤuſer Englands, Schottlands und
Irlands, bis man ihn mir zuruͤckſchickte mit der
Bemerkung, daß der Gentleman, den die Adreſſe
bezeichne, noch nicht eingefangen ſey. Und in
der That, wie haben Sie es angefangen, daß
Sie immer noch auf freyen Fuͤßen ſind?
Hab's pfiffig angefangen, Mylady. Ueberall,
wohin ich kam, wußt' ich mich um die Tollhaͤuſer
herumzuſchleichen, und ich denke, es wird mir
auch in Italien gelingen.
O, Freund, hier ſind Sie ganz ſicher; denn
erſtens iſt gar kein Tollhaus in der Naͤhe, und
zweitens haben wir hier die Oberhand.
Wir? Mylady! Sie zaͤhlen ſich alſo zu den
Unſeren? Erlauben Sie, daß ich Ihnen den
Bruderkuß auf die Stirne druͤcke.
Ach! ich meyne wir Badegaͤſte, worunter ich
wahrlich noch die Vernuͤnftigſte bin — Und nun
machen Sie ſich leicht einen Begriff von der
Verruͤckteſten, nemlich von Julie Maxfield, die
beſtaͤndig behauptet, gruͤne Augen bedeuten den
Fruͤhling der Seele; dann haben wir noch zwey
junge Schoͤnheiten —
Gewiß engliſche Schoͤnheiten, Mylady —
Doktor, was bedeutet dieſer ſpoͤttiſche Ton?
Die gelbfettigen Makaronigeſichter in Italien
muͤſſen Ihnen ſo gut ſchmecken, daß Sie keinen
Sinn mehr haben fuͤr brittiſche —
Plumpuddings mit Roſinenaugen, Roſtbeef¬
buſen feſtonirt mit weißen Meerrettig-Streifen,
ſtolze Paſteten —
Es gab eine Zeit, Doktor, wo Sie jedes¬
mal in Verzuͤckung geriethen, wenn Sie eine ſchoͤne
Englaͤnderin ſahen —
Ja, das war damals! Ich bin noch immer
nicht abgeneigt Ihren Landsmaͤnninnen zu huldi¬
gen; ſie ſind ſchoͤn wie Sonnen, aber Sonnen
von Eis, ſie ſind weiß wie Marmor, aber auch
marmorkalt — auf ihren kalten Herzen erfrieren
die armen —
Oho! ich kenne einen — der dort nicht
erfroren iſt, und friſch und geſund uͤbers Meer
geſprungen, und es war ein großer, deutſcher,
impertinenter —
Er hat ſich wenigſtens an den brittiſch froſti¬
gen Herzen ſo ſtark erkaͤltet, daß er noch jetzt
davon den Schnupfen hat.
Mylady ſchien piquirt uͤber dieſe Antwort,
ſie ergriff die Reitgerte, die zwiſchen den Blaͤttern
eines Romans, als Leſezeichen, lag, ſchwang ſie
um die Ohren ihres weißen Jagdhundes, der
leiſe knurrte, hob haſtig ihren Hut von der
Erde, ſetzte ihn keck aufs Lockenhaupt, ſah ein
paar mal wohlgefaͤllig in den Spiegel, und ſprach
ſtolz: Ich bin noch ſchoͤn! Aber ploͤtzlich, wie
von einem dunkeln Schmerzgefuͤhl durchſchauert,
blieb ſie ſinnend ſtehen, ſtreifte langſam ihren
weißen Handſchuh von der Hand, reichte ſie mir,
und meine Gedanken pfeilſchnell ertappend,
ſprach ſie: Nicht wahr, dieſe Hand iſt nicht mehr
ſo ſchoͤn, wie in Ramsgate? Mathilde hat unter¬
deſſen viel gelitten!
Lieber Leſer, man kann es den Glocken ſelten
anſehen, wo ſie einen Riß haben, und nur an
ihrem Tone merkt man ihn. Haͤtteſt du nun
den Klang der Stimme gehoͤrt, womit obige
Worte geſprochen wurden, ſo wuͤßteſt du gleich,
Myladys Herz iſt eine Glocke vom beſten Metall,
aber ein verborgener Riß daͤmpft wunderbar ihre
heiterſten Toͤne, und umſchleiert ſie gleichſam mit
heimlicher Trauer. Doch ich liebe ſolche Glocken,
ſie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen
Bruſt; und ich kuͤßte Myladys Hand faſt inniger
als ehemals, obgleich ſie minder vollbluͤhend war
und einige Adern, etwas allzublau hervortretend,
mir ebenfalls zu ſagen ſchienen: Mathilde hat
unterdeſſen viel gelitten.
Ihr Auge ſah mich an wie ein wehmuͤthig
einſamer Stern am herbſtlichen Himmel, und
weich und innig ſprach ſie: Sie ſcheinen mich
wenig mehr zu lieben, Doktor! Denn nur mit¬
leidig fiel eben Ihre Thraͤne auf meine Hand,
faſt wie ein Almoſen.
Wer heißt Sie die ſtumme Sprache meiner
Thraͤnen ſo duͤrftig ausdeuten? Ich wette,
der weiße Jagdhund, der ſich jetzt an Sie ſchmiegt,
verſteht mich beſſer; er ſchaut mich an, und dann
wieder Sie, und ſcheint ſich zu wundern, daß
die Menſchen, die ſtolzen Herren der Schoͤpfung,
innerlich ſo tief elend ſind. Ach, Mylady, nur
der verwandte Schmerz entlockt uns die Thraͤne,
und jeder weint eigentlich fuͤr ſich ſelbſt.
Genug, genug, Doktor. Es iſt wenigſtens
gut, daß wir Zeitgenoſſen ſind und in demſelben
Erdwinkel uns gefunden mit unſeren naͤrriſchen
Thraͤnen. Ach des Ungluͤcks ! wenn Sie vielleicht
zweyhundert Jahre fruͤher gelebt haͤtten, wie es
15
mir mit meinem Freunde Michael de Cervantes
Savedra begegnet, oder gar wenn Sie hundert
Jahre ſpaͤter auf die Welt gekommen waͤren als
ich, wie ein anderer intimer Freund von mir,
deſſen Namen ich nicht einmal weiß, eben weil
er ihn erſt bey ſeiner Geburt, Anno 1900, er¬
halten wird! Aber, erzaͤhlen Sie doch, wie
haben Sie gelebt ſeit wir uns nicht geſehen?
Ich trieb mein gewoͤhnliches Geſchaͤft, My¬
lady; ich rollte wieder den großen Stein. Wenn
ich ihn bis zur Haͤlfte des Berges gebracht, dann
rollte er ploͤtzlich hinunter, und ich mußte wieder
ſuchen ihn hinaufzurollen, — und dieſes Bergauf-
und Bergabrollen wird ſich ſo lange wiederholen,
bis ich ſelbſt unter dem großen Steine liegen
bleibe, und Meiſter Steinmetz mit großen Buch¬
ſtaben darauf ſchreibt: Hier ruht in Gott —
Bey Leibe, Doktor, Ich laſſe Ihnen noch
keine Ruhe — Seyn Sie nur nicht melan¬
choliſch! Lachen Sie, oder ich —
Nein, kitzeln Sie nicht; ich will lieber von
ſelbſt lachen.
So recht. Sie gefallen mir noch, eben
ſo gut wie in Ramsgate, wo wir uns zuerſt
nahe kamen —
Und endlich noch naͤher als nah. Ja, ich
will luſtig ſeyn. Es iſt gut, daß wir uns wieder¬
gefunden, und der große deutſche — wird ſich
wieder ein Vergnuͤgen daraus machen, ſein Leben
bey Ihnen zu wagen.
Myladys Augen lachten wie Sonnenſchein
nach leiſem Regenſchauer, und ihre gute Laune
brach wieder leuchtend hervor, als John her¬
eintrat, und mit dem ſteifſten Lakayen-Pathos
Seine Excellenz den Markeſe Chriſtophoro di
Gumpelino anmeldete.
Er ſey willkommen! Und Sie, Doktor, wer¬
den einen Pair unſeres Narrenreichs kennen
lernen. Stoßen Sie ſich nicht an ſein Aeußeres,
beſonders nicht an ſeine Naſe. Der Mann be¬
15 *
ſitzt vortreffliche Eigenſchaften, z. B. viel Geld,
geſunden Verſtand, und die Sucht alle Narr¬
heiten der Zeit in ſich aufzunehmen; dazu iſt er
in meine gruͤnaͤugige Freundin Julie Maxfield
verliebt und nennt ſie ſeine Julia und ſich ihren
Romeo, und deklamirt und ſeufzt — und Lord
Maxfield, der Schwager, dem die treue Julia
von ihrem Manne anvertraut worden, iſt ein Ar¬
gus —
Schon wollte ich bemerken, daß Argus eine
Kuh bewachte, als die Thuͤre ſich weit oͤffnete und,
zu meinem hoͤchſten Erſtaunen, mein alter Freund,
der Banquier Chriſtian Gumpel, mit ſeinem
wohlhabenden Laͤcheln und gottgefaͤlligem Bauche,
hereinwatſchelte. Nachdem ſeine glaͤnzenden breiten
Lippen ſich an Myladys Hand genugſam ge¬
ſcheuert und uͤbliche Geſundheitsfragen hervorge¬
brockt hatten, erkannte er auch mich — und in
die Arme ſanken ſich die Freunde.
Capitel II.
Mathildens Warnung, daß ich mich an die Naſe
des Mannes nicht ſtoßen ſolle, war hinlaͤnglich
gegruͤndet, und wenig fehlte, ſo haͤtte er mir
wirklich ein Auge damit ausgeſtochen. Ich will
nichts Schlimmes von dieſer Naſe ſagen; im
Gegentheil, ſie war von der edelſten Form, und
ſie eben berechtigte meinen Freund ſich wenigſtens
einen Markeſe-Titel beyzulegen. Man konnte es
ihm naͤmlich an der Naſe anſehen, daß er von
gutem Adel war, daß er von einer uralten Welt¬
familie abſtammte, womit ſich ſogar einſt der
liebe Gott, ohne Furcht vor Mesallianz, ver¬
ſchwaͤgert hat. Seitdem iſt dieſe Familie freylich
etwas heruntergekommen, ſo daß ſie ſeit Carl dem
Großen, meiſtens durch den Handel mit alten
Hoſen und hamburger Lotteriezetteln, ihre Sub¬
ſiſtenz erwerben mußte, ohne jedoch im mindeſten
von ihrem Ahnenſtolze abzulaſſen oder jemals die
Hoffnung aufzugeben, einſt wieder ihre alten
Guͤter, oder wenigſtens hinreichende Emigranten¬
Entſchaͤdigung zu erhalten, wenn ihr alter legi¬
timer Souverain ſein Reſtaurationsverſprechen
erfuͤllt, ein Verſprechen, womit er ſie ſchon zwey
Jahrtauſende an der Naſe herumgefuͤhrt. Sind
vielleicht ihre Naſen eben durch dieſes lange an
der Naſe Herumgefuͤhrtwerden, ſo lang gewor¬
den? Oder ſind dieſe langen Naſen eine
Art Uniform, woran der Gottkoͤnig Jehovah
ſeine alten Leibgardiſten erkennt, ſelbſt wenn ſie
deſertirt ſind? Der Markeſe Gumpelino war
ein ſolcher Deſerteur, aber er trug noch immer
ſeine Uniform, und ſie war ſehr brillant, beſaͤet
mit Kreuzchen und Sternchen von Rubinen,
einem rothen Adlerorden in Miniatur, und ande¬
ren Decorazionen.
Sehen Sie, ſagte Mylady, das iſt meine
Lieblingsnaſe, und ich kenne keine ſchoͤnere Blume
auf dieſer Erde.
Dieſe Blume, ſchmunzlaͤchelte Gumpelino,
kann ich Ihnen nicht an den ſchoͤnen Buſen legen,
ohne daß ich mein bluͤhendes Antlitz hinzulege, und
dieſe Beylage wuͤrde Sie vielleicht in der heutigen
Hitze etwas geniren. Aber ich bringe Ihnen
eine nicht minder koͤſtliche Blume, die hier ſelten
iſt —
Bey dieſen Worten oͤffnete der Markeſe die
fließpapierne Tuͤte, die er mitgebracht, und mit
langſamer Sorgfalt zog er daraus hervor eine
wunderſchoͤne Tulpe.
Kaum erblickte Mylady dieſe Blume, ſo ſchrie
ſie aus vollem Halſe: Morden! morden! wollen
Sie mich morden? Fort, fort mit dem ſchrecklichen
Anblick! Dabey gebehrdete ſie ſich, als wolle
man ſie umbringen, hielt ſich die Haͤnde vor die
Augen, rannte unſinnig im Zimmer umher,
verwuͤnſchte Gumpelinos Naſe und Tulpe, klin¬
gelte, ſtampfte den Boden, ſchlug den Hund mit
der Reitgerte, daß er laut aufbellte, und als
John hereintrat, rief ſie, wie Kean als Koͤnig
Richard:
Ein Pferd! ein Pferd!
Ein Koͤnigthum fuͤr ein Pferd!
und ſtuͤrmte, wie ein Wirbelwind, von dannen.
Eine kurioſe Frau! ſprach Gumpelino, vor
Erſtaunen bewegungslos und noch immer die
Tulpe in der Hand haltend, ſo daß er einem jener
Goͤtzenbilder glich, die mit Lotosblumen in den
Haͤnden, auf altindiſchen Denkmaͤlern zu ſchauen
ſind. Ich aber kannte die Dame und ihre Idio¬
ſynkraſie weit beſſer, mich ergoͤtzte dieſes Schau¬
ſpiel uͤber alle Maßen, ich oͤffnete das Fenſter
nndund rief: Mylady, was ſoll ich von Ihnen
denken? Iſt das Vernunft, Sitte — beſonders
iſt das Liebe?
Da lachte herauf die wilde Antwort:
Wenn ich zu Pferd bin, ſo will ich ſchwoͤren
Ich liebe Dich unendlich.
Capitel III.
Eine kurioſe Frau! wiederholte Gumpelino,
als wir uns auf den Weg machten ſeine beiden
Freundinnen, Signora Laͤtizia und Signora
Franſcheska, deren Bekanntſchaft er mir verſchaffen
wollte, zu beſuchen. Da die Wohnung dieſer
Damen auf einer etwas entfernten Anhoͤhe lag,
ſo erkannte ich um ſo dankbarer die Guͤte meines
wohlbeleibten Freundes, der das Bergſteigen
etwas beſchwerlich fand, und auf jedem Huͤgel
athemſchoͤpfend ſtehen blieb, und O Jeſu!
ſeufzte.
Die Wohnungen in den Baͤdern von Lukka
nemlich ſind entweder unten in einem Dorfe, das
von hohen Bergen umſchloſſen iſt, oder ſie liegen
auf einem dieſer Berge ſelbſt, unfern der Haupt¬
quelle, wo eine pittoreske Haͤuſergruppe in das
reitzende Thal hinabſchaut. Einige liegen aber
auch einzeln zerſtreut an den Bergesabhaͤngen,
und man muß muͤhſam hinaufklimmen durch
Weinreben, Myrtengeſtraͤuch, Geisblatt, Lorbeer¬
buͤſche, Oleander, Geranikum und andre vornehme
Blumen und Pflanzen, ein wildes Paradies.
Ich habe nie ein reizenderes Thal geſehen, be¬
ſonders wenn man von der Teraſſe des oberen
Bades, wo die ernſtgruͤnen Zypreſſen ſtehen, ins
Dorf hinabſchaut. Man ſieht dort die Bruͤcke,
die uͤber ein Fluͤßchen fuͤhrt, welches Lima heißt,
und das Dorf in zwey Theile durchſchneidend,
an beiden Enden in maͤßigen Waſſerfaͤllen, uͤber
Felſenſtuͤcke dahinſtuͤrzt, und ein Geraͤuſch her¬
vorbringt, als wolle es die angenehmſten Dinge
ſagen und koͤnne vor dem allſeitig plaudernden
Echo nicht zu Worten kommen.
Der Hauptzauber dieſes Thals liegt aber ge¬
wiß in dem Umſtand, daß es nicht zu groß iſt
und nicht zu klein, daß die Seele des Beſchauers
nicht gewaltſam erweitert wird, vielmehr ſich eben¬
maͤßig mit dem herrlichen Anblick fuͤllt, daß die
Haͤupter der Berge ſelbſt, wie die Appeninen
uͤberall, nicht abentheuerlich gothiſch erhaben mi߬
geſtaltet ſind, gleich den Bergkarikaturen, die wir
eben ſowohl wie die Menſchenkarikaturen, in
germaniſchen Laͤndern finden: ſondern, daß ihre
edelgeruͤndeten, heiter gruͤnen Formen faſt eine
Kunſtciviliſazion ausſprechen, und gar melodiſch
mit dem blaßblauen Himmel zuſammenklingen.
O Jeſu! aͤchzte Gumpelino, als wir, muͤhſamen
Steigens und von der Morgenſonne ſchon etwas
ſtark gewaͤrmt, oberwaͤhnte Zypreſſenhoͤhe erreich¬
ten, und, ins Dorf hinabſchauend, unſere engliſche
Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantiſches
Maͤhrchenbild, uͤber die Bruͤcke jagen, und eben ſo
traumſchnell wieder verſchwinden ſahen. O Jeſu!
welch eine kurioſe Frau, wiederholte einigemal
der Markeſe. In meinem gemeinen Leben iſt
mir noch keine ſolche Frau vorgekommen. Nur in
Comoͤdien findet man dergleichen, und ich glaube
z. B. die Holzbecher wuͤrde die Rolle gut ſpielen.
Sie hat etwas von einer Nixe. Was denken
Sie?
Ich denke, Sie haben Recht, Gumpelino.
Als ich mit ihr von London nach Rotterdam
fuhr, ſagte der Schiffskapitain, ſie gliche einer
mit Pfeffer beſtreuten Roſe. Zum Dank, fuͤr
dieſe pikante Vergleichung, ſchuͤttete ſie eine
ganze Pfefferbuͤchſe auf ſeinen Kopf aus, als ſie
ihn einmal in der Kajuͤte eingeſchlummert fand,
und man konnte ſich dem Manne nicht mehr
naͤhern ohne zu nieſen.
Eine kurioſe Frau! ſprach wieder Gumpelino.
So zart wie weiße Seide und eben ſo ſtark,
und ſitzt zu Pferde eben ſo gut wie ich. Wenn
ſie nur nicht ihre Geſundheit zu Grunde reitet.
Sahen Sie nicht eben den langen, magern Eng¬
laͤnder, der auf ſeinem magern Gaul, hinter ihr
herjagte, wie die galoppirende Schwindſucht?
Das Volk reitet zu leidenſchaftlich, giebt alles
Geld in der Welt fuͤr Pferde aus. Lady Max¬
fields Schimmel koſtet dreyhundert goldne, leben¬
dige Louisdore — ach! und die Louisdore ſtehen
ſo hoch und ſteigen noch taͤglich.
Ja, die Louisd'or werden noch ſo hoch ſtei¬
gen, daß ein armer Gelehrter, wie unſer einer,
ſie gar nicht mehr wird erreichen koͤnnen.
Sie haben keinen Begriff davon, Herr Doktor,
wie viel Geld ich ausgeben muß, und dabey be¬
helfe ich mich mit einem einzigen Bedienten,
und nur wenn ich in Rom bin, halte ich mir einen
Kapellan fuͤr meine Hauskapelle. Sehen Sie,
da kommt mein Hyazinth.
Die kleine Geſtalt, die in dieſem Augenblick
bey der WinduugWindung eines Huͤgels zum Vorſchein
kam, haͤtte vielmehr den Namen einer Feuerlilje
verdient. Es war ein ſchlotternd weiter Schar¬
lachrock, uͤberladen mit Goldtreſſen, die im Son¬
nenglanze ſtrahlten, und aus dieſer rothen Pracht
ſchwitzte ein Koͤpfchen hervor, das mir ſehr wohl¬
bekannt zunickte. Und wirklich, als ich das
blaͤßlich beſorgliche Geſichtchen und die geſchaͤftig
zwinkenden Aeuglein naͤher betrachtete, erkannte
ich jemanden, den ich eher auf dem Berg Sinai
als auf den Appeninen erwartet haͤtte, und das
war kein anderer als Herr Hirſch, Schutzbuͤrger
in Hamburg, ein Mann, der nicht bloß immer
ein ſehr ehrlicher Lotteriekollecteur geweſen, ſon¬
dern ſich auch auf Huͤhneraugen und Juwelen
verſteht, dergeſtalt, daß er erſtere von letzteren
nicht bloß zu unterſcheiden weiß, ſondern auch
die Huͤhneraugen ganz geſchickt auszuſchneiden
und die Juwelen ganz genau zu taxiren weiß.
Ich bin guter Hoffnung — ſprach er, als er
mir naͤher kam — daß Sie mich noch kennen, ob¬
gleich ich nicht mehr Hirſch heiße. Ich heiße jetzt
Hyazinth und bin der Kammerdiener des Herrn
Gumpel.
Hyacinth! rief dieſer, in ſtaunender Aufwal¬
lung uͤber die Indiskrezion des Dieners.
Seyn Sie nur ruhig, Herr Gumpel, oder
Herr Gumpelino, oder Herr Markeſe, oder Eure
Excellenza, wir brauchen uns gar nicht vor die¬
ſem Herrn zu geniren, der kennt mich, hat
manches Loos bey mir geſpielt, und ich moͤcht'
ſogar drauf ſchwoͤren, er iſt mir von der letzten
Renovirung noch ſieben Mark neun Schilling
ſchuldig — Ich freue mich wirklich, Herr Doktor,
Sie hier wieder zu ſehen. Haben Sie hier
ebenfalls Vergnuͤgungs-Geſchaͤfte? Was ſollte
man ſonſt hier thun, in dieſer Hitze, und wo
man noch dazu Bergauf und Bergab ſteigen muß.
Ich bin hier des Abends ſo muͤde, als waͤre ich
zwanzig mal vom Altonaer Thore nach dem
Steinthor gelaufen, ohne was dabey verdient zu
haben.
O Jeſu! — rief der Markeſe — ſchweig,
ſchweig! Ich ſchaffe mir einen andern Bedienten
an.
Warum ſchweigen? — verſetzte Hirſch Hya¬
zinthos — Iſt es mir doch lieb, wenn ich mal
wieder gutes Deutſch ſprechen kann mit einem
Geſichte, das ich ſchon einmal in Hamburg geſehen,
und denke ich an Hamburg —
Hier, bey der Erinnerung an ſein kleines
Stiefvaterlaͤndchen, wurden des Mannes Aeuglein
flimmernd feucht, und ſeufzend ſprach er: Was
iſt der Menſch! Man geht vergnuͤgt vor dem
Altonaer Thore, auf dem Hamburger Berg,
ſpatzieren, und beſieht dort die Merkwuͤrdigkeiten,
die Loͤwen, die Gevoͤgel, die Papagoyim, die Affen,
die ausgezeichneten Menſchen, und man laͤßt ſich
Carouſſel fahren oder elektriſiren, und man denkt
was wuͤrde ich erſt fuͤr Vergnuͤgen haben an
einem Orte, der noch zweyhundert Meilen von
Hamburg weiter entfernt iſt, in dem Lande wo
die Zitronen und Orangen wachſen, in Italien!
Was iſt der Menſch! Iſt er vor dem Altonaer
Thore, ſo moͤchte er gern in Italien ſeyn, und
iſt er in Italien, ſo moͤchte er wieder vor dem
Altonaer Thore ſeyn! Ach ſtaͤnde ich dort wieder
und ſaͤhe wieder den Michaelisthurm, und oben
daran die Uhr mit den großen goldnen Zahlen
auf dem Zifferblatt, die großen goldnen Zahlen,
die ich ſo oft des Nachmittags betrachtete, wenn
ſie ſo freundlich in der Sonne glaͤnzten — ich
haͤtte ſie oft kuͤſſen moͤgen. Ach, ich bin jetzt in
Italien, wo die Zitronen und Orangen wachſen;
wenn ich aber die Zitronen und Orangen wachſen
ſehe, ſo denk' ich an den Steinweg zu Hamburg,
wo ſie, ganzer Karren voll, gemaͤchlich aufgeſtapelt
liegen, und wo man ſie ruhig genießen kann, ohne
daß man noͤthig hat ſo viele Gefahr-Berge zu be¬
ſteigen und ſo viel Hitzwaͤrme auszuſtehen. So
wahr mir Gott helfe, Herr Markeſe, wenn ich
es nicht der Ehre wegen gethan haͤtte und wegen
der Bildung, ſo waͤre ich Ihnen nicht hierher
gefolgt. Aber das muß man Ihnen nachſagen,
man hat Ehre bey Ihnen und bildet ſich.
Hyazinth! — ſprach jetzt Gumpelino, der durch
dieſe Schmeicheley etwas beſaͤnftigt worden, —
Hyazinth geh jetzt zu —
Ich weiß ſchon —
Du weißt nicht, ſage ich dir, Hyacinth —
Ich ſag' Ihnen, Herr Gumpel, ich weiß. Ew.
Excellenz ſchicken mich jetzt zu der Lady Maxfield —
Mir braucht man gar nichts zu ſagen. Ich weiß
Ihre Gedanken, die Sie noch gar nicht gedacht,
und vielleicht Ihr Lebtag gar nicht denken wer¬
den. Einen Bedienten wie mich, bekommen Sie
nicht ſo leicht — und ich thu es der Ehre wegen,
und der Bildung wegen, und wirklich, man hat
Ehre bei Ihnen und bildet ſich — Bei dieſem
Worte putzte er ſich die Naſe mit einem ſehr
weißen Taſchentuche.
16 *
Hyazinth, ſprach der Markeſe, du gehſt jetzt
zu der Lady Julie Maxfield, zu meiner Julia,
und bringſt ihr dieſe Tulpe — nimm ſie in Acht,
denn ſie koſtet fuͤnf Paoli — und ſagſt ihr —
Ich weiß ſchon —
Du weißt nichts. Sag' ihr: die Tulpe iſt
unter den Blumen —
Ich weiß ſchon. Sie wollen Ihr etwas durch
die Blume ſagen. Ich habe fuͤr ſo manches
Lotterieloos in meiner Collecte ſelbſt eine Deviſe
gemacht —
Ich ſage dir, Hyacinth, ich will kein Deviſe
von dir. Bringe dieſe Blume an Lady Maxfield,
und ſage ihr:
Die Tulpe iſt unter den Blumen
Was unter den Kaͤſen der Strachino;
Doch mehr als Blumen und Kaͤſe
Verehrt Dich Gumpelino!
So wahr mir Gott alles Gut's gebe, das
iſt gut! — rief Hyacinth — Winken Sie mir
nicht, Herr Markeſe, was Sie wiſſen, das weiß
ich, und was ich weiß, das wiſſen Sie. Und
Sie, Herr Doktor, leben Sie wohl! Um die
Kleinigkeit mahne ich Sie nicht. — Bey dieſen
Worten ſtieg er den Huͤgel wieder hinab, und
murmelte beſtaͤndig: Gumpelino Strachino —
Strachino Gumpelino —
Es iſt ein treuer Menſch — ſagte der Mar¬
keſe — ſonſt haͤtte ich ihn laͤngſt abgeſchafft, wegen
ſeines Mangels an Etikette. Vor Ihnen hat das
nichts zu bedeuten. Sie verſtehen mich. Wie gefaͤllt
Ihnen ſeine Livree? Es ſind noch fuͤr vierzig
Thaler mehr Treſſen dran als an der Livree von
Rothſchild's Bedienten. Ich habe innerlich
mein Vergnuͤgen, wie ſich der Menſch bey mir
perfekzionirt. Dann und wann gebe ich ihm
ſelbſt Unterricht in der Bildung. Ich ſage ihm
oft: Was iſt Geld? Geld iſt rund und rollt weg,
aber Bildung bleibt. Ja, Herr Doktor, wenn
ich, was Gott verhuͤte, mein Geld verliere,
ſo bin ich doch noch immer ein großer Kunſtken¬
ner, ein Kenner von Malerey, Muſik und Poeſie.
Sie ſollen mir die Augen zubinden und mich in
der Gallerie zu Florenz herumfuͤhren, und bey
jedem Gemaͤlde, vor welches Sie mich hinſtellen,
will ich Ihnen den Maler nennen, der es ge¬
malt hat, oder wenigſtens die Schule, wozu
dieſer Maler gehoͤrt. Muſik? Verſtopfen Sie
mir die Ohren und ich hoͤre doch jede falſche
Note. Poeſie? Ich kenne alle Schauſpielerinnen
Deutſchlands und die Dichter weiß ich aus¬
wendig. Und gar Natur! Ich bin zwey hun¬
dert Meilen gereiſt, Tag und Nacht durch,
um in Schottland einen einzigen Berg zu ſehen.
Italien aber geht uͤber alles. Wie gefaͤllt Ihnen
hier dieſe Naturgegend? Welche Schoͤpfung!
Sehen Sie mal die Baͤume, die Berge, den
Himmel, da unten das Waſſer — iſt nicht alles
wie gemalt? Haben Sie es je im Theater ſchoͤner
geſehen? Man wird ſo zu ſagen ein Dichter!
Verſe kommen einem in den Sinn und man
weiß nicht woher: —
Schweigend, in der Abenddaͤmmrung Schleyer
Ruht die Flur, das Lied der Haine ſtirbt;
Nur daß hier, im alternden Gemaͤuer
Melancholiſch noch ein Heimchen zirpt.
Dieſe erhabenen Worte deklamirte der Mar¬
keſe mit uͤbelſchwellender Ruͤhrung, indem er, wie
verklaͤrt, in das lachende, morgenhelle Thal hin¬
abſchaute.
Capitel IV.
Als ich einſt an einem ſchoͤnen Fruͤhlingstage
unter den Berliner Linden ſpatzieren ging, wan¬
delten vor mir zwey Frauenzimmer, die lange
ſchwiegen, bis endlich die Eine ſchmachtend auf¬
ſeufzte: ach, die jrine Beeme! Worauf die Andre,
ein junges Ding, mit naiver Verwundrung fragte:
Mutter, was gehn Ihnen die jrine Beeme an?
Ich kann nicht umhin zu bemerken, daß beide
Perſonen zwar nicht in Seide gekleidet gingen,
jedoch keineswegs zum Poͤbel gehoͤrten, wie es
denn uͤberhaupt in Berlin keinen Poͤbel giebt,
außer etwa in den hoͤchſten Staͤnden. Was aber
jene naive Frage ſelbſt betrifft, ſo kommt ſie mir
nie aus dem Gedaͤchtniſſe. Ueberall, wo ich un¬
wahre Naturempfindung und dergleichen gruͤne
Luͤgen ertappe, lacht ſie mir ergoͤtzlich durch den
Sinn. Auch bey der Deklamazion des Markeſe
wurde ſie in mir laut, und den Spott auf meinen
Lippen errathend, rief er verdrießlich: Stoͤren
Sie mich nicht — Sie haben keinen Sinn fuͤr
reine Natuͤrlichkeit — Sie ſind ein zerriſſener
Menſch, ein zerriſſenes Gemuͤth, ſo zu ſagen,
ein Byron.
Lieber Leſer, gehoͤrſt Du vielleicht zu jenen
frommen Voͤgeln, die da einſtimmen in das Lied
von byroniſcher Zerriſſenheit, das mir ſchon ſeit
zehn Jahren, in allen Weiſen, vorgepfiffen und
vorgezwitſchert worden, und ſogar im Schaͤdel
des Markeſe, wie Du oben gehoͤrt haſt, ſein
Echo gefunden? Ach, theurer Leſer, wenn Du
uͤber jene Zerriſſenheit klagen willſt, ſo beklage
lieber, daß die Welt ſelbſt mitten entzwey ge¬
riſſen iſt. Denn da das Herz des Dichters der
Mittelpunkt der Welt iſt, ſo mußte es wohl in
jetziger Zeit jaͤmmerlich zerriſſen werden. Wer
von ſeinem Herzen ruͤhmt, es ſey ganz geblieben,
der geſteht nur, daß er ein proſaiſches weitabge¬
legenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging
aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß
ich, daß die großen Goͤtter mich vor vielen Anderen
hochbegnadigt und des Dichtermaͤrtyrthums wuͤr¬
dig geachtet haben.
Einſt war die Welt ganz, im Alterthum und
im Mittelalter, trotz der aͤußeren Kaͤmpfe gab's
doch noch immer eine Welteinheit, und es gab
ganze Dichter. Wir wollen dieſe Dichter ehren
und uns an ihnen erfreuen; aber jede Nach¬
ahmung ihrer Ganzheit iſt eine Luͤge, eine Luͤge,
die jedes geſunde Auge durchſchaut und die dem
Hohne dann nicht entgeht. Juͤngſt, mit vieler
Muͤhe, verſchaffte ich mir in Berlin die Gedichte
eines jener Ganzheitdichter, der uͤber meine
byroniſche Zerriſſenheit ſo ſehr geklagt, und bey
den erlogenen Gruͤnlichkeiten, den zarten Natur¬
gefuͤhlen, die mir da, wie friſches Heu, ent¬
gegendufteten, waͤre mein armes Herz, das ſchon
hinlaͤnglich zerriſſen iſt, faſt auch vor Lachen ge¬
borſten, und unwillkuͤrlich rief ich: Mein lieber
Herr Intendanturrath Wilhelm Neumann, was
gehn Ihnen die jrine Beeme an?
Sie ſind ein zerriſſener Menſch, ſo zu ſagen
ein Byron — wiederholte der Markeſe, ſah noch
immer verklaͤrt hinab ins Thal, ſchnaltzte zuweilen
mit der Zunge am Gaumen vor andaͤchtiger Be¬
wunderung — Gott! Gott! Alles wie gemalt!
Armer Byron! ſolches ruhige Genießen war
Dir verſagt! War dein Herz ſo verdorben, daß
du die Natur nur ſehen, ja ſogar ſchildern, aber
nicht von ihr beſeligt werden konnteſt? Oder
hat Biſhy Shelley Recht, wenn er ſagt: du
habeſt die Natur in ihrer keuſchen Nacktheit be¬
lauſcht und wurdeſt deshalb, wie Aktaͤon, von ihren
Hunden zerriſſen!
Genug davon; wir kommen zu einem beſſeren
Gegenſtande, nemlich zu Signora Laetizia's und
Franſcheska's Wohnung, einem kleinen weißen
Gebaͤude, das gleichſam noch im Negligé zu ſeyn
ſcheint, und vorn zwey große runde Fenſter hat,
vor welchem die hochaufgezogenen Weinſtoͤcke ihre
langen Ranken herabhaͤngen laſſen, daß es ausſieht
als fielen gruͤne Haare, in lockiger Fuͤlle, uͤber
die Augen des Hauſes. An der Thuͤre ſchon
klingt es uns bunt entgegen, wirbelnde Triller,
Guitarrentoͤne und Gelaͤchter.
Capitel V.
Signora Laetizia, eine funfzigjaͤhrige junge
Roſe, lag im Bette und trillerte und ſchwatzte
mit ihren beiden Galans, wovon der eine auf
einem niedrigen Schemel vor ihr ſaß und der
andre, in einem großen Seſſel lehnend, die
Guitarre ſpielte. Im Nebenzimmer flatterten
dann und wann ebenfalls die Fetzen eines ſuͤßen
Liedes oder eines noch wunderſuͤßeren Lachens.
Mit einer gewiſſen wohlfeilen Ironie, die den
Markeſe zuweilen anwandelte, praͤſentirte er mich
der Signora und den beiden Herren, und be¬
merkte dabey: ich ſey derſelbe Johann Heinrich
Heine, Doktor Juris, der jetzt in der deutſchen
juriſtiſchen Litteratur beruͤhmt ſey. Zum Ungluͤck
war der eine Herr ein Profeſſor aus Bologna,
und zwar ein Juriſt, obgleich ſein wohlgewoͤlb¬
ter, runder Bauch ihn eher zu einer Anſtellung
bey der ſphaͤriſchen TrionometrieTrigonometrie zu qualifiziren
ſchien. Einigermaßen in Verlegenheit geſetzt, be¬
merkte ich, daß ich nicht unter meinem eigenen
Namen ſchriebe, ſondern unter dem Namen
Jarke; und das ſagte ich aus Beſcheidenheit,
indem mir zufaͤllig einer der wehmuͤthigſten In¬
ſektennamen unſerer juriſtiſchen Litteratur ins
Gedaͤchtniß kam. Der Bologneſer beklagte zwar,
dieſen beruͤhmten Namen noch nicht gehoͤrt zu
haben — welches auch bey dir, lieber Leſer,
der Fall ſeyn wird — doch zweifelte er nicht,
daß er bald ſeinen Glanz uͤber die ganze Erde
verbreiten werde. Dabey lehnte er ſich zuruͤck
in ſeinem Seſſel, griff einige Akkorde auf der
Guitarre und ſang aus Axur:
O maͤchtiger Brama!
Ach laß Dir das Lallen
Der Unſchuld gefallen,
Das Lallen, das Lallen —
Wie ein lieblich neckendes Nachtigall-Echo
ſchmetterte im Nebenzimmer eine aͤhnliche Me¬
lodie. Signora Laetizia aber trillerte dazwi¬
ſchen im feinſten Diskant:
Dir allein gluͤht dieſe Wange,
Dir nur klopfen dieſe Pulſe;
Voll von ſuͤßem Liebesdrange
Hebt mein Herz ſich dir allein!
Und mit der fettigſten Proſaſtimme ſetzte ſie
hinzu: Bartolo, gieb mir den Spucknapf.
Von ſeinem niedern Baͤnkchen erhob ſich jetzt
Bartolo mit ſeinen duͤrren hoͤlzernen Beinen, und
praͤſentirte ehrerbietig einen etwas unreinlichen
Napf von blauem Porzelan.
Dieſer zweite Galan, wie mir Gumpelino
auf deutſch zufluͤſterte, war ein ſehr beruͤhmter
Dichter, deſſen Lieder, obgleich er ſie ſchon vor
zwanzig Jahren gedichtet, noch jetzt in ganz
Italien klingen, und mit der ſuͤßen Liebesgluth,
die in ihnen flammt, Alt und Jung berauſchen; —
derweilen er ſelbſt jetzt nur ein armer, veralteter
Menſch iſt, mit blaſſen Augen im welken Ge¬
ſichte, duͤnnen weißen Haͤrchen auf dem ſchwan¬
kenden Kopfe, und kalter Armuth im kuͤmmer¬
lichen Herzen. So ein armer, alter Dichter mit
ſeiner kahlen Hoͤlzernheit, gleicht den Weinſtoͤcken,
die wir im Winter, auf den kalten Bergen ſtehen
ſehen, duͤrr und laublos, im Winde zitternd und
von Schnee bedeckt, waͤhrend der ſuͤße Mooſt,
der ihnen einſt entquoll, in den fernſten Landen gar
manches Zecherherz erwaͤrmt und zu ihrem Lobe
berauſcht. Wer weiß, wenn einſt die Kelter der
Gedanken, die Druckerpreſſe, auch mich ausge¬
preßt hat, und nur noch im Verlagskeller von
Hoffmann und Campe der alte, abgezapfte Geiſt
zu finden iſt, ſitze ich ſelbſt vielleicht eben ſo
duͤnn und kuͤmmerlich, wie der arme Bartolo,
auf dem Schemel neben dem Bette einer alten
Inamorata, und reiche ihr auf Verlangen den
Napf des Spuckes.
Signora Laetizia entſchuldigte ſich bey mir,
daß ſie zu Bette liege und zwar baͤuchlings, in¬
dem ein Geſchwuͤr an der Legitimitaͤt, das ſie
ſich durch vieles Feigen-Eſſen zugezogen, ſie jetzt
hindere, wie es einer ordentlichen Frau zieme,
auf dem Ruͤcken zu liegen. Sie lag wirklich
ungefaͤhr wie eine Sphinx; ihr hochfriſirtes
Haupt ſtaͤmmte ſie auf ihre beiden Arme, und
zwiſchen dieſen wogte ihr Buſen wie ein rothes
Meer.
Sie ſind ein Deutſcher? frug ſie mich.
Ich bin zu ehrlich, es zu laͤugnen, Sig¬
nora! entgegnete meine Wenigkeit.
Ach, ehrlich genug ſind die Deutſchen! — ſeufzte
ſie — aber was hilft es, daß die Leute ehrlich ſind,
die uns berauben! ſie richten Italien zu Grunde.
17
Meine beſten Freunde ſitzen eingekerkert in Mi¬
lano; nur Sklaverey —
Nein, nein, rief der Markeſe, beklagen Sie
ſich nicht uͤber die Deutſchen, wir ſind uͤberwun¬
dene Ueberwinder, beſiegte Sieger, ſobald wir
nach Italien kommen; und Sie ſehen Signora,
Sie ſehen und Ihnen zu Fuͤßen fallen, iſt das¬
ſelbe — Und indem er ſein gelbſeidenes Taſchen¬
tuch ausbreitete und darauf niederkniete, ſetzte er
hinzu: Hier kniee ich und huldige Ihnen im
Namen von ganz Deutſchland.
Chriſtophoro di Gumpelino! — ſeufzte Sig¬
nora tiefgeruͤhrt und ſchmachtend — ſtehen Sie
auf und umarmen Sie mich!
Damit aber der holde Schaͤfer nicht die Friſur
und die Schminke ſeiner Geliebten verduͤrbe,
kuͤßte Sie ihn nicht auf die gluͤhenden Lippen,
ſondern auf die holde Stirne, ſo daß ſein Ge¬
ſicht tiefer hinabreichte, und das Steuer deſſelben,
die Naſe, im rothen Meere herumruderte.
Signor Bartolo! rief ich, erlauben Sie mir,
daß auch ich mich des Spucknapfes bediene.
Wehmuͤthig laͤchelte Signor Bartolo, ſprach
aber kein einziges Wort, obgleich er, naͤchſt
Mezzophante, fuͤr den beſten Sprachlehrer in Bo¬
logna gilt. Wir ſprechen nicht gern, wenn Sprechen
unſre Profeſſion iſt. Er diente der Signora als ein
ſtummer Ritter, und nur dann und wann mußte
er das Gedicht rezitiren, das er ihr vor fuͤnf und
zwanzig Jahren aufs Theater geworfen, als ſie
zuerſt in Bologna, in der Rolle der Ariadne,
auftrat. Er ſelbſt mag zu jener Zeit wohlbe¬
laubt und gluͤhend geweſen ſeyn, vielleicht aͤhnlich
dem heiligen Dionyſos ſelbſt, und ſeine Laetizia¬
Ariadne ſtuͤrzte ihm gewiß bachantiſch in die
bluͤhenden Arme — Evoe Bacche! Er dichtete
damals noch viele Liebesgedichte, die, wie ſchon
erwaͤhnt, ſich in der italieniſchen Litteratur erhal¬
ten haben, nachdem der Dichter und die Geliebte
ſelbſt ſchon laͤngſt zu Makulatur geworden.
17 *
Fuͤnf und zwanzig Jahre hat ſich ſeine Treue
bereits bewaͤhrt, und ich denke, er wird auch bis
an ſein ſeliges Ende auf dem Schemel ſitzen,
und auf Verlangen ſeine Verſe rezitiren oder den
Spucknapf reichen. Der Profeſſor der Juris¬
prudenz ſchleppt ſich faſt eben ſo lange ſchon in
den Liebesfeſſeln der Signora, er macht ihr noch
immer ſo eifrig die Cour wie im Anfang dieſes
Jahrhunderts, er muß noch immer ſeine aka¬
demiſchen Vorleſungen unbarmherzig vertagen,
wenn ſie ſeine Begleitung nach irgend einem Orte
verlangt, und er iſt noch immer belaſtet mit
allen Servituten eines aͤchten Patito.
Die treue Ausdauer dieſer beiden Anbeter
einer laͤngſt ruinirten Schoͤnheit, mag vielleicht
Gewohnheit ſeyn, vielleicht Pietas gegen fruͤhere
Gefuͤhle, vielleicht nur das Gefuͤhl ſelbſt, das
ſich von der jetzigen Beſchaffenheit ſeines ehe¬
maligen Gegenſtandes ganz unabhaͤngig gemacht
hat, und dieſen nur noch mit den Augen der
Erinnerung betrachtet. So ſehen wir oft alte
Leute an einer Straßenecke, in katholiſchen Staͤd¬
ten, vor einem Madonnenbilde knieen, das ſo
verblaßt und verwittert iſt, daß nur noch wenige
Spuren und Geſichtsumriſſe davon uͤbrig geblie¬
ben ſind, ja, daß man dort vielleicht nichts mehr
ſieht als die Niſche, worin es gemalt ſtand, und
die Lampe, die etwa noch daruͤber haͤngt; aber
die alten Leute, die, mit dem Roſenkranz in den
zitternden Haͤnden, dort ſo andaͤchtig knieen, haben
ſchon ſeit ihren Jugendjahren dort gekniet, Ge¬
wohnheit treibt ſie immer, um dieſelbe Stunde,
zu demſelben Fleck, ſie merkten nicht das Er¬
loͤſchen des geliebten Heiligenbildes, und am Ende
macht das Alter ja doch ſo ſchwachſichtig und
blind, daß es ganz gleichguͤltig ſeyn mag, ob der
Gegenſtand unſerer Anbetung uͤberhaupt noch
ſichtbar iſt oder nicht. Die da glauben ohne zu
ſehen ſind auf jeden Fall gluͤcklicher als die
Scharfaͤugigen, die jede hervorbluͤhende Runzel
auf dem Antlitz ihrer Madonnen gleich bemerken.
Nichts iſt ſchrecklicher als ſolche Bemerkungen!
Einſt freylich, glaubte ich, die Treuloſigkeit der
Frauen ſey das Schrecklichſte, und um dann das
Schrecklichſte zu ſagen, nannte ich ſie Schlangen.
Aber, ach! jetzt weiß ich, das Schrecklichſte iſt, daß
ſie nicht ganz Schlangen ſind; denn die Schlan¬
gen koͤnnen jedes Jahr die alte Haut von ſich
abſtreifen und neugehaͤutet ſich verjuͤngen.
Ob einer von den beiden antiken Seladons
daruͤber eiferſuͤchtig war, daß der Markeſe, oder
vielmehr deſſen Naſe, oberwaͤhntermaßen in Wonne
ſchwamm, das konnte ich nicht bemerken. Bar¬
tolo ſaß gemuͤthsruhig auf ſeinem Baͤnkchen, die
Beinſtoͤckchen uͤber einander geſchlagen, nndund ſpielte
mit Signoras Schooßhuͤndchen, einem jener huͤb¬
ſchen Thierchen, die in Bologna zu Hauſe ſind
und die man auch bey uns unter dem Namen
Bologneſer kennt. Der Profeſſor ließ ſich
durchaus nicht ſtoͤren in ſeinem Geſange, den
zuweilen die kichernd ſuͤßen Toͤne im Nebenzim¬
mer parodiſtiſch uͤberjubelten; dann und wann
unterbrach er auch ſelbſt ſeinen Singſang, um
mich mit juriſtiſchen Fragen zu behelligen. Wenn
wir in unſerem Urtheil nicht uͤbereinſtimmten,
griff er haſtige Akkorde und klimperte Bewei߬
ſtellen. Ich aber unterſtuͤtzte meine Meinung
immer durch die Autoritaͤt meines Lehrers, des
großen Hugo, der in Bologna unter dem Namen
Ugone, auch Ugolino, ſehr beruͤhmt iſt.
Ein großer Mann! rief der Profeſſor und
klimperte dabey und ſang:
Seiner Stimme ſanfter Ruf
Toͤnt noch tief in deiner Bruſt,
Und die Qual, die ſie dir ſchuf,
Iſt Entzuͤcken, ſuͤße Luſt.
Auch Thibaut, den die Italiener Tibaldo
nennen, wird in Bologna ſehr geehrt; doch kennt
man dort nicht ſowohl die Schriften jener Maͤn¬
ner, als vielmehr ihre Hauptanſichten und deren
Gegenſatz. Gans und Savigny fand ich eben¬
falls nur dem Namen nach bekannt. Letzteren
hielt der Profeſſor fuͤr ein gelehrtes Frauen¬
zimmer.
So, ſo — ſprach er, als ich ihn aus dieſem
leichtverzeihlichen Irrthum zog — wirklich kein
Frauenzimmer. Man hat mir alſo falſch be¬
richtet. Man ſagte mir ſogar, der Signor Gans
habe dieſes Frauenzimmer einſt, auf einem Balle,
zum Tanze aufgefordert, habe einen Refuͤs be¬
kommen, und daraus ſey eine literaͤriſche Feind¬
ſchaft entſtanden.
Man hat Ihnen in der That falſch berichtet,
der Signor Gans tanzt gar nicht, ſchon aus dem
menſchenfreundlichen Grunde, damit nicht ein
Erdbeben entſtehe. Jene Aufforderung zum Tanze
iſt wahrſcheinlich eine mißverſtandene Allegorie.
Die hiſtoriſche Schule und die philoſophiſche
werden als Taͤnzer gedacht, und in ſolchem Sinne
denkt man ſich vielleicht eine Quadrille von Ugone,
Tibaldo, Gans und Savigny. Und vielleicht in
ſolchem Sinne, ſagt man, daß Signor Ugone,
obgleich er der Diable boiteux der Jurisprudenz
iſt, doch ſo zierliche Pas tanze wie die Lemiere,
und daß Signor Gans, in der neueſten Zeit,
einige große Spruͤnge verſucht, die ihn zum
Hoguet der philoſophiſchen Schule gemacht
haben.
Der Signor Gans — verbeſſerte ſich der
Profeſſor — tanzt alſo bloß allegoriſch, ſo zu
ſagen metaphoriſch — Doch ploͤtzlich, ſtatt weiter
zu ſprechen, griff er wieder in die Saiten der
Guitarre, und bey dem tollſten Geklimper ſang
er wie toll:
Es iſt wahr, ſein theurer Name
Iſt die Wonne aller Herzen.
Stuͤrmen laut des Meeres Wogen,
Droht der Himmel ſchwarz umzogen,
Hoͤrt man ſtets Tarar nur rufen,
Gleich als beugten Erd' und Himmel
Vor des Helden Namen ſich.
Von Herrn Goͤſchen wußte der Profeſſor nicht
einmal, daß er exiſtire. Dies aber hatte ſeine
natuͤrlichen Gruͤnde, indem der Ruhm des großen
Goͤſchen noch nicht bis Bologna gedrungen iſt,
ſondern erſt bis Poggio, welches noch vier deutſche
Meilen davon entfernt iſt, und wo er ſich zum
Vergnuͤgen noch einige Zeit aufhalten wird. —
Goͤttingen ſelbſt iſt in Bologna lange nicht ſo
bekannt, wie man ſchon, der Dankbarkeit wegen,
erwarten duͤrfte, indem es ſich das deutſche Bo¬
logna zu nennen pflegt. Ob dieſe Benennung
treffend iſt, will ich nicht unterſuchen; auf jeden
Fall aber unterſcheiden ſich beide Univerſitaͤten
durch den einfachen Umſtand, daß in Bologna
die kleinſten Hunde und die groͤßten Gelehrten,
in Goͤttingen hingegen die kleinſten Gelehrten
und die groͤßten Hunde zu finden ſind.
Capitel VI.
Als der Markeſe Chriſtophoro di Gumpelino
ſeine Naſe hervorzog aus dem rothen Meere,
wie weiland Koͤnig Pharao, da glaͤnzte ſein Ant¬
litz in ſchwitzender Selbſtwonne. Tief geruͤhrt
gab er Signoren das Verſprechen, ſie, ſobald
ſie wieder ſitzen koͤnne, in ſeinem eignen Wagen
nach Bologna zu bringen. Nun wurde verab¬
redet, daß alsdann der Profeſſor vorausreiſen,
Bartolo hingegen im Wagen des Markeſe mit¬
fahren ſolle, wo er ſehr gut auf dem Bock ſitzen
und das Huͤndchen im Schooße halten koͤnne,
und daß man endlich in vierzehn Tagen zu Flo¬
renz eintreffen wolle, wo Signora Franſcheska,
die mit Milady nach Piſa reiſe, unterdeſſen eben¬
falls zuruͤckgekehrt ſeyn wuͤrde. Waͤhrend der
Markeſe an den Fingern die Koſten berechnete,
ſummte er vor ſich hin di tanti palpiti. Sig¬
nora ſchlug dazwiſchen die lauteſten Triller, und
der Profeſſor ſtuͤrmte in die Saiten der Guitarre
und ſang dabey ſo gluͤhende Worte, daß ihm
die Schweißtropfen von der Stirne und die
Thraͤnen aus den Augen liefen, und ſich auf
ſeinem rothen Geſichte zu einem einzigen Strome
vereinigten. Waͤhrend dieſes Singens und Klin¬
gens ward ploͤtzlich die Thuͤre des Nebenzimmers
aufgeriſſen und herein ſprang ein Weſen —
Euch, Ihr Muſen der alten und der neuen
Welt, Euch ſogar Ihr noch unentdeckten Muſen,
die erſt ein ſpaͤteres Geſchlecht verehren wird,
und die ich ſchon laͤngſt geahnet habe, im Walde
und auf dem Meere, Euch beſchwoͤr' ich, gebt mir
Farben, womit ich das Weſen male, das naͤchſt
der Tugend das Herrlichſte iſt auf dieſer Welt.
Die Tugend, das verſteht ſich von ſelbſt, iſt die
erſte von allen Herrlichkeiten, der Weltſchoͤpfer
ſchmuͤckte ſie mit ſo vielen Reizen, daß es ſchien,
als ob er nichts eben ſo Herrliches mehr hervor¬
bringen koͤnne; da aber nahm er noch einmal
alle ſeine Kraͤfte zuſammen, und in einer guten
Stunde ſchuf er Signora Franſcheska, die ſchoͤne
Taͤnzerin, das groͤßte Meiſterſtuͤck, das er nach
Erſchaffung der Tugend hervorgebracht, und wo¬
bey er ſich nicht im mindeſten wiederholt hat,
wie irdiſche Meiſter, bey deren ſpaͤteren Werken
die Reize der fruͤheren wieder geborgterweiſe
zum Vorſchein kommen — Nein, Signora Fran¬
ſcheska iſt ganz Original, ſie hat nicht die min¬
deſte Aehnlichkeit mit der Tugend, und es giebt
Kenner, die ſie fuͤr eben ſo herrlich halten, und
der Tugend, die fruͤher erſchaffen worden, nur
den Vorrang der Anciennitaͤt zuerkennen. Aber
iſt das ein großer Mangel, wenn eine Taͤnzerin
einige ſechstauſend Jahre zu jung iſt?
Ach, ich ſehe ſie wieder, wie ſie, aus der
aufgeſtoßenen Thuͤre bis zur Mitte des Zimmers
hervorſpringt, in demſelben Momente ſich unzaͤhlige
Mal auf einem Fuße herumdreht, ſich dann der
Laͤnge nach auf das Sopha hinwirft, ſich die Augen
mit beiden Haͤnden verdeckt haͤithaͤlt, und athemlos
ausruft: ach, ich bin ſo muͤde vom Schlafen!
Nun naht ſich der Markeſe und haͤlt eine lange
Rede, in ſeiner ironiſch breit ehrerbietigen Ma¬
nier, die mit ſeinem kurzabbrechenden Weſen, bey
praktiſchen Geſchaͤftserinnerungen, und mit ſeiner
faden Zerfloſſenheit, bey ſentimentaler Anre¬
gung, gar raͤthſelhaft kontraſtirte. Dennoch war
dieſe Manier nicht unnatuͤrlich, ſie hatte ſich viel¬
leicht dadurch natuͤrlich in ihm ausgebildet, daß es
ihm an Kuͤhnheit fehlte, jene Obmacht, wozu er ſich
durch Geld und Geiſt berechtigt glaubte, unumwun¬
den kund zu geben, weshalb er ſie feigerweiſe in die
Worte der uͤbertriebenſten Demuth zu verkappen
ſuchte. Sein breites Laͤcheln bey ſolchen Gelegenhei¬
ten hatte etwas unangenehm Ergoͤtzliches, und man
wußte nicht, ob man ihm Pruͤgel oder Beyfall
zollen ſollte. In ſolcher Weiſe hielt er ſeine
Morgenrede vor Signora Franſcheska, die, noch
halb ſchlaͤfrig, ihn kaum anhoͤrte, und als er
zum Schluß um die Erlaubniß bat, ihr die Fuͤße,
wenigſtens den linken Fuß, kuͤſſen zu duͤrfen,
und zu dieſem Geſchaͤfte, mit großer Sorgfalt,
ſein gelbſeidnes Taſchentuch uͤber den Fußboden
ausbreitete und darauf niederkniete: ſtreckte ſie ihm
gleichguͤltig den linken Fuß entgegen, der in
einem allerliebſten rothen Schuh ſteckte, im Ge¬
genſatz zu dem rechten Fuße, der einen blauen
Schuh trug, eine drollige Coketterie, wodurch die
zarte niedliche Form der Fuͤße noch bemerklicher
werden ſollte. Als der Markeſe den kleinen Fuß
ehrfurchtsvoll gekuͤßt, erhob er ſich mit einem
aͤchzenden O Jeſu! und bat um die Erlaubniß,
mich, ſeinen Freund, vorſtellen zu duͤrfen, welches
ihm ebenfalls gaͤhnend gewaͤhrt wurde, und wo¬
bey er es nicht an Lobſpruͤchen auf meine Vor¬
trefflichkeit fehlen ließ, und auf Cavalier-Parole
betheuerte, daß ich die ungluͤckliche Liebe ganz
vortrefflich beſungen habe.
Ich bat die Dame ebenfalls um die Ver¬
guͤnſtigung ihr den linken Fuß kuͤſſen zu duͤrfen,
und in dem Momente, wo ich dieſer Ehre theilhaftig
wurde, erwachte ſie wie aus einem daͤmmernden
Traume, beugte ſich laͤchelnd zu mir herab, be¬
trachtete mich mit großen verwunderten Augen,
ſprang freudig empor bis in die Mitte des Zim¬
mers, und drehte ſich wieder unzaͤhlige Mal auf
einem Fuße herum. Ich fuͤhlte wunderbar, wie
mein Herz ſich beſtaͤndig mitdrehte, bis es faſt
ſchwindelig wurde. Der Profeſſor aber griff da¬
bey luſtig in die Saiten ſeiner Guitarre und
ſang:
Eine Opern-Signora erwaͤhlte
Zum Gemahl mich, ward meine Vermaͤhlte,
Und geſchloſſen war bald unſre Eh'.
Wehe mir Armen! weh!
Bald befreiten von ihr mich Corſaren,
Ich verkaufte ſie an die Barbaren,
Ehe ſie ſich es konnte verſehn.
Bravo, Biskroma! ſchoͤn! ſchoͤn!
Noch einmal betrachtete mich Signora Fran¬
ſcheska ſcharf und muſternd, vom Kopf bis zum Fuße,
und mit zufriedener Miene dankte ſie dann dem
Markeſe, als ſey ich ein Geſchenk, das er ihr
aus Artigkeit mitgebracht. Sie fand wenig daran
auszuſetzen: nur waren ihr meine Haare zu
hellbraun, ſie haͤtte ſie dunkler gewuͤnſcht, wie
die Haare des Abbate Cecco, auch meine Augen
fand ſie zu klein und mehr gruͤn als blau. Zur
Vergeltung, lieber Leſer, ſollte ich jetzt Signora
Franſcheska eben ſo maͤkelnd ſchildern; aber ich
habe wahrhaftig an dieſer lieblichen, faſt leicht¬
ſinnig geformten Graziengeſtalt nichts auszuſetzen.
Auch das Geſicht war ganz goͤttermaͤßig, wie
man es bey griechiſchen Statuen findet, Stirne
und Naſe gaben nur eine einzige ſenkrecht gerade
Linie, einen ſuͤßen rechten Winkel bildete damit
18
die untere Naſenlinie, die wunderſam kurz war,
eben ſo ſchmal war die Entfernung von der Naſe
zum Munde, deſſen Lippen an beiden Enden kaum
ausreichten und von einem traͤumeriſchen Laͤcheln
ergaͤnzt wurden; darunter woͤlbte ſich ein liebes
volles Kinn, und der Hals — Ach! frommer Leſer,
ich komme zu weit, und außerdem habe ich bey
dieſer Inauguralſchilderung noch kein Recht von
den zwey ſchweigenden Blumen zu ſprechen,
die wie weiße Poeſie hervorleuchteten, wenn
Signora die ſilbernen Halsknoͤpfe ihres ſchwarz¬
ſeidnen Kleides enthaͤkelte — Lieber Leſer! laß uns
wieder emporſteigen zu der Schilderung des Ge¬
ſichtes, wovon ich nachtraͤglich noch zu berichten
habe, daß es klar und blaßgelb wie Bernſtein
war, daß es von den ſchwarzen Haaren, die in
glaͤnzend glatten Ovalen die Schlaͤfe bedeckten,
eine kindliche Ruͤndung empfing, und von zwey
ſchwarzen ploͤtzlichen Augen, wie von Zauberlicht,
beleuchtet wurde.
Du ſiehſt, lieber Leſer, daß ich dir gern eine
gruͤndliche Lokalbeſchreibung meines Gluͤckes lie¬
fern moͤchte, und, wie andere Reiſende ihren Wer¬
ken noch beſondere Karten von hiſtoriſch wichtigen
oder ſonſt merkwuͤrdigen Bezirken beyfuͤgen, ſo
moͤchte ich Franſcheska in Kupfer ſtechen laſſen.
Aber ach! was hilft die todte Copie der aͤußern
Umriſſe bey Formen, deren goͤttlichſter Reiz in
der lebendigen Bewegung beſteht. Selbſt der beſte
Maler kann uns dieſen nicht zur Anſchauung
bringen; denn die Malerey iſt doch nur eine
platte Luͤge. Eher vermoͤchte es der Bildhauer;
durch wechſelnde Beleuchtung koͤnnen wir bey
Statuen uns einigermaßen eine Bewegung der
Formen denken, und die Fackel, die ihnen
nur aͤußeres Licht zuwirft, ſcheint ſie auch von
innen zu beleben. Ja, es giebt eine Statue,
die dir, lieber Leſer, einen marmornen Begriff
von Franſcheska's Herrlichkeit zu geben vermoͤchte,
und das iſt die Venus des großen Canova, die
18 *
du in einem der letzten Saͤle des Pallazzo Pitti
zu Florenz finden kannſt. Ich denke jetzt oft
an dieſe Statue, zuweilen traͤumt mir, ſie
laͤge in meinen Armen, und belebe ſich allmaͤhlig
und fluͤſtere endlich mit der Stimme Fran¬
ſcheska's. Der Ton dieſer Stimme war es aber,
der jedem ihrer Worte die lieblichſte, unendlichſte
Bedeutung ertheilte, und wollte ich dir ihre
Worte mittheilen, ſo gaͤbe es bloß ein trocknes
Herbarium von Blumen, die nur durch ihren
Duft den groͤßten Werth beſaßen. Auch ſprang
ſie oft in die Hoͤhe, und tanzte waͤhrend ſie
ſprach, und vielleicht war eben der Tanz ihre
eigentliche Sprache. Mein Herz aber tanzte
immer mit und exekutirte die ſchwierigſten Pas,
und zeigte dabey ſo viel Tanztalent, wie ich ihm
nie zugetraut haͤtte. In ſolcher Weiſe erzaͤhlte
Franſcheska auch die Geſchichte von dem Abbate
Cecco, einem jungen Burſchen, der in ſie verliebt
war, als ſie noch im Arno-Thal Strohhuͤte ſtrickte,
und ſie verſicherte, daß ich das Gluͤck haͤtte ihm
aͤhnlich zu ſehen. Dabey machte ſie die zaͤrtlich¬
ſten Pantominen, druͤckte ein uͤber's andere Mal
die Fingerſpitzen an's Herz, ſchien dann mit ge¬
hoͤhlter Hand die zaͤrtlichſten Gefuͤhle hervorzu¬
ſchoͤpfen, warf ſich endlich ſchwebend, mit voller
Bruſt, aufs Sopha, barg das Geſicht in die
Kiſſen, ſtreckte hinter ſich ihre Fuͤße in die Hoͤhe
und ließ ſie wie hoͤlzerne Puppen agiren. Der
blaue Fuß ſollte den Abbate Cecco und der rothe
die arme Franſcheska vorſtellen, und indem ſie
ihre eigene Geſchichte parodirte, ließ ſie die beiden
verliebten Fuͤße von einander Abſchied nehmen,
und es war ein ruͤhrend naͤrriſches Schauſpiel,
wie ſich beide mit den Spitzen kuͤßten, und die
zaͤrtlichſten Dinge ſagten — und dabey weinte
das tolle Maͤdchen ergoͤtzlich kichernde Thraͤnen,
die aber dann und wann etwas unbewußt tiefer
aus der Seele kamen, als die Rolle verlangte.
Sie ließ auch, im drolligen Schmerzensuͤbermuth
den Abbate Cecco eine lange Rede halten, worin
er die Schoͤnheit der armen Franſcheska mit pe¬
dantiſchen Metaphern ruͤhmte, und die Art wie
ſie auch, als arme Franſcheska, Antwort gab und
ihre eigene Stimme, in der Sentimentalitaͤt einer
fruͤheren Zeit, kopirte, hatte etwas Puppenſpiel¬
wehmuͤthiges, das mich wunderſam bewegte.
Ade Cecco! Ade Franſcheska! war der beſtaͤndige
Refrain, die verliebten Fuͤßchen wollten ſich nicht
verlaſſen — und ich war endlich froh, als ein
unerbittliches Schickſal ſie von einander trennte,
indem ſuͤße Ahnung mir zufluͤſterte, daß es fuͤr
mich ein Mißgeſchick waͤre, wenn die beiden Lie¬
benden beſtaͤndig vereinigt blieben.
Der Profeſſor applaudirte mit poſſenhaft
ſchwirrenden Guitarrentoͤnen, Signora trillerte,
das Huͤndchen bellte, der Markeſe und ich
klatſchten in die Haͤnde wie raſend, und Signora
Franſcheska ſtand auf und verneigte ſich dankbar.
Es iſt wirklich eine ſchoͤne Comoͤdie, ſprach ſie zu
mir, aber es iſt ſchon lange her, ſeit ſie zuerſt
aufgefuͤhrt worden, und ich ſelbſt bin ſchon ſo
alt — rathen Sie mahl wie alt?
Sie erwartete jedoch keineswegs meine Ant¬
wort, ſprach raſch: achtzehn Jahr — und drehte
ſich dabey wohl achtzehnmal auf einem Fuß
herum. Und wie alt ſind Sie, Dottore?
Ich, Signora, bin in der Neujahrsnacht
Achtzehnhundert geboren.
Ich habe Ihnen ja ſchon geſagt, bemerkte
der Markeſe, es iſt einer der erſten Maͤnner
unſeres Jahrhunderts.
Und wie alt halten Sie mich? rief ploͤtzlich
Signora Laetizia, und ohne an ihr Eva-Koſtuͤm,
das bis jetzt die Bettdecke verborgen hatte, zu
denken, erhob ſie ſich bey dieſer Frage ſo leiden¬
ſchaftlich in die Hoͤhe, daß nicht nur das rothe
Meer, ſondern auch ganz Arabien, Syrien und
Meſopotamien zum Vorſchein kam.
Indem ich, ob dieſes graͤßlichen Anblicks, er¬
ſchrocken zuruͤckprallte, ſtammelte ich einige Redens¬
arten uͤber die Schwierigkeiten, eine ſolche Frage
zu loͤſen, indem ich ja Signora erſt zur Haͤlfte ge¬
ſehen haͤtte; doch da ſie noch eifriger in mich drang,
geſtand ich ihr die Wahrheit, nemlich daß ich das
Verhaͤltniß der italieniſchen Jahre zu den deut¬
ſchen noch nicht zu berechnen wiſſe.
Iſt der Unterſchied groß? frug Signora Lae¬
tizia.
Das verſteht ſich, antwortete ich ihr, da die
Hitze alle Koͤrper ausdehnt, ſo ſind die Jahre
in dem warmen Italien viel laͤnger als in dem
kalten Deutſchland.
Der Markeſe zog mich beſſer aus der Ver¬
legenheit, indem er galant behauptete, ihre
Schoͤnheit habe ſich jetzt erſt in der uͤppigſten Reife
entfaltet. Und Signora! ſetzte er hinzu, ſo wie
die Pomeranze, je aͤlter ſie wird, auch deſto
gelber wird, ſo wird auch Ihre Schoͤnheit mit
jedem Jahre deſto reifer.
Die Dame ſchien mit dieſer Vergleichung
zufrieden zu ſeyn, und geſtand ebenfalls, daß
ſie ſich wirklich reifer fuͤhle als ſonſt, beſon¬
ders gegen damals, wo ſie noch ein duͤnnes
Ding geweſen und zuerſt in Bologna auf¬
getreten ſey, und daß ſie noch jetzt nicht
begreife, wie ſie in ſolcher Geſtalt ſo viel
Furore habe machen koͤnnen. Und nun erzaͤhlte ſie
ihr Debuͤt als Ariadne, worauf ſie, wie ich ſpaͤ¬
ter entdeckte, ſehr oft zuruͤckkam, bey welcher
Gelegenheit auch Signor Bartolo das Gedicht
deklamiren mußte, das er ihr damals aufs Theater
geworfen. Es war ein gutes Gedicht, voll ruͤh¬
render Trauer uͤber Theſeus Treuloſigkeit, voll
blinder Begeiſterung fuͤr Bachus und bluͤhender Ver¬
herrlichung Ariadne's. Bella coſa! rief Signora
Laetizia bey jeder Strophe, und auch ich lobte
die Bilder, den Versbau und die ganze Be¬
handlung jener Mythe.
Ja, ſie iſt ſehr ſchoͤn, ſagte der Profeſſor,
und es liegt ihr gewiß eine hiſtoriſche Wahrheit
zum Grunde, wie denn auch einige Autoren uns
ausdruͤcklich erzaͤhlen, daß Oneus, ein Prieſter
des Bachus, ſich mit der trauernden Ariadne
vermaͤhlt habe, als er ſie verlaſſen auf Naxos
angetroffen; und, wie oft geſchieht, iſt in der
Sage, aus dem Prieſter des Gottes, der Gott
ſelbſt gemacht worden.
Ich konnte dieſer Meinung nicht beyſtimmen,
da ich mich in der Mythologie mehr zur hiſtoriſchen
Ausdeutung hinneige, und ich entgegnete: In
der ganzen Fabel, daß Ariadne, nachdem The¬
ſeus ſie auf Naxos ſitzen laſſen, ſich dem
Bachus in die Arme geworfen, ſehe ich nichts
anderes als die Allegorie, daß ſie ſich, in jenem
verlaſſenen Zuſtande, dem Trunk ergeben hat,
eine Hypotheſe, die noch mancher Gelehrte meines
Vaterlandes mit mir theilt. Sie, Herr Markeſe,
werden wahrſcheinlich wiſſen, daß der ſelige
Banquier Bethmann, im Sinne dieſer Hypotheſe,
ſeine Ariadne ſo zu beleuchten wußte, daß ſie
eine rothe Naſe zu haben ſchien.
Ja, ja, Bethmann in Frankfurt war ein
großer Mann! rief der Markeſe; jedoch im ſelben
Augenblick ſchien ihm etwas Wichtiges durch den
Kopf zu laufen, ſeufzend ſprach er vor ſich hin:
Gott, Gott, ich habe vergeſſen nach Frankfurt
an Rothſchild zu ſchreiben! Und mit ernſtem
Geſchaͤftsgeſicht, woraus aller parodiſtiſche Scherz
verſchwunden ſchien, empfahl er ſich kurzweg,
ohne lange Ceromonien, und verſprach gegen
Abend wiederzukommen.
Als er fort war und ich im Begriff ſtand,
wie es in der Welt gebraͤuchlich iſt, meine Gloſſen
uͤber eben den Mann zu machen, durch deſſen
Guͤte ich die angenehmſte Bekanntſchaft gewon¬
nen, da fand ich zu meiner Verwunderung, daß
alle ihn nicht genug zu ruͤhmen wußten, und daß alle
beſonders ſeinen Enthuſiasmus fuͤr das Schoͤne,
ſein adelig feines Betragen, und ſeine Uneigen¬
nuͤtzigkeit in den uͤbertriebenſten Ausdruͤcken prie¬
ſen. Auch Signora Franſcheska ſtimmte ein in
dieſen Lobgeſang, doch geſtand ſie, ſeine Naſe ſey
etwas beaͤngſtigend und erinnere ſie immer an
den Thurm von Piſa.
Beim Abſchied bat ich ſie wieder um die Ver¬
guͤnſtigung, ihren linken Fuß kuͤſſen zu duͤrfen;
worauf ſie, mit laͤchelndem Ernſt, den rothen
Schuh auszog, ſo wie auch den Strumpf; und
indem ich niederkniete, reichte ſie mir den weißeuweißen,
bluͤhenden Liljenfuß, den ich vielleicht glaͤubiger an
die Lippen preßte, als ich es mit dem Fuß des Pab¬
ſtes gethan haben moͤchte. Wie ſich von ſelbſt ver¬
ſteht, machte ich auch die Kammerjungfer, und half
den Strumpf und den Schuh wieder anziehen.
Ich bin mit Ihnen zufrieden, — ſagte Sig¬
nora Franſcheska, nach verrichtetem Geſchaͤfte,
wobey ich mich nicht zu ſehr uͤbereilte, obgleich
ich alle zehn Finger in Thaͤtigkeit ſetzte, — ich
bin mit Ihnen zufrieden, Sie ſollen mir noch
oͤfter die Struͤmpfe anziehen. Heute haben Sie
den linken Fuß gekuͤßt, morgen ſoll Ihnen der
rechte zu Gebot ſtehen. Uebermorgen duͤrfen Sie
mir ſchon die linke Hand kuͤſſen, und einen Tag
nachher auch die rechte. Fuͤhren Sie ſich gut
auf, ſo reiche ich Ihnen ſpaͤterhin den Mund,
u. ſ. w. Sie ſehen, ich will Sie gern avan¬
ziren laſſen, und da Sie jung ſind, koͤnnen Sie
es in der Welt noch weit bringen.
Und ich habe es weit gebracht in dieſer Welt!
Deß ſeyd mir Zeugen, toskaniſche Naͤchte, du hell¬
blauer Himmel mit großen ſilbernen Sternen,
Ihr wilden Lorbeerbuͤſche und heimlichen Myrten,
und Ihr, o Nympfen des Appennins, die Ihr mit
braͤutlichen Taͤnzen uns umſchwebtet, und Euch
zuruͤcktraͤumtet in jene beſſeren Goͤtterzeiten, wo
es noch keine gothiſche Luͤge gab, die nur blinde,
tappende Genuͤſſe im Verborgenen erlaubt und
jedem freyen Gefuͤhl ihr heuchleriſches Feigen¬
blaͤttchen vorklebt.
Es beduͤrfte keiner beſonderen Feigenblaͤtter;
denn ein ganzer Feigenbaum mit vollen ausge¬
breiteten Zweigen rauſchte uͤber den Haͤuptern
der Gluͤcklichen.
Capitel VIl.
Was Pruͤgel ſind, das weiß man ſchon; was
aber die Liebe iſt, das hat noch keiner her¬
ausgebracht. Einige Naturphiloſophen haben
behauptet, es ſey eine Art Elektrizitaͤt. Das iſt
moͤglich; denn im Momente des Verliebens iſt
uns zu Muthe, als habe ein elektriſcher Strahl
aus dem Auge der Geliebten ploͤtzlich in unſer
Herz eingeſchlagen. Ach! dieſe Blitze ſind die
verderblichſten, und wer gegen dieſe einen Ablei¬
ter erfindet, den will ich hoͤher achten als Frank¬
lin. Gaͤbe es doch kleine Blitzableiter, die man
auf dem Herzen tragen koͤnnte, und woran eine
Wetterſtange waͤre, die das ſchreckliche Feuer an¬
derswo hin zu leiten vermoͤchte. Ich fuͤrchte aber,
dem kleinen Amor kann man ſeine Pfeile nicht
ſo leicht rauben, wie dem Jupiter ſeinen Blitz
und den Tyrannen ihr Zepter. Außerdem wirkt
nicht jede Liebe blitzartig; manchmal lauert
ſie, wie eine Schlange unter Roſen, und erſpaͤht
die erſte Herzensluͤcke, um hineinzuſchluͤpfen;
manchmal iſt es nur ein Wort, ein Blick, die
Erzaͤhlung einer unſcheinbaren Handlung, was
wie ein lichtes Samenkorn in unſer Herz faͤllt,
eine ganze Winterzeit ruhig darin liegt, bis der
Fruͤhling kommt, und das kleine Samenkorn auf¬
ſchießt zu einer flammenden Blume, deren Duft
den Kopf betaͤubt. Dieſelbe Sonne, die im Nil¬
thal Egyptens Krokodilleneyer ausbruͤtet, kann zu¬
gleich zu Potsdam an der Havel die Liebesſaat
in einem jungen Herzen zur Vollreife bringen —
dann giebt es Thraͤnen in Egypten und Pots¬
dam. Aber ThaͤnenThraͤnen ſind noch lange keine Erklaͤ¬
rungen — Was iſt die Liebe? Hat keiner ihr
Weſen ergruͤndet? hat keiner das Raͤthſel geloͤſt?
Vielleicht bringt ſolche Loͤſung groͤßere Qual als
das Raͤthſel ſelbſt, und das Herz erſchrickt und
erſtarrt darob, wie beim Anblick der Meduſa.
Schlangen ringeln ſich um das ſchreckliche Wort,
das dieſes Raͤthſel aufloͤſt — O, ich will dieſes
Aufloͤſungswort niemals wiſſen, das brennende
Elend in meinem Herzen iſt mir immer noch
lieber als kalte Erſtarrung. O, ſprecht es nicht
aus, Ihr geſtorbenen Geſtalten, die Ihr ſchmerz¬
los wie Stein, aber auch gefuͤhllos wie Stein
durch die Roſengaͤrten dieſer Welt wandelt, und
mit bleichen Lippen auf den thoͤrigten Geſellen
herablaͤchelt, der den Duft der Roſen preiſt und
uͤber Dornen klagt.
Wenn ich dir aber, lieber Leſer, nicht zu
ſagen vermag, was die Liebe eigentlich iſt, ſo
koͤnnte ich dir doch ganz ausfuͤhrlich erzaͤhlen,
wie man ſich gebehrdet und wie einem zu Muth
18
iſt, wenn man ſich auf den Appeninen verliebt
hat. Man gebehrdet ſich nemlich wie ein Narr,
man tanzt uͤber Huͤgel und Felſen und glaubt,
die ganze Welt tanze mit. Zu Muthe iſt einem
dabey, als ſey die Welt erſt heute erſchaffen
worden, und man ſey der erſte Menſch. Ach,
wie ſchoͤn iſt das Alles! jauchzte ich, als ich
Franſcheskas Wohnung verlaſſen hatte. Wie
ſchoͤn und koſtbar iſt dieſe neue Welt! Es war
mir, als muͤßte ich allen Pflanzen und Thieren
einen Namen geben, und ich benannte Alles nach
ſeiner innern Natur und nach meinem eignen
Gefuͤhl, das mit den Außendingen ſo wunderbar
verſchmolz. Meine Bruſt war eine Quelle von
Offenbarung, und ich verſtand alle Formen und
Geſtaltungen, den Duft der Pflanzen, den Ge¬
ſang der Voͤgel, das Pfeifen des Windes und
das Rauſchen der Waſſerfaͤlle. Manchmal hoͤrte
ich auch die goͤttliche Stimme: Adam, wo biſt
du? Hier bin ich, Franſcheska, rief ich dann,
ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du
haſt Sonne, Mond und Sterne erſchaffen und
die Erde mit allen ihren Creaturen! Dann
kicherte es aus den Myrthenbuͤſchen, und heimlich
ſeufzte ich in mich hinein: O ſuͤße Thorheit, ver¬
laß mich nicht!
Spaͤterhin, als die Daͤmmerungszeit herankam,
begann erſt recht die verruͤckte Seligkeit der
Liebe. Die Baͤume auf den Bergen tanzten
nicht mehr einzeln, ſondern die Berge ſelbſt tanzten
mit ſchweren Haͤuptern, die von der ſcheidenden
Sonne ſo roth beſtrahlt wurden, als haͤtten ſie
ſich mit ihren eignen Weintrauben berauſcht.
Unten der Bach ſchoß haſtiger von dannen, und
rauſchte angſtvoll, als fuͤrchte er, die entzuͤckt
taumelnden Berge wuͤrden zu Boden ſtuͤrzen.
Dabey wetterleuchtete es ſo lieblich, wie lichte
Kuͤſſe. Ja, rief ich, der lachende Himmel kuͤßt
die geliebte Erde — O Franſcheska, ſchoͤner
Himmel, laß mich deine Erde ſeyn! Ich bin ſo
19 *
ganz irdiſch, und ſehne mich nach dir, mein
Himmel! So rief ich und ſtreckte die Arme
flehend empor, und rannte mit dem Kopfe gegen
manchen Baum, den ich dann umarmte ſtatt zu
ſchelten, und meine Seele jauchzte vor Liebes¬
trunkenheit, — als ploͤtzlich ich eine glaͤnzende
Scharlachgeſtalt erblickte, die mich aus allen meinen
Traͤumen gewaltſam herausriß, und der kuͤhlſten
Wirklichkeit zuruͤckgab.
Capitel VIll.
Auf einem Raſenvorſprung, unter einem brei¬
ten Lorbeerbaume, ſaß Hyazinthos, der Diener
des Markeſe, und neben ihm Apollo, deſſen Hund.
Letzterer ſtand vielmehr, indem er die Vorder¬
pfoten auf die Scharlachkniee des kleinen Mannes
gelegt hatte, und neugierig zuſah, wie dieſer,
eine Schreibtafel in den Haͤnden haltend, dann
und wann etwas hineinſchrieb, wehmuͤthig vor
ſich hinlaͤchelte, das Koͤpfchen ſchuͤttelte, tief ſeufzte
und ſich dann vergnuͤgt die Naſe putzte.
Was Henker, rief ich ihm entgegen, Hirſch
Hyazinthos! machſt du Gedichte? Nun, die Zeichen
ſind guͤnſtig, Apollo ſteht dir zur Seite und der
Lorbeer haͤngt ſchon uͤber deinem Haupte!
Aber ich that dem armen Schelme Unrecht.
Liebreich antwortete er: Gedichte? Nein, ich bin
ein Freund von Gedichten, aber ich ſchreibe doch
keine. Was ſollte ich ſchreiben? Ich hatte eben
nichts zu thun, und zu meinem Vergnuͤgen
machte ich mir eine Liſte von den Namen der¬
jenigen Freunde, die einſt in meiner Collekte ge¬
ſpielt haben. Einige davon ſind mir ſogar noch
etwas ſchuldig — Glauben Sie nur nicht, Herr
Doktor, ich wollte Sie mahnen — das hat Zeit,
Sie ſind mir gut. Haͤtten Sie nur zuletzt 1365
ſtatt 1364 geſpielt, ſo waͤren Sie jetzt ein
Mann von Hundert tauſend Mark Banko, und
brauchten nicht hier herumzulaufen, und koͤnnten
ruhig in Hamburg ſitzen, ruhig und vergnuͤgt,
und koͤnnten ſich auf dem Sopha erzaͤhlen laſſen,
wie es in Italien ausſieht. So wahr mir Gott
helfe! ich waͤre nicht hergereiſt, haͤtte ich es nicht
Herrn Gumpel zu Liebe gethan. Ach, wie viel Hitz'
und Gefahr und Muͤdigkeit muß ich ausſtehen,
und wo nur eine Ueberſpannung iſt oder eine
Schwaͤrmerey, iſt auch Herr Gumpel dabey, und
ich muß alles mitmachen. Ich waͤre ſchon laͤngſt
von ihm gegangen, wenn er mich miſſen koͤnnte.
Denn wer ſoll nachher zu Hauſe erzaͤhlen, wie
viel Ehre und Bildung er in der Fremde genoſſen?
Und ſoll ich die Wahrheit ſagen, ich ſelbſt fang'
an, viel auf Bildung zu geben. In Hamburg
hab' ich ſie Gottlob nicht noͤthig; aber man kann
nicht wiſſen, man kommt einmal nach einem ande¬
ren Ort. Es iſt eine ganz andere Welt jetzt. Und
man hat Recht; ſo ein bischen Bildung ziert
den ganzen Menſchen. Und welche Ehre hat
man davon! Lady Maxfield zum Beyſpiel, wie
hat ſie mich dieſen Morgen aufgenommen und
honorirt! Ganz paralel wie ihres Gleichen. Und
ſie gab mir einen Franceskoni Trinkgeld, obſchon
die Blume nur fuͤnf Paoli gekoſtet hatte. Außer
dem iſt es auch ein Vergnuͤgen, wenn man den
kleinen, weißen Fuß von ſchoͤnen Damenperſonen
in Haͤnden hat.
Ich war nicht wenig betreten uͤber dieſe letzte
Bemerkung, und dachte gleich: iſt das Sticheley?
Wie konnte aber der Lump ſchon Kenntniß haben
von dem Gluͤcke, das mir erſt denſelben Tag be¬
gegnet, zu derſelben Zeit, als er auf der ent¬
gegengeſetzten Seite des Bergs war? Gab's dort
etwa eine aͤhnliche Scene und offenbarte ſich darin
die Ironie des großen Weltbuͤhnendichters da dro¬
ben, daß er vielleicht noch tauſend ſolcher Scenen,
die gleichzeitig eine die andere parodiren, zum
Vergnuͤgen der himmliſchen Heerſchaaren auffuͤh¬
ren ließ? Indeſſen beide Vermuthungen waren
ungegruͤndet, denn nach langen wiederholten
Fragen, und nachdem ich das Verſprechen ge¬
leiſtet, dem Markeſe nichts zu verrathen, geſtand
mir der arme Menſch: Lady Maxfield habe noch
zu Bette gelegen, als er ihr die Tulpe uͤber¬
reicht, in dem Augenblick, wo er ſeine ſchoͤne
Anrede halten wollen, ſey einer ihrer Fuͤße nackt
zum Vorſchein gekommen, und da er Huͤhner¬
augen daran bemerkt, habe er gleich um die Er¬
laubniß gebeten, ſie ausſchneiden zu duͤrfen, wel¬
ches auch geſtattet und nachher, zugleich fuͤr die
Ueberreichung der Tulpe, mit einem Franceskoni
belohnt worden ſey.
Es iſt mir aber immer nur um die Ehre zu thun,
— ſetzte Hyacinth hinzu — und das habe ich
auch dem Baron Rothſchild geſagt, als ich die
Ehre hatte, ihm die Huͤhneraugen zu ſchneiden.
Es geſchah in ſeinem Kabinett; er ſaß dabey auf
ſeinem gruͤnen Seſſel, wie auf einem Thron,
ſprach wie ein Koͤnig, um ihn herum ſtanden
ſeine Courtiers, und er gab ſeine Ordres, und
ſchickte Stafetten an alle Koͤnige; und wie ich
ihm waͤhrend deſſen die Huͤhneraugen ſchnitt,
dacht' ich im Herzen: du haſt jetzt in Haͤnden
den Fuß des Mannes, der ſelbſt jetzt die ganze
Welt in Haͤnden hat, du biſt jetzt ebenfalls ein
wichtiger Menſch, ſchneideſt du ihn unten ein
biſchen zu ſcharf, ſo wird er verdrießlich, und
ſchneidet oben die groͤßten Koͤnige noch aͤrger —
Es war der gluͤcklichſte Moment meines Lebens!
Ich kann mir dieſes ſchoͤne Gefuͤhl vorſtellen,
Herr Hyazinth. Welchen aber von der Roth¬
ſchildſchen Dynaſtie haben Sie ſolchermaßen am¬
putirt? War es etwa der hochherzige Britte,
der Mann in Lombardſtreet, der ein Leihhaus
fuͤr Kaiſer und Koͤnige errichtet hat?
Verſteht ſich, Herr Doktor, ich meyne den
großen Rothſchild, den großen Nathan Roth¬
ſchild, Nathan den Weiſen, bey dem der
Kaiſer von Braſilien ſeine diamantene Krone
verſetzt hat. Aber ich habe auch die Ehre
gehabt, den Baron Salomon Rothſchild in
Frankfurt kennen zu lernen, und wenn ich
mich auch nicht ſeines intimen Fußes zu erfreuen
hatte, ſo wußte er mich doch zu ſchaͤtzen. Als
der Herr Markeſe zu ihm ſagte, ich ſey einmal
Lotteriekollekteur geweſen, ſagte der Baron ſehr
witzig: ich bin ja ſelbſt ſo etwas, ich bin ja
der Oberkollekteur der rothſchildſchen Looſe, und
mein College darf bey Leibe nicht mit den Be¬
dienten eſſen, er ſoll neben mir bey Tiſche
ſitzen — Und ſo wahr wie mir Gott alles Guts
geben ſoll, Herr Doktor, ich ſaß neben Salomon
Rothſchild, und er behandelte mich ganz wie ſei¬
nes Gleichen, ganz famillionaͤr. Ich war auch
bey ihm auf dem beruͤhmten Kinderball, der in
der Zeitung geſtanden. So viel Pracht bekomme
ich mein Lebtag nicht mehr zu ſehen. Ich bin doch
auch in Hamburg auf einem Ball geweſen, der
1500 Mark und 8 Schilling koſtete, aber das
war doch nur wie ein Huͤhnerdreckchen gegen einen
Miſthaufen. Wie viel Gold und Silber und Dia¬
manten habe ich dort geſehen! Wie viel Sterne
und Orden! Den Falkenorden, das goldne Vlies,
den Loͤwenorden, den Adlerorden — ſogar ein
ganz klein Kind, ich ſage Ihnen, ein ganz klein
Kind trug einen Elephantenorden. Die Kinder
waren gergar ſchoͤn maskirt und ſpielten Anleihe,
und waren angezogen wie die Koͤnige, mit Kro¬
nen auf den Koͤpfen, ein großer Junge aber war
angezogen praͤziſe wie der alte Nathan Roth¬
ſchild. Er machte ſeine Sache ſehr gut, hatte
beide Haͤnde in der Hoſentaſche, klimperte mit
Geld, ſchuͤttelte ſich verdrießlich, wenn einer von
den kleinen Koͤnigen was geborgt haben wollte,
und nur dem kleinen mit dem weißen Rock und
den rothen Hoſen ſtreichelte er freundlich die
Backen, und lobte ihn: du biſt mein Plaiſir,
mein Liebling, mein' Pracht, aber dein Vetter
Michel ſoll mir vom Leib' bleiben, ich werde die¬
ſem Narrn nichts borgen, der taͤglich mehr
Menſchen ausgiebt, als er jaͤhrlich zu verzehren
hat, es kommt durch ihn noch ein Ungluͤck in die
Welt, und mein Geſchaͤft wird darunter leiden.
So wahr mir Gott alles Guts gebe, der Junge
machte ſeine Sache ſehr gut, beſonders wenn er
das dicke Kind, das in weißen Atlas mit aͤchten
ſilbernen Liljen gewickelt war, im Gehen unter¬
ſtuͤtzte und bisweilen zu ihm ſagte: na, na, du,
du, fuͤhr' dich nur gut auf, ernaͤhr' dich redlich,
ſorg' daß du nicht wieder weggejagt wirſt, da¬
mit ich nicht mein Geld verliere. Ich ver¬
ſichere Sie, Herr Doktor, es war ein Vergnuͤgen,
den Jungen zu hoͤren; und auch die anderen
Kinder, lauter liebe Kinder, machten ihre Sache
ſehr gut — bis ihnen Kuchen gebracht wurde,
und ſie ſich um das beſte Stuͤck ſtritten, und ſich
die Kronen vom Kopf riſſen, und ſchrieen und
weinten, und einige ſich ſogar — —
Capitel IX.
Es giebt nichts Langweiligeres auf dieſer
Erde, als die Lektuͤre einer italieniſchen Reiſe¬
beſchreibung — außer etwa das Schreiben derſel¬
ben — und nur dadurch kann der Verfaſſer ſie
einigermaßen ertraͤglich machen, daß er von Ita¬
lien ſelbſt ſo wenig als moͤglich darin redet. Trotz
dem, daß ich dieſen Kunſtkniff vollauf anwende,
kann ich dir, lieber Leſer, in den naͤchſten Capi¬
teln nicht viel Unterhaltung verſprechen. Wenn
du dich bey dem ennuyanten Zeug, das darin
vorkommen wird, langweilſt, ſo troͤſte dich
mit mir, der all dieſes Zeug ſogar ſchreiben
mußte. Ich rathe dir, uͤberſchlage dann und
wann einige Seiten, dann koͤmmſt du mit dem
Buche ſchneller zu Ende — ach, ich wollt', ich
koͤnnt es eben ſo machen! Glaub' nur nicht, ich
ſcherze; wenn ich dir ganz ernſthaft meine Her¬
zensmeinung uͤber dieſes BnchBuch geſtehen ſoll, ſo
rathe ich dir, es jetzt zuzuſchlagen, und gar
nicht weiter darin zu leſen. Ich will dir naͤch¬
ſtens etwas Beſſeres ſchreiben, und wenn wir
in einem folgenden Buche, in der Stadt Lukka,
wieder mit Mathilden und Franſcheska zuſam¬
mentreffen, ſo ſollen dich die lieben Bilder viel
anmuthiger ergoͤtzen, als gegenwaͤrtiges Capitel
und gar die folgenden.
Gottlob, vor meinem Fenſter erklingt ein
Leyerkaſten mit luſtigen Melodien! Mein truͤber
Kopf bedarf ſolcher Aufheiterung, beſonders da
ich jetzt meinen Beſuch bey Seiner Excellenz dem
Markeſe Chriſtophoro di Gumpelino zu beſchrei¬
ben habe. Ich will dieſe ruͤhrende Geſchichte,
ganz genau, woͤrtlich treu, in ihrer ſchmutzigſten
Reinheit, mittheilen.
Es war ſchon ſpaͤt, als ich die Wohnung des
Markeſe erreichte. Als ich in's Zimmer trat,
ſtand Hyazinth allein und putzte die goldenen
Sporen ſeines Herrn, welcher, wie ich durch die
halbgeoͤffnete Thuͤre ſeines Schlafkabinets ſehen
konnte, vor einer Madonna und einem großen
Kruzifixe, auf den Knieen lag.
Du mußt nemlich wiſſen, lieber Leſer, daß
der Markeſe, dieſer vornehme Mann, jetzt ein
guter Katholik iſt, daß er die Ceremonien der
alleinſeligmachenden Kirche ſtreng ausuͤbt, und ſich,
wenn er in Rom iſt, ſogar einen eignen Capellan
haͤlt, aus demſelben Grunde, weshalb er in
England die beſten Wettrenner und in Paris die
ſchoͤnſte Taͤnzerin unterhielt.
Herr Gumpel verrichtet jetzt ſein Gebet —
fluͤſterte Hyacinth mit einem wichtigen Laͤcheln,
und indem er nach dem Cabinette ſeines Herrn
deutete, fuͤgte er noch leiſer hinzu: ſo liegt er
alle Abend zwey Stunden auf den Knieen vor
der Prima Donna mit dem Jeſuskind. Es iſt
ein praͤchtiges Kunſtbild, und es koſtet ihm ſechs¬
hundert Franceskonis.
Und Sie, Herr Hyazinth, warum knieen Sie
nicht hinter ihm? Oder ſind Sie etwa kein Freund
von der katholiſchen Religion?
Ich bin ein Freund davon, und bin auch
wieder kein Freund davon, antwortete jener mit
bedenklichem Kopfwiegen. Es iſt eine gute Reli¬
gion fuͤr einen vornehmen Baron, der den ganzen
Tag muͤſſig gehen kann, und fuͤr einen Kunſt¬
kenner; aber es iſt keine Religion fuͤr einen
Hamburger, fuͤr einen Mann, der ſein Geſchaͤft
hat, und durchaus keine Religion fuͤr einen Lot¬
toriekollekteurLot¬
teriekollekteur. Ich muß jede Nummer, die ge¬
zogen wird, ganz exakt aufſchreiben, und denke
ich dann zufaͤllig an Bum! Bum! Bum! an
eine katholiſche Glock', oder ſchwebelt es mir
19
vor den Augen, wie katholiſcher Weihrauch, und
ich verſchreib mich, und ich ſchreibe eine unrechte
Zahl, ſo kann das groͤßte Ungluͤck daraus ent¬
ſtehen. Ich habe oft zu Herren Gumpel geſagt:
Ew. Ex. ſind ein reicher Mann und koͤnnen katholiſch
ſeyn ſo viel Sie wollen, und koͤnnen ſich den
Verſtand ganz katholiſch einraͤuchern laſſen, und
koͤnnen ſo dumm werden, wie eine katholiſche
Glock', und Sie haben doch zu eſſen; ich aber
bin ein Geſchaͤftsmann, und muß meine ſieben
Sinne zuſammen halten, um was zu verdienen.
Herr Gumpel meint freylich, es ſey noͤthig fuͤr
die Bildung, und wenn ich nicht katholiſch wuͤrde,
verſtaͤnde ich nicht die Bilder, die zur Bildung gehoͤ¬
ren, nicht den Johann v. Vieheſel, den Corretſchio,
den Carratſchio, den Carravatſchio — aber ich habe
immer gedacht, der Corretſchio und Carratſchio und
Caravatſchio koͤnnen mir alle nichts helfen, wenn
niemand mehr bey mir ſpielt, und ich komme
dann in die Patſchio. Dabey muß ich Ihnen auch
geſtehen, Herr Doktor, daß mir die katholiſche
Religion nicht einmal Vergnuͤgen macht, und als
ein vernuͤnftiger Mann muͤſſen Sie mir Recht
geben. Ich ſehe das Plaiſir nicht ein, es iſt
eine Religion als wenn der liebe Gott, gottbe¬
wahre, eben geſtorben waͤre, und es riecht dabey
nach Weihrauch, wie bey einem Leichenbegaͤngniß,
und dabey brummt eine ſo traurige Begraͤbni߬
muſik, daß man die Melancholik bekoͤmmt — ich
ſage Ihnen, es iſt keine Religion fuͤr einen
Hamburger.
Aber, Herr Hyacinth, wie gefaͤllt Ihnen denn
die proteſtantiſche Religion?
Die iſt mir wieder zu vernuͤnftig, Herr Dok¬
tor, und gaͤbe es in der proteſtantiſchen Kirche
keine Orgel, ſo waͤre ſie gar keine Religion.
Unter uns geſagt, dieſe Religion ſchadet nichts
und iſt ſo rein wie ein Glas Waſſer, aber, ſie
hilft auch nichts. Ich habe ſie probirt und dieſe
Probe koſtet mich vier Mark vierzehn Schilling —
19 *
Wie ſo, mein lieber Herr Hyacinth?
Sehen, Herr Doktor, ich habe gedacht: das
iſt freylich eine ſehr aufgeklaͤrte Religion, und es
fehlt ihr an Schwaͤrmerey und Wunder; indeſſen,
ein bischen Schwaͤrmerey muß ſie doch haben,
ein ganz klein Wunderchen muß ſie doch thun
koͤnnen, wenn ſie ſich fuͤr eine honette Religion
ausgeben will. Aber wer ſoll da Wunder thun,
dacht' ich, als ich mal in Hamburg eine proteſtan¬
tiſche Kirche beſah, die zu der ganz kahlen Sorte
gehoͤrte, wo nichts als braune Baͤnke und weiße
Waͤnde ſind, und an der Wand nichts als ein
ſchwarz Taͤfelchen haͤngt, worauf ein halb Dutzend
weiße Zahlen ſtehen. Du thuſt dieſer Religion
vielleicht Unrecht, dacht' ich wieder, vielleicht
koͤnnen dieſe Zahlen eben ſo gut ein Wunder
thun wie ein Bild von der Mutter Gottes oder
wie ein Knochen von ihrem Mann, dem heiligen
Joſeph, und um der Sache auf den Grund zu
kommen, ging ich gleich nach Altona, und beſetzte
eben dieſe Zahlen in der Altonaer Lotterie, die
Ambe beſetzte ich mit acht Schilling, die Terne
mit ſechs, die Quaterne mit vier, und die Quin¬
terne mit zwey Schilling — Aber, ich verſichere
Sie auf meine Ehre, keine einzige von den pro¬
teſtantiſchen Nummern iſt herausgekommen. Jetzt
wußte ich was ich zu denken hatte, jetzt dacht'
ich, bleibt mir weg mit einer Religion die gar
nichts kann, bey der nicht einmal eine Ambe her¬
auskoͤmmt — werde ich ſo ein Narr ſeyn, auf
dieſe Religion, worauf ich ſchon vier Mark und
vierzehn Schilling geſetzt und verloren habe, noch
meine ganze Gluͤckſeligkeit zu ſetzen?
Die altjuͤdiſche Religion ſcheint Ihnen gewiß
viel zweckmaͤßiger, mein Lieber?
Herr Doktor, bleiben Sie mir weg mit der
altjuͤdiſchen Religion; die wuͤnſche ich nicht mei¬
nem aͤrgſten Feind. Man hat nichts als Schimpf
und Schande davon. Ich ſage Ihnen, es iſt
gar keine Religion, ſondern ein Ungluͤck. Ich
vermeide alles, was mich daran erinnern koͤnnte,
und weil Hirſch ein juͤdiſches Wort iſt und auf
Deutſch Hyazinth heißt, ſo habe ich ſogar den
alten Hirſch laufen laſſen, und unterſchreibe mich
jetzt: Hyazinth, Collekteur, Operateur und Taxa¬
tor. Dazu habe ich noch den Vortheil, daß ſchon
ein H. auf meinem Petſchaft ſteht und ich mir
kein neues ſtechen zu laſſen brauche. Ich ver¬
ſichere Ihnen, es kommt auf dieſer Welt viel
darauf an wie man heißt; der Name thut viel.
Wenn ich mich unterſchreibe: „Hyazinth, Collek¬
teur, Operateur und Taxator“ ſo klingt das
ganz anders als ſchriebe ich Hirſch ſchlechtweg,
und man kann mich dann nicht wie einen gewoͤhn¬
lichen Lump behandeln.
Mein lieber Herr Hyazinth! Wer koͤnnte Sie
ſo behandeln! Sie ſcheinen ſchon ſo viel fuͤr Ihre
Bildung gethan zu haben, daß man in Ihnen
den gebildeten Mann ſchon erkennt, ehe Sie den
Mund aufthun, um zu ſprechen.
Sie haben Recht, Herr Doktor, ich habe in
der Bildung Fortſchritte gemacht wie eine Rieſin.
Ich weiß wirklich nicht, wenn ich nach Hamburg
zuruͤckkehre, mit wem ich dort umgehn ſoll; und
was die Religion anbelangt, ſo weiß ich was ich
thue. Vor der Hand aber kann ich mich mit
dem neuen iſraelitiſchen Tempel noch behelfen;
ich meine den reinen Moſaik-Gottesdienſt, mit
orthographiſchen deutſchen Geſaͤngen und geruͤhr¬
ten Predigten, und einigen Schwaͤrmereychen,
die eine Religion durchaus noͤthig hat. So wahr
mir Gott alles Guts gebe, fuͤr mich verlange
ich jetzt keine beſſere Religion, und ſie verdient,
daß man ſie unterſtuͤtzt. Ich will das meinige
thun, und bin ich wieder in Hamburg, ſo will
ich alle Sonnabend, wenn kein Ziehungstag iſt,
in den neuen Religion-Tempel gehen. Es giebt
leider Menſchen, die dieſem neuen iſraelitiſchen
Gottesdienſt einen ſchlechten Namen machen, und
behaupten, er gaͤbe, mit Reſpekt zu ſagen, Ge¬
legenheit zu einen Schisma — aber ich kann
Ihnen verſichern, es iſt eine gute reinliche Reli¬
gion, noch etwas zu gut fuͤr den gemeinen Mann,
fuͤr den die altjuͤdiſche Religion vielleicht noch
immer ſehr nuͤtzlich iſt. Der gemeine Mann muß
eine Dummheit haben, worin er ſich gluͤcklich
fuͤhlt, und er fuͤhlt ſich gluͤcklich in ſeiner Dumm¬
heit. So ein alter Jude mit einem langen Bart
und zerriſſenem Rock, und der kein orthographiſch
Wort ſprechen kann und ſogar ein bischen grin¬
dig iſt, fuͤhlt ſich vielleicht innerlich gluͤcklicher als
ich mich mit all meiner Bildung. Da wohnt in
Hamburg, im Baͤckerbreitengang, auf einem Sahl,
ein Mann, der heißt Moſes Lump, man nennt
ihn auch Moſes Luͤmpchen, oder kurzweg Luͤmp¬
chen; der laͤuft die ganze Woche herum, in Wind
und Wetter, mit ſeinem Packen auf dem Ruͤcken,
um ſeine paar Mark zu verdienen; wenn der
nun Freytag Abends nach Hauſe koͤmmt, findet
er die Lampe mit ſieben Lichtern angezuͤndet, den
Tiſch weiß gedeckt, und er legt ſeinen Packen
und ſeine Sorgen von ſich, und ſetzt ſich zu
Tiſch mit ſeiner ſchiefen Frau und noch ſchieferen
Tochter, ißt mit ihnen Fiſche, die gekocht ſind in
angenehm weißer Knoblauchſauce, ſingt dabey die
praͤchtigſten Lieder vom Koͤnig David, freut ſich
von ganzem Herzen uͤber den Auszug der Kinder
Iſrael aus Egypten, freut ſich auch, daß alle
Boͤſewichter, die ihnen Boͤſes gethan, am Ende
geſtorben ſind, daß Koͤnig Pharao, Nebukadnezar,
Haman, Antiochus, Titus und all' ſolche Leute
todt ſind, daß Luͤmpchen aber noch lebt und mit
Frau und Kind Fiſch ißt — Und ich ſage Ihnen,
Herr Doktor, die Fiſche ſind delikat und der
Mann iſt gluͤcklich, er braucht ſich mit keiner
Bildung abzuquaͤlen, er ſitzt vergnuͤgt in ſeiner
Religion und ſeinem gruͤnen Schlafrock, wie
Diogenes in ſeiner Tonne, er betrachtet vergnuͤgt
ſeine Lichter, die er nicht einmahl ſelbſt putzt —
Und ich ſage Ihnen, wenn die Lichter etwas matt
brennen, und die Schabbesfrau, die ſie zu putzen
hat, nicht bey der Hand iſt, und Rothſchild der
Große kaͤme jetzt herein, mit all ſeinen Maklern,
Diskonteuren, Spediteuren und Chefs de Comp¬
toir, womit er die Welt erobert, und er ſpraͤche:
Moſes Lump, bitte dir eine Gnade aus, was
du haben willſt, ſoll geſchehen — Herr Doktor,
ich bin uͤberzeugt, Moſes Lump wuͤrde ruhig
antworten: „putz' mir die Lichter!“ und Roth¬
ſchild der Große wuͤrde mit Verwunderung ſagen:
waͤr' ich nicht Rothſchild, ſo moͤchte ich ſo ein
Luͤmpchen ſeyn!
Waͤhrend Hyazinth ſolchermaßen, epiſch breit,
nach ſeiner Gewohnheit, ſeine Anſichten entwickelte,
erhob ſich der Markeſe von ſeinem Betkiſſen,
und trat zu uns, noch immer einige Paternoſter
durch die Naſe ſchnurrend. Hyazinth zog jetzt
den gruͤnen Flor uͤber das Madonnenbild, das
oberhalb des Betpultes hing, loͤſchte die beiden
Wachskerzen aus, die davor brannten, nahm
das kupferne Cruzifix herab, kam damit zu uns
zuruͤck, und putzte es mit demſelben Lappen und
mit derſelben ſpuckenden Gewiſſenhaftigkeit, wo¬
mit er eben auch die Sporen ſeines Herrn geputzt
hatte. Dieſer aber war wie aufgeloͤſt in Hitze
und weicher Stimmung; ſtatt eines Oberklei¬
des trug er einen weiten, blauſeidenen Domino
mit ſilbernen Frangen, und ſeine Naſe ſchimmerte
wehmuͤthig, wie ein verliebter Louisd'or. O
Jeſus! — ſeufzte er, als er ſich in die Kiſſen
des Sophas ſinken ließ — finden Sie nicht,
Herr Doktor, daß ich heute Abend ſehr ſchwaͤr¬
meriſch ausſehe? Ich bin ſehr bewegt, mein
Gemuͤth iſt aufgeloͤſt, ich ahne eine hoͤhere Welt,
Das Auge ſieht den Himmel offen,
Es ſchwelgt das Herz in Seligkeit!
Herr Gumpel, Sie muͤſſen einnehmen — un¬
terbrach Hyazinth die pathetiſche Deklamazion —
das Blut in Ihren Eingeweiden iſt wieder ſchwin¬
delig, ich weiß was Ihnen fehlt —
Du weißt nicht — ſeufzte der Herr.
Ich ſage Ihnen, ich weiß — erwiederte der
Diener, und nickte mit ſeinem gutmuͤthig bethaͤ¬
tigenden Geſichtchen — ich kenne Sie ganz durch
und durch, ich weiß. Sie ſind ganz das Gegen¬
theil von mir, wenn Sie Durſt haben, habe
ich Hunger, wenn Sie Hunger haben, habe ich
Durſt; Sie ſind zu korpulent und ich bin zu
mager, Sie haben viel Einbildung und ich habe
deſto mehr Geſchaͤftsſinn, ich bin ein Praktikus
und Sie ſind ein Diarrhetikus, kurz und gut,
Sie ſind ganz mein Antipodex.
Ach Julia! — ſeufzte Gumpelino — waͤr'
ich der gelblederne Handſchuh doch auf deiner
Hand und kuͤßte deine Wange! Haben Sie,
Herr Doktor, jemals die Crelinger in Romeo
und Julia geſehen?
Freylich, und meine ganze Seele iſt noch da¬
von entzuͤckt —
Nun dann — rief der Markeſe begeiſtert,
und Feuer ſchoß aus ſeinen Augen und beleuch¬
tete die Naſe — dann verſtehen Sie mich, dann
wiſſen Sie was es heißt, wenn ich Ihnen ſage:
ich liebe! Ich will mich Ihnen ganz decouvriren.
Hyazinth, geh mal hinaus —
Ich brauche gar nicht hinaus zu gehen —
ſprach dieſer verdrießlich — Sie brauchen ſich vor
mir nicht zu geniren, ich kenne auch die Liebe,
und ich weiß ſchon —
Du weiſt nicht! rief Gumpelino.
Zum Beweiſe, Herr Markeſe, daß ich weiß,
brauche ich nur den Namen Julia Maxfield zu
nennen. Beruhigen Sie ſich. Sie werden wie¬
der geliebt — aber es kann Ihnen alles nichts
helfen. Der Schwager Ihrer Geliebten laͤßt ſie
nicht aus den Augen, und bewacht ſie Tag und
Nacht wie einen Diamant.
O ich Ungluͤcklicher — jammerte Gumpelino —
ich liebe und bin wieder geliebt, wir druͤcken uns
heimlich die Haͤnde, wir treten uns unter'm Tiſch
auf die Fuͤße, wir winken uns mit den Augen,
und wir haben keine Gelegenheit! Wie oft ſtehe
ich im Mondſchein auf dem Balkon, und bilde
mir ein ich waͤre ſelbſt die Julia, und mein
Romeo oder mein Gumpelino habe mir ein Ren¬
dezvous gegeben, und ich deklamire, ganz wie
die Crelinger:
Komm Nacht! Komm Gumpelino, Tag in Nacht!
Denn du wirſt ruhn auf Fittigen der Nacht,
Wie friſcher Schnee auf eines Raben Ruͤcken.
Komm milde, liebevolle Nacht! Komm, gieb
Mir meinen Romeo, oder Gumpelino —
Aber ach! Lord Maxfield bewacht uns beſtaͤndig,
und wir ſterben beide vor Sehnſuchtsgefuͤhl!
Ich werde den Tag nicht erleben, daß eine ſolche
Nacht kommt, wo Jedes reiner Jugend Bluͤthe
zum Pfande ſetzt, gewinnend zu verlieren! Ach!
ſo eine Nacht waͤre mir lieber, als wenn ich
das große Loos in der Hamburger Lotterie ge¬
woͤnne —
Welche Schwaͤrmerey! — rief Hyazinth —
das große Loos, 100,000 Mark!
Ja, lieber als das große Loos — fuhr Gum¬
pelino fort — waͤr' mir ſo eine Nacht, und ach!
ſie hat mir ſchon oft eine ſolche Nacht verſprochen,
bey der erſten Gelegenheit, und ich hab' mir
ſchon gedacht, daß ſie dann des Morgens dekla¬
miren wird, ganz wie die Crelinger:
Willſt du ſchon gehn? Der Tag iſt ja noch fern.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.
Sie ſingt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub, Lieber, mir, es war die Nachtigall.
Das große Loos fuͤr einzige Nacht! — wie¬
derholte unterdeſſen mehrmals Hyazinth, und
konnte ſich nicht zufrieden geben — Ich habe
eine große Meinung, Herr Markeſe, von Ihrer
Bildung, aber daß Sie es in der Schwaͤrmerey
ſo weit gebracht, hatte ich nicht geglaubt. Die
Liebe ſollte einem lieber ſeyn als das große Loos!
Wirklich, Herr Markeſe, ſeit ich mit Ihnen Um¬
gang habe, als Bedienter, habe ich mir ſchon viel
Bildung angewoͤhnt; aber ſo viel weiß ich, nicht
einmal ein Achtelchen vom großen Loos gaͤbe ich
fuͤr die Liebe! Gott ſoll mich davor bewahren!
Wenn ich auch rechne fuͤnfhundert Mark Abzugs¬
dekort, ſo bleiben doch noch immer zwoͤlftauſend
Mark! Die Liebe! Wenn ich alles zuſammen¬
rechne was mich die Liebe gekoſtet hat, kommen
nur zwoͤlf Mark und dreyzehn Schilling heraus.
Die Liebe! Ich habe auch viel Umſonſtgluͤck in
der Liebe gehabt, was mich gar nichts gekoſtet
hat; nur dann und wann habe ich mal meiner
Geliebten par Complaiſanz die Huͤhneraugen ge¬
ſchnitten. Ein wahres, gefuͤhlvoll leidenſchaftliches
Attachement hatte ich nur ein einziges mal, und
das war die dicke Gudel vom Dreckwall. Die
Frau ſpielte bey mir, und wenn ich kam, ihr das
Loos zu renoviren, druͤckte ſie mir immer ein
Stuͤck Kuchen in die Hand, ein Stuͤck ſehr
guten Kuchen; — auch hat ſie mir manchmal
etwas Eingemachtes gegeben, und ein Likoͤrchen
dabey, und als ich ihr einmal klagte, daß ich
mit Gemuͤthsbeſchwerden behaftet ſey, gab ſie
mir das Rezept zu den Pulvern, die ihr eigner
Mann braucht. Ich brauche die Pulver noch
bis zur heutigen Stunde, ſie thun immer ihre
Wirkung — weitere Folgen hat unſere Liebe
nicht gehabt. Ich daͤchte, Herr Markeſe, Sie
brauchten mal eins von dieſen Pulvern. Es
war mein Erſtes, als ich nach Italien kam, daß
ich in Mayland nach der Apotheke ging, und
mir die Pulver machen ließ, und ich trage ſie
beſtaͤndig bey mir. Warten Sie nur, ich will
ſie ſuchen, und wenn ich ſuche ſo finde ich ſie,
und wenn ich ſie finde ſo muͤſſen ſie Ew. Excel¬
lenz einnehmen.
Es waͤre zu weitlaͤuftig, wenn ich den Com¬
mentar wiederholen wollte, womit der geſchaͤftige
21
Sucher jedes Stuͤck begleitete, das er aus ſei¬
ner Taſche kramte. Da kam zum Vorſchein:
1° ein halbes Wachslicht, 2° ein ſilbernes Etui,
worin die Inſtrumente zum Schneiden der Huͤh¬
neraugen, 3° eine Zitrone, 4° eine Piſtole, die
obgleich nicht geladen, dennoch mit Papier umwickelt
war, vielleicht damit ihr Anblick keine gefaͤhrliche
Traͤume verurſache, 5° eine gedruckte Liſte von
der letzten Ziehung der großen Hamburger Lotte¬
rie, 6° ein ſchwarzledernes Buͤchlein, worin die
Pſalmen Davids und die ausſtehenden Schulden,
7° ein duͤrres Weidenſtraͤußchen, wie zu einem
Knoten verſchlungen, 8° ein Paͤckchen, das mit
verblichenem Roſataffet uͤberzogen war und die
Quitung eines Lotterielooſes enthielt, das einſt
funfzigtauſend Mark gewonnen, 9° ein plattes
Stuͤck Brod, wie weißgebackner Schiffszwieback,
mit einem kleinen Loch in der Mitte, und endlich
10° die oben erwaͤhnten Pulver, die der kleine
Mann mit einer gewiſſen Ruͤhrung und mit
ſeinem verwundert wehmuͤthigen Kopfſchuͤtteln
betrachtete.
Wenn ich bedenke — ſeufzte er — daß mir
vor zehn Jahren die dicke Gudel dies Rezept
gegeben, und daß ich jetzt in Italien bin und
daſſelbe Rezept in Haͤnden habe, und wieder die
Worte leſe: sal mirabile Glauberi, das heißt
auf deutſch extra feines Glaubenſalz von der
beſten Sorte — ach, da iſt mir zu Muth, als
haͤtte ich das Glaubenſalz ſelbſt ſchon eingenom¬
men und als fuͤhlte ich die Wirkung. Was iſt
der Menſch! Ich bin in Italien und denke an
die dicke Gudel vom Dreckwall! Wer haͤtte das
gedacht! Ich kann mir vorſtellen, ſie iſt jetzt
auf dem Lande, in ihrem Garten, wo der Mond
ſcheint, und gewiß auch eine Nachtigall ſingt oder
eine Lerche —
Es iſt die Nachtigall und nicht die Lerche!
ſeufzte Gumpelino dazwiſchen, und deklamirte
vor ſich hin:
21 *
Sie ſingt des Nachts auf dem Granatbaum dort;
Glaub, Lieber, mir, es war die Nachtigall.
Das iſt ganz einerley — fuhr Hyacinth
fort — meinethalben ein Kanarienvogel, die
Voͤgel die man im Garten haͤlt, koſten am we¬
nigſten. Die Hauptſache iſt das Treibhaus, und
die Tapeten im Pavillon und die Staatsfiguren,
die davor ſtehen, und da ſtehen, zum Beyſpiel,
ein nackter General von den Goͤttern und die
Venus Urinia, die beide drey hundert Mark
koſten. Mitten im Garten hat ſich die Gudel
auch eine Fontenelle anlegen laſſen — Und da
ſteht ſie vielleicht jetzt und puhlt ſich die Naſe,
und macht ſich ein Schwaͤrmereyvergnuͤgen, und
denkt an mich — Ach!
Nach dieſem Seufzer erfolgte eine ſehnſuͤch¬
tige Stille, die der Markeſe endlich unterbrach,
mit der ſchmachtenden Frage: Sage mir auf
deine Ehre, Hyazinth, glaubſt du wirklich, daß
dein Pulver wirken wird?
Es wird auf meine Ehre wirken, erwiederte
jener. Warum ſoll es nicht wirken? Wirkt es
doch bei mir! Und bin ich denn nicht ein leben¬
diger Menſch ſo gut wie Sie? Glaubenſalz macht
alle Menſchen gleich; und wenn Rothſchild Glau¬
benſalz einnimmt, fuͤhlt er dieſelbe Wirkung wie
das kleinſte Maklerchen. Ich will Ihnen alles
vorausſagen: Ich ſchuͤtte das Pulver in ein
Glas, gieße Waſſer dazu, ruͤhre es, und ſo wie
Sie das hinuntergeſchluckt haben, ziehen Sie
ein ſaures Geſicht und ſagen Prr! Prr! Hernach
hoͤren Sie ſelbſt wie es in Ihnen herumkullert,
und es iſt Ihnen etwas kurios zu Muth und
Sie legen ſich zu Bett, und ich gebe Ihnen mein
Ehrenwort, Sie ſtehen wieder auf, und Sie legen
ſich wieder, und ſtehen wieder auf, und ſo fort,
und den andern Morgen fuͤhlen Sie ſich leicht
wie ein Engel mit weißen Fluͤgeln, und Sie
tanzen vor Geſundeswohlheit, nur ein bis¬
chen blaß ſehen Sie dann aus; aber ich
weiß, Sie ſehen gern ſchmachtend blaß aus,
und wenn Sie ſchmachtend blaß ausſehen, ſieht
man Sie gern.
Obgleich Hyazinth ſolchermaßen zuredete, und
ſchon das Pulver bereitete, haͤtte das doch wenig
gefruchtet, wenn nicht dem Markeſe ploͤtzlich die
Stelle, wo Julia den verhaͤngnißvollen Trank
einnimmt, in den Sinn gekommen waͤre. Was
halten Sie Doktor — rief er — von der Muͤller
in Wien? Ich habe ſie als Julia geſehen, und
Gott! Gott! wie ſpielt ſie! Ich bin doch der
groͤßte Enthuſiaſt fuͤr die Crelinger, aber die
Muͤller, als ſie den Becher austrank, hat mich
hingeriſſen. Sehen Sie — ſprach er, indem er
mit tragiſcher Geberde das Glas, worin Hya¬
zinth das Pulver geſchuͤttet, zur Hand nahm —
ſehen Sie, ſo hielt ſie den Becher und ſchauderte,
daß man Alles mitfuͤhlte wenn ſie ſagte:
Kalt rieſelt matter Schau'r durch meine Adern,
Der faſt die Lebenswaͤrm' erſtarren macht!
Und ſo ſtand ſie, wie ich jetzt ſtehe, und hielt
den Becher an die Lippen, und bey den Worten:
Weile, Tybalt!
Ich komme Romeo! Dies trink ich Dir.
Da leerte ſie den Becher —
Wohl bekomme es Ihnen, Herr Gumpel!
ſprach Hyazinth mit feyerlichem Tone; denn der
Markeſe hatte in nachahmender Begeiſterung das
Glas ausgetrunken, und ſich, erſchoͤpft von der
Deklamazion, auf das Sopha hingeworfen.
Er verharrte jedoch nicht lange in dieſer
Lage; denn es klopfte ploͤtzlich jemand an die
Thuͤre, und herein trat Lady Maxfields kleiner
Jokey, der dem Markeſe, mit laͤchelnder Verbeu¬
gung, ein Billet uͤberreichte und ſich gleich wieder
empfahl. Haſtig erbrach jener das Billet; waͤh¬
rend er las, leuchteten Naſe und Augen vor
Entzuͤcken, jedoch ploͤtzlich uͤberflog eine Geiſter¬
blaͤſſe ſein ganzes Geſicht, Beſtuͤrzung zuckte in
jeder Muskel, mit Verzweiflungsgeberden ſprang
er auf, lachte grimmig, rannte im Zimmer um¬
her, uudund ſchrie:
Weh mir, ich Narr des Gluͤcks!
Was iſt? Was iſt? frug Hyazinth mit zit¬
ternder Stimme, und indem er krampfhaft das
Kruzifix, woran er wieder putzte, in zitternden
Haͤnden hielt — Werden wir dieſe Nacht uͤber¬
fallen?
Was iſt Ihnen, Herr Markeſe, frug ich, eben¬
falls nicht wenig erſtaunt.
Leſ't! leſ't! — rief Gumpelino, indem er
uns das empfangene Billet hinwarf, und immer
noch verzweiflungsvoll im Zimmer umherrannte,
wobey ſein blauer Domino ihn wie eine Sturm¬
wolke umflatterte — Weh mir, ich Narr des
Gluͤcks!
In dem Billete aber laſen wir folgende
Worte:
Suͤßer Gumpelino! Sobald es tagt, muß
ich nach England abreiſen. Mein Schwager
iſt indeſſen ſchon vorangeeilt und erwartet mich
in Florenz. Ich bin jetzt unbeobachtet, aber
leider nur dieſe einzige Nacht — Laß uns
dieſe benutzen, laß uns den Nektarkelch, den
uns die Liebe kredenzt, bis auf den letzten
Tropfen leeren. Ich harre, ich zittere —
Julia Maxfield.
Weh mir, ich Narr des Gluͤcks! jammerte
Gumpelino — die Liebe will mir ihren Nektar¬
kelch kredenzen, und ich, ach! ich Hansnarr des
Gluͤcks, ich habe ſchon den Becher des Glauben¬
ſalzes geleert! Wer bringt mir den ſchrecklichen
Trank wieder aus dem Magen? Huͤlfe! Huͤlfe!
Hier kann kein irdiſcher Lebensmenſch mehr
helfen, ſeufzte Hyazinth.
Ich bedauere Sie von ganzem Herzen, kon¬
dolirte ich ebenfalls. Statt eines Kelchs mit
Nektar ein Glas mit Glauberſalz zu genießen,
das iſt bitter! Statt des Thrones der Liebe
harrt Ihrer jetzt der Stuhl der Nacht!
O Jeſus! O Jeſus! — ſchrie der Markeſe noch
immer — Ich fuͤhle, wie es durch alle meine
Adern rinnt — O wackerer Apotheker! dein
Trank wirkt ſchnell — aber ich laſſe mich doch
nicht dadurch abhalten, ich will zu ihr eilen, zu
ihren Fuͤßen will ich niederſinken, und da ver¬
bluten!
Von Blut iſt gar nicht die Rede — beguͤtigte
Hyazinth — Sie haben ja keine Homeriden.
Seyn Sie nur nicht leidenſchaftlich —
Nein, nein! ich will zu ihr hin, in ihren
Armen — o Nacht! o Nacht —
Ich ſage Ihnen — fuhr Hyazinth fort mit
philoſophiſcher Gelaſſenheit — Sie werden in ihren
Armen keine Ruhe haben, Sie werden zwanzig¬
mahl aufſtehen muͤſſen. Seyn Sie nur nicht
leidenſchaftlich. Je mehr Sie im Zimmer auf-
und abſpringen und je mehr ſie ſich alteriren,
deſto ſchneller wirkt das Glaubenſalz. Ihr Ge¬
muͤth ſpielt der Natur in die Haͤnde. Sie
muͤſſen wie ein Mann tragen, was das Schickſal
uͤber Sie beſchloſſen hat. Daß es ſo gekommen
iſt, iſt vielleicht gut, und es iſt vielleicht gut, daß
es ſo gekommen iſt. Der Menſch iſt ein irdiſches
Weſen und begreift nicht die Fuͤgung der Goͤtt¬
lichkeit. Der Menſch meint oft, er ginge ſeinem
Gluͤck entgegen, und auf ſeinem Wege ſteht viel¬
leicht das Ungluͤck mit einem Stock, und wenn
ein buͤrgerlicher Stock auf einen adeligen Ruͤcken
kommt, ſo fuͤhlt's der Menſch, Herr Markeſe.
Weh mir, ich Narr des Gluͤcks! tobte noch
immer Gumpelino, ſein Diener aber ſprach
ruhig weiter:
Der Menſch erwartet oft einen Kelch mit
Nektar, und er kriegt eine Pruͤgelſuppe, und
iſt auch Nektar ſuͤß, ſo ſind doch Pruͤgel deſto
bitterer; und es iſt noch ein wahres Gluͤck, daß
der Menſch, der den Andern pruͤgelt, am Ende
muͤde wird, ſonſt koͤnnte es der andere wahrhaftig
nicht aushalten. Gefaͤhrlicher iſt aber noch, wenn
das Ungluͤck mit Dolch und Gift, auf dem Wege
der Liebe, dem Menſchen auflauert, ſo daß er
ſeines Lebens nicht ſicher iſt. Vielleicht, Herr
Markeſe, iſt es wirklich gut, daß es ſo gekommen
iſt, denn vielleicht waͤren Sie in der Hitze der
Liebe zu der Geliebten hingelaufen, und auf dem
Wege waͤre ein kleiner Italiener mit einem Dolch,
der ſechs Brabanter Ellen lang iſt, auf Sie los¬
gerannt, und haͤtte Sie — ich will meinen Mund
nicht zum Boͤſen aufthun — blos in die Wade
geſtochen. Denn hier kann man nicht, wie in
Hamburg, gleich die Wache rufen, und in den
Appeninen giebt es keine Nachtwaͤchter. Oder
vielleicht gar — fuhr der unerbittliche Troͤſter
fort, ohne durch die Verzweiflung des Markeſe
ſich im mindeſten ſtoͤren zu laſſen — vielleicht
gar, wenn Sie bey Lady Maxfield ganz wohl und
warm ſaͤßen, kaͤme ploͤtzlich der Schwager von
der Reiſe zuruͤck und ſetzte Ihnen die geladene
Piſtole auf die Bruſt, und ließe Sie einen Wech¬
ſel unterſchreiben von hundert tauſend Mark.
Ich will meinen Mund nicht zum Boͤſen auf¬
thun, aber ich ſetze den Fall: Sie waͤren ein
ſchoͤner Menſch, und Lady Maxfield waͤre in
Verzweiflung, daß ſie den ſchoͤnen Menſchen ver¬
lieren ſoll, und eiferſuͤchtig, wie die Weiber ſind,
wollte ſie nicht, daß eine Andre ſich nachher an
Ihnen begluͤcke — Was thut ſie? Sie nimmt
eine Zitrone oder eine Orange, und ſchuͤttet ein
klein weiß Puͤlverchen hinein, und ſagt: kuͤhle
dich, Geliebter, du haſt dich heiß gelaufen —
und den andern Morgen ſind Sie wirklich ein
kuͤhler Menſch. Da war ein Mann, der hieß
Pieper und der hatte eine Leidenſchaftsliebe mit
einer Maͤdchenperſon, die das Poſaunenengelhan¬
chen hieß, und die wohnte auf der Kaffemacherey
und der Mann wohnte in der Fuhlentwiete —
Ich wollte, Hirſch — ſchrie wuͤthend der
Markeſe, deſſen Unruhe den hoͤchſten Grad er¬
reicht hatte — ich wollt', dein Pieper von der
Fuhlentwiete, und ſein Poſaunenengel von der
Kaffemacherey, und du und die Gudel, Ihr
haͤttet mein Glaubenſalz im Leibe!
Was wollen Sie von mir, Herr Gumpel? —
verſetzte Hyazinth, nicht ohne Anflug von Hitze —
Was kann ich dafuͤr, daß Lady Maxfield juſt heut
Nacht abreiſen will und Sie juſt heute invitirt?
Konnt' ich das voraus wiſſen? Bin ich Ariſto¬
teles? Bin ich bey der Vorſehung angeſtellt?
Ich habe blos verſprochen, daß das Pulver
wirken ſoll, und es wirkt ſo ſicher, wie ich einſt
ſelig werde, und wenn Sie ſo disparat und
leidenſchaflichleidenſchaftlich mit ſolcher Raſerey hin und her
laufen, ſo wird es noch ſchneller wirken —
So will ich mich ruhig hinſetzen! aͤchzte Gum¬
pelino, ſtampfte den Boden, warf ſich ingrimmig
auf's Sopha, unterdruͤckte gewaltſam ſeine Wuth
und Herr und Diener ſahen ſich lange ſchweigend
an, bis jener endlich nach einem tiefen Seufzer
und faſt kleinlaut ihn anredete:
Aber Hirſch, was ſoll die Frau von mir
denken, wenn ich nicht komme? Sie wartet
jetzt auf mich, ſie harrt ſogar, ſie zittert, ſie
gluͤht vor Liebe —
Sie hat einen ſchoͤnen Fuß — ſprach Hya¬
zinth in ſich hinein und ſchuͤttelte wehmuͤthig ſein
Koͤpflein. In ſeiner Bruſt aber ſchien es ſich
gewaltig zu bewegen, unter ſeinem rothen Rocke
arbeitete ſichtbar ein kuͤhner Gedanke —
Herr Gumpel — ſprach es endlich aus ihm
ihm hervor — Schicken Sie mich!
Bey dieſen Worten zog eine hohe Roͤthe uͤber
das blaͤßliche Geſchaͤftsgeſicht.
Capitel X.
Als Candide nach Eldorado kam, ſah er auf
der Straße mehrere Buben, die mit großen Gold¬
klumpen ſtatt mit Steinen ſpielten. Dieſer Luxus
machte ihn glauben, es ſeyen das Kinder des
Koͤnigs, und er war nicht wenig verwundert, als
er vernahm, daß in Eldorado die Goldklumpen
eben ſo werthlos ſind, wie bey uns die Kieſel¬
ſteine, und daß die Schulknaben damit ſpielen.
Einem meiner Freunde, einem Auslaͤnder, iſt
etwas Aehnliches begegnet, als er nach DeuſchlandDeutſchland
kam und zuerſt deutſche Buͤcher las, und uͤber den
Gedankenreichthum, welchen er darin fand, ſehr
erſtaunte; bald aber merkte er, daß Gedanken
in Deutſchland ſo haͤufig ſind, wie Goldklumpen
in Eldorado, und daß jene Schriftſteller, die er
fuͤr Geiſtesprinzen gehalten, nur gewoͤhnliche
Schulknaben waren.
Dieſe Geſchichte kommt mir immer in den
Sinn, wenn ich im Begriff ſtehe, die ſchoͤnſten
Reflexionen uͤber Kunſt und Leben niederzuſchrei¬
ben, und dann lache ich, und behalte lieber meine
Gedanken in der Feder, oder kritzele ſtatt dieſer
irgend ein Bild oder Figuͤrchen auf das Papier,
und uͤberrede mich, ſolche Tapeten ſeyen in
Deutſchland, dem geiſtigen Eldorado, weit brauch¬
barer als die goldigſten Gedanken.
Auf der Tapete, die ich Dir jetzt zeige, lieber
Leſer, ſiehſt Du wieder die wohlbekannten Ge¬
ſichter Gumpelino's und ſeines Hirſch-Hyazinthos,
und wenn auch jener mit minder beſtimmten
Zuͤgen dargeſtellt iſt, ſo hoffe ich doch, Du wirſt
ſcharfſinnig genug ſeyn, einen Negazionscharakter
22
ohne allzu poſitive Bezeichnungen zu begreifen.
Letztere koͤnnten mir einen Injurienprozeß zu
Wege bringen, oder gar noch bedenklichere Dinge.
Denn der Markeſe iſt maͤchtig durch Geld und
Verbindungen. Dabey iſt er der natuͤrliche Alliirte
meiner Feinde, er unterſtuͤtzt ſie mit Subſidien,
er iſt Ariſtokrat, Ultra-Papiſt, nur etwas fehlte
ihm noch — je nun, auch das wird er ſich ſchon
anlehren laſſen — er hat das Lehrbuch dazu in
den Haͤnden, wie Du auf der Tapete ſehen wirſt.
Es iſt wieder Abend, auf dem Tiſche ſtehen
zwey Armleuchter mit brennenden Wachskerzen,
ihr Schimmer ſpielt uͤber die goldenen Rahmen
der Heiligenbilder, die, an der Wand haͤngend,
durch das flackernde Licht und die beweglichen
Schatten zu leben ſcheinen. Draußen, vor dem
Fenſter, ſtehen im ſilbernen Mondſchein, unheim¬
lich bewegungslos, die duͤſtern Zypreſſen, und in
der Ferne ertoͤnt ein truͤbes Marienliedchen, in
abgebrochenen Lauten und wie von einer kranken
Kinderſtimme. Es herrſcht eine eigene Schwuͤle
im Zimmer, der Markeſe Chriſtophoro di Gum¬
pelino ſitzt, oder vielmehr liegt wieder, nachlaͤßig
vornehm, auf den Kiſſen des Sophas, der edle
ſchwitzende Leib iſt wieder mit dem duͤnnen, blau¬
ſeidenen Domino bekleidet, in den Haͤnden haͤlt
er ein Buch, das in rothes Saffianpapier mit
Goldſchnitt gebunden iſt, und deklamirt daraus
laut und ſchmachtend. Sein Auge hat da¬
bey einen gewiſſen klebrigten Luſtre, wie er
verliebten Katern eigen zu ſeyn pflegt, und
ſeine Wangen, ſogar die beiden Seitenfluͤgel der
Naſe, ſind etwas leidend blaß. Jedoch, lieber
Leſer, dieſe Blaͤſſe ließe ſich wohl philoſophiſch
antropologiſch erklaͤren, wenn man bedenkt, daß
der Markeſe den Abend vorher ein ganzes Glas
Glauberſalz verſchluckt hat.
Hirſch-Hyazinthos aber kauert am Boden
des Zimmers, und mit einem großen Stuͤck
weißer Kreide zeichnet er auf das braune
22 *
Eſtrich, in großem Maßſtabe ungefaͤhr folgende
Charaktere:
⏑⏑—⏑⏑—⏑⏑—⏕
⏑⏑—⏑⏑—⏑⏑—⏕
⏑⏑—⏑⏑—⏑⏑—⏕
⏑⏑—⏑⏑—⏕
⏕
Dieſes Geſchaͤft ſcheint dem kleinen Manne
ziemlich ſauer zu werden; keuchend, bey dem
jedesmaligen Buͤcken, murmelt er verdrießlich:
Spondeus, Trochaͤus, Jambus, Antiſpaß, Ana¬
paͤſt und die Peſt! Dazu hat er, um der beque¬
meren Bewegung willen, den rothen Oberrock
abgelegt, und zum Vorſchein kommen zwey kurze,
demuͤthige Beinchen in engen Scharlachhoſen,
und zwey etwas laͤngere abgemagerte Arme in
weißen, ſchlotternden Hemdaͤrmeln.
Was ſind das fuͤr ſonderbare Figuren, frug ich
ihn, als ich dieſem Treiben eine Weile zugeſehen.
Das ſind Fuͤße in Lebensgroͤße — aͤchzte er
zur Antwort — und ich geplagter Mann muß
dieſe Fuͤße im Kopf behalten, und meine Haͤnde
thun mir ſchon weh von all den Fuͤßen, die
ich jetzt aufſchreiben muß. Es ſind die wahren,
aͤchten Fuͤße von der Poeſie. Wenn ich es
nicht meiner Bildung wegen thaͤte, ſo ließe ich
die Poeſie laufen mit allen ihren Fuͤßen. Ich
habe jetzt bey dem Herrn Markeſe Privatunter¬
richt in der Poeſiekunſt. Der Herr Markeſe
lieſt mir die Gedichte vor, und explizirt mir, aus
wie viel Fuͤßen ſie beſtehen, und ich muß ſie no¬
tiren und dann nachrechnen, ob das Gedicht
richtig iſt.
Sie treffen uns — ſprach der Markeſe, didak¬
tiſch pathetiſchen Tones — wirklich in einer
poetiſchen Beſchaͤftigung. Ich weiß wohl, Dok¬
tor, Sie gehoͤren zu den Dichtern, die einen
eigenſinnigen Kopf haben, und nicht einſehen,
daß die Fuͤße in der Dichtkunſt die Hauptſache
ſind. Ein gebildetes Gemuͤth wird aber nur
durch die gebildete Form angeſprochen, dieſe koͤn¬
nen wir nur von den Griechen lernen und von
neueren Dichtern, die griechiſch ſtreben, griechiſch
denken, griechiſch fuͤhlen, und in ſolcher Weiſe
ihre Gefuͤhle an den Mann bringen.
Verſteht ſich an den Mann, nicht an die
Frau, wie ein unklaſſiſcher romantiſcher Dichter
zu thun pflegt — bemerkte meine Wenigkeit.
Herr Gumpel ſpricht zuweilen wie ein Buch,
fluͤſterte mir Hyazinth von der Seite zu, preßte
die ſchmalen Lippen zuſammen, blinzelte mit ſtolz
vergnuͤgten Aeuglein, und ſchuͤttelte das wunder¬
ſtaunende Haͤuptlein. Ich ſage Ihnen — ſetzte
er etwas lauter hinzu — wie ein Buch ſpricht
er zuweilen, er iſt dann ſo zu ſagen kein Menſch
mehr, ſondern ein hoͤheres Weſen, und ich werde
dann wie dumm, je mehr ich ihn anhoͤre.
Und was haben Sie denn jetzt in den Haͤnden?
frug ich den Markeſe.
Brillanten! antwortete er und uͤberreichte mir
das Buch.
Bey dem Wort „Brillanten“ ſprang Hya¬
zinth in die Hoͤhe; doch als er nur ein Buch
ſah, laͤchelte er mitleidigen Blicks. Dieſes brillante
Buch aber hatte auf dem Vorderblatte folgenden
Titel:
„Gedichte von Auguſt Grafen von Platen;
Stuttgard und Tuͤbingen. Verlag der
J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1828.“
Auf dem Hinterblatte ſtand zierlich geſchrieben:
„Geſchenk warmer bruͤderlicher Freundſchaft.“
Dabey roch das Buch nach jenem ſeltſamen Par¬
fum, der mit Eau de Cologne nicht die mindeſte
Verwandſchaft hat, und vielleicht auch dem Um¬
ſtande beyzumeſſen war, daß der Markeſe die
ganze Nacht darin geleſen hatte.
Ich habe die ganze Nacht kein Auge zuthun
koͤnnen — klagte er mir — ich war ſo ſehr be¬
wegt, ich mußte eilf mal aus dem Bette ſteigen,
und zum Gluͤck hatte ich dabey dieſe vortreffliche
Lektuͤre, woraus ich nicht blos Belehrung fuͤr die
Poeſie, ſondern auch Troſt fuͤr das Leben geſchoͤpft
habe. Sie ſehen, wie ſehr ich das Buch geehrt,
es fehlt kein einziges Blatt, und doch, wenn ich ſo
ſaß wie ich ſaß, kam ich manchmal in Verſuchung —
Das wird Mehreren paſſirt ſeyn, Herr
Markeſe.
Ich ſchwoͤre Ihnen bei unſerer lieben Frau
von Loretto und ſo wahr ich ein ehrlicher Mann
bin — fuhr jener fort — dieſe Gedichte haben
nicht ihres Gleichen. Ich war, wie Sie wiſſen,
geſtern Abend in Verzweiflung, ſo zu ſagen, au
Deſespoir, als das Fatum mir nicht vergoͤnnte,
meine Julia zu beſitzen — da las ich dieſe Ge¬
dichte, jedesmal ein Gedicht wenn ich aufſtehen
mußte, und eine ſolche Gleichguͤltigkeit gegen die
Weiber war die Folge, daß mir mein eigener
Liebesſchmerz zuwider wurde. Das iſt eben das
Schoͤne an dieſem Dichter, daß er nur fuͤr Maͤn¬
ner gluͤht, in warmer Freundſchaft; er giebt uns
den Vorzug vor dem weiblichen Geſchlechte, und
ſchon fuͤr dieſe Ehre ſollten wir ihm dankbar
ſeyn. Er iſt darin groͤßer als alle andern Dich¬
ter, er ſchmeichelt nicht dem gewoͤhnlichen Ge¬
ſchmack des großen Haufens, er heilt uns von
unſerer Paſſion fuͤr die Weiber, die uns ſo viel
Ungluͤck zuzieht — O Weiber! Weiber! wer
uns von Euren Feſſeln befreit, der iſt ein Wohl¬
thaͤter der Menſchheit. Es iſt ewig Schade, daß
Shakespeare ſein eminentes theatraliſches Talent
nicht dazu benutzt hat, denn er ſoll, wie ich hier
zuerſt leſe, nicht minder großherzig gefuͤhlt haben
als der große Graf Platen, der in ſeinen So¬
netten von Shakespeare ſagt:
Nicht Maͤdchenlaunen ſtoͤrten deinen Schlummer,
Doch ſtets um Freundſchaft ſehn wir warm dich ringen:
Dein Freund errettet dich aus Weiberſchlingen,
Und ſeine Schoͤnheit iſt dein Ruhm und Kummer.
Waͤhrend der Markeſe dieſe Worte mit war¬
mem Gefuͤhl deklamirte, und der glatte Miſt ihm
gleichſam auf der Zunge ſchmolz, ſchnitt Hyazinth
die widerſprechendſten Geſichter, zugleich verdrie߬
lich und beyfaͤllig, und endlich ſprach er:
Herr Markeſe, Sie ſprechen wie ein Buch,
auch die Verſe gehen Ihnen wieder ſo leicht ab
wie dieſe Nacht, aber ihr Inhalt will mir nicht
gefallen. Als Mann fuͤhle ich mich geſchmeichelt,
daß der Graf Platen uns den Vorzug giebt vor
den Weibern, und als Freund von den Weibern
bin ich wieder ein Gegner von ſolch einem Manne.
So iſt der Menſch! Der Eine ißt gern Zwiebeln, der
Andere hat mehr Gefuͤhl fuͤr warme Freundſchaft,
und ich, als ehrlicher Mann, muß aufrichtig geſtehen,
ich eſſe gern Zwiebeln, und eine ſchiefe Koͤchin iſt
mir lieber als der ſchoͤnſte Schoͤnheitsfreund.
Ja, ich muß geſtehen, ich ſehe nicht ſo viel
Schoͤnes am maͤnnlichen Geſchlecht, daß man ſich
darin verlieben ſollte.
Dieſe letzteren Worte ſprach Hyazinth, waͤh¬
rend er ſich muſternd im Spiegel betrachtete, der
Markeſe aber ließ ſich nicht ſtoͤren und deklamirte
weiter:
„Der Hoffnung Schaumgebaͤude bricht zuſammen,
Wir muͤh'n uns, ach! und kommen nicht zuſammen:
Mein Name klingt aus deinem Mund melodiſch,
Doch reih'ſt du ſelten dies Gedicht zuſammen;
Wie Sonn' und Mond uns ſtets getrennt zu halten,
Verſchworen Sitte ſich und Pflicht zuſammen,
Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen
Dein dunkles Haar, mein hell Geſicht zuſammen!
Doch ach! ich traͤume, denn du ziehſt von hinnen,
Eh' noch das Gluͤck uns brachte dicht zuſammen:
Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber,
O waͤren's Blumen, die man flicht zuſammen!“
Eine komiſche Poeſie! — rief Hyazinth, der
die Reime nachmurmelte — Sitte ſich und Pflicht
zuſammen, Geſicht zuſammen, dicht zuſammen,
flicht zuſammen! komiſche Poeſie! Mein Schwa¬
ger, wenn er Gedichte lieſt, macht oft den Spaß,
daß er am Ende jeder Zeile die Worte “von
vorn„ und “von hinten„ abwechſelnd hinzuſetzt;
und ich habe nie gewußt, daß die Poeſiegedichte,
die dadurch entſtehen, Gaſelen heißen. Ich muß
einmal die Probe machen, ob das Gedicht, das
der Herr Markeſe deklamirt hat, nicht noch ſchoͤ¬
ner wird, wenn man nach dem Wort “zuſam¬
men„ jedesmal, mit Abwechslung “von vorn„
und “von hinten„ ſetzt; die Poeſie davon wird
gewiß zwanzig Prozent ſtaͤrker.
Ohne auf dieſes Geſchwaͤtz zu achten, fuhr
der Markeſe fort im Deklamiren von Gaſelen
und Sonetten, worin der Liebende ſeinen Schoͤn¬
heitsfreund beſingt, ihn preiſt, ſich uͤber ihn be¬
klagt, ihn des Kaltſinns beſchuldigt, Plaͤne ſchmie¬
det, um zu ihm zu gelangen, mit ihm aͤugelt,
eiferſuͤchtelt, ſchmaͤchtelt, eine ganze Scala von
Zaͤrtlichkeiten durchliebelt, und zwar ſo warmſelig,
betaſtungsſuͤchtig und anleckend, daß man glauben
ſollte, der Verfaſſer ſey ein manntolles Maͤgdlein —
Nur muͤßte es dann einigermaßen befremden, daß
dieſes Maͤgdlein beſtaͤndig jammert, ihre Liebe
ſey gegen die „Sitte“ daß ſie gegen „dieſe
trennende Sitte“ ſo bitter geſtimmt iſt, wie ein
Taſchendieb gegen die Polizey, daß ſie liebend
„die Lende“ des Freundes umſchlingen moͤchte, daß
ſie ſich uͤber „Neider“ beklagt, „die ſich ſchlau ver¬
einen, um uns zu hindern und getrennt zu hal¬
ten“ daß ſie uͤber verletzende Kraͤnkungen klagt
von Seiten des Freundes, daß ſie ihm verſichert,
ſie wolle ihn nur fluͤchtig erblicken, ihm betheuert
„Nicht eine Sylbe ſoll dein Ohr erſchrecken!“
und endlich geſteht:
„Mein Wunſch bey Andern Widerſtreben,
Du haſt ihn nicht erhoͤrt, doch abgeſchlagen
Haſt du ihn auch nicht, o mein ſuͤßes Leben!“
Ich muß dem Markeſe das Zeugniß ertheilen,
daß er dieſe Gedichte gut vortrug, hinlaͤnglich
dabey ſeufzte, aͤchzte und auf dem Sopha hin
und herrutſchend gleichſam mit dem Geſaͤße ko¬
kettirte. Hyazinth verſaͤumte keineswegs, immer
die Reime nachzuplappern, wenn er auch unge¬
hoͤrige Bemerkungen dazwiſchen ſchwaͤtzte. Den
Oden ſchenkte er die meiſte Aufmerkſamkeit. Man
kann bey dieſer Sorte, ſagte er, weit mehr ler¬
nen als bey Saunetten und Gaſelen; da bey
den Oden die Fuͤße oben ganz beſonders abge¬
druckt ſind, kann man jedes Gedicht mit Be¬
quemlichkeit nachrechnen. Jeder Dichter ſollte,
wie der Graf Platen, bey ſeinen ſchwierigſten
Poeſiegedichten, die Fuͤße oben drucken und zu
den Leuten ſagen: Seht ich bin ein ehrlicher
Mann, ich will Euch nicht betruͤgen, dieſe krum¬
men und geraden Striche, die ich vor jedes Ge¬
dicht ſetze, ſind ſo zu ſagen ein Conto finto von
jedem Gedicht, und Ihr koͤnnt nachrechnen, wie
viel Muͤhe es mich gekoſtet, ſie ſind, ſo zu ſagen,
das Ellenmaß von jedem Gedichte, und Ihr
koͤnnt nachmeſſen, und fehlt daran eine einzige
Sylbe, ſo ſollt Ihr mich einen Spitzbuben nen¬
nen, ſo wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Aber
eben durch dieſe ehrliche Miene, kann das Pu¬
blikum betrogen werden. Eben wenn die Fuͤße
vor dem Gedichte angegeben ſind, denkt man: ich
will kein mißtrauiſcher Menſch ſeyn, wozu ſoll
ich dem Manne nachzaͤhlen, er iſt gewiß ein ehr¬
licher Mann und man zaͤhlt nicht nach und wird
betrogen. Und kann man immer nachrechnen?
Wir ſind jetzt in Italien und da habe ich Zeit,
die Fuͤße mit Kreide auf die Erde zu ſchreiben
und jede Ode zu kollazioniren. Aber in Ham¬
burg, wo ich mein Geſchaͤft habe, fehlt mir die
Zeit dazu, und ich muͤßte dem Grafen Platen un¬
gezaͤhlt trauen, wie man traut bey den Geld¬
beuteln von der Courantkaſſe, worauf geſchrieben
ſteht, wie viel Hundert Thaler darin enthalten —
ſie gehen verſiegelt von Hand zu Hand, jeder
traut dem Andern, daß ſo viel darin enthalten
iſt, wie darauf ſteht, und es giebt doch Beyſpiele, daß
ein Muͤſſiggaͤnger, der nicht viel zu thun hatte,
ſo einen Beutel geoͤffnet und nachgezaͤhlt und ein
paar Thaler zu wenig darin gefunden hat. So
kann auch in der Poeſie viel Spitzbuͤberey vor¬
fallen. Beſonders wenn ich an Geldbeutel denke,
werde ich mißtrauiſch. Denn mein Schwager hat
mir erzaͤhlt: im Zuchthaus zu Odenſee ſitzt — ein ge¬
wiſſer Jemand, der bey der Poſt angeſtellt war,
und die Geldbeutel, die durch ſeine Haͤnde gingen,
unehrlich geoͤffnet und unehrlich Geld herausge¬
nommen, und ſie wieder kuͤnſtlich zugenaͤht und
weiter geſchickt hat. Hoͤrt man von ſolcher Ge¬
ſchicklichkeit, ſo verliert man das menſchliche Zu¬
trauen und wird ein mißtrauiſcher Menſch. Es
giebt jetzt viel Spitzbuͤberey in der Welt, und
es iſt gewiß in der Poeſie wie in jedem anderen
Geſchaͤft.
Die EhrlichteitEhrlichkeit — fuhr Hyacinth fort, waͤh¬
rend der Markeſe weiter deklamirte, ohne unſerer
zu achten, ganz verſunken in Gefuͤhl — die Ehr¬
lichkeit, Herr Doktor iſt die Hauptſache, und wer
kein ehrlicher Mann iſt, den betrachte ich wie
einen Spitzbuben, und wen ich wie einen Spitz¬
buben betrachte, von dem kaufe ich nichts, von
dem leſe ich nichts, kurz ich mache kein Geſchaͤft
mit ihm. Ich bin ein Mann, Herr Doktor,
der ſich auf nichts etwas einbildet, wenn ich mir
aber etwas einbilden wollte auf etwas, ſo wuͤrde
ich mir etwas darauf einbilden, daß ich ein ehr¬
licher Mann bin. Ich will Ihnen einen edlen
Zug von mir erzaͤhlen, und Sie werden ſtaunen
— ich ſag' Ihnen, Sie werden ſtaunen, ſo wahr
ich ein ehrlicher Mann bin. Da wohnt ein
Mann in Hamburg auf dem Speersort, und der
iſt ein Krautkraͤmer, und heißt Kloͤtzchen, das heißt,
ich heiße den Mann Kloͤtzchen, weil wir gute
Freunde ſind, ſonſt heißt der Mann Herr Klotz.
Auch ſeine Frau muß man Madam Klotz nennen,
und ſie hat nie leiden koͤnnen, daß ihr Mann
23
bey mir ſpielte, und wenn ihr Mann bey mir
ſpielen wollte, ſo durfte ich mit dem Lotterieloos
nicht zu ihm in's Haus kommen, und er ſagte
mir immer auf der Straße: die und die Nummer
will ich bey dir ſpielen und hier haſt du das
Geld, Hirſch! Und ich ſagte dann: gut, Kloͤtz¬
chen! Und kam ich nach Hauſe, ſo legte ich die
Nummer kouvertirt fuͤr ihn aparte, und ſchrieb
auf das Kouvert mit deutſchen Buchſtaben: fuͤr
Rechnung des Herrn Chriſtian Hinrich Klotz. Und
nun hoͤren Sie und ſtaunen Sie: Es war ein
ſchoͤner Fruͤhlingstag, und die Baͤume an der
Boͤrſe waren gruͤn, und die Zephyrluͤfte waren
angenehm, und die Sonne glaͤnzte am Himmel,
und ich ſtand an der Hamburger Bank. Da
kommt Kloͤtzchen, mein Kloͤtzchen, und hat am
Arm ſeine dicke Madam Klotz, und gruͤßt mich
zuerſt, und ſpricht von der Fruͤhlingspracht Got¬
tes, macht auch einige patriotiſche Bemerkungen
uͤber das Buͤrgermilitair, und er fragt mich wie
die Geſchaͤfte gehen, und ich erzaͤhle ihm, daß vor
einigen Stunden wieder einer am Pranger ge¬
ſtanden, und ſo im Geſpraͤch ſagt er mir: geſtern
Nacht habe ich getraͤumt, Nummero 1538 wird
als das große Loos herauskommen — und in
demſelben Moment, waͤhrend Madame Klotz die
Kaiſerſtatiſten vor dem Rathhaus betrachtet, druͤckt
er mir dreyzehn vollwichtige Stuͤck Louisd'or in die
Hand — ich meyne ich fuͤhle ſie noch jetzt — und
ehe Madam Klotz ſich wieder herumdreht, ſag'
ich: gut, Kloͤtzchen! und gehe weg. Und ich gehe
directement, ohne mich umzuſehen, nach der
Hauptkollekte und hole mir Nummero 1538, und
kouvertire ſie ſobald ich nach HanſeHauſe komme, und
ſchreibe auf das Kouvert: fuͤr Rechnung des
Herrn Chriſtian Hinrich Klotz. Und was thut
Gott? Vierzehn Tage nachher, um meine Ehr¬
lichkeit auf die Probe zu ſtellen, laͤßt er Num¬
mero 1538 herauskommen mit einem Gewinn
von 50,000 Mark. Was thut aber Hirſch, der¬
23 *
ſelbe Hirſch, der jetzt vor Ihnen ſteht? Dieſer
Hirſch zieht ein reines weißes Oberhemdchen und
ein reines weißes Halstuch an, und nimmt ſich
eine Droſchke, und holt ſich bey der Hauptkollekte
ſeine 50,000 Mark und faͤhrt damit nach dem
Speersort — Und wie mich Kloͤtzchen ſieht, fragt
er: Hirſch warum biſt du heut' ſo geputzt? Ich
aber antworte kein Wort, und ſetze einen großen
Ueberraſchungsbeutel mit Gold auf den Tiſch,
und rede ganz feyerlich: Herr Chriſtian Hinrich
Klotz! die Nummero 1538, die Sie ſo guͤtig
waren bey mir zu beſtellen, hat das Gluͤck gehabt
50,000 Mark zu gewinnen, in dieſem Beutel
habe ich die Ehre Ihnen das Geld zu praͤſentiren,
und ich bin ſo frey mir eine Quitung auszu¬
bitten! Wie Kloͤtzchen das hoͤrt, faͤngt er an zu
weinen, wie Madam Klotz die Geſchichte hoͤrt,
faͤngt ſie an zu weinen, die rothe Magd weint,
der krumme Ladendiener weint, die Kinder wei¬
nen, und ich? ein Ruͤhrungsmenſch, wie ich bin,
konnte ich doch nicht weinen, und fiel erſt in
Ohnmacht, und erſt nachher kamen mir die Thraͤ¬
nen aus den Augen wie ein Waſſerbach, und ich
weinte drey Stunden.
Die Stimme des kleinen Menſchen bebte als
er dieſes erzaͤhlte, und feyerlich zog er ein ſchon
erwaͤhntes Paͤckchen aus der Taſche, wickelte da¬
von den ſchon verblichenen Roſataffet, und zeigte
mir den Schein, worin Chriſtian Hinrich Klotz
den richtigen Empfang der 50,000 Mark quitirte.
Wenn ich ſterbe — ſprach Hyazinth, eine Thraͤne
im Auge — ſoll man mir dieſe Quitung mit
in's Grab legen, und wenn ich einſt dort oben,
am Tage des Gerichts, Rechenſchaft geben muß
von meinen Thaten, dann werde ich mit dieſer
Quitung in der Hand vor den Stuhl der All¬
macht treten, und wenn mein boͤſer Engel die
boͤſen Handlungen, die ich auf dieſer Welt began¬
gen habe, vorgeleſen, und mein guter Engel auch
die Liſte von meinen guten Handlungen ableſen
will, dann ſag ich ruhig: Schweig! — ich will
nur wiſſen, iſt dieſe Quitung richtig? iſt das die
Handſchrift von Chriſtian Hinrich Klotz? Dann
kommt ein ganz kleiner Engel herangeflogen, und
ſagt, er kenne ganz genau Kloͤtzchens Handſchrift,
und er erzaͤhlt zugleich die merkwuͤrdige Geſchichte
von der Ehrlichkeit, die ich mahl begangen habe.
Der Schoͤpfer der Ewigkeit aber, der Allwiſſende
der Alles weiß, erinnert ſich an dieſe Geſchichte,
und er lobt mich in Gegenwart von Sonne,
Mond und Sternen, und berechnet gleich im
Kopf, daß wenn meine boͤſen Handlungen von
50,000 Mark Ehrlichkeit abgezogen werden, mir
noch ein Saldo zu Gut kommt, und er ſagt
dann: Hirſch! ich ernenne dich zum Engel erſter
Klaſſe, und du darfſt Fluͤgel tragen mit roth und
weißen Federn.
Capitel XI.
Wer iſt denn der Graf Platen, den wir im
vorigen Kapitel als Dichter und warmen Freund
kennen lernten? Ach, lieber Leſer, dieſe Frage las
ich ſchon lange auf deinem Geſichte, und nur
zaudernd gehe ich an die Beantwortung. Das
iſt ja eben das Mißgeſchick deutſcher Schriftſteller,
daß ſie jeden guten oder boͤſen Narrn, den ſie
auf's Tapet bringen, erſt durch trockne Charakter¬
ſchilderung und Perſonalbeſchreibung bekannt
machen muͤſſen, damit man erſtens wiſſe daß er
exiſtirt, und zweitens den Ort kenne, wo die
Geißel ihn trifft, ob unten oder oben, vorn oder
hinten. Anders war es bey den Alten, anders
iſt es noch jetzt bey neueren Voͤlkern, z. B. den
Englaͤndern und Franzoſen, die ein Volksleben,
und daher public characters haben. Wir
Deutſchen aber, wir haben zwar ein ganzes naͤr¬
riſches Volk, aber wenig ausgezeichnete Narren,
die bekannt genug waͤren, um ſie als allgemein
verſtaͤndliche Charaktere in Proſa oder Verſen
gebrauchen zu koͤnnen. Die wenigen Maͤnner
dieſer Art, die wir beſitzen, haben wirklich Recht,
wenn ſie ſich wichtig machen. Sie ſind von un¬
ſchaͤtzbarem Werthe und zu den hoͤchſten An¬
ſpruͤchen berechtigt. So z.B. der Herr Geheimrath
Schmalz, Profeſſor der Berliner Univerſitaͤt, iſt
ein Mann, der nicht mit Geld zu bezahlen iſt;
ein humoriſtiſcher Schriftſteller kann ihn nicht
entbehren, und er ſelbſt fuͤhlt dieſe perſoͤnliche
Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit in ſo hohem
Grade, daß er jede Gelegenheit ergreift, um
humoriſtiſchen Schriftſtellern Stoff zur Satyre
zu geben, daß er Tag und Nacht gruͤbelt, wie
er ſich als Staatsmann, Serviliſt, Dekan,
Antihegelianer und Patriot laͤcherlich machen kann,
und ſomit die Litteratur, fuͤr die er ſich gleichſam
aufopfert, thatkraͤftig zu befoͤrdern. Den deut¬
ſchen Univerſitaͤten muß man uͤberhaupt nach¬
ruͤhmen, daß ſie den deutſchen Schriftſteller, mehr
als jede andere Zunft, mit allerley Narren
verſorgen, und beſonders Goͤttingen habe ich
immer in dieſer Hinſicht zu ſchaͤtzen gewußt.
Dies iſt auch der geheime Grund, weßhalb ich
mich fuͤr die Erhaltung der Univerſitaͤten erklaͤre,
obgleich ich ſtets Gewerbefreyheit und Vernich¬
tung des Zunftweſens gepredigt habe. Bey
ſolchem fuͤhlbaren Mangel an ausgezeichneten
Narren, kann man mir nicht genug danken, wenn
ich neue aufs Tapet bringe und allgemein brauch¬
bar mache. Zum Beſten der Litteratur will
ich daher jetzt vom Grafen Auguſt von Platen
Hallermuͤnde etwas ausfuͤhrlicher reden. Ich
will dazu beytragen, daß er zweckmaͤßig bekannt,
und gewiſſermaßen beruͤhmt werde, ich will ihn
litterariſch gleichſam herausfuͤttern, wie die
Irokeſen thun mit den Gefangenen, die ſie
bey ſpaͤteren Feſtmahlen verſpeiſen wollen. Ich
werde ganz treu ehrlich verfahren und uͤberaus
hoͤflich, wie es einem Buͤrgerlichen ziemt, ich
werde das Materielle, das ſogenannt Perſoͤnliche,
nur in ſo weit beruͤhren, als ſich geiſtige Er¬
ſcheinungen dadurch erklaͤren laſſen, und ich werde
immer ganz genau den Standpunkt, von wo aus
ich ihn ſah, und ſogar manchmal die Brille, wo¬
durch ich ihn ſah, angeben.
Der Standpunkt, von wo ich den Grafen
Platen zuerſt gewahrte, war Muͤnchen, der
Schauplatz ſeiner Beſtrebungen, wo er, bey allen
die ihn kennen, ſehr beruͤhmt iſt, und wo er ge¬
wiß, ſo lange er lebt, unſterblich ſeyn wird. Die
Brille, wodurch ich ihn ſah, gehoͤrte einigen Inſaſ¬
ſen Muͤnchens, die uͤber ſeine aͤußere Erſcheinung
dann und wann, in heiteren Stunden, ein heite¬
res Wort hinwarfen. Ich habe ihn ſelbſt nie
geſehen, und wenn ich mir ſeine Perſon denken
will, erinnere ich mich immer an die drollige
Wuth, womit einmal mein Freund der Doktor
Lautenbacher uͤber Poetennarrheit im Allgemeinen
loszog, und insbeſondere eines Grafen Platen
erwaͤhnte, der mit einem Lorbeerkranze auf dem
Kopfe, ſich auf der oͤffentlichen Promenade zu
Erlangen den Spaziergaͤngern in den Weg ſtellte
und, mit der bebrillten Naſe gen Himmel ſtar¬
rend, in poetiſcher Begeiſterung zu ſeyn vorgab.
Andere haben beſſer von dem armen Grafen ge¬
ſprochen, und beklagten nur ſeine beſchraͤnkten
Mittel, die ihn, bey ſeinem Ehrgeiz, ſich wenig¬
ſtens als ein Dichter auszuzeichnen, uͤber die
Gebuͤhr zum Fleiße noͤthigten, und ſie lobten be¬
ſonders ſeine Zuvorkommenheit gegen Juͤngere,
bey denen er die Beſcheidenheit ſelbſt geweſen
ſey, indem er mit der liebreichſten Demuth ihre
Erlaubniß erbeten, dann und wann zu ihnen aufs
Zimmer kommen zu duͤrfen, und ſogar die Gut¬
muͤthigkeit ſo weit getrieben habe, immer wieder
zu kommen, ſelbſt wenn man ihn die Laͤſtigkeit
ſeiner Viſiten aufs deutlichſte merken laſſen. Der¬
gleichen Erzaͤhlungen haben mich gewiſſermaßen
geruͤhrt, obgleich ich dieſen Mangel an Perſonal¬
beyfall ſehr natuͤrlich fand. Vergebens klagte oft
der Graf:
— Deine blonde Jugend, ſuͤßer Knabe,
Verſchmaͤht den melancholiſchen Genoſſen.
So will in Scherz ich mich ergehn, in Poſſen,
Anſtatt ich jetzt mich bloß an Thraͤnen labe,
Und um der Froͤhlichkeit mir fremde Gabe,
Hab' ich den Himmel anzuflehn beſchloſſen.
Vergebens verſicherte der arme Graf, daß er
einſt der beruͤhmteſte Dichter werde, daß ſchon
der Schatten eines Lorbeerblattes auf ſeiner
Stirne ſichtbar ſey, daß er ſeine ſuͤßen Knaben
ebenfalls unſterblich machen koͤnne, durch unver¬
gaͤngliche Gedichte. Ach! eben dieſe Celebritaͤt
war Keinem lieb, und in der That, ſie war keine
beneidenswerthe. Ich erinnere mich noch, mit
welchem unterdruͤckten Laͤcheln ein Candidat ſolcher
Celebritaͤt von einigen luſtigen Freunden, unter
den Arkaden zu Muͤnchen, betrachtet wurde. Ein
ſcharfſichtiger Boͤſewicht meinte ſogar, er ſaͤhe
zwiſchen den Rockſchoͤßen deſſelben den Schatten
eines Lorbeerblattes. Was mich betrifft, lieber
Leſer, ſo bin ich nicht ſo boshaft, wie du
denkſt, ich bemitleide den armen Grafen, wenn
ihn Andere verhoͤhnen, ich zweifle, daß er ſich
an der verhaßten “Sitte„ thaͤtlich geraͤcht
habe, obgleich er in ſeinen Liedern ſchmachtet,
ſich ſolcher Rache hinzugeben; ich glaube viel¬
mehr an die verletzenden Kraͤnkungen, beleidigen¬
den Zuruͤckſetzungen und Abweiſungen, wovon er
ſelbſt ſo ruͤhrend ſingt. Ich bin uͤberzeugt, er
betrug ſich gegen die Sitten uͤberhaupt weit loͤb¬
licher, als ihm ſelber lieb war, und er kann
vielleicht, wie General Tilly, von ſich ruͤhmen:
Ich war nie berauſcht, ich habe nie ein Weib
beruͤhrt und habe nie eine Schlacht verloren.
Deshalb gewiß ſagt von ihm der Dichter:
Du biſt ein nuͤchterner, modeſter Junge.
Der arme Junge, oder vielmehr der arme
alte Junge — denn er hatte ſchon einige
Luſtren hinter ſich — hockte damals, wenn ich
nicht irre, auf der Bibliothek in Erlangen,
wo man ihm einige Beſchaͤftigung angewieſen
hatte; doch da dieſe ſeinem hochſtrebenden Geiſte
nicht genuͤgte, da mit den Luſtren auch die Luͤſtern¬
heit nach illuͤſtrer Luſt ihn mehr und mehr ſtachelte,
und der Graf von ſeiner kuͤnftigen Herrlichkeit
taͤglich mehr und mehr begeiſtert wurde, gab er
jenes Geſchaͤft auf, und beſchloß, von der Schrift¬
ſtellerei, von gelegentlichen Gaben von oben und
einigen ſonſtigen Verdienſten zu leben. Die Graf¬
ſchaft des Grafen liegt nemlich im Monde, von
wo er, wegen der ſchlechten Communikazion mit
Bayern, nach Gruithuiſens Berechnung, erſt in
20,000 Jahren, wenn der Mond dieſer Erde
naͤher kommt, ſeine ungeheuern Revenuen bezie¬
hen kann.
Schon fruͤher hatte Don Platen de Collibra¬
dos Hallermuͤnde, bey Brockhaus in Leipzig, eine
Gedichteſammlung mit einer Vorrede, betitelt:
„lyriſche Blaͤtter Nummer 1.“ herausgegeben,
die freylich nicht bekannt wurde, obgleich, wie
er uns verſichert, die ſieben Weiſen dem Verfaſſer
ihr Lob geſpendet. Spaͤter gab er, nach Tieck¬
ſchem Muſter, einige dramatiſirte Maͤhrchen und
Erzaͤhlungen heraus, die ebenfalls das Gluͤck
hatten, daß ſie der unweiſen großen Menge un¬
bekannt blieben, und nur von den ſieben Weiſen
geleſen wurden. Indeſſen um, außer den ſieben
Weiſen, noch einige Leſer zu gewinnen, legte ſich
der Graf auf Polemik und ſchrieb eine Satyre
gegen beruͤhmte Schriftſteller, vornemlich gegen
Muͤllner, der damals ſchon allgemein gehaßt und
moraliſch vernichtet war, ſo daß der Graf eben
zur rechten Zeit kam, um dem todten Hofrath
Oerindur noch einen Hauptſtich, nicht ins Haupt,
ſondern, nach Fallſtaffſcher Weiſe, in die Wade
zu verſetzen. Der Widerwille gegen Muͤllner
hatte jedes edle Herz erfuͤllt; der Menſch iſt uͤber¬
haupt ſchwach; die Polemik des Grafen mißfiel
daher nicht, und “die verhaͤngnißvolle Gabel„
fand hie und da eine bereitwillige Aufnahme,
nicht beym großen Publikum, ſondern bey Litte¬
ratoren und bey den eigentlichen Schulleuten,
bey letztern hauptſaͤchlich weil jene Satyre nicht
mehr dem romantiſchen Tieck, ſondern dem klaſſi¬
ſchen Ariſtophanes nachgeahmt war.
Ich glaube, es war um dieſe Zeit, daß der
Herr Graf nach Italien reiſ'te; er zweifelte nicht
mehr, von ſeiner Poeſie leben zu koͤnnen, Cotta
hatte die gewoͤhnliche proſaiſche Ehre, fuͤr Rech¬
nung der Poeſie das Geld herzugeben; denn die
Poeſie, die Himmelstochter, die Hochgeborene,
hat ſelbſt nie Geld und wendet ſich, bey ſolchem
Beduͤrfniß, immer an Cotta. Der Graf verſifi¬
zirte jetzt Tag und Nacht, er blieb nicht bey
dem Vorbilde Tiecks und des Ariſtophanes, ſon¬
dern er ahmte auch den Goethe nach im Liede,
dann den Horaz in der Ode, dann den Petrarcha
in Sonetten, dann den Dichter Hafis in perſi¬
ſchen Gaſelen — kurz er gab uns ſolchermaßen
eine Blumenleſe, der beſten Dichter und zugleich
ſeine eigenen Lyriſchen Blaͤtter unter dem Titel:
„Gedichte des Grafen Platen ꝛc.“
Niemand in Deutſchland iſt gegen poetiſche
Erzeugniſſe billiger als ich, und ich goͤnne einem
armen Menſchen, wie Platen, ſein Stuͤckchen
Ruhm, das er im Schweiße ſeines Angeſichts ſo
ſauer erwirbt, gewiß herzlich gern. Keiner iſt
mehr geneigt, als ich, ſeine Beſtrebungen zu
ruͤhmen, ſeinen Fleiß und ſeine Beleſenheit in
der Poeſie zu loben, und ſeine ſylbenmaͤßigen
Verdienſte anzuerkennen. Meine eignen Verſuche
befaͤhigen mich, mehr als jeden Andern, die metri¬
25
ſchen Verdienſte des Grafen zu wuͤrdigen. Die
bittere Muͤhe, die unſaͤgliche Beharrlichkeit, das
winternaͤchtliche Zaͤhneklappern, die ingrimmigen
Anſtrengungen, womit er ſeine Verſe ausgearbei¬
tet, entdeckt unſer Einer weit eher als der ge¬
woͤhnliche Leſer, der die Glaͤtte, Zierlichkeit und
Politur jener Verſe des Grafen fuͤr etwas Leich¬
tes haͤlt, und ſich an der glatten Wortſpielerey
gedankenlos ergoͤtzt, wie man ſich bey Kunſtſprin¬
gern, die auf dem Seile balanciren, uͤber Eyer
tanzen und ſich auf den Kopf ſtellen, ebenfalls
einige Stunden amuͤſirt, ohne zu bedenken, daß jene
armen Weſen, nur durch jahrelangen Zwang und
grauſames Hungerleiden, ſolche Gelenkigkeitskuͤnſte,
ſolche Metrik des Leibes erlernt haben. Ich,
der ich mich in der Dichtkunſt nicht ſo ſehr ge¬
plagt, und ſie immer in Verbindung mit gutem
Eſſen ausgeuͤbt habe, ich will den Grafen Platen,
dem es ſaurer und nuͤchterner dabey ergangen,
um ſo mehr preiſen, ich will von ihm ruͤhmen
daß kein Seiltaͤnzer in Europa ſo gut wie er
auf ſchlaffen Gaſelen balancirt, daß keiner den
Eyertanz uͤber
⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ ⏑ – – –
⏑ ⏑ – – – ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ u. ſ. w.
ſo gut executirt wie er, daß keiner ſich ſo gut
wie er auf den Kopf ſtellt. Wenn ihm auch die
Muſen nicht hold ſind, ſo hat er doch den Genius
der Sprache in ſeiner Gewalt, oder vielmehr er
weiß ihm Gewalt anzuthun; — denn die freye
Liebe dieſes Genius fehlt ihm, er muß auch
dieſem Jungen beharrlich nachlaufen, und er weiß
nur die aͤußeren Formen zu erfaſſen, die trotz
ihrer ſchoͤnen Ruͤndung ſich nie edel ausſprechen.
Nie ſind tiefe Naturlaute, wie wir ſie im Volks¬
liede, bey Kindern und anderen Dichtern finden,
aus der Seele eines Platen hervorgebrochen oder
offenbarungsmaͤßig hervorgebluͤht; den beaͤngſti¬
genden Zwang, den er ſich anthun muß, um
etwas zu ſagen, nennt er eine “große That
25 *
in Worten„— ſo gaͤnzlich unbekannt mit dem
Weſen der Poeſie, weiß er nicht einmal, daß das
Wort nur bey dem Rhetor eine That iſt, bey
dem wahren Dichter aber ein Ereigniß. Ungleich
dem wahren Dichter, iſt die Sprache nie Meiſter
geworden in ihm, er iſt dagegen Meiſter gewor¬
den in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache,
wie ein Virtuoſe auf einem Inſtrumente. Je
weiter er es ſolcherart im Techniſchen brachte,
deſto groͤßere Meinung bekam er von ſeiner Vir¬
tuoſitaͤt; er wußte ja in allen Weiſen zu ſpielen,
er verſifizirte ja die ſchwierigſten Paſſagen, er
dichtete, ſo zu ſagen, manchmal nur auf der
G-Saite, und aͤrgerte ſich, wenn das Publikum
nicht klatſchte. Wie alle Virtuoſen, die ſolch ein¬
ſaitiges Talent ausgebildet, ſtrebte er nur nach
Applaudiſſement, ſah er mit Ingrimm auf den
Ruhm Anderer, beneidete er ſeine Collegen um
ihren Gewinnſt, wie z. B. den Clauren, ſchrieb
er gleich fuͤnfaktige Pasquille, wenn er nur eine
einzige Xenie des Tadels auf ſich beziehen konnte,
kontrollirte er alle Recenſionen, worin Andere
gelobt wurden, und ſchrie er beſtaͤndig: ich werde
nicht genug gelobt, nicht genug belohnt, denn Ich
bin der Poet, der Poet der Poeten u. ſ. w.
So hungerig und lechzend nach Lob und Spenden
zeigte ſich nie ein wahrer Dichter, niemals Klop¬
ſtock, niemals Goethe, zu deren Drittem der
Graf Platen ſich ſelbſt ernennt, obgleich jeder ein¬
ſieht, daß er nur mit Ramler und etwa A. W.
v. Schlegel ein Triumvirat bildet. Der große Ram¬
ler, wie man ihn zu ſeiner Zeit hieß, als er,
zwar ohne Lorbeerkranz auf dem Haupte, aber
mit deſto groͤßerem Zopf und Haarbeutel, das
Auge gen Himmel gehoben und den ſteifleinenen
Regenſchirm unter'm Arm, im Berliner Thier¬
garten ſkandirend wandelte, hielt ſich damals
fuͤr den Repraͤſentanten der Poeſie auf Erden.
Seine Verſe waren die vollendeteſten in deutſcher
Sprache, und ſeine Verehrer, worunter ſogar
ein Leſſing ſich verirrte, meynten, weiter koͤnne
man es in der Poeſie nicht bringen. Faſt daſſelbe
war ſpaͤterhin der Fall bey A. W. v. Schlegel,
deſſen poetiſche Unzulaͤnglichkeit aber ſichtbar
wird, ſeitdem die Sprache weiter ausgebildet
worden, ſo daß ſogar diejenigen, die einſt den
Saͤnger des Arion fuͤr einen gleichfallſigen Arion
gehalten, jetzt nur noch den verdienſtlichen Schul¬
lehrer in ihm ſehen. Ob aber der Graf Platen
ſchon befugt iſt, uͤber den ſonſt ruͤhmenswerthen
Schlegel zu lachen, wie dieſer einſt uͤber Ramler
lachte, das weiß ich nicht. Aber das weiß ich,
in der Poeſie ſind alle drey ſich gleich, und
wenn der Graf Platen noch ſo huͤbſch in den
Gaſelen ſeine ſchaukelnden Balanzirkuͤnſte treibt,
wenn er in ſeinen Oden noch ſo vortrefflich den
Eyertanz exekutirt, ja, wenn er, in ſeinen Luſt¬
ſpielen, ſich auf den Kopf ſtellt — ſo iſt er doch
kein Dichter. Er iſt kein Dichter, ſagt ſogar die
undankbare maͤnnliche Jugend, die er ſo zaͤrtlich
beſingt. Er iſt kein Dichter, ſagen die Frauen,
die vielleicht — ich muß es zu ſeinem Beſten
andeuten — hier nicht ganz unpartheyiſch ſind,
und vielleicht wegen der Hingebung, die ſie
bey ihm entdecken, etwas Eiferſucht empfin¬
den, oder gar durch die Tendenz ſeiner Gedichte
ihre bisherige vortheilhafte Stellung in der Ge¬
ſellſchaft gefaͤhrdet glauben. Strenge Kritiker,
die mit ſcharfen Brillen verſehen ſind, ſtimmen
ein in dieſes Urtheil, oder aͤußern ſich noch lako¬
niſch bedenklicher. Was finden Sie in den Ge¬
dichten des Grafen von Platen Hallermuͤnde? frug
ich juͤngſt einen ſolchen Mann. Sitzfleiſch! war
die Antwort. Sie meynen in Hinſicht der muͤh¬
ſamen, ausgearbeiteten Form? entgegnete ich.
Nein, erwiederte jener, Sitzfleiſch auch in Betreff
des Inhalts.
Was nun den Inhalt der Platenſchen Ge¬
dichte betrifft, ſo moͤchte ich den armen Grafen
dafuͤr zwar nicht loben, aber ihn auch nicht
unbedingt der Cenſoriſchen Wuth Preis geben,
womit unſere Catonen davon ſprechen oder gar
ſchweigen. Chacun a son goût, dem einen ge¬
faͤllt der Ochs, dem andren Waſiſchtas Kuh. Ich
tadele ſogar den furchtbaren rhadamantiſchen Ernſt
womit uͤber jenen Inhalt der Platenſchen Ge¬
dichte in den Berliner Jahrbuͤchern fuͤr wiſſen¬
ſchaftliche Kritik gerichtet worden. Aber ſo ſind
die Menſchen, es wird ihnen ſehr leicht, in Eifer zu
gerathen, wenn ſie uͤber Suͤnden ſprechen, die ihnen
kein Vergnuͤgen machen wuͤrden. Im Morgen¬
blatte las ich kuͤrzlich einen Aufſatz, uͤberſchrieben
“Aus dem Journal eines Leſers„ worin der
Graf Platen gegen ſolche ſtrenge Tadler ſeiner
Freundſchaftsliebe, mit jener Beſcheidenheit ſich
ausſpricht, die er nie zu verlaͤugnen weiß, und
woran man ihn auch hier erkennt. Wenn
er ſagt, daß “das Hegelſche Wochenblatt„ ihn
eines geheimen Laſters mit “laͤcherlichem Pathos„
beſchuldige, ſo will er, wie leicht zu errathen iſt,
nur der Ruͤge anderer Leute zuvorkommen,
deren Geſinnung er durch dritte Hand erfor¬
ſchen laſſen. Indeſſen, man hat ihm ſchlecht
berichtet, ich werde mir nie in dieſer Hinſicht
einen Pathos zu Schulden kommen laſſen, der
edle Graf iſt mir vielmehr eine ergoͤtzliche Er¬
ſcheinung, und in ſeiner erlauchten Liebhaberey
ſehe ich nur etwas Unzeitgemaͤßes, nur die zag¬
haft verſchaͤmte Parodie eines antiken Uebermuths.
Das iſt es ja eben, jene Liebhaberey war im
Alterthum nicht in Widerſpruch mit den Sitten,
und gab ſich kund mit heroiſcher Oeffentlichkeit.
Als z. B. der Kaiſer Nero, auf Schiffen, die
mit Gold und Elfenbein ausgelegt waren, ein
Gaſtmahl hielt, das einige Millionen koſtete, ließ
er ſich mit Einem aus dem Juͤnglingsſerail, Na¬
mens Pythagoras, feyerlich einſegnen, (cuncta
denique spectata quae etiam in femina nox
operit) und ſteckte nachher mit der Hochzeits¬
fackel die Stadt Rom in Brand, um bey den
praſſelnden Flammen deſto beſſer den Untergang
Trojas beſingen zu koͤnnen. Das war noch ein
Gaſelendichter, uͤber den ich mit Pathos ſprechen
koͤnnte; doch nur laͤcheln kann ich uͤber den neuen
Pythagoraͤer, der im heutigen Rom, die Pfade
der Freundſchaft duͤrftig und nuͤchtern und aͤngſt¬
lich dahinſchleicht, mit ſeinem hellen Geſichte
von liebloſer Jugend abgewieſen wird, und nach¬
her bey kuͤmmerlichem Oehllaͤmpchen ſein Gaſelchen
ausſeufzt. Intereſſant, in ſolcher Hinſicht, iſt die
Vergleichung der Platenſchen Gedichtchen mit dem
Petron. Bey dieſem iſt ſchroffe, antike, plaſtiſch
heidniſche Offenheit: Graf Platen hingegen, trotz
ſeinem Pochen auf Claſſizitaͤt, behandelt ſeinen
Gegenſtand vielmehr romantiſch, verſchleyernd,
ſehnſuͤchtig, pfaͤffiſch, — ich muß hinzuſetzen:
heuchleriſch. Denn der Graf vermummt ſich
manchmal in fromme Gefuͤhle, er vermeidet die
genaueren Geſchlechtsbezeichnungen; nur die Ein¬
geweihten ſollen klar ſehen; gegen den großen
Haufen glaubt er ſich genugſam verſteckt zu haben,
wenn er das Wort Freund manchmal auslaͤßt,
und es geht ihm dann wie dem Vogel Strauß,
der ſich hinlaͤnglich verborgen glaubt, wenn er
den Kopf in den Sand geſteckt, ſo daß nur der
Steiß ſichtbar bleibt. Unſer erlauchter Vogel haͤtte
beſſer gethan, wenn er den Steiß in den Sand
verſteckt und uns den Kopf gezeigt haͤtte. In
der That, er iſt mehr ein Mann von Steiß als
ein Mann von Kopf, der Name Mann uͤber¬
haupt paßt nicht fuͤr ihn, ſeine Liebe hat einen
paſſiv pythagoraͤiſchen Charakter, er iſt in ſeinen
Gedichten ein Patikos, er iſt ein Weib, und zwar
ein Weib, das ſich an gleich Weibiſchem ergoͤtzt,
er iſt gleichſam eine maͤnnliche Tribade. Dieſe
aͤngſtlich ſchmiegſame Natur duckt durch alle
ſeine Liebesgedichte, er findet immer einen neuen
Schoͤnheitsfreund, uͤberall in dieſen Gedichten
ſehen wir Polyandrie, und wenn er auch ſenti¬
mentaliſirt:
„Du liebſt und ſchweigſt — O haͤtt' ich auch ge¬
ſchwiegen,
Und meine Blicke nur an dich verſchwendet!
O haͤtt' ich nie ein Wort dir zugewendet,
So muͤßt' ich keinen Kraͤnkungen erliegen!
Doch dieſe Liebe moͤcht' ich nie beſiegen,
Und weh dem Tag, an dem ſie froſtig endet!
Sie ward aus jenen Raͤumen uns geſendet,
Wo ſelig Engel ſich an Engel ſchmiegen —“
ſo denken wir doch gleich an die Engel, die zu
Loth, dem Sohne Harans, kamen und nur mit
Noth und Muͤhe den zaͤrtlichſten Anſchmiegungen
entgingen, wie wir leſen im Pentateuch, wo lei¬
der die Gaſelen und Sonette nicht mitgetheilt
ſind, die damals vor Loths Thuͤre gedichtet wur¬
den. Ueberall in den Platenſchen Gedichten ſehen
wir den Vogel Strauß, der nur den Kopf ver¬
birgt, den eiteln ohnmaͤchtigen Vogel, der das
ſchoͤnſte Gefieder hat und doch nicht fliegen kann,
und zaͤnkiſch humpelt uͤber die polemiſche Sand¬
wuͤſte der Litteratur. Mit ſeinen ſchoͤnen Federn
ohne Schwungkraft, mit ſeinen ſchoͤnen Verſen
ohne poetiſchen Flug, bildet er den Gegenſatz zu
jenem Adler des Geſanges, der minder glaͤnzende
Fluͤgel hat, aber ſich damit zur Sonne erhebt —
ich muß wieder auf den Refrain zuruͤckkommen:
der Graf Platen iſt kein Dichter.
Von einem Dichter verlangt man zwey Dinge;
in ſeinen lyriſchen Gedichten muͤſſen Naturlaute, in
ſeinen epiſchen oder dramatiſchen Gedichten muͤſſen
Geſtalten ſeyn. Kann er ſich in dieſer Hinſicht nicht
legitimiren, ſo wird ihm der Dichtertitel abgeſpro¬
chen, ſelbſt wenn ſeine uͤbrigen Familienpapiere und
Adelsdiplome in der groͤßten Ordnung ſind. Daß
letzteres bey dem Grafen Platen der Fall ſeyn
mag, daran zweifle ich nicht, und ich bin uͤber¬
zeugt, er wuͤrde mitleidig heiter laͤcheln, wenn
man ſeinen Grafentitel verdaͤchtig machen wollte;
aber wagt es nur, uͤber ſeinen Dichtertitel, mit
einer einzigen Xenie, den geringſten Zweifel zu
verrathen — gleich wird er ſich ingrimmig nieder¬
ſetzen und fuͤnfaktige Satyren gegen Euch drucken.
Denn die Menſchen halten um ſo eifriger auf
einen Titel, je zweydeutiger und ungewiſſer der
Titulus iſt, der ſie dazu berechtigt. Vielleicht
aber wuͤrde der Graf Platen ein Dichter ſeyn,
wenn er in einer anderen Zeit lebte, und wenn
er außerdem auch ein anderer waͤre, als er jetzt
iſt. Der Mangel an Naturlauten in den Ge¬
dichten des Grafen ruͤhrt vielleicht daher, daß er
in einer Zeit lebt, wo er ſeine wahren Gefuͤhle
nicht nennen darf, wo dieſelbe Sitte, die ſeiner
Liebe immer feindlich entgegenſteht, ihm ſogar
verbietet, ſeine Klage daruͤber unverhuͤllt auszu¬
ſprechen, wo er jede Empfindung aͤngſtlich ver¬
kappen muß, um ſo wenig das Ohr des Publi¬
kums, als das eines “ſproͤden Schoͤnen„ durch
eine einzige Silbe zu erſchrecken. Dieſe Angſt
laͤßt bey ihm keine eignen Naturlaute aufkommen,
ſie verdammt ihn, die Gefuͤhle anderer Dichter,
gleichſam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff,
metriſch zu bearbeiten, und noͤthigenfalls zur
Vermummung ſeiner eigenen Gefuͤhle zu gebrau¬
chen. Unrecht geſchieht ihm vielleicht, wenn man,
ſolche ungluͤckliche Lage verkennend, behauptet
hat, daß Graf Platen auch in der Poeſie ſich
als Graf zeigen und auf Adel halten wolle, und
uns daher nur Gefuͤhle von bekannter Familie,
Gefuͤhle die ſchon ihre 64 Ahnen haben, vor¬
fuͤhre. Lebte er in der Zeit des roͤmiſchen Pytha¬
goras, ſo wuͤrde er vielleicht ſeine eigenen Gefuͤhle
freyer hervortreten laſſen und er wuͤrde vielleicht
fuͤr einen Dichter gelten. Es wuͤrden dann we¬
nigſtens die Naturlaute in ſeinen lyriſchen Ge¬
dichten nicht vermißt werden — doch der Mangel
an Geſtalten in ſeinen Dramen wuͤrde noch immer
bleiben, ſo lange ſich nicht auch ſeine ſinnliche
Natur veraͤnderte, und er gleichſam ein Anderer
wuͤrde. Die Geſtalten, die ich meyne, ſind nem¬
lich jene ſelbſtaͤndigen Geſchoͤpfe, die aus dem
ſchaffenden Dichtergeiſte, wie Pallas Athene aus
dem Haupte Kronions, vollendet und geruͤſtet her¬
vortreten, lebendige Traumweſen, deren myſtiſche
Geburt, mehr als man glaubt, in wunderſam
bedingender Beziehung ſteht mit der ſinnlichen
Natur des Dichters, ſo daß ſolches geiſtige Ge¬
baͤhren demjenigen verſagt iſt, der ſelbſt nur, als
ein unfruchtbares Geſchoͤpf, ſich gaſelig hingiebt
in windiger Weichheit.
Indeſſen, das ſind Privatmeinungen eines
Dichters, und ihr Gewicht haͤngt davon ab,
wie weit man an die Competenz deſſelben
glauben will. Ich kann nicht umhin zu erwaͤh¬
nen, daß der Graf Platen, gar oft dem
Publikum verſichert, daß er erſt ſpaͤterhin das
Bedeutendſte dichten werde, wovon man jetzt noch
keine Ahnung habe, ja, daß er Iliaden und
Odyſſeen, Claſſizitaͤtstragoͤdien und ſonſtige Un¬
ſterblichkeitskoloſſalgedichte erſt dann ſchreiben werde,
wenn er ſich nach ſo und ſo viel Luſtren gehoͤrig
vorbereitet habe. Du haſt, lieber Leſer, dieſe
Ergießungen des Selbſtbewußtſeyns, in muͤhſam
gefeilten Verſen vielleicht ſelbſt geleſen, und das
Verſprechen ſolcher ſchoͤnen Zukunft war dir viel¬
leicht um ſo erfreulicher, als der Graf zu gleicher
Zeit alle Dichter Deutſchlands, außer dem ganz alten
Goethe, wie einen Schwarm ſchlechter Sudler
geſchildert, die ihm nur im Wege ſtehen, auf der
Bahn des Ruhmes, und die ſo unverſchaͤmt
ſeyen, jene Lorbeeren und Belohnungen zu pfluͤcken,
die nur ihm gebuͤhrten.
Was ich in Muͤnchen daruͤber ſprechen hoͤrte,
will ich uͤbergehen; aber, der Chronologie wegen,
muß ich anfuͤhren, daß zu jener Zeit der Koͤnig
von Bayern die Abſicht ausſprach, irgend einem
deutſchen Dichter ein Jahrgehalt zu ertheilen,
ohne damit ein Amt zu verbinden, welches unge¬
woͤhnliche Beyſpiel fuͤr die ganze deutſche Littera¬
tur von ſchoͤner Folge ſeyn konnte. Man ſagte
mir —
Doch ich will mein Thema nicht verlaſſen,
ich ſprach von den Prahlereyen des Grafen Platen,
25
der beſtaͤndig rief: ich bin der Poet, der Poet
der Poeten! ich werde Iliaden uudund Odyſſeen dich¬
ten u. ſ. w. Ich weiß nicht was das Publi¬
kum von ſolchen Prahlereyen haͤlt, aber ganz
genau weiß ich, was ein Dichter davon denkt,
nemlich ein wahrer Dichter, der die verſchaͤmte
Suͤßigkeit und die geheimen Schauer der Poeſie
ſchon empfunden hat, und von der Seligkeit dieſer
Empfindungen, wie ein gluͤcklicher Page, der die
verborgene Gunſt einer Prinzeſſin genießt, gewiß
nicht auf oͤffentlichem Markte prahlen wird.
Man hat ſchon oͤfter den Grafen Platen,
wegen ſolcher Prahlhanſereyen, weidlich gehaͤnſelt
und er wußte immer, wie Fallſtaff, ſich zu ent¬
ſchuldigen. Bey ſolchen Entſchuldigungen kommt
ihm ein Talent zu ſtatten, das außerordentlich
in ſeiner Art iſt und das eine beſondere Aner¬
kennung verdient. Der Graf Platen weiß nem¬
lich von jedem Flecken, der in ſeiner eignen Bruſt
iſt, auch bey irgend einem großen Manne eine
Spur, und ſey ſie noch ſo klein, zu entdecken,
und ſich wegen ſolcher Wahlfleckenverwandſchaft
mit ihm zu vergleichen. Z. B. von Shakespeares
Sonetten weiß er, daß ſie an einen jungen Mann
und nicht an ein Weib gerichtet ſind, und ob
ſolcher verſtaͤndigen Wahl preiſt er Shakespeare,
vergleicht ſich mit ihm — und das iſt das einzige
was er von ihm zu ſagen hat. Man koͤnnte
negativ eine Apologie des Grafen Platen ſchrei¬
ben, und behaupten, daß er ſich die und die Ver¬
irrung noch nicht zu Schulden kommen laſſen,
weil er ſich mit dem oder dem großen Manne,
dem ſie nachgeredet worden, noch nicht verglichen
habe. Am genialſten aber und bewunderungswuͤr¬
digſten zeigte er ſich in der Wahl des Mannes,
in deſſen Leben er unbeſcheidene Reden entdeckt,
und durch deſſen Beyſpiel er ſeine eigene Prahle¬
rey beſchoͤnigen will. Wahrlich, zu einem ſolchen
Zwecke ſind die Worte dieſes Mannes noch nie
zitirt worden — denn es iſt kein Geringerer als
25 *
Jeſus Chriſtus ſelbſt, der uns bisher immer fuͤr
ein Muſter der Demuth und Beſcheidenheit ge¬
golten. Chriſtus haͤtte jemals geprahlt? der be¬
ſcheidenſte der Menſchen, um ſo beſcheidener als
er der goͤttlichſte war? Ja, was bisher allen
Theologen entgangen iſt, das entdeckte der Graf
Platen, denn er inſinuirt uns: Chriſtus, als er
vor Pilatus geſtanden, ſey ebenfalls nicht beſchei¬
den geweſen, und habe nicht beſcheiden geantwor¬
tet, ſondern als jener ihn frug, biſt du der Koͤnig
der Juden? habe er geſprochen: du ſagſt es.
Und ſo ſage auch Er, der Graf Platen: Ich bin
es, ich bin der Poet! — Was nie dem Haſſe
eines Veraͤchters Chriſti gelungen iſt, das gelang
der Exegeſe ſelbſtverliebter Eitelkeit.
Wie wir wiſſen, was wir davon zu halten,
wenn Einer ſolchermaßen beſtaͤndig ſchreit: Ich
bin der Poet! ſo wiſſen wir auch, was es fuͤr
eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬
lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬
hoͤrige Reife erlangt, noch dichten will, und die
ſeine bisherigen Meiſterſtuͤcke an Bedeutung ſo
unerhoͤrt uͤbertreffen ſollen. Wir wiſſen ganz ge¬
nau, daß die ſpaͤteren Werke des wahren Dichters
keineswegs bedeutender ſind als die fruͤheren,
eben ſo wenig wie ein Weib, je oͤfter ſie gebaͤhrt,
deſto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein,
das erſte Kind iſt ſchon eben ſo gut wie das
zweite — nur das Gebaͤhren wird leichter. Die
Loͤwin wirft nicht erſt ein Kaninchen, dann ein
Haͤschen, dann ein Huͤndchen und endlich einen
Loͤwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬
gen Leu, und dieſer gab uns, im erſten Wurf,
ſeinen Loͤwen von Berlichingen. Eben ſo warf
auch Schiller gleich ſeine Raͤuber, an deren Tatze
man ſchon die Loͤwenart erkannte. Spaͤter kam
erſt die Politur, die Glaͤtte, die Feile, die natuͤr¬
liche Tochter und die Braut von Meſſina. Nicht
ſo begab es ſich mit dem Grafen Platen, der
mit der aͤngſtlichſten Kuͤnſteley anfing und von
dem der Dichter ſingt:
Du, der du ſprangſt ſo fertig aus dem Nichts,
Geleckten und lackirten Angeſichts,
Gleichſt einer Spielerey, geſchnitzt aus Korke.
Indeſſen, wenn ich meine geheimſten Gedan¬
ken ausſprechen ſoll, ſo geſtehe ich, daß ich den
Grafen Platen fuͤr keinen ſo großen Narrn
halte, wie man wegen jener Prahlſucht und
beſtaͤndigen Selbſtberaͤucherung glauben ſollte. Ein
Bischen Narrheit, das verſteht ſich, gehoͤrt immer
zur Poeſie; aber es waͤre entſetzlich, wenn die
Natur eine ſo betraͤchtliche Porzion Narrheit, die
fuͤr hundert große Dichter hinreichen wuͤrde, einem
einzigen Menſchen aufgebuͤrdet, und von der
Poeſie ſelbſt ihm nur eine ſo unbedeutend geringe
Doſis gegeben haͤtte. Ich habe Gruͤnde zu ver¬
muthen, daß der Herr Graf an ſeine eigne Prah¬
lerey nicht glaubt, und daß er, duͤrftig im Leben
wie in der Litteratur, vielmehr fuͤr das Beduͤrfniß
des Augenblicks ſein eigner anpreiſender Ruffiano
ſeyn mußte, in der Litteratur wie im Leben. Da¬
her in beiden die Erſcheinungen, von denen man
ſagen konnte, daß ſie mehr ein pſychologiſches als
aeſthetiſches Intereſſe gewaͤhrten, daher zu gleicher
Zeit die weinerlichſte Seelenerſchlaffung und der
erlogene Uebermuth, daher das klaͤgliche Duͤnne¬
thun mit baldigem Sterben, und das drohende
Dickthun mit kuͤnftiger Unſterblichkeit, daher der
auflodernde Bettelſtolz und die ſchmachtende Un¬
terthaͤnigkeit, daher das beſtaͤndige Klagen „daß
ihn Cotta verhungern laſſe“ und wiederum Kla¬
gen „daß ihn Cotta verhungern laſſe“ daher
die Anfaͤlle von Katholizismus u. ſ. w.
Ob's dem Grafen mit dem Katholizismus
Ernſt iſt, daran zweifle ich. Ob er uͤberhaupt
katholiſch geworden iſt, wie einige ſeiner Hochge¬
borenen Freunde, das weiß ich nicht. Daß er
es werden wolle, erfuhr ich zuerſt aus oͤffent¬
lichen Blaͤttern, die ſogar hinzufuͤgten, der Graf
Platen werde Moͤnch und ginge in's Kloſter.
Boͤſe Zungen meinten, daß ihm das Geluͤbde
der Armuth und die Enthaltung von Weibern nicht
ſchwer fallen wuͤrde. Wie ſich von ſelbſt verſteht,
in Muͤnchen klangen, bey ſolchen Nachrichten, die
frommen Gloͤcklein in den Herzen ſeiner Freunde.
Mit Kyrie Eleiſon und Hallelujah wurden ſeine
Gedichte geprieſen in den Pfaffenblaͤttern; und
in der That, die heiligen Maͤnner des Coͤlibats
mußten erfreut ſeyn uͤber jene Gedichte, wodurch
die Enthaltung vom weiblichen Geſchlechte befoͤr¬
dert wird. Leider haben meine Gedichte eine
andere Tendenz, und daß Pfaffen und Knaben¬
ſaͤnger nicht davon angeſprochen werden, konnte
mich zwar betruͤben, aber nicht befremden. Eben
ſo wenig befremdete es mich, als ich den Tag
vor meiner Abreiſe nach Italien, von meinem
Freunde dem Doktor Kolb vernahm, daß der Graf
Platen ſehr feindſelig gegen mich geſtimmt ſey,
und mir mein Verderben ſchon bereitet habe
in einem Luſtſpiele Namens “Koͤnig Oedipus„
das bereits zu Augsburg, bey einigen Fuͤrſten
und Grafen, deren Namen ich vergeſſen habe oder
vergeſſen will, angelangt ſey. Auch Andere er¬
zaͤhlten mir, daß mich der Graf Platen haſſe und
und ſich mir als Feind entgegenſtelle; — und das
war mir auf jeden Fall angenehmer, als haͤtte
man mir nachgeſagt: daß mich der Graf Platen
als Freund hinter meinem Ruͤcken liebe. Was
die heiligen Maͤnner betrifft, deren fromme Wuth
ſich zu gleicher Zeit gegen mich kund gab, und
nicht bloß meiner anticoͤlibatiſchen Gedichte wegen,
ſondern auch wegen der politiſchen Annalen, die
ich damals herausgab, ſo konnte ich ebenfalls nur
gewinnen, wenn man deutlich ſah, daß ich keiner
der Ihrigen ſey. Wenn ich hiermit andeute,
daß man nichts Gutes von ihnen ſagt, ſo ſage
ich darum noch nichts Boͤſes von ihnen. Ich bin
ſogar der Meinung, daß ſie, nur aus Liebe zum
Guten, durch frommen Betrug und gottgefaͤllige
Verlaͤumdung das Wort der Boͤſen entkraͤftigen
moͤchten, und daß ſie dieſen, nur fuͤr einen ſolchen
edlen Zweck, der jedes Mittel heiligt, nicht blos
die geiſtigen Lebensquellen, ſondern auch die ma¬
teriellen zu verſchuͤtten ſuchen. Man hat jene
guten Leute, die ſich in Muͤnchen ſogar oͤffentlich
als Congregazion praͤſentirten, thoͤrigterweiſe mit
den Namen Jeſuiten beehrt. Sie ſind wahrlich
keine Jeſuiten, ſonſt haͤtten ſie eingeſehen, daß
z. B. ich, einer von den Boͤſen, ſchlimmſten
Falls die litterariſch alchimiſtiſche Kunſt verſtehe,
aus meinen Feinden ſelbſt Dukaten zu ſchlagen,
dergeſtalt daß ich dabey die Dukaten bekomme
und meine Feinde die Schlaͤge; — ſie haͤtten
eingeſehen, daß ſolche Schlaͤge nichts von ihrem
Gehalte verlieren, wenn man auch den Na¬
men des Schlagenden avilirt, wie der arme
Suͤnder den Staupbeſen nicht minder ſtark
fuͤhlt, obgleich der Scharfrichter, der ihn er¬
theilt, fuͤr unehrlich erklaͤrt wird; — und, was
die Hauptſache iſt, ſie haͤtten eingeſehen, daß etwas
Vorliebe fuͤr den antiariſtokratiſchen Voß und
einige argloſe Muttergotteswitze, weßhalb ſie mich
zuerſt mit Koth und Dummheit angriffen, nicht
aus proteſtantiſchem Eifer hervorgegangen. Wahr¬
lich, ſie ſind keine Jeſuiten, ſondern nur Miſch¬
linge von Koth und Dummheit, die ich, eben
ſo wenig wie eine Miſtkarre und den Ochſen
der ſie zieht, zu haſſen vermag, und die mit
allen ihren Anſtrengungen nur das Gegentheil
ihrer Abſicht erreichen, und mich nur dahin
bringen koͤnnten: daß ich ihnen zeige wie ſehr ich
Proteſtant bin, daß ich mein gutes proteſtantiſches
Recht, in ſeiner weiteſten Ermaͤchtigung ausuͤbe,
und die gute proteſtantiſche Streitaxt mit Her¬
zensluſt handhabe. Sie koͤnnten dann immerhin,
um den Plebs zu gewinnen, die alten Weiber¬
legenden von meiner Unglaͤubigkeit durch ihren
Leibpoeten in Verſe bringen laſſen — an den
wohlbekannten Schlaͤgen ſollten ſie ſchon den
Glaubensgenoſſen eines Luthers, Leſſings und Voß
erkennen. Freylich, ich wuͤrde nicht mit dem
Ernſte dieſer Heroen die alte Axt ſchwingen —
denn der Anblick der Gegner bringt mich leicht
zum Lachen, und ich bin ein Bischen Eulenſpie¬
geliger Natur und liebe eine Beymiſchung von
Spaß — aber ich wuͤrde jenen Miſtochſen nicht
minder ſtark vor den Kopf ſchlagen, wenn ich
auch vorher mit lachenden Blumen meine Axt
umkraͤnzte.
Doch ich will mein Thema nicht zu weit ver¬
laſſen. Ich glaube, es war um jene Zeit, daß
der Koͤnig von Bayern, in ſchon erwaͤhnter Ab¬
ſicht, dem Grafen Platen ein Jahrgehalt von
ſechshundert Gulden gab, und zwar nicht aus
der Staatskaſſe, ſondern aus der koͤniglichen Pri¬
vatkaſſe, wie es ſich der Graf als beſondere Gnade
gewuͤnſcht hatte. Letzteren Umſtand, der die Caſte
charakteriſirt, ſo geringfuͤgig er auch erſcheint,
erwaͤhne ich nur als Notiz fuͤr den Naturforſcher,
der vielleicht Beobachtungen uͤber den Adel macht.
In der Wiſſenſchaft iſt alles wichtig. Wer mir
vorwerfen moͤchte, daß ich den Grafen Platen zu
wichtig nehme, der gehe nach Paris und ſehe,
wie ſorgfaͤltig der feine, zierliche Cuvier, in
ſeinen Vorleſungen, das unreinſte Inſekt, mit
dem genaueſten Detail ſchildert. Es iſt mir des¬
halb auch ſogar Leid, daß ich das Datum jener
600 Gulden nicht genauer conſtatiren kann; ſo
viel weiß ich aber, daß der Graf Platen den
Koͤnig Oedipus fruͤher verfertigt hatte, und daß
dieſer nicht ſo biſſig geworden waͤre, wenn der
Verfaſſer mehr zu beißen gehabt haͤtte.
In Norddeutſchland, wohin mich ploͤtzlich
der Tod meines Vaters zuruͤckrief, erhielt ich
endlich das ungeheure Geſchoͤpf, das dem großen
Ey, woruͤber unſer ſchoͤngefiederter Vogel Strauß
ſo lange gebruͤtet, endlich entkrochen war, und
das die Nachteulen der Congregazion mit from¬
mem Gekraͤchze und die adeligen Pfauen mit
freudigem Radſchlagen ſchon lange im voraus
begruͤßt hatten. Es ſollte nichts Minderes als
ein verderblicher Baſilisk ſeyn. Kennſt du, lieber
Leſer, die Sage von dem Baſilisk? Das Volk
erzaͤhlt: wenn ein maͤnnlicher Vogel, wie ein
Weib, ein Ey gelegt, ſo entſtaͤnde daraus ein
giftiges Geſchoͤpf, deſſen Hauch die Luft verpeſte,
und das man nur dadurch toͤdten koͤnne, daß man
ihm einen Spiegel vorhalte, indem es alsdann
uͤber den Anblick ſeiner eigenen Scheußlichkeit
vor Schrecken ſterbe.
Heilige Schmerzen, die ich nicht entweihen
wollte, erlaubten es mir erſt zwey Monat ſpaͤter,
als ich auf der Inſel Helgoland badete, den
Koͤnig Oedipus zu leſen, und dort, großgeſtimmt
von dem beſtaͤndigen Anblick des großen, kuͤhnen
Meers, mußte mir die kleinliche Geſinnung und
die Altflickerey des hochgeborenen Verfaſſers recht
anſchaulich werden. Jenes Meiſterwerk zeigte
mir ihn endlich ganz wie er iſt, mit all ſeiner
bluͤhenden Welkheit, ſeinem Ueberfluß an Geiſtes¬
mangel, ſeiner Einbildung ohne Einbildungskraft,
ganz wie er er iſt, forcirt ohne Force, pikirt
ohne pikant zu ſeyn, eine trockne Waſſerſeele,
ein triſter Freudenjunge. Dieſer Troubadour des
Jammers, geſchwaͤcht an Leib und Seele, ver¬
ſuchte es, den gewaltigſten, phantaſiereichſten und
witzigſten Dichter der jugendlichen Griechenwelt
nachzuahmen! Nichts iſt wahrlich widerwaͤrtiger
als dieſe krampfhafte Ohnmacht, die ſich wie
Kuͤhnheit aufblaſen moͤchte, dieſe muͤhſam zu¬
ſammengetragenen Invektiven, denen der Schim¬
mel des verjaͤhrten Grolls anklebt, und dieſer
ſilbenſtecheriſch aͤngſtlich nachgeahmte Geiſtestau¬
mel. Wie ſich von ſelbſt verſteht, zeigt ſich in des
Grafen Werk keine Spur von einer tiefen Welt¬
vernichtungsidee, die jedem ariſtophaniſchen Luſt¬
ſpiele zum Grunde liegt, und die darin, wie ein
phantaſtiſch ironiſcher Zauberbaum, emporſchießt
mit bluͤhendem Gedankenſchmuck, ſingenden Nachti¬
gallneſtern und kletternden Affen. Eine ſolche Idee,
mit dem Todesjubel und dem Zerſtoͤrungsfeuer¬
werk, das dazu gehoͤrt, durften wir freilich von
dem armen Grafen nicht erwarten. Der Mittel¬
punkt, die erſte und letzte Idee, Grund und Zweck
ſeines ſogenannten Luſtſpiels, beſteht, wie bey der
verhaͤngnißvollen Gabel, wieder in geringfuͤgig
litterariſchen Haͤndeln, der arme Graf konnte nur
einige Aeußerlichkeiten des Ariſtophanes nachah¬
men, nemlich die feinen Verſe und die groben
Worte. Ich ſage grobe Worte, weil ich keinen
groͤbern Ausdruck brauchen will. Wie ein kei¬
fendes Weib, gießt er ganze Blumen-Toͤpfe von
Schimpfreden auf die Haͤupter der deutſchen
Dichter. Ich will dem Grafen herzlich gern
ſeinen Groll verzeihen, aber er haͤtte doch einige
Ruͤckſichten beobachten muͤſſen. Er haͤtte wenig¬
ſtens das Geſchlecht in uns ehren ſollen, da wir
keine Weiber ſind, ſondern Maͤnner, und folglich
zu einem Geſchlechte gehoͤren, das nach ſeiner
Meinung das ſchoͤne Geſchlecht iſt, und das er
ſo ſehr liebt. Es bleibt dieſes immer ein Man¬
gel an Delicateſſe, mancher Juͤngling wird des¬
halb an ſeinen Huldigungen zweifeln, da jeder
fuͤhlt, daß der Wahrhaftliebende auch das ganze
Geſchlecht verehrt. Der Saͤnger Frauenlob war
gewiß nie grob gegen irgend ein Weib, und ein
Platen ſollte daher mehr Achtung zeigen gegen
Maͤnner. Aber der Undelikate! ohne Scheu er¬
zaͤhlt er dem Publikum: Wir Dichter in Nord¬
deutſchland haͤtten alle die “Kraͤtze, wofuͤr wir
leider eine Salbe brauchten, die als mephitiſch
er vor vielen ſchaͤtze.„ Der Reim iſt gut. Am
unzarteſten iſt er gegen Immermann. Schon im
Anfang ſeines Gedichts, laͤßt er dieſen hinter
einer ſpaniſchen Wand Dinge thun, die ich nicht
nennen darf, und die dennoch nicht zu widerlegen
ſind. Ich halte es ſogar fuͤr wahrſcheinlich, daß
Immermann ſchon ſolche Dinge gethan hat. Es iſt
aber charakteriſtiſch, daß die Phantaſie des Gra¬
26
fen Platen ſogar ſeine Feinde a posteriori zu
belauſchen weiß. Er ſchonte nicht einmal Houwald,
dieſe gute Seele, ſanft wie ein Maͤdchen — ach
vielleicht eben dieſer holden Weiblichkeit wegen,
haßt ihn ein Platen. Muͤllner, den er, wie er
ſagt, ſchon laͤngſt “durch wirklichen Witz urkraͤftig
erlegt„ dieſer Todte wird wieder aus dem Grabe
geſcharrt. Kind und Kindeskind bleiben nicht
unangetaſtet. Raupach iſt ein Jude,
“Das Juͤdchen Raupel —
Das jetzt als Raupach traͤgt ſo hoch die Naſe„
“ſchmiert Tragoͤdien im Katzenjammer.„ Noch
weit ſchlimmer ergeht es dem “getauften Heine.„
Ja, ja, du irrſt dich nicht, lieber Leſer, das bin
Ich, den er meint, und im Koͤnig Oedipus kannſt
du leſen, wie ich ein wahrer Jude bin, wie ich,
wenn ich einige Stunden Liebeslieder geſchrieben,
gleich darauf mich niederſetze und Dukaten be¬
ſchneide, wie ich am Sabbath mit langbaͤrtigen
Mauſcheln zuſammenhoke und den Talmud ſinge,
wie ich in der Oſternacht einen unmuͤndigen
Chriſten ſchlachte und aus Malize immer einen
ungluͤcklichen Schriftſteller dazu waͤhle — Nein,
lieber Leſer, ich will dich nicht beluͤgen, ſolche
gute ausgemalte Bilder ſtehen nicht im Koͤnig
Oedipus, und daß ſie nicht darin ſtehen, das
nur iſt der Fehler, den ich tadele. Der Graf
Platen hat zuweilen die beſten Motive und weiß ſie
nicht zu benutzen. Haͤtte er nur ein bischen
mehr Phantaſie, ſo wuͤrde er mich wenigſtens
als geheimen Pfaͤnderverleiher geſchildert haben;
welche komiſche Scenen haͤtten ſich dargeboten!
Es thut mir in der Seele weh, wenn ich ſehe,
wie ſich der arme Graf jede Gelegenheit zu
guten Witzen vorbeygehen laſſen! Wie koſtbar
haͤtte er Raupach benutzen koͤnnen als Tragoͤdien-
Rothſchild, bey dem die koͤniglichen Buͤhnen ihre
Anleihen machen! Den Oedipus ſelbſt, die Haupt¬
perſon ſeines Luſtſpiels, haͤtte er, durch einige
Modifikationen in der Fabel des Stuͤckes, eben¬
26 *
falls beſſer benutzen koͤnnen. Statt daß er ihn
den Vater Lajus toͤdten, und die Mutter Jokaſte
heyrathen ließ, haͤtte er es im Gegentheil ſo ein¬
richten ſollen, daß Oedipus ſeine Mutter toͤdtet
und feinen Vater heyrathet. Das dramatiſche
pDraſtiſcheDraſtiſche in einem ſolchen Gedichte haͤtte einem
Platen meiſterhaft gelingen muͤſſen, ſeine eigene
Gefuͤhlsrichtung waͤre ihm dabey zu Statten
gekommen, er haͤtte manchmal, wie eine Nachti¬
gall, nur die Regungen der eignen Bruſt zu be¬
ſingen gebraucht, er haͤtte ein Stuͤck geliefert, das
wenn der gaſelige
Iffland noch lebte, gewiß in
Berlin gleich einſtudirt worden waͤre, und das
man auch jetzt auf Privatbuͤhnen geben wuͤrde.
Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als
den Schauſpieler Wurm in der Rolle eines ſol¬
chen Oedipus. Er wuͤrde ſich ſelbſt uͤbertreffen.
Dann finde ich es auch nicht politiſch vom Gra¬
fen, daß er in ſeinem Luſtſpiele verſichert, er
habe „wirklichen Witz.“ Oder arbeitet er viel¬
leicht auf den Ueberraſchungs-Effect, auf den
Theatercoup, daß dadurch das Publikum beſtaͤn¬
dig Witz erwarten, und dieſer am Ende doch
nicht erſcheinen ſoll? Oder will er vielmehr das
Publikum aufmuntern, den Wirkl. Geh. Witz im
Stuͤcke zu ſuchen, und das Ganze waͤre nur ein
Blindekuhſpiel, wo der Platenſche Witz ſo ſchlau
iſt, ſich nie ertappen zu laſſen? Deshalb viel¬
leicht iſt auch das Publikum, das ſonſt bey Luſt¬
ſpielen zu lachen pflegt, bey der Lektuͤre des
Platenſchen Stuͤcks ſo verdrießlich, es kann den
verſteckten Witz nicht finden, vergebens piept der
verſteckte Witz, und piept immer lauter: hier bin
ich! hier bin ich wirklich! — vergebens, das
Publikum iſt dumm und macht ein ernſthaftes
Geſicht. Ich aber, der ich weiß wo der Witz
ſteckt, habe herzlich gelacht, als ich von dem
„graͤflichen, herrſchſuͤchtigen Dichter“ las, der ſich
in einen ariſtokratiſchen Nimbus huͤllt, der von
ſich ruͤhmt, „daß jeder Hauch, der zwiſchen ſeine
Zaͤhne komme, eine Zermalmung ſey „und der zu
allen deutſchen Dichtern ſagt:
„Ja, gleichwie Nero, wuͤnſcht” ich euch nur Ein
Gehirn,
Durch einen einzigen Witzeshieb zu ſpalten es —“
Der Vers iſt ſchlecht. Der verſteckte Witz aber
beſteht darin: daß der Graf eigentlich wuͤnſcht,
wir waͤren alle lauter Neronen und er, im Gegen¬
theil, unſer einziger lieber Freund Pythagoras.
Vielleicht wuͤrde ich zum Beſten des Grafen
noch manchen anderen verſteckten Witz hervorloben,
doch da er mir in ſeinem Koͤnig Oedipus das
Liebſte angegriffen — denn was koͤnnte mir lieber
ſeyn als mein Chriſtenthum? — ſo iſt es mir
nicht zu verdenken, wenn ich, menſchlich geſinnt,
den Oedipus, dieſe „große That in Worten“
minder ernſtlich als die fruͤheren Thaͤtigkeiten
wuͤrdige.
Indeſſen, das wahre Verdienſt hat immer
ſeinen Lohn gefunden, und dem Verfaſſer des
Oedipus wird der ſeinige nicht entgehen, obgleich
er ſich auch hier, wie immer, nur dem Einfluß
ſeiner adeligen und geiſtlichen Hinterſaſſen hingab.
Ja, es geht eine uralte Sage unter den Voͤlkern
des Orients und Occidents, daß jede gute oder boͤſe
That ihre naͤchſten Folgen hab fuͤr den Thaͤter.
Und kommen wird der Tag, wo ſie kommen —
mach' dich darauf gefaßt, lieber Leſer, daß ich
jetzt etwas in Pathos gerathe und ſchauerlich
werde — kommen wird der Tag, wo ſie dem
Tartaros entſteigen die furchtbaren Toͤchter der
Themis, „die Eumeniden.“ Bey'm Styx! —
bey dieſem Fluſſe ſchwoͤren wir Goͤtter nie¬
mals falſch — kommen wird der Tag, wo ſie
erſcheinen, die dunkeln, urgerechten Schwe¬
ſtern, ſie werden erſcheinen mit ſchlangen¬
gelockten, rotherzuͤrnten Geſichtern, mit denſelben
Schlangengeißeln, womit ſie einſt den Oreſtes
gegeißelt, den unnatuͤrlichen Suͤnder, der die
Mutter gemordet, die tyndaridiſche Clytaͤmneſtra.
Vielleicht hoͤrt der Graf ſchon jetzt die Schlan¬
gen ziſchen — Ich bitte dich, lieber Leſer, denk'
dir jetzt die Wolfsſchlucht und Samielmuſik —
Vielleicht erfaßt den Grafen ſchon jetzt das ge¬
heime Suͤndergrauen, der Himmel verduͤſtert ſich,
Nachtgevoͤgel kreiſcht, ferne Donner rollen, es
blitzt, es riecht nach Colophonium, Wehe! Wehe!
die erlauchten Ahnen ſteigen aus den Graͤbern,
ſie rufen noch drey bis vier mal Wehe! Wehe!
uͤber den klaͤglichen Enkel, ſie beſchwoͤren ihn
ihre alten Eiſenhoſen anzuziehen, um ſich zu
ſchuͤtzen vor den entſetzlichen Ruthen — denn die
Eumeniden werden ihn damit zerfetzen, die
Geißelſchlangen werden ſich ironiſch an ihm ver¬
gnuͤgen, und wie der buhleriſche Koͤnig Rodrigo,
als man ihn in den Schlangenthurm geſperrt,
wird auch der arme Graf am Ende wimmern
und winſeln:
Ach! ſie freſſen, ach! ſie freſſen,
Womit meiſtens ich geſuͤndigt.
Entſetze dich nicht, lieber Leſer, es iſt ja alles
nur Scherz. Dieſe furchtbaren Eumeniden ſind
nichts als ein heiteres Luſtſpiel, das ich, nach eini¬
gen Luſtren, unter dieſem Titel ſchreiben werde, und
die tragiſchen Verſe, die dich eben erſchreckt, ſte¬
hen in dem allerluſtigſten Buche von der Welt, im
Don Quixote von la Mancha, wo eine alte, an¬
ſtaͤndige Hofdame ſie in Gegenwart des ganzen
Hofes rezitirt. Ich ſehe, du laͤchelſt wieder.
Laß uns heiter und lachend von einander
Abſchied nehmen. Wenn dieſes letzte Capitel
etwas langweilig war, ſo lag's nur an dem Ge¬
genſtande; auch ſchrieb ich es mehr zum Nutzen
als zur Luſt, und wenn es mir gelungen iſt, einen
neuen Narrn auch fuͤr die Litteratur brauchbar
gemacht zu haben, wird mir das Vaterland Dank
ſchuldig ſeyn. Ich habe das Feld urbar gemacht,
worauf geiſtreichere Schriftſteller ſaͤen und ernd¬
ten werden. Das beſcheidene Bewußtſeyn dieſes
Verdienſtes iſt mein ſchoͤnſter Lohn. Fuͤr etwaige
Koͤnige, die mir dafuͤr noch extra eine Tabatiere
ſchicken wollen, bemerke ich, daß die Buch¬
handlung “Hoffmann und Campe in Ham¬
burg„ Ordre hat, dergleichen fuͤr mich in Em¬
pfang zu nehmen.
Geſchrieben im Spaͤtherbſt
des Jahres 1829.