Erſter Auftritt.
Sappho
(ſitzt halbliegend auf der Raſenbank, unbeweglich vor ſich
hinſtarrend. In einiger Entfernung ſteht Eucharis;
weiter zurück mehrere Sklavinnen.)
Rhamnes (kömmt.)
Eucharis
(den Finger auf dem Mund.)
Still! ſtill!
Rhamnes.
Schläft ſie?
Eucharis.
Die Augen ſtehen offen,
Der Körper wacht, ihr Geiſt nur ſcheint zu ſchlafen!
So liegt ſie ſeit drey Stunden regungslos.
Rhamnes.
Ihr ſolltet ſie ins Haus doch —
Eucharis.
Ich verſucht' es,
Allein ſie will nicht. — Und noch nichts?
Rhamnes.
Noch nichts
So weit das Auge trägt, nur See und Wolken,
Von einem Schiffe nicht die kleinſte Spur.
Sappho (emporfahrend.)
Schiff! Wo?
Rhamnes.
Wir ſahn noch nichts, Gebietherinn
Sappho (zurückſinkend.)
Noch nicht! — Noch nicht!
Rhamnes.
Die Morgenluft weht kühl,
Erlaube, daß wir dich in dein Gemach —
Sappho
(ſchüttelt verneinend den Kopf.)
Rhamnes.
Laß dich erbitten! Folge mir ins Haus!
Sappho
(ſchüttelt noch einmahl.)
Rhamnes (zurückziehend.)
Du willſt's! — Ihr Anblick ſchneidet mir ins Herz.
Eucharis.
Ey ſieh! Was drängt ſich dort das Volk?
Rhamnes.
Laß ſeh'n!
E 2
Eucharis.
Es ſtrömt dem Ufer zu. Mir däucht, ſie kommen!
Sappho (aufſpringend.)
Ha!
(während des Folgenden ſteht ſie in ängſtlich horchender
Stellung zurückgebeugt.)
Eucharis.
Dort tritt an den Felſen und ſieh zu,
Vielleicht erblickſt du ſie.
Rhamnes.
Wohl, ich will ſehn.
(ſteigt auf eine Erhöhung des Ufers.)
Eucharis.
Nur ſchnell, nur ſchnell! Nun ſiehſt du?
Rhamnes.
Dank den Göttern!
Sie kommen!
Sappho.
Ah!
Rhamnes.
Die waldbewachſ'ne Spitze
Die links dort weit ſich in's Gewäſſer ſtreckt,
Verbarg mir vorher den willkomm'nen Anblick.
Ein Heer von Kähnen wimmelt durcheinander,
Mit raſchem Ruderſchlag dem Ufer zu.
Eucharis.
Und die Entwich'nen, ſind ſie unter ihnen?
Rhamnes.
Die Sonne blendet, ich erkenn' es nicht!
Doch halt! da naht dem Ufer ſchon ein Kahn
Vorausgeſendet mit der frohen Bothſchaft. —
Jetzt legt er an. — Der Hirte iſt's vom Thal —
Er ſchwenkt den Stab. Gewiß, ſie ſind gefangen! —
Hierher, mein Freund! Hierher! — Er kömmt
heran.
(herabſteigend.)
Eucharis.
Gebietherinn, ſey ruhig, ſey gefaßt!
Dritter Auftritt.
Phaon, Melitten führend. Landleute.
Sappho (mit ihren Dienern im Hintergrunde.)
Phaon.
Ha, wag' es keiner, dieſe zu berühren!
Nicht wehrlos bin ich, wenn auch gleich entwaffnet.
Zu ihrem Schutz wird dieſe Fauſt zur Keule,
Und jedes meiner Glieder wird ein Arm.
Hieher, Melitta, hieher! Zittre nicht!
Dir ſoll kein Leid geſcheh'n, ſo lang' ich athme! —
Verruchte, konntet ihr dies Haupt verletzen,
Das reine Haupt der Unſchuld, und ſeyd Männer?
So grauſam dacht' ich höchſtens mir ein Weib,
Ein ſchwaches, feiges, aufgereitztes Weib!
Du warſt's, der nach ihr ſchlug, ich kenne dich;
Fort, von mir, fort! Daß ich die Rachegötter
Vorgreifend nicht um ihren Raub betrüge!
Wie fühlſt du dich?
Melitta.
Wohl.
Phaon.
O, dein Blick verneint!
Dies Zittern, dieſe Bläſſe, laut verräth ſie
Die erſte Lüge, die dein Mund geſprochen.
Verſuche nicht den Grimm in mir zu dämpfen,
Zu neuer Glut fachſt du die Flammen an!
Hier ſetze dich auf dieſen Raſenſitz,
Hier, wo dein mildes, himmelklares Auge
Zum erſtenmahle mir entgegen glänzte,
Und wie des Tages goldner Morgenſtrahl
Des Schlafes düſt're Bande von mir löſte,
In den mich jene Zauberinn geſungen;
Hier, wo die Lieb' ihr holdes Werk begann,
Auf dieſer Stelle ſey es auch vollendet!
Sprecht! wo iſt Sappho?
Melitta.
Phaon, ruf' ſie nicht!
Phaon.
Sey ruhig! Bin ich nicht ein freyer Mann?
Wer gab das Recht ihr, meinen Schritt zu hemmen?
Noch Richterſtühle gibt's in Griechenland,
Mit Schrecken ſoll die Stolze das erfahren.
Zu Sappho hin!
Ein Landmann.
Du bleibſt!
Phaon.
Wer hält mich? Wer?
Landmann.
Wir alle hier!
Phaon.
Ich bin ein freyer Mann.
Landmann.
Du warſt's, jetzt biſt der Strafe du verfallen.
Phaon.
Der Strafe, und warum?
Landmann.
Der Sklavinn Raub
Ruft das Geſetz zur Rache wider dich.
Phaon.
Es fordre Sappho Löſegeld für ſie,
Und zahlen will ich's, wären's Kröſus Schätze.
Landmann.
Ihr ziemt's zu fordern, und nicht dir zu biethen.
Phaon.
Seyd ihr ſo zahm, daß eines Weibes Rache
Geduldig ihr die Männerhände leiht,
Und dienſtbar ſeyd der Liebe Wechſellaunen?
Mir ſtehet bey, denn Unrecht widerfährt mir!
Landmann.
Ob Recht, ob Unrecht, Sappho wird's entſchei-
den! —
Phaon.
So ſprichſt du, Alter, und errötheſt nicht?
Wer iſt denn Sappho, daß du ihre Zunge
Für jene achteſt an des Rechtes Wage?
Iſt ſie Gebieth'rinn hier im Land?
Landmann.
Sie iſt es,
Doch nicht weil ſie gebeut, weil wir ihr dienen.
Phaon.
So hat ſie denn euch alle auch umſponnen?
Ich will doch ſehn, wie weit ihr Zauber reicht.
(gegen das Haus zugehend.)
Zu ihr!
Landmann.
Zurück!
Phaon.
Vergebens dräuet ihr.
Ich muß ſie ſehen. — Sappho, zeige dich!
Wo biſt du? oder zitterſt du vor mir? —
Ha! dort am Altar ihrer Diener Reihen!
Sie iſt es, du entgehſt mir nicht! — Zu mir!
(durchbricht die Menge. Auch der Kreis der Sklavinnen
öffnet ſich. Sappho liegt hingegoſſen an den Stufen
des Altars.)
Landmann.
Du wagſt es, unbeſonnen frecher Knabe?
Phaon.
Was willſt du an den Stufen hier der Götter?
Sie hören nicht der Bosheit Fleh'n. — Steh auf!
(Er faßt ſie an. Bey ſeiner Berührung fährt Sappho
empor, und eilt mit fliegenden Schritten, ohne ihn anzu-
ſehen, dem Vorgrunde zu.)
Phaon (ihr folgend.)
Entweichſt du mir? du mußt mir Rede ſtehn!
Ha, bebe nur! Es iſt jetzt Zeit zu beben!
Weißt du, was du gethan? Mit welchem Recht
Wagſt du es, mich, mich einen freyen Mann,
Der Niemand eignet, als ſich ſelber, hier
In frevelhaften Banden feſt zu halten?
Hier, dieſe da, in ungewohnten Waffen,
Haſt du ſie ausgeſandt? Haſt du ſie? Sprich! —
So ſtumm! der Dicht'rinn ſüße Lippe ſtumm?
Sappho.
Es iſt zu viel!
Phaon.
Die Wange röthet ſich,
Von Zornes heißen Gluten überflammt.
Recht, wirf die Larve weg, ſey was du biſt,
Und tobe, tödte, heuchleriſche Zirze!
Sappho.
Es iſt zu viel! — Auf, waffne dich, mein Herz!
Phaon.
Antworte! Haſt du dieſe ausgeſandt?
Sappho (zu Rhamnes.)
Geh' hin und hohl' die Sklavinn mir zurück,
Nur ſie und Niemand anders ließ ich ſuchen.
Phaon.
Zurück! Es wage Niemand ihr zu nah'n!
Begehre Löſegeld! Ich bin nicht reich,
Doch werden Aeltern mir und Freunde willig ſteuern,
Mein Glück von deiner Habſucht zu erkaufen.
Sappho
(noch immer abgewandt.)
Nicht Gold verlang' ich, nur was mein. Sie bleibt!
Phaon.
Sie bleibet nicht! Bey allen Göttern, nein!
Du ſelber haſt dein Recht auf ſie verwirkt,
Als du den Dolch auf ihren Buſen zückteſt;
Du kaufteſt ihre Dienſte, nicht ihr Leben.
Glaubſt du, ich ließe ſie in deiner Hand?
Noch einmahl, ford're Löſegeld, und laß ſie!
Sappho (zu Rhamnes.)
Erfülle was ich dir befahl!
Phaon.
Zurück!
Du rührſt an deinen Tod, berührſt du ſie! —
So iſt dein Buſen denn ſo ganz entmenſcht,
Daß er ſich nicht mehr regt bey Menſchenleiden?
Zerbrich die Leyer, gifterfüllte Schlange,
Die Lippe töne nimmerdar Geſang!
Du haſt verwirkt der Dichtung gold'ne Gaben!
Den Nahmen nicht entweihe mehr der Kunſt!
Die Blume ſoll ſie ſeyn aus dieſes Lebens Blättern,
Die hoch empor, der reinſten Kräfte Kind,
In blaue Luft das Balſamhaupt erhebt,
Den Sternen zu, nach denen ſie gebildet:
Du haſt als gift'gen Schierling ſie gebraucht
Um deine Feinde grimmig zu verderben!
Wie anders mahlt' ich mir, ich blöder Thor,
Einſt Sappho'n aus, in frühern, ſchönern Tagen!
Weich, wie ihr Lied, war ihr verklärter Sinn,
Und mackellos ihr Herz, wie ihre Lieder;
Derſelbe Wohllaut, der der Lipp' entquoll,
Er wiegte ſich auch wogend in der Bruſt,
Und Melodie war mir ihr ganzes Weſen.
Wer hat dich denn mit Zauberſchlag verwandelt?
Ha! Wende nicht die Augen ſcheu von mir!
Mich blicke an! Laß mich dein Antlitz ſchauen,
Daß ich erkenne, ob du's ſelber biſt,
Ob dieß die Lippen, die mein Mund berührt,
Ob dieß das Auge, das ſo mild gelächelt,
Ob, Sappho, du es biſt, du Sappho?
(er faßt ihren Arm und wendet ſie gegen ſich. Sie blickt
empor, ihr Auge trifft das ſeinige.)
Sappho (ſchmerzvoll zuſammenfahrend.)
Weh mir!
Phaon.
Du biſt es noch, ja, das war Sappho's Stimme,
Was ich geſagt, die Winde tragen's hin!
Es ſoll nicht Wurzeln ſchlagen in dem Herzen!
O es wird helle, hell vor meinem Blick,
Und wie die Sonne nach Gewitterſturm,
Strahlt aus der Gegenwart entlad'nen Wolken
In altem Glanze die Vergangenheit.
Sey mir gegrüßt, Erinn'rung ſchöner Zeit!
Du biſt mir wieder, was du einſt mir warſt,
Eh ich dich noch geſehn, in ferner Heimath,
Dasſelbe Götterbild, das ich nur irrend,
So lange für ein Menſchenantlitz hielt,
Zeig' dich als Göttinn! Segne, Sappho! ſegne!
Sappho.
Betrüger!
Phaon.
Nein, fürwahr, ich bin es nicht!
Wenn ich dir Liebe ſchwur, es war nicht Täuſchung;
Ich liebte dich, ſo wie man Götter wohl,
Wie man das Gute liebet und das Schöne.
Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinſchaft,
Man ſteigt nicht ungeſtraft vom Göttermahle
Herunter in den Kreis der Sterblichen.
Der Arm, in dem die goldne Leyer ruhte,
Er iſt geweiht, er faſſe Nied'res nicht.
Sappho (abgewendet vor ſich hin.)
Hinab in Meeresgrund die goldne Leyer,
Wird ihr Beſitz um ſolchen Preis erkauft!
Phaon.
Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit,
Mit mir und mit der Welt im düſtern Streite,
Vergebens rief ich die Gefühle auf,
Die ich in Schlummer glaubt' und die nicht waren;
Du ſtandſt vor mir, ein unbegreiflich Bild,
Zu dem's mich hin, von dem's mich fort
Mit unſichtbaren Banden mächtig zog;
Du warſt — zu niedrig glaubte dich mein Zorn,
Zu hoch nennt die Beſinnung dich — für meine
Liebe,
Und nur das Gleiche fügt ſich leicht und wohl.
Da ſah ich ſie und hoch ge'n Himmel ſprangen
Die tiefen Quellen alle meines Innern,
Die ſtockend vorher weigerten den Strahl.
Komm her, Melittion, komm her zu ihr!
O ſey nicht bange, ſie iſt mild und gütig.
Enthüll' der Augen ſchimmernden Kriſtall,
Daß ſie dir blicke in die fromme Bruſt
Und freudig ohne Mackel dich erkenne!
Melitta (ſchüchtern nahend.)
Gebietherinn!
Sappho (ſie von ſich haltend.)
Fort von mir!
Melitta.
Ach, ſie zürnt!
Phaon.
So wär' ſie doch, was ich zu glauben ſcheute?
Komm her, Melittion, an meine Seite!
Du ſollſt nicht zu ihr flehn! Vor meinen Augen
Soll dich die Stolze nicht beleidigen,
Du ſollſt nicht flehn! Sie kennt nicht deinen Werth,
Nicht ihren, denn auf ihren Knieen würde
Sie ſonſt, die Schuld der Unſchuld, ſtumm dir
huld'gen!
Hierher zu mir! Hierher!
Melitta.
Nein, laß mich knie'n;
Wie's wohl dem Kinde ziemt vor ſeiner Mutter,
Und dünkt ihr Strafe recht, ſo ſtrafe ſie,
Ich will nicht murren wider ihren Willen.
Phaon.
Nicht dir allein, auch mir gehörſt du an,
Und mich erniedrigſt du durch dieſe Demuth!
Noch gibt es Mittel, das uns zu erzwingen,
Was ſie der Bitte ſtörriſch rauh verſagt.
Melitta.
O wär' es auch! mich freut nur ihre Gabe,
Erzwungen wäre mir das höchſte Glück zur Laſt.
Hier will ich knie'n, bis mir ein milder Blick;
Ein gütig Wort Verzeihung angekündigt.
Wie oft ſchon lag ich hier an dieſer Stelle
Und immer ſtand ich freudig wieder auf;
Sie wird mich diesmahl weinend nicht entlaſſen!
Blick' auf dein Kind hernieder, theure Frau!
Sappho
(ſteht, das Geſicht auf Eucharis Schulter gelehnt.)
Phaon.
Kannſt du ſie hören, und bleibſt kalt und ſtumm?
Melitta.
Sie iſt nicht kalt, und wenn auch ſchweigt ihr Mund,
Ich fühl' ihr Herz zu meinem Herzen ſprechen!
Sey Richter, Sappho, zwiſchen mir und ihm!
Heiß' mich ihm folgen, und ich folge ihm,
Heiß' mich ihn fliehn! — o Götter! alles! alles!
Du zitterſt! — Sappho, höreſt du mich nicht?
Phaon
(Melitten umſchlingend und ebenfalls hinknieend.)
Den Menſchen Liebe und den Göttern Ehrfurcht,
Gib uns was unſer, und nimm hin was dein!
Bedenke, was du thuſt und wer du biſt!
Sappho
(fährt bey den letzten Worten empor, und blickt die Knie-
enden mit einem ſtarren Blicke an, wendet ſich dann
ſchnell um und geht.)
Melitta.
Weh mir! ſie flieht, ſie hat ihr Kind verſtoßen.
(Sappho ab. Eucharis und Dienerinnen
folgen.) Vierter Auftritt.
Vorige, ohne Sappho, und Eucharis.
Phaon.
Steh auf, mein Kind! Zu Menſchen flehe nicht,
Noch bleiben uns die Götter und wir ſelbſt!
Melitta.
Ich kann nicht leben, wenn ſie mich verdammt,
Ihr Auge war von jeher mir der Spiegel,
Vor dem ich all mein Thun und Fühlen prüfte,
Er zeigt mir jetzt die eig'ne Ungeſtalt.
Was muß ſie leiden, die gekränkte Frau!
Phaon.
Du leihſt ihr dein Gefühl. Ganz and're Wogen
Erheben ſich in dieſer Stolzen Bruſt!
Melitta.
Scheint ſie auch ſtolz, mir war ſie immer gütig,
Wenn oft auch ſtreng, es barg die ſcharfe Hülle
Mir immer eine ſuße, holde Frucht.
Weh mir, daß ich das je vergeſſen konnte!
Rhamnes.
Ja wohl! weh dir, daß du es je vergeſſen!
Phaon.
Was zittert ihr? kennt ihr ſie gar ſo mild.
Rhamnes.
Sie zürnte als ſie ging und ohne Schranken
Wie ihre Liebe iſt ihr Zorn. D'rum weh euch!
Phaon.
Was kann ſie droh'n?
Rhamnes.
Der flücht'gen Sklavinn Tod.
Phaon.
Wer ſagt das?
Rhamnes.
Die Geſetze dieſes Landes.
Phaon.
Ich ſchütze ſie!
Rhamnes.
Du? und wer ſchützet dich?
Phaon.
Und gähnte hier die Erde vor mir auf,
Und donnerte die See mich zu verſchlingen,
Vermöchte ſie die Kräfte der Natur
In grauſes Bündniß wider mich zu einen,
Feſt halt' ich dieſe, lachend ihres Zorns,
Sie ſelbſt und ihre Drohungen verachtend! —
Rhamnes.
Verachten? Sappho'n? Und wer biſt du denn,
Daß du dein Wort magſt in die Schale legen,
In der die Menſchheit ihre Erſten wiegt?
Zu ſprechen wagſt, wo Griechenland geſprochen?
Blödſicht'ger, frevler Thor, dünkt ſie dir werth-
los,
Weil ohne Maßſtab du für ihren Werth?
Nennſt du das Kleinod blind, weil es dein Auge?
Daß ſie dich liebte, daß ſie aus dem Staub
Die undankbare Schlange zu ſich hob,
Die nun mit gift'gem Zahn ihr Herz zerfleiſcht;
Daß ihren Reichthum ſie an dich vergeudet,
Der keinen Sinn für ſolcher Schätze Werth,
Das iſt der einz'ge Fleck in ihrem Leben
Und keines andern zeiht ſie ſelbſt der Neid. —
Sprich nicht! — Selbſt dieſer Trotz, in dem du nun
Dich auflehnſt wider ſie, er iſt nicht dein!
Wie hätteſt du aus deiner Niedrigkeit,
Von den Vergeſſ'nen der Vergeſſenſte,
Gewagt zu murren wider Hellas Kleinod?
Daß ſie dich angeblickt, gab dir den Stolz,
Mit dem du nun auf ſie hernieder ſiehſt.
Phaon.
Der Dichtung Ruhm nicht mag ich ihr beſtreiten. —
Rhamnes.
Du magſt es nicht? Ei doch! Als ob du's könnteſt!
Hoch an den Sternen hat ſie ihren Nahmen
Mit diamant'nen Lettern angeſchrieben,
Und mit den Sternen nur wird er verlöſchen!
In fernen Zeiten, unter fremden Menſchen,
Wenn längſt zerfallen dieſe morſchen Hüllen
Und ſelber unſre Gräber nicht mehr ſind,
Wird Sappho's Lied noch von den Lippen tönen,
Wird leben noch ihr Nahme — und der deine.
Der deine, ja! Sey ſtolz auf die Unſterblichkeit,
Die dir der Frevel gibt an ihrem Haupt!
In fremdem Land', bey kommenden Geſchlechtern,
Wenn ſchon Jahrhunderte, noch ungeboren,
Hinabgeſtiegen in das Grab der Zeit,
Wird es erſchallen noch aus jedem Munde:
Sappho hieß die, die dieſes Lied geſungen,
Und Phaon heißt er, der ſie hat getödtet!
Melitta.
O Phaon!
Phaon.
Ruhig! Ruhig!
Rhamnes.
Armer Tröſter
Gebeutſt du Ruh' mit unruhvoller Stimme?
Sie kenne ihr Verbrechen und erzitt're,
Die Rache wenigſtens vermiſſe Sappho nicht!
Du magſt der Dichtung Ruhm ihr nicht beſtreiten!
Und welchen ſonſt beſtreiteſt du ihr denn?
Wagſt du's an ihrem Herzen wohl zu zweifeln,
Der, was er iſt, nur ihrem Herzen dankt?
Sieh um dich her! Es iſt kein Einz'ger hier,
Dem ſie nicht wohlgethan, der nicht an ſich,
In Haus und Feld, an Gut und bey den Seinen
Von ihrer Milde reiche Spuren trägt;
Nicht einer, deſſen Herz nicht höher ſchlüge,
Wenn er ſich Mitylene's Bürger,
Wenn er ſich Sappho's Landgenoſſe nennt.
Frag jene Bebende an deiner Seite,
Genoſſinn, ſcheint's, der That mehr, als der Schuld,
Wie gegen ſich die Herrinn ſie gefunden?
Was hatte wohl die Sklavinn dir zu biethen?
Wenn ſie dir wohlgefiel, ſo war es Sappho's Geiſt,
War Sappho's milder, mütterlicher Geiſt,
Der anſprach dich aus ihres Werkes Munde.
O preſſe nur die Stirn! du ſtrebſt vergebens,
Du löſcheſt die Erinn rung nimmer aus!
Und was willſt du beginnen? Wohin fliehn?
Kein Schutzort iſt für dich auf dieſer Erde;
In jedes M nſchen frommgeſinnter Bruſt
Erhebt ein Feind dem Feinde ſich des Schönen.
Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,
Und ſchreyen wird er in der Menſchen Ohr:
Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind!
Und vogelfrey wirſt du das Land durchirren,
Mit ihr, der du Verderben gabſt für Schutz.
Kein Grieche öffnet dir ſein gaſtlich Haus,
Kein Gott gewährt dir Eintritt in den Tempel,
Erbebend wirſt du fliehn vom Opfer-Altar,
Wenn Prieſters Spruch Unheilige entfernt,
Und fliehſt du, wird die grauſe Eumenide,
Der Unterird'ſchen ſchwarze Rachebothinn,
Die Schlangenhaare ſchütteln um dich her,
Dir Sappho's Nahmen in die Ohren kreiſchen,
Bis dich das Grab verſchlungen, daß du grubſt!
Melitta.
Halt ein! Halt ein!
Phaon.
Willſt du mich raſend machen?
Rhamnes.
Du warſt's, als du die Hohe von dir ſtießeſt!
Genieße nun die Frucht, die du gepflanzt!
Melitta.
Zu ihr!
Phaon.
Wer rettet mich aus dieſer Qual?
Fünfter Auftritt.
Eucharis. Vorige.
Eucharis.
Biſt du hier, Rhamnes? Eilig komm!
Rhamnes.
Wohin?
Eucharis.
Zu Sappho'n.
Rhamnes.
Was —?
Eucharis.
Ich fürchte, ſie iſt krank.
Rhamnes.
Die Götter wenden's ab!
Eucharis.
Ich folgte ihr von fern,
Hinauf zur großen Halle, und verſteckt
Bewacht' ich all ihr Thun mit ſcharfem Auge.
Dort ſtand ſie, an ein Säulenpaar gelehnt,
Hinunter ſchauend in die weite See,
Die an den Felſenufern brandend ſchäumt.
Sprach- und bewegungslos ſtand ſie dort oben,
Mit ſtarren Augen und erblaßten Wangen,
Im Kreis von Marmorbildern, faſt als ihres Glei-
chen.
Nur manchmahl regt ſie ſich und greift nach Blu-
men,
Nach Gold und Schmuck, und was ihr Arm er-
reicht,
Und wirft's hinunter in die laute See,
Den Sturz mit ſehnſuchtsvollem Aug' verfolgend.
Schon wollt' ich nah'n, da tönt ein Klingen durch's
Gemach,
Und zuckend fuhr es durch ihr ganzes Weſen.
Die Leyer war's, am Pfeiler aufgehangen,
In deren Saiten laut die Seeluft ſpielte.
Schwer athmend blickt ſie auf und fährt zuſammen,
Wie von Berührung einer höhern Macht.
Die Augen auf die Leyer ſtarr geheftet,
Beleben ſich mit eins die todten Züge
Und fremdes Lächeln ſpielt um ihren Mund.
Jetzt öffnen ſich die ſtrenggeſchloſſ'nen Lippen,
Es tönen Worte, ſchauerlichen Klangs,
Aus Sappho's Munde, doch nicht Sappho's Worte.
Rufſt du mir, ſpricht ſie, Freundinn? Mahnſt du
mich?
O, ich verſteh' dich, Freundinn an der Wand!
Du mahnſt mich an verfloſſ'ne Zeit! Hab' Dank! —
Wie ſie die Wand erreicht, und wie die Leyer,
Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu ſagen,
Denn wie ein Blitzſtrahl flirrte mich's vorüber.
Jetzt blick' ich hin, ſie halt das Saitenſpiel,
Und drückt es an die ſturmbewegte Bruſt,
Die hörbar laut den Athem nahm und gab.
Den Kranz dann, den Olympiſchen, des Sieges,
Dort aufgehangen an dem Hausaltar,
Schlingt ſie um's Haupt, und wirft den Purpur-
mantel,
Hochglühend, ſo wie er, um ihre Schultern.
Wer ſie jetzt ſah, zum erſtenmahle ſah,
Auf des Altares hohen Stufen ſtehend,
Die Leyer in der Hand, den Blick gehoben,
Gehoben ihre ganze Lichtgeſtalt,
Verklärungsſchimmer über ſie gegoſſen,
Als Ueberird'ſche hätt' er ſie begrüßt,
Und zum Gebeth gebeugt die ſchwanken Kniee.
Doch regungslos und ſtumm, ſo wie ſie war,
Fühlt' ich von Schauder mich und Grau'n ergriffen,
Ihr lebend todter Blick entſetzte mich, —
Drum eilt' ich —
Rhamnes.
Und verließeſt ſie! — Zu ihr!
Doch ſieh! Naht nicht? — Sie iſt's, ſie ſelber kömmt!
Sechster Auftritt.
(Sappho, reich gekleidet, wie im erſten Aufzuge, den
Purpurmantel um die Schultern, den Lorbeer auf dem
Haupte, die goldne Leyer in der Hand, erſcheint, von
ihren Dienerinnen umgeben, auf den Stufen des Säu-
lenganges, und ſchreitet ernſt und feyerlich herunter.)
(Lange Pauſe.)
Melitta.
O Sappho, o Gebietherinn!
Sappho (ernſt und ruhig.)
Was willſt du?
Melitta.
Gefallen iſt die Binde meiner Augen!
O laß mich wieder deine Sklavinn ſeyn,
Was dir gehört, beſitz' es, und verzeih!
F
Sappho (eben ſo.)
Glaubſt du ſo übel Sappho'n denn berathen,
Daß Gaben ſie von deiner Hand bedarf?
Was mir gehört, es iſt mir ſchon geworden!
Phaon.
O höre Sappho! —
Sappho.
Nicht berühre mich!
Ich bin den Göttern heilig!
Phaon.
Wenn du mich
Mit holdem Auge, Sappho, je betrachtet —
Sappho.
Du ſprichſt von Dingen, die vergangen ſind.
Ich ſuchte dich und habe mich gefunden!
Du faßteſt nicht mein Herz, ſo fahre hin!
Auf feſtern Grund muß meine Hoffnung fußen.
Phaon.
So haſſeſt du mich alſo?
Sappho.
Lieben! Haſſen!
Gibt es kein Drittes mehr? Du warſt mir werth
Und biſt es noch un wirſt mir's immer ſeyn,
Gleich einem lieben Reiſ'genoſſen, den
Auf kurzer Ueberfahrt des Zufalls Laune
In unſern Nachen führte, bis das Ziel erreicht
Und ſcheidend jeder wandelt ſeinen Pfad,
Nur manchmahl aus der fremden weiten Ferne
Des freundlichen Gefährten ſich erinnernd —
(die Stimme verſagt ihr.)
Phaon (bewegt.)
O Sappho!
Sappho.
Still! Laß uns in Ruhe ſcheiden!
(zu den übrigen.)
Ihr, die ihr Sappho'n ſchwach geſehn, verzeiht!
Ich will mit Sappho's Schwäche euch verſöhnen,
Gebeugt erſt zeigt der Bogen ſeine Kraft!
(auf den Altar im Hintergrunde zeigend.)
Die Flamme zündet Aphroditens an,
Daß hell ſie ſtrahle in das Morgenroth!
(es geſchieht.)
Und nun entfernt euch, laſſet mich allein,
Alleine mit den Meinen mich berathen!
Rhamnes.
Sie will's, laßt uns gehorchen, kommt, ihr alle!
(ziehen ſich zurück.)
Sappho (vortretend.)
Erhab'ne, heil'ge Götter!
Ihr habt mit reichem Segen mich geſchmückt!
In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,
Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir,
Ein Herz zu fühlen, einen Geiſt zu denken
F 2
Und Kraft zu bilden, was ich mir gedacht.
Ihr habt mit reichem Segen mich geſchmückt,
Ich dank' euch!
Ihr habt mit Sieg dies ſchwache Haupt gekrönt,
Und ausgeſät in weitentfernte Lande
Der Dicht'rinn Ruhm, Saat für die Ewigkeit!
Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen
Und mit der Erde nur wird Sappho untergehn.
Ich dank' euch!
Ihr habt der Dichterinn vergönnt zu nippen
An dieſes Lebens ſüß umkränzten Kelch,
Zu nippen nur, zu trinken nicht.
O ſeht! Gehorſam euerm hohen Wink
Setz' ich ihn hin den ſüß umkränzten Becher
Und trinke nicht!
Vollendet hab' ich, was ihr mir gebothen,
Darum verſagt mir nicht den letzten Lohn!
Die euch gehören, kennen nicht die Schwäche,
Der Krankheit Natter kriecht ſie nicht hinan,
In voller Kraft, in ihres Daſeyns Blüthe
Nehmt ihr ſie raſch hinauf in eure Wohnung —
Gönnt mir ein gleiches, kronenwerthes Loos! —
O gebt nicht zu, daß eure Prieſterinn
Ein Ziel des Hohnes werde eurer Feinde,
Ein Spott des Thoren, der ſich weiſe dünkt.
Ihr bracht die Blüthen, brechet auch den Stamm!
Laßt mich vollenden, ſo wie ich begonnen,
Erſparrt mir dieſes Ringens blut'ge Qual.
Zu ſchwach fühl' ich mich länger noch zu kämpfen,
Gebt mir den Sieg, erlaſſet mir den Kampf! —
(begeiſtert.)
Die Flamme lodert und die Sonne ſteigt,
Ich fühl's, ich bin erhört! Habt Dank! ihr
Götter! —
Du Phaon, du Melitta, kommt heran!
(Phaon auf die Stirne küſſend.)
Es küſſet dich ein Freund aus fernen Welten,
(Melitten umarmend.)
Die todte Mutter ſchickt dir dieſen Kuß!
Nun hin! dort an der Liebesgöttinn Altar
Erfülle ſich der Liebe dunkles Loos.
(eilt dem Altare zu.)
Rhamnes.
Was ſinnet ſie? Verklärt iſt all ihr Weſen,
Glanz der Unſterblichen umleuchtet ſie!
Sappho
(auf eine Erhöhung des Ufers hintretend und die Hände
über die Beyden ausſtreckend.)
Den Menſchen Liebe und den Göttern Ehrfurcht!
Genießet, was euch blüht, und denket mein!
So zahle ich die letzte Schuld des Lebens,
Ihr Götter ſegnet ſie und nehmt mich auf!
(ſtürzt ſich vom Felſen ins Meer.)
Phaon.
Halt ein! Halt Sappho!
Melitta.
Weh! ſie ſtürzt, ſie ſtirbt!
Phaon
(mit Melitten beſchäftigt.)
Schnell Hülfe! Fort ans Ufer! Rettung! Hülfe!
(einige ab.)
Rhamnes
(der auf's Ufer geſtiegen.)
Ihr Götter wendet ab! dort jene Klippe,
Berührt ſie die, iſt ſie zerſchellt, zerſchmettert! —
Tragt ſie vorüber! — Weh! — Es iſt geſchehn!
Phaon.
Was kreiſcheſt du? Nach Kähnen! Eilet! Rettet!
Rhamnes (herabſteigend.)
Halt ein! Es iſt zu ſpät! Gönnt ihr das Grab,
Das ſie, verſchmähend dieſe falſche Erde,
Gewählt ſich in des Meeres hell'gen Fluthen!
Phaon.
Todt?
Rhamnes.
Todt!
Phaon.
Weh mir! Unmöglich, nein!
Rhamnes.
Es iſt! —
Verwelkt der Lorbeer und das Saitenſpiel verklungen!
— Es war auf Erden ihre Heimath nicht.
(mit erhobenen Händen.)
Sie iſt zurückgekehret zu den Ihren.
Der Vorhang fällt.
Ende.