Erstes Buch.
1
Erstes Kapitel.
In den letzten Strahlen der Abendſonne wurde auf
der gruͤnen Hoͤhe ein junger Reiter ſichtbar, der zwi¬
ſchen dem Jauchzen der Hirten und heimkehrenden
Spaziergaͤnger froͤhlich nach dem freundlichen Staͤdtchen
hinabritt, das wie in einen, Bluͤten-Meere im
Grunde lag.
Er ſann lange nach, was ihn hier mit ſo altbe¬
kannten Augen anſah, und ſang immerfort ein laͤngſt¬
verklungenes Lied leiſe in ſich hinein, ohne zu wiſſen,
woher der Nachhall kam. Da fiel es ihm ploͤtzlich
auf's Herz: wie in Heidelberg lagen die Haͤuſer
da unten zwiſchen den Gaͤrten und Felſen und Abend¬
lichtern, wie in Heidelberg rauſchte der Strom aus
dem Grunde, und der Wald von allen Hoͤhen! So
war er als Student manchen lauen Abend ſommer¬
muͤde von den Bergen heimgekehrt, und hatte uͤber
die Feuerſaͤule, die das Abendroth uͤber den Neckar
1 *
warf, in die duftige Thal-Ferne gleich wie in ſein
kuͤnftiges noch ungewiſſes Leben hinausgeſchaut. —
Mein Gott, rief er endlich, da in dem Staͤdtchen
unten muß ja Walter wohnen, mein treuer Heidel¬
berger Kamerad, mit dem ich manchen ſtillen froͤhlichen
Abend auf den Bergen verlebt! Was muß der wackere
Geſell nicht alles ſchon wiſſen, wenn er fortfuhr, ſo
fleißig zu ſein, wie damals! — Er gab ungeduldig
ſeinem Pferde die Sporen, und hatte bald das dunkle
Thor der Stadt erreicht. Walters Wohnung war in
dem kleinen Orte leicht erfragt: ein buntes freundliches
Haͤuschen am Markte, mit hohen Linden vor den
Fenſtern, in denen unzaͤhlige Sperlinge beim letzten
Adendſchimmer einen gewaltigen Laͤrm machten. Der
Reiſende ſprang eilig die enge, etwas dunkle Treppe
hinan, und riß die ihm bezeichnete Thuͤr auf, die
Abendſonne, durch das Laub vor den Fenſtern zitternd,
vergoldete ſo eben die ganze, ſtille Stube, Walter ſaß
im Schlafrock am Schreibtiſche neben großen Acten-
Stoͤßen, Tabaksbuͤchſe, Kaffeekanne und eine halbge¬
leerte Taſſe vor ſich. Er ſah den Hereintretenden er¬
ſtaunt und ungewiß an, ſeine Gipspfeife langſam weg¬
legend. Baron Fortunat! rief er dann, mein lieber
Fortunat! und beide Freunde lagen einander in den
Armen.
Alſo ſo ſieht man aus in Amt und Brodt? ſagte
Fortunat nach der erſten Begruͤßung, waͤhrend er
Waltern von allen Seiten umging und betrachtete;
denn es kam ihm vor, als waͤre ſeit den zwei Jahren,
daß ſie einander nicht geſehen, die Zeit mit ihrem Pelz¬
aͤrmel ſeltſam uͤber das friſche Bild des Freundes da¬
hingefahren, er ſchien langſamer, bleicher und gebuͤck¬
ter. Dieſer dagegen konnte ſich gar nicht ſatt ſehen
an den klaren Augen und der heiteren ſchlanken Ge¬
ſtalt Fortunats, die in der ſchoͤnen Reiſetracht an
Studenten, Jaͤger, Soldaten und alles Froͤhliche der
unvergaͤnglichen Jugend erinnerte. — Fragen und Ge¬
genfragen kreuzten ſich nun raſch, ohne eine Antwort
abzuwarten. Walter pries vor allem ſein Gluͤck, das
ihn hier ſo ſchnell eine leidliche Stelle hatte finden
laſſen, es fehlte nicht an groͤßeren Ausſichten, und ſo
ſehe er einer heiteren ſorgenloſen Zukunft entgegen. —
Dazwiſchen hatte er in ſeiner freudigen Unruhe bald
noch einen Brief zuſammenzufalten, bald ein Paket
Akten zu binden, bald draußen etwas zu beſtellen,
beide konnten den alten, vertraulichen Ton gar nicht
wiederfinden.
Unterdeß war eine alte Frau hereingetreten, und
fing an, eine altmodiſche Kaffee-Serviette zierlich aus¬
zubreiten und Teller, Glaͤſer und Weinflaſchen aufzu¬
ſtellen, wobei ſie von der Seite ehrerbietige Blicke auf
den vornehmen fremden Herrn warf, der eine ſolche
Revolution in der einfoͤrmigen Junggeſellenwirthſchaft
verurſachte. Fortunat aber uͤberſchaute am Fenſter
den heitern Markt, und eine leiſe Wehmuth flog durch
ſeine Seele uͤber die langſam zerſetzende und zerſtoͤrende
Gewalt der Verhaͤltniſſe, wie ſie ihm auf Walters
treues Gemuͤth wirkſam zu ſeyn ſchien. — Laß' uns
nach guter alter Art im Freien trinken! rief er, ſich
ſchnell umwendend aus, da er die Zuruͤſtungen hinter
ſich erblickte. Walter hatte Bedenken: das ſey hier
nicht gewoͤhnlich, man werde in kleinen Staͤdten zu
ſehr bemerkt. Fortunat aber hatte unterdeß ſchon
unter jeden Arm eine Flaſche genommen, und wan¬
derte damit die Treppe hinunter. Walter folgte ver¬
legen lachend, die Alte brachte voll Verwunderung
Tiſch und Glaͤſer nach, und bald war die ganze froͤh¬
liche, funkelnde Wirthſchaft unter den Baͤumen vor
der Thuͤr aufgeſchlagen.
Die Sonne war indeß untergegangen, und die
Daͤcher und die Gipfel der Berge uͤber der Stadt
gluͤhten noch, von denen ein erquickender Strom von
Kuͤhle durch alle Straßen und Herzen ging. Kinder
jagten ſich, und ſchwaͤrmten in den Gaſſen, die Vor¬
nehmen, ihre Huͤte nachlaͤſſig in der Hand, und ſich
den Schweiß abtrocknend, kehrten, von allen Seiten
ehrerbietig begruͤßt, von ihren Spaziergaͤngen zuruͤck.
Andere traten in bequemen Nachtkleidern mit den
Pfeifen vor die Thuͤren, und plauderten mit dem Nach¬
bar, waͤhrend junge Maͤdchen, kichernd und in lebhaf¬
tem Geſpraͤch, Arm in Arm uͤber den Platz ſchlender¬
ten und neugierig an dem Fremden voruͤberſtrichen.
Waltern ging bei den Erinnerungen an die froͤh¬
liche Studentenzeit und bei dem langentbehrten weite¬
ren und reichen Geſpraͤch recht das Herz auf, er hatte
gar bald alle Scheu und bloͤde Ruͤckſicht abgeſchuͤt¬
telt. — Wie gluͤcklich biſt Du zu preiſen, rief er ſei¬
nem Freunde zu, daß Dir vergoͤnnt iſt, ſo mit den
Voͤgeln durch den Fruͤhling zu ziehn, und die Reiſe
nach Italien nun wirklich anzutreten, die wir in den
heiterſten Stunden in Heidelberg ſo oft mit einander
beſprachen. Das waren ſchoͤne Jugendtraͤume! —
Das verhuͤte Gott! verſetzte Fortunat lebhaft, wa¬
rum denn Traͤume? Die Ahnung war es, der erſte
Schauer des ſchoͤnen uͤberreichen Lebens, das gewißlich mit
aller ſeiner geahnten und ungeahnten herrlichen Gewalt
uͤber uns kommen wird, wenn wir nur froͤhlich Stand
halten. Wo waͤren wir denn aufgewacht von den ſo¬
genannten Traͤumen? Was haͤtte ſich denn ſeitdem
veraͤndert? Aurora ſcheint noch ſo jung uͤber die Berge
wie damals, die Erde bluͤht alljaͤhrlich wieder bis in's
fernſte tiefſte Thal — warum ſollte denn unſere un¬
ſterbliche Seele, die alle den Plunder uͤberdauert, allein
alt werden? Was hindert denn zum Exempel Dich, alle
den Ballaſt von Vor-, Neben- und Ruͤckſichten friſch
wegzuwerfen, und frei mit mir in das offene Meer
zu ſtechen? — Reiſe mit, alter Kumpan!
Walter faßte laͤchelnd die ihm dargebotene Rechte.
Was mich eigentlich zwiſchen dieſen Bergen feſthaͤlt,
ſagte er, das ſollſt Du kuͤnftig erfahren. — Doch —
Du magſt immerhin lachen — das kann ich außer¬
dem ehrlich ſagen: es waͤre mir ſchwer, ja gewiſſer¬
maaßen unmoͤglich, den einmal mit Ernſt und Luſt
begonnenen Geſchaͤften zu entſagen, die wie ein ſtiller
klarer Strom in tauſend unſcheinbaren Nebenarmen
das Land befruchten, und mich ſo von meiner ſtillen
Stube aus in immer wechſelndem lebendigen Verkehr
mit den entfernteſten Gegenden verbinden.
Fortunat ſah ihn nachdenklich an. Du meinſt es
immer brav, ſagte er nach einer Pauſe, darum glaube
ich Dir, wo ich Dich auch nicht recht verſtehe. Aber
in welchem graͤulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei!
Keiner hat Zeit zu leſen, zu denken, zu beten. Das
nennt man Pflichttreue; als haͤtte der Menſch nicht
auch die hoͤhere Pflicht, ſich auf Erden auszumauſern
und die ſchaͤbigen Fluͤgel zu putzen zum letzten großen
Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht
wie ein Wirthshaus an der breiten Landſtraße liegt,
ſondern treu und ernſtlich und mit ganzer ungetheilter
Seele erſtuͤrmt ſeyn will. Ja, ich habe ſchon oft
nachgedacht uͤber den Grund dieſer zaͤrtlichen Liebe ſo
Vieler zum Staatsdienſt. Hunger iſt es nicht immer,
noch ſeltener Durſt nach Nuͤtzlichkeit. Ich fuͤrchte, es
iſt bei den Meiſten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne
Ideen und ſonderliche Anſtrengung gewaltig und mit
großem Spektakel zu arbeiten, die Satisfaktion, faſt
alle Stunden etwas Rundes fertig zu machen, waͤhrend
die Kunſt und die Wiſſenſchaften auf Erden niemals
fertig werden, ja in alle Ewigkeit kein Ende abſehen.
Da ruͤhrſt Du, entgegnete Walter, an den wunden
Fleck, wenigſtens bei mir. Daß ich, aus Mangel an
Zeit, zu beiden Seiten die ſchoͤnen Fernen und Tiefen,
die uns ſonſt ſo wunderbar anzogen, liegen laſſen
muß, das iſt es, was mich oft heimlich kraͤnkt, und
was ich hier nicht einmal einem Freunde klagen kann.
Dazu kommt die Abgelegenheit des kleinen Orts, wo
alle Gelegenheit und aller Reiz fehlt, der neueſten Lit¬
teratur zu folgen.
Iſt auch nicht noͤthig, verſetzte Fortunat. Was
willſt Du jedem Phantaſten in ſeine neumodiſchen
Park-Anlagen nachſchreiten! Das rechte Alte iſt ewig
neu, und das rechte Neue ſchafft ſich doch Bahn
uͤber alle Berge, und — wie ich oben bemerkt — auch
in dieſen Gebirgskeſſel. Denn, wenn ich nicht irre,
ſah ich vorhin bei Dir neben dem Corpus juris die
neueſten poetiſchen Werke des Grafen Victor ſtehen.
Nun, ſagte Walter, meinen großen Landsmann muß
ich doch in Ehren halten, ſeine Heimath liegt ja kaum
eine Tagereiſe von hier. — Fortunat ſprang uͤberraſcht
auf. Da reit ich hin, rief er, den muß ich ſehen. —
Geduld, erwiederte Walter laͤchelnd, er iſt ſchon ſeit
mehreren Jahren auf Reiſen. Und ich reite doch hin!
entgegnete Fortunat froͤhlich, wer einen Dichter recht
verſtehen will, muß ſeine Heimath kennen. Auf ihre
ſtillen Plaͤtze iſt der Grundton gebannt, der dann
durch alle ſeine Buͤcher wie ein unausſprechliches Heim¬
weh fortklingt. Walter ſchien einem Anſchlage nach¬
zudenken. Wohlan, ſagte er endlich, wenn Du durch¬
aus hin willſt, ſo begleite ich Dich, ich bin dort wohl¬
bekannt, und wir bleiben dann um ſo laͤnger beiſam¬
men. Ich muß Dir nur geſtehen, ich hatte mich
eigentlich ſchon ſelbſt darauf eingerichtet, in dieſen Ta¬
gen hinzugehen. Hier kann ich Dir nicht viel Ergoͤtz¬
liches bieten, und wenn's Dir recht iſt, ſo reiſen wir
morgen. — Fortunat ſchlug freudig ein.
Walter aber fing nun an, einige Lieblingsſtellen
aus Victors Werken zu rezitiren, was Fortunaten
immer ſtoͤrte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen,
ſondern eben nur das ganze gute Gedicht giebt, gleich¬
wie eine abgeſchlagene Naſe oder ein paar abgeriſſene
Ohren der mediceiſchen Venus fuͤr Kenner recht gut,
aber ſonſt ganz nichtswuͤrdig ſind.
Du kennſt doch Victors Werke? Du liebſt ihn
doch auch? unterbrach ſich endlich Walter ſelbſt, da
Fortunat ſchweigend ein Glas nach dem andern hin¬
unterſtuͤrzte. — Ich liebe ihn, ſagte dieſer, wie ich
ein naͤchtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und
alle Wunder in der Bruſt regt, ich kenne ihn, weil
er von den geheimnißvollſten, innerſten Gedanken mei¬
ner Seele, ja ich moͤchte ſagen, von dem Waldesrau¬
ſchen meiner Kindheit wunderbaren Klang giebt. —
Friede dem großen dunklen Gemuͤth, fuhr er ſein Glas
erhebend fort, und freudiges Begegnen mit ihm!
Die Freunde hatten uͤber dem lebhaften Geſpraͤch
gar nicht bemerkt, daß unterdeß der Platz allmaͤhlig
oͤde geworden war. In der wachſenden Stille hoͤrte
man nur noch eine Geige aus einiger Entfernung,
und dann das einfoͤrmige Stampfen von Tanzenden
dazwiſchen heruͤberſchallen. Beides klappte ſo wenig
zuſammen, und die Geige wurde ſo unaufhoͤrlich und
entſetzlich ſchnell geſtrichen, daß Fortunat laut auflachte,
und ungeachtet Walters Einwendungen ſogleich dem
Tanzplatze zueilte. Der verworrene Klang kam aus
einem niedrigen Haͤuschen, uͤber deſſen Thuͤre ein
Strohbuͤſchel als Wahrzeichen eines Weinſchanks im
Nachtwinde hin und her baumelte. Walter war
in anſtaͤndiger Ferne ſtehen geblieben, waͤhrend For¬
tunat durch das Fenſter in die ſeltſame Tanz-Grube
hineinblickte. Ein langes duͤnnes Licht, das wie ein
Peitſchenſtiel aus einem eiſernen Leuchter hervorragte,
warf ungewiſſe Scheine uͤber das dunkle Gewoͤlbe eines
Kellers, an deſſen Seitenwaͤnden eingeſchlafene Trinker
uͤber den langen plumpen Tiſchen umherlagen. In
der Mitte tanzten eifrig mehrere Paare luſtigen Ge¬
ſindels, bald mit den zierlich gebogenen Armen wie
zum Fliegen ausholend, bald in den auserleſenſten Fi¬
guren und Windungen ſich naͤhernd und wieder tren¬
nend, bevor ſie einander endlich zum Walzer umfa߬
ten. Der dicke Weinſchenk ging mit aufgeſtreiften
Hemdaͤrmeln dazwiſchen herum, ahmte mit dem Munde
den Wachtelſchlag nach, ſchnitt den voruͤbertanzenden
Frauenzimmern laͤcherliche Geſichter, oder wagte zu¬
weilen ſelbſt einen kuͤnſtlichen Sprung. Am auffal¬
lendſten aber war der Muſikant: ein anſtaͤndig geklei¬
detes lebhaftes Maͤnnchen mit einem ſcharfen geiſt¬
reichen Geſicht, emſig in den wunderlichſten Laufern
die Geige ſpielend, waͤhrend ſeine Augen mit unver¬
kennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten.
Vergebens riefen dieſe ihm zu, ſich zu moderiren, der
Unaufhaltſame drehte mit wahrem Virtuoſen-Wahn¬
ſinn die Toͤne, wie einen Kreiſel, immer ſchneller und
dichter, die Tanzenden geriethen endlich ganz außer
Takt und Athem, es entſtand ein allgemeines Wirren
und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Muſikus
eindrangen. Dieſer erhob ſich nun, und retirirte be¬
ſonnen in kuͤnſtlichen Fechtparaden nach der Thuͤr,
immerfort mit dem Fidelbogen in den dickſten Haufen
ſtoßend. So kam er gluͤcklich auf die Straße heraus,
die Schlafmuͤtze des Wirths, die er im Getuͤmmel
aufgeſpießt, hoch auf ſeinem Bogen. Der luſtige
Wirth folgte ſchimpfend, und vermehrte den Laͤrm von
Zeit zu Zeit durch das Praſſeln von Feuerwerk, das
er taͤuſchend mit dem Munde nachmachte.
Jetzt bemerkte der Muſikus ploͤtzlich die beiden
Freunde auf der Gaſſe, und ſah ſie mit ſeinen klugen
Augen durchdringend an, waͤhrend der Wirth, mit der
einen Hand ſeine wilden Gaͤſte in den Keller zuruͤck¬
draͤngend, mit der andern ruhig die ihm zugeworfene
Schlafmuͤtze wieder auf den Kopf ſtuͤlpte. Walter
war einen Augenblick in Verlegenheit, ob und wie er
den ihm unbekannten Fremden anreden ſollte, und
aͤußerte endlich ſeine Verwunderung uͤber dieſe heilloſe
Fertigkeit auf der Geige. — Kleinigkeit! Kleinigkeit!
erwiederte der Muſikus, nichts als Taranteln, womit
ich die Leute in die Waden beiße und den St. Veits-
Tanz erfinde. Mit dieſen Worten empfahl er ſich,
nahm die Geige unter den Arm, und ſchlenderte, noch
einigemal furchtſam nach dem Keller zuruͤckblickend,
raſch durch die Nacht uͤber den Marktplatz fort.
Fortunat, der bisher kein Auge von ihm verwen¬
det hatte, trat nun ſchnell auf den Wirth zu, um
etwas Naͤheres uͤber das wunderbare Maͤnnchen zu
erfahren. Ein Fremder, ſagte der Wirth, ein Parti¬
kuͤlier, wie er ſich nennt, mit dem ich ſchon manchen
Verdruß gehabt habe. Er kommt zuweilen in die
Stadt, aber immer nur grade zu mir, und wenn ich
reelle Gaͤſte habe, die nach gethaner Arbeit ihr Glaͤs¬
chen trinken und vernuͤnftig diskuriren wollen, ſetzt er
ſich zu ihnen, und, eh' ich's mich verſehe, hat er
Haͤndel unter ihnen angeſtiftet, und hat dann keine
Courage ſie auszufechten. Wenn er recht vergnuͤgt iſt,
zieht er gar ſeine verfluchte Geige hervor, und ſpielt
tolles Zeug auf. Hol' der Teufel alle Phantaſten!
Hiermit kehrte der Wirth wieder in ſeine Hoͤhle
zuruͤck, und die beiden Freunde bemerkten bei dem
hellen Mondſchein, wie der unbekannte Muſikus ſo
eben zum Stadtthor hinauswanderte. Ein herrlicher
Narr! rief Fortunat aus, dem Wanderer noch immer
nachſehend. Laß' die Fledermaͤuſe, erwiederte Walter,
ſie gerathen uns ſonſt noch in die Haare. Komm'
nun nach Haus, es iſt ſchon ſpaͤt, und ich habe noch
alle Haͤnde voll zu thun fuͤr morgen.
Auf Walters Stube ging nun ein froͤhliches Ru¬
moren an. Die alte Aufwaͤrterin wurde herbeigerufen,
Befehle wurden ertheilt, Briefe verſiegelt, und Akten
und Waͤſche gepackt, wobei Fortunat, in der Vor¬
freude der bevorſtehenden unerwarteten Fahrt, zur
Verwunderung der Alten wuͤthend half. Der weitge¬
ſtirnte Himmel ſah indeß durch die offenen Fenſter
herein, der Brunnen rauſchte vom einſamen Markte,
waͤhrend die Nachtigallen in den Gaͤrten ſchlugen,
und Fortunaten war es dazwiſchen, als ginge draußen
das Geigenſpiel des wunderlichen Muſikanten noch ein¬
mal fern uͤber die ſtillen Hoͤhen.
Zweites Kapitel.
Bei dem ſchoͤnſten Fruͤhlingswetter zogen die bei¬
den Freunde, auf ihren Pferden froͤhlich von den alten
Zeiten mit einander ſchwatzend, in das morgenrothe
Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmuthi¬
gern Weg durch das Gebirge eingeſchlagen, auf wel¬
chem ſie Hohenſtein, den Sitz des Grafen Victor,
nach Walters Verſicherung noch vor Nacht bequem
erreichen konnten. Das Staͤdtchen mit ſeiner gruͤnen
Stille lag ſchon weit hinter ihnen, ein friſcher Wind
ging durch alle Baͤume, und Walter fuͤhlte ſich recht
wie ein Vogel, der aus dem Kaͤfig entflohen. Er
war faſt ausgelaſſen heiter, ſchwenkte den Hut in der
Luft, und ſtimmte alte Studentenlieder an, ſo daß es
den beiden Reitern vorkam, als waͤren ſie nie getrennt
geweſen, und zoͤgen nur eben wieder aus dem Thor
von Heidelberg den gruͤnen Bergen zu. In dieſer
Stimmung ließ er ſich gern von dem unruhigen For¬
tunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines
unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hir¬
ten plauderte, dann wieder einen ſchoͤnen Berggipfel
oder eine reizendgelegene Ruine zu erklettern hatte.
So waren ſie lange auf's Gerathewohl umherge¬
ſchweift, als Walter endlich zu ſeinem Schrecken be¬
merkte, daß ſchon die Abendſonne ſchraͤg durch den
Wald funkelte. Jetzt fand er auch, daß ſie alle Rich¬
tung verloren hatten, er wußte nicht, wo er war. Ver¬
gebens ſchlug er den erſten beſten Pfad ein, die Wege
theilten ſich bald von neuem wieder, kein Dorf war
ringsumher zu ſehen, je tiefer ſie in den Wald kamen,
je ungeduldiger wurde er, er wollte durchaus noch heut
nach Hohenſtein. Unterdeß war die Nacht voͤllig her¬
eingebrochen, ſie mußten abſteigen, und ihre Pferde
hinter ſich herfuͤhren, da der Holzweg ſich nach und
nach in einen verwachſenen Fußſteig verlor.
Walter war verdrießlich, und ſprach wenig. For¬
tunat aber wurde immer vergnuͤgter, je weiter ſie fort¬
ſchritten, und blickte recht mit friſchem Herzen in die
wunderbaren Mondlichter und die raͤthſelhaften Ab¬
gruͤnde, an denen ſie voruͤberzogen. Oft hielten ſie
horchend ſtill, denn es war ihnen, als hoͤrten ſie
aus weiter Ferne Hunde bellen, und den dumpfen
Takt eines Pochhammers dazwiſchen; aber das ein¬
foͤrmige Rauſchen der Waͤlder verſchlang immer alles
wieder.
Walter ſchwor endlich, nicht einen Schritt mehr
weiterzugehen, er band ſein Pferd an, und ſetzte ſich
maulend daneben. Fortunat hatte ſich gleichfalls auf
den Raſen hingeſtreckt, waͤhrend ſein Gefaͤhrte nun
allerlei Reden uͤber unzeitige Romantik und verlorene
Zeit verlauten ließ. Fortunat antwortete nicht darauf,
und da es gar nicht enden wollte, zog er ſeinen Man¬
tel uͤber den Kopf, und ſchlummerte bald vor Ermuͤ¬
dung ein.
Als er wieder aufwachte, war Walter unterdeß
vor Aerger feſt eingeſchlafen. Er ſah freudig rings
um ſich her, die tiefe Einſamkeit, die unbekannte Ge¬
gend, der Schlafende, und die Pferde im Mondſchein,
alles war ihm ſo neu und wunderbar; er ging unter
den Baͤumen auf und nieder, und ſang halb fuͤr ſich:
Wie ſchoͤn hier zu vertraͤumen
Die Nacht im ſtillen Wald,
Wenn in den dunklen Baͤumen
Das alte Maͤhrchen hallt.
Die Berg' im Mondesſchimmer
Wie in Gedanken ſtehn,
Und durch verworrne Truͤmmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn muͤd ging auf den Matten
Die Schoͤnheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kuͤhlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das iſt das irre Klagen
In ſtiller Waldespracht,
Die Nachtigallen ſchlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern' gehn auf und nieder —
Wann kommſt du, Morgenwind,
Und hebſt die Schatten wieder
Von dem vertraͤumten Kind?
2
Schon ruͤhrt ſichs in den Baͤumen,
Die Lerche weckt ſie bald —
So will ich treu vertraͤumen
Die Nacht im ſtillen Wald.
Und wie er aufblickte, hoͤrte er wirklich ſchon den
Klang einer fruͤherwachten Lerche durch den Himmel
ſchweifen. Friſch auf! rief er froͤhlich Waltern zu,
friſch auf, ich wittre Morgenluft! Walter erhob ſich
taumelnd, und konnte ſich lange nicht in dem wunder¬
lichen Schlafſaal zurechtfinden. Der kurze Schlummer
hatte ihn neu geſtaͤrkt und verwandelt, er ſchaͤmte ſich
ſeines geſtrigen Mißmuths, und bald ſaßen die beiden
Freunde wieder ruͤſtig zu Pferde, um, wo moͤglich,
noch vor Tagesanbruch aus dem Labyrinth der Waͤlder
herauszukommen.
Nach einem kurzen Ritt hatten ſie die Freude,
unerwartet wieder einen ordentlichen Weg zu erreichen.
Land! Land! rief endlich Walter vergnuͤgt aus, dort¬
hin zu liegt Hohenſtein! — Sie verdoppelten nun ihre
Eile, und gelangten bald voͤllig aus dem Walde in das
weite, geheimnißvolle Land hinaus. Immer tiefer und
freudiger ſtiegen ſie von den Bergen in das Bluͤten¬
meer, ſchon hoͤrten ſie von fern eine Thurmuhr ſchla¬
gen, zahlloſe Nachtigallen ſchlugen uͤberall in den Gaͤr¬
ten. Am Ausgang des Gebirges ſchien ein großes Dorf
zu liegen, zerſtreute Huͤgel, dunkele Baumgruppen, und
ein hohes praͤchtiges Schloß hoben ſich nach und nach
aus der verworrenen Daͤmmerung, alles noch unkennt¬
lich und raͤthſelhaft, wie in Traͤumen. So waren ſie
in eine hohe Kaſtanienallee gekommen, als Walter
ploͤtzlich an einem zierlichen Gitterthor ſtill hielt. Sie
ſchlafen noch alle, ſagte er, wir wollen indeß hier in
den graͤflichen Garten gehen, und die Erwachenden
uͤberraſchen.
Sie banden nun ihre Pferde an den Zaun, und
ſchwangen ſich von den ſteinernen Sphinxen, die den
Eingang bewachten, uͤber das Gitter in den Garten
hinein. Da war noch alles ſtill und duftig, einzelne
Marmorbilder tauchten eben erſt aus den lauen Wellen
der Nacht empor. Das alte finſtere Schloß im Hin¬
tergrunde mit ſeinen dichtgeſchloſſenen Jalouſien ſtand
wie eine Gewitterwolke uͤber einem freundlichen Neben¬
gebaͤude, von dem man vor lauter Weinlaub faſt nur
das rothe Ziegeldach ſah. Unter den hohen Baͤumen
vor dem letztern fanden ſie einen Tiſch und mehrere
Stuͤhle, als waͤren ſie eben erſt von einer Geſellſchaft
verlaſſen worden. — Da hat ſie ſchon wieder ihre
Guitarre draußen vergeſſen, ſagte Walter kopfſchuͤt¬
telnd. — Wer denn? fragte Fortunat, — die ſchoͤne
Amtmannstochter, von der du mir erzaͤhlt haſt? —
Ja, Florentine, erwiederte Walter; das iſt des Amt¬
manns Wohnung, und dort oben nach dem Garten
hinaus ihre Schlafſtube. — Du weißt hier gut Be¬
ſcheid, entgegnete Fortunat. — Walter wurde roth und
ſchwieg verlegen. Fortunat aber ergriff ohne weiteres
2*
die auf dem Tiſch liegende Guitarre, ſtellte ſich vor
das bezeichnete Fenſter und ſang:
Zwei Muſikanten ziehn daher
Vom Wald aus weiter Ferne,
Der eine iſt verliebt gar ſehr,
Der andere waͤr' es gerne.
Ich bitte dich, unterbrach ihn Walter, was ſingſt
du da fuͤr dummes Zeug! — Wart' nur, 's kommt
gleich kluͤger, erwiederte Fortunat und ſang weiter:
Die ſtehn allhier im kalten Wind
Und ſingen ſchoͤn und geigen:
Ob nicht ein ſuͤßvertraͤumtes Kind
Am Fenſter ſich wollt' zeigen?
Sein Wunſch ging wirklich in Erfuͤllung. Ein
ſchoͤnes Maͤdchen, noch ganz verſchlafen, wie es ſchien,
fuhr oben an's Fenſter, ſchuͤttelte die Locken aus dem
Geſichtchen und ſah neugierig mit großen, friſchen
Augen durch die Scheiben. Als ſie aber unten einen
unbekannten, wohlgekleideten Mann erblickte, war ſie
eben ſo ſchnell wieder verſchwunden. — Walter wurde
nun in der That unwillig, Fortunat aber griff immer
luſtiger in die Saiten, und ſang wieder:
Mein Herz iſt recht von Diamant,
Eine Blum' von Edelſteinen,
Die funkelt froͤhlich uͤber's Land,
In tauſend bunten Scheinen!
Und durch das Fenſter, ſteigen ein
Waldsrauſchen und Geſaͤnge,
Da bricht der Saͤnger mit herein
Im ſeligen Gedraͤnge.
Unterdeß war es im Hauſe nach und nach leben¬
dig geworden, Thuͤren gingen auf und zu, im Innern
hoͤrte man dazwiſchen das kraͤftige Lachen eines Man¬
nes, das immer naͤher zu kommen ſchien. Endlich
wurde die Hausthuͤr von Innen geoͤffnet, und, mit
einer langen Pfeife im Munde, ſtand ein, ſchon voͤllig
angekleideter, großer, ſtarker Mann vor ihnen, deſſen
gebraͤuntes, lebensluſtiges Geſicht von der Morgen¬
ſonne hell beſchienen wurde. Es war der Amtmann
ſelbſt. Er war voller Freude, Walter'n ſo unerwartet
wiederzuſehen, und konnte gar nicht aufhoͤren, uͤber das
luſtige Staͤndchen zu lachen, durch das ſich Fortunat
ſogleich in ſeine entſchiedene Gunſt geſetzt zu haben
ſchien. Mit ſchallender Stimme rief er nun alles im
Hauſe wach, es mußten eilig Kaffee und Pfeifen in's
Freie herausgebracht werden, ſie lagerten ſich um den
Tiſch auf dem gruͤnen Platz vor der Thuͤr, den die bei¬
den Gaͤſte noch vor Kurzem ſo einſam geſehen hatten,
und Walter mußte ausfuͤhrlich ihre naͤchtlichen Irrfahr¬
ten vortragen.
Unterdeß war auch die Frau Amtmannin dazuge¬
kommen. Sie hatte ſich vor dem unbekannten Gaſte
ſorgfaͤltig und beinah feſtlich angethan und empfing
Fortunaten mit umſtaͤndlicher, wortreicher Feierlichkeit.
Fortunat, dem bei ſolcher Gelegenheit unwillkuͤhrlich
alle Bewillkommungskomplimente einfielen, die er in
ſeinem ganzen Leben gehoͤrt oder auch nicht gehoͤrt
hatte, konnte nicht widerſtehen, mit einem unerſchoͤpf¬
lichen Schwalle der auserleſenſten Redensarten zu ent¬
gegnen, und erweckte dadurch bei der Dame eine nicht
geringe Meinung von ſich und ſeiner feinen Lebensart.
Das iſt heute ein rechter Freudentag! ſagte der
Amtmann, da ſoll es auch einmal hoch hergehen. Er
erzaͤhlte nun, wie ſie heut gegen Abend auch noch ihren
jungen Neffen Otto hier erwarteten, der von der fer¬
nen Univerſitaͤt zuruͤckkehre, um ſich zu ſeiner Anſtel¬
lung vorzubereiten. Die Amtmannin ließ mit zufriede¬
ner Miene noch einfließen, daß Otto, der Sohn ihrer
verſtorbenen Schweſter, aus Herrn Walters Staͤdtchen
ſey, daß er ſchon auf der Schule immer fuͤr den ſtill¬
ſten und geſchickteſten galt, und nun ein wahrer Ge¬
lehrter geworden ſey.
Fortunat bemerkte waͤhrend dieſes Geſpraͤchs, daß
ſich Walter unterdeß verloren hatte. Der Garten,
der nun in voller Morgenpracht heruͤberfunkelte, lockte
auch ihn ſchon lange, und er ſagte endlich dem Amt¬
mann, wie er Walter'n vorzuͤglich in der Abſicht hier¬
herbegleitet habe, um die Heimath des beruͤhmten Gra¬
fen Victor einmal in der Naͤhe zu ſehen. Der Amt¬
mann laͤchelte. Ich weiß nicht, ſagte er, ob Sie auch
ſolcher Meinung ſind, aber wenn die Andern von dem
beruͤhmten gelehrten Grafen ſprechen, denken ſie ſich
ihn immer mit der Zipfelperuͤcke, wie den Hilmar Cu¬
ras vor ſeiner Grammatik. Das kann mich immer
aͤrgern. Was da Gelehrter! Zu Pferde muß man
den Grafen Victor ſehen, im Walde auf der Jagd,
auf den Felſen, wo allen Andern ſchwindelt — mit
einem Wort: das iſt ein rechter Mann! Das Be¬
ruͤhmtſeyn und Verſemachen iſt nur ſo Lumpenzeug
daneben, wie eine Schabracke auf einem ſchoͤnen Roß,
und er giebt ſelber nichts darauf. Doch wir ſprechen
ein andermal mehr davon. — Er ſtand nun auf und
beſchrieb Fortunaten die Gaͤnge, die er im Garten ein¬
ſchlagen ſollte, um zu den ſchoͤnſten Punkten zu gelan¬
gen, da ihn ſelbſt die Wirthſchaftsanordnungen fuͤr
den anbrechenden Tag in das Haus hineinriefen.
Fortunat wandte ſich nun allein in den Garten,
wo er zu ſeinem Erſtaunen ringsumher nur architekto¬
niſche Formen altmodiſcher Gaͤnge, hohe, feierliche
Buchenalleen, Springbrunnen und kuͤnſtliche Blumen¬
beete erblickte, von denen dunkelgluͤhende Paͤonien und
praͤchtige Kaiſerkronen glaͤnzten. Es war, als haͤtte
ein wunderlicher Zauberer uͤber Nacht ſeine bunten
Signaturen uͤber das Gruͤn gezogen, und ſaͤße nun
ſelber eingeſchlummert in dem Labyrinth beim Rauſchen
der Waſſerkuͤnſte und traͤumte von der alten Zeit, die
er in ſeine ſtillen Kreiſe gebannt.
Schon waren Schloß und Amtmannswohnung
hinter Fortunaten verſunken, als er ploͤtzlich einen wohl¬
gekleideten jungen Mann bemerkte, der an den Mar¬
morſtufen eines einſamen Gartenhauſes eingeſchlafen
war. Er wollte umkehren, aber der Schlaͤfer, von
dem Geraͤuſch erweckt, fuhr ſo eben raſch auf, blickte
verworren ringsumher, und fragte Fortunaten, wer er
ſey? Dieſer erzaͤhlte nun ſein naͤchtliches Abenteuer
und ſeinen langgehegten Wunſch, dieſe Gegend einmal
zum Angedenken des Dichter-Grafen Victor zu durch¬
ſtreifen. — Vortrefflich, erwiederte der Andere, ſo will
ich Sie ſogleich herumfuͤhren! — Kennen Sie den
Grafen Victor? fragte Fortunat. — Nicht ſonderlich,
erwiederte jener, doch weiß ich eben genug von ihm,
um Ihnen hier uͤberall genuͤgende Auskunft zu geben.
Fortunat nahm das unerwartete Anerbieten dank¬
bar an, und betrachtete, als ſie nun mit einander wei¬
ter gingen, mit freudiger Ueberraſchung das ſchoͤne,
aber etwas bleiche und wuͤſte Geſicht des Unbekann¬
ten, uͤber das die Morgenlichter durch das Laub wun¬
derlich wechſelnde Scheine warfen. Er aͤußerte endlich
ſeine Verwunderung uͤber die, wie es ſchien, abſichtlich
und ſehr ſorgfaͤltig feſtgehaltene Altmodigkeit dieſes
Gartens. — Der Graf, entgegnete ſein Begleiter, will
es ſo haben. Buxbaumene Kindlichkeit! Wie es in
ſeiner Kindheit geweſen, ſo ſoll es hier ferner verblei¬
ben, ſelbſt dieſelben Blumen muͤſſen jaͤhrlich an denſel¬
ben Plaͤtzen wieder gepflanzt werden, wie damals. —
Er hat Recht, ſagte Fortunat, was ſoll ein Garten,
wenn er nicht ein Gedicht von ganz beſtimmtem Klange
iſt! In dieſem einfoͤrmigen Plaͤtſchern der Waſſer¬
kuͤnſte, in dieſer geiſterhaften Symmetrie der Laub¬
waͤnde und ſtummen Marmorbilder iſt eine Wehmuth,
die einen wahnſinnig machen koͤnnte.
Jetzt ſtanden ſie an dem Abhang des Berges,
deſſen obere Flaͤche das Schloß und der eigentliche
Ziergarten einnahmen. Von der, mit Epheu umrank¬
ten Felswand ſah man hier ploͤtzlich in tiefe Schluch¬
ten und Wieſenplaͤtze hinab, wo im kuͤhlen Schatten
uralter Baͤume Rehe und Dammhirſche weideten, die
ſcheu die Koͤpfe nach ihnen emporhoben, und dann pfeil¬
ſchnell im tieferen Dunkel verſchwanden. — Sehen
Sie da, rief Fortunats Begleiter aus, das Großartige
und Kuͤhne dieſer Kompoſition. Ich betrete dieſen Ort
nie ohne Ehrfurcht vor dem ſeltenen Genius dieſes
Dichter-Grafen — oder ſagen wir es nur lieber gerad'
heraus: Dichterkoͤnigs! beſonders muß ich Sie hier
auf jene leichtgeſchwungenen Bruͤcken aufmerkſam ma¬
chen. Sie fuͤhren, wie Sie ſehen, uͤber die Wipfel
der Baͤume hinweg nach einzeln ſtehenden hohen, abge¬
riſſenen Felſen hinuͤber, die, mit ihren bunten Gaͤrtchen
auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen uͤber die
Waldeinſamkeit emporragen. Dieſen Einfall hat der
liebenswuͤrdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er
legte dieſe haͤngenden Gaͤrten an; das waren die Blocks¬
berge ſeiner Phantaſie. Hier pflegte er als Knabe,
wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schloſſe alles
aͤngſtlich durcheinander lief, vor der unermeßlichen Aus¬
ſicht zu ſitzen, mit den Beinen uͤber dem Abgrunde
baumelnd, bis ihm die erſten dicken Regentropfen an
die ſeidenen Struͤmpfe klatſchten. — Es freut mich —
erwiederte Fortunat, der ganz in den Anblick des wun¬
derbaren Grundes verſunken, die letzten Worte faſt
uͤberhoͤrt hatte — es freut mich recht, daß Sie Vic¬
tors poetiſche Erſcheinung ſo hoch halten.
Der Begleiter ſah ihn aus den ſchoͤnen Augen
ſcharf und zweifelhaft an. — Ich bedaure ihn aufrich¬
tig, ſagte er dann, denn ich halte die Anſtellung als
Genie fuͤr eine der epinoͤſeſten in der Welt. Ein An¬
derer ſtopft ſich ſeine Pfeife, zieht ſeinen Schlafrock an,
ſetzt ſich auf dem Schreibeſel zurecht, und macht ſeine
Arbeiten ab, und geht dann zufrieden in die Reſſource,
wo er wieder ganz Menſch ſeyn kann. Aber ſo ein
Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht
los werden; wie ein Spaziergaͤnger, der im Herbſt uͤber
Feld gegangen, ſchleppt er die Sommerfaͤden ſeiner
Traͤume an Hut und Aermeln bis auf die Reſſource
nach. Iſt dort gar das Fenſter offen, ſo ſind die
Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie verſeſſen
auf ihn, und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zu¬
weilen ſpielt ihm ſeine kaum halbfertig gedichtete Ge¬
liebte den fatalen Streich, und blickt ihn ploͤtzlich aus
den Augen irgend einer albernen Dame an. — Hier
ſtand er ploͤtzlich ſelber uͤberraſcht ſtill. Sie waren in
das Felſenthal hinabgeſtiegen, und an einen einſamen
Weiher gelangt, in deſſen Mitte ſich eine, wie es
ſchien, unzugaͤngliche Inſel im friſchen Schmuck des
Morgenthaues ſpiegelte. Spuren ehemaliger Gaͤnge
und Blumenplaͤtze waren von hohem Graſe und Un¬
kraut uͤberwachſen, fremde Bluͤtengewaͤchſe ſchlangen
ſich an den Baumſtaͤmmen empor, nur einzelne hohe
Blumen funkelten noch hier und da aus der bunten
Verwilderung, in der unzaͤhlige Voͤgel ſangen. Das
war ſonſt Victors Lieblingsplatz, ſagte der Fremde
nach einem Weilchen, hier hat er den Namen ſeines
erſten Liebchens in die Baͤume geſchnitten. Das Maͤd¬
chen iſt todt, der Nachen zu der Inſel lange zertruͤm¬
mert und verſenkt, und Wipfel und Zweige, Unkraut
und Bluͤten ſchlingen ſich druͤben verwildert durch ein¬
ander, und koͤnnen doch nicht in den Himmel wachſen.
— Ein ſeltſames Leuchten flog bei dieſen Worten uͤber
ſein geiſtreiches Geſicht. Dann auf einmal zu Fortu¬
naten gewandt, ſagte er: aber Sie ſind am Ende ſelbſt
der Graf Victor — laͤugnen Sie nur nicht! — For¬
tunat brach in lautes Lachen aus, und bat den Unbe¬
kannten, der ihm wohl behagte, zu wechſelſeitiger naͤhe¬
rer Bekanntſchaft ſogleich mit zum Amtmann hinauf
zu kommen. Der Fremde beſann ſich einen Augen¬
blick, und fragte dann, ob noch mehrere Gaͤſte dort
waͤren? Da er hoͤrte, daß auch Walter droben ſey,
entſchuldigte er ſich, er habe zu lange am Brunnen
geſchlafen, und muͤſſe nun ſchnell wieder weiter. —
Sind Sie denn nicht hier aus dem Hauſe? fragte For¬
tunat erſtaunt. — Aber Jener eilte ſchon fort, winkte
noch einmal mit dem Hute, und war bald zwiſchen
den Baͤumen verſchwunden.
Drittes Kapitel.
Als Fortunat wieder die Anhoͤhe erreichte, traute
er ſeinen Augen kaum. Der ſchoͤnſte Morgenglanz
blitzte jetzt uͤber die gezirkelten Raſen-Figuren und Tul¬
penbeete, an den Statuͤen hingen Mieder, Poſchen
und Schleier umher, ein friſcher Wind ging durch den
Garten, und ließ, die Zweige theilend, bald ein paar
bloße Maͤdchenarme, bald ein ganzes zierliches Bild¬
chen fluͤchtig erblicken. Und ſo glich der Garten mit
den bunten Tuͤchern, die wie Fruͤhlingsfahnen von den
Buͤſchen flatterten, mit den funkelnden Strahlen der
Waſſerkuͤnſte und dem heiteren Sonnenhimmel daruͤber,
auf einmal jenen alten Landſchaften, wo alle Hecken
von ſchwaͤrmenden Nymphen wunderbar belebt ſind.
Erſtaunt drang er weiter vor, da ſah er eine junge
Dame in wunderlichem Schmuck, mit Reifrock, Mie¬
der und geſticktem Faͤcher vor einem Springbrunnen
ſtehen, ſie beſpiegelte ſich, froͤhlich plaudernd, im Waſſer,
ſchuͤttelte lachend die ſchweren blitzenden Ohrgehaͤnge
und ſah wieder hinein. Auf einmal wandte ſie ſich,
er glaubte in dem friſchen Geſichtchen Florentine, die
Amtmannstochter, zu erkennen, die er vorhin am Fen¬
ſter geſehen. Aber nun erſchallte ein lauter Schrei,
und aus allen Hecken, in Taft und Seide rauſchend,
fuhren erſchrocken fliehende Maͤdchen-Geſtalten durchs
Gruͤne, als haͤtte der Wind Aprikoſenbluͤten umher¬
geſtreut.
Fortunat folgte ihnen zu der Amtmannswohnung,
wo ſie verſchluͤpft waren. Aber hier hielt ihn neue
Verwirrung feſt, er fand auch dort alles in lebhafter
Bewegung. Aus dem Moͤrſerſtampfen im Hauſe und
dem ernſtwichtigen Durcheinanderrennen der Maͤgde,
zwiſchen dem man von Zeit zu Zeit die Kommando¬
ſtimme der Amtmannin vernahm, ſchloß er ſogleich auf
ein großes Kuchenbacken im Innern. Draußen aber
auf dem Raſen ſah man große Teppiche ausbreiten,
Sophas und Polſterſtuͤhle ausklopfen, uͤberall wurden
die verdunkelnden Doppelfenſter ausgehoben, die Mor¬
genſonne ſchien luſtig durch das ganze Haus, und ein¬
zelne Schwalben kreuzten jauchzend uͤber dem Platze.
Ein langer, hagerer Mann, mit duͤnnem Hals
und hervorſtehenden Augen ſchien beſonders ſelig in
dem Rumor, man ſah ihn uͤberall im dickſten Hau¬
fen ſchreiend, helfend und anordnend. Von dieſem er¬
fuhr Fortunat endlich, nicht ohne Muͤh' und wiederholte
Fragen, daß die Pachterstoͤchter aus der Nachbarſchaft
angekommen, und mit Florentinen im Garten den alten
graͤflichen Hofſtaat anprobirt haͤtten, und daß alle
dieſe Anſtalten auf den feierlichen Empfang des heute
erwarteten Studenten Otto zielten, der nach den ein¬
gelaufenen Nachrichten fruͤher hier eintreffen koͤnnte, als
man Anfangs glaubte. Der Mann aber war der Foͤr¬
ſter des Orts, der fruͤher ſelbſt das Gymnaſium fre¬
quentirt, und ſeitdem eine wuͤthende Vorliebe fuͤr Stu¬
denten hatte. — Fortunaten war dieſe unverhoffte
Wirthſchaft ein willkommenes Feſt. Er miſchte ſich
ohne Verzug in das bunte Getuͤmmel, um den Laͤrm,
wo moͤglich, noch groͤßer zu machen. Dem Foͤrſter
ſtellte er vor, wie unerlaͤßlich es ſey, den Gefeierten
durch ein Triumphthor einzufuͤhren, worauf beide ſo¬
gleich voll Eifer forteilten, um die noͤthigen Materia¬
lien zu dem neuen Werke herbeizuſchaffen. Unterwegs
begegneten ſie Walter'n, der ſo eben mit einem Buche
in den Garten ging. Ich muß mich ein wenig ſam¬
meln, ſagte er fluͤchtig zu Fortunat, ich freute mich
ſo auf den ſtillen Tag im Freien, und nun bricht aller
Plunder herein, es iſt mir einmal nicht gegeben, mit
den Leuten uͤber Nichts zu ſchwatzen, es iſt unleidlich!
Inzwiſchen verzoͤgerte ſich Otto's Ankunft von
Stunde zu Stunde. Walter hatte nicht lange geleſen,
ſondern revidirte in ſeiner praktiſchen Luſt mit dem
Amtmann die Hoͤfe, Scheunen und Staͤlle. Im Gar¬
ten wurden die Voͤgel ſchon ſtill, Florentine und ihre
jungen Freundinnen, wieder bequem in ihren gewoͤhnli¬
chen Kleidern, fluͤchteten vor der ſteigenden Sonne aus
einem Schatten zum andern, die immer kuͤrzer wur¬
den, jede hatte ein Stuͤck friſchen Kuchen in der Hand,
ſie wußten nicht, was ſie in der Hitze anfangen ſollten
mit der langen Zeit. Auch ein junger Wirthſchafts¬
ſchreiber mit Sporen und neuem Frack hatte ſich ein¬
gefunden. Er trug den Maͤdchen die Tuͤcher nach,
focht mit ſeiner Reitgerte galant in die Luft, und wußte
durch Schnalzen auf Lindenblaͤttern und andere artige
Kunſtſtuͤcke ſich bei den Frauenzimmern angenehm zu
machen.
Ploͤtzlich verſetzte der Knall eines Boͤllers alles in
die groͤßte Verwirrung, aus allen Hecken und Thuͤren
ſtuͤrzten die Erwartenden nach der Richtung hin, wo
die Exploſion erfolgt war. Dort gewahrten ſie ſchon
von fern den Foͤrſter am Abhange des Gartenberges,
wie er ſo eben durch ein altes Perſpectiv, das er wuͤ¬
thend immer laͤnger und laͤnger hervorſchob, in die Ge¬
gend hinausblickte. Als die Andern endlich athemlos
und fragend anlangten, warf er auf einmal das Fern¬
rohr fort, ergriff eine neben ihm ſtehende Lunte, und
loͤſte, zum Schrecken der lautſchreienden Damen, einen
zweiten Boͤller. Und in der That, in demſelben Augen¬
blick wurde durch den ſich theilenden Pulverdampf zwi¬
ſchen den Kornfeldern am blaugewundenen Strom im
Thal ein Reiter in bunter ſtudentiſcher Tracht ſichtbar,
der nun auch ſeinerſeits die Harrenden auf dem Berge
erblickte, und, freudig ſeinen Hut ſchwenkend, die
Sporen einſetzte. Otto! Otto! rief alles froͤhlich durch¬
einander, und winkte ihm mit den Schnupftuͤchern ent¬
gegen. Der Reiter hatte unterdeß den Fuß des Ber¬
ges erreicht, ſchwang ſich vom Pferde, und auf dem
naͤchſten Wege zwiſchen den gruͤnen Rebengelaͤndern
aufſteigend, erſchien ein ſchoͤner Juͤngling von etwas
kleiner, zierlich ſchlanker Geſtalt mit einem feinen Ge¬
ſicht und faſt traͤumeriſchen Augen.
Aber am Eingang zur erſten Allee wurde er ploͤtz¬
lich durch eine ſeltſame Erſcheinung aufgehalten. Ein
ſchoͤner Tannenbaum ſtand dort am Abhang von Alters
her, wie ein dunkler Ritter auf der Wacht, und ragte
mit dem Wipfel bis uͤber die Anhoͤhe hinauf. Auf
einmal rauſchte er mit den gruͤnen Kronen und zeigte
ſein Rieſenhaupt mit rothbraunem Geſicht und langem
Schilfbart, das Haar phantaſtiſch von wilden Blumen
und Eichenlaub umkraͤnzt. Salve! redete das Haupt,
die Augen ſichtbar bewegend, den erſtaunten Studen¬
ten an:
Salve! Herr Doctor oder Magiſter!
Bin ein alter Burſch' und haß' die Philiſter,
Bin der Waldmann aus dem Gebirge hier,
Darf nicht naͤher treten zu Dir,
Kann nicht zu Dir kommen in Haus und Zimmer,
Traͤt' dort alle den Plunder in Truͤmmer,
Drum ſchau ich uͤber die Wipfel hier hinaus;
Und biſt Du der Alte noch immer,
So lad' ich Dich wieder in mein gruͤnes Haus!
Da gehn, wie damals, noch mit Gefunkel
Die Quellen verworren durch's kuͤhle Dunkel,
Waldhornsklaͤnge und Voͤgelſchall,
Von fern dazwiſchen der Waſſerfall,
Und uͤber uns rauſchend die Buchen und Fichten,
Erzaͤhlen Dir wieder die alten Geſchichten. —
Doch haſt Du uͤber Pandekten und Latein
Seitdem vergeſſen die Sprache mein,
So magſt Du uͤber Deinem Buche hocken und leſen!
Das meine iſt doch geſcheuter geweſen!
Dann halt' ich auf ewig meinen großen Mund,
Wir ſehen uns nimmermehr wieder — und —
Und — hier blieb der Gebirgsgeiſt ploͤtzlich ſtecken,
man hoͤrte eine andere Stimme immer lauter, aber
vergeblich ſoufliren. Daruͤber gerieth das Haupt nach
und nach ins Wackeln, auf einmal kollerte es zwiſchen
den Zweigen auf die Anhoͤhe herunter und praſſelnd
hinterdrein der Foͤrſter und Fortunat zu großem Ge¬
laͤchter und Ergoͤtzen der Umſtehenden.
Otto ſtuͤrzte dem ſchimpfenden, ſich abſtaͤubenden
Waldmann herzlich in die Arme, dann ſah er mit den
ſchoͤnen Augen Fortunaten nachdenklich an. Gott
weiß es, ſagte er, ich verſtehe die Waldesſprache noch
immer, und was ich auch ſeitdem hinzugelernt habe,
ſie iſt und bleibt doch meine rechte Mutterſprache! —
Nun bemerkte er erſt die Andern in der Allee, und
fiel jubelnd dem Amtmann und ſeiner Frau und end¬
3
lich auch den Maͤdchen in die Runde um den Hals,
die erroͤthend und verlegen ſich des Ungeſtuͤmen nicht
erwehren konnten. Aber kein Menſch konnte zu Worte
kommen, denn der unermuͤdliche Foͤrſter, der in ſeinem
Eifer gar keine Notiz von der Ruͤhrung nahm, hatte
insgeheim Pauken und Trompeten herbeſtellt, die jetzt
furchtbar in die Ohren der Damen ſchmetterten, Boͤller
auf Boͤller wurde dazwiſchen geloͤſt, er ſelbſt aber
ruͤhrte ſehr kuͤnſtlich die Pauken, auf die er zuletzt hin¬
aufſprang, und Schlaͤgel und Hut hoch uͤber ſich in
die Luft werfend, unaufhoͤrlich Hurrah ſchrie. Die
Amtmannin wurde ganz zornig in dem Laͤrm, auch
Otto ſchien verlegen und geſtoͤrt. Da war der tolle
Foͤrſter endlich mit ſeinem Empfange fertig geworden,
und, noch ganz erhitzt von dem pappenen Rieſenkopfe,
in dem er vorhin geſteckt, fuͤhrte er nun mit einer
wunderlichen ungelenken Grandezza die fremden Maͤd¬
chen nach der Amtmannswohnung hin.
Hier unter den Baͤumen ſtanden auf einer alt¬
modiſchen Kaffeeſerviette, in welche verſchiedene Staͤdte
und Hirſchjagden rothgewirkt waren, unzaͤhlige kleine
chineſiſche Taſſen aufgepflanzt, ein ungeheurer Kaffee¬
krug dampfte einladend dazwiſchen, die junge Dienſt¬
magd im Sonntagsputz brachte eine Schuͤſſel mit den
in Kuchen gebackenen Namenszuͤgen Otto's herbei, und
kuͤßte dem neuangekommenen jungen Herrn hocherroͤ¬
thend die Hand. Der Foͤrſter, der alte Junggeſell,
war inzwiſchen in den vollen Redeſtrom ſeiner Feier¬
tagslaune gerathen, und brachte alle ſeine alten Jagd¬
ſpaͤße und lateiniſche Brocken wieder aufs Tapet, wor¬
uͤber die Pachterstoͤchter, die ihn insgeheim fuͤr einen
gewandten Weltmann und Gelehrten hielten, jedesmal
in ein unmaͤßiges Lachen ausbrachen. Bald aber
nahm Otto die Aufmerkſamkeit ausſchließlich in An¬
ſpruch, noch in der vollen Heimathsfreude des erſten
Wiederſehens erzaͤhlte er von ſeinem Studentenleben
in Halle, er ſprach ſo friſch, und als nun gar der
Amtmann die funkelnden Weinflaſchen auf den Tiſch
ſetzte, glitten alle Gedanken froͤhlich mit dem bunten
Studentenſchifflein am Gibichenſtein und den bluͤhenden
Kirſchgaͤrten die Saale hinab in das gelobte Land
der Jugend.
So war unvermerkt der Abend herangekommen,
der Foͤrſter und die Maͤdchen hatten ſich heimlich ins
Haus geſchlichen, Otto erzaͤhlte noch immer, als ploͤtz¬
lich die Thuͤr ſich weit aufthat, und bei dem Geſchwirr
einer Geige ein ganzer Hofſtaat von Damen und
Herren in Reifroͤcken, Haarbeuteln und altfranzoͤſiſchen
Fraͤcken ſich rauſchend herausbewegte. Man erkannte
ſogleich den Foͤrſter unter ihnen, er fuͤhrte feierlich die
jungen Leute vom Tiſch den verlegen knixenden Da¬
men auf, die Geige ſchwirrte von neuem, und ſo ent¬
ſpann ſich unverſehens ein Tanz auf dem Raſen.
Waltern wollt' es gar nicht gelingen, er wurde immer
3*
verlegener, je mehr die andern uͤber ihn lachten, auch
die beiden Pachterstoͤchter konnten ſich in ihrem Staat
nicht finden, in dem ſie ſich, wie in einem Gehaͤuſe,
nur ſchwerfaͤllig bewegten und alle Augenblick ver¬
wickelten. Jeder ſprang ſo gut er konnte, und als
nun vom Schwung der Reifroͤcke die Lichter verloͤſchend
flackerten, ergriff der Wirbel endlich auch die Alten am
Weintiſch, der Foͤrſter fuͤhrte die, ſich vergebens ſtraͤu¬
bende Amtmannin zu einer Sarabande, jeder der uͤbri¬
gen waͤhlte gleichfalls ſeine Dame, und es entſtand
eine wunderſame, kuͤnſtliche Verſchlingung, wobei der
Foͤrſter durch kuͤhne Schwenkungen alles in Erſtaunen
ſetzte.
Auf einmal fuhr Florentine aus dem leuchtenden
Kreiſe wie eine Sternſchnuppe in den finſtern Garten
hinaus. Ihre Bruſt flog uͤber dem knappen, ſeidenen
Mieder, ſie athmete erſchoͤpft in der kuͤhlen Nachtluft,
dabei blickte ſie immerfort nach den Baͤumen zuruͤck,
als erwartete ſie noch jemand. Fortunat bemerkte ſie,
ihn hatte unter den abenteuerlichen Geſtalten nach
und nach die Hofluft der alten Zeit unwiderſtehlich er¬
griffen, er folgte raſch dem Maͤdchen nach, faßte ſie
zierlich an den aͤußerſten Fingerſpitzen, und promenirte
ſo feierlich mit ihr auf den geſchnoͤrkelten Gaͤngen.
Sie ließ ihm lachend die Finger, ſah aber immer un¬
geduldiger zuruͤck. So waren ſie in galantem Dis¬
cours an eine einſame Grotte gekommen, noch ein
Ueberbleibſel jenes grillenhaften Schmuckes altmodiſcher
Gaͤrten. Bunte Muſcheln blitzten im Mondſchein von
Decke und Waͤnden, ausgeſtopfte Reiher und Waſſer¬
voͤgel ſtanden mit weitaufgeſperrten Schnaͤbeln auf
Kriſtalriffen umher. — Suͤßer Gott der Liebe, ſagte
Fortunat, das iſt recht eine Grotte zum Schnaͤbeln,
o waͤren wir doch jetzt zwei Turteltaͤubchen! — Sie
ſah ihn einen Augenblick verſchmitzt an, dann drehte
ſie leiſe einen verborgenen Krahn, auf einmal ſpruͤtzten
alle Schnaͤbel funkelnde Waſſerſtrahlen grade auf For¬
tunat, und eh' er ſich noch beſinnen konnte, war ſeine
wilde Taube in dem Spruͤhregen verflogen.
Er ſchuͤttelte ſich lachend ab, und als er zu der
Geſellſchaft zuruͤckkam, ſtand Florentine ſchon wieder
am Tiſch vor der Mutter, die ihr beſorglich die Locken
aus der heißen Stirn ſtrich. Sie hatte die langen
Augenwimpern tief geſenkt, denn es that ihr nun heim¬
lich leid um Fortunats neuen Frack, die flackernden
Lichter ſpielten auf ihrem Geſicht und dem glitzernden
Mieder, ſo ſah ſie in den lauſchenden Wogen von
Taft und bunten Schleifen wie ein Elfchen aus, das
aus einer Tulpe guckt. — Walter ſah ſie lange unver¬
wandt an, dann faßte er Fortunaten unter dem Arm
und fuͤhrte ihn raſch in den Garten. Iſt ſie nicht
wunderſchoͤn? o wie bin ich doch gluͤcklich! rief er aus,
und erzaͤhlte nun dem Freunde, daß er ſeit laͤngerer
Zeit mit Florentinen verlobt ſei, daß ſie, auf den Rath
der Aeltern nur noch eine bevorſtehende Gehaltserhoͤh¬
ung Walters abwarteten, und dann in dem Staͤdtchen
Haus und Garten mit der Ausſicht auf Hohenſtein
kaufen und dort im Gruͤnen ſich fuͤr die ganze Lebens¬
zeit miteinander einrichten wollten. —
Kaum eine Stunde darauf aber war alles ver¬
klungen, aus den Thaͤlern ſchallte das Zirpen der
Heimchen herauf, man hoͤrte nur noch die Kaleſche
der Pachterstoͤchter auf dem ſteinigen Wege durch die
Nacht fortrumpeln, in der Ferne zerplatzten einige
Leuchtkugeln, die der unermuͤdliche Foͤrſter noch aus
ſeinem Gaͤrtchen warf. — O gluͤckſelige, bangſame
Einſamkeit, dachte Fortunat, wer es wie Walter uͤber
ſich gewoͤnne, ſich ganz darin zu verſenken!
Viertes Kapitel.
Schoͤne ſtille Zeit, du liebſte Heimathsgegend mit
deinen friſchen Morgen und mittagſchwuͤlen Thaͤlern,
und ihr ruͤſtigen, nun nach allen Weltgegenden hin
zerſtreuten Jugendgeſellen, die damals von den Bergen
ſo ernſt und froͤhlich mit mir in das Leben hinausge¬
ſehen — ich gruͤß' euch alle aus Herzensgrund! Denn
alles wird mir wieder lebendig hier auf den kuͤhlen
Waldbergen, wie ich den Amtmann zwiſchen den Korn¬
feldern wandern ſehe und Florentinen bald oben am
Fenſter beim erſten Morgenlicht ſingend und ihre Haare
flechtend und ſich ſtreckend und putzend um die Wette
mit den erwachenden Voͤgeln in den Baͤumen vor dem
Hauſe, bald wieder im Garten uͤber einer franzoͤſiſchen
Grammaire eingeſchlafen, die Walter ihr gegeben, um
ſich fuͤr das Stadtleben auszubilden. Vor allen aber
hat Fortunat, der ſeine Abreiſe von einem Tage zum
andern verſchiebt, ſich behaglich im Garten eingerichtet.
Im Gruͤn zwiſchen hohen Blumen, die weite Land¬
ſchaft unter ſich, und uͤber ihm die rauſchenden Wipfel,
ſetzt er ſich jeden Morgen mit dem Schreibzeug an
dem ſteinernen Fußgeſtell eines etwas verwitterten Apol¬
lo's zurecht, um einige Novellen, die er in gluͤcklichen
Reiſeſtunden auf ſeinem Pferde erſonnen, endlich ein¬
mal recht in Ruhe zu Papier zu bringen. Aber da
geht es ihm wunderlich. Der luſtige Morgenwind
wirft ihm die Blaͤtter ins Gras, wo ſich die Huͤhner
drum raufen, hinter ihm aber ſtimmen die Wipfel ihr
uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt,
die Waldvoͤgel ſingen ganz fremde Noten dazwiſchen
und Wolken fliegen uͤber das Land und rufen ihm zu:
Menſchenkind, ſei doch kein Narr! Und zog dann gar
der Foͤrſter unten zur Jagd, und ſchwenkte ſeinen Hut,
und rief Hurrah hinauf, da warf er gewiß Feder und
Papier fort, und ſchwang ſich auf ſeinem Pferde mit
in den friſchen, glaͤnzenden Morgen hinaus. —
Auf einem ſolchen Morgenritt troͤſtete er ſich ein¬
mal mit folgendem Liedchen:
Ich wollt' im Walde dichten
Ein Heldenlied voll Pracht,
Verwickelte Geſchichten
Recht ſinnreich ausgedacht.
Da rauſchten Baͤume, ſprangen
Vom Fels die Baͤche drein
Und tauſend Stimmen klangen
Verwirrend aus und ein.
Und manches Jauchzen ſchallen
Ließ ich aus friſcher Bruſt,
Doch aus den Helden allen
Ward nichts vor tiefer Luſt.
Kehr ich zur Stadt erſt wieder
Aus Feld und Waͤldern kuͤhl,
Da kommen all' die Lieder
Von fern durch's Weltgewuͤhl,
Es hallen Luſt und Schmerzen
Noch einmal leiſe nach,
Und bildend wird im Herzen
Die alte Wehmuth wach,
Der Winter auch derweile
Im Feld die Blumen bricht —
Dann giebt's vor Langerweile
Ein uͤberlang Gedicht!
Bei ſeiner Ruͤckkehr fand er im Hauſe alles aus¬
geflogen, und ſtreckte ſich ermuͤdet im Garten an dem
hohen Bogengange in's Gras. Er hatte aber noch
nicht lange geruht, als er Stimmen neben ſich ver¬
nahm, an denen er die Amtmannin und Waltern er¬
kannte, die ohne ihn zu bemerken in dem Gange auf
und nieder wandelnd, in lebhaftem Geſpraͤch begriffen
ſchienen. — Das kommt bei dem Ueberſtudiren her¬
aus, ſagte ſo eben die Amtmannin, nichts als Verſe
im Kopf, Reiſen und dergleichen unkluges und koſtſpie¬
liges Zeug. — Ich glaube gar, rief Fortunat, die
ſpricht von mir! — Beruhigen Sie ſich, hoͤrte er nun
Waltern entgegnen, ich werde verſuchen, die eigent¬
lichen Abſichten dieſes verſchloſſenen, raͤthſelhaften Ge¬
muͤths zu erforſchen. — Bei Nacht moͤchte er ſpazieren
gehen, fing die Amtmannin wieder an, den Tag ver¬
traͤumt er! Und warum verbirgt er ſich vor uns? —
Hier verlor ſich der Discours in der Ferne. Fortunat
ſprang haſtig auf. Sie reden von meinem unbekann¬
ten Fuͤhrer im Garten an jenem erſten Morgen, dachte
er, und es fiel ihm auf's Herz, daß er ihn in der
Zerſtreuung ſo ganz vergeſſen hatte.
Als am Abend alle unter den Linden vor der
Hausthuͤre ſich wieder verſammelten, beſchloß er, der
Sache naͤher auf den Grund zu kommen. Der Amt¬
mann war der erſte auf dem Platz, er erzaͤhlte ihm
ſogleich das ganze Begegniß, wie er damals den Un¬
bekannten ſchlafend am Springbrunnen getroffen, und
was ſie mit einander geſprochen hatten. Dieſer hoͤrte
ſehr aufmerkſam zu, er mußte ihm Groͤße, Kleidung,
Haar und Stimme des Fremden ausfuͤhrlich beſchrei¬
ben, aber der Amtmann wußte alles beſſer, als er,
alle ſeine Fragen trafen wunderbar ein. So kennen
Sie ihn alſo? fragte Fortunat. — Der Amtmann
ſchuͤttelte nachdenklich den Kopf. Ich weiß nicht, wer
es war, ſagte er, und darf nicht ſagen, was ich ver¬
muthe. — Unterdeß war ſeine Frau herausgekommen,
er bat Fortunaten ſchnell, vor den Weibern nichts von
der Geſchichte zu erwaͤhnen. Jetzt trat auch der Stu¬
dent Otto, der von einem weiten Spaziergange zuruͤck¬
zukommen ſchien, zu der Geſellſchaft. Als er ſich bei
ihnen niederließ und in der warmen Luft ſeinen Rock
ſchnell oͤffnete, fiel ein ſauber eingebundenes Buch dar¬
aus zu Boden; es war des Grafen Victors neueſtes
poetiſches Werk, das er bisher noch nicht gekannt und
heute fruͤh unter den zerworfenen Buͤchern des Amt¬
manns gefunden hatte. — Ach, ich dachte, es waͤre
dein juriſtiſches Handbuch, ſagte die Amtmannin,
indem ſie das Buch aufnahm und Otto'n zuruͤckgab.
Dann, ſich gemaͤchlich auf ihren Lehnſtuhl zuruͤckleh¬
nend, fuhr ſie nach einer kurzen Pauſe fort: hab' ich
doch heute von Tagesanbruch in Haus und Hof zu
ſchaffen gehabt, daß mir ordentlich alle Glieder
wehthun. Nun dafuͤr ſchmeckt auch am Abend
die Ruhe, wenn man ſich wacker geruͤhrt und ſeine
Pflichten erfuͤllt hat. — Otto erroͤthete fluͤchtig, ohne
etwas darauf zu erwiedern. — Fortunaten aber fiel es
bei dieſen Worten erſt auf, wie ſonderbar allerdings
Otto ſeit einiger Zeit erſchien. Alle Morgen zog er
ganz allein in den Wald hinaus, und kam ſelten vor
Mittag wieder zum Vorſchein. Dann war er ein¬
ſylbig, ſchuͤchtern, zerſtreut, und oft mitten in den hei¬
terſten Augenblicken flog es uͤber ſein freundliches Ge¬
ſicht, wie ein Wolkenſchatten uͤber eine ſchoͤne ſonnen¬
helle Gegend.
Man hatte unterdeß das Abendeſſen aufgetragen,
und die ruͤſtige Amtmannin, die es nun heut einmal
auf Otto'n abgeſehen zu haben ſchien, begann, indem
ſie den Braten zerſchnitt und jeden reichlich davon be¬
theilte, ſich mit allerlei weiſen Redensarten und ſpitzi¬
gen Ausfaͤllen uͤber die theuren Zeiten zu verbreiten,
und wie nothwendig es ſey, daß ein junger Menſch
jetzt fruͤhzeitig darauf denke, dereinſt ſein ſicheres Brod
zu haben. Da ſeyen noch immer Thoren genug in der
Welt, um reichen Leuten die Zeit zu vertreiben mit
ſchoͤnen Bildern, Komoͤdienſpielen oder Verſemachen —
das ſey ein bloß herrſchaftliches Vergnuͤgen, ſetzte ſie
ſchnell verbeſſernd hinzu, indem ihr dabei Graf Vic¬
tor einfallen mochte. — Der Amtmann hatte die Sal¬
latſchuͤſſel vor ſich geſchoben und aß haſtig, man konnte
nicht errathen, ob er ſich uͤber Otto oder uͤber ſeine
Frau aͤrgerte. — Da faͤllt mir immer mein ſeliger
Bruder ein, hub die letztere wieder an; er hat auch
ſtudirt, aber das war ein geſcheuter Kopf, der ließ die
Phantaſten ablaufen, ſetzte ſich auf ſeine Brodwiſſen¬
ſchaften, heirathete eine gebildete, vernuͤnftige Frau,
und Gott hat ſeinen Eheſtand geſegnet. Nun du
kannſt es ja ſelber bezeugen — fuhr ſie zu dem Amt¬
mann gewendet fort, empfindlich, daß er ihr gar nicht
beiſtimmte — der ließ ſich zu ſeiner Hochzeit von den
beſten Poeten Schaͤfergedichte machen, Gott weiß, wo
die nun ſelber die Schaafe huͤten. — Hier brach Otto,
der bis jetzt ſichtbar mit ſich ſelbſt kaͤmpfte, ploͤtzlich
mit verbiſſener Bitterkeit und einem hoͤhniſchen Stolze
los, den niemand dem ſanften Juͤnglinge zugetraut
hatte. Lieber Schweine huͤten, ſagte er, als ſo Zeit¬
lebens auf der Treckſchuite gemeiner Gluͤckſeligkeit vom
Buttermarkt zum Kaͤſemarkt fahren. Der liebe Gott
ſchafft noch taͤglich Edelleute und Poͤbel, gleichviel, ob
ſie Adelsdiplome haben, oder nicht. Und ich will ein
Herr ſeyn und bleiben, weil ich's bin, und jene
Knechte ſollen mich ſpeiſen und bedienen, wie es ihnen
zukommt! — Das war der beſtuͤrzten Amtmannin zu
toll. Unſinniger, aufgeblaſener Menſch! rief ſie hoch¬
roth vor Zorn; ſo iß meinetwegen trockenes Brod,
wenn du Butter und Kaͤſe verachteſt! Aber wir wiſ¬
ſen's wohl, wo du die Komoͤdianten-Spruͤche gelernt
haſt. Denke nur nicht, in unſer ehrliches Haus ein¬
mal eine Theaterprinzeſſin heimzufuͤhren, die nicht ſo
viel hat, um die Loͤcher zu flicken, die ſie in ihre Lap¬
pen geriſſen, ſo eine, von aller Welt ausgeklatſchte
Creatur!
Aber Otto hoͤrte nicht mehr, er war raſch aufge¬
ſtanden, und ſchritt zuͤrnend in den naͤchtlichen Garten
hinein. Walter, in ſichtbarer Verlegenheit, wollte ihm
folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn
ſchnell in einen Seitengang fuͤhrte. Sage doch nur,
fragte er Waltern, was giebt's denn eigentlich hier,
und wo willſt du hin? — Den Gekraͤnkten troͤſten,
erwiederte Walter, und — vermag ich's ſonſt — ihm
auch den Kopf ein wenig zurechtſetzen. Komm' mit! —
Das laß' ich wohl bleiben, rief Fortunat aus, ich bin
froh, wenn mir mein eigner Kopf zuweilen noch ſo
leidlich ſitzt. — Mein Vorhaben, ſagte Walter, iſt
wahrhaftig edler, als es dir, nach deinem ironiſchen
Geſicht, auf den erſten Blick vielleicht erſcheinen mag.
Denke dir nur recht dieſen ſtillbeſchraͤnkten, heiteren
Familienkreis, deſſen ganzes Trachten und Hoffen auf
den einzigen Juͤngling gerichtet iſt, der auf der Schule
immer fuͤr den aufgeweckteſten und geſchickteſten galt.
Und nun kehrt er von der Univerſitaͤt zuruͤck, verwan¬
delt, traͤumeriſch in ſich gekehrt, unluſtig zu jeder tuͤch¬
tigen Arbeit, und einer verworrenen Welt von aus¬
ſchweifenden Gedanken und Wuͤnſchen nachhaͤngend,
um — wie ich fuͤrchte — dereinſt zu ſpaͤt von der
grauſamſten Taͤuſchung zu erwachen, und ein verlornes
Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich verſuchen,
ihn auf das Gefaͤhrliche eines Pfades aufmerkſam zu
machen, der einſam uͤber die Koͤpfe der anderen Men¬
ſchen weggeht, und immer nur fuͤr ſehr wenige be¬
ſtimmt ſcheint. — Fortunat war uͤber dieſe Worte
ernſt und nachſinnend geworden. Du ehrliche Seele!
ſagte er endlich, dem Freunde herzlich die Hand ſchuͤt¬
telnd, ſo verſuche dich denn an ihm. Iſt der junge
Menſch ein halber Philiſter, ſo hilf ihm voͤllig aus
dem tollen Poetenmantel heraus, und iſt es rechter
Ernſt mit feinem Talent, ſo muß er ja doch wei¬
ter, und rennt dich uͤber, waͤrſt du auch der weiſe
Salomo ſelber.
Alle vor dem Hauſe waren durch den Vorfall ge¬
ſtoͤrt, die kleine Geſellſchaft ſah ſtumm und kopfhaͤn¬
gend auf die Teller. Draußen uͤber den Thaͤlern war
es indeß ſchon ſtiller und dunkler geworden, nur in
weiter Ferne ſah man zuweilen leichte Blitze uͤber den
Bergen ſchweifen. Die Amtmannin blickte mit heim¬
licher Beſorgniß, wie es ſchien, bald in das Wetter¬
leuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto
verſchwunden war, und ging dann, ohne ein
Wort zu ſagen, in das Haus hinein. Endlich brach
der Amtmann aͤrgerlich die unheimliche Stille. Es
geht auch alles confus jetzt, ſagte er zu Fortunat, im
Fruͤhling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend
alt und im Alter naͤrriſch! Glauben Sie mir, unſere
ganze Zeit jetzt iſt gerade wie dieſes verruͤckte Fruͤh¬
lingswetter, die Schwuͤle bruͤtet und treibt alles vor¬
zeitig hervor, und ich fuͤrchte, es ſchießt mehr in's
Kraut, als in die Bluͤte. Unſere Jungens wiſſen
ſchon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und
recken und ſehnen ſich aus allen Gelenken heraus, waͤh¬
rend wir in unſerer luſtigen und geſunden Jugendzeit
ohne beſondere Sehnſucht hinreichend dumme Streiche
machten, und erſt die fatalen Luͤmmeljahre uͤberſtehen
mußten. Ja, es iſt recht verdrießlich! Man moͤchte
ſich gern bequem, froͤhlich und auf die Dauer einrich¬
ten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Don¬
ner verkuͤndigt uͤberall den unheimlichen Ernſt, und ſo
ſitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung
vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwaͤhrend
Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt. — Unter¬
deß hatte Walter den verſcheuchten Otto im Garten
aufgefunden. Empoͤrt und in innerſter Seele verletzt,
ſaß er wie eine Nachteule mitten im Geſtruͤpp. Als
er Waltern erblickte, ſprang er raſch auf und kam ihm
mit erzwungener, gleichguͤltiger Hoͤflichkeit entgegen.
Die Tante, ſagte er, iſt gewiß ſchon beſorgt, daß ich
draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die
Naſe iſt ein empfindlicher Theil, da ſitzt die Seele
ſchon tiefer und waͤrmer, die ficht ſo leicht nichts
an. — Walter ſtand einen Augenblick verbluͤfft, denn
es war ihm als ſaͤh er auf einmal ſich ſelber als
Studenten vor ſich ſtehn, er war ganz aus ſeinem
Concept gebracht und ergriff geruͤhrt die Hand des
aufgeregten Juͤnglings. Ich komme keineswegs, ſagte
er endlich, um das harte, heftige Weſen der Amt¬
mannin zu vertheidigen, obgleich es auch nur eine an¬
dere, ungeſchickte Form der Liebe iſt. Das Angedenken
meiner eigenen Jugend iſt es, was mich herfuͤhrt, der
aufrichtige Schmerz um ein junges heitres Gemuͤth,
das auf dieſem Wege ſich immer tiefer und tiefer in
der bluͤhenden Einſamkeit verirrt und verwildert. Ich
kenne dieſe troſtloſe Oede junger Seelen gar wohl,
das Heimweh ohne Heimath, dieſe labyrinthiſche Selbſt¬
quaͤlerei. Sie ſtehn verlaſſen auf der Welt, ohne
Vater und Mutter — verlangt Sie in dieſer Einſam¬
keit nach einem Freunde, und wollen Sie's mit mir
verſuchen, ſo biete ich Ihnen meine Hand bis in den
Tod, und will rathen, ſchuͤtzen, helfen wo ich kann! —
Otto ſah ihn erſtaunt an, denn in Walters Worten
war jener wunderbare Klang ernſter Guͤte, der uͤber¬
all unmittelbar zum Herzen geht. — Sie ſind im
Amte, angeſehen, ruhig — ſagte er dann nach einer
kurzen Pauſe. Und wenn ich Ihnen nun auch erzaͤh¬
len wollte von dem zauberiſchen Spielmann, der jeden
Fruͤhling, wenn der Sonnenſchein ſich munter uͤber die
Felder ausbreitet, aus dem Venusberge kommt mit
neuen wunderbaren Liedern, und die Seelen verlockt,
von dem in ſchwuͤler Mittagsſtunde der einſame Vogel¬
ſang ſchallt, von dem die Stroͤme und Quellen ver¬
worren rauſchen im Mondſchein, und die badenden
Nixen wie im Traume ſingen durch die ſtille, goldne
Nacht — Sie wuͤrden mich ja doch nur fuͤr verruͤckt
halten! — Walter erſchrak faſt, ſo irr und fremd
leuchteten die Augen des Juͤnglings im Streiflicht des
Mondes. — Und ich bin es ja auch in der That!
fuhr dieſer fort, bildete mir da ein, dem Zauberſtrom
von Klaͤngen unverſehrt folgen zu duͤrfen, und ein
Dichter zu ſein, der die Zauber regiert! Aber nun
weiß ich's beſſer. Alle Engel, die durch die erſte
Daͤmmerung meiner Kindheit zogen, was ich oft be¬
tend heimlich erſehnte, und immer und immer vergeb¬
lich auszuſprechen verſuchte: ich fand es heut auf ein¬
mal mit freudigem Erſchrecken in des Grafen Victors
Buch, er hat es kuͤhn, friſch und jung wie eine Zau¬
berinſel entdeckt — und ich weiß nicht mehr, was ich
will. — Aber es iſt noch immer Zeit, ich bin noch
jung. Und wie ich das Buch hier vom Berge in den
Fluß hinunterſchleudere, ſo entſag' ich von heut ab
der froͤhlichen Dichtkunſt, der Metze! Und gleich den
anderen, die ich verachtet und die ſo unſaͤglich beſſer
ſind als ich, will ich von heut an allein und ganz
der Rechtswiſſenſchaft leben, und von den Buͤchern
nicht wieder aufſehen! — hier brach er ploͤtzlich in
Weinen aus und ſtuͤrzte wie vernichtet an Walters Bruſt.
Beide neuen Freunde ſchritten nun durch den ſtil¬
len Garten, nur eine Nachtigall toͤnte ſchluchzend in
4
der Ferne. Otto ſchwieg und ſchien gefaßter. Walter
ſagte: er brauche ja darum die Poeſie nicht ganz auf¬
zugeben, es beduͤrfe eines des andern, die Poeſie des
ſtrengen, ernſten Lebens und das Leben der heiteren
Dichtkunſt. Aber er fuͤhlte bald, wie albern ſolcher
Troſt in ſolcher Stunde war, und ſchwieg endlich
auch ſtill.
So kamen ſie an das Haus, wo ſie die Amt¬
mannin in Angſt und Thraͤnen fanden. Sie hatte
zuletzt gefuͤrchtet, daß Otto in ſeiner Heftigkeit ſich
ſelbſt ein Leids angethan, und fiel nun dem Geretteten
mit großer Freude um den Hals, die dieſer herzlich
erwiederte. Es iſt vorbei, rief Otto in ſeiner ſeltſa¬
men Haſt, ihr habt mich nun ganz wieder, und naͤch¬
ſtens, will's Gott, iſt Examen! — Du biſt ein braver
Junge, rief der Amtmann, ſtoß' an! — Die Glaͤſer
gaben einen hellen Klang, und ſo endigte der Abend
noch in Freuden; die fernen Gewitter hatten ſich auch
verzogen, und der Himmel glaͤnzte mit tauſend Ster¬
nen uͤber den Verſoͤhnten.
Fünftes Kapitel.
Aber es blieb nicht lange ſo ungeſtoͤrt; ein Zufall,
Mißverſtaͤndniß, oder wie ſonst der Menſch des Him¬
mels Fuͤhrung oder ſein eignes Ungeſchick benennen
mag, ſtellte unerwartet alles anders auf Hohenſtein.
Es war ein ſchwuͤler Nachmittag, die Blaͤtter im
Garten ruͤhrten ſich kaum, der Amtmann war auf der
Bank vor der Hausthuͤr eingeſchlummert, Walter
ſchrieb Briefe im Hauſe, Fortunat hatte ſich mit einem
Buche in's Gras geſtreckt, und ließ es ſich vor der
weiten Ausſicht gern gefallen, daß die leiſe Luft ihm
das Buch verblaͤtterte. Florentinen wurde ganz wehe
in dieſer Stille, ſie mußte immer etwas zu ſchaffen
haben; ſo ſchlich ſie ſich heimlich nach dem Wald, um
fuͤr den Abend Erdbeeren zu pfluͤcken, die Walter fuͤr
ſehr geſund hielt, weil er ſie gern aß. Fortunat ſah
ſie mit ihrem Koͤrbchen unten aus dem Dorfe gehen,
er warf ſein Buch weg, und folgte ihr, konnte ſie aber
im Walde nicht wiederfinden.
Florentine war unterdeß, bald ſammelnd, bald
naſchend, von Strauch zu Strauch geſchlendert, und
ſo unvermerkt an die Ruine der graͤflichen Stamm¬
burg gekommen. Ueberraſcht ſah ſie in der Einſam¬
keit an den halbzerfallenen Mauern, Thoren und Fen¬
ſterbogen empor; ſteinernes Bildwerk, das von der
4 *
ehemaligen Pracht zeugte, lag im hohen Graſe zer¬
ſtreut, aber der Fruͤhling hatte den verlaſſenen Berg
wieder beſtiegen, und ſpielte faſt wehmuͤthig in dem
ſtillen Hauſe. Seltſame Sagen gingen in der Ge¬
gend von dieſem einſamen Ort. Die Hirten hoͤrten
oft bei Nacht fremde Stimmen in der Burg, eine wun¬
derſchoͤne bleiche Frau ſollte ſich manchmal dort in dem
ausgebrochenen Fenſter ſehen laſſen. — Florentine war
noch nie allein hier geweſen, jetzt verlockte ſie der eigene
Reiz des Grauens, ſie betrat erſt vorſichtig und zau¬
dernd, dann immer kecker die kuͤhlen, von oben verſchat¬
teten Hallen. Durch die Mauerluͤcken blickten zuwei¬
len die Thaͤler ſchillernd aus der ſonnenhellen Tiefe
herauf, nur hin und her ſang ein Gebirgsvogel mit
fremdem Schall, und verſtoͤrte Eidechſen fuhren raſchelnd
unter das Unkraut, daß ſie unwillkuͤrlich zuſammenſchrak.
Jetzt kam ſie in den innern Burghof, da ſtand
ein wilder Kirſchbaum in voller Bluͤte, dunkelrothe
Blumen gluͤhten zwiſchen den Steinen, einzelne Schmet¬
terlinge flatterten ungewiß in der truͤben, bruͤtenden
Schwuͤle; und als ſie ploͤtzlich um den Pfeiler trat,
ſah ſie eine ſchoͤne bleiche Frau in einem ſeltſamen
himmelblauen Gewande mitten im Hof auf dem Raſen
ſitzen, die wandte ſich nicht, und kaͤmmte ſchweigend
ihr lang herabwallendes rabenſchwarzes Haar. — Flo¬
rentine blickte noch einmal ſcharf hin, dann, vom Ent¬
ſetzen uͤberwaͤltigt, ergriff ſie die Flucht.
Aber wie es oft in aͤngſtlichen Traͤumen geht, ſie
verfehlte in der Haſt die rechte Pforte; aus einem
Zwinger in den andern rennend, glaubte ſie ſprechen
zu hoͤren, die Stimmen kamen immer naͤher, ſie konnte
den Ausgang nicht finden. Auf einmal ſtanden zwei
fremde Maͤnner vor ihr in abgetragenen Ritterwaͤm¬
ſern, Pickelhauben auf den Koͤpfen. Der eine wollte
ſie am Koͤrbchen feſthalten, in der Todesangſt ließ ſie
ihm fliehend die Beeren, und hoͤrte ſein ſchallendes
Lachen hinter ſich.
Wie athmete ſie tief auf, als ſie endlich Gottes
freien Himmel wiederſah! Der erſte, der ihr begeg¬
nete, war Fortunat. Athemlos, mit heftig klopfendem
Herzen flog ſie an ſeine Bruſt, er druͤckte das ſchoͤne
Kind feſter an ſich, und fuͤhlte einen fluͤchtigen, bren¬
nenden Kuß auf ſeinen Lippen. — In demſelben Augen¬
blick aber war auch Walter, der ſie zu ſuchen ſchien,
neben ihnen aus dem Gebuͤſch hervorgetreten. Floren¬
tine beſann ſich ſchnell wieder, ſtrich die Locken aus
der heißen Stirn und reichte ihm die Hand hin, um
ihr uͤber die letzten Truͤmmer herabzuhelfen.
Nun erzaͤhlte ſie in lebhafter Aufregung, und oft
noch ſcheu zuruͤckblickend, ihr wunderſames Abenteuer.
Walter war ſtill und ſchien nur halb hinzuhoͤren. For¬
tunat wollte ſogleich in die Burg zuruͤck, um die bleiche
Frau zu ſehen, aber Florentine gab es durchaus nicht
zu. Waͤhrend ſie aber noch ſo ſtritten, ſtutzte ſie ploͤtz¬
lich und wies dann ganz erſtaunt nach dem Thale hin¬
aus. Dort wurde fern am Saume des Waldes ein
abenteuerlich bepackter, langſam einherziehender Wagen
ſichtbar, ihm folgte ein ſeltſam gekleidetes Maͤdchen zu
Pferde in blauem Gewand, mit dunkelem, fliegenden
Haar, mehrere Maͤnner, gruͤne Zweige auf ihren Huͤ¬
ten, ſchritten ruͤſtig nebenher; unter ihnen erkannte man
ſogleich die beiden Burgkobolde wieder, deren Pickel¬
hauben weit in der Sonne funkelten. Ein froͤhlicher
Chorgeſang ſchallte von dem Zuge durch das Gruͤn
herauf. — Reiſende Komoͤdianten! rief Fortunat lachend,
nun bedarf es keiner Unterſuchung weiter, das waren
die Spukgeiſter, der Weg kommt gerade von der
Burg.
So traten ſie nun alle beruhigter den Ruͤckweg
nach Hohenſtein an. Florentine, die ſich voͤllig wieder
erholt hatte, lachte jetzt ſelber mit; dann wandte ſie
ſich noch einmal nach den Bluͤtenthaͤlern, in die ſich
die kuͤnſtleriſchen Wandervoͤgel geſenkt. Es geht doch
nichts uͤber's Reiſen, rief ſie froͤhlich aus, wenn ich
ſo manchmal im Sommer recht fruͤh erwache, und
hoͤre unten aus den Doͤrfern die Haͤhne kraͤhen, oder
ein Poſthorn von fern uͤber den Garten heruͤber, da
wuͤnſch' ich mir oft, ich waͤre ein Mann und koͤnnte
auch ſo mit in die Welt hinaus. — Ich meine, fiel
hier Walter etwas graͤmlich ein, man muͤſſe erſt ſich
ſelbſt und die kleine Welt um ſich herum recht verſte¬
hen gelernt haben, ehe man ſich weiter umſieht, und
das Reiſen zieme uͤberhaupt nur dem reiferen Alter. —
Fortunaten aͤrgerte der Schulmeiſterton. Gerade um¬
gekehrt, rief er aus, nur die Jugend verſteht recht aus
Herzensgrunde die Schoͤnheit der Welt mit ihren mor¬
genrothen Gipfeln und kuͤhlen Abgruͤnden und funkeln¬
den Auen im Gruͤn, und malt es alles fresco nach,
daß das Alter einſt ſich daran erfriſche, wenn draußen
die Blaͤtter fallen und die ſinkende Herbſtſonne die
Schildereien noch einmal wunderbar beleuchtet. Waͤh¬
rend dein ſogenanntes reifes Alter vom Schifflein
ſorgſam die Tiefe mit dem Senkblei mißt, ſitzt die
Jugend uͤber Bord geneigt, und ſieht ihr eignes wein¬
bekraͤnztes Haupt in der klaren Fluth und hoͤrt die
Glocken der verſunkenen Stadt aus der Tiefe herauf¬
klingen. Ja, glaubt nur, die Welt iſt wie eine eigen¬
ſinnige Schoͤne, die nur in jungen Augen ſich mit
ihrem froͤhlichſten Schmucke ſpiegeln mag, fuͤr Klug¬
heit und Kenntniſſe giebt ſie nur Brod, fuͤr Liebe und
rechte Freude an ihr aber wieder Freude und Liebe.
So waren ſie vor der Amtmannswohnung ange¬
langt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne
vergoldeten bereits die Baͤume vor dem Hauſe, unter
denen die Amtmannin ſchon wieder den Tiſch gedeckt
hatte. Ein jeder machte ſich's in der Abendkuͤhle be¬
haglich bequem, und Florentine mußte, ausruhend,
ihre Burggeſchichte nochmals umſtaͤndlich erzaͤhlen.
Nur Walter fehlte. Auf einmal trat er, ganz reiſefer¬
tig, mit dem Amtmann aus dem Hauſe. Schlechte
Neuigkeit, ſagte der letztere, Walter hat dringende
Briefe bekommen, er muß in die Stadt, und will
noch heut reiſen, um die naͤchtliche Kuͤhle zu benutzen.
— Die Amtmannin machte beſorgt Einwendungen ge¬
gen das gefaͤhrliche Reiſen in der Nacht, Florentine
ereiferte ſich uͤber die Geſchaͤfte, die ſie von jeher als
eine unbekannte feindliche Macht betrachtete, aber
Walter blieb unerſchuͤtterlich, und nahm, auch von
Fortunaten, ſchnell und kurz Abſchied. Ganz zuletzt
wandte er ſich noch einmal zu dieſem, als wollt' er
ihm etwas ſagen, ſchuͤttelte ihm aber nur raſch die
Hand und ging ſchweigend fort. — Fortunat begleitete
ihn noch heraus bis zu ſeinem Pferde, dem Florentine
den Hals ſtreichelte, und, als es dann beim Aufſteigen
unruhig wurde, ſchnell nach der Hausthuͤr zuruͤckſprang.
Herr Je! ſagte er heimlich zu Waltern, was machſt
du da fuͤr ein langes Geſicht! Und uͤberhaupt,
warum willſt du gerade heut noch fort? die Geſchaͤfte
ſind's ja doch nicht. — Ich will nicht ſtoͤren, entgeg¬
nete Walter empfindlich, du bleibſt ja doch noch laͤn¬
gere Zeit hier, ich ſag' dir's vielleicht ein andermal,
leb' wohl! — Hiermit gab er ſeinem Pferde die Spo¬
ren, und war bald zwiſchen den Baͤumen verſchwun¬
den. — O langweilige Welt! rief Fortunat ihm nach¬
ſehend aus, wie gluͤcklich koͤnnte er ſein mit ſeinem
ſchlanken Reh im ſchoͤnen gruͤnen Wald, wenn er
friſch vom Herzen wegliebte, anſtatt den Talar von
Melancholie, Eiferſucht und anderen hergebrachten Lie¬
bes-Tuͤcken durch alle Paradieſe jaͤmmerlich hinter ſich
nachzuſchleppen!
Als er in den Garten zuruͤckkam, bemerkte er auf
der Linde vor dem Hauſe zwei zierlich beſchuhete Fuͤ߬
chen zwiſchen den Zweigen. Es war Florentine; ſie
ſaß im Baume, mit den Fuͤßchen baumelnd, waͤhrend
ſie Waltern nachſchaute, der ſich ſo eben in der Daͤm¬
merung zwiſchen Wieſen und Kornfeldern verlor. Das
heitere Maͤdchen ſchien in ihrer Unbefangenheit von
ſeinem Mißmuthe gar nichts zu ahnen.
Fortunat aber ging allein und unruhig durch den
Garten. Ich werde doch kein Narr ſeyn und mich
verlieben? ſagte er zu ſich ſelbſt. Und doch bin ich
auf dem naͤchſten Wege dazu. Und hinter mir lang¬
ſam und feierlich der abgemagerte Geiſt des ſich ſelbſt
erſchoſſenen Walters, und vor mir ein Zug von Tan¬
ten und Baſen, und gute Wirthſchaft, und Kinderge¬
ſchrei, und ein Haus machen —
Der Angſtſchweiß trat ihm ordentlich bei dieſen
Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligſt nach dem
Hauſe zuruͤck und eroͤffnete dort ohne weiteres der er¬
ſtaunten Familie, wie er zwar heute gerade keine
Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich
ebenfalls ſchleunigſt fortreiſen muͤſſe; daß er daher fuͤr
Speiſ’ und Trank und alle die ſchoͤne, ſtille, herrliche
Zeit aus Herzensgrund Dank ſagen, und hiermit ſo¬
gleich ſchon heut Abſchied nehmen wolle, da er noch
vor Tagesanbruch weiterzuziehen gedenke. Florentine
wurde bei dieſen Worten ganz roth, ſie ſetzte ſich
ſchmollend auf eine entfernte Bank, und Fortunat
glaubte zu bemerken, daß ihre abgewendeten Augen
von Thraͤnen glaͤnzten. Auch die Andern machten
ihm durch ihre aufrichtige Trauer das Herz ſchwer,
denn ſie hatten ſich alle in der kurzen Zeit ſchon an
ſeine froͤhliche Weiſe verwoͤhnt. Er mußte verſprechen,
wiederzukommen, und ihnen noch ausfuͤhrlich von den
Laͤndern und Staͤdten erzaͤhlen, wohin ſeine Reiſe
ging; ſo ſaßen ſie noch lange plaudernd vor der Haus¬
thuͤr beiſammen. Beim Schlafengehen endlich fluͤſterte
ihm Florentine noch heimlich zu: Und ich werde doch
auf ſeyn, eh' Sie wegreiten! —
Er hatte alle Fenſter des Schlafzimmers offen ge¬
laſſen, um den Morgen nicht zu verſchlafen. Da war
es ihm, als gingen draußen froͤhliche Stimmen unter
den Fenſtern auf und nieder, und riefen immerfort in
ſeinen Schlummer hinein: Friſch auf, ſchlafe nicht
mehr! Wunderbare Berge und Gruͤnde, ſchimmernde
Fernen, friſch auf! und ſchoͤne, helle, froͤhliche Zeit! —
Er ſprang endlich empor, und blickte durchs Fenſter.
Es war noch Nacht; dennoch kleidete er ſich in lang¬
entbehrter Reiſeluſt ſogleich an, ging durch das ſtille
Haus an Florentinens Schlafkammer voruͤber, und
machte noch ſchnell einen Gang durch den Garten.
Es war in der Nacht ein warmer Regen gefallen, die
Nachtigallen ſchlugen uͤberall aus den erfriſchten Buͤ¬
ſchen, hin und her bellten Hunde fern in den Doͤr¬
fern, ſonſt lag alles noch ſtill im praͤchtigen Mond¬
ſchein unter dem weiten, geſtirnten Himmel. — Als er
zuruͤckkehrte, hoͤrte er unten im Hauſe leiſe ein Fenſter
oͤffnen, es war Florentine, die ſich in leichter Morgen¬
kleidung hinauslehnte. Ziſch aus! ziſch aus! rief ſie
ihm entgegen, ich bin fruͤher wach geweſen, als Sie!
Dann, ſich im Garten umſehend, ſagte ſie: das iſt
gerade wie damals, da Sie hier das Staͤndchen brach¬
ten, und wir Sie zum erſtenmal ſahen. — Nun wird
es hier wieder recht einſam ſeyn, und ich wollte Sie
eben nur noch bitten, daß Sie auf Ihrer Reiſe von
ſich hoͤren laſſen, und manchmal an Waltern ſchreiben,
der Ihnen außerordentlich gut iſt, und gern von frem¬
den Laͤndern hoͤrt. — Fortunat verſprach es, und bat
ſie um einen Kuß zum Abſchiede. — Warum nicht
gar! rief das Maͤdchen lachend, indem ſie ihm ſchnell
die Hand hinausreichte, dann ſchloß ſie geſchwind das
Fenſter, und er ſah ſie nicht wieder. Fortunat warf
ſich nun ungeſaͤumt auf ſein Pferd, und ritt durch die
hohe, dunkle Allee an dem Gitterthor des Gartens
und dem ſtillen Dorfe voruͤber. Draußen auf dem
Berge aber wandte er ſich noch einmal zuruͤck. Geſeg¬
net, rief er, du ſchoͤnes Waldthal, in deiner gluͤckſeli¬
gen Abgeſchiedenheit, moͤge der Sturm der Welt dich
nie verſtoͤren!
Sechstes Kapitel.
Ein ſchweres Gewitter zog eben an dem Gebirge
hin, und ſandte ſeine Regenſchauer in die Ebenen hin¬
aus, waͤhrend Fortunat, durchnaͤßt und lange vom
Wege abgekommen, uͤber ein weites, in Regen und
Abenddunkel verhuͤlltes Feld dahin trabte. Da hoͤrte
er unerwartet den Geſang einer ſchoͤnen Maͤnnerſtimme
von fern heruͤberſchallen, wovon er nur folgende Worte
verſtehen konnte:
Bei dem angenehmſten Wetter
Singen alle Voͤgelein,
Klatſcht der Regen auf die Blaͤtter,
Sing' ich ſo fuͤr mich allein.
Denn mein Aug' kann nichts entdecken;
Wenn der Blitz auch grauſam gluͤht,
Was im Wandeln koͤnnt' erſchrecken
Ein zufriedenes Gemuͤth.
Er gab ſeinem Pferde die Sporen, und erreichte
in kurzer Zeit ein Haͤufchen Wanderer, die neben einem
Paar Pferde einherſchritten, auf denen zwei junge
Frauenzimmer ſaßen. Mit freudiger Ueberraſchung
erkannte er ſogleich die abenteuerlichen Geſtalten der
Schauſpieler wieder, die an Victors Stammburg vor¬
uͤbergezogen waren, von denen aber jetzt die Dunkel¬
heit nur die ungefaͤhren Umriſſe errathen ließ.
Fortunats Gruß fand nur eine halbe Erwiede¬
rung, die Geſellſchaft ſchien in uͤblem Humor zu ſeyn,
und langſam und ſchweigend, wie ein ſchwerer Traum,
bewegte ſich das Ganze weiter. Endlich unterbrach
der Voranſchreitende, welcher ſo eben geſtolpert war,
die Stille mit einem derben Fluche, pruſtete und glitt
gleich wieder aus, und kam gar nicht aus der Wuth.
— Das haben wir davon, hub die eine Dame zu
Pferde zu der anderen Reiterin an, das haben wir
nun von eurer ſchoͤnen Natur! Braͤchen die Herren
nicht ihren Flaſchen auf das Wohlſeyn jeder alten
Burg die Haͤlſe, ſo waͤre uns allen jetzt wohler und
wir ſaͤßen im Trocknen, denn unſer Wagen iſt gewiß
laͤngſt in der Stadt. — Dabei breitete ſie muͤhſam
einen, wie es ſchien, nicht ſonderlich konditionirten Re¬
genſchirm uͤber ſich aus. Aber der Wind verarbeitete
ihn ſogleich mit ſolcher Fertigkeit, daß ihre berittene
Nachbarin laut auflachte, und die Dame ihre Segel
erboſt wieder einziehen mußte. Fortunat, welcher hier
heimlich auf ein ergoͤtzliches Gezaͤnk hoffte, ermahnte
die Geſellſchaft, den beiden Damen in dieſem Kampfe
mit den Elementen durch ein gemeinſchaftliches, an¬
genehmes Geſpraͤch galant unter die Arme zu greifen.
Die Maͤnner antworteten gar nicht darauf, die Da¬
me mit dem Regenſchirm aber fragte: ob er vielleicht
auch ein Kuͤnſtler ſey und es ſo gut haben wolle wie
ſie? O, ſetzte ſie ſpitzig nach ihrer Nachbarin gewen¬
det hinzu, Liebhaberrollen ſind hier jederzeit zu haben. —
Bitte ſehr, erwiederte die Nachbarin mit einer wohl¬
klingenden Stimme, bei Ihnen iſt ja dieſe Stelle ſeit
geraumer Zeit vakant. — Ein ploͤtzlicher Blitz beleuch¬
tete hier auf einen Augenblick ein ſchoͤnes, feines, aber
bleiches Geſichtchen, uͤber welches zu beiden Seiten
lange ſchwarze Haare triefend herabhingen. — Mein
Gott, was ist das fuͤr eine Wirthſchaft um das bis¬
chen Regen! rief einer der jungen Maͤnner aus,
quamquam sint sub aqua, sub aqua maledicere
tentant! — Sparen Sie doch ihr Latein, ſagte die
Dame mit dem Schirm, Sie memoriren wohl eben
den Bettelſtudenten? Sie wollte noch mehr ſprechen,
aber der Litteratus fiel ſchnell in das Lied wieder ein,
das Fortunat ſchon vorhin von fern gehoͤrt hatte, und
uͤberſang ſie luſtig:
Frei von Mammon will ich ſchreiten
Auf dem Feld der Wiſſenſchaft,
Sinne ernſt und nehm’ zu Zeiten
Einen Mund voll Rebenſaft.
Bin ich muͤde vom Studieren,
Wann der Mond tritt ſanft herfuͤr,
Pfleg’ ich dann zu muſiziren
Vor der Allerſchoͤnſten Thuͤr.
Land! Land! ſchrie hier ploͤtzlich der Voranſchreitende
dazwiſchen, und man erblickte zu allgemeiner Freude
von weitem Mauern und Thuͤrme, die ſich wie dunkle
Rieſen immer deutlicher aus dem truͤben Grau auf¬
richteten. Einzelne Lichter ſchimmerten ſchon den Rei¬
ſenden troſtreich entgegen, ein jeder ſtrengte neubelebt
ſeine letzten Kraͤfte an, und ſo waren ſie bald an dem
Thore eines kleinen Staͤdtchens angelangt. — Wie
Zugvoͤgel mit begoſſenen, haͤngenden Fluͤgeln ſtrichen
ſie ſtumm durch die engen finſteren Gaſſen, wo ſich
die Lichter aus den Fenſtern blendend und verwirrend
im Waſſer ſpiegelten, waͤhrend der Regen von allen
Daͤchern aus abenteuerlich vorgeſtreckten Drachenkoͤpfen
auf ſie herabſtuͤrzte.
So kamen ſie endlich in den Hof eines Wirths¬
hauſes. Hier war der Reiſewagen der Geſellſchaft,
den man unterweges umgeworfen hatte, auch ſo eben
erſt angelangt. Der Theaterprinzipal Sorti, ein
kleines fixes Maͤnnchen, rannte eifrig hin und her,
vom Wagen wurden Burgen, Drachen und lange Ka¬
meelhaͤlſe eilig uͤber den Hof getragen, die Hofhunde
bellten, uͤberall war ein Rufen, Draͤngen und Schim¬
pfen in der undurchdringlichen Finſterniß, die nur von
einzelnen Blitzen manchmal durchkreuzt wurde. Mitten
aus dieſem Rumor hob der Litteratus die juͤngere Rei¬
terin ſchnell vom Pferde und trug ſie auf ſeinem Arme
in das Haus. Das Maͤdchen war arg durchnaͤßt.
mit dem duͤnnen, vom Regen knapp anliegenden Kleide,
mit den langherabhaͤngenden, troͤpfelnden Locken ſah
ſie wie ein Nixchen aus, das eben den Wellen ent¬
ſtiegen. Sie hielt beide Haͤnde vor das Geſicht, um
ſich vor dem, ploͤtzlich aus dem Hauſe dringenden
Lichte zu ſchuͤtzen, aber zwiſchen den kleinen Fingern
funkelten zwei ſchwarze Augen hindurch, die Fortuna¬
ten im Voruͤberfluge durchdringend anblickten.
Dieſer konnte nur mit Muͤhe ein beſonderes Stuͤb¬
chen gewinnen, wo er ſchnell ſeine Kleider wechſelte,
waͤhrend draußen nach und nach ein gewaltiges Thuͤr¬
zuwerfen, Streiten und Lachen, von einzelnen Opern-
Trillern und Laufern durchſchwirrt, das ganze Haus
erfuͤllte. Unterdeß hatte auch das Wetter ſich wieder
verzogen, und der Mond trat klar zwiſchen dem zer¬
riſſenen Gewoͤlk hervor. Er verließ daher gar bald
ſeine enge ſchwuͤle Kammer wieder, und eilte zwiſchen
den Reifroͤcken, Ruͤſtungen, Fahnen und Miedern, die
uͤber dem Treppengelaͤnder zum Trocknen ausgehaͤngt
waren, in den Garten hinab. Ein einſames Frauen¬
zimmer ſaß dort vor der Hausthuͤr auf der Bank, an
dem etwas verbrauchten Federhut, dem hohen Kragen
und der ganzen Haltung erkannte er die Dame mit dem
Schirme wieder. — Ich bin mir ſelbſt noch Genugthu¬
ung ſchuldig, hub ſie ſogleich an, als ſie Fortunaten
bemerkte. Sie werden vielleicht eine unguͤnſtige Mei¬
nung von mir gefaßt haben; aber ſie glauben nicht,
welche Verlaͤugnung es einem zarteren Gemuͤth koſtet,
mit den rohen Scherzen dieſer Menſchen, wenn auch
nur zum Schein, gleichen Schritt zu halten. — In
der That, erwiederte Fortunat, der Lateiner ſchritt
wacker und luſtig aus. — Luſtig? ſagte die Dame,
Sie kennen dieſen Wilden noch nicht, er hat keine
Ahnung von jener geiſtigen Seelenluſt, die ſchon dies¬
ſeits die Gipfel der Menſchheit erklimmt — Und jen¬
ſeits ruͤcklings wieder herunterſchurrt, fiel hier der feind¬
liche Litteratus ein, der, eben mit einer Guitarre aus
dem Hauſe tretend, das letzte Kapitel von der Luſt
mit angehoͤrt hatte, und, einzelne Accorde anſchlagend,
ſich nun weiterhin auf dem Platze im Dunkel verlor.
Fortunat lachte, denn ein leiſer Zornesblitz zuckte ploͤtz¬
lich uͤber das Geſicht der Dame und brachte die ganze
Muskeldecoration in eine augenblickliche widerliche Un¬
ordnung, zumal da gleich darauf auch die andere huͤb¬
ſche Reiterin aus der Thuͤr guckte, ihr Naͤschen ruͤmpfte,
da ſie die beiden beiſammen erblickte, und dann gleich¬
falls in den Garten an ihnen voruͤberſchlenderte. —
Die arme Kleine! ſie hat keinen ganzen Strumpf, be¬
merkte die Dame haͤmiſch. Und in der That, auch
der Mond hatte das ſchon bemerkt, und beleuchtete
wohlgefaͤllig ein Streifchen des zierlichſten Beinchens,
das blendend uͤber dem Schuhe hervorblickte, waͤhrend
die hochgeſchuͤrzte Kleine unbefangen unter den Linden
5
bemuͤht ſchien, Bluͤten von den herabhaͤngenden Zwei¬
gen zu ſtreifen.
Unterdeß ging ein friſches Wehen durch die Wi¬
pfel, die letzte Wolkendecke zerriß, und die alte Stadt¬
mauer und die Waldberge daruͤber ſtanden ploͤtzlich
wunderbar beglaͤnzt. Die Dame hatte ſich erhoben
und unter der Linde vor der Bank eine maleriſche me¬
lancholiſch-heroiſche Stellung genommen. Das Haupt
in die rechte Hand an den Baum geſtuͤtzt, ſah ſie eine
Zeit lang, wie in Gedanken verloren, nach den Hoͤ¬
hen — Tiedge! — ſagte ſie endlich bedeutungsvoll, und
druͤckte Fortunaten leiſe die Hand. — Fortunat, den
die ganze wunderliche Wirthſchaft dieſes Polterabends
ſchon lange innerlichſt aufgeregt hatte, ſprang raſch
auf. O Gott, wahrhaftig! rief er, ihre Hand feſthal¬
tend, aus, da ſchwebt er dahin als ein Veilchenduft,
die Sterne ſcheinen ihm durch den Leib — o hoͤren
Sie nichts? — nun lispelt er mit jemand, wie ge¬
daͤmpfte Muſik der Sphaͤren, es iſt Lafontaine, mit
dem er koſt, der hat einen Perlen durchwirkten Schlaf¬
rock an, aber die Perlen alle ſind Thraͤnen — ſie wan¬
deln mit einander auf der Milchſtraße — aber was
iſt das! — Wo? ſagte die Dame erſchrocken, und ver¬
ſuchte vergeblich, ihm ihre Hand zu entwinden. —
Sehen Sie die baͤrtige Wolke dort, fuhr er fort, da
kommt ihnen Kotzebue auf einem Ziegenbock entgegen,
ach Lafontaine weint, daß ihn der Bock ſtoͤßt — o es
iſt keine Tugend mehr auf der Welt! — Hier hatte die
Dame ſich endlich losgemacht, ſie hielt ihn laͤngſt fuͤr
betrunken oder wahnſinnig, ſtammelte verlegen eine
kurze Entſchuldigung, und ſtuͤrzte in das Haus zuruͤck.
Er aber ſprach noch immer fort, bis ſie ihr Zimmer
erreicht und die Thuͤre eilfertig hinter ſich abgeſchloſſen
hatte.
Lachend warf er ſich nun wieder auf die Bank
hin, die Waͤlder rauſchten in der ploͤtzlichen Stille von
den Bergen heruͤber, hin und her erwachten einzelne
Nachtigallen, in einiger Entfernung hoͤrte man den
Litteratus ſingen:
Die fernen Heimathshoͤhen,
Das ſtille hohe Haus,
Der Berg, von dem ich geſehen
Jeden Fruͤhling in's Land hinaus,
Mutter, Freunde und Bruͤder,
An die ich ſo oft gedacht,
Es gruͤßt mich alles wieder
In ſtiller Mondesnacht.
Die zierliche Reiterin hatte ſich bald nach den
erſten Klaͤngen dem Saͤnger genaͤhert. Du, du —
ſagte ſie mit dem Finger drohend, du haſt heute wie¬
der deine melancholiſche Stunde! — Ach, erwiederte
der Litteratus, halb unwillig abbrechend, was weißt
du davon, wie einem Gelehrten manchmal zu Mu¬
the iſt!
Ein ploͤtzliches Getuͤmmel an der Hausthuͤr ver¬
5*
hinderte hier Fortunaten, mehr von dieſer Unterredung
zu vernehmen. Ein ganzer heller Haufe von Schau¬
ſpielern kam naͤmlich ſammt einem langen, mit Wein¬
flaſchen und Glaͤſern beſetzten Tiſche, den ſie alle muͤh¬
ſam trugen, zum Hauſe heraus, der Gaſtwirth, voll
Beſorgniß um ſeine Glaͤſer, ihnen auf dem Fuße
nach. Der liebe Gott hat hier draußen den Vorhang
wieder aufgezogen, ſagte der eine zum Wirth, ſeht da,
Menſchenkind, den praͤchtigen Saal! Ein Reverbère,
der bis auf einige verjaͤhrte Roſtflecke ziemlich blank
iſt, eine Unzahl von Lichtern, die ſich ſelber putzen,
an allen Waͤnden ganze Mondlandſchaften al fresco.
— Die Geſellſchaft hatte ſich unterdeß nicht ohne be¬
deutenden Tumult um den Tiſch gelagert. Ein ſtarker,
wohlleibiger Mann von geſetzten Jahren zuͤndete qual¬
mend ſeine lange Pfeife an dem flackernden Lichte an,
das in einer Glaskugel auf dem Tiſche ſtand, und in
deſſen Wiederſchein ſein vom Wein und Wetter ver¬
branntes Geſicht ſich noch duukelrotherdunkelrother ausnahm, es
ſchien derſelbe, der vorhin, im Regen der Geſellſchaft
voranſchreitend, verſchiedentlich geſtolpert und geflucht
hatte. — Sie ſollten auch Komoͤdie ſpielen, mein Herr
Wirth, ſagte er, mit der Pfeife in breiter Behaglich¬
keit auf dem Stuhle zuruͤckgelehnt. — Der Wirth
aͤußerte Bedenklichkeiten gegen ſeine Geſchicklichkeit. —
Ach, Flauſen! fiel ihm der Schmauchende in die Rede,
ſehen Sie, ſo wie ich hier vor Ihnen ſitze, ſo ſitz' ich
auch auf dem Theater als Oberfoͤrſter, als gutmuͤthig
polternder Alter u. ſ. w., ich rauche, ich plaudere und
trinke mein Glaͤschen Wein ſo gut, wie hier. — Das
wuͤrd' ich allenfalls wohl auch treffen, meinte der
Wirth. — Nun, ſo ſeyd kein Thor! fuhr jener fort,
wollt ihr gratis eure Schlafmuͤtze aufſetzen, euer
Abendpfeifchen ſchmauchen, euren Kindern ruͤhrende Er¬
mahnungen geben? Laßt's euch bezahlen, Menſch!
Fortunat, dem der Mann gar nicht uͤbel duͤnkte,
verließ hier ſeine Bank. Aber mein Beſter — ſagte
er, ſich mit an den Tiſch ſetzend — wird euch denn
nicht manchmal Angſt, daß die neuere Poeſie eure
Oberfoͤrſtereien aufhebt, und euch eure haͤuslichen Ver¬
gnuͤgungen legt? — Keineswegs, entgegnete der Ober¬
foͤrſter ſehr ruhig, im Gegentheil, die neueſten kurzen
Dramen machen ſich wieder ganz vernuͤnftig und fami¬
liaͤr. Und wenn ich auch in Verſen ſpreche, oder viel¬
leicht gar ein Ritterwams anlege, ich bleibe doch der
Alte. O, mein Herr, ſo lange noch deutſche Biederkeit
waltet, und Bier getrunken und Taback geraucht wird,
ſteht mein Charakter unerſchuͤtterlich, wie auf Elephan¬
tenfuͤßen. — Hier miſchte ſich ein junger, blaſſer Schau¬
ſpieler mit in das Geſpraͤch, der bisher fuͤr ſich allein
an dem Stuͤmpfchen Licht in einem Buche geleſen
hatte, ohne an dem Laͤrm der Anderen Theil zu neh¬
men. Beſter Herr Ruprecht, redete er den Oberfoͤrſter
an, wer Sie ſo zum erſtenmal ſchwatzen hoͤrt, koͤnnte
leicht an Ihnen irre werden. Ich aber weiß es wohl,
wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunſt nur das
Edlere, das Ideale ſchaͤtzen. — Ruprecht, der ſich
nicht wenig damit wußte, daß er in ſeiner Jugend die
Kantiſche Philoſophie gehoͤrt hatte, raͤuſperte und ruͤckte
ſich ſo eben wohlgefaͤllig in ſeinem Stuhle zurecht,
als ploͤtzlich die kleine Reiterin herbeiſprang, und ihm
von hinten den Mund zuhielt. Um Gottes willen,
rief ſie, fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge
an, ihr guten Leute und ſchlechten Philoſophen! —
Armer Shakſpeare! entgegnete der Blaſſe, mit einem
unſaͤglich verachtenden Blicke. — O, fiel ihm Kordel¬
chen — ſo hieß die Reiterin — in die Rede, der Ru¬
precht iſt ein eingefleiſchter Shakſpeare, hat er ſich nicht
ſchon allmaͤhlig Bardulphs feurige Naſe anſtudirt? —
Und in der That, ſeine ſtolze Naſe leuchtete immer
ſchoͤner, je truͤber das Licht in der Glaskugel zu ver¬
loͤſchen begann. Er begab ſich fuͤr einen Augenblick
der feierlichen Gravitaͤt, in die ihn die Erinnerung an
ſeine akademiſchen Studien verſetzt hatte, und, taͤp¬
piſch Kordelchen zu ſich zerrend, rief er: So komm
und gieb Deinem Bardulph einen Kuß, du ſuͤße Dort¬
chen Lakenreißer! — Da gab ihm Kordelchen, durch
dieſe unzeitige Vergleichung beleidigt, geſchwind eine
derbe Ohrfeige, Ruprecht aber ſprang zornig auf ſie
los, waͤhrend ſeine naͤchſten Nachbarn bemuͤht waren,
ihn feſtzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung war¬
fen ſie mit ihren Ellbogen einige Stuͤhle und mehrere
volle Glaͤſer um, der Blaſſe, der ganz entruͤſtet ſein
Buch retten wollte, fiel uͤber ein Stuhlbein, der hin¬
zugeſprungene Wirth uͤber den Blaſſen, Ruprecht mit
ſeinen Verfolgern uͤber den Wirth, und ſo war auf
einmal alles wie ein Rattenkoͤnig von wunderſam
durcheinanderarbeitenden Armen und Beinen. In die¬
ſem Augenblick hoͤrte man Saͤbelſcheiden uͤber die
Hausſchwelle klirren, und zwei baͤrtige Polizeidiener
traten in den Garten. Was fuͤr eine ſcandaloͤſe Auf¬
fuͤhrung! rief der eine die Erſchrockenen an, iſt das
jetzt die Zeit, durch ſchnoͤden Laͤrm eine geſittete Buͤr¬
gerſchaft zu turbiren, die, nach ſauer erfuͤllter Berufs¬
pflicht, ſo eben ſchon den einen Fuß in das Bett ge¬
ſetzt hat — Und die durchreiſenden Herrſchaften! da
faͤhrt eben eine ehrwuͤrdige Matrone erſchrocken empor,
fiel ſein Gefaͤhrte ein, indem er auf ein Fenſter wies,
wo die Dame mit dem Schirm neugierig hervorguckte,
bei dieſer Apoſtrophe aber ſchnell wieder verſchwand. —
Nur nicht noch gar raiſonnirt! — fuhr der andere
zornig fort, da die Schauſpieler reden wollten. —
wir kennen uns, wir ſind verwegene Schuldenmacher,
denen kein Glaͤubiger mehr glauben will. — Raſch an
das Licht tretend und ein Papier entfaltend, las er: da
iſt Herr Ruprecht — feurig von Naſe, erhaben von
Naſe, bluͤhend von Naſe — was? nichts als lauter
Naſe! — Herr Lothario dann, auch Litteratus ge¬
nannt. — Charakter: erſter Tenor; beſondere Kennzeichen:
verdrehte Schleife am Halstuch, ungekaͤmmtes Haar,
ſpricht am vernuͤnftigſten, wenn er betrunken iſt, in
Summa: großes Genie. — Aber der Teufel mag aus
der Beſchreibung klug werden, ich verhafte in dem
Klumpen da die erſten beſten Beine. — Greif' zu! —
Sein Gefaͤhrte packte nun ohne weiteres den Ruprecht
an den Fuͤßen, der in dem Gedraͤnge vergeblich be¬
muͤht war, ſeine Stiefeln in den Haͤnden des Haͤſchers
zu laſſen und ſich auf die Struͤmpfe zu machen. Un¬
terdeß hatten ſich endlich auch die anderen eiligſt vom
Boden aufgerafft, der Director Sorti, ſchon halb
entkleidet, flog in groͤßter Beſtuͤrzung herzu, der Hof¬
hund dicht an ſeinen Waden hinter ihm drein, Kordel¬
chen lachte, der Wirth ſchimpfte, der Blaſſe deklamirte
fortwaͤhrend von perſoͤnlicher Freiheit und unverletz¬
lichen Menſchenrechten.
Seid ihr nicht rechte Narren! rief da auf einmal
der Polizeidiener dazwiſchen, und warf Bart, Hut
und Rock von ſich — es war der Litteratus Lo¬
thario. Sein Gefaͤhrte aber verwandelte ſich eben
ſo raſch in Herrn Fabitz, den Komikus der Bande.
Ich wußt' es lange — ſagte Ruprecht, der ſich
zuerſt von dem Schreck erholt hatte — indem er ruhig
ſeine Pfeife ausklopfte. Die Uebrigen aber konnten
den Scherz nicht ſo ſchnell verwinden, dem einen hat¬
ten ſie auf das Huͤhnerauge getreten, ein anderer fuhr
wuͤthend mit dem Ellbogen aus dem Aermel und be¬
hauptete, das Loch ſei erſt von jetzt, alle keiften auf
Lothario los, waͤhrend ihnen Fabitz unvermerkt ihr
Bier austrank. Lothario aber hatte unterdeß vom
Reiſewagen ſchnell eine Trommel geholt, ſetzte ſich da¬
mit auf den Tiſch, und begann luſtig zu wirbeln,
bald piano bald creſcendo, nach der jedesmaligen Stim¬
mung des Redenden. Kein Menſch konnte ſein eigenes
Wort verſtehen, die Zaͤnker ſchrien ſich ganz heiſer,
und verloren die Geduld, einige lachten, Lothario
trommelte immerfort, bis alle nach und nach den Platz
geraͤumt, und der Letzte zornig die Hausthuͤr hinter
ſich zugeſchmiſſen hatte. Nur Kordelchen war zuruͤck¬
geblieben. Sie ſetzte ſich trotzig neben Lothario auf
den Tiſch. Und ich bleibe grade noch draußen, ſagte
ſie, mir gefaͤllt die Nacht. Ueberhaupt, fuhr ſie fort,
ich habe dir's ſchon oft geſagt, dieſes ſtolze, herriſche,
hochfahrende Weſen ſollſt du mir endlich einmal ganz
laſſen! — Ich bitte dich, erwiederte Lothario die
Trommel weglegend, du biſt ſonſt geſcheut, und ich
kann dich wohl leiden, aber mit dem Laſſen und An¬
derswerden, Kind, da iſt gar nicht die Rede davon
bei mir! — Kordelchen ſah ihn eine Weile an, dann
brach ſie ploͤtzlich in lautes Lachen aus. Das wollt'
ich nur, ſagte ſie, es ſteht dir gar zu ſchoͤn, wenn
du zornig biſt. Gute Nacht! hiermit gab ſie ihm
einen Kuß, und war ſchnell im Hauſe verſchwunden.
Fortunat aber, der unterdeß an einem entfernteren
Tiſch ſein Abendeſſen verzehrte, war nicht wenig er¬
ſtaunt, als er in Lothario, da er vorhin ſeine Polizei¬
maske abwarf, und in's volle Licht getreten war, auf
einmal den wunderlichen Cicerone wieder erkannt hatte,
der ihn am erſten Morgen in Hohenſtein durch den
Garten begleitet. Er benutzte die ploͤtzliche Stille, um
den alten Bekannten zu begruͤßen, Lothario ſchien uͤber¬
raſcht, und ſah Fortunaten einen Augenblick durchdrin¬
gend an. — Hat mich ſonſt noch jemand dort geſehen?
fragte er endlich, und als Fortunat es verneinte, ſchien
er noch viele Fragen auf dem Herzen zu haben, beſann
ſich aber ſchnell wieder. Ich liebe Hohenſtein, ſagte
er nach einer kurzen Pauſe, vor allen andern Orten
und mache, ſo oft wir in der Naͤhe voruͤberziehen,
einen Abſtecher nach dem Garten. — Doch heut iſt's
ſchon zu ſpaͤt, wir ſprechen wohl noch morgen mehr
davon. — Hiermit ſchuͤttelte er Fortunaten die Hand,
und ging nach dem andern Fluͤgel des Hauſes hin.
Fortunat konnte in ſeiner Kammer lange nicht
einſchlafen. Im Hauſe und unter den Fenſtern war
alles ſtill geworden, nur die Baͤume neigten ſich
rauſchend im Winde, waͤhrend ferne Blitze zuweilen
noch eine ploͤtzliche, geſpenſtiſche Helle uͤber den Garten
warfen. Da war es ihm, als nahten ſich zwei Ge¬
ſtalten von ferne dem Hauſe. Er erkannte Lothario'n,
der mit einem fremden Manne, den er bisher in der
Geſellſchaft nicht bemerkt hatte, in lebhaftem Geſpraͤch
begriffen ſchien. Sie verloren ſich bald wieder zwiſchen
den Baͤumen, nach einem Weilchen kam Lothario
allein zuruͤck, dann wurde alles wieder ſtill.
Siebentes Kapitel .
Noch war keine Spur des Morgens am Himmel,
da lagen mehrere der juͤngeren Schauſpieler, denen es
zu ſchwuͤl im Hauſe geworden war, in ihre Maͤntel
gehuͤllt ſchlafend auf den Stuͤhlen und Baͤnken unter
den Linden umher. Fabitz, der Komikus, welcher ſich
uͤber den langen Tiſch hingeſtreckt hatte, erwachte zu¬
erſt. Er blickte erſchrocken in den Himmel, und da er
an dem Stand der Geſtirne bemerkte, daß es lange
nach Mitternacht war, ſprang er ſogleich auf den
Tiſch hinauf, und fing wie ein Hahn zu kraͤhen an.
Da fuhr eine dunkle Geſtalt nach der andern
froͤhlich in die daͤmmernde Nacht empor, ſchaurend und
ſich ſchuͤttelnd in der kuͤhlen Luft. Lothario aber kam,
ſchon ganz reiſefertig, tiefer aus dem Garten und
pochte luſtig an die Hausthuͤr. Gluͤck auf! rief er,
froͤhliche Botſchaft! heraus da! ich habe Fortunam
beim Schoͤpf! — Nun fuhren ſchlaftrunkene Maͤdchen¬
geſichter neugierig aus den Fenſtern, immer mehr
Stimmen worden nach und nach drinnen wach, Thuͤ¬
ren flogen heftig auf und zu, und bald glich das ganze
Haus einem Bienenſtocke, der ſchwaͤrmen will.
Fortunat, von dem wachſenden Laͤrm aufgeſchreckt,
eilte gleichfalls hinab, und fand ſchon die ganze Ge¬
ſellſchaft in der liebenswuͤrdigſten Laune um Lothario
verſammelt. Dieſer hatte naͤmlich in der Nacht durch
einen Freund die Nachricht erhalten, daß der Fuͤrſt
auf ſeinem, eine Tagereiſe von hier belegenen Jagd¬
ſchloſſe angekommen, wo er jeden Sommer einige Wo¬
chen hindurch ſich den Freuden der Jagd und allerlei
wunderlichen romantiſchen Einfaͤllen zu uͤberlaſſen pflege.
Dem Briefe lag zugleich eine Einladung des Fuͤrſten
an Herrn Sorti bei, mit ſeiner Truppe ſo ſchnell als
moͤglich ſich auf dem Schloſſe einzufinden. — Dieſer
unerwartete Gluͤcksfall verbreitete einen allgemeinen
Jubel. Ein jeder ſchnuͤrte eiligſt ſein Buͤndel, alle
verſprachen ſich goldene Berge von dem reizenden Auf¬
enthalt, die Maͤnner Ruhm und gutes Leben, die
Maͤdchen vornehme Liebſchaften und Geſchenke. For¬
tunat ſelbſt, den ſein Weg ohnedieß an dem fuͤrſtlichen
Schloſſe vorbeifuͤhrte, beſchloß, die Froͤhlichen bis in
die Naͤhe deſſelben zu begleiten.
Die aufgehende Sonne traf die muntere Kara¬
vane ſchon draußen auf den Bergen. Kamilla — ſo
wurde die Dame mit dem Schirm genannt — ſchien
Fortunaten ausweichen zu wollen, und war daher mit
Herrn Sorti auf dem Packwagen vorausgefahren.
Die Andern hatten in dem Staͤdtchen einen Bur¬
ſchen gedungen, der ſie auf den Fußſteigen durch den
ſchoͤnen Wald fuͤhren mußte, alle waren freudig auf¬
geregt, und ſprachen viel von den Feſten auf dem
fuͤrſtlichen Schloſſe, und den ſchoͤnen Tagen, den ſie
entgegenwanderten. Ruprecht ſchritt Tabackrauchend
wieder voraus, und intonirte an den ſchoͤnſten Wald¬
ſtellen zuweilen: „In dieſen heiligen Hallen“, oder eine
andere wuͤrdige Baßarie, waͤhrend Fabitz unermuͤdlich
die mannigfaltigſten Voͤgelſtimmen nachahmte. Lo¬
thario ſchweifte unterdeß, ſeine Flinte auf dem Ruͤcken,
allein auf den Bergen umher, von Zeit zu Zeit hoͤrte
man ihn fern im Walde ſchießen, was jedesmal von
der Geſellſchaft mit einem lauten Hurrah erwiedert
wurde. — Fortunaten aber war wunderlich zu Muthe
in der ungebundenen Freiheit. Er athmete froͤhlich die
kuͤhle Waldluft, ſich oft zuruͤckwendend und des mun¬
teren Zuges erfreuend, wie die heiteren Geſtalten mit
ihren bunten Tuͤchern und phantaſtiſchen Reiſe-Trachten,
bald uͤber ihm auf uͤberhaͤngenden Felſen erſchienen,
bald tief im dunklen Gruͤn wieder verſchwanden.
Als die Sonne ſchon hoch ſtand, ruhte die Truppe
auf einer ſchoͤnen Waldwieſe aus. Da kam ploͤtzlich
auch Lothario aus dem Walde zu ihnen. Wer iſt der
fremde Herr hier in den Bergen? fragte er raſch den
Fuͤhrer, — da iſt ſo ein Kerl im Frack, der ſchluͤpft
ſchon die ganze Zeit uͤber von Strauch zu Strauch,
ſieht ſich manchmal nach euch um, und flieht dann
von neuem vor eurem Singſang und Geſchnatter, wie
ein Haſe auf der Klapperjagd. — Das iſt gewiß der
Doctor, erwiederte der Fuͤhrer lachend, der kam ein¬
mal mitten in einem Platzregen ins Dorf, wie vom
Himmel gehagelt. Die Gegend gefiel ihm, es war
grade ein Haus droben leer, da wohnt er ſeitdem da¬
rin, eine alte Frau aus dem Dorfe beſorgt ihm das
Eſſen. Am Abend aber, wenn die jungen Burſchen
und Maͤdchen vor den Hausthuͤren ſitzen, kommt er
auch herab, und ſie muͤſſen ihm Lieder ſingen und
Maͤhrchen erzaͤhlen, da hat er ſchon manche Maul¬
ſchelle bekommen, wenn er die Maͤdchen heimlich in
die Arme kniff. Aber es iſt ihm nicht zu trauen, fuhr
der Fuͤhrer fort, er hat droben kurioſe Buͤcher, da iſt
kein chriſtlicher Buchſtabe drinn, lauter Circumflexe,
wie wenn eine Spinne uͤber's Blatt gelaufen waͤre,
und ſo oft er aus den Buͤchern murmelt, zieht ſich an
den Bergkoppen ein Wetter zuſammen, dann hoͤrt man
ihn drinnen im Hauſe laut ſprechen und ſchimpfen,
und iſt doch kein Menſch bei ihm.
In demſelben Augenblick erblickten ſie auch den
Zauberer ſelbſt in der Ferne, wie er ſo eben haſtig
den Berg hinanklomm, daß die Steine hinter ihm
herabkollerten. — Den muß ich doch ſprechen! rief
Lothario, dem Fliehenden ſogleich raſch nachſetzend.
Fortunat und noch einige andere von der Geſellſchaft
ſchloſſen ſich neugierig an.
So verfolgten ſie raſch die Spur des Fremden,
der unterdeß ſchon den Gipfel des naͤchſten Huͤgels er¬
reicht hatte; nur ſeine Rockſchoͤße ſahen ſie noch manch¬
mal zwiſchen den Gebuͤſchen fliegen, bis ſie ihn zuletzt
ganz aus den Augen verloren. Nach muͤhſamem Um¬
herirren gelangten ſie endlich an ein halbverfallenes,
rings von hohem Unkraut umgebenes Haus, deſſen
Thuͤren und Fenſter feſtverſchloſſen waren. — Da iſt
er gewiß hineingeſchluͤpft, ſagte Lothario und klopfte
an die alte Thuͤr. Es erfolgte keine Antwort, aber
im Innern des Hauſes hoͤrten ſie ein gewaltiges Ge¬
polter, als wuͤrden Tiſch und Baͤnke haſtig an die
Thuͤre geſchoben. Lothario pochte von neuem, ſtaͤrker
und immer ſtaͤrker. Da flog ploͤtzlich oben eine Dach¬
luke auf, und mit zornblitzenden Augen erſchien in der
Oeffnung ein kleiner lebhafter Mann, in dem Fortu¬
nat zu ſeinem Erſtaunen ſogleich den naͤchtlichen, ſelt¬
ſamen Geiger aus dem Weinkeller in Walters Staͤdt¬
chen wieder erkannte. — Doctor! — Dryander! rie¬
fen die Schauſpieler uͤberraſcht aus.
Was wollt ihr? fuhr ſie der Muſicus von oben
ſehr heftig an. Denkt ihr, ich werde aus den friſchen
Bergluͤften zu eurem dicken Lampendunſt hinabkommen
und das Volk laſſen um das Publikum, und das Rau¬
ſchen der Waͤlder um eure Triller und Sentenzen?
Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht
uͤber eure eigne Miſere weinen koͤnnt! — Hier ſah er
erſt ſeine Zuhoͤrer einen nach dem andern genauer an.
Entſetzlich, ſagte er nach einer kurzen Pauſe zu Rup¬
recht, du ſchauſt wie ein brennender Buſch aus —
Und du, idealer, blaßverwaſchener Muſen-Braͤutigam,
redeſt du jede Magd noch Jungfrau an, und forderſt
den Stiefelknecht in Jamben? — Aber dich, Barbar,
der in Blut watet, und von den Thraͤnen des Publi¬
kums lebt, dich erkannt' ich gleich an der rothen, tyran¬
niſchen Stirne wieder! — Jetzt wurde er ploͤtzlich auch
Lothario'n gewahr, er ſtutzte, und wie ein Morgen¬
leuchten uͤberflog es ſein ganzes Geſicht, dann warf er
ſchnell das Dachfenſter zu. — Lothario aber hatte
unterdeß ſchon die morſche Thuͤr eingerannt, und uͤber
die umgeworfenen Stuͤhle, womit ſie verrammelt war,
das Zimmer erreicht.
Als die Uebrigen eintraten, fanden ſie Beide in
einem leiſen, heftigen Geſpraͤch, das Laub vor dem
Hauſe verbreitete eine wunderbare gruͤne Daͤmmerung
uͤber die kleine Stube, durch's offene Fenſter hoͤrte man
den mehrſtimmigen Geſang der zuruͤckgebliebenen Schau¬
ſpieler von unten heraufſchallen:
Wir wandern wohl heut noch weit.
Wie das Waldhorn ſchallt!
O gruͤner Wald,
O luſtige, luſtige Sommerzeit!
Dryander war auf einmal wie verwandelt. Das
iſt noch das alte Lied, ſagte er, und ſchob ein Paar
Buͤcher in ſeine Rocktaſche, das hab' ich euch damals
komponirt, um eure Affecte von den Wirthshaͤuſern
auf die ſchoͤne, erhabene Natur zu lenken. Seid ihr
noch immer ſo durſtig? Und lebt Kordelchen noch, den
Kennern zur Freude und den Frauen zum Trotz? —
O luſtige, luſtige Sommerzeit!
klang es wieder herauf. Da hatte der Doctor haſtig
wieder ein Paar Buͤcher eingeſteckt, nahm die Geige
unter den Arm, und ſetzte ſeinen Hut auf. Lothario
ſtopfte ihm ſchnell noch ein Buͤndel Waͤſche nach, die
Andern draͤngten ihn ſchon zur Thuͤr hinaus, und ſo
ſtiegen ſie eilig mit dem Doctor die Hoͤhe hinab.
Unten auf der Waldwieſe fanden ſie alles ſo eben
ſchon im Begriff, wieder aufzubrechen. Ein allgemeiner
Jubel begruͤßte die Ankommenden, und alle umringten
den wiedergefundenen Doctor, der fruͤher einmal als Mu¬
ſikdirector die Geſellſchaft eine Zeitlang begleitet hatte.
Dieſer embraſſirte die alten Kameraden nach der Reihe
durch, kuͤßte dann der Dame Kamilla, die eben nicht
ſehr erfreut ſchien ihn wiederzuſehen, zierlich die Hand,
und half ihr, da Herr Sorti aͤngſtlich zur Fortſetzung
6
der Reiſe trieb, mit ausnehmendem Anſtande auf den
Ruͤſtwagen.
Unter dieſem Bewillkommnungs-Getuͤmmel be¬
wegte ſich endlich der Zug langſam weiter. Dryander
aber mit ſeinen dickangeſchwollenen Rocktaſchen ſetzte
ſich an die Spitze deſſelben, ergriff ſeine Geige, und
ſpielte und ſang, daß es weit durch den Wald er¬
ſchallte:
Mich brennt's an meinen Reiſeſchuh'n,
Fort mit der Zeit zu ſchreiten —
Was wollen wir agiren nun
Vor ſo viel klugen Leuten?
Es hebt das Dach ſich von dem Haus
Und die Kouliſſen ruͤhren
Und ſtrecken ſich zum Himmel raus,
Strom, Waͤlder muſiciren!
Und aus den Wolken langt es ſacht,
Stellt alles durcheinander,
Wie ſich's kein Autor hat gedacht:
Volk, Fuͤrſten und Dryander.
Da gehn die einen muͤde fort,
Die andern nah'n behende,
Das alte Stuͤck, man ſpielt's ſo fort
Und kriegt es nie zu Ende.
Und keiner kennt den letzten Akt
Von allen, die da ſpielen,
Nur der da droben ſchlaͤgt den Takt,
Weiß, wo das hin will zielen.
Die Sonne ſtand ſchon tief, und warf ihre letzten
Strahlen zwiſchen den Baumſtaͤmmen ſchimmernd uͤber
die Wanderer, als dieſe durch die zierlichen Jaͤgerhaͤu¬
ſer und die im Walde ſich kreuzenden Alleen daran
erinnert wurden, daß ſie dem Ziel ihrer Reiſe nicht
mehr fern ſeyn konnten. Von weitem vernahm man
nun auch Waldhorn-Signale, einzelne Schuͤſſe und
Rufen dazwiſchen, wie das letzte Verhallen einer
großen, weitverbreiteten Jagd. Die Geſellſchaft wurde
nun nach und nach ſtiller, jeder ruͤckte ſorgſam ſeine
Kleidung zurecht und blickte erwartungsvoll vor ſich in
die Ferne hinaus. Fortunat aber fuͤhlte ſich unbehag¬
lich uͤberraſcht, da nun das bisherige froͤhliche Reiſe¬
leben ploͤtzlich zum foͤrmlichen Metier werden ſollte.
Jetzt ſenkte ſich der Weg allmaͤlig in's Thal
hinab, da ſahen ſie eine luftige Saͤulenhalle, rothe
Ziegeldaͤcher und ſtille Waſſerſpiegel wechſelnd aus
der Tiefe aufblicken, immer geheimnißvoller, je weiter
ſie kamen, ſchimmerte es bald da, bald dort zwiſchen
dem Gruͤn herauf, durch die Wipfel aber leuchtete
ein Gewitter, das ſie im Walde nicht bemerkt hatten.
Auf einmal ſchrieen die Frauenzimmer kreiſchend auf,
denn grade uͤber ihnen, wie aus den Luͤften, ließen
ſich ploͤtzlich fremde Stimmen vernehmen und auf der,
in viele Kluͤfte zerſpaltenen, faſt unzugaͤnglichen Fel¬
ſenwand erblickte man zwei Schuͤtzen, die ſich offenbar
dort zwiſchen den Steinen verſtiegen hatten. Der
eine, ein kleiner, dicker runder Mann, der immer da,
wo man ihn am wenigſten vermuthete, wie ein Kuͤrbis
6*
vom Felſen hing, trat beſtaͤndig zu kurz, waͤhrend ſein
uͤberlanger hagerer Begleiter jederzeit uͤber ſein Ziel
hinausſchritt. Dieſer gab ſich, zum Aerger des an¬
dern, das Anſehn ihm beizuſtehn, obgleich er ſelbſt
jeden Augenblick das Gleichgewicht verlor und ſo den
Dicken erſt recht mit in's Ungluͤck brachte. Endlich
konnten beide weder vor, noch zuruͤck mehr, und be¬
gannen aus Leibeskraͤften um Huͤlfe zu ſchreien. Da
erſchallte vom hoͤchſten Gipfel ein muthwilliges Lachen.
Die Abendſonne warf unter der ſchwarzen Gewitter¬
wolke einen dunkelrothen Glanz uͤber die ganze Ge¬
gend, und in der ſcharfen Beleuchtung erſchien droben
ploͤtzlich eine ſchoͤne, hohe Maͤdchengeſtalt zu Pferde,
ein gruͤnſammtenes Jagdkleid umſchloß die ſchlanken
Glieder, lange weiße Federn wogten vom Barett uͤber
ihre Schultern hinab. Waͤhrend ihr Pferd ungeduldig
den Boden ſcharrte, betrachtete ſie mit großen dunklen
Augen die Erſtaunten, die unwillkuͤhrlich die Unbe¬
kannte ehrfurchtsvoll begruͤßten. Sie nickte mit dem
ſchwarzgelockten Koͤpfchen kaum einen fluͤchtigen Dank,
wandte ſich dann raſch und war bald in den Abend¬
gluten wieder verſchwunden.
Herrlich! riefen mehrere von der Geſellſchaft
aus. — Bei Gott, ſagte Lothario die Reiterin mit
durchdringenden Blicken verfolgend, die haben gewiß
heut wieder einmal ihren romantiſchen Tag! — Unter¬
deß waren die Andern ſchon mit langen Stangen,
Stricken und Leitern herbeigeeilt, und es gelang ihnen
endlich, unter groͤßerem Laͤrm, als eben noͤthig war,
die beiden verirrten Schuͤtzen gluͤcklich auf die Ebene
zu bringen. Dieſe waren indeß uͤbel zugerichtet, der
eine hatte den Hut, der andere den Rockſchoß droben
gelaſſen, am abenteuerlichſten ſah der Lange aus mit
knappen, grauen Kamaſchen und modernem Jagdkleid,
halb Ueberrock halb Frack, faſt lauter Taſche. Kaum
aber ſahen ſie ſich unten in Sicherheit, als ſie, Ge¬
fahr und Dank vergeſſend, ſogleich mit ſpitzigen Wor¬
ten aufeinander losgingen. Jeder ſchob dem andern die
Schuld zu, es ſchien, als habe die ſchoͤne Jaͤgerin, der
ſie in verliebter Galanterie nachgeſetzt, ſie abſichtlich
in dieſes Klippen-Labyrinth verlockt. — So ſchritten
beide, ohne ſich um die Schauſpieler weiter zu bekuͤm¬
mern, eilend dem Schloſſe zu, und man hoͤrte ſie noch
weit durch die Daͤmmerung zanken.
Jetzt aber fegte der Sturm alles zuſammen, von
allen Seiten ſah man einzelne Jaͤger an den einſa¬
men Waldesabhaͤngen herniederſteigen. Da begann
es auch im Schloſſe ſich wunderſam zu ruͤhren, Thuͤ¬
ren wurden geoͤffnet und geſchloſſen, Bediente in bun¬
ten reichen Livereyen liefen die Marmortreppen auf
und ab, die hellerleuchteten Fenſter, hinter denen ſich
in praͤchtigen Gemaͤchern einzelne Frauengeſtalten be¬
wegten, warfen einen magiſchen Schein weit uͤber den
dunkeln Garten. Dann wurde auf einmal alles ſtill
in der ganzen weiten Runde, die Nacht und das Ge¬
witter zog immer tiefer herein, Fortunat, der keine
Luſt hatte, wieder naß zu werden, war bereits allein
nach der Dorfſchenke geritten, die Schauſpieler ſchimpf¬
ten, ſie hatten zu ihrem Empfange ſich Triumphbogen
getraͤumt, einholende Kammerjunker und den Fuͤrſten
von hohem Balkone ihnen entgegenwinkend. — End¬
lich ſahen ſie vom Schloſſe her ſich Fackeln durch den
Waldgrund bewegen, und erkannten bei den wirren
Scheinen mit klopfenden Herzen die bunten Livereyen
der fuͤrſtlichen Bedienten. Heda ihr Herren Komoͤ¬
dianten! rief der eine, wo Teufel ſteckt ihr denn? —
Nun Gott behuͤt' uns! — ſagte ein anderer im Kreiſe
umherleuchtend — das haͤngt ja wie Mehlthau an
allen Straͤuchern, als haͤtt' es Plunder geregnet! —
Kamilla, hoͤchſt entruͤſtet, rauſchte mit ihrem vornehm¬
ſten Anſtande daher, und ließ Einiges von impertinen¬
ten Domeſtiken fallen. Da war aber nicht lange Zeit
zum Aergern und Haͤndelmachen. Denn der Gewit¬
terwind wuͤhlte ſchon in den Flammen der Fackeln und
in den Tuͤchern der Damen, die Bedienten trieben zur
Eile, Maͤntel und Regenſchirme flogen verworren
durcheinander, und ſo waͤlzte ſich alles in unordentlicher
Flucht dem Schloſſe zu.
Nur Lothario war zuruͤckgeblieben, denn die ſchoͤne
Jaͤgerin mußte noch in den Bergen ſein. Und er irrte
ſich nicht. Zwiſchen den Blitzen von Fels zu Fels,
daß ihm ſchwindelte, lenkte ſie mit kuͤhner Gewandtheit
ihr Pferd langſam den ſchmalen Steg hinab. Von
dem letzten Abhange endlich wagte es einen verzweifel¬
ten Sprung, und ſtuͤrzte unten ſammt der Reiterin
auf dem Raſen zuſammen. In demſelben Augenblick
riß ſie es gewaltſam wieder empor, beide hatten keinen
Schaden genommen, nur der Zaum war entzwei. Da
ſprang Lothario raſch hinzu, ein langer Blitz beleuch¬
tete ploͤtzlich die ganze ſchoͤne Geſtalt. Wie das blen¬
det! rief er, waͤhrend er, auf den Nacken des Pfer¬
des gelehnt, ihr laͤchelnd unter dem Barett in die Au¬
gen blickte. — Sie ſah ihn groß an — da, die Kinn¬
kette noch, erwiederte ſie kurz und ſtolz, dann, als er
den Zaum in Ordnung gebracht, druͤckte ſie raſch die
Sporen ein, und zwiſchen den rothen Scheinen der
Windlichter ſah er ihren weißen Federſchmuck, wie
einen Schwan, durch die finſtere Nacht dahinziehn.
Achtes Kapitel.
Als Fortunat erwachte, blickte er erſtaunt in
einem hohen vom Morgenroth ſchimmernden Gemache
umher. Nach und nach erſt beſann er ſich auf allese
wie er geſtern noch vor Ausbruch des Gwitters aus:
der Dorfſchenke in das fuͤrſtliche Schloß geladen wor¬
den, wie wunderbar da beim Wiederſchein Blitze
das Schloß in der Nacht ausſah, das Getuͤmmel
dann im Hofe, und wie darauf ein Bedienter ihn
mitten aus dem Gewirre in dieſes Gemach gewieſen.
Hier hatte er durch das Fenſter bemerkt, daß die uͤbri¬
gen Schauſpieler nochmals weiterziehen mußten, und
beim truͤben Schein einiger Windlichter einen dunklen
Baumgang hinabgefuͤhrt wurden, bis zuletzt die Lich¬
ter, das Rumpeln des Reiſewagens und die wohlbe¬
kannten Stimmen ſich in dem Plaͤtſchern des Regens
verloren, der nun ploͤtzlich in Stroͤmen herabſtuͤrzte.
Jetzt aber regte ſich noch kein Laut, nur draußen
blickten einzelne Fluͤſſe und Landſchaften mit funkelnden
Kirchthuͤrmen ſchon geheimnißvoll zwiſchen den hohen
Baͤumen herauf. Da kleidete Fortunat ſich ſchnell
an, und eilte durch das ſtille Haus die breiten, daͤm¬
mernden Marmortreppen hinab. Unter einer luftigen
Saͤulenhalle, die von beiden Seiten mit hohen, aus¬
laͤndiſchen Blumen beſetzt war, trat er in den praͤch¬
tigen Garten. Hier war nach dem erfriſchenden Re¬
gen der Morgen wie ein bunter Teppich ausgebreitet,
auf dem das Schloß gleich einer ſchlummernden
Sphinx noch raͤthſelhaft ruhte. — Er wollte eben
tiefer in das Gruͤn hineingehen, als er uͤberraſcht in
einiger Entfernung folgendes Lied ſingen hoͤrte:
Aus Wolken, eh' im naͤcht'gen Land
Erwacht die Kreaturen,
Langt Gottes Hand,
Zieht durch die ſtillen Fluren
Gewaltig die Konturen,
Strom, Wald und Felſenwand.
Wach' auf, wach' auf! die Lerche ruft,
Aurora taucht die Strahlen
Vertraͤumt in Duft,
Beginnt auf Berg und Thalen,
Ringsum ein himmliſch Malen
In Meer und Land und Luft.
Und durch die Stille, Lichtgeſchmuͤckt,
Aus wunderbaren Locken
Ein Engel blickt. —
Da rauſcht der Wald erſchrocken,
Da gehn die Morgenglocken,
Die Gipfel ſtehn verzuͤckt.
O lichte Augen, ernſt und mild,
Ich kann nicht von euch laſſen!
Bald wieder wild
Stuͤrmt's her von Sorg' und Haſſen —
Durch die verworrnen Gaſſen
Fuͤhr mich, mein goͤttlich Bild!
Fortunat folgte dem Geſange, der von einem ent¬
fernten Fluͤgel des Schloſſes herzukommen ſchien. Die
hohe Thuͤr war nur angelehnt, er trat hinein, und be¬
fand ſich in einer ſchoͤnen, großen Kapelle, die durch
eine Kuppel erleuchtet wurde. Auf einem Geruͤſte ſtand
dort ein Maler, welcher in dieſer ſtillen, kuͤhlen Ein¬
ſamkeit, zwiſchen den von oben einfallenden Morgen¬
lichtern und den halbvollendeten betenden Geſtalten
mit ihren reichen, leuchtenden Gewaͤndern, wie in dem
Kelch einer wunderbaren Blume ſchwebte. Er hoͤrte
auf zu ſingen, als er unten den Fremden gewahrte,
und wandte ſchnell ein munteres Geſicht zwiſchen um¬
wallenden braunen Locken aus ſeinem Himmel hinab. —
Gluͤck auf! rief ihm Fortunat, uͤberraſcht von der gan¬
zen, unerwarteten Erſcheinung, froͤhlich zu, das iſt
eine herrliche Werkſtatt! — Der Maler nickte laͤchelnd
und fuhr in ſeiner Arbeit fort, kehrte ſich dann aber,
ploͤtzlich abbrechend, wieder zu Fortunat: Sind Sie
nicht geſtern Abend mit den Schauſpielern gekommen?
— Ja, und zugleich von ihnen abgekommen, ich weiß
nicht wie, erwiederte Fortunat. — O die ſind gar
nicht weit, ſagte der Maler. Und eigentlich iſt auch
heut Aurora zu ſchoͤn, um ihr hier in's Geſicht zu
kleckſen, ich will Sie lieber gleich zu Ihren Kamera¬
den fuͤhren. — Bei dieſen Worten hatte er raſch Pin¬
ſel und Palette weggelegt, und kam die Leiter herab.
Es war ein kecker, vollwangiger Juͤngling mit bloßem
Hals und knappem, ſehr zierlichen deutſchen Rock. Er
verſchloß die Thuͤr, da ſie hinaustraten, und fuͤhrte
Fortunaten eilig durch den Baumgang, in welchem
geſtern Nacht die Schauſpielergeſellſchaft verſchwunden
war. Das muß ein gluͤckliches Leben ſein, ſagte er,
wie oft hab' ich mir ſchon gewuͤnſcht, ſo mit froͤhlichen
Geſellen in's Blaue hineinzuziehen! Wir Maler ſind
uͤberall an Ort und irdiſches Material gebunden. Da
ſind die andern Kuͤnſtler beſſer dran, zumal der Dich¬
ter. Die ganze ſchoͤne Welt iſt ſein Revier, und wo
er ſingt, iſt der Himmel. — Aber da ſind wir ſchon!
unterbrach er ſich hier. Sehn Sie dort. Es iſt
eigentlich ein altes Gartenpalais, das lange wuͤſt und
verlaſſen ſtand. Ich wohne auch drin, ſeit ich hier
male, nun hat der Fuͤrſt auch die Geſellſchaft mit
hineinquartirt. Hoͤren Sie doch, was fuͤr ein Rumor
darin! Das iſt ja wahrhaftig wie eine Menagerie,
wo unzaͤhlige Lori's und Papageien durch einander
kreiſchen und manchmal eine alte Hyaͤne dazwiſchen
gaͤhnt.
Fortunat erblickte nun am Ende des Baumgan¬
ges einen weiten gruͤnen Platz, wo mehrere Figuren
von Buxbaum, halbzertruͤmmerte Statuͤen und ver¬
trocknete Waſſerkuͤnſte einen ehemaligen franzoͤſiſchen
Garten andeuteten, der jetzt nur noch durch einzelne
Kaiſerkronen und dunkelgluͤhende Paͤonien ſeltſam an die
alte Herrlichkeit erinnerte. Im Hintergrunde ſtand
ein alter, ſchwerfaͤlliger, von der Zeit gebraͤunter Pa¬
laſt, deſſen vornehme Geſimſe mit Verachtung auf die
aus den Fenſtern flatternde Waͤſche und auf Kamilla's
Regenſchirm herabzublicken ſchienen, den ſie vor ihrem
Schlafzimmer als Markiſe ausgeſpannt hatte.
Fortunat trat mit dem Maler hinein, und be¬
gruͤßte ſeine luſtigen Reiſegefaͤhrten, die vor Freuden
auch nicht mehr ſchlafen konnten und ſich hier nach
jahrelangem dunklen Umhertreiben in den Dachſtuͤbchen
kleiner Staͤdte, ſehr behaglich und laut in dem unge¬
wohnten Glanze ſonnten. Ein großer Saal mit
Stuckverzierungen, verblichenen Tapeten und einem
altvaͤteriſchen Billard in der Mitte, diente ihnen zum
Verſammlungsplatz, und wenn gleich die Bourſen des
Billards zum Theil vom Zahn der Zeit ſchon abge¬
nagt waren, ſo hatten die erfindſamen Geiſter doch ſo¬
gleich ihre eigenen, ohnedieß ziemlich uͤberfluͤſſigen Geld¬
beutel daran geheftet, und ſchnitten ihre Karoline mit
mehr Behagen als Geſchicklichkeit. Nur Kordelchen
erwies ſich als Meiſterin, wobei ſie, in gewandten
Stellungen uͤber der gruͤnen Tafel ſchwebend, ihr zier¬
liches Figuͤrchen zu zeigen willkommene Gelegenheit
hatte.
Der enthuſiaſtiſche Maler begann ſogleich eine
Partie mit ihr, und Fortunat wollte eben Lothario'n
aufſuchen, den er in der Geſellſchaft vermißte, als der,
ſonſt friedfertige Komiker Fabitz ploͤtzlich mit einem
ſeltſamen jungen Manne, mit welchem er draußen in
Zank gerathen, in den Saal hereinſtuͤrzte. Der junge
Menſch trug die altdeutſche Tracht, deren verſchoſſenes
Schwarz aber ſchon bedeutend in's Graͤuliche ſpielte;
lange, grobe Haare hingen ihm von beiden Seiten bis
uͤber die Schultern herab, und gaben dem langen,
eckigten Geſicht ein gewiſſes antiquitaͤtiſches Anſehen.
Es ergab ſich, daß es gleichfalls ein Maler, Namens
Albert war, der auf ſeiner Ruͤckreiſe von Rom hier
ſeit einiger Zeit Beſchaͤftigung und guͤnſtige Aufnahme
gefunden. Dieſer hatte nun kaum in Erfahrung ge¬
bracht, daß bei der eben angekommenen Geſellſchaft
ein Herr Fabitz den Kasperl zu ſpielen pflege, als er
ſogleich mit wahrem Miſſionarien-Eifer auf den Un¬
gluͤcklichen losging, und ihm uͤber das Unwuͤrdige,
Verkehrte und daher Unhaltbare ſeines Kunſtgewerbes
die gemeſſenſten Vorſtellungen machte. Er ſprach viel
vom ernſten Norden, wo die edlen Eichen hoͤherer Bil¬
dung ſolch niederes Unkraut gar nicht aufkommen lie¬
ßen, ja eine norddeutſche Zunge, wie die ſeinige, ent¬
ſetzte ſich ſchon vor dem barbariſchen Laute: Kaſperl!
Fabitz dagegen meinte, er kenne zwar von den nordi¬
ſchen Zungen bloß die geraͤucherten, die langen, nord¬
deutſchen Kaspar's aber ſeien wahrſcheinlich nur zu
langweilig, um auf das Theater gebracht zu werden.
— Zuletzt aber, da ihm die ganze Erſcheinung des
Norddeutſchen etwas Neues war, uͤberwaͤltigte ihn
ſein Naturell. Unwillkuͤrlich nahm er nach und nach,
Zorn und Streitpunkt vergeſſend, die wunderliche Hal¬
tung, Geſicht und Stimme ſeines Gegners, der in
ſeinem fanatiſchen Eifer nichts davon merkte, ſelber
an, und focht ſo verzweifelt in aufgeſchnappten hoch¬
trabenden Sentenzen, daß ſein Gegner ganz confus
wurde. — Kordelchen hatte ſchon lange vom Billard
zugehorcht. Allerliebſter Narr, rief ſie nun, hinzu¬
ſpringend aus, und gab ihm einen herzhaften Kuß.
Pfui! wenn er nur nicht ſo haͤßlich waͤre! ſagte ſie
dann, ſich den Mund ſchnell abwiſchend.
Waͤhrenddeß hatte ſich, ohne von dem Streit No¬
tiz zu nehmen, ein kurzer, runder Mann zu Fortuna¬
ten geſellt, der ſich ihm als den fuͤrſtlichen Schulrath
vorſtellte, und in welchem er ſogleich den dicken Schuͤz¬
zen wieder erkannte, dem ſie geſtern vom Felſen ge¬
holfen. Fortunat wußte gar nicht, wie ihm geſchah,
da der Kleine auf einmal ſehr gelehrt von Poeſie,
Kunſt und Religion zu ſprechen anfing, und ſich end¬
lich angelegentlichſt erbot, ihn in den wenigen Augen¬
blicken der Muße, die ihm blieben, mit den mancher¬
lei Merkwuͤrdigkeiten des Orts bekannt zu machen.
Kaum hatte der kaͤmpfende Maler Albert den Schul¬
rath erblickt, als er vornehm den Streit abbrach und
ſich zu ihnen wandte. — Vortrefflich, ſagte der Schul¬
rath, ſich an Fortunats Arm haͤngend, ſo geleite ich
Sie gleich zu einem Goͤtter-Fruͤhſtuͤck, womit ich mich
jeden Morgen fuͤr meine Berufsgeſchaͤfte zu ſtaͤrken
pflege. — So ſchritten ſie eilig durch einen langen
Korridor zu einer ſchweren eichenen Thuͤr, die Albert
mit einer gewiſſen Feierlichkeit oͤffnete. Es war ſein
Attelier, ein hohes, ritterliches Gemach, an deſſen
ſchmuckloſer Hauptwand ein großes, mit der Jahres¬
zahl 1813 bezeichnetes Schwerdt hing, um das ſich
ein verwelkter Eichenkranz wand. Das iſt mein treuer
Reiſegefaͤhrte, ſagte Albert zu Fortunat, und wenn
mich ſchlaffe Ruh oder weichliche Luſt uͤberſchleichen
wollen, blick ich die Eiſenbraut an, und gedenke der
ernſten, großen Zeit. — Ach, das iſt ſchon eine alte
Geſchichte! entgegnete Fortunat lachend. — Sind Sie
damals mit zu Felde geweſen? fragte der Maleret was
ſpitzig. — Freilich, erwiederte jener, das verſteht ſich
ja aber ganz von ſelbſt.
Inzwiſchen befand ſich der Schulrath ſchon mit¬
ten unter Alberts Arbeiten, die in dem Gemach um¬
herſtanden und von dem erſtaunenswerthen Fleiße des
Malers zeugten. Da waren die ungeheuerſten Anſtal¬
ten zur Kunſt: Gliederpuppen, ſorgfaͤltig gefaltete
Maͤntel, Modelle und Buͤſten, dazwiſchen mehrere
vollendete Bilder, Hiſtorienſtuͤcke aus der antiken He¬
roenzeit, von ſehr zuſammengeſetzter, ſtudirter und
nicht leicht faßlicher Compoſition. Goͤttlich! rief der
Schulrath einmal uͤber das andere aus, waͤhrend er
mit Kennermiene beſchaͤftigt war, jedes Bild genau in
das rechte Licht zu ſtellen. Sehen Sie den aͤtheri¬
ſchen Hauch des Incarnats, die Perſpektive, dieſen
klaſſiſchen Ausdruck! — In der That, ein philoſophi¬
ſcher Pinſel, erwiderte Fortunat. Denn dieſe anma߬
lichen, affektirten Heldengeſtalten voll Maͤnnerſtolz und
Maͤnnerwuͤrde wollten ihm nicht im mindeſten behagen,
und die Jungfrauen mit ihrer langgeſtreckten anmuth¬
loſen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Be¬
griffe der Jungferſchaft vor.
Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt los¬
reißen, ſagte endlich der Schulrath, ſeinen Hut ergrei¬
fend, ernſtere Geſchaͤfte rufen mich. — Ein Genie!
fluͤſterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortu¬
naten zu. — Ein tiefer, umfaſſender Geiſt! ſagte Al¬
bert, als der Schulrath verſchwand.
Fortunaten aber hatte unterdeß eines von den
kleineren Bildern angezogen. Man ſah' Rom in der
Ferne mit ſeinen phantaſtiſchen Truͤmmern und Palaͤ¬
ſten in der vollen Gluth des ſuͤdlichen Abendhimmels.
Im Vorgrunde, von Rom fort, ſchritt einſam durch
das ſchon dunkelnde oͤde Feld ein einzelner Mann mit
antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernſter
Miene, an der Fortunat ſogleich den Maler ſelbſt
erkannt haͤtte, wenn er auch nicht zum Ueberfluß noch
mit dem obengedachten Schwerdte vom Jahre 1813
umguͤrtet geweſen waͤre. — Aber warum in aller Welt
kehren Sie dieſer leuchtenden Wunderpracht hier ſo
eilfertig den Ruͤcken? fragte er erſtaunt. — Dieſes Bild,
erwiederte Albert, mit ſeinem allerlaͤngſten Geſicht,
bezeichnet eigentlich die dunkle Fuͤhrung uͤberhaupt, die
in meinem Leben waltet. Rom iſt herrlich, und ich
nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber
das leichtſinnige Geſchlecht und das Klingeln der Bon¬
zen uͤber den Graͤbern verſunkener Groͤße ſtoͤrte und
empoͤrte mich. Ich konnte mich den Anmuthungen des
Aberglaubens, auch nur zum Scheine, nicht gefaͤllig
erweiſen, und hatte beſtaͤndig Verdruß. Dazu kam,
daß das Geſchick meines deutſchen Vaterlandes, wo
eine neue große Zeit ſich ausgebaͤhrt, heimlich an mei¬
nem Herzen fraß, ich hatte nirgends Ruhe. Meine
Kameraden gefielen ſich dort bald hoͤchlichſt — ich aber
ermannte mich zur rechten Zeit und fluͤchtete vor den
gleißenden Schlingen doppelter Knechtſchaft nach dem
ernſten, heimathlichen Norden. —
Norden?! — rief Fortunat erſchrocken uͤber dieſes
ploͤtzlich wiederkehrende Lieblingsthema des Malers aus,
und griff haſtig nach ſeinem Hute. Albert, welcher
dieß fuͤr eine Aufwallung uͤbereinſtimmender Empfin¬
dung halten mochte, druͤckte ihm ſtumm die Hand,
aber mit ſo ſeltſamer Kreuzung der Finger, daß es
Fortunat ſogleich fuͤr das heimliche Zeichen irgend eines
ihm fremden Bundes erkannte. Fortunat beſann ſich
nicht lange, ſondern erwiederte den Druck, zu Alberts
Verwunderung, mit noch abenteuerlicheren Handgriffen
und ſtuͤrzte dann in's Freie hinaus.
Verdammte Wirthſchaft! rief er draußen, durch
den Baumgang eilend, uͤberall vertreten einem ſolche
lange Geſichter das Morgenlicht! Laſſen ſich da von
irgend einem kritiſchen Kleinmeiſter eine angeraͤucherte
Brille aufheften, womit ſie dann in alle Welt gehen,
die Voͤlker zu richten. So zieht das Geſchmeiß, wie
7
die Wander-Raupen durch den Glanz der Laͤnder in
ſtillem Wahnwitz fort, wenn es ſonſt Wahnſinn iſt,
die Dinge anders anzuſehen, als ſie wirklich ſind! —
Zuletzt mußte er ſelbſt laut auflachen uͤber den wun¬
derlichen Zorn, in den ihn das Larven-Kunſtkabinet
des Malers verſetzt hatte. Die Morgenſonne ſpielte
golden durch die Wipfel der Baͤume und unzaͤhlige
Voͤgel ſangen. Er blickte froͤhlich umher und fand,
daß die Welt, trotz allen Narren, ſo ſchoͤn und luſtig
blieb, wie ſie war.
Neuntes Kapitel.
Es war ſchoͤn anzuſehen, wie auf der luftigen
Rampe des Schloſſes, die gleich einer Blumenzinne
weit uͤber die Waͤlder hinausragte, ſchlanke Frauen¬
geſtalten und bunte Uniformen zwiſchen den dunklen
Orangenbaͤumen hervorſchimmerten. Oben ſaßen die
Fuͤrſtin, Herren und Damen in der heiteren Morgen¬
kuͤhle auf buntgeſtickten Feldſtuͤhlen umher, die Aben¬
teuer der geſtrigen Jagd beſprechend. Mehrere Baͤnde
von Shakeſpeare mit funkelndem Goldſchnitt lagen auf
einem zierlichen Tiſchchen, Notenhefte und eine Gui¬
tarre daneben; der Morgenwind blaͤtterte luſtig darin,
und ging durch die Saiten, daß es von Zeit zu Zeit
zwiſchen dem Plaudern und Lachen einen froͤhlichen
Klang gab. — Weiter zuruͤck aber ſtanden die zur
Muſterung heraufbeſchiedenen Schauſpieler in ihren
beſten Feierkleidern, ganz verwirrt unter den Fuͤrſten
und Grafen, die ſie doch ſo oft auf ihren Brettern
geſpielt hatten. Vergebens ſuchten ſie unter den frem¬
den Geſichtern den geraden Kriegshelden, den ſchlauen
Beichtvater, den falſchen Miniſter, Herr Sorti vergaß
daruͤber ganz ſeine wohlerſonnene, altmodiſche Anrede,
ſie fanden alles anders, als ſie ſich's unten eingebildet
hatten. Mit ehrerbietiger Neugier blickten ſie zuwei¬
len ſeitwaͤrts durch die offene Thuͤr in die praͤchtigen
Gemaͤcher hinein, aus denen der glatte Fußboden, hohe
Spiegel und Statuͤen zwiſchen bronzenen Kandelabern
geheimnißvoll glaͤnzten. Manches junge Herz aber
wuͤnſchte ſich hundert Meilen von hier, denn unter der
Terraſſe pfiffen die Voͤgel luſtig in der alten Freiheit
und zwiſchen den Wipfeln blickte die Landſchaft ſo hei¬
ter herauf, als rief es: kommt nur wieder hinunter,
da draußen iſt's doch viel ſchoͤner!
Der Fuͤrſt, ein junger, ſchoͤner Mann in beque¬
mer Jagdkleidung, war unterdeß zu ihnen getreten,
und entſchuldigte ſeine geſtrige Vergeßlichkeit ſo leicht
und vornehm, daß ſie ihm fuͤr ihren ſchlechten Em¬
pfang noch danken mußten. Er belobte Herrn Sorti
uͤber die Eile, mit der er ſeiner Einladung gefolgt,
7*
und wußte in aller Geſchwindigkeit durch Andeutungen
ſeltener Beleſenheit und Sachkenntniß allen zu impo¬
niren. Dazwiſchen blickte er manchmal verſtohlen nach
Kordelchen, die das auch ſogleich bemerkte und, ſchlau
ihre Augen niederſchlagend, die Verwirrte ſpielte.
Kammerherren, junge Officiere und Jagdjunker miſch¬
ten ſich nun mit in die Unterhaltung, die Schauſpie¬
ler wollten in auserleſenen Redensarten ihren Weltton
zeigen, die Maͤdchen waren naiv, die Junker char¬
mant, zwiſchen ihnen und den Feldſtuͤhlen der Damen
flogen haͤufig franzoͤſiſche Witzworte, wie zierliche Pfeile,
uͤber den glatten Boden hin und her, deren Zielſcheibe
eben nicht zweifelhaft war. Unter ihnen fiel der lange
Schuͤtz von geſtern am meiſten auf, ein reiſender Lord,
der uͤberall wie ein Kameelhals mit ſeiner Lorgnette
uͤber die andern hervorragte. Er verſicherte jeden ſei¬
ner Protection und ſprach immerfort von Kunſt und
dramatiſcher Kunſt und mimiſcher Kunſt in ſo wunder¬
lichem Deutſch, daß einer den andern nicht verſtand.
Die Konfuſion aber wurde noch immer groͤßer.
Denn ſeitwaͤrts hinter einer phantaſtiſchen Palme, auf
deren breiten Blaͤttern ein Papagei linkiſch auf und
nieder kletterte, ſtand die kuͤhne Reiterin von geſtern,
und neckte, wie es ſchien, recht abſichtlich, den Vogel,
deſſen durchdringendes Gekreiſch jeden Augenblick den
galanten Discours verſtoͤrte. Sie beachtete die Komoͤ¬
dianten nicht, aber zuweilen funkelten ihre Blicke zwi¬
ſchen den Zweigen nach Fortunaten und Lothario her¬
uͤber, welcher den erſteren mit heraufgeſchleppt und ſo
eben der Fuͤrſtin als einen geiſtreichen, nur erſt kuͤrz¬
lich zu ihnen geſtoßenen Volontair vorgeſtellt hatte.
Die Fuͤrſtin, eine junge ſchmaͤchtige Dame mit ſchwar¬
zem Haar, bleichem Geſicht und feurigen Augen, in
grazioͤſer Lebhaftigkeit bald zu dieſem, bald zu jenem
Herrn ihres Gefolges plaudernd zuruͤckgewandt, nun
witzig, dann ſinnig, dann wieder gelehrt, wechſelte in
wenigen Minuten verſchwenderiſch alle Farben der neue¬
ſten Bildung. Dazwiſchen blickte ſie oft Fortunaten
faſt lauernd an, als wollte ſie pruͤfen, welchen Ton
ſie ihm gegenuͤber eigentlich anſchlagen ſollte. Sie
ſchien es wunderbarer Weiſe recht ausſchließlich auf
den Beifall des unbekannten jungen Mannes abgeſe¬
hen zu haben, der ſich, wie in einem ploͤtzlichen Feuer¬
werk, vor den Raketen und ſteigenden Leuchtkugeln
dieſer Unterhaltung gar nicht zu faſſen und zu retten
wußte. — Dem Fuͤrſten aber waren die Blicke der
Graͤfin Juanna — ſo nannte man die ſchoͤne Jaͤge¬
rin — nicht entgangen, er wurde auf einmal ver¬
ſtimmt, und entließ ſchnell die Schauſpielergeſellſchaft.
Das iſt ein luſtiges Metier, ſagte er dabei noch mit
beſonderem Nachdruck zu Fortunaten, ſich ſo taͤglich in
einen andern zu verwandeln, geſtern ein Graf, heute
ein Schauſpieler und immer ein Poet. — Ganz inter¬
eſſant, meinte die Fuͤrſtin, die Expoſition iſt roman¬
tiſch, die Motive laſſen ſich ahnen, ich bin nur auf
den letzten Act begierig. — Fortunat war ganz ver¬
wirrt, noch mitten in dem Getuͤmmel des Abſchiedneh¬
mens konnte er bemerken, wie die Fuͤrſtin der unter¬
deß hinzugetretenen Graͤfin Juanna ſehr lebhaft etwas
zufluͤſterte, das ihm zu gelten ſchien. Alſo dieſer? —
ſagte die Graͤfin, den ſchoͤnen Mund ſpoͤttiſch aufwer¬
fend. — Und wie ſie ſo fortgingen, und die Terraſſe
hinter ihnen verſank, und nur noch Juanna an dem
marmornen Gelaͤnder hoch uͤber dem ſchoͤnen, weiten
Kreiſe der Waͤlder ſtand, da war es, als ſey ſie die
Fuͤrſtin hier, der alle andern dienten. —
Die Schauſpieler ſchritten nun eifrig ſchwatzend
durch den Garten, die meiſten waren ganz begeiſtert
und wie berauſcht, andere, die ſich zuruͤckgeſetzt glaub¬
ten, ſprachen von druͤckender Hofluft und dem ſchluͤpfri¬
gen Boden der vornehmen Welt. Fortunaten aber
fiel nun erſt alles auf: ſeine geſtrige Aufnahme im
Schloß, vorhin die Dienſtfertigkeit des Schulraths,
die Reden der Fuͤrſtin und Juanna's letzter Ausruf. —
Sollten ſie den reiſenden Baron in mir wittern?
dachte er, kennen mich doch die Schauſpieler ſelbſt
nicht, wie ſollten die droben es wiſſen! —
Am Abend deſſelben Tages ruhte er mit Lotha¬
rio'n auf dem gruͤnen Abhange einer Hoͤhe und ſchaute
froͤhlich uͤber die Waͤlder in die weite, fruchtbare Ge¬
gend hinaus, in die er nun bald ſelbſt mit dem blauen
Strome hineinziehen ſollte. Lothario, immer raſtlos
umherſchweifend, hatte in der kurzen Zeit alle verwor¬
renen Verhaͤltniſſe ihres neuen Aufenthalts ſchnell uͤber¬
blickt, und entwarf nun in ſeiner Art eine Muſterkarte
davon. Der Fuͤrſt, ſagte er, iſt ein erſtaunlicher Vir¬
tuos, er ſpielt die ſchwierigſte Romantik vom Blatt
weg, ohne eben ſelbſt zu componiren. Die Fuͤrſtin iſt
ganz und gar ſinniger Roman, durch viele Haͤnde ge¬
gangen, ſchon ſehr zerleſen; ich glaube, der lange Lord
ſtudirt ſie jetzt. Dieſe wilde, ſchoͤne Graͤfin dann, die
ihnen wie ein Hirſch durch alle ihre kuͤnſtlichen Gehege
bricht, und die Meute Liebhaber hinter ſich fuͤr Hunde
haͤlt — wahrlich, ſo ſcheues Wild weckt recht das
Jagdgeluͤſte! — Nimm dich in Acht, entgegnete For¬
tunat; was mich betrifft, ſo kuͤmmert's mich wenig,
wie ſie ſind, das Ganze zuſammen macht ſich doch
ſchoͤn, und mehr verlang' ich nicht von ihnen. — Lo¬
thario ſah ihn ein Weilchen faſt aͤrgerlich an. Ich
begreif's nicht, ſagte er dann, wie ihr Dichter es vor
Langerweile aushaltet, ſo ein dreißig bis funfzig Jahr
auf der aͤſthetiſchen Baͤrenhaut ruͤcklings uͤber zu lie¬
gen, und Kriegstroubel, Philoſophie, wilde Jaͤger und
ſingende Engel, wie ein Wolkenſpiel, uͤber euch dahin¬
ziehen zu laſſen, um daraus ganz gemaͤchlich ein Paar
dicke Romane zuſammenzuſchreiben, die am Ende nie¬
mand lieſt. Zum Teufel, ich bin keine Aeolsharfe,
die nur Klang giebt, wenn ein Poet ihr Wind vor¬
macht! Iſt das Leben ſchoͤn, ſo will ich auch ſchoͤn
leben, und ſelber ſo verliebt ſeyn wie Romeo, und ſo
tapfer wie Goͤtz und ſo tiefſinnig wie Don Quixote.
Um die Schoͤnheit will ich freien, wo ich ſie treffe,
und mich mit den Philiſtern drum ſchlagen, daß die
Haare davon fliegen. Warum ſollte man ſo ein lum¬
piges Menſchenleben nicht ganz in Poeſie uͤberſetzen
koͤnnen? — Du biſt ein wunderlicher Menſch, unter¬
brach ihn Fortunat, ich glaube, du koͤnnteſt ein großer
Dichter ſeyn, wenn du nicht ſo ſtolz waͤreſt. — Ich?
— erwiederte Lothario faſt betroffen, und ſah einen
Augenblick nachdenklich vor ſich hin.
Hier wurden ſie auf einer weiter ins Land hin¬
ausgelegenen Anhoͤhe mehrere der Schauſpieler gewahr,
die ſo eben zwiſchen den Gebuͤſchen emporſtiegen und
ſich gleichfalls an der ſchoͤnen Ausſicht zu ergoͤtzen
ſchienen. Sie konnten deutlich unterſcheiden, wie Herr
Ruprecht ſein altes Perſpectiv gemaͤchlich aus dem
Futteral nahm, es wie ein Fuͤhlhorn bald weit aus¬
ſtreckte, bald wieder einzog und damit in die Ferne
zielte. Bald aber ſchienen ſie unten etwas Beſonderes
auf dem Korn zu haben, das Fernrohr ging eilig aus
Hand in Hand, und Fortunat bemerkte nun auch ſei¬
nerſeits einen Fußgaͤnger im Thal, welcher bequem
zwiſchen Wieſen und Buͤſchen daherkam, zuweilen ſte¬
hen blieb und ſich nach den ſchoͤnen, abendrothen Gruͤn¬
den heiter zuruͤckwandte, dann zufrieden wieder weiter
ſchlenderte. Auf einmal erhoben die Schauſpieler ein
wuͤthendes Freudengeſchrei, und winkten mit Perſpectiv
und Huͤten und Schnupftuͤchern. Jetzt ſchien auch der
Wanderer ſie zu erkennen, er warf jubelnd ſeinen Hut
hoch in die Luft und ſchritt dann eilig den Berg
hinan. — Wahrhaftig, den ſollt' ich kennen! rief For¬
tunat ganz erſtaunt aus. — Gott ſchuͤtz', gewiß noch
ein Dichter! entgegnete Lothario, indem er aufſprang,
und ohne weiteres in den Wald hineinging.
Fortunat eilte ſogleich zu den Schauſpielern hin¬
uͤber. Aber eine tiefe Kluft lag dazwiſchen; er verlor
ſie im Walde bald aus dem Geſicht, und wußte nicht,
wo er war, als auf einmal der Wanderer, der gleich¬
falls den naͤchſten Weg geſucht, und den rechten ver¬
fehlt hatte, ſich muͤhſam neben ihm durch das Ge¬
ſtruͤpp hervorarbeitete. Fortunat! rief er hoͤchſt uͤber¬
raſcht und ſichtbar verlegen aus, da er den alten Be¬
kannten erblickte. — Mein Gott! Otto! erwiederte
jener, wie kommen Sie hierher? — Ich? — ſagte
der Student ganz verwirrt — iſt denn das nicht der
fuͤrſtliche Park, wo die Schauſpielergeſellſchaft des
Herrn Sorti —
Fortunat aber hatte keine Zeit mehr zu antwor¬
ten, denn um eine Waldecke ſahen ſie ploͤtzlich einen
ganzen Haufen Lumpengeſindel von weitem auf ſich
zuwanken, das ſie im erſten Augenblick fuͤr Zigeuner
erkannten. Sie ſchienen unter einander in Haͤndel ge¬
rathen zu ſeyn, und kamen in vollem Zanke daher,
einige von ihnen waren bemuͤht, von hinten einen wi¬
derſpenſtigen Eſel vorzuſchieben, auf dem eine ſeltſame,
phantaſtiſch geſchmuͤckte Weibergeſtalt ſaß, die voll
Zorn nach den ungeſtuͤmen Treibern zuruͤckſchimpfte.
Wie eine Zigeunerkoͤnigin hatte ſie ihr langes zottiges
Haar mit einer Schnur von Gold und Edelſteinen
oben in ein Kroͤnchen zuſammengefaßt, in den Ohren
trug ſie ſchwere Gehenke von geſchmelzter Arbeit, ihre
Schabracke war von Scharlach, das gruͤne Kleid mit
ſilbernen Poſamenten verbraͤmt, und ihr ſchneeweißes
Hemd an den Naͤthen mit ſchwarzer Seide nach boͤh¬
miſcher Art ausgenaͤht, woraus ſie hervorſchien, wie
eine Heidelbeere aus der Milch. — Jetzt erſt erkannte
Fortunat in dem Geſindel nach und nach die Geſich¬
ter der Schauſpieler, ohne zu begreifen, wie ſie zu
dem Narrenſtreiche kamen. Seitwaͤrts bemerkte er
nun auch Kamilla, welche die Rolle der Prezioſa uͤber¬
nommen zu haben ſchien, wozu ſie ihre große, noble
Figur beſonders geeignet glaubte. Sie ſchwaͤrmte ab¬
geſondert von den andern, eine Guitarre im Arm,
und ſang: „Einſam bin ich nicht alleine.“ Aber ſie
blieb doch allein, denn alles lief einer jungen, ſchoͤnen
Zigeunerin nach, die ploͤtzlich wie ein wildes Reh aus
dem Walde brach. Die pechſchwarzen Haare hingen
glaͤnzend uͤber Stirn und Wangen, ihr Geſicht war
wie eine ſchoͤne Nacht. Sie blieb dicht vor Otto
ſtehen und funkelte ihn neugierig mit den Augen von
oben bis unten an. Wußt' ich's doch, ſagte ſie dann,
daß es ſo kommen wird. — Es war Kordelchen. Si¬
lentium! hoͤrte man nun auf einmal die abenteuerliche
Geſtalt durch das Getuͤmmel rufen, die unterdeß auf
ihrem Eſel herangekommen war. Ei, mein ſchoͤner,
weißer, junger Geſell, redete ſie Otto'n an, was machſt
du hier? wo kommſt du ſo allein daher? — Der Eſel,
der unterwegs ein Maul voll Gras genommen, ſah
die Geſellſchaft, ſeine lange Ohren ſchuͤttelnd, ruhig
an, und hieb mit dem einen Hinterfuß nach den Ko¬
moͤdianten, die ihn heimlich zwickten. Otto aber, von
der allgemeinen Luſt mit angeſteckt, antwortete: meine
großmaͤchtige Frau Libuſchka, ich komme von Haus
und bin Willens, in der Welt ein mehreres zu ſtudi¬
ren, oder einen Dienſt zu bekommen, denn ich bin ein
armer Schuͤler. — Daß dich Gott behuͤte, mein Kind!
verſetzte die alte Zigeunerin — aber zum Teufel! laßt
die Faxen, ich falle wahrhaftig herunter! rief ſie da¬
zwiſchen den Schauſpielern ploͤtzlich mit grober Stimme
zu, an der Fortunat ſogleich Herrn Ruprecht erkannte.
Dieſer aber ließ ſich dadurch nicht irre machen. Wann
du Luſt haſt, bei uns zu bleiben, fuhr er fort, ſo iſt
der Sache bald abgeholfen. — Ich will noch ein Paar
Tage mit mir ſelbſt zu Rath gehen, erwiederte Otto,
des Studirens und Tag und Nacht uͤber den Buͤchern
zu hocken, bin ich ſchon vorlaͤngſt muͤd worden. —
Du haſt einen weiſen Menſchenſinn, mein Sohn,
verſetzte hier Ruprecht, und kannſt hierbei leicht ab¬
nehmen und probiren, was unſere Manier vor anderer
Menſchen Leben fuͤr einen Vorzug habe, wenn du
naͤmlich ſiehſt, wie wir hier in unſerer Freiheit auf
den alten Kaiſer leben, wie die Marder und Fuͤchſe.
Was iſt Reichthum, was iſt Geld, Habe? Wenn
ich's nicht habe, acht' ich's fuͤr gar nichts, und wenn
ich's habe, ſchmeiß' ich's gleich wieder weg. Man
muß immer als Philoſoph denken, glaube einem alten
Genie, mein Sohn, und werden die Lichter ausge¬
putzt, und es kommt die Nacht und die Schlafenszeit,
ſo ſind doch alle wieder gleich, Zigeuner und andere
Leut'!
Oho! riefen hier die Anderen darein! denen der
Sermon ſchon zu lang wurde, eine moraliſche Li¬
buſchka! eine philoſophiſche Zigeunerin! Ruprecht
ſchimpfte ſie ganz erboſt Ignoranten, die wie die Och¬
ſen mit eingelegten Hoͤrnern ins Blaue hineinrennten.
Aber ſie hoͤrten nicht auf ihn. Ein Paar ruͤſtige Ge¬
ſellen erwiſchten Otto'n bei beiden Beinen, und ſchwan¬
gen ihn vor die Frau Libuſchka auf den Eſel, den
Kordelchen unterdeß mit bunten Baͤndern ausgeſchmuͤckt
hatte; andere faßten die Zuͤgel, und ſo waͤlzte ſich der
ganze tolle Zug nach dem Gartenpalaſte hin.
Hier aber wurden ſie ſelbſt uͤberraſcht, die Zu¬
ruͤckgebliebenen hatten ſich ſchnell verkleidet und unter
den Baͤumen bunte Zelte aufgeſchlagen, ſo lagen ſie
an luſtigen Feuern umher, und zu Fortunats Ver¬
wunderung kam es nun nach und nach heraus, daß
ſie Otto'n als ein neues Mitglied ihrer Truppe heute
hier erwartet hatten. Unter ihnen erwies ſich Guido
beſonders geſchaͤftig, der junge huͤbſche Maler aus der
Kapelle, der in ſeiner ſorgfaͤltigen Zigeunertracht ſich
ſelbſt ſehr huͤbſch zu finden ſchien und, von Zeit zu
Zeit Kordelchen feurige Blicke zuwerfend, wohlgefaͤllig
ſein Schnurrbaͤrtchen ſtrich. Er hatte brennende Pech¬
keſſel beſorgt, und war eifrig bemuͤht, die phantaſti¬
ſchen Geſtalten maleriſch um die Flammen zu gruppi¬
ren und uͤberall die rechten Lichteffecte anzubringen.
Er mußte indeß gar bald alles gehen laſſen, es war
ſchlechterdings keine Ordnung und kein kuͤnſtleriſches
Motiv hineinzubringen. Ueber dem dunkelen Berge
aber trat ploͤtzlich der Mond aus einer Wolke und
beſchien die ſtillen Waͤlder und Gruͤnde; da war auf
einmal alles in der rechten, wunderbaren Beleuchtung:
das oͤde Haus, der altmodiſche, halbverfallene Gar¬
ten, die wildverwachſenen Statuͤen und die abenteuer¬
lichen Geſtalten, die auf den Baſſins der vertrockneten
Waſſerkuͤnſte umherſaßen, wie eine Soldaten-Nacht
im dreißigjaͤhrigen Kriege. — Precioͤschen! rief Fortu¬
nat Kordelchen zu, bellt von fern ein Hund, liegt ein
Dorf im Grund, ſchlaͤft Bauer und Vieh, giebt was
zu ſchnappen hie! — Kordelchen antwortete munter:
heult der Wolf in der Haid', iſt mein Schatz nicht
mehr weit; ſtellt aus die Wacht, giebt heut eine gute
Zigeunernacht. — Willewau, wau, wau, witohu! rie¬
fen die andern jauchzend dazwiſchen. Kordelchen aber
ſchwang ploͤtzlich ein Tambourin, daß es ſchwirrte,
tanzte mit ihren rothen polniſchen Stiefeln auf Zigeu¬
neriſch und ſang dazu:
Am Kreuzweg, da lauſche ich, wenn die Stern'
Und die Feuer im Walde verglommen,
Und wo der erſte Hund bellt von fern,
Da wird mein Braͤut'gam herkommen.
Fortunat antwortete luſtig:
Und als der Tag graut' durch das Gehoͤlz,
Sah ich eine Katze ſich ſchlingen,
Ich ſchoß ihr auf den nußbraunen Pelz,
Die macht' einmal weite Spruͤnge!
Kordelchen ſang wieder:
's iſt Schad' nur um's Pelzlein, du kriegſt mich nit'
Mein Schatz muß ſeyn wie die andern:
Braun und ein Stutzbart auf ungriſchen Schnitt
Und ein froͤhliches Herze zum Wandern.
Hier ſchlug ſie das Tambourin dem Ruprecht, der
ihrem Tanze verliebt zuſah, droͤhnend an den Kopf
und ſetzte ſich, in der That wie ein Kaͤtzchen, dem
traͤumeriſchen Otto auf den Schooß.
Weißt du — ſagte ſie, ihre Haare aus dem er¬
hitzten Geſicht ſchuͤttelnd — weißt du noch, wie wir
uns zum erſtenmal ſahen? Du kamſt vom Gibichen¬
ſtein herab mit einem ſtudentiſchen Helm, daß der Fe¬
derbuſch dir in die Augen hing; damals gefielſt du
mir beſſer, als jetzt ſo mit dem naͤrriſchen Frack. —
Otto'n war's bei dieſen Worten, als tauchte ſeine
ganze, ſchoͤne Jugendzeit wieder vor ihm auf, das
Maͤdchen war nur ſo wild, das ſtoͤrte ihn heimlich. —
Es war in den erſten Fruͤhlingstagen, ſagte er, uͤberall
zogen Studenten durch's Gruͤn, du ſaßeſt auf der
Bank vor dem Wirthshauſe unter den Linden und
ſpielteſt die Harfe. — Ja, ja, fiel ihm Kordelchen in
die Rede, und du glaubteſt, ich ſpielte fuͤr Geld, und
ſetzteſt dich neben mich und druͤckteſt mir einen Thaler
in die Hand. — Und du, verſetzte Otto, beſahſt ver¬
wundert das Geld, dann ſteckteſt du's lachend ein,
gabſt mir ſchnell einen Kuß und verſchwandſt im
Hauſe, und ich ſah' dich nicht mehr wieder. Ach Kor¬
delchen! nun iſt ja alles, alles wieder gut, und —
Nun und was denn?! rief Kordelchen luſtig, ſprang
ſchnell auf und verlor ſich in dem dickſten Haufen.
Kamilla, die es mit angeſehen, ging eben vor¬
nehm voruͤber und ſprach halbleiſe von wilden Wald¬
beeren, womit man Gimpel fange. Otto aber hielt
ſich nun nicht laͤnger und fiel ganz gluͤckſelig dem For¬
tunat um den Hals. Ach, rief er aus, ich bin ſo
von Grund der Seele vergnuͤgt, wie ein Vogel in der
Luft! — Sie gingen mit einander auf den mondbe¬
ſchienenen Gaͤngen weit fort, daß ſie die Stimmen
der Schauſpieler kaum mehr vernahmen, und Otto
erzaͤhlte nun, wie entſetzlich einſam es nun auf Hohen¬
ſtein geworden, nachdem Walter und Fortunat fortge¬
zogen. Er habe ſich gleich nach ihrer Abreiſe mit red¬
lichem Ernſt und Eifer ganz auf die Buͤcher geworfen,
nichts anderes gedichtet und getrachtet und ſelbſt jede
Erinnerung an ſein fruͤheres Leben gewiſſenhaft ver¬
mieden. Aber, fuhr er fort, die Seele des Dichters
iſt wie eine Nachtigall, je tiefer man ihren Kaͤfig ver¬
haͤngt, je ſchoͤner ſchlaͤgt ſie, und ich hoͤrte ſie oft in
Traͤumen wunderbar klagen, aber ich huͤtete mich wohl,
wenn ich erwachte, dem weiter nachzuhaͤngen. Und
wie nun ſo der Amtmann taͤglich um dieſelbe Stunde
auf das Feld hinausritt und wieder zuruͤckkehrte, und
Florentine ihre Tauben fuͤtterte und ihre Blumen band,
und ringsum in der laͤndlichen Stille allmaͤhlich alles
wuchs und wuchs, als wollte das Gruͤn die Menſchen
begraben — es war mir nicht anders, als ſaͤß' ich
viel hundert Klaftern tief im Meer und hoͤrte die
Abendglocken meiner Heimath von weitem uͤber mir.
So verzehrte ich mich ſichtbar ſelbſt, der gute Amt¬
mann ſah mich oft insgeheim bedenklich an, die Amt¬
mannin ſteckte mir die beſten Leckerbiſſen zu, ſie dachte,
wenn ich nur erſt fetter waͤre, ſo wuͤrde ſchon alles
gut werden. — In einer ſchoͤnen Nacht aber traͤumte
mir von Halle, ich ſtand auf dem Gibichenſtein, die
Kirſchgaͤrten unten bluͤhten wieder, und luſtige Kaͤhne
mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang
ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehoͤrt, auf
das ich mich aber ſeitdem durchaus nicht wieder beſin¬
nen konnte. Ich wachte vor Freude daruͤber auf,
das Fenſter ſtand noch offen, und als ich mich hin¬
auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die
ſtille Nacht heruͤber. — Seht, ein ſolcher Lufthauch
wendet oft das Narrenſchiff des Menſchen! Ohne
ſelber recht zu wiſſen, was ich that oder wollte, klei¬
dete ich mich raſch an, ſchnuͤrte mein Buͤndel, im
Hauſe ſchliefen noch alle, und ehe eine Viertelſtunde
verging, wanderte ich ſchon durch die dunkle Kaſta¬
nienallee das ſtille Dorf entlang. Als ich ins Freie
kam, toͤnte das Lied noch immerfort, aber ſehr fern. —
Hier hielt er ploͤtzlich erſchrocken inne, man hoͤrte
tief im Garten ſingen; die Luft kam von dort heruͤber;
ſie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:
Hoͤrſt du nicht die Baͤume rauſchen
Draußen durch die ſtille Rund'?
Lockt's dich nicht hinabzulauſchen
Von dem Soͤller in den Grund,
Wo die vielen Baͤche gehen
Wunderbar im Mondenſchein
Und die ſtillen Schloͤſſer ſehen
In den Fluß vom hohen Stein.
Das iſt das Lied! — rief Otto, und eilte ganz ver¬
wirrt den Berg hinab. Unten aber ſang es von neuem:
8
Kennſt du noch die irren Lieder
Aus der alten ſchoͤnen Zeit?
Sie erwachen alle wieder
Nachts in Waldeseinſamkeit,
Wenn die Baͤume traͤumend lauſchen
Und der Flieder duftet ſchwuͤl
Und im Fluß die Nixen rauſchen —
Komm herab, hier iſt's ſo kuͤhl.
Fortunat glaubte jetzt in dem Grunde, woher der
Geſang kam, Kordelchen zwiſchen den mondbeglaͤnzten
Gebuͤſchen zu erkennen. — Dann wurde auf einmal
alles ſtill, es war eine verlockende Nacht, das Wetter
leuchtete von ferne und die wechſelnden Schatten der
Baͤume ſchwankten verwirrend uͤber den Steinen und
Kluͤften.
Zehntes Kapitel.
Fern von dieſem Weltgetuͤmmel, mitten zwiſchen
den Waldbergen lag in ſtiller Abgeſchiedenheit ein altes
Schloß mit wunderlichen kleinen Fenſtern, halbverfal¬
lenen Soͤllern und Thuͤrmchen, alles ganz verwildert
und gruͤn uͤberwachſen. Zwiſchen den Tannenwipfeln
qualmten die weißen Schornſteine des freundlichen Dor¬
fes luſtig herauf, ſie ſchienen das Schloß ſchon lange
einzuraͤuchern, denn es ſah ganz braun aus, und zahl¬
loſe Sperlinge laͤrmten und niſteten in dem Helm des
ſteinernen Wappenſchildes uͤber dem Thor. Aus den
alten Wallgraͤben war fruͤher ein Garten, und aus
dem Garten mit der Zeit eine gruͤne Wildniß von
Stachelbeeren und Haſelnußſtraͤuchern geworden, in
der jetzt einige Ziegen ruhig weideten.
Dort ſaßen an einem ſchwuͤlen Nachmittage meh¬
rere Jagdhunde unter einer Weinlaube und unter ihnen
der Gutsherr, Baron Eberſtein, mit dem jungen Pre¬
diger des Orts ſchwatzend, der zum Beſuch heraufge¬
kommen war, um dem Baron ſeine neuen Meer¬
ſchaumkoͤpfe anrauchen zu helfen. Sie freuten ſich
beide des allmaͤhlich aufſteigenden Gewitters, denn die
ſchillernden Thaͤler unten lechzten nach Regen, es ruͤhrte
ſich kein Luͤftchen in der ganzen Gegend, nur die Bie¬
nen ſummten um die hohen Sonnenblumen vor dem
Schloſſe. Seitwaͤrts aber ſah man bald einen rothen
Schuh, bald ein zierliches Fuͤßchen aus dem Laube
eines Kirſchbaums ſchimmern, zwiſchen dem manchmal
ein Paar ſchoͤne dunkle Augen herausfunkelten. Es
war Fraͤulein Gertrud, des Barons Tochter, die im
Wipfel Kirſchen naſchte und die Kerne muthwillig nach
den Hunden ſchnellte; eigentlich aber hatte ſie's auf
des Predigers neue, geſchniegelte Weſte abgeſehen.
Der Prediger aber merkte nichts davon, ſo ver¬
tieft war er in den Discurs. Ja, ſagte er, dieſe
8*
Gewitterſchwuͤle iſt ein bedeutungsvolles Bild der Ge¬
genwart, alles liegt in banger Erwartung, daß man
faſt den leiſen Schritt der Zeit hoͤrt, Gedankenblitze
ſpielen auf dem dunklen Grunde — Ah bah! erwie¬
derte der Baron, ſich eine neue Pfeife ſtopfend, Ge¬
witter iſt Gewitter, und dummes Zeug iſt dummes
Zeug! — Der Prediger, ein wenig pikirt, ruͤckte ſich
vornehm zurecht und ſprach von der unaufhaltſamen
Intelligenz, von der Muͤndigkeit der Zeit und der
unſichtbaren Gewalt unverjaͤhrbarer Wahrheit. Da
wurde der Baron ganz hitzig. Was iſt wahr? was
iſt wahr? rief er dicht heranruͤckend aus. Dem Pre¬
diger, erſchrocken und verbluͤfft wie er war, wollte
gerade in dieſem kritiſchen Moment keine paſſende
Antwort einfallen. — Na ſeht, fuhr der Baron fort,
ihr wißt's nicht, und ich weiß es auch nicht, das weiß
der liebe Gott allein. Aber mein Jagdrevier hier das
kenn' ich ganz genau, und wer mir in meine Wild¬
bahn bricht, muͤndig oder unmuͤndig, den ſchieß ich
vor den Kopf, wie einen tollen Hund, und damit
Baſta! Und wenn jeder ſo thaͤte in ſeinem Revier,
ſo haͤtten wir bald Ruhe vor der verjaͤhrten Intelli¬
genz und der unſichtbaren Wahrheit und alle dem
Plunder. Glaubt einem altgedienten Offizier, Prediger,
die Zeit will nur Pruͤgel haben, weiter iſt's nichts!
Gaͤſte kommen! Gaͤſte kommen! rief hier auf
einmal das Fraͤulein im Kirſchbaum. Und in der
That, kein Schiffer vom Maſtkorb blickt ſo ſcharf in
die Ferne, als ein Landfraͤulein in der Meeresſtille
ihrer einfoͤrmigen Einſamkeit, denn kaum noch ſchim¬
mert' es fluͤchtig von dem Gipfel des gegenuͤber liegen¬
den Berges heruͤber. Das Gewitter lag ſchwer uͤber
dem Berge und verdunkelte ſchon die ganze Gegend,
nur der gruͤne Abhang nach dem Schloſſe zu war von
der Abendſonne noch hell beſchienen. Da ſah man
auf einmal Federbuͤſche aus dem Gruͤn nicken, einzelne
Reiter flogen uͤber den Plan, immer mehre folgten,
Jaͤger und Frauengeſtalten auf zierlichen Zeltern, wie
wenn der Herbſtwind farbige Blaͤtter verſtreut; der eine
der Reiter ſchien eine Guitarre im Arm zu haben, man
hoͤrte ſeine Stimme durch die ſtille Luft bis heruͤber¬
ſchallen, andere blieſen auf dem Waldhorn dazu und
ſchoſſen ihre Flinten ab; ſo bewegte ſich der bunte Zug
in der wunderbaren Beleuchtung heiter und eilig den
Abhang hinunter — das Fraͤulein konnte ſich nicht
ſatt ſeh'n daran.
Wahrhaftig, Seine Durchlaucht mit Ihrer gan¬
zen Literatur! rief der erſtaunte Baron aus, indem er
die Pfeife ſchnell weglegte. Jetzt biegen ſie in den
Hohlweg, es kommt alles hierher. He, Johann! mei¬
nen Hut, meine Uniform! Was das lateiniſche Rei¬
ter ſind! Wo bleibt der Schlingel! Das wollen Jaͤ¬
ger ſeyn, die Juanna, das Blitzmaͤdel, iſt noch der
beſte Schuͤtz unter ihnen. — Sie ſoll immer mitten
in's Herz treffen, verſetzte der aͤſthetiſche Prediger. —
Prediger! ſagte der Baron, ihn bei der Hand feſthal¬
tend, ich bitt' euch um Gotteswillen, lauft mir jetzt
nicht davon, ihr muͤßt gelehrt ſprechen mit den Leu¬
ten, mir iſt's immer, wie Chaldaͤiſch im Halſe unter
ihnen. — Nun, nun, wir wollen ſchon machen, erwie¬
derte der Prediger, zufrieden ſchmunzelnd.
Fraͤulein Trudchen aber war ſchon wie ein Reh
uͤber Wallgraben und Straͤucher nach dem Schloſſe
geſprungen. Da gab's ein wahres Volksfeſt, die Thuͤ¬
ren flogen krachend auf und zu, die Hunde bellten, die
alten Sophas und Stuͤhle wurden ausgeklopft, daß es
rauchte, zuweilen hoͤrte man das luſtige Lachen des
Fraͤuleins dazwiſchen. Zuletzt band ſie nur noch ſchnell
ihre neue Schuͤrze um; ſie wußt' es wohl, ſie war
huͤbſch genug, ſo wie ſie war.
Nun aber begann auch ſchon draußen der Laͤrm.
In haſtiger Flucht brachen Gewitter und Gaͤſte zu¬
ſammen herein; der kleine Hof fuͤllte ſich ploͤtzlich mit
Glanz und Getuͤmmel von eleganten Uniformen, Rei¬
tern und Roſſen, der Regen fiel ſchon in einzelnen
großen Tropfen, Tuͤcher, Maͤntel und Schleier flat¬
terten im Sturm durcheinander, und bunte Jokey's
flogen von den Pferden, um in der Verwirrung den
Herrſchaften herabzuhelfen, waͤhrend die Maͤgde und
Knechte des Barons, ihre Muͤtzen in der Hand, ganz
verwirrt in den Thuͤren ſtanden. Der Fuͤrſt war der
erſte, der ſich aus dem Knaͤul herauswickelte. Er be¬
fahl ſeinen Leuten, mit Pferden und Hunden im Dorf
ein Unterkommen zu ſuchen, ſo gut es gehe; dann
entſchuldigte er verbindlich beim Baron den ploͤtzlichen
Ueberfall, das Unwetter habe ſie uͤberraſcht; er bat
um Schutz fuͤr die Nacht; wo koͤnne er dieſen beſſer
finden, ſetzte er hinzu, als bei den alten Haͤuſern des
Landes. — Alt und wackelich in der That, ſagte die
Fuͤrſtin leiſe zu ihrem Nachbar, das Schloß bedenklich
betrachtend. — Es ſieht aus, erwiederte dieſer, wie
ein altes Rolandsbild, dem der Zahn der Zeit den
Kopf abgebiſſen. — Nein, wie ein einzeln ſtehengeblie¬
bener Backzahn der Zeit ſelbſt, meinte ein anderer. —
Der Baron aber, in dem beim Anblick von Damen
jederzeit die Ritterlichkeit ſeines ehemaligen Offizierle¬
bens wieder erwachte, hatte mit ſcharfem Jaͤgerblick
ſogleich die Fuͤrſtin auf's Korn genommen. Er half
ihr kunſtgerecht aus dem Sattel, bot ihr mit altmodi¬
ſcher Galanterie den Arm, und fuͤhrte ſie uͤber den
Hof, immerfort franzoͤſiſch mit ihr ſprechend, obgleich
ſie ihm deutſch antwortete. Aber ſchon am Eingang
gab es unverhofften Aufenthalt. Die fuͤrſtlichen Jagd¬
hunde ſchnupperten uͤberall vornehm umher, da ge¬
brauchten die Hunde des Barons ihr Hausrecht und
eh' man ſich's verſah, gerade in der Thuͤre entſtand
ploͤtzlich ein Balgen und Wuͤrgen, daß die Haare da¬
vonflogen. Mit gewaltiger Stimme, mit Stock und
Stiefeln ſtiftete der Baron endlich wieder Frieden,
und wandte ſich dann entſchuldigend zur Fuͤrſtin. Die
Fuͤrſtin aber kam daruͤber in ein unaufhaltſames La¬
chen, das ſteckte die Andern mit an, und ſo zog alles
froͤhlich ein.
Dieſer confuſe Anfang hatte die ganze Feierlich¬
keit verſtoͤrt, welche der Baron im Schilde fuͤhrte.
Er brachte die Geſellſchaft in ein großes Zimmer, das
nicht zum gewoͤhnlichen Gebrauche beſtimmt ſchien, wie
man an der verſtaubten Pracht der damaſtenen Gar¬
dinen abnehmen konnte. Anſtatt aber Platz zu neh¬
men, eilte die Fuͤrſtin, nach einer leichten Verbeugung,
ſogleich mit Kennermienen zu einer alten, ſehr kunſt¬
reich mit Elfenbein ausgelegten Kommode. In dem¬
ſelben Augenblick fing eine vergoldete Stutzuhr auf dem
Schrank mit heiſeren Abſaͤtzen zu ſpielen an. Mein
Gott, noch aus cosa rara! rief die Fuͤrſtin uͤberraſcht
aus. — Ich weiß wirklich nicht — erwiderte der Ba¬
ron, der es fuͤr Spott hielt, und zog die Augenbrauen
finſter zuſammen. Aber er irrte ſich. Cosa rara war
die erſte Oper, welche die Fuͤrſtin noch als Kind ge¬
hoͤrt; jetzt uͤberwaͤltigte ſie die Erinnerung, ſie huͤtete
ſich aber, es zu ſagen, damit niemand die Jahre
nachzaͤhlte. Unterdeß hatte der Fuͤrſt auch ein Kla¬
vier entdeckt, und mit der Unbarmherzigkeit der großen
Welt wurde Fraͤulein Trudchen ohne weiteres, wie zur
Schlachtbank, zum Spielen gedraͤngt. Der Prediger,
der ſich gern bemerklich machen wollte, brachte ein
Pack Noten herbei, und ſtellte ſich geſchaͤftig hinter
den Stuhl, um die Blaͤtter umzuſchlagen. Dem Fraͤu¬
lein ging es aber wie der Spieluhr, roth bis an die
Ohrlaͤppchen, konnte ſie keinen vernuͤnftigen Ton her¬
vorbringen. Da warf ſie ploͤtzlich das Stutznaͤschen
ſtolz in die Hoͤh, ſchob die Noten zur Seite, und ſang
herzhaft eines von den Volksliedern, wie ſie damals
noch auf den Bergen im Schwange waren. Da ging,
zur Verwunderung des erſchrockenen Barons, auf ein¬
mal eine freudige Bewegung durch die ganze Geſell¬
ſchaft, man verglich ſie einem Waldvoͤglein, ſie mußte
mehr und immer noch mehr ſolche Lieder ſingen. Da¬
zu kam die Neuheit der ganzen Umgebung, das heim¬
liche Gefuͤhl der Sicherheit in der ſtillen Burg, waͤh¬
rend draußen ſchon der Sturm den Regen an die
Fenſter peitſchte. Die Fuͤrſtin fand das alterthuͤmliche
Kamin, die tiefen Fenſterbogen und Erker entzuͤckend,
waͤhrend der Fuͤrſt in dem einen Fenſter ſich nicht ſatt
ſehen konnte an dem tiefen Waldgrund unter dem
Schloſſe, den die Blitze von Zeit zu Zeit ſeltſam er¬
leuchteten, ſo daß der Baron, der lange dort nicht
hinausgeſehen, endlich ſelbſt neugierig mit hinunter¬
blickte. So war alles in der heiterſten Stimmung,
als nun noch in dem Kamin ein luſtiges Feuer ange¬
zuͤndet wurde; der Prediger konnte mit ſeiner Gelehr¬
ſamkeit gar nicht aufkommen, und der Baron fand
mit Erſtaunen, daß es doch eigentlich gar nicht ſo
uͤbel leben ſey unter dieſen Leuten.
Es war noch zu fruͤh zum Schlafengehen, die
Fuͤrſtin ſchlug vor, Geſchichten zu erzaͤhlen, jeder was
ihm eben einfiele. Der Prediger raͤusperte ſich, eine
Novelle, die er neulich fuͤr ein Taſchenbuch geſchrie¬
ben, ſteckte ihm ſchon im Halſe. Aber zu aller Ver¬
wunderung bat der lange Lord vorweg um das Wort,
der Baron brachte alten Ungarwein, wovon er ein
Glas der Fuͤrſtin zierlich auf einem ſilbernen Teller
praͤſentirte, alles ſetzte ſich um das Kaminfeuer zu¬
recht, und der Lord begann ohne weiteres folgende
Geſchichte der wilden Spanierin.
In dem Kriege Napoleons gegen Spanien diente
ich in der Engliſchen Armee, welche damals den Spa¬
niern zu Huͤlfe zog. Ich war Huſaren-Offizier, da
hatt' ich vielen Aerger mit der unvernuͤnftigen hohen
Baͤrenmuͤtze, die alle Augenblick das Gleichgewicht
verlor, waͤhrend ich mich taͤglich ein Paarmal in dem
ſarmatiſchen Gehaͤnge und Gebommel von Saͤbeltaſche,
Dolmann und Fangſchnuͤren mit meinen langen Bei¬
nen verwickelte. Einmal waren wir verſprengt und
raſteten im Freien. Es regnete in einem fort, ich
ſtand melankoliſch mitten im Felde unter meinem Re¬
genſchirm, in jeder Hand, wie ich aus Vorſicht immer
zu thun pflegte, eine Piſtole mit geſpanntem Hahn.
Auf einmal heißt's: die Franzoſen! Wir waren un¬
ſerer nur wenige, der Feind in hellen Haufen. Meine
Kameraden zerſtoben im Nu nach allen Seiten. Ich
aber faſſe mein Pferd, fahre in der Eil mit dem Bein
in den Pelzaͤrmel des Dolmanns, mit einem Arm in
die Saͤbeltaſche, mit dem andern in die verfluchte Ta¬
kelage von Schnuͤren und Troddeln, ſo daß ich mich
nicht ruͤhren, vielweniger die Zuͤgel erlangen konnte;
mein Pferd erſchrickt vor meiner Poſitur und rennt
grade auf den Feind los und ſo, mit ausgeſpreitzten
Armen, den Saͤbel zwiſchen den Zaͤhnen, waͤhrend
meine Piſtolen losgehen, wie eine wahnſinnige Fleder¬
maus, fliege ich mitten unter die Franzoſen hinein,
daß ein luſtiges Huſſah! durch ihr ganzes Geſchwader
erſcholl. Ich war nun in ihre Gefangenſchaft gera¬
then, ſie hatten Muͤhe, mich aus meiner verwickelten
Lage zu bringen und nannten mich den tollſten Kerl,
den ſie jemals geſehen. Da ich aber franzoͤſiſch ſprach
und Gold in der Boͤrſe hatte, ſo wurden wir bald
gute Kameraden. Sie wollten mich nach Burgos fuͤh¬
ren in ihr Depot, das war aber nicht ſo leicht ge¬
macht, denn bewaffnete Banden ſpaniſcher Bauern ver¬
rannten uns uͤberall den Weg, und ſo zogen wir ge¬
raume Zeit miteinander im Lande umher.
Auf dieſem Zuge lagerten wir einmal in einer
ſchoͤnen Sommernacht an einem großen Schloſſe, das
ſchon ſeit langer Zeit nicht mehr bewohnt ſchien. Die
alten zackigen Thuͤrme warfen im Mondſchein lange
Schatten uͤber den wuͤſten Schloßgarten, wo wir lagen
und unſere Pferde an die verwilderten Hecken ange¬
bunden hatten. Es war alles ſtill in der ganzen Ge¬
gend, von Zeit zu Zeit nur hoͤrte man die Pferde
ſchnauben und die Wachen anrufen aus der Ferne, im
Walde ſchlugen die Nachtigallen, als gaͤb' es keinen
Krieg in der Welt. — Der Rittmeiſter, der den Zug
fuͤhrte, ein heiterer Gaskogner, lag ruͤcklings auf ſei¬
nen Mantel ausgeſtreckt, ich glaubte er ſchliefe, er
hatte aber, wie er mir nachher ſagte, an ſeine ferne,
ſchoͤne Heimath gedacht. Auch richtete er ſich gleich
darauf ſchnell uudund ruͤſtig wieder auf. Hier iſt nicht
Zeit zum traͤumen, meinte er, wir muͤſſen auf unſerer
Hut ſein heut' Nacht, denn das iſt das Schloß der
wilden Spanierin. Und als ich fragte, wer die ſey,
benutzte er gern die Gelegenheit, ſich munter zu erhal¬
ten, und erzaͤhlte mir alles ausfuͤhrlich.
„In dieſem Schloſſe, ſagte er, wohnte ehedem
ein Graf aus uraltem Stamm, der nach und nach
wohl ſich zu beugen verlernt haben mochte. Wenigſtens
ſoll der Graf fruͤher den Anforderungen des alten Ho¬
fes jederzeit trotzigen Stolz entgegengeſetzt haben bis
zu wechſelſeitiger, bitterer Verſtimmung; um ſo mehr
durfte man vorausſetzen, daß er der neuen Ordnung
der Dinge geneigt ſey. Auch fanden ihn die Unſrigen,
als ſie das Land uͤberzogen, einſam auf ſeinem Schloſſe,
hoͤflich, aber finſter und, wie es ſchien, ohne alle Theil¬
nahme an dem, was hinter ſeinen Bergen vorging.
Seine groͤßte Freude war ein Toͤchterchen, ſein ein¬
ziges Kind, bei deſſen Geburt die Mutter geſtorben.
Mit ihr pflegte er, wenn alles ſchon ſchlief, die Zinne
des Schloſſes zu beſteigen, und zeigte ihr das Land,
das ehemals ihre Ahnen beherrſcht, ſo weit der Mond
die Waͤlder beleuchtete, und erzaͤhlte ihr halbe Naͤchte
hindurch von der alten großen Zeit und der fuͤrſtlichen
Freiheit, die ſich dem Zwang der Staͤdte nicht unter¬
werfe. Unter ſolchen Traͤumen wuchs das Fraͤulein
auf, und da der Krieg alles vereinzelte, ſo ſah ſie faſt
kein anderes Frauenzimmer, als ihre alte Amme, ein
hexenhaftes Weib, das von ihrem Vater, einem Zi¬
geuner, und ihrer Mutter einer gefangenen Araberin,
manch Zauberſtuͤckchen ererbt hatte, woran die Tradi¬
tion dieſer Staͤmme ſo reich iſt.“
„Aber unſeren Leuten blieb die junge Graͤfin
nicht lange verborgen, und die ſie ſahen, konnten nicht
genug erzaͤhlen, wie wunderbar ſchoͤn ſie war: ſchwarze
Locken, bleich mit brennendrothem Munde, die Augen
wie ein dunkeler Abgrund. Taͤglich nun flimmerte es
von franzoͤſiſchen Offizieren auf dem Schloſſe. Das
gefiel ihr wohl, ſie ritt und focht mit ihnen, und war
der beſte Schuͤtz auf der Jagd, ſo oft aber einer naͤher
trat mit verliebten Blicken oder Worten, ſah ſie ihn
verwundert an, und wußte nicht was er wollte, allen
gleich fern und fremd, wie ein Stern in kalter Win¬
ternacht. Das verlockte aber die luſtigen Geſellen nur
noch immer mehr auf's Glatteis, und ein huͤbſcher
junger Unterlieutenant — St. Val war ſein Name —
der ſo eben erſt aus der Militairſchule von Paris an¬
gekommen war und davon hoͤrte, verſchwor ſich moͤr¬
derlich, ſie muͤßte ſein werden, oder er wollte des
Teufels ſeyn!“
„Unterdeß wurden die Plaͤnkeleien in der Gegend
immer ernſter, die Offiziere hatten vollauf zu thun
und blieben aus, da konnte ſich die Graͤfin gar nicht
wiederfinden in die alte Einſamkeit und das einfoͤrmige
Rauſchen der Waͤlder. — So ſtand ſie auch eines
Abends allein mit der Amme vor dem Schloß. Der
Krieg ging unten wie eine luſtige Jagd durch die Berge,
zuweilen ſahen ſie fern in der Abendſonne ein Ge¬
ſchwader von Reitern aufblitzen, einzelne Trompeten
klangen heruͤber, dann verhallte und verdunkelte nach
und nach alles wieder, nur die Flammen brennender
Doͤrfer blieben am Horizonte ſtehn. Die Graͤfin ſah
lange ſtumm und unverwandt in das ferne Feuer,
dann brach ſie ſtill in Weinen aus und ſagte fuͤr ſich:
wie iſt das herrlich! ach, daß ich kein Mann gewor¬
den bin! ihnen gehoͤrt alles, ſie regieren die Welt. —
Die kluge Amme erwiederte: deſto beſſer, Kind, deſto
beſſer, denn die Frauen regieren wieder die Maͤnner. —
Wie ſo? — ſagte die Graͤfin und ſah ſie groß an,
daß ihr die Thraͤnen funkelnd in den ſchoͤnen Augen
ſtockten. — Nun, nun, antwortete die Alte, kein
ſchlanker Tiger verwundet ſo tief, als wenn ihr lacht
und ihnen die weißen Zaͤhnchen weiſt oder einen beim
Kuͤſſen heimlich damit beißt; keine buntgefleckte Schlange
iſt ſo ſchoͤn und ſtark, als eure Arme, wenn ihr
einen umſchlingt. — Die Graͤfin hoͤrte nur halb dar¬
auf und ſagte wie in Gedanken: darum habe ich im¬
mer in den alten Buͤchern meines Vaters geleſen, wie
Fuͤrſten und Koͤnige vor Maͤdchen knieten, und ihnen
treu und gehorſam waren bis in den Tod. — Ach,
liebe Amme, du weißt ſo viele Kuͤnſte von deinem Va¬
ter, kannſt du denn nicht machen, daß alle Maͤnner,
die mich ſehen, in Liebe entbrennen, und mir folgen
muͤſſen? — Hm, entgegnete die Amme zoͤgernd, wenn
nur — ich wuͤßte wohl —“
„ Die Graͤfin aber, deren Seele ganz erfuͤllt war
von dem Gedanken, hatte ſie ſchon am Arm gefaßt,
und draͤngte ſie ungeduldig fort: die Nacht ſey dunkel
und ſchwuͤl, alles ſchlafe ſchon im Schloß, es ſey
eben die rechte Zeit. — So gingen ſie weiter den
ſtillen Garten entlang bis an's einſamſte Ende. Un¬
terwegs ſagte die Amme: es iſt nichts Geringes, dem
Freier, den ich euch zuerſt zeigen werde, muͤßt ihr
den Ring vom Finger ziehn — aber laßt's euch nicht
anfechten, wann er etwas bleich und wirre ſieht —
den Ring druͤckt ihr an's Herz bis es blutet, dann
iſt euer Herz Liebefeſt, und eure Augen werden ſchoͤn
funkeln wie der Stein im Ringe, der arme Junge
aber muß ſterben. — Hier waren ſie an altes zerfal¬
lenes Gemaͤuer gekommen, die Amme holte ein weißes
Staͤbchen aus einem hohlen Baumſtamme, da ſchwirr¬
ten ploͤtzlich Fledermaͤuſe hervor und ſchlugen mit den
Fluͤgeln in den Zweigen, eine Schlange fuhr raſch zwi¬
ſchen das Geſtein, unter dem ſie eine dicke Kroͤte mit
großen roͤthlichen Augen anſah. Hoho, biſt du auch
da, Großmutter, lachte die Alte und ſchien luſtig auf
zigeuneriſch mit den Thieren zu ſprechen. Darauf
tauchte ſie Haͤnde und Stab in einen Topf, daß ſie
hell leuchteten, und beſchrieb unverſtaͤndlich murmelnd
einen feurigen Kreis, bei deſſen gruͤngoldenem Glanz
die Eidechſen neugierig im Graſe hervorſchluͤpften. Die
Graͤfin ſtand mitten drin, es war ihr wie im Traume,
als fingen die Blumen, Buͤſche und Waͤlder in der
ſtillen Runde leiſe zu ſingen an, Johanniswuͤrmchen
zogen leuchtend um ihr Haupt, ſo ſah ſie mit tiefer,
tiefer Luſt vom Berg uͤber die mondbeſchienene Gegend
und in den weiten, geſtirnten Himmel hinein. — Die
Amme aber ſchien in großer Unruhe, die Schwei߬
tropfen ſtanden auf ihrer Stirn. Siehſt du noch im¬
mer nichts? fragte ſie manchmal leiſe dazwiſchen.
Aber nur ein Hund bellte aus dem fernen Dorf, dann
war alles wieder ſtill, die Graͤfin hielt den Athem an
vor Erwartung. Auf einmal fuhren beide zuſammen —
ein fremder Mann, dicht im Mantel verhuͤllt, trat
ploͤtzlich in der Ferne zwiſchen den Baͤumen hervor.
Um Gotteswillen! rief die Amme und fluͤſterte noch
etwas in der hoͤchſten Angſt. Aber die Graͤfin, wie
ein Falk in den Luͤften haͤngend, ſtuͤrzte mit unmenſch¬
licher Luſt ſchon auf ihre Beute. Der Fremde er¬
ſchrak heftig, erholte ſich aber, da er ein Weib vor
ſich erblickte. Sie ſah ihn groß an, ſie kannte ihn
nicht. Auf ihre Frage: wo er hin wolle, erwiederte
er zoͤgernd und ſichtbar verwirrt, er wolle der ſchoͤnen
jungen Graͤfin ein Staͤndchen bringen. Der Wind
ſchlug ein wenig ſeinen Mantel auf, da fiel es ihr
ſeltſam auf's Herz, daß es ein franzoͤſiſcher Offizier,
doch ſagte ſie nichts, aber ihre Blicke gingen ſcharf
ſeitwaͤrts in die Dunkelheit, denn es war ihr, als
hoͤrte ſie etwas heimlich durch den Garten huſchen und
Pferde ſchnauben in der Ferne. — Kannſt du mir die
Fenſter zeigen, wo ſie ſchlaͤft? ſagte der Fremde wie¬
der, und da ſie ihm gefiel, umſchlang er ſie mit einem
Arme. Die Graͤfin beſann ſich einen Augenblick.
Warum nicht! ſagte ſie dann ſchnell, wenn ihr mir
euren ſchoͤnen Ring gebt zum Lohne; aber euren Man¬
tel muͤßt ihr mir borgen, damit man mich nicht er¬
kennt. Der verliebte Offizier hing ihr ſelbſt den Mantel
um, und meinte dabei, ihre aufgeringelten Locken
ſaͤhen wie Schlangen aus bei Nacht. Sie aber hatte
ſchon ganz andere Gedanken, und als er eben den
9
Ring vom Finger zog, ergriff ſie raſch ein Piſtol, das
er unter dem Rock auf der Bruſt trug, und ſtieß ihn
damit ruͤcklings von der Rampe auf der ſie ſtanden.
— Sie iſt im Garten, greift die kleine Hexe! rief
jetzt eine Stimme tiefer unten. Da druͤckte ſie ſchnell
ihr Piſtol ab und: Herr Jeſus! hoͤrte man unten die¬
ſelbe Stimme verhallen. Dann, ſich in den Mantel
wickelnd, rief ſie hinab: „mir nach, ſonſt ſeid ihr alle
verloren!“
„Aber es war alles ſchon zu ſpaͤt. Die Unſrigen,
die unerwartet erfahren, daß der Graf es heimlich mit
dem Feinde halte, hatten die dunkle Nacht benutzt,
das Schloß ohne Geraͤuſch beſchlichen und den Grafen
bereits gefangen in ihrer Mitte. Dieſer nun, als er
die Tochter an der Stimme erkannte, glaubte ſich von
ſeinem eigenen Kinde verrathen, in dieſer Verblendung
entriß er wuͤthend einem der Soldaten den Degen, um
ſie ſelbſt zu richten. Sein Leben war ihm nichts gegen
die Ehre und Freiheit; ſo ward ihm ſchnell die letzte
zu Theil, indem die anderen Soldaten, da ſie ihn
nicht mehr aufhalten konnten, ihn von hinten mit vie¬
len Stichen durchbohrten. — Unterdeß aber war, wie
die Graͤfin vorausgeſehen, durch den Schuß alles mun¬
ter geworden. Gleichwie die Kraͤhen, wenn man
Nachts in die Wipfel ſchießt, ſich mit wildem Geſchrei
in die Luͤfte ſtuͤrzen, ſo brachen bewaffnete Jaͤger,
Bediente und Bauern, die damals einen leiſen Schlaf
hatten, ploͤtzlich aus allen Thuͤren, Hecken und Mauer¬
ritzen hervor. Die Unſrigen, als ſie ſich ſo umge¬
ben ſahen, folgten blindlings der Graͤfin, die ſie in
dem Offiziermantel fuͤr ihren Kapitain hielten. Sie
wollte ihrem Vater, den ſie noch im Schloſſe glaubte,
Zeit laſſen ſich zu retten, und fuͤhrte, immerfort win¬
kend, die verſtoͤrten Soldaten bis in den aͤußeren Hof,
wo ſie dem wilden Haufen grade in die Haͤnde rann¬
ten. Da rangen ſie, ſtill und grimmig in der Dun¬
kelheit Mann gegen Mann, die einen ums Leben, die
andern um den Leichnam ihres Herrn; die Graͤfin
hatte unterdeß eine Meute grauſamer Hunde losge¬
laſſen, welche in der Verwirrung die Fliehenden zer¬
riſſen, es war eine ſchreckliche Nacht. — Der Officier
aber, den die Graͤfin durch den Piſtolenſchuß ſo ſtill
gemacht, war derſelbe junge St. Val, der damals ſie
zu fangen geſchworen, und ſich nun vermeſſen zu dem
gefaͤhrlichen Kommando gedraͤngt hatte. Er war aber
nur verwundet und betaͤubt, und als er auf dem ſtil¬
len Platze einmal die Augen aufſchlug, ſah er wie im
Traum zum erſtenmal das Geſicht der Graͤfin zwiſchen
den ſchwarzen, herabwallenden Locken beim Wieder¬
ſchein einer Fackel uͤber ſich geneigt — er mußte die
Augen wieder ſchließen, ſo furchtbar ſchoͤn war der
Anblick.“ —
Hier wurde der Lord ploͤtzlich von der Fuͤrſtin
unterbrochen, die ſchon waͤhrend der ganzen Erzaͤhlung
9 *
eine ſeltſame Unruhe gezeigt und oͤfters aͤngſtlich nach
der Thuͤre geſehn hatte. Nein, das iſt gar zu traurig
vor dem Schlafengehen, rief ſie mit einem bedeuten¬
den Blick auf den Fuͤrſten, und ſchien aufbrechen zn
wollen. Dieſer aber, ganz vertieft in die Geſchichte,
merkte nicht darauf; ſo blutigroth alſo war ihr Auf¬
gang — ſagte er in Gedanken, und wollte durchaus
noch das Ende wiſſen. Der Lord ſtutzte, da aber der
Fuͤrſt von neuem in ihn drang und die andern mit
Blicken und Kopfnicken beiſtimmten, erzaͤhlte er ruhig
wieder weiter:
„Seit dieſer Stunde — ſo fuhr mein Rittmeiſter fort
— ſteht das Schloß wuͤſt und verlaſſen, aber die wilde
Graͤfin geht wie ein wunderbarer Spuk durchs Ge¬
birge. Oft nach naͤchtlichen Bivuaks, wenn die Sonne
uͤber der praͤchtigen Gegend aufgeht, erſcheint ſie am
Saume des Waldes zu Pferd im vollen Glanze der
Schoͤnheit; da ſchwingt ſich manch froͤhlicher Reiter
auf, ſie zu fangen, aber keiner von allen kehrte noch
jemals wieder zuruͤck. — Seltſam! es iſt ja doch nur
ein Weib. Seht, ich habe mein Liebchen in Frank¬
reich, mir ſoll ſie nur kommen, ich ſpuͤre eine rechte
Luſt, ihr einmal zu begegnen!“ —
„Dem armen St. Val aber ging es am ſchlimm¬
ſten. Das Bild der Graͤfin ſtand ſeit jener Nacht
unaufhoͤrlich vor ſeiner Seele, der luſtige Burſch wurde
ganz ſchwermuͤthig, und eines Abends war er ploͤtzlich
verſchwunden, wir wußten lange nicht wohin er ge¬
kommen. Er aber war an dieſem Abend, wie er da¬
mals oft zu thun pflegte, einſam in der Gegend her¬
umgeſchweift. Da hoͤrte er wunderſchoͤnen Klang in
der Abendluft wie eine Kriegs-Muſik aus der Ferne —
man ſagt, daß es in der Morgendaͤmmerung vor
großen Schlachten ſo in den Luͤften muſizirt — es
waren die Guerilla's, die im Gebirge ſangen. Die
Klaͤnge verlockten ihn, er ging wie im Traume immer¬
fort, ſo kam er in den Wald, wo damals die Graͤfin
hauſte. Die Abendſonne leuchtete durch's Gebirge als
ſtaͤnde alles in Feuer, die Voͤgel ſangen den funkeln¬
den Wald entlang, dazwiſchen hoͤrte er immerfort
Stimmen bald da, bald dort, darunter eine wie ein
Gloͤckchen bei Nacht, es klang ihm, als muͤßt' es die
Graͤfin ſelber ſeyn. Ihm graute, und doch mußt' er
der Stimme folgen. So war er ſchon lange gegan¬
gen, als er, ploͤtzlich um einen Felſen tretend, auf
einem ſtillen Raſenplatz uͤber den Wipfeln eine weib¬
liche Geſtalt, wie eingeſchlummert ſitzen ſah, die Stirn
uͤber beiden Armen auf die Kniee geſenkt, daß die
herabgefallenen reichen Locken ſie wie ein dunkler
Schleier umgaben. Sie hielt ein Roß am Zuͤgel, das
weidete ruhig neben ihr, von allen Seiten rauſchten
die Waͤlder herauf, ſonſt war's ſo ſtill daneben, daß
man die Quellen gehen hoͤrte. Und wie er noch ſo
ſtaunend ſtand in dieſer Einſamkeit, erblickte er ſeit¬
waͤrts in der Ferne einen Offizier von der deutſchen
Legion, der unten zwiſchen dem Gebuͤſch ſeine Buͤchſe
angelegt hatte, er wußte nicht, ob er auf ihn oder
die Schlummernde ziele, und machte erſchrocken eine
heftige Bewegung. Da ſchuͤttelte die Schlafende die
Locken aus den Augen und richtete ſich, in der Abend¬
glut mit den Steinen ihres Guͤrtels leuchtend, ploͤtzlich
auf. Der Deutſche, wie geblendet, ließ ſeine Buͤchſe
ſinken und verſchwand zwiſchen den Baͤumen; St.
Val aber erkannte mit Schauern die Graͤfin, denn
ihm fiel die Soldaten-Sage ein, daß es jedem den
Tod bedeute, der ſie unverſehens im Walde erblickt. —
Die Graͤfin aber ſah ſcharf nach allen Seiten, dann
ihn durchdringend an. Ihr ſeid ſehr vorwitzig, ſagte
ſie darauf, doch es wird ſchon ſpaͤt, ich bin ſo muͤde
und verirrt, zeigt mir den Weg aus dem Walde. Da
fiel es St. Val ploͤtzlich auf's Herz; er wußte, daß
die Franzoſen den Wald umzingelt hatten und in
welcher Gefahr ſie war, er wollte ſie retten, es koſte
was es wolle, und dann noch dieſe Nacht zu ſeinem
Regiment zuruͤck und ſich zu anderen Truppen verſetzen
laſſen, weit von dieſen Waͤldern. — Waͤhrend dieſe
Gedanken verworren durch ſeine Seele gingen, hatte
ſie ſchon ihr Pferd gezaͤumt; ſie befahl ihm unterdeß
zu ſatteln und lachte ihn aus, als er damit nicht zu¬
recht kommen konnte, dann ſchwang ſie ſich hinauf, er
mußte das Pferd am Zuͤgel fuͤhren. Sie ſaß ſeit¬
waͤrts auf einem Frauenſattel, auf ihrem Arm uͤber
den Hals des Pferdes gelehnt, und plauderte im Wal¬
desgruͤn unbekuͤmmert wie ein Kind in ihrer ſchoͤnen
melodiſchen Sprache, daß es St. Val war, als hoͤrte
er die ferne Muſik wieder in der ſtillen Abendluft, die
ihn vorhin verlockt hatte. — Auf einmal richtete ſie
ſich lauſchend auf, man hoͤrte franzoͤſiſch ſprechen dicht
unter ihnen. Sie lenkte vorſichtig hin nach den Stim¬
men, und durch das Gebuͤſch ſahen ſie einen Trupp
Reiter in ihren weißen Maͤnteln, die in der Dunkel¬
heit leuchteten, langſam voruͤberziehen — nur ein Laut
von St. Val, und die Graͤfin war verloren. — Sie
aber ſchaute mit kuͤhner Luſt hinab, wie man Nachts
in ein Gewitter ſieht, dann, ploͤtzlich ſich ſelbſt unter¬
brechend, ſtreckte ſie den Fuß gegen St. Val: er ſollt'
ihr das Schuhband binden, und laͤchelte ſpoͤttiſch, da
er's that.“ —
„Von dieſem Augenblick war er ganz in ihrer
Macht. Sie ſagte: ſie haͤtte ihn nur verſuchen wol¬
len, ob er's ehrlich meine, ſie wiſſe den Weg beſſer
als er, ſie wolle ihn heimfuͤhren. Mit dieſen Wor¬
ten lenkte ſie raſch herum, und in den Kluͤften bald
hernieder bald wieder aufwaͤrts, an ſchwindelnden Ab¬
gruͤnden voruͤber, ging es immer tiefer in die Nacht
und die Waͤlder hinein — er konnte kaum folgen
durch das Geſtruͤpp wie ein getreuer Hund, und als
ſie endlich unerwartet in's Freie kamen, ſah der Ent¬
ſetzte eine Guerillabande vor ſich im Waldgrund gela¬
gert. Unzaͤhlige Roͤhre, da ſie die franzoͤſiſche Uni¬
form erkannten, waren ploͤtzlich auf ihn gerichtet, aber
ein zorniger Blick der Graͤfin baͤndigte alle; die grim¬
migen Beſtien, ihre ſchwarzen Maͤhnen ſchuͤttelnd, zo¬
gen ſich knurrend zuruͤck und waͤrmten wieder ihre
Tatzen an den Wachtfeuern. Nun bemerkte St. Val
mit Erſtaunen, wie dieſe wilden Maͤnner die Graͤfin,
gleich einer Koͤnigin, verehrten und bedienten. Ein
junger Burſch hob ſie aus dem Sattel, einige breite¬
ten einen bunten Teppich uͤber den Raſen, waͤhrend
andere raſch ein luſtiges Zelt daruͤber aufſchlugen, dann
war auf einmal alles wieder ſtill und feierlich. Unter¬
deß war auch der Mond aufgegangen und beleuchtete
die Waͤlder. Die Graͤfin ſaß unter ihrem Zelt und
ſpielte auf einer Zitter, St. Val lag gedankenvoll zu
ihren Fuͤßen, ihm war noch nie ſo himmliſch wohl ge¬
weſen. — Es war eine von den praͤchtigen Sommer¬
naͤchten jenes Landes, die alles wunderbar in Traum
verwandeln. Die Graͤfin hatte ſich bald mit einem
Theil der Bande wieder entfernt, nur wenige bewaff¬
nete Bauern bewachten den Gefangenen, die Luft kam
von der Ebene und wehte Wohlgeruͤche aus den bluͤ¬
henden Gaͤrten herauf, die unter den Bergen lagen.
Da hoͤrte St. Val die Trompeten ſeines Regiments
durch die weite Stille heruͤberklingen, ſie blieſen ein
froͤhliches Reiterlied aus der alten guten Zeit. Das
wandte ihm das Herz, er war wieder ganz Franzoſe,
der die Ehre uͤber alles ſtellt. Er merkte gar wohl
an der geheimnißvollen Geſchaͤftigkeit der Abenteurer,
daß ſie einen Hauptſtreich vorhatten, da war kein
Augenblick zu verlieren. So, in hoͤchſter Angſt vor
dem Zelt ſitzend und umherſpaͤhend, ſann er eben, heim¬
lich zu entfliehen und die Seinigen zu warnen, als
auf einmal die ganze Bande mit Windlichtern wieder
aus dem Walde zuruͤckkehrte. Die Graͤfin, mitten
unter ihnen, tritt raſch hervor und, zwiſchen den ſchwei¬
fenden Lichtern mit den losgegangenen Locken wieder
uͤber ihn geneigt, wie in jener Nacht am Schloß,
blickt ſie ihn ſtreng an in ihrer ganzen furchtbaren
Schoͤnheit. Da ſpringt er auf, entreißt einem Bauer
die Fackel und, ganz verblendet und verwirrt, fuͤhrt er
ſelber den Haufen zum Ueberfall gegen ſeine Lands¬
leute! — So, raſch und ſchweigend gehen ſie durch den
ſtillen Wald —“
Kaum hatte der Rittmeiſter dieſe Worte ausge¬
ſprochen, als ploͤtzlich ein Schuß hinter uns fiel, und
bald ein zweiter und noch einer. Teufel! da iſt St.
Val! ſchrie der Rittmeiſter aufſpringend, und ich er¬
blickte in einem Erker des Schloſſes einen ſchoͤnen
jungen Mann, todtbleich beim Fackelſchein, ohne Hut
in einer halbzerriſſenen franzoͤſiſchen Uniform, hinter
ihm im rothen Widerſchein der Windlichter, der ſelt¬
ſam uͤber die verguͤldeten Waͤnde der Saͤle ſchweifte,
wurden wilde, trotzige Geſtalten mit Dolchen und lan¬
gen Vogelflinten ſichtbar, wie ſie der Rittmeiſter vor¬
hin beſchrieben. Sie ſchoſſen aus allen Fenſtern auf
uns, und mancher Franzoſe ſank in's Gras, eh ſich
unſer Haͤuflein nur beſinnen konnte. Unterdeß hatte
ſich das Geruͤcht verbreitet, die wilde Graͤfin ſey im
Schloſſe; der Rittmeiſter verlor keinen Augenblick den
Kopf, er traute mir nicht mehr in ſolcher Gefahr und
ließ mich tiefer in den Wald zuruͤckbringen, dann
erbrachen ſie mit gewaltiger Anſtrengung Thor und
Riegel und drangen in die Burg hinein. Der erſte,
der ihnen dort begegnete, war St. Val, er focht wie
ein Raſender und ſtuͤrzte ſich zuletzt in wildem Wahn¬
ſinn ſelbſt in die franzoͤſiſchen Klingen.
Ueber ſeinen Leichnam nun ging der Kampf von
Treppe zu Treppe entſetzlich durch alle Gaͤnge. Die
Franzoſen waren kriegsgewandter und zahlreicher, als
ihre Gegner, die Graͤfin und die Ihrigen wurden
immer hoͤher hinaufgetrieben — es war keine Rettung
mehr fuͤr ſie. Da ſchlug ploͤtzlich aus dem einen Fen¬
ſter ein heller Schein hervor, dann wieder aus einem
andern, immer mehr roͤthliche Flammen zuͤngelten
ſchnell an allen Ecken auf, der Sturm faßte die wach¬
ſenden Lohen und wildkuͤhn kletterte das Feuer an den
Gebaͤlken empor, wie ein praͤchtiges Laubgewinde in
der Nacht, mitten in der Glut ſah man die dunklen
Geſtalten noch ringen. In dieſer Noth erblickte der
Rittmeiſter auf einmal die Graͤfin hoch uͤber ſich wie
den Todesengel zwiſchen den Flammen. Ihm vergin¬
gen die Sinne bei dem Anblick, er vergaß Heimath,
Liebchen und Ruhm, er wollte nur ſie retten oder ſter¬
ben. Vergebens riefen ihm die Seinigen nach, er
hoͤrte nicht mehr und drang verblendet die brennende
Treppe hinan, unter ſich in der wilden Beleuchtung
ſah er den Garten, die Schluͤfte und den Strom, der
wie eine gluͤhende Schlange an dem Schloſſe voruͤber¬
ſchoß — ſchon langte er nach ihr, ſie zu umſchlingen
und hinabzutragen, da ſtieß ſie ihn maͤchtig von der
Zinne hinab, daß die Flammen wie fliegende Fahnen
den braven Soldaten bedeckten.
Bald darauf ſtuͤrzte der ganze Bau donnernd
uͤber Freund und Feind zuſammen — man hat ſeitdem
die Graͤfin nicht wieder geſehen.
Alles ſchwieg, als der Lord endigte, nur der Ba¬
ron, der waͤhrend der Erzaͤhlung eingeſchlummert war,
fuhr auf ſeinem Stuhle erſchrocken auf uͤber die ploͤtz¬
liche Stille. — Nun — und weiter? ſagte endlich der
Fuͤrſt ganz zerſtreut. — Der Lord ſah ihn verwundert
an. Was wollen Sie noch weiter in der ſpaniſchen
Nacht, nachdem dieſer ſchoͤne Stern geſunken? Das
Andere lohnt nicht mehr: da der Rittmeiſter todt war,
ergriffen die wenigen, noch uͤbrig gebliebenen Franzo¬
ſen voll Entſetzen die Flucht, auch meine Waͤchter wa¬
ren verſchwunden. Ich eilte nun in der neuen Frei¬
heit ſogleich zum Schloß, um die Graͤfin, von der ich
ſo viel gehoͤrt, wo moͤglich mit eigenen Augen zu
ſchauen — es war zu ſpaͤt. — Als ich aber an die
Brandſtaͤtte kam, da war's, als wuͤchſen dunkle Rei¬
tergeſtalten aus dem feurigen Boden, die wuͤhlten mit
ihren Degen in den Truͤmmern, daß uͤberall blaue
Flaͤmmchen aufſchlugen. Sie iſt mitverbrannt, hoͤrt'
ich einen von ihnen ſagen. — So war denn alles nur
ein praͤchtiger Traum! rief ein Anderer ſchmerzlich aus;
dann ſtuͤrzten ſie in den Wald, den Fluͤchtlingen nach.
— Spaͤter hoͤrte ich, daß die ſchwarzen Geſellen von
der engliſch-deutſchen Legion geweſen, welche das
Schloß hatten entſetzen wollen.
Und ſahen Sie den Offizier nicht, der ſie an¬
fuͤhrte? fragte der Fuͤrſt wieder. — Ich erblickte ihn
nur fern und fluͤchtig in der wilden Nacht, erwiederte
der Lord, bei meinem Regiment aber nannten ſie nach¬
her einen deutſchen Grafen: Victor von Hohenſtein. —
Nun wahrhaftig, ihr werdet uns am Ende gar
noch uͤberreden wollen, daß die Novelle wahr iſt, ſagte
hier die Fuͤrſtin, indem ſie ſich erhob und das Signal
zum allgemeinen Aufbruch gab. Man vermißte jetzt
erſt die Graͤfin Juanna. Der Baron ſagte, ſie pro¬
menire ſchon ſeit laͤnger als einer Stunde mit ſeiner
Tochter durch alle Winkel des Schloſſes und ſey da¬
durch um die ganze ſpaniſche Reitergeſchichte gekom¬
men. Er ergriff nun eine ſeidene Klingelſchnur und
zog erſt gelaſſen, dann immer heftiger, aber der Draht
war durch den langen Nichtgebrauch verroſtet, es
wollte durchaus nicht klingen, bis er endlich ganz
zornig zur Thuͤr hinausſchrie. Mehrere Bedienten, in
alten, verſchoſſenen Livreien ſtuͤrzten herein, und ſetzten
ſich mit maſſiven Armleuchtern an die Spitze des Zu¬
ges, den der Baron, die Fuͤrſtin an den Fingerſpitzen
haltend, feierlich eroͤffnete, in der Perſpective erblickte
man durch die offenen Fluͤgelthuͤren ein maͤchtiges
Himmelbett mit ſchwerſeidenen Gardinen und einem
Federbuſch daruͤber. Nun verliefen ſich auch die an¬
dern mit ihren Lichtern auf den verwirrten Gaͤngen;
es ſah von draußen aus, wie ein verbranntes Blatt
Papier, wo die Funken geſchaͤftig durcheinander irren,
bis endlich der letzte ploͤtzlich verliſcht.
Und als nun alles ruhig geworden im ganzen
Hauſe, ſtand der Fuͤrſt noch immer allein mit dem
Lord am offenen Fenſter eines dunklen Saals und
konnte nicht aufhoͤren, ihn uͤber die erzaͤhlte Begeben¬
heit immer genauer auszufragen. Das Gewitter drau¬
ßen war voruͤber, es blitzte nur noch von fern, ein¬
zelne zerriſſene Wolken flogen eilig uͤber den ſtillen
Hof. Da fuhr ploͤtzlich der Lord auf: Seht da, wahr¬
haftig die wilde Graͤfin! — der Mond war auf ein¬
mal zwiſchen den Wolken hervorgetreten und beleuch¬
tete fluͤchtig Juanna, die jenſeits noch auf dem Bal¬
kon ſtand. — Der Fuͤrſt aber ſchloß ſchnell das Fen¬
ſter. Still, ſtill, ſagte er zu dem erſtaunten Lord,
der dieſen Ausruf nur ſo gedankenlos hingeworfen, ver¬
rathet es niemand, daß Ihr ſie kennt. —
Eilftes Kapitel.
Ein praͤchtiges Schloß uͤber ſchimmernden Fernen,
ein bunter, fuͤrſtlicher Hofhalt, Komoͤdianten und ein
Liebchen im Gruͤn — was Wunder, daß Otto's froͤh¬
liches Studentenherz wie eine Lerche ſingend uͤber dem
phantaſtiſchen Herbſtſchmuck der Waͤlder hing! — Auch
Fortunat verſchob ſeine Abreiſe von einem Tag zum
andern, die geheimnißvolle Aufmerkſamkeit, womit man
ihn hier unbegreiflicherweiſe auszeichnete, wurde immer
auffallender. Er glich einem Fremden, der auf der
Durchreiſe, bevor der Poſtillon wieder blies, ſich auf
einige Minuten im Theater an einen Pfeiler gelehnt
und nun auf einmal gewahr wird, daß droben auf
den Brettern von ihm ſelber die Rede ſey und alle
Blicke ſich unheimlich auf ihn heften. Das Raͤthſel,
meinte er, muͤſſe jeden Augenblick ſich loͤſen, er wollte
wenigſtens den erſten Akt noch abwarten.
Am wunderlichſten aber war es Dryandern
ergangen. Sein Dichterruf oͤffnete ihm alle Fluͤgelthuͤ¬
ren des Schloſſes, da hatte ihn aber der Hofwind ſo
wacker gefaßt, daß er bald den Hut ſammt dem Kopfe
daruͤber verloren haͤtte. Die unverſchaͤmte Art, mit
der er ſich ſelbſt vergoͤtterte, ſein Witz und poetiſches
Wetterleuchten dazwiſchen, blendete, verwirrte und be¬
lebte alles, und eh' man ſich deſſen verſah, hatte der
Fuͤrſt ihn bei Hofe angeſtellt; die Schauſpieler mein¬
ten: als luſtigen Rath. Er ſelbſt aber nahm die
Sache ſehr ernſt, hielt einen Bedienten, mit dem er
ſich taͤglich zankte, kleidete ſich ſorgfaͤltig nach der neue¬
ſten Mode, ſprach nur franzoͤſiſch zu den Komoͤdian¬
ten, die es nicht verſtanden, und wies Lothario's Ge¬
laͤchter mit gruͤndlicher Verachtung zuruͤck.
Waͤhrenddeß hatte auch der junge, ſchoͤne Maler
Guido ſich immermehr in Kordelchens feingeſchlitzte
Augen vertieft, und entdeckte in dem muthwilligen
Maͤdchen taͤglich neue, unerhoͤrte, nur von der Gemein¬
heit ihrer Umgebung verſchuͤttete Talente, von denen
ſie ſelber nichts wiſſe. Strotzend von guten Vor¬
ſaͤtzen, voll Selbſtvertrauens und jugendlichen Glau¬
bens an Tugend und Liebe, ging er muthig darauf los,
ſie aus ihrer Verwilderung mit ſich emporzufluͤgeln. —
Eines Nachmittags ſaßen beide zuſammen in dem alt¬
modiſchen Ziergarten, der die Wohnung der Schau¬
ſpieler umgab. Sie ſtrickte einen Strumpf, er las ihr
Goethe's Taſſo vor. Zwiſchen den gruͤnen Taxuswaͤn¬
den ſchillerten von fern die reichen Thaͤler herauf,
bunte Schmetterlinge flatterten auf den halbverwilder¬
ten Blumenbeeten; die feierliche Pracht der Gaͤnge,
die Hermen roͤmiſcher Dichter, die in der Einſamkeit
umherſtanden, weiterhin uͤber den Buchenwipfeln das
heitere fuͤrſtliche Schloß — alles verſetzte ihn recht
mitten in das ſchoͤne Gedicht, er las ſich immer mehr
in's Feuer. — Wie ſchoͤn ſie iſt! rief da auf einmal
Kordelchen faſt traurig aus. Guido glaubte: die Prin¬
zeſſin im Stuͤck. Kordelchen aber meinte die Graͤfin
Juanna, die ſo eben, eine Laute im Arm, durch den
oberen Schloßgarten ging. Er ſah ihr ſelber nach,
bis ſie zwiſchen den Orangenbaͤumen wieder verſchwun¬
den war, dann fuhr er, etwas geſtoͤrt, weiter fort.
Aber ſeine Schuͤlerin war heute ganz zerſtreut. Haben
Sie geſtern, Abends, Lothario'n droben geſehen? unter¬
brach ſie ihn von neuem? ich glaube, er wollte ein
Staͤndchen bringen. — Guido wollte aus der Haut
fahren, er nickte ihr nur fluͤchtig zu, er war eben an
einer Lieblingsſtelle und deklamirte ſo eifrig fort, daß
ihm die Stirn davon roth wurde. Als er aber ein¬
mal uͤber das Buch hinwegſah, hatte Kordelchen gar
ihr Strickzeug weggelegt und den ganzen Schooß voll
Sternblumen. — Sie liebt ihn — ſie liebt ihn nicht
— ſagte ſie leiſe in Gedanken vor ſich hin, eine Blume
nach der andern zerpfluͤckend. — Guido ſtand auf,
klappte das Buch heftig zu und ſchob es in die Ta¬
ſche, ſeine begeiſterten Augen leuchteten im Zorne ſo
ſchoͤn unter den herabwallenden braunen Locken. Du
naͤrriſcher Junge! rief Kordelchen, ihn mit einem herz¬
haften Kuß feſthaltend. Da wanderte eben Otto vor¬
uͤber, und warf ihr einen veraͤchtlichen Blick zu. Sie
warf ihm dagegen lachend alle ihre Blumen nach, und
ſprang dann ſelber ſchnell in den Garten fort.
Unguͤnſtigeres aber haͤtte Otto'n in dieſem Augen¬
blick nicht begegnen koͤnnen, als der unerwartete An¬
blick dieſer Vertraulichkeit. Denn er ging ſo eben,
das Manuſcript eines Trauerſpiels unter dem Arme,
mit klopfendem Herzen nach dem alten Palaſt der
Schauſpieler, um es ihnen Behufs einer zu verhoffen¬
den Darſtellung vorzuleſen. — Er fand Herrn Sorti
und die uͤbrigen Stimmfuͤhrer der Geſellſchaft bereits
vor dem Hauſe in einer Wolke von Tabacksrauch zwi¬
ſchen hohen Bierglaͤſern um einen runden Tiſch ver¬
ſammelt. Zerſtreut und in Gedanken noch halb bei
Kordelchen, begann er mit unſicherer, faſt ſchuͤchterner
Stimme die Vorleſung. Doch bald faßte ihn der
raſche Strom der eigenen Dichtung, heiter glitt er an
den duftigen Geſtaden, Rebengelaͤndern und Burgen
hinab, und das ſtille Gluͤck der Stunden, ja die Ge¬
genden und Plaͤtze, wo er damals gedichtet, wehten
ihn wieder erfriſchend an. So las er immer ſchoͤner
und maͤchtiger, und bemerkte nicht, wie die Geſichter
10
ſeiner Zuhoͤrer nach und nach immer laͤnger wurden,
dort einer heimlich durch die Naſe gaͤhnte, da ein an¬
derer mit vornehmem Laͤcheln unverwandt ſein Bierglas
anſah. Und als er endlich ſchloß, erfolgte eine allge¬
meine Stille, daß man das Laub im Baume ſich be¬
wegen hoͤrte — ein Zuſtand, wobei einem jungen Au¬
tor die Gedanken ploͤtzlich zu Eiszapfen gefrieren koͤnnen.
Schoͤn — recht poetiſch, nahm endlich Sorti das
Wort, aber auffuͤhren — Keine Drucker, platzte Ru¬
precht heraus. — Zuviel Verwandlungen, meinte ein
anderer — Kein einziger brillanter Abgang. — Aber
was hat denn alle das Teufelszeug mit meinem Ge¬
dicht zu ſchaffen? fragte der erſtaunte Otto in ſeiner
poetiſchen Unſchuld. — Wird ſich ſchon geben, mein
Liebſter, entgegnete Sorti gelaſſen, wird ſich nach und
nach ſchon geben mit der zunehmenden Buͤhnenkennt¬
niß. — Nun ſteckten alle die Naſen in das Heft, und
ein jeder fing an, nach ſeiner Art daran zu maͤkeln.
Der Dialog war zu phantaſtiſch, er ſollte noch ein¬
mal uͤberarbeitet, herabgeſtimmt und natuͤrlicher ge¬
macht werden. Der Held dagegen erſchien allen zu
einfach, die Dame gar zu verliebt. — Da hielt ſich
Otto nicht laͤnger, dieſe Maͤdchengeſtalt war ihm ge¬
rade die ſchoͤnſte, er hatte ſich, wie es jungen Dich¬
tern wohl begegnet, nach und nach im Schreiben ſel¬
ber in ſie verliebt. — Das Lieblichſte, rief er aus,
das Heimlichſte, Wahrſte und Beſte, was ich wußte,
hab' ich gegeben, und nicht einen Buchſtaben aͤndere
ich an dem ganzen Stuͤck! — Hiermit ſchleuderte er
das Manuſcript zornig auf den Tiſch und ging raſch
in den Garten fort, und es war ihm in einiger Ent¬
fernung, als hoͤrte er die Schauſpieler hinter ſich
lachen.
In dieſem heftig bewegten Zuſtande begegnete er
Lothario'n, der ihm ſehr bald die ganze Geſchichte
abgefragt hatte und darauf in ein tolles Gelaͤchter
ausbrach. Darf man erfahren, woruͤber Sie lachen?
fragte Otto empfindlich. Weil Sie, erwiederte Lotha¬
rio, durch dieſe gluͤckliche Begebenheit hoffentlich auf
den naͤchſten Weg gerathen ſind, ſich der theatraliſchen
Flauſen gaͤnzlich zu entſchlagen. Otto ſah ihn ver¬
wundert an. Aber Lothario ließ ſich nicht irre ma¬
chen. Ueberlegt doch nur ſelbſt, fuhr er fort, was
wollen ſie denn eigentlich! Ein großer, ſtarker Kerl,
der ploͤtzlich herausſtuͤrzt und recitativiſch ſchreit: ich
fuͤrcht' mich vor dem Tode nicht! ein Poſaunenſtoß
oder ein Paar Striche uͤber die große Baßgeige dazu
— das iſt ein Held. Ein zimperlich Ding, etwas
verliebt und etwas tugendhaft und ſehr geſchnuͤrt, das
in Jamben ſpricht und mit den Logen kokettirt —
das iſt eine Jungfrau. Ein Korb voll Kaldaunen,
der nach Tiſche zur Verdauung Poeſie treibt und in
Romeo und Julie eines gemalten Pomeranzenbaums
bedarf, um ſich nach Italien zu verſetzen: das iſt das
10*
Publikum. — Und dennoch, erwiederte Otto nach einer
kurzen Pauſe, wenn alle ſo daͤchten, ſo muͤßte die
dramatiſche Poeſie in der Luft ſpielen und die Buͤhne
zu Grunde gehen. — Ja, das hoff' ich auch! ſagte
Lothario, die Dichter muͤſſen nur nicht nachgeben, ſon¬
dern die Theater poetiſch aushungern, ſie an ihrer eige¬
nen Miſere und Langweiligkeit allmaͤhlig verſchmach¬
etnverſchmach¬
ten laſſen und unterdeß draußen friſch und keck die
Welt auf ihre eigne Hand dramatiſiren. Das Publi¬
kum iſt ſo dumm gerade nicht, wie es ausſieht. Iſt
es erſt im Buch an die urſpruͤngliche Schoͤnheit wie¬
der gewoͤhnt, ſo wird es auch die Buͤhnen ſchon zwin¬
gen, ſich zu accommodiren. Aus der alten guten
Poeſie kann ſich ein neues Theater bilden, nimmer¬
mehr aber eine neue Poeſie aus den kranken Geluͤſten
des Publikums und der Pedanterei der Theatermaſchi¬
niſten. Und uͤberhaupt, junger Menſch, fuhr er fort,
wollt Ihr ein Dichter werden — und ich meine, Ihr
habt die ungluͤckliche Dispoſition dazu — ſo muͤßt Ihr
Euch ein fuͤr allemal daran gewoͤhnen, fuͤr die Hand¬
voll Geſcheuter im Lande zu dichten und nach den
andern nicht zu fragen. Vor allem aber muͤßt Ihr
Euch hier von uns Komoͤdianten und Frauenzimmern
losmachen, denn wer ſich ſo in der Rumpelkammer des
Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermaͤuſe an
den Kopf, und es waͤre Schade um Euer weiches
Flachshaar.
Otto zuͤrnte wie ein Maͤdchen. Lothario aber, in
ſeinem kuͤhnen Weſen, griff wie ein eiſiger Morgen¬
wind durch alle Saiten ſeiner wunden Seele. Auch
hatte es Otto ja mit eigenen Augen geſehen: Kordel¬
chen war treulos, das Brettergeruͤſt ſeines getraͤumten
Buͤhnenruhms zertruͤmmert, er kam ſich nach den heu¬
tigen Erfahrungen nun ſelbſt hier kahl und erbaͤrmlich
vor. Und ſo geſchah es, daß er, ehe ſie noch das
Ende des Gartens erreichten, dem harten Freunde mit
dem Ungeſtuͤm eines friſchen Entſchluſſes die Hand
darauf gab, ſogleich weiter zu reiſen, um ungeſtoͤrt
und mit ſtrengem Ernſte ganz der Dichtkunſt zu leben.
— Nun fehlte es aber wieder am noͤthigen Reiſegeld
zur Ausfuͤhrung eines ſo loͤblichen Vorſatzes. — Lo¬
thario machte bei dieſer Bemerkung eine lebhafte Be¬
wegung und ſchien einen raſchen Vorſchlag auf dem
Herzen zu haben, ſchwieg aber ploͤtzlich. — Da ſtan¬
den ſie ſo eben vor Dryanders Thuͤr. Halt! ſagte er,
hier wohnt Fortuna's Hofnarr, da wollen wir anklo¬
pfen, kommen Sie nur geſchwind.
Mit dieſen Worten draͤngte er den Zoͤgernden in
das Haus hinein. Ein Bedienter empfing ſie in der
Vorſtube und wollte anmelden. Der Schauſpieler
ſchob ihn aber laͤchelnd zur Seite und trat ohne wei¬
teres in das Zimmer. Hier war durch tief herabhaͤn¬
gende, gruͤnſeidene Gardinen ein kuͤnſtliches Halblicht
verbreitet, ein zierlicher, bronzener Opferaltar auf dem
Mahagonitiſch erfuͤllte das Gemach mit Wohlgeruͤchen,
Dryander ſelbſt, in einem feinperkalenen Negligée,
ruhte mit einem Papier in der Hand nachlaͤſſig auf
einer Ottomane. Er blinzelte die Eintretenden vor¬
nehm an, als koͤnnte er ſie nicht gleich erkennen, fal¬
tete und verſiegelte erſt den Brief und klingelte nach
dem Bedienten: an Se. Durchlaucht, aber ſogleich. —
Dann ſprang er auf und noͤthigte die Gaͤſte verbind¬
lich auf das Sopha. — Lothario, als ſie ſich feierlich
niedergelaſſen, druͤckte mit devoter Stimme ihre lang¬
verhaltene Freude uͤber ſeinen ſehr ergoͤtzlichen Gluͤcks¬
wechſel aus. Mich hat es nicht im geringſten uͤber¬
raſcht, verehrter Hofrath, ſagte er, du ſtrebteſt von
jeher oben hinaus: keine Dachſtube war dir zu hoch,
du hatteſt ſchon damals immer die beſten Ausſichten.
— Dryander, hofmaͤnniſch uͤberhoͤrend, wandte ſich, ohne
darauf zu antworten, zu Otto, ihn ſeiner beſonderen
Theilnahme an ſeinem ſchoͤnen Talent verſichernd, doch
muͤſſe er ihm als Freund rathen, ſeinen Umgang ſorgfaͤl¬
tiger zu waͤhlen. — Eben darum, unterbrach ihn Lothario,
hat dieſer junge Mann einen feſten Entſchluß gefaßt.
Du haſt geſtern dein Gehalt bezogen und brauchſt es
nicht; wir wollten daher gehorſamſt bitten, ob du viel¬
leicht die Guͤte haben moͤchteſt, ihm unter die Arme
zu greifen — ein kleines Darlehn — auf kurze Friſt —
er will nach Italien. — Nach Italien? rief Dryan¬
der aus, in das goͤttliche Land — Ja, wo, nach Goͤ¬
the, die Citronen bluͤhn, fiel Lothario ein. — Meine
Verbindungen hier bei Hofe, ich kann Ihnen vielleicht
nuͤtzlich ſeyn, fuhr Dryander fort, auch kenne ich meh¬
rere Perſonen von Rang in Rom, Neapel, mein
Freund der Duca — Degli Lazzaroni, meinte Lotha¬
rio, eine alte Familie, ich glaube, ihr ſeyd verwandt.
— Otto ſtand hochroth und entruͤſtet auf. — Ich be¬
daure nur, ſagte Dryander, gleichfalls aufbrechend,
daß in dieſem Augenblick dringende Amtsgeſchaͤfte —
es wird mir aber ſehr erfreulich ſeyn, Sie vor Ihrer
Abreiſe — Allerliebſter Hofrath! rief hier ploͤtzlich Lo¬
thario, ſeine Hand faſſend: jetzt tanz' noch eine Me¬
nuett mit mir. — Dryander maß ihn mit veraͤchtli¬
chen Blicken. — Oder ſoll ich dich morgen vor dem
ganzen Hofe auffordern? Du kennſt ja meine Ku¬
chenreuter, ſagte Lothario. — Der Hofrath wollte
haſtig klingeln. — Tanz' — wiederholte Lothario war¬
nend. — Da ſtellte ſich Dryander mit teufliſchem Laͤ¬
cheln in Poſitur, Lothario ſang vergnuͤgt die Menuett
à la Vigano, ſo fuͤhrten ſie auf dem bunten Teppich
grazioͤs mehrere Touren aus, und es war wunderlich
anzuſehen, wie Dryander ſeinen Gegner mit den Augen
erſtechen wollte, ſo oft ſie feierlich an einander vor¬
uͤberſchwebten. Dann geleitete ihn Lothario an den
Fingerſpitzen bis zum Sopha, machte eine tiefe Ver¬
beugung und entfernte ſich mit dem verlegenen Otto,
der gar nicht wußte, wie ihm geſchehen.
Das war eine geſunde Motion — ſagte Lothario
lachend — als ſie draußen waren — aber Menſch,
ſehen Sie nicht ſo truͤbe aus! Schreiben Sie noch
heut nach Hohenſtein um Geld, treu, klar und auf¬
richtig; Sie kriegen des Plunders genug; wer ehrlich
will, was er ſoll, der kann auch, was er will! —
Mit dieſen Worten wandte er ſich wieder in den Gar¬
ten. Otto ſtand noch lange zweifelnd ſtill, dann aber
eilte er auf ſein einſames Stuͤbchen, um ſogleich den
guten Rath zu befolgen. — Als er oben am offenen
Fenſter ſaß, tanzte ſchon das Abendgold durch das
Weinlaub ſo luſtig uͤber das reine Blatt vor ihm. Er
ſtand oft im Schreiben auf und lehnte ſich zum Fen¬
ſter hinaus. Die Abendſonne beſchien draußen die
herbſtliche Gegend, die Wandervoͤgel zogen uͤber das
Haus fort, ſeine ganze Seele war voll froͤhlicher Ver¬
heißung und zog mit ihnen in die ſchoͤne, wunderbare
Ferne hinaus.
Waͤhrenddeß kehrte unten der Fuͤrſt mit mehreren
Begleitern von einem Ausfluge heim. Sie ritten zwi¬
ſchen den einſamen Felſenwaͤnden den kuͤhlen Strom
entlang, die Waͤlder gluͤhten im buntfarbigen Herbſt¬
ſchmuck. Da erblickten ſie hoch uͤber ſich auf einem
uͤberhangenden Felſen die Graͤfin Juanna, unter wil¬
den Waldblumen nach dem Strome hinabgebeugt, daß
die dunklen Locken Stirn und Wangen bedeckten. —
Lureley! — ſagte der Fuͤrſt wie in Gedanken zu ſei¬
nen Begleitern, die geblendet hinaufſchauten. —
Aber er ſelber war ſchon in ihrem Bann, und
als ſie am Schloſſe angekommen, hatte er ſich unbe¬
merkt entfernt und ſtieg allein haſtig und verwirrt
durch die ſchoͤne Einſamkeit hinauf. Er kannte von
ſeinen Jagden den wenig betretenen Fußſteig zur Hoͤh',
Juanna fuhr erſchrocken auf, als er ſo eben ploͤtzlich
durch das Gebuͤſch brach und neben ihr auf die Knie
ſank, ihre Hand mit gluͤhenden Kuͤſſen bedeckend. Sie
ſchwieg und ſah ihn lange durchdringend an. Still,
ſtill — ſagte ſie dann, hier kann man uns vom
Schloß aus ſehen. — Hiermit ergriff ſie ſeine Hand
und fuͤhrte ihn raſch durch die Hecken, uͤber ſchmale
Felsruͤcken an jaͤhen Abgruͤnden vorbei. Durch ſeine
Seele gingen wechſelnd Furcht und Hoffnung, wie die
Schatten im Walde. Wo wandern wir hin? fragte
er endlich betroffen, denn die gruͤnen Plaͤtze kamen ihm
ſo bekannt vor, das Abendroth ſpielte, wie die alte
ſchoͤne Zeit, daruͤber. So traten ſie auf einmal zwi¬
ſchen den Baͤumen heraus und erblickten unter einzel¬
nen Tannen ein kleines Haus mit einem ſtillen, zierli¬
chen Gaͤrtchen davor. — Der Fuͤrſt draͤngte erſchrocken
weiter. Hier wollen wir ausruhen, ſagte Juanna, ihn
feſthaltend. Er ſchaute nun unverwandt hinuͤber, wie
in einen Traum. Eine alte, blinde Frau ſaß in der
Abendſonne vor der Thuͤr, ein ſchoͤnes bleiches Maͤd¬
chen ging ſingend vor ihr im Garten auf und nieder.
Da erblickte ſie auf einmal den Fuͤrſten, und floh wie
ein erſchrecktes Kind zu der Mutter und ſetzte ſich zu
ihren Fuͤßen in's Gras. — Was haſt du denn? fragte
die Blinde. Das Maͤdchen ſagte: es gehe ein Engel
im Abendſcheine durch den Wald, ein anderer ſtehe
neben ihm, der werfe einen langen Schatten weit uͤber
den Wald und die Thaͤler, ach es dunkelt ſchon, und
er kommt noch immer nicht wieder! — Sie druͤckte
ihr Geſicht in den Schooß der Mutter und weinte
bitterlich.
Der Fuͤrſt wandte ſich ab. Es war das Jaͤger¬
maͤdchen, das er ſo oft in fruͤheren Jahren heimlich
beſucht. Ihr Herz war gebrochen, da ſie in ihrem
Liebſten den Fuͤrſten erkannt, nun war ſie lange wahn¬
ſinnig, er hatte ſie faſt vergeſſen. — Die Abendgluth
blickte noch einmal durch den Wald herauf, daß die
Gegend ploͤtzlich ganz fremd und wie verwandelt er¬
ſchien, Juanna's Augen funkelten beinah toͤdtlich, er
hielt ſie nicht laͤnger aus, und floh tief erſchuͤttert von
dem entſetzlichen Ort.
Sie aber war unterdeß in das Gaͤrtchen getreten
und ſprach troſtreich zu der Blinden und ihrem armen
Kind, und warf ihr, ehe ſie weiterging, einige Gold¬
ſtuͤcke in den Schooß. Da betete die Alte ſtill vor
ſich, denn nun glaubte ſie's ſelbſt auch, daß in der
Abendſtille ein Engel an ihrem Hauſe voruͤbergegan¬
gen. — Waͤhrenddeß ſtieg der Maler Albert, bis an
die Zaͤhne bewaffnet, ſtill und ernſt den Waldberg
hinan. Er hatte vorhin die Graͤfin auf dem Felſen,
dann den Fuͤrſten heimlich hinaufſchleichen geſehen und
in ſeiner Tugendhaftigkeit ſogleich beſchloſſen, mit Gut
und Blut die Unſchuld zu beſchuͤtzen. Die Nacht war
ſchon hereingebrochen, die ganze Gegend ſtand wie in
Gedanken im Mondglanz umher, und als Juanna
wieder im Schloß an ihrem Fenſter ſtand, hoͤrte ſie
unter ſich den Strom aufrauſchen, wie von Ruder¬
ſchlaͤgen. Es war Lothario, der unten auf einem Na¬
chen voruͤberfuhr und ſang, ſie konnte durch den Nacht¬
wind nur folgende Worte verſtehen:
Wetterleuchten fern im Dunkeln,
Wunderbar die Berge ſtehn,
Nur die Baͤche manchmal funkeln,
Die im Grund verworren gehn,
Und ich ſchaue froherſchrocken
Wie in eines Traumes Pracht —
Schuͤttle nur die dunklen Locken,
Deine Augen ſind die Nacht!
Der Nachtwaͤchter unter den Fenſtern aber ſchuͤt¬
telte den Kopf und ſah zu ſeiner Verwunderung auf
dem Felſen druͤben eine lange Geſtalt, auf ihr Schwert
geſtuͤtzt, die halbe Nacht hindurch gleich einer verlornen
Schildwacht ſtehen.
Zwölftes Kapitel.
Es kann ein Menſch lange Zeit in den beſten
Grundſaͤtzen wie ein Schneemann eingefroren ſitzen,
aber die luſtigen Fruͤhlingsbaͤche unterwaſchen ſchon
heimlich plaudernd und neckend den Sitz unter ihm —
ein Laut, der leiſe Flug eines Vogels: und er ſtuͤrzt
kopfuͤber und verſchuͤttet alle guten Vorſaͤtze wieder. —
So erging es Dryandern.
Es war ein ſchoͤner, ſtiller Abend, da ging die
Fuͤrſtin allein in einem entlegenen Theile des Gartens
ſpaziren, ſie ſchien unruhig, oft blieb ſie ſtehen und
hoͤrte zu, wie die Schauſpieler unten ſangen. Aber
die kluge Kordelchen hatte ſie ſchon aus der Ferne be¬
merkt, Lothario fehlte heut wider ſeine Gewohnheit
bei dem Geſange — ſie hatte ihre eignen Gedanken.
So begegnete ſie Dryandern am Eingange des Parks,
da flog ihr ploͤtzlich ein Anſchlag durch den Kopf.
Endlich finde ich Sie! fluͤſterte ſie ihm geheimni߬
voll zu, die Fuͤrſtin, dort, ſie erwartet ſie. Aber ſtill
— ſagte ſie, den Finger auf den Mund legend, und
verſchluͤpfte ſchnell wieder zwiſchen den Baͤumen. —
Eitelkeit macht dumm. Der uͤberraſchte Dryander
uͤberblaͤtterte geſchwind das Gluͤcksbuch ſeiner hieſigen
Anſtellung, jedes Blatt rauſchte ihm ploͤtzlich wie die
Schleppe der Fuͤrſtin, nun verſtand er erſt alles, ja er
uͤberredete ſich in allem Ernſte ſelber laͤngſt in die
Fuͤrſtin ſterblich verliebt zu ſeyn. So, im Garten
fortrennend, umſpann er ſich immer hitziger mit dem
tollſten Roman, und als nun die ſchlanke Geſtalt in
einem dunkelen Bogengaͤnge auf einmal vor ihm ſtand,
uͤberſchuͤttete er ſie athemlos, ohne Eingang und Vor¬
bereitung, verworren mit der gluͤhendſten Liebeserklaͤ¬
rung. Die Fuͤrſtin, da er ſo auf ſie losſtuͤrmte, ſtand
erſt verwundert, dann laͤchelte ſie fein und ſtill, es fiel
ihr nicht ein, daß er ſich einbilden koͤnnte, ſie meine
ihn. — Taſſo! ſagte ſie ſcherzhaft warnend, wir ſind
hier nicht in Belriguardo. — Indem ſie aber den
Handſchuh ausziehen wollte, um ihm ihre weiße Hand
zum Kuß zu reichen, fiel ein Mondſtrahl durch das
Laub auf Stirn und Mund. Da kam ſie Dryan¬
dern ſchon eigentlich etwas alt vor, ſie gefiel ihm auf
einmal gar nicht, und ſeine Gedanken ſchlugen ihm
unwillkuͤhrlich um, wie Milch beim Wetterleuchten.
O Gott, Fuͤrſtin! rief er aus, die Nacht iſt eine
wilde, phantaſtiſche Blume, berauſchenden Duft ver-
ſtreuend, ſchoͤne gefallene Engel wiegen ſich auf den
Blaͤttern und ſingen im Traume von den Sternen,
wo ſie ſonſt gewohnt, und zwiſchen den traͤumenden
Kaiſerkronen und Bluͤtenglocken fluͤſternd, ringelt die
alte Schlange ſich leiſe empor und von ihrem Kroͤnlein
loͤſen ſich gruͤngoldene Funken und ſchwaͤrmen durch
das Bluͤtengeflecht, und in ihrem ſtreifenden Wider¬
ſchein ſehen die Geſichter leichenblaß, wie Sie jetzt,
Fuͤrſtin, im Mondlicht. — So redete er ſich nach
und nach in die Tugend und tragiſches Weſen hinein,
ſprach entſetzlich von der Suͤnde, immer begeiſterter,
wilder und herzzerſchneidend. Die Fuͤrſtin uͤberlief es
heimlich eiskalt dabei. Aber ſie bezwang ſich und un¬
terbrach ihn lachend: Der Duft der Nachtblume iſt
Ihnen zu Kopfe geſtiegen, gehen Sie nach Hauſe und
nehmen Sie ein Fußbad. — Dann wandte ſie ſich
ſtolz nach dem Schloſſe.
Dryander ſtand wie vom Donner geruͤhrt. Jetzt
wollte er ihr nach, ſie feſthalten, rannte aber in der
Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er
den Hut verlor. Er ſchimpfte ſich ſelbſt einen gefalle¬
nen Engel, der gotteslaͤſterlich die Unſchuld an die
Wand male, die ihn verfuͤhrt. So eilte er wie be¬
ſeſſen quer durch den Wald, in der Ferne verklang
eben noch die letzte Abendglocke, die Maͤdchen im
Dorfe unten ſangen vor den Hausthuͤren. Und als
er am Ende des Parks ploͤtzlich heraustrat, erblickte
er vor der letzten Huͤtte des Dorfs beim hellſten Mond¬
ſchein eine ſchoͤne Jungfrau, die er noch niemals geſe¬
hen, in reichem Gewand unter einer Linde ſitzend. Sie
hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schooß, ein
anderes ſtand auf ihr Knie geſtuͤtzt und ſah an ihr
empor, alle von einem weiten Schleier umgeben, durch
den die Sterne flimmerten, als waͤren ſie drein ge¬
wirkt. Da war's ihm, als haͤtte der Himmel ſich
barmherzig auf dieſen Huͤgel herabgeneigt, todtmuͤde,
außer ſich, warf er ſich zu ihren Fuͤßen auf den Ra¬
ſen hin, vor den unſchuldigen Augen. O heilige Jung¬
frau, bitte fuͤr mich! redete er ſie aus tiefſtem
Grund der Seele an, beſchuͤtze mich vor der wilden
Jagd — ich ſelber Hund und Wild — erloͤſe mich
von der inneren Luͤge! — Sie ſah ihn ernſthaft an,
ſie konnte vor den Kindern nicht aufſtehen. — Er aber
achtete nicht darauf; wie ein Kranker, der einen ſeli¬
gen Traum hat, ſprach er immerfort zu ihr und bot
ihr endlich geruͤhrt ſeine Hand an. Er wolle ſie mit
den Kindern auf einen Eſel ſetzen, ſo wollten ſie zie¬
hen durchs einſame Gebirg die Klippen hinab in der
ſchattigen Kuͤhle, alles hinter ſich laſſen und ver¬
geſſen, fort nach der blauen Ferne, bis in das ſtille
Himmelreich. — Was ſind das fuͤr Baͤlger? unter¬
brach er ſich hier ploͤtzlich ſelbſt, das Kind haſtig ab¬
wehrend, das mit den ſchmutzigen Haͤnden zu ihm
wollte. — Ich brachte ihnen Speiſe und Medicin,
erwiderte das Fraͤulein, ihre Mutter liegt drin krank
— — Krank?! rief Dryander ſchnell aufſpringend und
bedenklich nach der Huͤtte blickend, denn er hatte eine
aberglaͤubiſche Furcht vor Anſteckung. — Ein Bedien¬
ter mit einem Handkoͤrbchen war unterdeß aus dem
Hauſe dazugetreten, das Fraͤulein erhob ſich, wie er¬
loͤſt, von dem Raſen, und entfernte ſich raſch, noch
oͤfters furchtſam zuruͤckblickend. — In dem Gebuͤſch
daneben aber hoͤrte er ein feines Lachen, er glaubte
ein Frauenkleid durch die Zweige ſchimmern zu ſehen.
Es war Kordelchen, die ihm heimlich gefolgt.
Aber es bekam ihr ſchlimm. Denn ſie hatte ſich kaum
in ihrem Verſteck zurechtgeſetzt, da ſtuͤrzte Dryander,
wie ein Raſender, ſchreiend und tobend daher und
fuhr mit dem Kopf gerade in ihre Roͤcke. Sie ſprang
erſchrocken auf — eine Fledermaus, da er ſeinen Hut
im Wald gelaſſen, war ihm unverſehens in die Haare
geflogen und blickte, dort feſtgeneſtelt, mit ſtieren Augen
vom Kopfe des Dichters. Dieſer ſchrie, Kordelchen
ſchimpfte, keines mochte anfaſſen, daruͤber fuhren
Koͤpfe, Maͤgde und Kinder aus allen Fenſtern und
Thuͤren, die Hunde im Dorfe ſchlugen an, Dryander
nahm ganz verbluͤfft Reißaus, der Nachtwaͤchter, der
eben blaſen wollte, mit langen Schritten ihm nach —
ſo kam er athemlos nach Hauſe, wo er, endlich von
dem geſpenſtiſchen Unthier befreit, ſogleich zu Bett
ging und ſich feſt einbildete, todtkrank zu ſeyn.
Feine Lebensart iſt wie ein guter Firniß, den die
gemeine Luft nicht angreift; ſo war auch die Fuͤrſtin
ſeit jenem Abend ganz unveraͤndert; ſie erwaͤhnte des
Vorfalls mit keinem Wort, ſie mochte wohl ihre
Gruͤnde dazu haben. Dryander, da es ihn nicht mehr
intereſſirte, hatte laͤngſt alles wieder vergeſſen, bis auf
die ſchoͤne, mildthaͤtige Jungfrau vor der Huͤtte. Dieſe
aber war niemand anders, als Fraͤulein Trudchen von
dem wuͤſten Schloſſe des Barons. Die leichte, heitere
Art der vornehmen Gaͤſte bei dem fuͤrſtlichen Beſuche
hatte ſie ganz verblendet; wie nach Sonnenuntergang
flimmerte es noch lange in ihrer Einſamkeit nach, und
ſie hoͤrte nicht auf zu bitten und zu ſchmollen, bis der
Vater ſie endlich auf mehrere Wochen zu dem fuͤrſtli¬
chen Forſtmeiſter, ihrem Verwandten, hinuͤberſchickte,
um ſich zu bilden. — Dryander beſuchte nun regelmaͤ¬
ßig jeden Abend den Forſtmeiſter, disputirte mit den
dort haͤufig verſammelten Gutsbeſitzern, trank viel,
und verfolgte das Fraͤulein mit wahrhaft poetiſcher
Wuth. Er ſchleppte ihr unermuͤdlich Buͤcher zu: Goe¬
the, Shakeſpeare, Calderon, Cervantes, ſie mußte ge¬
ſchwind leſen, ihre Unwiſſenheit reizte ihn nur immer¬
mehr. Es war ihr alles ſo neu, im Hauſe hatten
alle großen Reſpekt vor ſeiner Gelehrſamkeit, er um¬
ſtrickte ſie ganz mit ſeinem leidenſchaftlichen Weſen. —
Die Schauspieler hatten insgeheim ihre große Freude
daran, und eines Abends kamen die Schalksnarren,
Ruprecht, Kordelchen, Fabitz, eins nach dem andern,
feierlich zu ihm, der eine brachte ein Gedicht, der an¬
dere einen dicken Blumenstrauß, und gratulirten zu ſei¬
ner morgigen Vermaͤhlung mit dem Fraͤulein. Er
11
ſtutzte, und lief ſogleich noch zum Forſtmeiſter hinuͤber.
— Es war ſchon ſpaͤt, er fand einen ſeltſamen Ru¬
mor im Hauſe, Spiegel und Kronleuchter wurden ge¬
putzt, Gaͤſte vom Lande waren angekommen, andere
wurden noch erwartet. Im Garten aber ſah er unter
den Pflaumenbaͤumen ein truͤbes Feuer gluͤhen, vor
dem ſich dunkle Geſtalten ſeltſam hin und her beweg¬
ten. Er eilte hin, und fand ſein Trudchen, eine
Schuͤrze vorgebunden und die Aermel aufgeſtreift, in
voller Arbeit vor dem Backofen, in welchen ſo eben
Kuchen geſchoben wurden. Neugierig und dienſteifrig
wollte er ihr helfen, um etwas Naͤheres zu erfahren.
Aber ſie hatte nicht viel Zeit, er war ihr uͤberall im
Wege, ſie ſtreifte ein Paarmal dicht an ihn an, daß
er auf der einen Seite ganz weiß von Mehl wurde.
Nun, nun, ſagte ſie, da er ſich eifrig abſtaͤubte, es
iſt ja nicht Ihr Hochzeitsfrack. — Wahrhaftig, rief
er, wo ſoll ich bis morgen einen beſſern hernehmen? —
Kommen Sie nur in dem, erwiederte ſie, und bringen
Sie ein huͤbſches Gedicht mit. — Er wollte ſie, da
die Maͤdchen eben in den Ofen ſahen, ſchnell haſchen
und kuͤſſen. Aber ſie hatte gerade den Kochloͤffel in
einen Topf voll Pflaumenmuß getunkt und fuhr ihm fix
damit uͤber den Mund. Morgen! ſagte ſie lachend,
und lief nach dem Hauſe. Er ſah ihr nach — es
war ihm, als fuͤhre ſie unter den Baͤumen wie eine
kleine Hexe auf dem Kochloͤffel davon.
Am folgenden Morgen war er ſchon fruͤhzeitig
auf dem Platz, in Schuh und Struͤmpfen, einen Klapp¬
hut unter dem Arm. In des Forſtmeiſters Hauſe
ſchien noch alles zu ſchlafen; er trat unbemerkt in den
ſtillen Gartenſaal. Dort war eine lange Tafel ſchon
feſtlich gedeckt, buntes Naſchwerk ſchimmerte zwiſchen
den kuͤnſtlich gefalteten Servietten, in der Mitte ein
praͤchtiger altmodiſcher Aufſatz mit Pomeranzenbaͤum¬
chen von Wachs und porzellanenen Goͤtterfiguren, die
ſich in dem Spiegelboden, wie in einem Weiher ver¬
doppelten. Er ſchritt neugierig auf und nieder und
koſtete alle Teller durch. Dann ging er in den Gar¬
ten, um in der Geſchwindigkeit noch die Rede zu me¬
moriren, die er an der Hochzeitstafel halten wollte.
Da ſangen aber die Voͤgel ſo ſpoͤttiſch und die ſchlan¬
ken Pappeln im Morgenwind verneigten ſich vor ihm,
als wollte ihm Alles gratuliren. Von einem umwach¬
ſenen Huͤgel konnte er gerade ins Haus ſeiner Liebſten
ſehen. Dort war es unterdeß auch ſchon lebendig ge¬
worden, er ſah, wie ſich Vettern und Baſen im feſt¬
lichen Staate verſammelten, immer neue Geſtalten
erſchienen an den Fenſtern, ein galantes Wirren,
Scharren und Knixen flimmernd durch einander, drau¬
ßen wurden Paſteten und ein hoher Baumkuchen ins
11*
Haus getragen, vom Jubel der Dorfjugend begleitet,
die eben zur Schule ging. — Er hatte ſich das alles
noch niemals ſo recht voraus uͤberlegt, jetzt aber befiel
ihn, allmaͤhlich wachſend, eine unwiderſtehliche Angſt
vor dem Heirathen, und als er eben in eine Allee hin¬
einbiegen wollte, erblickte er am anderen Ende gar
zwei alte Damen, die in taftenen Kleidern feierlich auf
ihn dahergerauſcht kamen. Da wandte er ſich ſchnell,
und entfloh in langen Saͤtzen unaufhaltſam durch den
Garten, am Dorfe voruͤber in die Berge hinein, es
war ihm, als verfolgte ihn Gott Hymen und klopfte
ſeine Fackel an ſeinem Kopfe aus, daß ihm die Fun¬
ken kniſternd um die Augen ſpruͤhten.
In dem Hauſe ging es unterdeß ſchon hoch her,
es war des Forſtmeiſters Geburtstag, kein Menſch
dachte an Hochzeit. Trudchen trat oft an's Fenſter
und ging immer wieder ganz boͤſe fort, daß Dryander
noch nicht kam. Auch der Baron, der ſich wie ge¬
woͤhnlich zu dem Feſte mit eingefunden, war begierig,
ihn zu ſehen, denn der Forſtmeiſter hatte ihm ſchon
von ſeiner Liebſchaft, ſeiner eintraͤglichen Stelle und
ſeinen bedeutenden Verbindungen am Hofe erzaͤhlt, und
der Baron in ſeinen verzweifelten Vermoͤgensumſtaͤn¬
den dachte ſogleich daran, ſeine Tochter unter die
Haube und ſich unter Dach zu bringen, ehe ſein eig¬
nes ihm uͤber dem Kopf zuſammenſtuͤrzte. Aber ver¬
geblich war mehreremal nach Dryanders Wohnung ge¬
ſchickt worden, man hatte ſich endlich zu Tiſch geſetzt,
die Unterhaltung wurde immer lauter, in dem Laͤrm
flogen ſchon Bonbons und bedeutende Bloͤcke zwiſchen
den jungen Leuten hin und her, vom Knall der Cham¬
pagnerflaſchen ſalutirt, als ſich auf einmal durch die
Diener vom Schloß her das Geruͤcht verbreitete, der
Hofrath ſey entſprungen und fern im Walde in vollem
Staat geſehen worden. Niemand wußte ſich's zu er¬
klaͤren, denn die Schauſpieler, die einen ſolchen Aus¬
gang nicht erwartet hatten, huͤteten ſich wohl zu ver¬
rathen, was ſie Dryandern eingeredet. — Trudchen
aber ſtand ploͤtzlich auf und ging hochroth hinaus. Da
wurde die Sache erſt recht auffallend, alle Blicke wa¬
ren auf die Fortgehende gerichtet, die Maͤdchen ziſchel¬
ten einander heimlich in die Ohren, der Baron eilte
ihr nach, denn es ſollte noch getanzt werden. Aber
das Fraͤulein war wie ausgewechſelt, ſchmollend und
trotzig, und wollte durchaus nicht mehr zur Geſellſchaft
zuruͤck. Sie wiſſe es am beſten, ſagte ſie, die All¬
taͤglichkeit dieſer proſaiſchen Menſchen habe den Hof¬
rath vertrieben, ſie frage gar nicht mehr nach den un¬
wiſſenden Leuten, ſie kenne nun eine ganz andere
Welt! — Der Baron aber ſchalt ſie eine verdrehte
Naͤrrin. Dann ließ er voller Zorn mitten in der all¬
gemeinen Verwirrung anſpannen, ſchob ſie in den
Wagen und verſchwor ſich: der Kerl der Hofrath ſolle
ſie nehmen, oder er jage ihm eine Kugel durch den Kopf!
Keinem war der Vorfall fataler als Lothario'n,
denn der Doctor war ihm lange wie ein Blitzableiter,
in den ſein Witz und Aerger luſtig einzuſchlagen pflegte.
Er ging ſo eben, die ſeltſame Flucht beſprechend, mit
Fortunaten durch den Garten, als ihnen ploͤtzlich
Otto mit leuchtenden Augen entgegenkam. Gute
Nachrichten aus Hohenſtein! rief er ſchon von weitem,
einen Brief emporhaltend. Er hatte, uͤber alle Er¬
wartung, nicht nur die Zuſtimmung des Amtmanns
in ſeine Plaͤne, ſondern auch eine bedeutende Summe
erhalten, die mehr als zureichend ſchien, die Reiſe
durch Italien behaglich zu vollenden. Auch ein Brief
von Walter an Fortunat war beigeſchloſſen, den dieſer
mit großer Freude ſogleich erbrach.
„Unſer Otto, ſchrieb der wackere Freund, hat uns
von eurem ſeltſamen Zuſammentreffen und dem poeti¬
ſchen Leben an dem Hoflager des Fuͤrſten ausfuͤhrli¬
chen Bericht erſtattet. Er ſchreibt uͤberaus lebendig,
und es iſt uns allen, als waͤren wir in den Palaͤſten
und gruͤnen Gaͤngen mitten unter euch und ſaͤhen und
hoͤrten jeden nach ſeiner Weiſe ſich bewegen und ſpre¬
chen, dieſen Lothario, Kordelchen, und dich ſelbſt nicht
ausgenommen. Da ſitzen wir dann in Hohenſtein,
wenn im Feld und Haus alles beſorgt iſt, jeden Abend
wieder unter den Linden vor der Hausthuͤr zuſammen,
und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis
zu Ende laut und deutlich vorleſen, bis der Mond
uͤber uns aufgeht. So biſt du auch in der Ferne bei
uns, wie denn uͤberhaupt eine ſtille, mondhelle Nacht
ſchon an ſich etwas traumhaftes hat, und entfernte,
geliebte Gegenden und Perſonen der Seele wunderbar
naͤher bringt.“
„Wie gluͤcklich ſeyd ihr Dichter! Euerem zauberi¬
ſchen Sinne erſchließt ſich uͤberall, wo ihr wandelt,
wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verbor¬
gene Schoͤnheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern
ſich die Kreiſe, das Entfernte, Dunkele ruͤckt verſtaͤnd¬
lich in freundliche Naͤhe und neue Fernen heben ſich
wieder wunderbar immer weiter und ſchoͤner. Was iſt
dir nicht alles wieder begegnet, ſeit wir uns trennten!
— Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich
komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die
mich in der Jugend entzuͤckten, verbleichen und verſin¬
ken mir allmaͤhlich. — Doch ich denke, das muß wohl
ſo ſeyn. Ruhiger, als du dir vielleicht einbilden magſt,
habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt,
und von den vornehmen Taͤuſchungen Abſchied genom¬
men. Ich lerne mich beſcheiden und beſchraͤnken, und
mir iſt wohl. Euere Aufgabe iſt unuͤberſehbar, ver¬
wickelt und ſelten recht in eurer eigenen Gewalt. Mein
Beruf dagegen iſt einfach und mir jederzeit klar, und,
glaube nur, es iſt auch was werth, mit ſich ſelbſt im
Reinen zu ſeyn.“
„Kann ich nun nicht ſelbſt, wie ich fruͤher wohl
traͤumte, mit hinaus in das ſchoͤne Land der Poeſie,
ſo will ich wenigſtens den Dichtern redlich helfen, wie
und wo ich's vermag. So iſt es mir denn auch end¬
lich gelungen, den Otto mit ſeinen Pflege-Eltern zu
verſoͤhnen, denn ich meine, es ſtand da ein bedeuten¬
des Talent auf dem Spiele. Glaube aber nur nicht
etwa, daß das ſo ſchwer hielt. Ein rechter feſter
Wille thut uͤberall Wunder, Otto's ploͤtzlicher Ent¬
ſchluß, die Heimath zu verlaſſen, hat die bisherige
Anſicht der Sache, ich moͤchte ſagen, auf den Kopf
geſtellt, und der Einbildungskraft der Hohenſteiner eine
ganz neue Richtung gegeben. Dem Amtmann gefaͤllt
Otto's Muth, um ſo mehr, je weniger er ihn dem
ſanften Stillen zugetraut hatte. Die gute Mutter
aber freut ſich nun heimlich darauf, Otto's Namen
gedruckt, oder gar ſein Bild vor einem Buche zu ſehen.“
„Du wirſt dich wahrſcheinlich uͤber das viele Geld
wundern, das wir ſchicken. Aber es kommt nicht von
uns. Otto hat hohe Goͤnner — mehr darf ich fuͤr
jetzt davon nicht verrathen.“
„Das iſt jetzt eine gluͤckliche Zeit. Kaum war
dieſe Angelegenheit wegen Otto nach Wunſch beſeitigt,
ſo erhielt ich aus der Stadt die Nachricht, daß mir
das eintraͤgliche Amt eines Gerichtsverwalters hier in
Hohenſtein, das ich ſo lange zwiſchen Hoffnung und
Zweifeln erſehnt, zu Theil geworden. Nun ſteht unſe¬
rer Verheirathung nichts mehr im Wege. — So eben
guckt mir Florentine uͤber die Schulter in's Blatt und
haͤlt mir ſchnell mit der Hand den Mund zu, damit
ich nicht alles ausplaudern ſoll. Da ich aber unterdeß
fortfuhr zu ſchreiben, ſo laͤuft ſie nun gar fort, und
laͤßt dich nicht einmal gruͤßen. — Ich ſchreibe im Gar¬
ten auf demſelben Platz mit der großen Ausſicht, wo
du alle Morgen zu leſen oder zu dichten pflegteſt.
Aber die Felder unten ſind ſchon leer, auf den Beeten
neben mir prangen nur noch die Aſtern, und die Blaͤt¬
ter auf den Baͤumen faͤrben ſich und fallen. Das
aͤngſtigte mich ſonſt immer, dießmal iſt mir gar wun¬
derlich zu Muthe dabei, denn im Hauſe durch die offe¬
nen Fenſter ſehe ich die Mutter emſig Federn ſchuͤtten
zu den Brautbetten, der Tiſchler hat ſeine muntere
Werkſtatt vor der Hausthuͤr aufgeſchlagen und ſchnitzt
die Doppelfenſter fuͤr unſere kuͤnftige Wohnung, und
ich richte mich mit innigem Behagen in Gedanken fuͤr
den Winter ein — da moͤgen draußen Sturm und
Schnee an die Fenſter ſchlagen! doch dieſes Gefuͤhl
verſtehſt du wohl nicht? — Nun, Gott ſey mit dir,
lieber Bruder, und fuͤhre dich auf deinen weiten Wegen
zu ſolchem Gluͤck und ſolcher Herzensfreude, als ich
auf dem naͤchſten hier gefunden habe.“
Fortunat legte den Brief mit ganz eignen Em¬
pfindungen zuſammen, es war ihm, als ſtaͤnde er tief
im ſtillen Abendroth. Vor ihm aber ſtand Otto mit
Lothario'n an dem Abhang und ſchaute trunken in die
Ferne, in die er nun bald hinausziehen ſollte.
Dreizehntes Kapitel.
Und wo noch kein Wandrer gegangen,
Hoch uͤber Jaͤger und Roß
Die Felſen im Abendroth hangen
Als wie ein Wolkenſchloß.
Dort zwiſchen den Zinnen und Spitzen
Von wilden Nelken umbluͤht,
Die ſchoͤnen Waldfrauen ſitzen
Und ſingen im Wind ihr Lied.
Der Jaͤger ſchaut nach dem Schloſſe:
Die droben das iſt mein Lieb! —
Er ſprang vom ſcheuenden Roſſe,
Weiß keiner, wo er blieb.
So ſang Lothario, auf einer Waldhoͤh' auf
ſeine Buͤchſe geſtuͤtzt. Fortunat trat zu ihm herauf,
da ſahen ſie jenſeits den Wald ſchon von Jaͤgern und
Reitern blitzen, der Fuͤrſt hatte zum Valet noch eine
große Jagd veranſtaltet, bevor alles vor dem Winter
wieder in die Stadt fluͤchte.
Haſt du die Braut nicht geſehen? fragte Lothario
unruhig umherſpaͤhend. — Du meinſt die Graͤfin
Juanna, ſo hoͤrteſt du auch davon? erwiederte Fortu¬
nat, ſie halten's ſo geheim vor mir, und alle Jaͤger
wiſſen's. Erſt dieſen Morgen hoͤrt' ich, daß der Braͤu¬
tigam, ein Baron Manfred, noch heut zur Jagd er¬
wartet wird. — Das iſt ein praͤchtiges Wetter zum
Heirathen, ſagte Lothario, der Alteweiber-Sommer
fliegt, als hatten ſich alle alte Jungfern das Haupt¬
haar ausgerauft und in die Luͤfte umhergeſtreut, da
bleibt mancher Ritter noch mit den Sporen drin haͤn¬
gen. Gebt Acht, es giebt eine koͤſtliche Verwickelung!
— Hiermit ſchuͤttelte er Fortunaten heftig die Hand,
und ging ſchnell in's Thal hinunter.
Fortunat ſah ihm verwundert nach, dann folgte
er der Jagd, die jetzt immer luſtiger durch die Berge
ging. So verlor er ſich bald in das Labyrinth der
Waͤlder, und kam zuletzt in eine gruͤne Schluft, uͤber
deren Felſenwaͤnde von allen Seiten Epheu verwildert
hinabſtieg. Auf einmal brach ein Hirſch durch das
Dickicht, eine Meute Hunde an ſeinen Ferſen und hin¬
ter ihnen Juanna. Das edle Thier bei ſeinem An¬
blick ſtutzte ſchnaubend und ſtuͤrzte ſich ſeitwaͤrts in den
Abgrund, Hunde und Reiterin konnten ihm dorthin
nicht folgen. Da hielt Juanna ploͤtzlich uͤber Fortu¬
naten in der wilden Einſamkeit, die Hunde ſtreckten
ſich lechzend zu ihren Fuͤßen. Seht, der iſt frei —
ſagte ſie, die ſchwarzen Locken aus dem erhitzten Ge¬
ſicht ſchuͤttelnd — und eher fangt Ihr mit verliebten
Blicken einen Hirſch im Walde, als mich! Was wollt
Ihr von mir? Laßt das Werben um mich, mir iſt
wohl in meiner Freiheit. Was auch die Fuͤrſtin fuͤr
Anſchlaͤge hat, ich werde nie die Eurige und keines
Mannes Weib — huͤtet Euch, es waͤre unſer beider
Tod! — Hierauf wandte ſie ihr Roß, die alten Baͤume
ſchuͤttelten ſich und ſtreuten ihre gelben Blaͤtter wie
einen Goldregen uͤber die ſchoͤne Geſtalt. Fortunat
ſtand ganz verwirrt, ihm war, als ſpraͤchen ringsum
die Quellen irre den Wald entlang, Unerhoͤrteres
konnte ihm nicht begegnen als daß er nun am Ende
ſelbſt der Braͤutigam ſeyn ſollte! — Unterdeß hatte
ſich Juanna wieder hoͤher in das Gebirge gewendet,
ein ploͤtzlicher Anſchlag ſchien ihre ganze Seele zu be¬
wegen. Sie kannte den Waldweg nach einem Non¬
nenkloſter, das jenſeits des Gebirges lag und deſſen
Aebtiſſin ihr verwandt war. Dort wollte ſie noch
heute hin und abwarten, bis der Winter Gebirge,
Freier und Verliebte verſchuͤttet. Aber mitten in die¬
ſen Gedanken erblickte ſie auf einmal eine Gemſe uͤber
ſich, die ſich hoch uͤber den Wipfeln von Klippe zu
Klippe ſchwang. Das war ihr ganz neu, ſie konnte
der gefaͤhrlichen Luſt nicht widerſtehen. Ein alter Jaͤ¬
ger, der ſich bis in dieſe Oede verſtiegen hatte, arbei¬
tete ſich eben durch das Geſtraͤuch, ſie uͤbergab ihm
ihr Pferd, er ſollte es huͤten, bis ſie wiederkaͤme, und
eh' er ſie noch warnen konnte, war ſie ſchon zwiſchen
den Felſen verſchwunden.
Nun kletterte ſie wie ein ſchlanker Panther uͤber
die Klippen, das ſcheue Wild verlockte ſie immer hoͤher
hinauf, die Luſt wuchs mit der Gefahr, ſie hatte ſich
lange nicht ſo wohl gefuͤhlt, und erſtaunte, da ſie ploͤtz¬
lich eine Felſenwand uͤber ſich, wie in Feuer, erblickte,
es war der Widerſchein der Abendſonne, die ſo eben
jenſeits hinter den ſchwarzen Waͤldern verſank. Mit
der einen Hand ſich an einen Strauch haltend, ſah ſie
uͤber den Felſenrand hinab: die Thaͤler unten dunkelten
ſchon, aus weiter Ferne hoͤrte ſie noch eine Abendglocke
heraufſchallen, ſie meinte, es komme von dem Kloſter
heruͤber. Eilig ſchlug ſie nun die Richtung ein, aber
ſie konnte ſich in dem wilden Gewirre nicht zurechtfin¬
den, wohin ſie ſich wandte, thaten ſich neue Abgruͤnde
auf; ſo ſtand ſie in der entſetzlichen Einſamkeit wie
einer, der Nachts zwiſchen den Zacken und Steinbil¬
dern eines unbekannten Muͤnſters vergeſſen worden.
In dieſer Noth verfiel ſie darauf, ihr Gewehr zum
Signal abzuſchießen. Zu ihrer Freude gab ſogleich
ein Schuß ganz nahe Antwort. Bald darauf hoͤrte
ſie Fußtritte auf dem lockeren Geroͤlle, eine hohe,
ſchlanke Geſtalt trat ploͤtzlich zwiſchen den Steinen
hervor — es war Lothario. Das iſt ein gefaͤhrliches
Revier, ſagte er, und die Nacht bricht ſchon herein,
doch ich bin hier der Pfade kundig, und meiner Rich¬
tung gewiß. — Die Graͤfin aber hatte bei ſeinem An¬
blick ein ſeltſamer Eigenſinn ergriffen, gerade ihm
dachte ſie hier am wenigſten zu begegnen, und eh' er's
verhindern konnte, ſchwang ſie, ihn abwehrend, ſich
auf einen einzelnen, ſenkrecht uͤber die Tiefe hinausra¬
genden Fels, daß ihm in innerſter Seele grauſ'te —
nur ein Fehltritt und ſie glitt in den Abgrund hinun¬
ter. — Da hatte Lothario mit ſicherem Blick ſeinen
Vortheil abgeſehen. In raſchem Entſchluß umfaßte
er ſie ploͤtzlich und ſchwang die Straͤubende auf ſeinen
Arm. Erſchrocken, uͤberraſcht, wußte ſie nicht, wie
ihr geſchehe, und ſah ihm verwundert und zornig in die
Augen. Er aber trug ſie grauenhaft an jaͤhen Schluͤn¬
den voruͤber durch die Daͤmmerung von Klippe zu
Klippe hinab, daß ſie, vor Entſetzen mit dem einen
Arm ſeinen Nacken umklammernd, ihn rings mit ihren
aufgeringelten Locken umgab. So ſchwiegen ſie beide
lange Zeit.
Jetzt ging der Mond praͤchtig uͤber den Waͤldern
auf. Lothario ſchaute in die wunderbare Einſamkeit
und ſagte halb fuͤr ſich: So hab' ich's manchmal im
Traume geſehen. — Juanna aber blickte ſpaͤhend um¬
her, die Gegend war ihr ganz fremd, einzelne Wol¬
kenſchatten flogen daruͤber, tiefer ſchimmerten die
Gruͤnde faſt heimathlich herauf, wie die Thaͤler in
Spanien, ſie gedachte der ſchoͤnen Sommernaͤchte unter
den Guerilla's. — Auf einmal ſtutzte ſie, zwei geſat¬
telte Pferde ſtanden dicht vor ihnen im Walde, und
ehe ſie ſich beſinnen und fragen konnte, hob ſie Lotha¬
rio ſchon auf das eine Roß, ſchwang ſich ſelbſt auf
das andere, und uͤber den mondhellen Waldgrund
nun ging es raſch fort durch die ſtille, ſternklare
Nacht.
Hier blitzte ploͤtzlich eine furchtbare Ahnung durch
Juanna's Seele, ſie konnte kein Wort hervorbringen,
dem Unglaublichen finſter nachſinnend, waͤhrend Buͤſche,
Thaͤler und ferne Doͤrfer geheimnißvoll an ihnen vor¬
uͤberflogen. Lothario war wie verwandelt. Juanna!
rief er ihr aus Herzensgrunde zu, blick' um dich, die
Erde iſt ſo ſtill und ſchoͤn wie eine Brautnacht! Frei
ſollſt du wohnen auf hohem Schloß, wo die Rehe an
den Abhaͤngen einſam graſen, dort will ich unter dei¬
nem offenen Fenſter ruhen in den Sommernaͤchten und
dich in Traum ſingen, bis die Sterne verloͤſchen und
die erſte Lerche mich abloͤſt hoch in der ſtillen Luft.
Und fallen die Blaͤtter und die Voͤgel ziehen fort, und
dich befaͤllt Heimweh, wenn du vom Schloß uͤber die
einſamen Waͤlder ſiehſt: ich fuͤhre dich weit uͤber die
Berge fort, du arme Fremde! Auf dem Meere wol¬
len wir fahren an glaͤnzenden Kuͤſten voruͤber, bis die
Laute deiner Mutterſprache gleich bunten Wundervoͤ¬
geln herſchweifen und deine ernſte, ſchoͤne Heimath
emportaucht, duftige Gaͤrten, Gebirge und mauri¬
ſche Schloͤſſer in den trunkenen Fluthen ſpiegelnd —
o Juanna, mir iſt's, wie von einem hohen Berg in's
Morgenroth zu ſehen! —
So ſprach er voll Freude, waͤhrend ſie ritten,
Juanna war immerfort ſtill, in der Tiefe neben ihnen
rauſchte ein Strom, ſie horchte manchmal hinunter.
Auf einmal blinkte das Waſſer zwiſchen den dunklen
Baͤumen hinauf, da warf ſie ihr Roß gewaltſam zur
Seite, ſetzte die Sporen ein und ſchwang es mit ſich
in den Fluß hinab. Erſchrocken ſtuͤrzte Lothario nach,
er ſah ſie mit dem weitaufgeloͤſten Haar gleich einer
Nixe in klarem Mondlicht uͤber die Fluth dahinſchwe¬
ben, ſinken und wieder emportauchen. Endlich hatte
er ſie gefaßt, ſie ruhte an ſeiner Schulter, ihre feuch¬
ten Locken verdunkelten ihm Stirn und Augen. So
ſank er mit ſeiner Beute erſchoͤpft am jenſeitigen Ufer
auf den Raſen hin und lauſchte in der entſetzlichen
Stille knieend uͤber ihr — aber ſie athmete nicht mehr,
ſtumm und bleich in ſtrenger Todesſchoͤnheit.
Das hatte alles anders geſtellt, als die luſtigen
Jaͤger ſich's dachten. Fortunat war damals noch vor
Abend von der Jagd abgekommen und mehrere Tage
allein im Walde umhergeſchweift, um recht nach Her¬
zensluſt das ſchoͤne Gebirge zu durchforſchen. Als er
zuruͤckkehrte, fand er zu ſeinem Erſtaunen alles leer,
das Abendroth ſchien uͤber Schloß und Garten, aus
dem einen Fluͤgel klang eine Spieluhr noch in einzel¬
nen, langgezogenen Toͤnen heruͤber. Bei ſeinen Trit¬
ten, die in dem trockenen Laube raſchelten, fuhr der
alte Schloßwart erſchrocken empor, der auf den Mar¬
morſtufen vor dem Schloſſe eingeſchlummert war.
Von dieſem hoͤrte er nun, die Graͤfin Juanna habe
ſich auf der Jagd in den Klippen verſtiegen, ſo
ſey ſie im Fluß verungluͤckt, zwei Hirten haͤtten ſie im
Mondſchein auf dem Strome ſchwimmen geſehen und
mit dem Waſſermann ringen. Da waͤre der Fuͤrſt
ſogleich am andern Morgen mit ſeinem ganzen Ge¬
folge nach der Reſidenz aufgebrochen, auch die Schau¬
ſpielertruppe ſey wieder weiter gezogen; von Lothario
wußte er nichts. — Fortunaten aber befiel ein tiefes
Grauen in der ploͤtzlichen Einſamkeit, er beſchloß, noch
heut bis in das naͤchſte Staͤdtchen zu reiſen und ſich
dann ohne weiteren Aufenthalt nach Italien zu wen¬
12
den. — Als er fortritt, dunkelte es ſchon, fern an
den Bergen ſah er einen ſtillen Fackelzug, es war
Juanna's Leiche, die ſie nach der Reſidenz brachten.
So geht oft ein Schauer mahnend durch die Luſt der
Menſchen, damit ſie ſich erinnern, daß ihnen die
ſchoͤne Erde nur geliehen ſey.
Zweites Buch.
12*
Vierzehntes Kapitel.
Ueber einer der verborgenſten Schluͤfte der Schweiz
rauſchte leiſe die Nacht, nur ein Bach ſtieg zwiſchen
den Felſen hernieder und plauderte, da die Menſchen
ſchliefen, heimlich mit der Wetterfahne auf der aͤrmli¬
chen Waldherberge, die in dem ſtillen Grunde lag. Da
fuhr auf dem Heuboden des Hauſes ein Geſell ver¬
wirrt aus dem Schlafe empor. Es war Fortunat,
der auf ſeiner Reiſe nach Italien ſpaͤt des Abends
das Wirthshaus erreicht, und gern das luftige Nacht¬
lager beſtiegen hatte, da die wenigen Fremdenſtuben
ſchon von anderen Reiſenden beſetzt waren. Dort
hatte ihn ein Traum erweckt, es war ihm ploͤtzlich, als
haͤtte eine altbekannte Stimme unten ſeinen Namen
genannt. Er lauſchte hinab, es ruͤhrte ſich kein Laut.
Draußen aber flimmerten noch die Sterne, da ſetzte
er ſich in das offene Dachfenſter auf die oberſten
Sproſſen der Leiter, und ſah den weiten, ſtillen Kreis
von Gletſchern im hellſten Mondſchein uͤber den Waͤl¬
dern, nur der dumpfe Donner einer Lawine hallte von
Zeit zu Zeit durch die große Einſamkeit heruͤber.
Jetzt erſt fiel ihm der grillenhaft verworrene Bau
des Hauſes auf, er betrachtete ſchlaͤfrig die kleinen
hoͤlzernen Gallerien, Winkel und Erker, als auf ein¬
mal in dem alten Seiten-Anbau ſich ein Laden oͤffnete
und eine Dame, dicht in einen langen Schleier ge¬
huͤllt, am Fenſter erſchien. Fortunat, ſcharf hinblik¬
kend, ſchauerte innerlichſt zuſammen — es war der
Hut, das Reitkleid, Geſtalt und Art der Graͤfin
Juanna! — Der Mond funkelte uͤber ihren Guͤrtel,
wie damals auf der Jagd, dann wurde das Fenſter
ſchnell wieder geſchloſſen. Gleich darauf aber ſah er
den Wirth zwei geſattelte Pferde auf den Hof fuͤhren,
die Dame trat mit einem fremden Mann aus dem
Hauſe, alles ganz ſacht und leiſe, wie Wolken in der
Nacht, ſie fluͤſterten heimlich untereinander und mit
dem Wirth, der ihm auf einmal ſelbſt geſpenſtiſch vor¬
kam, und eh' er ſich noch beſinnen konnte, war die
ganze Erſcheinung, wie ein Zug Verſtorbener, im
wechſelnden Mondlicht zwiſchen den Felſen und Baͤu¬
men verſchwunden.
Fortunat war geblendet, wie einer, der Nachts
in den Blitz geſehen; er eilte nun die Leiter hinab, der
Hof war leer, als waͤre nichts geſchehen, aber zu ſei¬
nem Erſtaunen hoͤrte er nun in einiger Entfernung
Waffenklang durch die Stille. Fechten die Todten in
der Luft? dachte er, und verfolgte raſch die Richtung.
Da erblickte er bald durch das auseinandergebogene
Geſtraͤuch zwei Maͤnner, die auf einer mondhellen
Wieſe in heftigem Zweikampf begriffen waren. Ge¬
ſtalt, Tracht und Haltung, je laͤnger er hinſah, ſchien
ihm nicht fremd. — Um Gott, ihr Phantaſten, rief er
endlich aus, was habt ihr wieder vor! denn jetzt er¬
kannte er deutlich den langen Lord und den Maler
Albert von dem fuͤrſtlichen Jagdſchloß.
Als die Kaͤmpfenden ihn bemerkten, traten ſie, die
Spitzen ihrer Degen ſenkend, jeder feierlich einen
Schritt zuruͤck und verneigten ſich kurz und ernſt vor
einander, dann ſtuͤrzte der erhitzte Lord, der vor Eifer
keine Zeit zum Verwundern und Begruͤßen hatte, ſo¬
gleich auf Fortunaten los. Entſcheiden Sie ſelbſt, rief
er, und ich behaupt' es nochmals und tauſendmal: es
giebt keinen kategoriſchen Imperativ, die Tugend iſt
nur der Fluͤgelſchlag der primitiven Freiheit der Seele,
die Ahnung des geiſtigen Urſtoffs und dieſer endloſe
Urſtoff laͤßt ſich ſo wenig durch Großmuth, Keuſchheit,
definiren, daß — Keineswegs! entgegnete Albert ganz
empoͤrt, es giebt ein abſolutes Sittengeſetz, die Tu¬
gend, ſie iſt kein leerer Schall! — Aber, ſo ſagt doch
nur, was denn? was giebts denn? unterbrach ſie end¬
lich Fortunat hoͤchſt erſtaunt, und erfuhr nun nach und
nach abgebrochen in einzelnen verworrenen Saͤtzen von
den Heftigen, daß ſie beide, in der feſten Ueberzeugung
von einer Entfuͤhrung Juanna's durch Lothario, an
jenem ungluͤcklichen Abend, ſobald die Graͤfin vermißt
wurde, die Jagd mit dem Schwure verlaſſen hatten,
ſie zuruͤckzubringen oder niemals wiederzukehren. Sehr
bald, ſo behaupteten ſie, ſeyen ſie auch wirklich den
Fluͤchtlingen auf die Spur gekommen, die ſie bis zu
dieſem einſamen Wirthshauſe verfolgt haͤtten. Und
nun, da wir am Ziele ſind, fuhr der Maler fort, laͤßt
dieſer Herr da ploͤtzlich ſeine großmuͤthige Larve fallen,
und will die Graͤfin als ſeine eigne Beute entfuͤhren.
Aber mit dieſem Schwerdte, das in dem großen Krie¬
gesjahre Dreizehn geweiht iſt, bewahre ich die Unſchuld
jener Dame gegen jeden Verfuͤhrer, er mag ein deut¬
ſcher Komoͤdiant oder ein engliſcher Lord ſeyn! — Und
hiermit gingen ſie von neuem aufeinander los, und
fuͤhrten ihre Schulterquarten und Schlenkerprimen mit
einer bewundernswuͤrdigen Kuͤnſtlichkeit und Pedante¬
rie aus.
Da fuhr auf einmal der dicke Wirth aus der
Hausthuͤr wuͤthend zwiſchen die Fechtenden hinein, er
hatte einen umgekehrten Tiſch uͤber dem Kopfe, wie
ein Stier mit vier Hoͤrnern, die ſchon gezuͤckten Schwer¬
ter klatſchten flach auf ſeinen rindsledernen Schlafpelz.
Tauſend Parlament, ſchrie er, Schaͤndlichmen's, Lord-
Majors oder Oberſtlieutenant, ich frage den Teufel
darnach! ich nehme nicht tauſend Pfund Sperling fuͤr
den Scandal, verjagt mir da mit eurem Geklimper
die beſten Gaͤſte, iſt das ein Staͤndchen fuͤr eine
ſchoͤne, auslaͤndiſche Graͤfin! — Graͤfin! iſt ſie ſchon
fort? wohin? unterbrachen ihn hier die Duellanten,
ihre Degen raſch einſteckend. — Auslaͤndiſch? ſtotterte
Albert vor Eifer, was fuͤr eine Sprache redete ſie? —
Wahrhaftig, mir kam's ganz ſpaniſch vor, erwiederte
der Wirth, und ſchien nun, indem er die Beiden ge¬
heimnißvoll nach dem Stalle fuͤhrte, mit ihnen angelegent¬
lich von der Fremden zu ſprechen, Fortunat konnte nur
noch bemerken, daß der Schalk ihnen eine ganz an¬
dere Richtung wies, als die Dame vorhin eingeſchla¬
gen hatte. — Als er zuruͤckkam, wollte ihn Fortunat
ſelbſt uͤber die Graͤfin naͤher ausfragen. Aber der
dicke ſchlaue Mann war nicht zu haſchen, er ſprach
von tollen Naͤchten, Spukgeiſtern und fahrenden Hexen,
und brach mit ſolchem Laͤrmen den Tag an, daß der
Hofhund anſchlug und Knechte und Maͤgde aus allen
Winkeln herausfuhren. Mitten in dieſer Konfuſion
hoͤrte Fortunat ploͤtzlich den Lord und den Maler von
der andern Seite durch die Daͤmmerung miteinander
disputiren, und ehe er ihnen noch nachrufen konnte,
hatten ſie in ihren langen, bis an die Knoͤchel herab¬
haͤngenden Wachstaft-Maͤnteln, aus denen die engli¬
ſchen Pferde ihre duͤnnen Haͤlſe ſeltſam hervorſtreck¬
ten, ſich zwiſchen den fliegenden Morgennebeln ſchon
verloren.
So ſtand er noch ein Weilchen ganz verwirrt,
dann berichtigte auch er ſchnell ſeine Zeche, ſchwang
ſich auf ſein Pferd und ſchlug den Waldpfad ein, den
die geheimnißvolle Erſcheinung vor Tagesanbruch ge¬
nommen. Er ritt den ganzen Morgen fort: aber er
fand ſie nicht mehr wieder.
Fünfzehntes Kapitel.
Die Sonne war eben uͤber Rom untergegangen,
als Fortunat von den Bergen mit der Adendkuͤhle in
die Stadt einzog. Nur ein Streifen des Meeres in
der Ferne und das Kreuz der Peterskuppel brannten
noch im Wiederſchein, dazwiſchen der Klang unzaͤhliger
Abendglocken, und Gaͤrten, Palaͤſte und einſames Ge¬
birg unten wunderbar zerworfen — es war ihm, als
zoͤge er in ein praͤchtiges Maͤhrchen hinein. — Ecco
là! rief auf einmal ſein Veturin und hielt ſtill. Sie
ſtanden vor einem großen, altmodiſchen Palaſt, wel¬
cher zum Theil unbewohnt ſchien und in der Daͤmme¬
rung melancholiſch auf den einſamen Platz hernieder¬
ſchaute, wo hohes Gras aus dem Pflaſter drang und
ein Springbrunnen einfoͤrmig rauſchte. Es war das
Haus des Marcheſe A., in welchem befreundete Rei¬
ſende fuͤr Fortunaten die Wohnung beſorgt hatten.
Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das
geringe Gepaͤck des genuͤgſamen Reiſenden muſternd,
fuͤhrte dieſen die breiten Marmortreppen hinan, waͤh¬
rend er in großem Wortſchwall die Abweſenheit des
Marcheſe entſchuldigte, welcher erſt heut vom Lande
zuruͤckkehre und nicht ermangeln werde, den ſchuldigen
Empfang morgen nachzuholen.
Die erſten Stunden in einer großen, unbekannten
Stadt gehoͤren zu den einſamſten im Leben, auch For¬
tunaten uͤberflog das Gefuͤhl, als ſey er jetzt erſt in
der Fremde. Er verlor ſich ganz in den hohen Ge¬
maͤchern und betrachtete, als der Diener ſich entfernt
hatte, vor Langerweile die Stukverzierungen an den
Decken, die ſchweren altmodiſchen Stuͤhle, die hohen
Spiegel mit goldenen Rahmen, ſo wie die umherhaͤn¬
genden Jagdbilder, Kavaliere in ſeltſamen Trachten
vorſtellend, halb Ritter halb Gecken, einen Hirſch mit
galanter Reiterkuͤhnheit verfolgend, und junge ſchoͤne
Damen in Reifroͤcken unter einem praͤchtigen Zelt im
Walde, Jagdhoͤrner in den Haͤnden, denen der gluͤck¬
liche Jaͤger ſeine Beute ehrfurchtsvoll zu Fuͤßen legte.
— Draußen ſchien ein großer Garten zu liegen, weit
uͤber den Garten her ſchlugen viele Uhren in der Ferne,
es war ihm, als ſei er ſchon geſtorben und hoͤrte die
Todtenglocke uͤber ſich.
In dieſen Betrachtungen unterbrach ihn das Raſ¬
ſeln eines Wagens, der vor dem Schloſſe zu halten
ſchien. Er ſah durch's Fenſter und konnte bei dem
Schein einer Fackel nur noch bemerken, wie eine
ſchlanke Maͤdchengeſtalt aus der altmodiſchen Karoſſe
behende in das Haus ſchluͤpfte. Im anderen Fluͤgel
des Palaſtes hoͤrte man nun Thuͤren auf und zuwer¬
fen, gehen und lachen, dann war ploͤtzlich alles wieder
ſtill. — Bald darauf aber vernahm er im Garten
einzelne, langgezogene Klaͤnge einer weiblichen Stimme,
wie eine Nachtigall, durch das Rauſchen der Wipfel,
durch welche die Gluͤhwuͤrmer leuchtend hinzogen. Der
Mond trat eben hervor und verwandelte alles in
Traum. Da oͤffnete Fortunat alle Fluͤgelthuͤren, er¬
griff ſeine Guitarre und ſchritt durch die lange Reihe
der Gemaͤcher ſingend auf und nieder:
Es rauſchen die Wipfel und ſchauern.
Als machten zu dieſer Stund'
Um die halbverſunkenen Mauern
Die alten Goͤtter die Rund'.
Hier hinter den Myrthenbaͤumen
In heimlich daͤmmernder Pracht,
Was ſprichſt du wirr wie in Traͤumen
Zu mir, phantaſtiſche Nacht?
Es funkeln auf mich alle Sterne
Mit gluͤhendem Liebesblick,
Es redet trunken die Ferne
Wie von kuͤnftigem großen Gluͤck! —
Der ſchoͤnſte Fruͤhlings-Morgen funkelte vor dem
Palaſt uͤber den Garten, da gruͤnte und ſang ſchon
alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrock¬
neten Becken der Waſſerkuͤnſte jagten ſich jubelnd bunte
Voͤgel, uͤppig bluͤhende Ranken umſchlangen muthwillig
die Marmorſtatuͤen, als wollte der Fruͤhling ſie mit
Kuͤſſen erſticken. Arglos zwiſchen den nackten Goͤtter¬
bildern ſtand Fiametta, die vierzehnjaͤhrige Tochter
des Marcheſe, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plau¬
dernd, die ihr die ſchoͤnen, dunklen Haarflechten auf¬
ſteckte. Sie war ihr heute ungeduldig entſprungen,
beide waren neugierig, ihren Gaſt, den geſtern ange¬
kommenen Englaͤnder, zu ſehen, wofuͤr ſie jeden reiſen¬
den Fremden hielten. Mir traͤumte heut von ihm,
ſagte Fiametta, er ſah aus wie die jungen deutſchen
Maler mit den langen blonden Locken, und ſtand in
einer unbekannten, praͤchtigen Gegend, die ſchimmerte
und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinſehen
konnte. Ich wußt' es wohl, es war der Morgen, der
ſchon durch die rothen Gardinen ſchimmerte, aber ich
druͤckte die Augen feſt zu — hier hielt ſie ein und
lachte in ſich. — Lenore ſah ſie fragend an. — Nein,
nein, meinte Fiametta leicht erroͤthend, was er mir da
ins Ohr ſagte, ſag' ich nicht wieder — ob er noch
jung ſeyn mag? — Lenore erzaͤhlte, daß ſie geſtern
Abends noch im Garten geweſen, da habe ſie ſeinen
Schatten im Zimmer auf und nieder ſchwanken ge¬
ſehen, lang und duͤnn wie der Perpendikel einer Thurm¬
uhr. — Oder einer Spieluhr, denn ich hoͤrt' es wohl
heruͤberklingen, fiel ihr Fiametta ins Wort, waͤhrend
ſie ihr Fuͤßchen auf den Nacken eines umgeſtuͤrzten
Apollos ſtellte und ſich die zierlichen Schuhe feſtband.
Jetzt ſahen ſie auf einmal zwiſchen den Zweigen hin¬
durch den beſprochenen Gaſt ſelbſt, ſich ſtreckend und
dehnend, aus der Schloßthuͤr treten und verſchluͤpften,
wie Lacerten, ſchnell zwiſchen Blumen und Unkraut
hinter ein halbverfallenes Gemaͤuer, wo er voruͤber
mußte, und durch deſſen Ritze ſie ihn ungeſehen be¬
trachten konnten. Lenore fand ihn ſehr ſchoͤn. Fia¬
metta dagegen kritiſirte, heimlich fluͤſternd, ſein ſchlich¬
tes braunes Haar, ſeinen dreiſten Gang und ſeltſa¬
men Anzug. — Als er an die Mauer kam, ſagte ſie
leis: ich ſchreck' ihn. Lenore fuhr abwehrend nach
ihrer Hand, aber die kleine Marcheſin hatte ſchon den,
uͤber die Mauer heruͤberlangenden Aſt eines bluͤhenden
Apfelbaumes gefaßt und ſchuͤttelte kurz und raſch, daß
Fortunat von den Bluͤtenflocken ganz verſchneit war;
dann liefen ſie beide ſchnell davon.
Fortunat aber war heute laͤngſt uͤber alles Ver¬
wundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen
Truͤmaux blickend, der Himmel und Baͤume abſpiegelte,
hatte er geglaubt, ſo entkleidet mitten im Garten zu
liegen und war erſchrocken aufgeſprungen; da hoͤrte er
draußen Lachen und Maͤdchenſtimmen in den ſchoͤnen
fremden Lauten, wie Gloͤckchen, verlockend durch die
morgenfriſche Wildniß gehen. So war er die helle,
ſtille Marmortreppe hinabgeeilt, um Rom, den Gar¬
ten, den jungen Fruͤhling und den alten Marcheſe zu
begruͤßen.
Nach allen Seiten froͤhlich umſchauend, wurde er
in einiger Entfernung vor ſich einen ſtattlichen Herrn
mit gepudertem Haar, Schnallenſchuhen und einem
alten hofmaͤßigen Kleide gewahr, welcher ein junges
Frauenzimmer am Arm fuͤhrte, waͤhrend ein Bedienter
in verſchoſſener Liverey mit einem Sonnenſchirm und
in ſichtbarer Langeweile ihnen langſam nachſchlenderte.
Seine Vermuthung beſtaͤtigte ſich bald, es war der
alte Marcheſe A., welcher ſeinen Gaſt kaum bemerkt
hatte, als er ihn in franzoͤſiſcher Sprache ſehr feier¬
lich willkommen hieß und ihm in ſeiner Begleiterin
ſeine Tochter Fiametta vorſtellte, die erroͤthend ihre
langen ſchwarzen Augenwimpern ſenkte, da ſie auf
Fortunats Rock noch einige Apfelbluͤthen erblickte.
Dann lud er den Fremden ein, an ihrer Morgenpro¬
menade Theil zu nehmen. Fortunaten war es, da ſie
nun in kuͤnſtlicher Verſchlingung zierlicher Redensarten
an den Buxbaumwaͤnden durch die langen Alleen mit
perſpectiviſchen Ausſichten gemeſſen dahinſchritten, als
wuͤchſe ihm langſam ein Haarbeutel im Nacken und
ein Stahldegen zwiſchen den Rockſchoͤßen heraus, und
er ginge mmer tiefer und tiefer in jene gute alte wun¬
derliche Zeit hinein, wie er ſie aus Buͤchern und Bil¬
dern wohl noch kannte. Dazwiſchen machten ihn die
dunklen funkelnden Augen Fiametta's recht innerlichſt
vergnuͤgt, und ſo kam er ſelbſt, eh' er's wußte, immer
luſtiger in die auserleſenſte Galanterie und es ſtoͤrte
die Illuſion kaum noch, als ſich der Marcheſe zuletzt
ganz unerwartet nach einem ſeiner entfernten Ver¬
wandten in Deutſchland, dem Grafen Victor von Ho¬
henſtein, erkundigte. Fortunat nannte ihn einen hom¬
me de lettres, der ſein Siècle mache.
Marcheſe. Er iſt aus einem alten Hauſe.
Fortunat. Bewohnt es aber wenig, ſondern iſt
ſeit geraumer Zeit auf den Parnaß verzogen, wo er
ſich ſeine eigenen Luftſchloͤſſer baut.
Marcheſe. Ein barocker Einfall fuͤr einen Ka¬
valier.
Fiametta. Ich moͤchte einmal einen Dichter
ſehen.
Fortunat. Ihren Augen, meine Gnaͤdigſte,
kann das nicht ſchwer werden, wo der Fruͤhling zau¬
bert, muß ſelbſt der nordiſche Boreas durch die Blume
ſprechen.
Fiametta. Haben Sie auch Blumen in Deutſch¬
land?
Fortunat (mit galantem Blick.) So ſchoͤne
nicht. —
Waͤhrend dieſes Discourſes hatten ſie ſich wieder
bis an den Palaſt herangeſchlungen, man ſchied mit
vielen Verbeugungen am Portal unter großem Ge¬
ſchrei der Sperlinge in den zerbroͤckelten Saͤulenknaͤu¬
fen. Fortunaten war es, als haͤtt' er in aller Fruͤhe
eine Menuett getanzt, im Garten aber ſangen die
Voͤgel und rauſchten die Baͤume wieder, als ſpraͤchen
ſie noch immer von den funkelnden Augen der ſchoͤnen
Marcheſin.
Sechszehntes Kapitel.
Die erſten Tage verſtrichen Fortunaten wie im
Rauſche, alles ſchimmerte vor ſeiner Seele, er mochte in
dem Glanze noch nichts deutlich unterſcheiden. Der beſte
Fuͤhrer durch Rom und der Plan der Stadt lagen
auf dem Tiſche aufgeſchlagen, jeden Morgen ging er
mit dem feſten Vorſatze aus, ſeinen regelmaͤßigen,
auf dem Plane im Voraus roth punktirten Umlauf
zu beginnen, aber eine uͤberraſchende Ausſicht zog ihn
an, ein Baͤnkelſaͤnger, der einen Kreis von Lumpenge¬
ſindel um ſich verſammelte, lenkte ihn von ſeinem
Wege ab und hielt ihn lange auf, oft folgte er durch
13
ganze Straßen ein Paar ſeltſamen Maͤnnergeſtalten,
deren roͤmiſche Naſen und ausdrucksvolle Gebaͤhrden
ihm eben beſonders auffielen, und wenn er dann er¬
muͤdet von dem muͤßigen Umherſchlendern zuruͤckkehrte,
mußte er ſich dennoch eingeſtehen, daß er in der kurzen
Zeit mehr geſehen und erfahren hatte, als ſein gedruck¬
ter Fuͤhrer ſich traͤumen ließ.
Auf einem ſolchen Streifzuge hatte er ſich eines
Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gaſſen ver¬
irrt, die Bewohner ſaßen plaudernd vor den Thuͤren,
ſchoͤne, halbnackte Kinder ſpielten und laͤrmten in dem
Abendſchimmer. Da hoͤrte er unerwartet weiterhin
ein lautes Gezaͤnk in deutſcher Sprache heruͤberſchallen
und eilte neugierig dem Hauſe zu, woher der Laͤrm
kam. Auf einmal ſprang die Hausthuͤr haſtig auf,
und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann
kam ſo unſanft herausgeflogen, daß er den Hut vom
Kopf verlor. Mein Gott! du, Grundling! rief
Fortunat uͤberraſcht aus — es war der deutſche Rei¬
ſende, der ihm die Wohnung in dem Palaſt beſorgt
hatte. — Da biſt du ja wie gerufen, ſagte dieſer
ganz ruhig ſeinen Hut abſtaubend, ich will dich ſo¬
gleich bei Landsleuten einfuͤhren. Hiermit verſuchte er
den Druͤcker der Thuͤr, fand ſie aber hinter ſich ver¬
ſchloſſen. Hat nichts zu ſagen, meinte er nun, winkte
Fortunaten und fuͤhrte den Erſtaunten in das leer¬
ſtehende Nebenhaus, im Dunkeln vorſichtig tappend,
zwiſchen wuͤſtem Geruͤlle hindurch. Waͤhrenddeß hoͤr¬
ten ſie im Innern nebenan eine maͤnnliche und eine
weibliche Stimme immerfort lebhaft miteinander zan¬
ken. Das ſind nun meine goldenen Traͤume! rief
der Mann. — Traͤume? erwiederte das Maͤdchen
ſchnippiſch, ſo zwick' dich in die Naſe, damit du er¬
wachſt, ich glaube, du biſt heut wirklich betrunken. —
Was wußteſt du je von der Trunkenheit der goͤttlichen
Kunſt! fiel er ihr wieder in's Wort, ich Thor, der ich
meinte, dich mit emporzuheben! Nun zerrſt du mich
ſelbſt mit hinab und machſt mir die Welt ſo gemein,
daß ich ihr alle meine Farbentoͤpfe an den Kopf wer¬
fen moͤchte! — Nun, einen deiner Pinſel wenigſtens
haſt du ſchon hinausgeſchmiſſen, entgegnete das Maͤd¬
chen lachend. — Da meint ſie mich, ſagte Grundling
zu Fortunat, fideles, genialiſches Volk!
Jetzt oͤffnete er am Ende eines ſchmalen finſteren
Ganges eine Hinterthuͤr, und ſie traten in ein großes,
wuͤſtes, von einem Kaminfeuer zweifelhaft erleuchtetes
Gemach, wo Fortunat zu nicht geringer Verwunde¬
rung in den Zankenden, Kordelchen und den Maler
Guido erkannte. Die erſtere ſaß auf einem Koffer,
wo ſie Waͤſche zu flicken ſchien. Kaum hatte ſie For¬
tunaten erblickt, als ſie, aufſpringend, alles wegwarf,
ihm mit großer Freude an den Hals flog, und ihn
tuͤchtig abkuͤßte. Guido, bleich und verſtoͤrt, ſtand
ſchweigend und ſchien einen Augenblick verlegen. Kor¬
13*
delchen aber erzaͤhlte in aller Geſchwindigkeit, Herr
Grundling, der in Rom bekannt ſei wie in ſeiner eige¬
nen Taſche, habe Guido'n in den Bildergallerien und
bei allen Malern herumgefuͤhrt, vor kurzem ſeien ſie
in einem großen philoſophiſchen Disput uͤber die Kunſt
zuruͤckgekehrt, da habe Grundling Guido's angefan¬
gene Bilder und Zeichnungen getadelt, daraus ſei der
ganze Spectakel entſtanden. — Wie du alles wieder
verdrehſt! fiel ihr Guido heftig in's Wort, es iſt nicht
um den Plunder auf meiner Staffelei dort! Vor den
uͤbermaͤchtigen alten Bildern in den Werkſtaͤtten unſe¬
rer frommen, ernſten deutſchen Kuͤnſtler, da that es
ploͤtzlich einen langen Blitz uͤber mein ganzes Leben
von allen Decken, Waͤnden herab, und verbrannte, was
hinter mir lag. Da wußt' ich's auf einmal, wer ich
bin, ein weinerlicher erbaͤrmlicher Wicht, der noch
nichts gemalt und erdacht hat! — Hier brach ſeine
Stimme, er ſetzte ſchnell ſeinen Hut auf und ſtuͤrzte,
ohne jemanden zu begruͤßen, trotzig zur Thuͤr hinaus.
Es iſt doch ein ſchoͤner Junge, beſonders wenn
er boͤſe wird, ſagte Kordelchen, ihm nachſehend.
Grundling zuͤndete unterdeſſen an dem Kamin, wo
Ueberbleibſel vom Mittageſſen aufgewaͤrmt wurden,
gelaſſen ſeinen Cigarren an, waͤhrend Fortunat Guido'n
nacheilen wollte. Aber Kordelchen vertrat ihm den Weg.
Ich bitte Sie, lieber Baron, ſagte ſie, thun Sie
ihm nicht den Gefallen, denn er will doch nur be¬
dauert und widerlegt ſein. Je mehr man ihn troͤſtet
und ſtreichelt, je ungebaͤrdiger wird er, wie ein unge¬
zogenes Kind, das ſich ſelbſt in die Zunge gebiſſen hat.
Sie fing nun, unbekuͤmmert um die Gegenwart
der beiden Fremden, vor den Truͤmmern eines zerbroche¬
nen Spiegels ſich ſchnell zu putzen an, wobei ſie Fortu¬
naten ſehr luſtig erzaͤhlte, wie ſie nach Rom gekommen.
Das froͤhliche Maͤdchen, ſchon fruͤh fuͤr die Buͤhne
dreſſirt, hatte durch ihr Zuſammentreffen mit Lothario
zum erſtenmale in ihrem Leben Luſt und Leid in ihrer
tieferen Gewalt erfahren, ohne ſich weiter ihren Zu¬
ſtand klar zu machen. Als nun aber der unbeſtaͤndige
Freund ſo ploͤtzlich verſchwunden war, wurden ihr Thea¬
ter, Sorti und alle die alten Geſichter langweilig, und
der enthuſiaſtiſche Guido beredete ſie um ſo leichter,
ihn nach Italien zu begleiten, als ſie dadurch an Lo¬
thario's Untreue ſich zu raͤchen und insgeheim dieſen
hier wieder zu finden meinte, was ſie aber allen ver¬
ſchwieg. Unterweges hatte ſie ſich unzaͤhligemal mit
Guido entzweit und wieder verſoͤhnt, ſie galt fuͤr ſeine
Frau, hier in Rom endlich zerſtreute ſie die neue Welt,
und ſo fuͤhrte ſie gedankenlos ihr gewohntes, leichtfer¬
tiges Leben mit einer gewiſſen Unſchuld fort, die dabei
nichts Arges hatte. — Aber wie ſind ſie damals in der
Schweiz den Lord und den Albert wieder losgeworden?
fragte ſie ploͤtzlich Fortunaten. — Wie! ſagte dieſer
erſtaunt, ſo wart ihr es in jener Nacht? — Freilich,
erwiederte ſie lachend, ich kannte ihre Einbildung, und
ritt und trug mich wie die arme Graͤfin, um die irren¬
den Ritter zu foppen. —
Waͤhrenddeß machte Grundling dem Maͤdchen bei
ihrer Toilette auf ſeine ſchwerfaͤllige Art den Hof, was
ſie ſogleich zu benutzen wußte, indem ſie beſtaͤndig
etwas zu kommandiren hatte, bald mußte er ihr ein
Tuch holen, bald eine Nadel ſuchen, dann reichte ſie
ihm ihr Fuͤßchen hin, um ihr den Schuh feſtzubinden,
was der trockene Schalk mit ungeſchickter Umſtaͤndlich¬
keit ausfuͤhrte. Darauf wollte ſie ihre Gaͤſte auf nor¬
diſche Weiſe mit Thee bewirthen, aber da waren die
Theeloͤffel verlegt, die Taſſen voll Farbenkleckſe, zudem
war es ſchon finſter, und je mehr man ſuchte, je
groͤßer wurde die Verwirrung, bis Kordelchen endlich,
den Einfall wieder aufgebend, die beiden Maͤnner
luſtig zu einem Seitenpfoͤrtchen hinausſchob, um ihnen
ihren ſogenannten Garten zu zeigen.
So gelangten ſie durch das dunkelverbaute Hin¬
terhaus auf einen kleinen gruͤnen Platz, deſſen Ausſicht
Fortunaten wunderbar uͤberraſchte. Denn hinter den
Weingelaͤnden und duftigen Gaͤrten, die ſich terraſſen¬
artig ſenkten, lag ploͤtzlich die Nacht mit ihren Truͤm¬
mern und zerbrochenen Saͤulen wie ein Buch der Ver¬
gangenheit unter ihnen aufgeſchlagen, deſſen Anfangs¬
buchſtaben der Mond raͤthſelhaft vergoldete. Da hoͤr¬
ten ſie von fern aus den Gaͤrten einzelne Akkorde
einer Laute, bald darauf ſang eine ſchoͤne maͤnnliche
Stimme:
Jetzt wandr' ich erſt gern!
Am Fenſter nun lauſchen
Die Maͤdchen, es rauſchen
Die Brunnen von fern.
Aus ſchimmernden Buͤſchen
Ihr Plaudern ſo lieb
Erkenn' ich dazwiſchen,
Ich hoͤre mein Lieb!
Kordelchen, die aufmerkſam hinabgelauſcht hatte,
beſann ſich nicht lange und antwortete ſogleich nach
derſelben Melodie:
Ich hoͤre mein Lieb,
Beim wechſelnden Scheine
Verlaͤßt er die Seine
Und kommt wie ein Dieb.
Es hallt von den Steinen,
Die Wipfel wehn ſacht
Und ſagen's der Deinen —
Ja, huͤt' dich bei Nacht!
Der Saͤnger unten ſchien es vernommen zu ha¬
ben, er ſang, immer naͤher und naͤher kommend, luſtig
entgegen:
Ja huͤt' dich! bei Nacht
Pflegt Amor zu wandern,
Ruft leiſe die andern,
Da ſchreiten erwacht
Die Goͤtter zur Halle
In's Freie hinaus,
Es bringt ſie dir alle
Der Dichter in's Haus.
Die Stimme ſchien Fortunaten bekannt, da
rauſchte es in dem naͤchſten Gebuͤſch, und mit einem
leichten Satze ſchwang ſich der Saͤnger zwiſchen dem
alten Gemaͤuer zu ihnen herauf, daß ſeine Laute an
den Zweigen einen froͤhlichen Klang gab. — Otto!
rief Fortunat freudig aus, denn es war niemand an¬
ders, als der poetiſche Student aus Hohenſtein. Faſt
aber haͤtte er ihn nicht wieder erkannt, ſo verwandelt,
von der Sonne gebraͤunt und ruͤſtig erſchien der Juͤng¬
ling. Er hatte Fortunats Ankunft ſchon erfahren,
und erzaͤhlte ihm nun ſogleich voller Entzuͤcken von ſei¬
ner Reiſe und dem hieſigen Aufenthalt, er war wie
berauſcht in den fremden Luͤften. Kordelchen neckte
ihn mit ſeinem roͤmiſchen Liebchen, und Grundling
ſchwor, das ſei das ſchoͤnſte Frauenzimmer, das er
jemals geſehen, alle Maler ſtiegen ihr nach, wenn ſie,
ihr Fruchtkoͤrbchen auf dem Kopfe mit dem einen Arm
unterſtuͤtzend, ſchlank und zierlich uͤber den Markt
ging; einem Landsmann habe ſie bei dieſer Gelegen¬
heit einmal eine Feige umſonſt gereicht, naͤmlich hin¬
ter's Ohr.
Waͤhrend ſie noch ſo ſprachen, hoͤrten ſie hinter
ſich im Hauſe heftig gehen und die Thuͤren zuſchla¬
gen. Es war Guido, der, in der ungebaͤrdigſten Laune
zuruͤckgekehrt, nach Licht rief und im Finſtern mit den
Stuͤhlen umherwarf. — Heraus, du verſtoͤrter Polter¬
geiſt mit deinem dummen Kuͤnſtler-Ungluͤck! rief
Grundling in das Haus hinein. — Laßt mich jetzt
ungeſchoren, das rath' ich euch, erwiederte Guido zor¬
nig von Innen, wem ſein Himmel uͤber dem Haupte
zuſammenbrach, dem kommts auf ein Paar Scherben
mehr oder weniger nicht an. — Hier aber verwickelte
er ſich unter dem alten Geruͤmpel des Hausflurs mit
den Fuͤßen in umherliegende Schlaͤuche, er zuckte unge¬
duldig, daruͤber gerieth ein uͤbereinandergeſchichteter
Thurm von leeren Weintonnen in's Wanken und Fal¬
len, bis auf einmal Schaffe, Tonnen und Maler,
unaufhaltſam uͤbereinanderkollernd, zum Hauſe heraus¬
geſtuͤrzt kamen. Grundling, der ſich vorwitzig der
Thuͤre genaͤhert hatte, konnte nicht ſo ſchnell entſprin¬
gen, eine Tonne huͤpfte ihm zwiſchen die Beine, er
wollte ſich an Otto'n feſthalten, erwiſchte aber nur
ſeine Laute, mit der er krachend niederfiel. Otto
ſchalt auf Grundling, Grundling auf Guido, Guido
auf mehrere alte Weiber, die uͤber dem Laͤrm keifend
aus allen Dachfenſtern herausfuhren. Mitten aus
dieſer Verwirrung brach endlich das tiefe, weitſchal¬
lende Lachen Grundlings mit ſolcher vehementen Herz¬
lichkeit, daß es bald Handelnde und Zuſchauer unauf¬
haltſam mit fortriß.
Dieſe unerwartete Exploſion zerſtreute die letzten
Woͤlkchen an dem leichtbeweglichen Horizont. Auch
Guido hatte daruͤber ſeine hochmuͤthige Zerknirſchung
gaͤnzlich wieder vergeſſen. Man holte Wein herbei,
und Kordelchen forderte Grundlingen auf, da ſie ſich
eben alle wie in der Arche Noah ſo froͤhlich zuſam¬
mengefunden haͤtten, bei der ſchoͤnen, warmen Nacht
ſeine Lebensgeſchichte zum Beſten zu geben, was von
den andern mit großem Applaus aufgenommen wurde.
Grundling langte nun aus ſeinem tiefen Schub¬
ſack erſt mehrere Stuͤcke eines Pfeifenrohrs hervor, die
er umſtaͤndlich zuſammenſetzte, und einen ungeheuern
Pfeifenkopf vollpfropfte, waͤhrend er auf einem der
umgeſtuͤrzten Weinfaͤſſer Platz nahm. Die andern hat¬
ten ſich, um dem Qualme des ſchlechten Tabacks zu
entgehen, vorſichtig außer dem Winde um ihn her ge¬
ſetzt, worauf derſelbe endlich folgendermaßen begann:
Du wirſt dich noch erinnern, Fortunat, wie ich
in Heidelberg mich ſo in die Wiſſenſchaften verbiſſen
hatte, daß ich gar nicht mehr loskommen konnte. —
Allerdings, erwiederte Fortunat, du und dein gruͤn¬
graͤulicher Mantel hatten ſchon mehrere Studentengene¬
rationen uͤberlebt, als ich dort ankam. Du warſt ein
hartnaͤckiger Kantianer, und ſtandſt, noch immerfort
nach der Aufklaͤrung hinweiſend, wie ein alter Meilen¬
zeiger, den man mitten im Kornfelde vergeſſen, nach¬
dem Fichte und Schelling laͤngſt andere Straßen ge¬
zogen hatten. Du verachteteſt damals uns Juͤngere
unſaͤglich, die wir den neuen Weg eingeſchlagen. —
Nun bei Gott, das thu' ich auch jetzt noch, rief Grund¬
ing, indem er dicke Tabackswolken von ſich ſtieß. —
Auf einmal aber warſt du in Heidelberg ſpurlos ver¬
ſchwunden, ſagte Fortunat. Ein von den Ferien zu¬
ruͤckkehrender Student hatte deinen Mantel mitten auf
der Heerſtraße gefunden, den wir ſodann mit einem
philoſophiſchen Leichen-Sermon feierlich zur Erde be¬
ſtattet haben. Wie ging das zu? — Das will ich
euch wohl berichten, entgegnete Grundling.
Es trieb ſich dazumal ein ſchlanker, junger Menſch
in Heidelberg herum, den niemand naͤher kannte, er
war nicht Student, nicht Philiſter, aber verdammt
ſchlau. Das kam mir gleich verdaͤchtig vor, denn ich
habe in ſolchen Stuͤcken eine feine Naſe. Ich fuͤhlte
dem Patron bei ſchicklicher Gelegenheit auf den Zahn,
da ſprach er von Fuͤrſten, Miniſtern und Biſchoͤfen?
— verſteht ihr? Biſchoͤfen — mit denen er oft in
naher Beruͤhrung ſtaͤnde, von Ruͤhrung, Stimmung
der Seelen u. ſ. w., aber alles glatt und durcheinan¬
dergeſchlungen, wie ein Aal. Da ſchoß mir endlich
ganz das Blatt. Ja, liebe Freunde, es war nie¬
mand anders, als ein geheimer Jeſuit, ſo ein ver¬
dammter proſelytenmacheriſcher Emiſſair! Nun, Ihr
kennt mich, von Stund' an faßt' ich den Kerl ſcharf
in's Auge, ſann und beobachtete ihn bei Tag und
Nacht. Eines Abends ſehr ſpaͤt wandle ich eben in
meinem Mantel vor dem Thore ſo fuͤr mich auf und
nieder, als ich auf einmal den Emiſſair ſacht und vor¬
ſichtig in ein dunkles Gebuͤſch ſchluͤpfen ſehe. Ich,
nicht zu faul, lenke ſogleich meine Schritte dahin, ar¬
beite mich durch Strauch und Dorn immer tiefer nach,
und was erblick' ich?! — Unter einer hohen Linde im
daͤmmernden Mondſchein ſteht der Emiſſair in erhabe¬
ner Stellung, neben ihm ein ſehr junger Menſch, der
ſo eben, die rechte Hand zum Himmel gereckt, einen
feierlichen Schwur ablegt. Nun halt' ich mich nicht
laͤnger, ich ſtuͤrze hervor und donnere den Seelenver¬
kaͤufer an, daß er ſich unterfange, dieſen Sitz der
Aufklaͤrung mit der peſtilenzialiſchen Finſterniß des
Mittelalters zu verduͤſtern et cetera. Unterdeß fing
auch uͤber meiner Rede ein Hund in der Naͤhe zu bel¬
len an, einige Perſonen bewegten ſich von fern zwi¬
ſchen den Baͤumen, die Ueberraſchten wurden immer
verlegener, ich fuhr in meinen Ermahnungen immer
nachdruͤcklicher fort. Aber was geſchieht? Der Kerl
von Jeſuit packt mich auf einmal von hinten, der an¬
dere an den Fuͤßen, daß ich die Balance verliere, ſo
werfen ſie mich in eine verfluchte Kaleſche am Gebuͤſch,
die ich vorher gar nicht bemerkt hatte, ſchwingen ſich
mit herauf, der Kutſcher peitſcht in die Pferde und
fort geht es uͤber Stock und Stein in die finſtere
Nacht hinein. — Als ich wieder zu mir ſelbſt kam,
fand ich mit Vergnuͤgen, daß meine Pfeife in der Con¬
fuſion nicht ausgegangen war, auch hatte ich den Tag
uͤber viel geſeſſen, etwas Motion konnte nicht ſchaden,
die Nacht war ſchoͤn, kein Menſch oder Dorf in der
Runde — ſo dacht' ich denn: laß ſie fahren! und ſetzte
meine Ermahnungen ruhig wieder fort. Aber es
dauerte nicht lange, ſo war der junge Proſelyt daruͤber
eingeſchlafen. Der Jeſuit dagegen, wie es die Art
dieſes ſchlauen Ordens iſt, wich mir mit ſophiſtiſchen
Redensarten bald rechts bald links aus, dann zog er
eine Flaſche guten ſchweren Weines aus der Wagen¬
taſche und trank mir zu. Ich kam immer mehr ins
Feuer, wir disputirten und tranken, ich verbreitete
mich ausfuͤhrlich uͤber Aufklaͤrung, Moͤnchthum, dicke
Finſterniß et cetera, aber Gott weiß, wie das zuging,
es war mir, wie ich ſo fortſprach, als ſchritt' ich in
der Rage unſerem Saͤculum um einige Jahrhunderte
ſo unaufhaltſam vor, daß ich meine Gedanken gar
nicht mehr halten konnte, vergeblich blickte ich unver¬
wandt auf den dreieckigen Hut des Kutſchers vor mir,
Baͤume und Doͤrfer und Waͤlder und Gedanken flogen
und verwickelten ſich mir im Mondſchein durcheinander,
nur manchmal hoͤrt' ich noch den Jeſuiten dazwiſchen
ſchnarchen, bis mir zuletzt ſelbſt alle Sinne vergingen.
— Als ich wieder aufwachte, war der Jeſuit und
Proſelyt und Wagen und alles fort, und ich liege ruͤck¬
lings auf einem Raſenkanapee an der Chauſſee in der
angenehmſten Morgenkuͤhle. Aber wie lieg' ich da!
In einem kompletten Jeſuiter-Rokolor mit unzaͤhligen
Knoͤpfen vom Kinn bis an die Fußſpitzen, und ein
kleines ſchwarzes Barett auf dem Haupt!
Hier brachen ſaͤmmtliche Zuhoͤrer in ein lautes
Gelaͤchter aus, nachdem Kordelchen ſchon waͤhrend der
ganzen Erzaͤhlung oͤfters heimlich gekichert hatte. Dum¬
mes Zeug! rief Grundling aͤrgerlich, und ſtuͤrzte zwei
Glaͤſer Wein hinter einander aus, was iſt da zu la¬
chen? Das war kein Spaß. Vom Felde glotzten
mich ein Paar Bauern groß an, ich ſchaͤmte mich in
dem Aufzuge, als ob ich nackt waͤre, und ſprang ge¬
ſchwind in's Gebuͤſch. Aber die Bauern, wie ſie das
ſehen, fangen an zu ſchreien, und Hurrah hinter mir
drein! Ich ſpringe und ſchluͤpfe und duck' mich in
Graͤben an Zaͤunen, laufe in der Verwirrung gerade
in's Dorf hinein, verwickle mich mit dem langen
Rokolor im Geſtraͤuch, da fahren Euch Hunde, Kin¬
der und Weiber aus allen Loͤchern und alles ſchreit
Mordio. — So brachten ſie mich ganz athemlos zum
Paſtor. Da hatt' ich nun gut reden, daß ich kein
Jeſuit, ſondern eigentlich ein Philoſoph ſey, je mehr
ich von Aufklaͤrung ſprach und auf die Jeſuiten
ſchimpfte, je ſchlauer und verdaͤchtiger laͤchelte der Pa¬
ſtor dazu. Endlich gab er zu eſſen, ich hatte einen
erſtaunlichen Appetit. Ueber der Mahlzeit aber hoͤr'
ich draußen ein Pferd ſchnauben und ſcharren, der
Paſtor geht hinaus, ich vernehme eine feine Silber¬
ſtimme, die ſich voller Verwunderung und ſehr eifrig
nach mir erkundigt. Als ich an's Fenſter trete, erblick'
ich unter den alten Linden vor dem Pfarrhauſe ein
hohes, ſchlankes Frauenzimmer zu Pferde, im Jagd¬
habit mit nickenden Federn auf dem Haupt. Sie ritt
ſo eben wieder fort, ich konnte ihr Geſicht nicht mehr
ſehen, aber ſie machte von hinten einen recht majeſtaͤ¬
tiſchen Eindruck auf meine Sinne. — Nun kam und
ging der Paſtor wieder hin und her und hatte immer¬
fort das fatale Laͤcheln im Geſicht, ich merkte, daß
Boten abgeſchickt wurden, ich hoͤrte insgeheim vom
Gerichtshalter et cetera fluͤſtern, da wurde mir zuletzt
Angſt, und gegen Abend ſchluͤpfte ich unvermerkt durchs
Hinterpfoͤrtchen, um die Nacht uͤber nach Heidelberg
fortzuwandern. Wie ich aber ſo vor dem Dorfe am
Schloßpark voruͤberziehe, hoͤr' ich drin dieſelbe Silber¬
ſtimme ſehr angenehm zur Laute ſingen. Das ficht
mich an, ich trete in den Park, immer dreiſter und
weiter — es war richtig die Reiterin. Sie hatte
mich ſchon erblickt. — O meine Ahnung! wußt' ich's
doch, daß du kommen wuͤrdeſt, frommer Vater, ſagte
ſie, zu mir tretend. Nun haͤtte das doch mit dem Teufel
zugehen muͤſſen, wenn ich ihr Vater haͤtte ſeyn ſollen,
denn ſie war aͤlter als ich, und haͤßlich, lang und ver¬
trocknet. Sie erzaͤhlte mir nun in der Geſchwindig¬
keit, daß ſie Schriftſtellerin ſey, unter dem Namen
Blancheflour, ich wuͤrde ihre Schriften wohl kennen,
ſie habe dieſen wichtigen Moment in ihres Herzens
Herzen laͤngſt erſehnt. — Aber was wollen Sie denn
eigentlich? fragte ich ganz verbluͤfft. — Nun mein
Gott! katholiſch werden! Aber du kennſt wohl meine
geiſtlichen Hymnen noch nicht, ehrwuͤrdiger Vater? —
Und nun fing ſie, eh' ich's mich verſah, wuͤthend zu de¬
klamiren an, bei jedem Vers trat ſie in der Verzuͤckung
einen Schritt naͤher, ich einen Schritt zuruͤck, bis an
eine Laube, wo ich geſchwind entwiſchen will. Da
brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Buſch¬
werk, und gerade auf mich los; es war der Bruder
des Fraͤuleins und ſein akademiſcher Freund, ein durch¬
reiſender engliſcher Lord. Der Lord, der uns fuͤr ver¬
liebt haͤlt, nimmt ſich ſogleich der verfolgten Unſchuld
der Jungfrau an, es werden Hieber angeſchleppt und
ich muß mich auf der Stelle mit ihm duelliren. Ihr
wißt, ich fuͤhrte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls,
wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging's
drauf — das Fraͤulein lag in Ohnmacht — Schlen¬
kerprimen und Schulterquarten, daß ich mein Barett
vom Kopf verlor. Nur noch einen Gang! rief der
Lord entzuͤckt aus — meinetwegen! — und wieder
einen, und noch einen! — Daruͤber wird mir endlich der
Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embraſ¬
ſirt mich. — Nun fand ſich's, daß er auch ein heller,
philoſophiſcher Kopf, und eben ſo erpicht auf Men¬
ſchenbildung war, als ich. Ich mußte mit ihm auf's
Schloß, da hatte er alle Koffer voll neuer Conſtitu¬
tionen, die er bei den verſchiedenen Nationen anbrin¬
gen wollte. Wir diſputiren zuſammen die ganze
Nacht, wir werden ein Herz und ein Sinn, trinken
Bruͤderſchaft, und er proponirt mir, mit ihm zu rei¬
ſen. Das Fraͤulein behandelte mich nun ſchnoͤde und
veraͤchtlich. Aber ich fragte nichts darnach, am fol¬
genden Morgen ſaß ich mit dem Lord auf dem Wa¬
gen und wir fuhren durch die Schweiz uͤber Rom,
Neapel, zwiſchen Calabrien und Sicilien durch —
Halt! halt' ein! riefen hier die Andern lachend
dazwiſchen, dein Lebenslauf kommt auf einmal ſo ver¬
teufelt in's Stuͤrzen, daß einem ordentlich der Wind
am Hute pfeift.
Was da Halt! erwiederte Grundling, trinkend
und wieder einſchenkend. Aber in Spanien ging's uns
kurios. Das iſt ein verteufelt hitziges Land, kaum
hat man dort das Saamenkorn der Weisheit in den
Boden gelegt, ſo ſchießt's einem auch ſchon gleich unter
den Beinen empor, Diſteln und Unkraut, da iſt kein
Halten mehr, und eh' man ſich's verſieht, iſt einem
in dem verruͤckten Klima die ganze Vegetation uͤber
den Kopf gewachſen wie eine ungeheure Pelzmuͤtze.
Das haben wir dazumal wohl erfahren. Wir hatten
uns durch Prozeſſionen, an Kloͤſtern und Feudalſitzen
voruͤber, ſchon ziemlich tief in's Land hineingeaͤrgert,
und ritten eines Abends ſo eben dem Gebirge zu, als
ſich ein Paar wackere Burſchen zu uns geſellten.
Wem's Ernſt iſt, der feiert nicht gern. Wir knuͤpften
ſogleich ein Geſpraͤch aus dem Gebiet der praktiſchen
14
Philoſophie mit ihnen an, bald holten wir noch ein
Paar Wanderer ein, und wieder ein Paar, bis wir
zuletzt am Fuße des Berges auf einen großen, hellen
Haufen ſtießen. Ich beſinne mich nicht lange und
haranguire das Volk. Ich ſprach vom Aberglauben,
von der Freiheit des Willens et cetera, ich kam
immer mehr in's Feuer mit donnernder Stimme und
zuckenden Gedankenblitzen, das zuͤndet gleich rechts und
links, die Kerls jauchzen, ſchreien Bravi und wieder
Bravi, und eh' man die Hand umdreht, mitten in der
Rede heben ſie mit Piken und Stangen ein altes ab¬
gebrochenes Zelt hoch uͤber ihre Koͤpfe, ſchwingen vor
Entzuͤcken mich und den Lord auf den Baldachin hin¬
auf, und tragen uns ſo im Triumph auf ein altes
adeliges Schloß zu. Da war's doch nicht anders,
als wollten ſie mit unſeren Koͤpfen die Mauern ein¬
rennen, denn in der Begeiſterung fragten ſie den Teu¬
fel darnach, daß das Schloßthor viel zu niedrig war
fuͤr unſeren Baldachin. Zum Gluͤck erblick' ich nebſt
dem Lord noch zu rechter Zeit einen Balkon gerade
vor uns uͤber dem Thore, wir erfaßten ſchnell das
Gelaͤnder, die Kerls ſchritten wie toll unter uns weg,
und ſo blieben wir draußen am Balkon haͤngen mit
den Beinen in der Luft. Jetzt aber entſtand unter
uns ein Spektakel, ein Gedraͤnge und Gewuͤrge —
denn die Kerls waren Guerillas — die vom Schloß
fielen aus, die Guerillas ein — zwiſchen unſeren
Beinen hindurch flogen die Kugeln immerfort hin und
her, der Lord verwuͤnſchte unſere Philoſophie, woruͤber
wir noch heftig an einander geriethen. Wie wir nun
ſo bedenklich haͤngen und ſtreiten, ſtuͤrzt ploͤtzlich oben
im praͤchtigen Mondſchein zwiſchen bluͤhenden Pome¬
ranzenbaͤumen das Schloßfraͤulein auf den Balkon her¬
aus, dunkle Locken, Alabaſter-Hals und Buſen, und
eine Laute im Schwanen-Arm. Die ſieht mich pene¬
trant an, und bleibt wie verzaubert ſtehen, ſie ſieht
mich noch einmal an — und: „o mein Traum!“ ruft
ſie, und laͤßt die Laute fallen. Darauf, ſchnell wie¬
der gefaßt, erwiſcht ſie mich hinten beim Kragen, und
hilft erſt mir, dann dem Lord raſch uͤber's Ge¬
laͤnder auf den Balkon, in das Pomeranzengemach
hinein. Jetzt aber war guter Rath theuer; ich unbe¬
waffnet, kein Schwerdt in der Naͤhe, und von unten
heult das Gedroſſel, wie ein verſeſſener Sturmwind,
durch das alte Haus immer hoͤher und naͤher herauf.
Der Lord wirft ſich noch geſchwind an den Sekretair
des Fraͤuleins hin, ſchreibt ſein Teſtament, und ſetzt
mich zu ſeinem Univerſal-Erben ein. Unterdeß aber —
ihr kennt die ſuͤdliche Glut — verliebt ſich die Prin¬
zeſſin —
Prinzeſſin? rief Fortunat, du nannteſt ſie ja eben
noch ſchlechtweg vorhin Fraͤulein!
Verliebt ſich die Prinzeſſin, fuhr Grundling immer
ſchneller redend und trinkend fort, immer heftiger in
14*
mich, und erzaͤhlt mir, wie ſie mich ſchon fruͤher ein¬
mal im Traume geſehen, mit Uniform und dreieckigem
Hut durch's Morgenroth auf Wolken ſchwebend, et
cetera. Jetzt war auch der Lord mit dem Petſchiren
des Teſtaments fertig, die Prinzeſſin wollte uns aus
dem Schlachtgetuͤmmel heimlich ſalviren, wir retirirten
durch Kammern und lange Gaͤnge unaufhaltſam immer
hoͤher hinauf, wobei uns noch der eigenſinnige Lord
gefaͤhrlich wurde, der niemals ſeine prallen hirſchleder¬
nen Hoſen ablegen mochte, die nun in dem Mond¬
ſchein von weitem leuchteten. So kamen wir endlich
auf das flache Schloßdach hinaus, da ſtanden wieder
bluͤhende Granaten und Limonien, in der Mitte plaͤt¬
ſcherte eine Waſſerkunſt ſehr angenehm, in der Gold¬
fiſchchen bei dem klaren Mondſchein luſtig hin und
her fuhren. Aber da war nicht lange Zeit zur Ergoͤtz¬
lichkeit. Unter uns der Kriegslaͤrm, vor uns der
naͤchtliche Abgrund, dazwiſchen die ſchoͤne Herzogin mit
der ſuͤdlichen Glut immer dicht hinter mir drein: ich
ſoll katholiſch werden und ſie heirathen, oder ich und
ſie muͤßten auf der Stelle ſterben! Ich aber kann
mich in der Confuſion nicht gleich reſolviren, da zieht
ſie einen unvernuͤnftig langen Dolch aus dem Guͤrtel,
preßt mich mit dem linken Arm feſt an ihre Bruſt,
holt mit dem rechten hinter meinem Ruͤcken aus, und
will mich und ſich zugleich durch und durch ſtechen.
In demſelben Augenblick platzt die Fallthuͤr neben uns
mit einem ungeheuren Knall, daß die Stuͤcke meilen¬
weit auseinander fliegen. Sie hatten ſchon lange dar¬
unter geſtemmt, und nun, wie wenn ein Champagner¬
ſtoͤpſel unverhofft losgeht, kamen auf einmal Guerillas,
Schloßſoldaten und Alguazils, die einen mit den Ell¬
bogen, die andern mit den Stiefeln voraus, mit un¬
glaublicher Vehemenz aus dem Loche ſenkrecht empor¬
geflogen, und ſo wie einer auf das Dach wieder nie¬
derfiel, fuhr er ſeinem Nachbar gleich wieder in die
Haare, ſo verbiſſen waren ſie unter einander. Die
verliebte Koͤnigin, da ſie nun alles verloren ſieht, faßt
mich beim Arme und raſch mit mir fort an den Rand
der Zinne; aber Ihr wißt, ich hielt niemals viel auf
Kleider, mein ganzer Aermel laͤßt oben in der Naht
los, und die Koͤnigin ſtuͤrzt ſich mit meinem Aermel
in den Abgrund hinab, in der Luft noch: Don Grund¬
linghio! rufend. —Unterdeß bekommt mein Lord ploͤtz¬
lich ſeinen engliſchen Spleen. Eh' ich's mich verſehe,
duckt er ſich kopfuͤber in das Baſſin der Waſſerkunſt.
Das war nun aber ſo klein und ſeicht, daß ihm die
Lederhoſen oben trocken heraushingen. Ich ſchreie, die
geſtoͤrten Goldfiſche ſtoßen wuͤthend auf ſeinen Backen¬
bart, alles umſonſt! er ſtampft und ſtopft ſich ſelber
immer tiefer hinein, und erſaͤuft ſich ſo mit aller Ge¬
walt. Es war ein kritiſcher Moment, Feinde ringsum,
ich ziehe ſchnell mein Schwerdt und maͤhe mich von
Etage zu Etage hinunter, ein umgefallener Alguazil
beißt mich in dem Gemetzel noch in die Wade, ich
ſpick' ihn feſt an den Boden —
Aber was Teufel! fuhr Grundling hier ploͤtzlich
mit ſichtbarem Schrecken von ſeinem Sitze auf, ſtehen
denn die Todten wieder auf? da geht wahrhaftig der
Lord voruͤber! — Und in der That, durch die offenen
Thuͤren des Hauſes ſah man draußen auf der Gaſſe
beim hellſten Mondſchein die gelben Lederhoſen eines
raſch voruͤbergehenden Mannes deutlich ſchimmern.
Ueberraſcht ſprangen nun auch die Andern auf, denn
ſie glaubten in der Figur fluͤchtig ihren langen Lord
vom fuͤrſtlichen Hofe wiederzuerkennen. Eine ſchlanke
Maͤdchengeſtalt, mit welcher die Eile des Fremden
vielleicht in einigem Zuſammenhang ſtehen mochte,
ſchluͤpfte unterdeß, noch einmal zuruͤckblickend, ſchnell
um die dunkle Straßenecke. Grundling aber hatte den
Englaͤnder ſchon erreicht, und ſie ſahen nun beide in
der Daͤmmerung wie zwei Schatten im Reiche der
Todten dahin ſchweben.
Laßt die Phantaſten laufen! ſagte Kordelchen in
der Hausthuͤr. Wißt ihr denn nun aber auch, wer
den Grundling eigentlich aus Heidelberg fortgeſchafft
hat? Der vermeintliche Proſelytenknabe war ich ſelbſt,
und der ſogenannte Jeſuit niemand anders als ein
junger Schauſpieler, der mich damals heimlich von
Heidelberg entfuͤhrte. Wir mußten wohl den tollen
Kautz uͤber Hals und Kopf mit auf den Wagen packen,
wenn er mit ſeinem Laͤrm nicht alles verrathen ſollte;
mein Freund hatte in ſeiner kleinen Theatergarderobe
zufaͤllig eine Jeſuitenkleidung, in die wir dann den
Trunkenen hineinknoͤpften, und des Nachts auf der
Landſtraße wieder ausſetzten. — Nun wahrlich, rief
Fortunat lachend aus, das iſt ja ein wahrer Sturm¬
beutel voll Luͤgen!
Waͤhrenddeß ruhte Guido, der nach den heftigen
Gemuͤthsbewegungen uͤber Grundlings Erzaͤhlung ein¬
geſchlummert war, draußen im Gaͤrtchen, noch im
Schlafe maleriſch uͤber einen zertruͤmmerten Saͤulen¬
knauf hingeſtreckt. Otto aber blickte immerfort unver¬
wandt in die Straße hinaus, auch er hatte vorhin
jene fluͤchtige Maͤdchengeſtalt bemerkt, und ſchien zer¬
ſtreut und unruhig. Endlich hielt er ſich nicht laͤnger,
und ſchlug Fortunaten haſtig noch einen Streifzug
durch die Stadt vor, was dieſer mit Freuden annahm.
Kordelchen blickte beide liſtig an: felicissima notte!
ſagte ſie dann mit einem ganz beſonderen ſchelmiſchen
Nachdruck, und als ſich Otto unwillig daruͤber zu ihr
wandte, war das wilde Maͤdchen ſchon im Hauſe,
und hatte die Thuͤr laut lachend hinter ſich verſchloſſen.
Sie eilten nun aus dem Gewirre der kleinen, engen
Gaͤßchen in's Freie hinaus, Zittern ſchwirrten von fern
durch die ſtille Luft, die Straßen waren noch voll
Menſchen, die froͤhlich plaudernd und ſingend, in der
erquickenden Kuͤhle auf und nieder ſchwaͤrmten. Otto
war ſtill und ſchritt in Gedanken immer ſchneller und
ſchneller, bis ſie zuletzt an einen einſamen Platz kamen,
wo er ſogleich auf ein kleines, unanſehnliches Haus
zueilte. Er fand die Thuͤr verſchloſſen, und klopfte
leiſe an; es blieb alles ſtill drin, er klopfte noch ein¬
mal lauter. Da ließ ſich eine uͤberaus anmuthige
Stimme im Hauſe vernehmen: Mein Herr, ich kann
den Schluͤſſel im Dunkeln nicht finden, auch wacht die
Mutter noch, aber habt die Guͤte, rechts die Straße
hinabzugehen, dann links um die Ecke, uͤber die Bruͤcke
fort, dann wieder rechts, das vierte Gaͤßchen links
hinein, ſo kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn
Ihr dort nicht auf den Kettenhund ſtoßt und die Lei¬
ter findet, ſo koͤnnt Ihr mir von dem Dache unſeres
Hinterhauſes noch eine gute Nacht ſagen; aber ſputet euch
und fallt nicht, denn ich bin ſchon ſehr ſchlaͤfrig. Und
kaum hatte ſie ausgeredet, ſo hoͤrten ſie ſie ſchon, leiſe
lachend, die Treppe hinanſpringen. — Annidi! rief nun
Otto hoͤchſtverwundert hinauf. Auf dieſen Ton oͤffnete
ſich ſchnell ein Fenſter uͤber ihnen, und eine Maͤdchenge¬
ſtalt von uͤberraſchender Schoͤnheit mit rabenſchwar¬
zem Haar und Augen erſchien im hellſten Mondglanz.
Biſt du es! rief ſie erſtaunt aus, ich meinte, es waͤre
der lange Englaͤnder, der mir vorhin wie auf hohen
Stelzen nachkam. Jetzt bemerkte ſie auch Fortunaten,
ſtutzte und war bemuͤht, ihr loſes Halstuch vor dem
Fremden raſch in Ordnung zu bringen. Otto hatte ſich
unterdeß auf einen Stein geſtellt, und reichte ſo bis
an's Fenſter. Das Maͤdchen legte den ſchoͤnen Arm
vertraulich um ſeinen Nacken, ſich hinausbeugend, daß
ihre dunklen Locken aufgingen und den Freund von
allen Seiten umgaben; dabei ſah ſie unverwandt For¬
tunaten an, dem ſie nicht recht zu trauen ſchien.
Nein! nein! rief ſie endlich, nicht ohne Koketterie ihre
Locken wieder aus der Stirn ſchuͤttelnd, was fragt
ihr fremden Herren nach dem Ruf eines armen roͤmi¬
ſchen Maͤdchens! Die Nachbaren wachen noch und
alle Fenſter ſehen im Mondſchein wie glaͤnzende Augen
her, gute Nacht! Hiermit warf ſie noch unverſehens
jedem einen friſchen Blumenſtrauß in's Geſicht, und
ſchloß ſchnell das Fenſter.
Waͤhrenddeß waren zwei Frauenzimmer, dicht in
ſeidene Maͤntel verhuͤllt, eilig uͤber den Platz gegan¬
gen. Fortunaten kam es vor, als haͤtten ſie ihn im
Voruͤberſtreifen ſcharf und verwundert angeſehen. Er
hoͤrte ſie darauf leiſe und eifrig mit einander ſprechen,
die eine ſah noch einmal zuruͤck, dann waren beide
ſchnell verſchwunden.
O wie wunderſchoͤn ſie iſt! rief Otto, noch immer
nach dem Fenſter ſchauend, aus, und erzaͤhlte nun be¬
geiſtert, wie er ſein Liebchen auf einem laͤndlichen Feſte
zum erſtenmale geſehen, wie ſie mit ihren armen
Eltern eingezogen aber froͤhlich lebe, wie ſie von ihm
Deutſch und er von ihr Poeſie lerne, weil ihre Gegen¬
wart, gleich der Morgenroͤthe, alles verzaubere und
verwandle. So gingen ſie langſam durch die ver¬
lockende Nacht, die Nachtigallen ſchlugen aus allen
Gaͤrten und zahlloſe Brunnen rauſchten von fern.
Siebenzehntes Kapitel.
Die Villa des Marcheſe A. mit ihren kuͤhlen
Schatten, hohen auslaͤndiſchen Blumen und weißen
Marmorbildern lag wie eine Inſel in dem Weltge¬
wuͤhl, auf die ſich Fortunat einſam verſchlagen fuͤhlte.
Oft toͤnte es wunderlich in ſeine Morgentraͤume hin¬
ein, wie wenn eine Hochzeit in weiter Ferne ſchwir¬
rend durch eine anmuthige Landſchaft ginge; wenn er
erwachte, erkannte er Fiametta's liebliche Stimme, die
Trepp' auf Trepp' ab ſingend, plaudernd und lachend,
das ganze Haus ſchon mit froͤhlichem Klang erfuͤllte.
Eines Morgens fand er ſogar einen friſchen vollen
Blumenſtrauß auf ſeinem Tiſchchen am Bett, er be¬
griff nicht, wie er uͤber Nacht dahingekommen, und
da er der kleinen Marcheſin dafuͤr danken wollte, ſchob
ſie's lachend auf ihre Kammerjungfer Lenore, die ihn
geſtern dort vergeſſen, aber ſie wurde uͤber und uͤber
roth dabei. — Einmal kam er ſpaͤt des Abends von
einer Wanderung zuruͤck, als er im Garten noch ſingen
hoͤrte, er meinte Fiametta's Stimme zu erkennen und
wollte ihr noch eine gute Nacht ſagen. Da war's
ihm, als ſaͤh' er ihr Figuͤrchen, verſtohlen winkend
und fluͤſternd, bald hier bald dort durch das Gebuͤſch
ſchimmern, er folgte immer eifriger durch Hecken und
Dorn in eine ganz unbekannte Gegend des Gartens
hinein, die ſchadenfrohen Neſſeln ſtichelten auf ſeine
ſeidenen Struͤmpfe, Eidechſen ſchluͤpften uͤberall neu¬
gierig durch das Geſtruͤpp. Ploͤtzlich ſtand er vor
einem Gartenhauſe, die Thuͤr war feſt zu, durch die
geſchloſſenen Jalouſien aber glaubte er im Mondſchein
fluͤchtig zwei friſche Augen funkeln zu ſehen. Sonſt
war alles ſtill im ganzen Garten und beſchaͤmt
und verdrießlich wanderte er wieder nach dem alten
Schloſſe zuruͤck. — Aber es half ihm nichts, der Mor¬
gen kam doch wieder und das liebliche Stimmchen mit
ihm wie ein Zaubervogel im Walde, der ihn neckend
immer tiefer in das gruͤne Labyrinth verlockte, von
dem kein Ende abzuſehen war.
So waren mehrere Wochen vergangen, Fortunat
hatte, um ſich alle Liebesthorheit aus dem Sinn zu
ſchlagen, ſich endlich mit einer Art von Wuth auf die
Sehenswuͤrdigkeiten der Stadt geworfen, mancherlei
Studien und Ausfluͤge in die Umgegend gemacht, und
daruͤber ſeine deutſchen Freunde faſt ganz vernachlaͤſ¬
ſigt. Er freute ſich daher recht, als eines Tages Otto
unerwartet gegen Abend zu ihm in's Zimmer trat, und
beſtuͤrmte ihn ſogleich mit Fragen nach Hohenſtein,
deſſen gruͤne Stille mit allen ihren geliebten Perſonen
ihm bei des Studenten Anblick wieder einmal ganz
lebendig wurde. Aber zu ſeiner Verwunderung beant¬
wortete Otto alles nur obenhin, ausweichend und bei¬
nahe verlegen. Dagegen ſchien ihn irgend eine gegen¬
waͤrtige große Freude zu draͤngen, ſeinem Herzen Luft
zu machen. Gegen ſeine ſonſtige, zuruͤckhaltende Ge¬
wohnheit theilte er unaufgefordert mehrere ſo eben voll¬
endete Gedichte mit, ſprach voll froͤhlicher Zuverſicht
von ſeinen Plaͤnen zu kuͤnftigen großen Arbeiten, und
entwickelte einen ſolchen bunten Reichthum der Seele,
daß Fortunat wie in ein Kaleidoſcop hineinzuſehen
glaubte.
Draußen wehte es unterdeß ſchon wieder kuͤhl
uͤber die Stadt, ſie machten noch einen Gang in's
Freie und Otto, ſein Geſpraͤch leidenſchaftlich fort¬
ſetzend, fuͤhrte den Freund zwiſchen kleinen Haͤuſern und
Weinbergen unvermerkt in eine ſchoͤne, abgelegene Ge¬
gend hinaus, die Fortunat noch nicht kannte. Garten
ſtieß an Garten, ein unuͤberſehbares bluͤhendes Paradies
mit zierlichen Villen und Balkonen, auf denen manche
ſchlanke Geſtalt zwiſchen den Wipfeln erſchien, alles
von der untergehenden Sonne zauberhaft durchblitzt
und beleuchtet. — Wenn ich, ſagte Otto, die Gegend
uͤberſchauend, wenn ich jemals aus dieſem Glanze wie¬
der in die dumpfe Enge meines deutſchen Gebirgsſtaͤdt¬
chens zuruͤck muͤßte, wo ſie jetzt wohl vor den Thuͤren
unter ihren hoͤlzernen Lauben ſitzen, die Haͤnde vor
Kaͤlte feſt eingewickelt, und nichts vernehmen, als das
Gloͤcklein der Bergleute und den Schlag des Eiſen¬
hammers von fern, und die Berge ſehen von allen
Seiten finſter auf den ſtillen Markt herein, und der
feuchte Wind ſchlaͤgt den Kohlenrauch nieder und ver¬
huͤllt alles wie ein Grab — mich ſchauert ordentlich
bei dem Gedanken! — Huͤt' dich wohl, entgegnete
Fortunat, es iſt ein wunderbares Lied in dem Wal¬
desrauſchen unſerer heimathlichen Berge; wo du auch
ſeyeſt, es findet dich doch einmal wieder, und waͤr' es
durch's offene Fenſter im Traum, keinen Dichter noch
ließ ſeine Heimath los. — Otto ſchwieg nachſinnend —
es war heut faſt etwas Freudeverſtoͤrtes in ſeinem gan¬
zen Weſen.
Auf einmal bog er raſch mitten in das Bluͤten¬
meer von Gaͤrten hinein. Sie kamen an ein kleines,
aber wohlgebautes reinliches Haus, von Epheu, Wein¬
laub und bluͤhenden Baͤumen reizend uͤberwachſen und
verdeckt; die Tauben, die ſich auf dem Dache in der
Abendſonne ſpiegelten, die offenſtehenden Fenſter und
Thuͤren, wo bunte Schmetterlinge flimmernd ein und
aus flatterten, alles gab ein wunderliches Bild ſuͤdli¬
cher Haͤuslichkeit. Otto fuͤhrte ſeinen Begleiter ohne
weiteres gerade durch das Haus in ein dahintergelege¬
nes einſames Gaͤrtchen, umgeben von Nachbargaͤrten,
die von allen Seiten bluͤhend hereinhingen und jede
Ausſicht verſchloſſen.
Wo ſind wir denn hier? fragte endlich Fortunat
erſtaunt. Indem aber erſchien ein Maͤdchen in der
Hausthuͤr, er erkannte ſogleich die ſchoͤne Annidi
wieder. Sie begruͤßte ihn etwas verwirrt und be¬
ſchaͤmt, dann trat ſie unter eine Weinlaube und be¬
gann aus ihrem Handkoͤrbchen einen Tiſch reinlich zu
decken, Glaͤſer und Teller aufzuſtellen. Draußen im
Nachbargarten hoͤrten ſie einen Knaben froͤhlich ſingen:
Es ſang ein Voͤglein hier jedes Jahr:
Wie ſchoͤn das Kraͤnzlein, im dunklen Haar!
Heuer iſt's Voͤglein nicht wiederkommen;
Wer hat dir das ſchoͤne Kraͤnzlein genommen?
Nun hielt ſich Otto nicht laͤnger, es kam alles
heraus: daß Annidi's Eltern ſeine Beſuche ohne be¬
ſtimmte Erklaͤrung nicht weiter dulden wollten, daß er
ſeit einigen Tagen mit dem Maͤdchen verheirathet, und
ſich nun ſammt den Ihrigen hier eingeniſtet habe.
Fortunat erſchrak uͤber dieſe ganz unerwartete Ent¬
deckung und uͤberdachte ſchnell die wunderlichen Folgen,
die dieſe Uebereilung fuͤr Otto herbeifuͤhren mußte.
Doch wurde er bald durch die liebliche Erſcheinung der
jungen Frau wieder beſchwichtigt, die ſich, ihrer neuen
Lage noch ungewohnt, fortwaͤhrend mehr zierlich die¬
nend als mitgenießend erwies, als ſie ſich nun froͤhlich
unter der Laube um den Tiſch ſetzten. Auch ihre
Eltern geſellten ſich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heim¬
lichem Unbehagen, den die gewoͤhnlichen, welſchgekniffe¬
nen Geſichter ſtoͤrten. Sie miſchten ſich oͤfters unge¬
ſchickt mit in das Geſpraͤch, redeten viel von guter
Wirthſchaft und dem noͤthigen Fleiße ihres Schwieger¬
ſohnes im Buͤchermachen, und Fortunat konnte wohl
bemerken, daß ſie ihn ſelbſt als einen Zeitverderber
und zweideutigen Kameraden Otto's ſcheel anſahen. —
Unbekuͤmmert ſaß und ſchmauſte unterdeß das gluͤck¬
liche Ehepaar, Annidi, auf einem Fußbaͤnkchen mit
beiden Armen auf Otto's Knie geſtuͤtzt und die gebra¬
tenen Kaſtanien ausſchaͤlend, die ſie jede zur Haͤlfte
mit einander theilten. Der Mond ſchimmerte ſchon
durch das Weinlaub, Otto war ſeligſtill, die junge
Frau uͤberaus ſchoͤn, druͤben ſang der Knabe wieder:
Wer hat dir das Kraͤnzlein genommen?
Fortunaten aber uͤberwaͤltigte mitten in dieſer
Stille eine unwiderſtehliche Wehmuth, als ſey Otto
nun hier in der Fremde maͤhrchenhaft verzaubert. Es
wollte ihm das Herz zerſprengen, er ſchuͤtzte ein drin¬
gendes Geſchaͤft vor, ergriff ſchnell ſeinen Hut und
nahm tief geruͤhrt Abſchied von dem Freunde, wie von
einem Verſtorbenen. Als er zuruͤckblickte, ſtanden Otto
und Annidi noch in der Hausthuͤr. Gluͤhwuͤrmchen
ſchwaͤrmten leuchtend durch das Nebengelaͤnde, er ſah
von der ſchoͤnen Frau nur noch die glaͤnzenden Augen
und Schultern, Otto erſchien todtbleich im Mondſchein.
In wirren Gedanken war Fortunat haſtig nach
Hauſe geeilt. Der Mond ſchien praͤchtig uͤber den
alten Garten, er lauſchte, ob er Fiametta nicht wie¬
der ſingen hoͤrte, doch alles blieb ſtill. Als er aber
um den Pfeiler des Schloſſes trat, fuhr er heftig zu¬
ſammen, denn in einer der Alleen glaubte er ploͤtzlich
ſich ſelber zu erblicken. Unverwandt ſtarrte er hin, die
Geſtalt zeigte ſich noch einmal im hellſten Mondlicht,
es war ſeine Kleidung, ſein Gang, ſeine Haltung,
und doch ſchien es wieder ein ganz fremder junger
Mann. Jetzt blieb der Unbekannte lauernd hinter
einer Hecke ſtehen. Da kam auf einmal Fiametta aus
dem Gebuͤſch hervorgeſprungen, beſah ihn lachend
rundum, dann gingen ſie Arm in Arm tiefer in den
Garten hinein. Mitten im froͤhlichen Plaudern aber
ſchienen ſie ploͤtzlich Fortunats Schatten auf dem Ra¬
ſen zu bemerken, er ſah ſie erſchrocken entfliehen, und
bald war die ganze Erſcheinung im Dunkel wieder
verſchwunden.
Fortunat aber hatte ſich in's Schloß gewandt
und ging heftig in ſeinem Zimmer auf und nieder.
Alſo dieſem galt das Abendliedchen letzthin, o ich
Thor! ſagte er mit einem bittern Gefuͤhl, das er ſich
ſelbſt nicht eingeſtehen mochte. Es war feſt beſchloſſen,
er wollte ſogleich morgen weiter nach Neapel reiſen,
ohne Fiametta noch einmal wiederzuſehen. Noch in
der Nacht ſchrieb er ſein Vorhaben dem Marcheſe,
der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer
Wuth luſtige deutſche Lieder ſingend, ſeinen Koffer.
Dabei ſchwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:
„Das Kraͤnzlein iſt herausgeriſſen,
Ganz ohne Scheu ſie mich anlacht:
Geh' du vorbei: ſie wird dich gruͤßen,
Winkt dir zu einer ſchoͤnen Nacht.“
immerfort durch den Sinn, daß er daruͤber aus Her¬
zensgrunde haͤtte weinen moͤgen.
Am folgenden Morgen hatte er noch einige weit¬
laͤufige Gaͤnge, um das noͤthige Reiſegeld zu erheben;
ſo war die Mittagsſtunde herangekommen, die Zeit der
zauberiſchen Schwuͤle, die im Suͤden alles Ledendige
uͤberwaͤltigt. Dennoch wollte er nicht abreiſen, ohne
vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu ma¬
chen. Da ruͤhrte ſich jetzt kein Blaͤttchen in der wei¬
ten, traͤumeriſchen Stille, die Voͤgel ſchwiegen, nur
einzelne Schlangen ſonnten ſich ringelnd auf den ein¬
ſamen Gaͤngen, alle Menſchen lagen wie todt. Es
war das erſtemal, daß er hier zu dieſer Stunde wach
war, und dieſes Schlafen der Natur mit offenen
Augen erſchreckte ihn geſpenſtiſch. Er fluͤchtete nach
einem kuͤhlen Gartenhauſe, blieb aber uͤberraſcht im
15
Eingange ſtehen, da er Fiametta, gleichfalls ſchlummernd,
drin erblickte. Sie ruhte auf dem rechten Arme, das
Geſicht von den losgeloͤſten Locken halb verdeckt, heiter
athmend, wie ein ſchoͤnes Kind. Einige abgebrochene
Worte hielten ihn feſt. Sie ſprach im Schlaf, immer
deutlicher und zuſammenhaͤngender, aber zu ſeinem
Erſtaunen ganz in der auslaͤndiſchen Weiſe, wie er
ſelbſt das Italieniſche zu ſprechen pflegte. In wun¬
derlichem Dialog hoͤrte er nun, wie er aus ihrem eigenen
Munde ihr geſtand, daß er ſich nur ſo kalt ſtelle, daß er
ſie aber eigentlich herzlich liebe. — Er erſchrak, daß ſie
ſo aus ſeiner Seele redete. — Nun lachte ſie in ſich,
und entgegnete froͤhlich: das wiſſe ſie ja lange ſchon!
— Dann ſprach ſie leiſe, immer leiſer, als ſpraͤch' ſie
ihm in's Ohr, er konnte nichts verſtehen, bis ſie zu¬
letzt, tief aufſeufzend, ſich zu regen begann.
Fortunat eilte ganz verwirrt nach dem Schloſſe
zuruͤck, ſchon ruͤhrte ſich's wieder in allen Straßen,
der Poſtillon draußen mahnte zur Abreiſe, er warf
ſich ſchweigend in den Wagen, und das lieblichſte
Raͤthſel, das er nicht zu loͤſen wußte, erfuͤllte ſeine
ganze Seele.
Achtzehntes Kapitel.
Mehrere Monate ſind ſeitdem verfloſſen, die
Sonne gluͤht auf den Quadern der oͤden Palaͤſte und
die Reichen ſind laͤngſt auf ihre Villen gefluͤchtet, denn
auf den Truͤmmern der alten Stadt ſitzt die Aëra cat¬
tiva ſchon wie ein verhuͤlltes Geſpenſt, Fieber und
Wahnſinn bruͤtend. Wie iſt Otto's Einſiedelei ſeitdem
ſo ſeltſam verwildert! Die Ranken an der Hausthuͤr
wuchern bis uͤber das Dach hinaus, in dem Gaͤrtchen
hat uͤppiges Unkraut, in rothen und gelben Bluͤten
brennend, Beete und Gaͤnge verſchlungen. — Da
kehrte Otto eines Tages ermuͤdet von einem weiten
Spaziergang zuruͤck, er fand im Hauſe alles aus¬
geflogen, nur die Bienen ſummten einfoͤrmig in dem
ſtillen Garten, er fuͤhlte ſich unbeſchreiblich verlaſſen,
Hausflur, Stuben und Baͤume kamen ihm in der
ungewohnten Einſamkeit auf einmal ſo fremd vor, daß
er erſchrak. Er ging einigemal im Garten auf und
nieder, dann ſetzte er ſich zwiſchen den tief herabhaͤn¬
genden Zweigen an den Tiſch, und ſchrieb folgende
Zeilen:
15*
Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden,
Traͤg zieh'n die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen,
In truͤber Schwuͤle liegt die Welt gefangen,
So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden.
Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden,
Mir war's, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen:
Auch dein Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen,
Auf welkem Laub nun liegſt du ſelbſt gebunden.
O komm, Geliebte, komm zu mir zuruͤcke!
Daß ich in deinen Augen wieder leſen
Mein Hoffen kann, mein Singen und mein Lieben!
Doch weh! wie fremd ſind ploͤtzlich deine Blicke,
Als waͤrſt du's, die ich meinte, nie geweſen —
Wie einſam bin ich in der Welt geblieben.
Mein Weib, das ſchwaͤrmt beſtaͤndig,
Und Deutſchland liegt ſo weit,
Das Dichten geht elendig
In meiner Einſamkeit.
Ich dehne alle Glieder
Aus dieſer ſchwuͤlen Gruft,
O Herr, gieb Fruͤhling wieder,
Luft, friſche freie Luft!
Als er von dem Blatt aufſah, hoͤrte er draußen
Voruͤbergehende reden in der fremden Sprache, aber
ein Vogel uͤber ihm fang wie ehemals in Hohenſtein
— er druͤckte die Stirn uͤber beide Arme auf den
Tiſch und weinte aus Herzensgrunde.
Da hoͤrte man ploͤtzlich im Hauſe eine liebliche
Stimme einzelne Klaͤnge aus Opern-Arien theatraliſch
anſchlagen. Eine junge Dame in reicher, eleganter
Kleidung trat in den Garten, und hob den ſeidenen
Hut vom Koͤpfchen, die reichen Locken ringelten uͤber
den ſchoͤnen, vollen Nacken hinab — es war Annidi,
wie war ſie ſeitdem ſo praͤchtig geworden! Sie warf
ihre Handſchuh der dienſtfertig herbei eilenden Mutter
nachlaͤſſig zu, waͤhrend ihr Vater, der ſie als Bedien¬
ter begleitet zu haben ſchien, im Hauſe Shawl und
Sonnenſchirm niederlegte. Der Graf Archimbaldi
laͤßt dich gruͤßen, ſagte ſie zu Otto, aber die ganze
Nobleſſe wundert ſich, lieber Mann, daß du ſo men¬
ſchenſcheu biſt und immerfort ſtudirſt, der luſtige Duca
ſagte, Weisheit mache weiße Koͤpfe. Auch die junge
Malerfrau war heute dort, mein Gott, wie war die
angezogen! Der junge Menſch fluͤſterte mir heimlich
in's Ohr, ſie ſey wahrſcheinlich, erſt halb ſchraffirt und
grundirt, ihrem Pinſel von Mann entlaufen. —
Hier aber brach ſie ploͤtzlich erſchrocken ab, da
Otto endlich aufſah und ihr das bleiche, wuͤſte Geſicht
zuwandte. Sie hielt ihn fuͤr krank, ſie ließ es ſich
nicht ausreden. Die Mutter mußte ſogleich nach der
Kuͤche laufen, es wurde Thee gekocht, herzſtaͤrkende
Tropfen geholt und Kraͤuter geſtampft mit großem
Geraͤuſch. — Mir geſchieht ſchon recht, rief Otto mit
ſchneidender Bitterkeit aus, ihr habt ganz recht, mit
den Fingern nach mir zu weiſen. Doch ich will einen
Strich durch die Rechnung meines Lebens machen,
o ja, ich will ja auch luſtig ſeyn, daß mir das Herz
zerſpringt! — Aber wie es in ſolchen Faͤllen wohl
geht, Annidi hatte ihn ganz mißverſtanden. — Wahr¬
haftig — ſagte ſie, vertraulich naͤher tretend — du
magerſt mir ganz ab bei dem Leben, und ich wollt'
es dir ſchon lange einmal ſagen: ſo fleißig wie du
biſt, es kann dir ja doch am Ende einerlei ſeyn, was
du ſchreibſt. Da iſt der junge Schreiber uns gegen¬
uͤber, du ſchreibſt eine beſſere Hand, als er, das ſagen
alle, und was verdient der, wie lebt der gegen uns! —
Da kam die Mutter mit dem Thee, Otto wies
ſie ſo heftig von ſich, daß Kanne und Taſſen uͤber¬
einanderſtuͤrzten. Das kommt von dem ewigen Sitzen
und Bruͤten, ſagte der erſtaunte Vater in der Haus¬
thuͤr. — Ja, und jede Henne bruͤtet doch mehr aus
fuͤr's Haus als er, brummte die Mutter. Otto aber,
um nur aus alle dem Plunder herauszukommen, war
ſchon aus dem Garten und Hauſe fort und ſchweifte,
ſo muͤde er war, in der Abendkuͤhle durch die Gaſſen
und dunkelnden Felder, bis die Nacht voͤllig hereinbrach.
Als er zuruͤckkehrte, war ſchon alles ſtill im
Hauſe, es aͤrgerte ihn heimlich, daß Annidi nicht be¬
ſorgter war um ihn. Er fand ſie droben eingeſchlafen,
der Mondſchein machte ihre Zuͤge ſo mild, ach und ſie
war ſo ſchoͤn! Da blickte er durch's offene Fenſter
uͤber die Daͤcher in die mondbeglaͤnzten Abgruͤnde der
Stadt hinab, einzelne Wolken flogen daruͤber nach
ſeiner fernen Heimath zu. — Wunderbar, ſagte er zu
ſich ſelbſt, ſchon in meiner Kindheit, wie oft bei ſtiller
Nacht im Traume, hoͤrt' ich der fernen Roma Glocken
ſchallen, und nun da ich hier bin, hoͤr' ich ſie wie da¬
mals wieder aus weiter, weiter Ferne, als gaͤb' es
noch eine andere Roma weit hinter dieſen dunkelen
Huͤgeln. —
In dieſer Zeit traf es ſich, daß in der Naͤhe von
Rom auf dem Lande eine Kirchweihe gefeiert wurde.
Annidi duͤnkte ſich zu vornehm, um an dem Feſte
Theil zu nehmen. Otto aber, den es heimlich verdroß,
warf einmal alle Papiere und Buͤcher bei Seite und
eilte hinaus in's Freie. Es war in den erſten linden
Herbſttagen, ein warmer Regen hatte die Gegend er¬
friſcht, Otto athmete tief auf, es war ihm, als wan¬
derte er wieder nach Hohenſtein. Je tiefer er in's
Thal hinabſtieg, je belebter wurden allmaͤhlich Buſch
und Felder, bunte Zuͤge von Reitern und Spaziergaͤn¬
gern ſchlangen ſich wie Blumenkraͤnze durch's Gruͤn,
von den Waldeswieſen ſchimmerten farbige Zelte, zwi¬
ſchen denen zerſtreute Gruppen froͤhlich lagerten, waͤh¬
rend luftige Geſtalten im Ballſpiel uͤber den Raſen
hin und her ſchwebten. Mitten in dieſer Wirrung
aber bemerkte Otto einen ſchlanken Zitterbuben, der
auf ſeinem geſchmuͤckten Pferde langſam uͤber die be¬
glaͤnzte Au dahinritt. Ein voller Kranz von friſchem
Weinlaub umſchloß ſeinen Hut, von dem bunte Baͤn¬
der in der Abendluft flatterten, von Zeit zu Zeit gab
er einen vollen Klang auf der Zitter. — Otto folgte
der zierlichen Erſcheinung, erſtaunte aber nicht wenig,
als der Knabe auf einmal deutſch zu ſingen begann:
Die Lerch', der Fruͤhlingsbote,
Sich in die Luͤfte ſchwingt,
Eine friſche Reiſenote
Durch Wald und Herz erklingt!
Mein Gott, rief Otto ſich beſinnend aus, das
iſt ja das Reiſelied, das ich ſo oft in Deutſchland
geſungen habe. — Er trat naͤher, der Zitterbube ſang
wieder:
Die Wolken zieh'n hernieder,
Die Lerche ſenkt ſich gleich —
Gedanken geh'n und Lieder
In's liebe deutſche Reich.
„Aber eh' ich ihnen ſelbſt nachreite, muß ich vor¬
her trinken, denn ich bin beinah erdurſtet,“ unterbrach
ſich hier ploͤtzlich der Knabe, waͤhrend er vor einer
Laube anhielt und lachend von ſeinem Pferdchen dem
Otto faſt in die Arme ſprang. Dieſer erkannte nun
Kordelchen, die ihn ſchon laͤngſt in der Menge hin¬
ter ſich bemerkt hatte.
Sie zog ihn in die Laube, Guido und ihre ande¬
ren Begleiter, ſagte ſie, kauerten ſo eben wie Nacht¬
eulen in Ruinen und Felſenritzen, um zu zeichnen,
uͤberdieß habe ſie ſich auch mit ihnen verzankt. —
Aber wie ſiehſt du aus! rief ſie dann, Otto'n ge¬
nauer betrachtend, nuͤchtern und blaugruͤn, wie eine
leere Weinflaſche! Das kommt vom Eheſtande. Ar¬
mer Junge! bliebſt du mir treu, ſo waͤreſt du nicht
in das Ungluͤck gerathen. — Sie beſtellte nun Wein,
und ſie ſetzten ſich zuſammen in die Laube. Otto
hatte ſeit Monaten keinen Bekannten geſehen, nun
war ihm nach der langen Einſamkeit wie einem Ge¬
neſenen, der zum erſtenmal wieder in die friſche Luft
kommt. Sieh, Kordelchen, ſagte er froͤhlich, gerade in
ſolchen linden Tagen war es auch, als wir uns zum
erſtenmal in Deutſchland ſahen. — Ganz recht, erwie¬
derte ſie mit leuchtenden Augen, wir raſteten eben
unter einer alten Burg im Gruͤn, da kam er aus dem
Walde und ſagte, er wollte mit uns ziehen. — Sie
meinte Lothario'n, Otto dachte, ſie ſpraͤche von ihm.
Wahrhaftig, fuhr er fort, mir iſt heute ganz zu Mu¬
the, wie damals, als kaͤme der Fruͤhling wieder. —
Ach nein, nein, ſagte ſie traurig, der kommt nicht
mehr wieder. — Sie nippte ſchnell am Weinglas, um
die Augen zu verbergen, die von Thraͤnen glaͤnzten,
dann wandte ſie das ſchoͤne, von Locken und Weinlaub
verhaͤngte Geſichtchen wieder heiter nach Otto herum.
Da bemerkte ſie, daß er auf beiden Armen uͤber den
Tiſch gelehnt, ſie mit einem langen, wirren Blick an¬
ſah, den ſie gar wohl verſtand; ſie ſchien davon uͤber¬
raſcht, beugte ſich ploͤtzlich vor ihn, und ſah ihm halb¬
fragend in die Augen. Da hielt er ſich nicht laͤnger,
er druͤckte ſie mit gluͤhenden Kuͤſſen an ſich. Sie er¬
wiederte fluͤchtig den Kuß, und ſprang dann raſch auf.
Ei Ehemann! rief ſie mit dem Finger drohend, ſchwang
ſich behend auf ihr Pferdchen, und war im Augenblick
zwiſchen den Zelten und Buͤſchen verſchwunden.
Otto hatte nun den Wein zu bezahlen, die Neige
kam ihm jetzt ſchaal vor, da Sie die brennendrothen
Lippen nicht mehr drin kuͤhlte. Draußen aber war
unterdeß der Abend verklungen und verbluͤht, nur von
den Bergen ſah man noch einzelne Leuchtkugeln auf¬
ſteigen. Wie im Taumel wanderte er zwiſchen den
Guitarrenklaͤngen, dem Singen und Plaudern der
Heimſchwaͤrmenden durch die laue Nacht, als mitten
in dem Jubel eine dunkle Geſtalt an ihm voruͤber¬
ſtreifte, dann aber ploͤtzlich zuruͤckgewandt, ihm feſt
in's Auge blickte. Mit Erſtaunen ſah er den Maler
Albert vor ſich ſtehen: ganz bleich, verwildert und
abgeriſſen. — Mein Gott! wie kommen Sie nach
Rom, und in dieſem Zuſtande? rief der Ueberraſchte
aus. — Verloren, alles verloren! erwiederte Albert
finſter und mit ſolchem Ausdruck des tiefſten Grams,
daß Otto'n ſchauderte. Aber hier belauſcht uns der
Mond noch, auch er iſt falſch in dieſem Lande, fuhr
er fort, indem er Otto's Hand faßte und ihn tiefer in
den Wald hineinzog. Raſch und unzuſammenhaͤngend
erfuhr nun Otto, daß ſein wunderlicher Landsmann,
von heimlich aufſchlagenden Freiheitsflammen von
neuem auf dieſen vulcaniſchen Boden verlockt, ſchon
ſeit laͤngerer Zeit hier heimlich mit wenigen Gleichge¬
ſinnten ſeine Kunſt, Gut und Leben an eine Tollheit
geſetzt, daß aber jetzt alle Plaͤne geſcheitert, und er
ſelbſt als Carbonaro verfolgt werde. — Der gutmuͤ¬
thige Otto bot ſogleich alle ſeine Kraͤfte, Geld und
Verbindungen zur Huͤlfe an, er wollte den Ungluͤckli¬
chen zunaͤchſt in ſeinem Hauſe verbergen, bis ſich Ge¬
legenheit faͤnde, ihn heimlich aus dem Lande zu ſchaf¬
fen. Aber Albert ſchuͤttelte mit dem Kopf, daß ihm
die langen ſtruppigen Haare Augen und Wangen be¬
deckten. Nicht um mich handelt ſich's hier, ſagte er,
ſondern um die Schmach der Zeit. Horch, wie ſie
draußen jauchzen und mit den Sklavenketten luſtig
klingeln — das iſt's, was mir das Herz frißt! Hier
hoͤrte man verworrene Maͤnnerſtimmen weiter unten
im Walde, die ſich zu naͤhern ſchienen. Albert blickte
wild um ſich, und zog einen Degen unter ſeinem Man¬
tel hervor. Otto erkannte ſogleich das Schwert vom
großen Kriegsjahre Dreizehn wieder. Die Sbirren
ſind mir auf der Spur, fluͤſterte er, eilen Sie fort,
es iſt gefaͤhrlich, die Bahn eines tragiſchen Geſchickes
zu kreuzen. Aber Otto war feſt entſchloſſen, lieber
das Aeußerſte zu wagen, als den Verwirrten in dieſer
Noth zu verlaſſen. Raſch und geraͤuſchlos ſchritten
ſie unterdeß immer hoͤher in's Gebirge hinauf, Albert
hieb ſich mit ſeinem Schwerte Bahn durch das Ge¬
ſtruͤpp, aus welchem verſtoͤrte Schlangen nach den
Steinritzen ſchluͤpften. So waren ſie auf einen Fel¬
ſen gekommen, der Schwindel erregend uͤber eine uner¬
meßliche, daͤmmernde Tiefe hinuͤberhing. Albert ſtand
am aͤußerſten Rande und wies mit ſeinem Schwerte
ſchweigend in die Ferne. — Großer Gott, wie herr¬
lich! rief Otto uͤberraſcht aus — Rom lag da unten
ſtill und feierlich im Mondglanz. — Da hoͤrte er auf
einmal ein Geraͤuſch, er ſah Albert ploͤtzlich wanken,
ſinken. Der Ungluͤckliche hatte ſich mit heidniſcher Tu¬
gend in ſein eignes Schwert geſtuͤrzt. — Gruͤße das
Vaterland — ich ſterbe — frei, ſagte er ohne Zeichen
des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugeſprunge¬
nen Otto kraͤftig ab, und glitt, eh' ihn dieſer wieder
faſſen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.
Entſetzt beugte ſich Otto uͤber die Felſenwand, es
war alles ſtill unten, nur der Strom rauſchte zornig
herauf — da faßte ihn ein unwiderſtehliches Grauen,
halbbewußtlos ſchwang er ſich von Klippe zu Klippe
den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er ſeitwaͤrts
in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Geſtalten
mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte graͤßlich
beleuchteten. Nun ſchlugen hin und wieder Hunde an,
einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der
Wiederſchein der Windlichter ſpiegelte ſich wild im
Fluſſe. Otto wagte nicht mehr zuruͤckzublicken, ſchauernd
flog er uͤber die ſtillen Felder, durch die leeren Gaſſen
fort zu ſeiner einſamen Wohnung.
Hier fiel es ihm erſt ein, daß er bei den Seini¬
gen hinterlaſſen, dieſe Nacht auf dem Lande zubringen
zu wollen. Er fand nun die Thuͤren verſchloſſen, alles
im Hauſe ſchien laͤngſt zu ſchlafen. Unmuthig ſtieg er
daher uͤber den Zaun in den Garten, wo er ſich ſo¬
gleich auf die Bank in der Laube hinwarf. Das leiſe
Rauſchen in den Zweigen ſang gar bald den Ermuͤde¬
ten ein. Da traͤumte ihm, er laͤge in dem ſchoͤnen
Garten zu Hohenſtein und ſaͤhe die ſteinernen Goͤtter¬
bilder vor ſich im hellen Mondſchein auf den Gaͤngen
ſtehen. Es war, als fluͤſterten ſie in der Stille heim¬
lich untereinander, und als er recht hinſah, regte ſich
das Venusbild und ſtieg langſam von dem marmor¬
nen Fußgeſtell herab. Mit Grauen erkannte er ſeine
Annidi, ſie kam gerade auf ihn zu, eine Marmorkaͤlte
durchdrang ploͤtzlich alle ſeine Glieder, daß er erſchrok¬
ken aufwachte. Als er aber noch ganz verwirrt um¬
herblickte, ſtand wirklich die weiße Geſtalt in der
Hausthuͤr, leiſe fluͤſternd nach Jemand zuruͤckgewandt,
den er nicht ſehen konnte. Auf einmal ſchlug ſie einen
weiten Mantel auseinander, und Annidi trat aus den
Falten hervor. Ein junger, hoher Mann umſchlang
und kuͤßte ſie, dann warf ſie ihm lachend den Mantel
zu und ſchluͤpfte in’s Haus, der Fremde ſchwang ſich
raſch uͤber den Gartenzaun — und alles war wieder
todtenſtill.
Otto ſtarrte lange regungslos auf den dunklen
Fleck, wo der furchtbare Spuk zerronnen. Darauf
ſtuͤrzte er aus dem Garten in die Nacht hinaus, ohne
zu wiſſen wohin — er hatte ja nun keine Heimath
mehr auf Erden! — Die Straßen waren oͤde, die
Waſſerkuͤnſte im Mondſchein, die ihm ſonſt ſo braͤut¬
lich rauſchten, kamen ihm jetzt geſpenſtiſch vor wie ver¬
ſchleierte Nixen, im Winde ſich beugend und neigend,
als fluͤſterten ſie heimlich von ihm und ſeiner Schande.
Unwillkuͤrlich hatte er den Weg zu Guido's Wohnung
eingeſchlagen, er wollte ihn wecken, er mußte in dieſer
Stunde Jemand haben, dem er alles ſagte. Zu ſei¬
nem Erſtaunen fand er die Thuͤr nur leicht angelehnt,
ein Licht brannte drinn. Als er in die Stube trat,
ſah er Kordelchen auf der Erde knieen zwiſchen Waͤſche
und Kleidern, die ſie eifrig in einen Mantelſack packte.
Sie blickte erſtaunt, faſt erſchrocken nach ihm herum.
Was willſt du denn jetzt hier? ſagte ſie, Guido iſt
noch auf dem Lande, und kommt erſt in einigen Ta¬
gen zuruͤck. — Otto'n aber wollte das Herz zerſprin¬
gen, er warf ſich auf das Sopha und brach, ſein Ge¬
ſicht mit beiden Haͤnden bedeckend, in ein unaufhaltſa¬
mes Weinen aus. Da ſtutzte Kordelchen, ſie ließ alles
liegen, ſetzte ſich zu ihm und troͤſtete und ſtreichelte
ihn neugierig und mit herzlicher Theilnahme, bis ſie
nach und nach ſein ganzes Ungluͤck erfahren. Sie
hoͤrte alles ſtill und nachdenklich an. Als er aber
ſchwieg, ſprang ſie ploͤtzlich froͤhlich auf. Wir reiſen
zuſammen! rief ſie aus, das iſt eine langweilige Wirth¬
ſchaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich
niemals zuſammen. Wenn er ſich betrinkt, ſo iſt das
genial, wenn er ſich verliebt, ſo iſt's Andacht, und
wenn ich ihn daruͤber auslache, ſo wird er wuͤthend,
und will mich durchaus mit ſich emporfluͤgeln, wie er's
nennt. Ich hab's ſchon ſeit einigen Wochen beſchloſſen,
ich reiſe heimlich fort und zuruͤck nach Deutſchland, ich
habe ſo eben Geld genug, die Pferde ſind beſtellt —
kurz: wir reiſen noch heute! — Dabei wartete ſie gar
keine Antwort ab, ſondern rumorte und packte dazwi¬
ſchen immer luſtig fort, Otto wußte nicht, wie ihm
geſchah, durch das offene Fenſter wehte friſche Reiſe¬
luft herein, der Morgen daͤmmerte ſchon leiſe uͤber der
ſtillen Stadt.
Wer dem Teufel laͤßt ein Haar, den faßt er ganz
und gar. So brannte der Kuß von geſtern noch
immer heimlich fort auf Otto's Lippen, uͤber den
Truͤmmern ſeines Gluͤcks war uͤber Nacht eine uͤppig
bluͤhende Wildniß ſchimmernder Erinnerungen und Hoff¬
nungen giftig aufgeſchoſſen. — Und als die erſten
Streiflichter des Morgens uͤber die Berge flogen
und die fruͤherwachten Lerchen noch halbvertraͤumt in
den Luͤften hingen, da zogen Otto und Kordelchen
ſchon durch die ſtillen Felder nach Deutſchland zu, und
ſahen Rom, wie in einem Feuermeer, langſam hinter
ſich verſinken.
Waͤhrenddeß war Fortunat in Neapel und Sizi¬
lien umhergeſtreift. In ſeiner poetiſchen Behaglichkeit
hatte er ſich alles aus dem Sinn geſchlagen, und
machte uͤberhaupt aus ſeiner Liebe gar nichts, als ein
langes Gedicht in vielen Geſaͤngen und verſchiedenen
Silbenmaaßen, worin ein ſchoͤnes, ſchlankes italieni¬
ſches Maͤdchen die Hauptfigur ſpielte. Da begab
ſich's aber, daß er im Schreiben ſich nach und nach
in dieſe Figur ſelbſt verliebte, und je verliebter er
wurde, je aͤhnlicher wurde ſie unvermerkt der kleinen
Marcheſin, als ob Fiametta oft ploͤtzlich zwiſchen den
Bluͤtengewinden der Verſe hervorguckte und, ihn aus¬
lachend, ausrief: Siehſt du, ich hab' dich doch! —
Ja als er in Sizilien eines Abends auf einem hohen,
ſenkrechten Felſen uͤber dem Meere eingeſchlummert
war, traͤumte ihm, die blaue Fluth theile ſich leiſe,
und mit langem gruͤnen Haar und glaͤnzenden Schul¬
tern tauche Fiametta unten empor, in irren Toͤnen
wehmuͤthig klagend. — Als er erwachte, war der
Mond ſchon uͤber dem Meere aufgegangen, in der
Ferne aber ſah er ein Segel ſchwellend durch die weite
Stille nach dem jenſeitigen Ufer Italiens hinuͤberglei¬
ten. — Da faßte ihn eine unwiderſtehliche Sehnſucht,
und ſchon die folgende Nacht ſegelt' er ſelber hinuͤber.
Und ſo geſchah es, daß aus demſelben Morgenroth, in
welchem Rom hinter Otto verſank, die Gaͤrten, Truͤm¬
mer und Kuppeln vor dem gluͤckſeligen Fortunat duftig
wieder emporſtiegen.
Sein erſter Gang war zu dem Palaſt des Mar¬
cheſe, mit klopfendem Herzen betrat er den ſtillen Hof.
Er horchte, ob ſich nicht irgendwo Fiametta's heitere
Stimme vernehmen ließe, doch alles blieb lautlos, wie
ausgeſtorben. So ging er durch die offene, luftige
Saͤulenhalle in den Garten. Da ſangen die Voͤgel
und rauſchten die Brunnen noch immer wie damals.
Aber an der Hauptallee ſah er Waͤſche zum Trocknen
aufgehaͤngt, einzelne Ziegen weideten ungeſtoͤrt zwiſchen
den verwilderten Blumenbeeten. Endlich glaubte er in
einiger Entfernung Deutſch reden zu hoͤren. Er ging
dem Klange nach, und begegnete einem alten, unbe¬
kannten, etwas ſchaͤbigen Diener. Haſtig fragte er
nach dem Marcheſe A. und ſeiner Tochter. Der Alte
ſah ihn von oben bis unten an, und ſagte dann ver¬
drießlich: dieſer Palaſt ſey von einem deutſchen Kava¬
lier bewohnt. Fortunat war wie im Traum. — Er
verlangte nun, den Herrn zu ſprechen. Der Bediente
wies ſchweigend nach einer Laube, und ging fort, ohne
ſich weiter um den Gaſt zu bekuͤmmern.
Hellen Halſes aber mußte nun Fortunat aufla¬
chen, als er in die bezeichnete Laube trat und in dem
16
deutſchen Kavalier unſeren Freund Grundling erkannte:
in dem gebluͤmten Schlafrock des Marcheſe auf einem
halbzerriſſenen damaſtenen Sopha ausgeſtreckt, eine
lange Tabackspfeife und ein Buch in der Hand, Talg¬
licht, Fidibus und Kaffeekanne vor ſich. Der Vielge¬
reiſte, an das wechſelnde Kommen und Gehen in
Rom laͤngſt gewoͤhnt, ſchien nicht im mindeſten er¬
ſtaunt, Fortunaten wiederzuſehen. Mir iſt's eben recht,
ſagte er, daß der alte Marcheſe bankerutt gemacht —
Was! der Marcheſe A.? rief Fortunat hoͤchſt uͤber¬
raſcht aus.
Ja, eben recht, ſag' ich, daß er ſeinen Palaſt
und Rom verlaſſen mußte, ſo konnt' ich mich hier in
der liederlichen Wirthſchaft ſeiner Glaͤubiger ziemlich
wohlfeil einmiethen. — Wenn nur, fuhr er, ſeine Pfeife
ploͤtzlich grimmig wegſetzend, fort, in der unvernuͤnfti¬
gen Hitze der Taback nicht ſo in die Zunge biſſe!
Hier verlor endlich Fortunat alle Geduld. Nun
rede zum Teufel einmal ordentlich! rief er, Grundlin¬
gen raſch an der Bruſt faſſend, wo iſt Fiametta? was
macht ſie? — In Deutſchland wahrſcheinlich, und
weint, erwiederte Grundling gelaſſen. — Warum weint
ſie? — Weil ſie ein junges albernes Ding iſt, dem
ein konfuſer Wein, der noch mouſſirt, lieblicher in die
Naſe ſticht, als ein wuͤrdiges, abgelegenes Gewaͤchs;
das will heißen: die einen brutalen Phantaſten, der
ſein Liebchen verlaͤßt und ſeine Freunde droſſelt, char¬
manter findet, als — Und wem gehoͤrt jetzt dieſer Pa¬
laſt? unterbrach ihn Fortunat ungeduldig wieder. —
Einem filzigen Kaufmann, der ihn, ſeiner Entlegen¬
heit wegen, abtragen laſſen und die Steine verkau¬
fen will. — So fuͤhr' mich gleich zu ihm! — Das
war Grundlingen, der ſich gern umhertrieb, eben recht.
Wenige Minuten nach dieſem Verhoͤr waren ſie ſchon
auf der Straße, und Fortunat erfuhr nun noch unter¬
wegs, daß Fiametta unmittelbar nach ſeiner Abreiſe
aus Rom bedeutend erkrankt, und bald darauf mit
ihrem Vater ploͤtzlich abgereiſt ſey. Weder er, noch
der Kaufmann wiſſe, wohin ſie ſich gewendet. Auch
Otto's und Kordelchens Flucht hatte der Muͤßiggaͤnger
ſchon erfahren. Der Otto, ſagte er, war beſtaͤndig in
poetiſchem Thran, das mußte ein Ende mit Katzen¬
jammer nehmen.
Waͤhrend dieſes Berichts waren ſie bei dem Kauf¬
mann angelangt. Dieſer war, gleich Grundlingen,
nicht wenig erſtaunt, als nun Fortunat den alten,
verfallenen Palaſt und Garten des Marcheſe zu kau¬
fen verlangte. Die Haſt und Jugend des Fremden
weckte in dem Italiaͤner merkantiliſche Geluͤſte und
abenteuerliche Forderungen, da kam er aber bei Grund¬
ling uͤbel an, welcher ſogleich ein ſo heftiges Gezaͤnk
daruͤber anfing und mit ſolchem Geſchrei fortſetzte, daß
ſie in einigen Stunden, ganz erſchoͤpft, endlich doch
noch um einen leidlichen Kaufpreis einig wurden. For¬
16*
tunat hatte erſt kuͤrzlich bedeutende Wechſel aus Deutſch¬
land bezogen, ſie reichten eben hin, die Summe und
eine genuͤgſame Weiterreiſe nothduͤrftig zu decken. Mit
bewundernswuͤrdiger Beharrlichkeit und Reſignation
trieb er nun das Geſchaͤft, wie einen Kreiſel, unaus¬
geſetzt zum Ausgange, und endigte damit, den hoch¬
erfreuten Grundling zum Schloßwart ſeines neuen Be¬
ſitzthums einzuſetzen.
Kaum aber hatten ſie den Garten wieder erreicht,
da erſcholl im Hofe ſchon der froͤhliche Klang eines
Poſthorns. Fortunat hatte ſeinen Wagen hierher¬
beſtellt, aus den fruͤheren Geſpraͤchen mit dem alten
Marcheſe glaubte er zu ahnen, wohin er ſich gewen¬
det. Und als er nun endlich tiefaufathmend draußen
in den praͤchtigen Abend hineinfuhr, bluͤhten alle Gaͤr¬
ten und ein Regenbogen ſtand uͤber der Gegend, als
muͤßte nun alles, alles wieder gut werden.
Drittes Buch.
Neunzehntes Kapitel.
Auf dem fuͤrſtlichen Jagdſchloſſe, wo im vorigen
Jahre alles ſo bunt und froͤhlich war, ſieht es jetzt
ganz anders aus. Die Voͤgel picken fruͤhmorgens auf
der marmornen Treppe zwiſchen den Saͤulen, ein laͤſſi¬
ger Gaͤrtnerburſch dehnt ſich in der Morgenkuͤhle und
ſchickt ſich an, die verſchlungenen Gaͤnge nothduͤrftig
in Ordnung zu bringen, die uͤberall bluͤhend verwildern.
In der alten Pracht funkeln die Sommernaͤchte wie¬
der uͤber den ſtillen Grund, aber keine Guitarren er¬
klingen mehr, nur die getreuen Nachtigallen ſchlagen
wie damals in den Gebuͤſchen, als klagten ſie noch
um Juanna's verlorene Schoͤnheit.
Der Fuͤrſt gedachte nicht mehr des Schloſſes, er
war ſelber lange verwildert. Zwiſchen Genuß und
Reue, Luſt und Grauen war er allmaͤhlig immer
tiefer hinabgeſtiegen in die ſchimmernden Abgruͤnde,
wo mit verlockendem Geſang die Nixen im Mondſchein
auf den Klippen ihr feuchtes Haar kaͤmmen, das ferne
Wetterleuchten der Religion verwirrte ihn nur noch
mehr; ſo hatte er ſich im ſchoͤnen Leben verirrt und
konnte nicht wieder nach Hauſe finden. Da ſchlug
die himmliſche Liebe ihren Sternenmantel um den Tod¬
muͤden. Er verfiel in eine ſchwere Krankheit, und als
er wieder genas, war auf einmal alles vorbei. Die
Leute nannten ihn wahnſinnig, er aber war vergnuͤgt
und blaͤtterte Tag fuͤr Tag mit ſtiller, herzlicher Luſt
in den alten Bilderbuͤchern, die er als Kind geleſen;
alles andere hatte er vergeſſen. Sie hatten ihn endlich
in einem entlegenen Fluͤgel des Schloſſes abſondern
muͤſſen von der Welt, die er nur noch wie im Traum
von ferne ſah, nur die unſchuldigen Voͤgel ſangen alle
Morgen vor ſeinen Fenſtern von der alten Zeit, daß
er oft erſchrocken von ſeinen Bildern aufhorchte. —
Aus ſeiner Hand aber hatte die Fuͤrſtin raſch die Zuͤ¬
gel des Regiments ergriffen, und lenkte keck, die Roſſe
peitſchend, in die nene Freiheit hinaus.
In dieſer Zeit kam Lothario eines Abends ein¬
ſam von dem Gebirge herab. Wir wiſſen nicht, wo¬
hin er wanderte, ſein Weg fuͤhrte ihn durch die Stadt.
Der Mond trat manchmal heimlich lauernd zwiſchen
den Wolken hervor, da lag die alte Reſidenz unten
wie eine Ruine phantaſtiſch in der ſchwuͤlen Nacht um¬
her, es war ſchon alles ſtill, nur ein Maͤdchen ſang
noch zur Guitarre aus einem Garten druͤben und die
Nachtigallen ſchlugen von den Bergen.
Er kehrte in einem wenig beſuchten Gaſthauſe
ein, das draußen auf einer Anhoͤhe lag und eine weite
Ausſicht uͤber die Stadt hatte. Dort mußte er lange
pochen, eh' jemand erſchien. Ein alter Diener ſagte
ihm endlich, es ſey alles in die Stadt gezogen, wo
heute zum Geburtstag der Fuͤrſtin ein großes Feſt ge¬
geben werde. — Lothario nahm nun im oberen Stock¬
werk einen Saal in Beſitz, und oͤffnete raſch alle
Fenſter. Die praͤchtige Nacht duftete faſt berauſchend
herauf. Er ließ Licht und Wein bringen, er fuͤhlte
ſeit langer Zeit wieder einmal eine rechte Luſt zu dich¬
ten. — Als er ſich aber ſo einſam hinſetzte und haſtig
trank und ſchrieb, da war's ihm, als riefe es durch
die Stille ſeinen Namen, erſt leiſe, dann lauter, und
der Teufel ſaͤhe ihm beim Schreiben uͤber die Schulter
und fluͤſterte zu ihm: nur zu, nur zu! die unſchuldig
Welt mit vornehmen Worten belogen und verfuͤhrt,
ich will dich dafuͤr auf die Zinnen des Ruhms ſtellen
und die Welt ſoll dir huldigen! —
Er ſprang auf und erſchrak, als er ſich fluͤchtig
in einem Wandſpiegel erblickte, ſo bleich und wuͤſt
ſah er aus. Da ſtreifte der Wind klingend die Sai¬
ten einer Guitarre, die am offenen Fenſter lag. Der
Mond aus blaſſen Wolken beſchien ſo eben wieder die
ſtillen Baͤume und unten die alte Stadt. Er trat
mit der Guitarre an's Fenſter und ſang:
Lieder ſchweigen jetzt und Klagen,
Nun will ich erſt froͤhlich ſein,
All' mein Leid will ich zerſchlagen
Und Erinnern — gebt mir Wein!
Wie er mir verlockend ſpiegelt
Sterne und der Erde Luſt,
Stillgeſchaͤftig dann entriegelt
All' die Teufel in der Bruſt,
Erſt der Knecht und dann der Meiſter
Bricht er durch die Nacht herein,
Wildeſter der Luͤgengeiſter,
Ring' mit mir, ich lache dein!
Und den Becher voll Entſetzen
Werf' ich in des Stromes Grund,
Daß ſich nimmer dran ſoll letzen
Wer noch froͤhlich und geſund!
Lauten hoͤr' ich ferne klingen,
Luſt'ge Burſche ziehn vom Schmaus,
Staͤndchen ſie den Liebſten bringen,
Und das lockt mich mit hinaus.
Maͤdchen hinter'm bluͤhn'den Baume
Winkt und macht das Fenſter auf
Und ich ſteige wie im Traume
Durch das kleine Haus hinauf.
Schuͤtt'le nur die dunklen Locken
Aus dem ſchoͤnen Angeſicht!
Sieh, ich ſtehe ganz erſchrocken:
Das ſind ihre Augen licht,
Locken hatte ſie wie deine,
Bleiche Wangen, Lippen roth —
Ach, du biſt ja doch nicht meine,
Und mein Lieb iſt lange todt!
Haͤtteſt du nur nicht geſprochen
Und ſo frech geblickt nach mir,
Das hat ganz den Traum zerbrochen
Und nun grauet mir vor dir.
Da nimm Geld, kauf Putz und Flimmern,
Fort und lache nicht ſo wild!
O ich moͤchte dich zertruͤmmern,
Schoͤnes, luͤgenhaftes Bild!
Spaͤt von dem verlornen Kinde
Kam ich durch die Nacht daher,
Fahnen drehten ſich im Winde,
Alle Gaſſen waren leer.
Oben lag noch meine Laute
Und mein Fenſter ſtand noch auf,
Aus dem ſtillen Grunde graute
Wunderbar die Stadt herauf.
Draußen aber blitzt's von weiten,
Alter Zeiten ich gedacht',
Schauernd reiß' ich in den Saiten
Und ich ſing' die halbe Nacht.
Die verſchlaf'nen Nachbarn ſprechen,
Daß ich naͤchtlich trunken ſei —
O du mein Gott! und mir brechen
Herz und Saitenſpiel entzwei! —
Es blitzte wirklich von weitem, aber es waren
mir einzelne Raketen, die von Zeit zu Zeit fern uͤber
dem dunklen, fuͤrſtlichen Parke luſtig aufſtiegen. Da
fiel ihm das Feſt wieder ein, von dem der alte Die¬
ner vorhin ſprach, er beſchloß, ſelbſt noch hinzugehn.
Laͤſſig ſchlenderte er durch die lange Vorſtadt;
bis dorthin war das Feſt nicht gedrungen, die kleinen
Haͤuſer ſtanden ſtill und dunkel, nur wenige Laternen
flackerten im Winde, der Nachtwaͤchter ſchickte ſich
eben an, die zehnte Stunde auszurufen; von fern aber
uͤber die hellbeleuchteten Daͤcher und Schornſteine
qualmte ihm ſchon der truͤbrothe Schein der Illumi¬
nation entgegen wie die aufgehende Sonne an einem
nebligen Herbſtmorgen. So war er an's Theater ge¬
kommen. Durch ein hohes, verhangenes Fenſter
glaubte er drinn die Schauſpieler mit aller Gewalt
der Leidenſchaft pathetiſch deklamiren zu hoͤren, ihn
ſchauerte, ſo kuͤhl und nuͤchtern war es dagegen hier
draußen. Eine lange Reihe von Wagen, auf ihre
Herrſchaften wartend, ſtand an der finſteren Mauer,
die Kutſcher ſchlummerten auf ihren hohen Kutſchboͤcken,
der eine zog gaͤhnend ſeine Taſchenuhr heraus und
hielt ſie an den ungewiſſen Schein der Laterne. Was
Teufel ſpielen ſie denn heut ſo lange? fragte er einen
Kerl, der eben an einem Eckpfeiler ſeine Fackel putzte,
daß die Funken auf einen Augenblick das ganze lang¬
weilige Chaos wunderlich beleuchteten. Dieſer nannte
ein bekanntes Stuͤck vom Grafen Victor von Hohen¬
ſtein. — Da fuhr Lothario unwillkuͤhrlich zuſammen.
Er ging raſch hinein, ein gutes Trinkgeld verſchaffte
ihm von dem verwunderten Logendiener noch einen
Platz in der Fremdenloge.
Das Haus war praͤchtig erleuchtet und zum Er¬
druͤcken voll, aus der fuͤrſtlichen Loge zwiſchen den
reichen Vorhaͤngen blitzt' und ſchimmerte es von Ster¬
nen, Lichtern und ſchoͤnen Frauen-Augen blendend her¬
uͤber. Das Stuͤck war faſt zu Ende. Es war, ſelt¬
ſam genug, eben Juanna's fruͤhere Geſchichte in Spa¬
nien, alle wilden Waldbaͤche der Leidenſchaft ſtuͤrzten
in dieſer letzten Scene wie in einen maͤchtigen Strom
zuſammen. Die Schauſpielerin, welche Juanna vor¬
ſtellte, hatte, vielleicht bewußtlos, nach und nach das
ganze Weſen der Graͤfin angenommen: ihre friſche
Waldkuͤhle, ihre Stimme, das ſtrenge ſchoͤne Geſicht,
ſo funkelte ſie mit den dunkelen Augen grade auf Lo¬
thario heruͤber. — Lothario ſprang erſchuͤttert auf,
eine Todtenſtille herrſchte im ganzen Hauſe. Da auf
einmal beginnt ein Fluͤſtern unten, es waͤchſt und ſteigt
allmaͤhlig durch alle Reihen der Zuſchauer, viele Koͤpfe
und immer mehrere wenden ſich erſtaunt nach Lothario
herum. — Was giebt's da? fraͤgt die Fuͤrſtin, ſich
weit aus ihrer Loge hervorlehnend. — Ein Kammer¬
herr draͤngt ſich eilig vor, auf Lothario deutend: Dort,
der Dichter ſelbſt, ſie haben ihn erkannt, Graf Victor
von Hohenſtein. — Der?! — entgegnet die Fuͤrſtin
und ſinkt verwirrt auf ihren Seſſel zuruͤck.
Unterdeß war der Vorhang gefallen, ein wuͤthen¬
der Applaus brach ploͤtzlich los, ſich immer wieder er¬
neuernd. Den Grafen Victor aber, — denn er war
es wirklich — erfaßte ein ſeltſames Grauen vor dem
hohlen Sturm des Beifalls, er ſah noch einmal da¬
zwiſchen einen ſengenden Blick der Fuͤrſtin nach ihm
heruͤberſchießen, dann ſtuͤrzte er entſetzt uͤber die noch
leeren Treppen in's Freie hinaus.
Mit welchen Gedanken ſah er nun den weiten,
geſtirnten Himmel wieder! Die ploͤtzliche Erinnerung
an die Zeit, wo er das Stuͤck geſchrieben, verſenkte
ſeine ganze Seele wie in ein Meer von Wehmuth.
Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem ſtillen
Abend, im Wald auf den Franzoſen St. Val zielend,
zum erſtenmale Juanna erblickte, da war's ihm, wie
in die Sonne zu ſehen — ſie war ſchon lange unter¬
gegangen, aber Wald und Berge ſchimmerten und
ſpruͤhten noch in wunderbaren Funken — damals dich¬
tete er das Schauſpiel von der wilden Graͤfin. Da
dachte er nicht, daß es ſo kommen wuͤrde! Und als
es dann Friede und alles wieder ſtill und nuͤchtern
wurde, kehrte auch er nach Deutſchland zuruͤck, und der
Fruͤhling und das Gruͤn der wechſelnden Landſchaften
breiteten ſich wie ein Schleier milde uͤber das ſchoͤne
Bild im Herzen. Aber nach der ernſten, bewegten
Zeit, in der er ehrlich gerungen, kam ihm zu Hauſe
nun alles ſo klein und unbedeutend vor, ihm war wie
einem Schiffer nach langer ſtuͤrmiſcher Fahrt, der den
Boden unter ſich noch immer wanken fuͤhlt und aus
dem Wirthshaus am Ufer ſehnſuͤchtig wieder in den
kuͤhlen Wogenſchlag hinausſieht. In ſolcher Laune
war er nach kurzem Umhertreiben, um ſich von der
guten Geſellſchaft zu erholen, zum Theil auch aus
grillenhafter, fluͤchtiger Neigung zu Kordelchen, uner¬
kannt unter dem Namen Lothario mit der Schauſpie¬
lerbande ausgezogen, wo wir ihn in jener regneriſchen
Nacht zum erſtenmale trafen. — Hier hoͤrte er ploͤtz¬
lich, daß die verlorengeglaubte Graͤfin Juanna noch
lebe und zu der ihr verwandten fuͤrſtlichen Familie ge¬
fluͤchtet, mit der ſie auf dem nahen Jagdſchloſſe ſich
aufhalte. Da gab's auf einmal friſchen Klang! Sein
Plan war gleich gemacht. Durch ſeine geheime Ver¬
mittelung erfolgte die Einladung der Schauſpielergeſell¬
ſchaft nach dem Jagdſchloß, er begleitete ſie in ſeiner
Verkleidung, denn es ſchien ihm laͤcherlich, ja ſinnlos,
um dieſe maͤhrchenhafte Diana auf dem gewoͤhnlichen
Paradepferde graͤflicher Galanterie zu freien. — Bei
ſeiner eignen, ſorgloſen Unvorſichtigkeit konnte indeß die
Sache nicht ganz verborgen bleiben, der Fuͤrſt und
ſeine Gemahlin wenigſtens hatten unbeſtimmte Kunde
von ſeinem Vorhaben, noch ehe die Truppe bei ihnen
ankam. Insbeſondere hatte die Fuͤrſtin, mit dem den
Frauen in ſolchen Dingen eigenthuͤmlichen Scharfſinn,
die eigentliche Abſicht gar wohl errathen. Zwar er¬
warteten ſie taͤglich den Baron Manfred auf dem
Schloß, den ſie insgeheim zu Juanna's Braͤutigam
auserſehen. Dennoch konnten ſie's nicht laſſen, die
intereſſante Genialitaͤt einer ſo romantiſchen Maske¬
rade um ſo leichtſinniger zu beguͤnſtigen, da im ſchlimm¬
ſten Falle Victor noch immer als eine beſſere Partie
fuͤr die unbemittelte Graͤfin erſchien, als der etwas
unſcheinbare Manfred. So ſchwiegen ſie recht mit
innerlicher Luſt und ſpielten die Getaͤuſchten, taͤuſchten
aber unbewußt nur ſich ſelbſt, indem ſie den zufaͤllig
dazwiſchengekommenen Fortunat, da er gleich von
Anfang ſo raͤthſelhaft auftrat, fuͤr den heimlich erwar¬
teten Grafen hielten. — Victor'n aber verlockte indeß
Juanna's Schoͤnheit nach und nach immer tiefer in
das wildeſte Labyrinth ausſchweifender Wuͤnſche, er
gab ihren herausfordernden Blicken eine Deutung, die
ſie ſelber niemals kannte. Da hoͤrte er auf der Jagd
zum erſtenmal von der nahen Ankunft des unbekann¬
ten Braͤutigams — es war ihm unertraͤglich: er ent¬
ſchloß ſich raſch, Juanna zu entfuͤhren, nur ſo, meinte
er, koͤnne dieſe wilde Nymphennatur bezwungen wer¬
den, gleichwie eine ſtillaufſteigende Flamme ſich ploͤtz¬
lich entfaltet, wenn der Sturm ſie zerwuͤhlt. — Ja,
kuͤhne, ſchlanke Flamme! ſagte er nun tauſendmal zu
ſich ſelbſt, wie griffſt du ploͤtzlich zornig in die Wal¬
desnacht und kletterteſt furchtbar ſchoͤn die Felswand
auf und nieder, daß alle Wipfel donnernd in die Glu¬
ten ſanken! Die luſt'gen Waͤlder meiner Jugend ſind
verbrannt.
In ſolchen Gedanken war Victor jetzt durch
mehrere Straßen fortgeſchritten. Die Wagen raſſelten
aus dem Theater, der hoffaͤrtige Patriotismus koket¬
tirte aus tauſend geputzten Fenſtern, Kinder zogen in
dem magiſchen Licht laͤrmend durch die Gaſſen und
brachten jedem brennenden Theertopf ein Vivat. Wo¬
hin er ſich wandte, immer neue Feueralleen zogen ſich
durch die Nacht, bis er endlich unerwartet an den
fuͤrſtlichen Garten kam. Ein Feuerwerk, wie es ſchien,
war eben abgebrannt, nur einzelne Schwaͤrmer ſtiegen
noch empor und erleuchteten im Zerplatzen ſeltſam die
Gegend und die verworrene Menge, die ſich nun jauch¬
zend nach allen Seiten verlief. Bei dem fluͤchtigen
Wiederſchein glaubte Victor auf einen Augenblick ſein
Wirthshaus jenſeits auf der ſtillen Anhoͤhe geſehen zu
haben. Der Wege unkundig an dem fremden Ort,
ſchlaͤgt er die naͤchſte Richtung ein und tritt durch ein
Pfoͤrtchen, das er nur angelehnt findet, zwiſchen die
Baͤume hinein, verſchlungene Gaͤnge fuͤhren ihn immer
weiter, auf einmal ſieht er ſich mitten im fuͤrſtlichen
Park. Der Himmel iſt ſchwuͤl bezogen, zahlloſe Gluͤh¬
wuͤrmchen ſchweifen in den dunklen Gaͤngen, die weißen
Statuen ſtehen einſam im Mondſchein umher; da iſt's,
als hoͤrt' er leiſe ſeinen Namen nennen, ein Fluͤſtern
geht ſeitwaͤrts durch's Gebuͤſch, dann alles wieder ſtill.
— Jetzt ſchimmern auch die hohen Schloßfenſter ſchon
heruͤber, drin ſieht er im hellen Glanz ſich Masken
wunderſam bewegen, die eine Saalthuͤr oͤffnet ſich, ein
Schwall von Licht und Klaͤngen ſchlaͤgt heraus — da
faͤhrt er innerlichſt zuſammen, denn bei dem brennen¬
den Streiflicht ſieht er ploͤtzlich Juanna's Geſtalt
17
zwiſchen den Baͤumen entſchluͤpfen. Außer ſich folgt
er nach, er erblickt ſie von neuem: Reitkleid, Guͤrtel
und Hut, wie ſie in Spanien getragen, endlich erreicht
er ſie, ſie wendet ſich raſch, mit Grauen ſieht er in
die dunklen Augenhoͤhlen einer Larve.
Er ſteht wie eingewurzelt vor ihr, waͤhrend ſie
ihn ſchweigend zu betrachten ſcheint. — Du fernes
Wetterleuchten, ſagt er endlich ganz verwirrt, ich folge
dir, und waͤr' es in den Wahnſinn! — Da erhebt ſich
auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Geſang,
faſt ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden Toͤnen.
Sie ſchauert, als braͤch' der Tag an, ihre ſchwarzen
Locken ringeln ſich von beiden Seiten herab, er ſieht
die dunklen Augen aus der Larve funkeln. — Mor¬
gen! fluͤſtert ſie dann kaum hoͤrbar und verſchwindet
ſchnell zwiſchen den wechſelnden Schatten.
Victor aber flieht entſetzt durch den Garten, der
Mondſchein wiegt ſich traͤumend auf dem Gebuͤſch,
ſeitwaͤrts ſchwanken Waſſerkuͤnſte im Wind, wie Feen
in langen, wallenden Schleiern. Ploͤtzlich hoͤrt er den
Geſang wieder erſchallen. Auf dem ſteinernen Rande
des Springbrunnens ſieht er einen eingeſchlummerten
Mann ſitzen, ohne Hut, mit dem Haupt vornuͤber
nickend, der ſingt im Schlaf. Bei einem fluͤchtigen
Mondblick glaubt er den bleichen kranken Fuͤrſten zu
erkennen.
So kommt er ganz verſtoͤrt in die Stadt zuruͤck.
Dort hat ſich unterdeß alles verwandelt. Nur einzelne
Menſchen irren noch beim ungewiſſen Schein der La¬
ternen, die verloͤſchend flackern, zerriſſene Wolken flie¬
gen uͤber die Daͤcher, die Nacht war finſter und ſtuͤr¬
miſch geworden. Da ſchweiften zwei weibliche Geſtal¬
ten eilig durch das Dunkel. Wo ſchleppſt du mich
hin? fragte die eine. — Sah'ſt du ihn nicht vorhin?
entgegnete die andere, ich muß ihn haſchen! —
Kordelchen! Du? rief Victor ploͤtzlich vor ihnen
ſtehend aus — du ſiehſt ja ſo blaß im Laternenſchein,
wie eine Leiche mit ſpielenden, funkelnden Augen. —
Ach, dummes Zeug, red' nicht ſo graulich, ſagte die
Komoͤdiantin. — Er wollte fort, aber ſie hatte ſich
ſchon feſt in ſeinen Mantel verwickelt.
Sie ſtanden an der offenen Thuͤr eines kleinen
Hauſes. Ihre leichtfertige Begleiterin, die zu ihrem
Verdruß noch gar nicht beachtet worden, wuͤnſchte
ſchnippiſch viel Vergnuͤgen, und verließ ſie empfindlich.
Kordelchen aber hatte ihren ſpaͤten Gaſt bereits hin¬
eingedraͤngt. Ein ſchwuͤler Duft von halbvertrockneten
Blumenſtraͤußen, die an den Fenſtern ſtanden, quoll
ihnen aus der kleinen Stube entgegen. Das tiefher¬
untergebrannte Licht, dem eine leere Flaſche zum Leuch¬
ter diente, verbreitete eine ungewiſſe Daͤmmerung uͤber
aͤrmliches Hausgeraͤth, zerbrochene Spiegel, Notenbuͤ¬
cher und Kleidungsſtuͤcke, die uͤberall unordentlich um¬
herlagen. Mitten in dieſer Verwirrung war ein wohl¬
17*
gekleideter Mann am Tiſche feſt eingeſchlafen, die Fe¬
der lag umgefallen noch zwiſchen ſeinen Fingern auf
dem halbbeſchriebenen Blatte vor ihm.
Still, ſtill, der wird ein Paar Augen machen! ſagte
Kordelchen, indem ſie Victor'n leiſe an der Hand in einen
entfernten Winkel fuͤhrte und ihn dabei, eh' er ſich's verſah,
herzhaft in den Finger biß. Dann ſetzte ſie ſich auf einen
Reiſekoffer, oͤffnete ihre Schuͤrze, die voll Knackmandeln
war, und fing vergnuͤgt an zu naſchen und zu plaudern,
man ſah ihr recht die Freude aus den muntern Augen
glaͤnzen. So in aller Geſchwindigkeit erzaͤhlte ſie ihm,
daß ſie mit Otto'n aus dem langweiligen Italien ent¬
flohen, ſeit einigen Tagen hier ſey, und wieder auf's
Theater wolle. Auf einmal ſah ſie Victor'n lange
in's Geſicht. Armer Lothario, ſagte ſie, du ſieh'ſt
ſchlecht aus. Dacht' ich's doch gleich, als du damals
die Augen ſo hoch warfſt, ſiehſt du, wer hieß dich,
Gemſen jagen! — Aber ſo iß doch mit — und haſt
du die Fuͤrſtin heut geſehen? — ſie iſt als Graͤfin
Juanna maskirt. — Dazwiſchen warf ſie wieder
Mandelſchaalen nach dem Schreiber hinuͤber, der noch
immer ſchlief.
Da fuhr dieſer erſchrocken auf — es war Otto — ſie
wollte ſich todt lachen, wie er ſo wild aus dem Schlaf
umherſtierte. Aber Victor, bisher wie in Gedanken
verloren, hatte ſich bei dem unerwarteten Anblick des
wuͤſten Geſichts ploͤtzlich aufgerichtet. Um Gotteswillen,
Otto! rief er mit tief erſchuͤtterter Stimme, flieh, flieh
in die Nacht hinaus, in den Krieg, bau' das Feld,
ſpalte Holz, bettle von Haus zu Haus — nur fort
von hier! — Geh, geh! ſagte Kordelchen, von ihrem
Koffer ſpringend, du biſt ja ſo pathetiſch wie der ſtei¬
nerne Comthur aus dem Don Juan. — Otto, den
Kopf auf beide Arme geſtuͤtzt, ahnet heimlich, was
Jener meint, Lothario's Urtheil gilt ihm alles, ſeine
ganze Seele haͤngt lauſchend wie an einem jaͤhen Ab¬
ſturz. — Aber Victor's Sinn war heut wie ein ſchnei¬
dendes Schwert. — Und red' mir nicht von Poeſie,
von Dichterberuf, fuhr er fort, du haſt nicht mehr
davon als ein verliebtes Maͤdchen. Es giebt nur we¬
nige Dichter in der Welt, und von den wenigen kaum
einer ſteigt unverſehrt in dieſe maͤhrchenhafte, praͤcht'ge
Zaubernacht, wo die wilden, feurigen Blumen ſtehen
und die Liederquellen verworren nach den Abgruͤnden
gehen und der zauberiſche Spielmann zwiſchen dem
Waldesrauſchen mit herzzerreißenden Klaͤngen nach dem
Venusberg verlockt, in welchem alle Luſt und Pracht
der Erde entzuͤndet und wo die Seele, wie im Traum,
frei wird mit ihren dunkelen Geluͤſten —
Hier hielt ſich Otto nicht laͤnger. Es uͤberlief
ihn eiskalt, als zuckte ein Blitz durch die Nacht und
erleuchtete auf einmal graͤßlich ſein ganzes verlorenes
Leben. Noch ganz verwirrt, im Innerſten getroffen,
ergriff er wie ein Raſender einen nahe gelegenen Thea¬
terdegen und drang ſinnlos auf Victor'n ein. Dieſer
ſchleuderte den Wuͤthenden weit von ſich, daß ihm der
Degen entfiel. Ruhig! rief er, und bedenke meine
Worte, ehe alles zu ſpaͤt! Mich aber laß', ich habe
mit mir ſelbſt zu fechten, Gott gnad' uns beiden! —
So eilte er aus dem Hauſe fort.
Draußen auf der leeren Gaſſe hoͤrte man noch
Kordelchen klagen, die ihm betroffen nachgeſtuͤrzt. Lo¬
thario! rief ſie außer ſich, lieber, ſchoͤner, verruͤckter
Lothario! ich bitt' dich um Gotteswillen, kehre um,
nur noch ein einzigesmal komm zuruͤck! Es iſt ja
alles nicht wahr, was die Leute ſagen, ich war dir
immer im Herzen treu, was kann ich dafuͤr, daß ich
arm und ſchoͤn bin? Ach verlaß’ mich nicht, ich habe
ſonſt niemanden auf der Welt! Wickle mich in's
Schnupftuch, ſteck' mich in deine Rocktaſche, wenn du
mir nicht trauſt, ich will ſtill ſitzen und dich anſehen,
wenn du mich nur wieder lieb haſt, du wilder, ab¬
ſcheulicher Kerl! — So bat ſie ruͤhrend, lachte und
ſchimpfte, bis ſie zuletzt unaufhaltſam in heftiges Wei¬
nen ausbrach.
Aber Victor hoͤrte ſie nicht mehr. Er trat aus
dem dunklen Stadtthor, einzelne Morgenſtreifen zuckten
ſchon uͤber die ſtille Gegend. — Durch ſeine Seele
gingen uͤbermaͤchtige Gedanken. Aus der tiefen Nacht
ſeines Grams ſtieg allmaͤhlig Stern auf Stern, ihm
war, als muͤßt' nun alles anders werden.
Zwanzigstes Kapitel .
Zu Weinsheim klangen die Abendglocken uͤber
die anmuthige Gegend, das reiche Dorf mit ſeinen
friſchen kuͤhlen Gaͤrten und dem weißen herrſchaftlichen
Schloſſe daruͤber lag ſchon vom Gebirge verſchattet,
waͤhrend die Abendſonne weiterhin die fruchtbare Ebene
und den gewundenen Strom noch heiter beleuchtete.
Auf allen Feldern war ein froͤhliches Erndte-Gewim¬
mel, bis weit hinaus hoͤrte man ſingen, rufen und
jauchzen und das Raſſeln der Wagen dazwiſchen.
Mitten durch die bunte Wirrung ritt ein ſchoͤner ſchlan¬
ker Mann mit gebraͤuntem Geſicht langſam dem
Schloſſe zu, nach allen Seiten fuͤr den folgenden Tag
Befehle ertheilend, und manchem ſcheuen, glaͤnzenden
Blick der Bauermaͤdchen begegnend. Es war der
junge Baron Manfred, dem dieſe Landſchaft in dop¬
peltem Sinne angehoͤrte, denn er hatte ſie wuͤſt ererbt,
und durch Umſicht und verſtaͤndige Anregung in einen
bluͤhenden Garten verwandelt.
In ſolcher Erndtezeit haben die Landſchloͤſſer etwas
unbeſchreiblich Einſames. Auch Manfred fand Hof und
Haus noch leer, alle Diener ſchwaͤrmten noch draußen im
Thale, nur die gegenuͤberſtehenden Waldberge ſchauten
ernſt durch die offenen Fenſter herein. — Ermuͤdet ſetzte
er ſich auf das Fenſtergelaͤnder, um ſich in der Abend¬
kuͤhle zu erfriſchen, als er auf der Straße, die vom
Gebirge kam, einen wunderlichen Zug ſich zwiſchen
den Wallnußbaͤumen langſam heranbewegen ſah. Ein
elegantes Kabriolet, das aber der Steinweg uͤbel zu¬
gerichtet zu haben ſchien, wurde auf drei Raͤdern von
einem Pferde muͤhſam fortgeſchleppt. Ein Mann in
ſeltſamer Reiſetracht fuͤhrte das Pferd am Zuͤgel, eine
junge Dame, mit einem Kornblumenkranze im Haar,
ſchlenderte daneben, das Ganze gemahnte an ziehende
Komoͤdianten. Einige verſpaͤtete Jaͤger des Barons
hatten ſich dazugeſellt, die Kruͤppelfuhre, wie es ſchien,
mit derben Witzen geſegnend. Der Reiſende aber blieb
keine Antwort ſchuldig. Manfred konnte, da ſie eben
unter ſeinen Fenſtern voruͤberzogen, deutlich vernehmen,
wie er den Jaͤgern ſehr eifrig demonſtrirte, bei ihrer
Kunſt ſey, außer den Friſchlingen, nichts Friſches mehr,
das Elend haͤtten ſie aus den Waͤldern verjagt und
hegten's zu Hauſe, von der Blume des Ganzen duͤrft
man vor gebildeten Loͤffeln gar nicht mehr ſprechen,
uͤberdies ſey Diana laͤngſt eine alte Jungfer geworden,
es lohne nicht mehr, Hoͤrner zu tragen. — So kamen
ſie alle mit großem Rumor und Gelaͤchter oben an.
Hier warf der Fremde dem Jaͤger die Zuͤgel zu,
und befahl ihm ohne weiteres alles auf's beſte unter¬
zubringen, das Waͤgelchen wieder herzuſtellen und das
Pferd reichlich zu fuͤttern, das heute mehr die Sonne
als der Hafer geſtochen habe. Das ſieht hier gar
nicht ſchlecht aus, ſagte er dann, ſich zufrieden nach
allen Seiten umſehend, wem gehoͤrt das Schloß? —
Die Antwort des Jaͤgers aber ſchien ihn auf's hoͤchſte
zu uͤberraſchen. Was! dem Baron Manfred? rief er
aus, und flog ſogleich nach dem Schloſſe, wo er den
eben heraustretenden Baron beinah uͤbergerannt haͤtte.
— Waren Sie, ſagte er haſtig und ohne alle Einlei¬
tung, waren Sie nicht vor einiger Zeit auf Reiſen?
So ſind Sie ohne Zweifel der geweſene Braͤutigam
der ehemaligen Graͤfin Juanna, der damals auf dem
fuͤrſtlichen Schloſſe erwartet wurde! — Manfred be¬
jahte kurz und trocken. — Aber heirathen! rief der
Reiſende aus, wer wird eine wildſchoͤne Diana gleich
heirathen wollen! — Wer ſind Sie? unterbrach ihn
hier Manfred, den Aufdringlichen mit etwas ernſten
Blicken meſſend. — Ja ſo! — erwiederte dieſer —
haben Sie vielleicht ſchon einmal von einem gewiſſen
Dryander gehoͤrt? — Dem bekannten Dichter? — Der
bin ich, ich reiſe eben auf Volkslieder, und jenes
Frauenzimmer dort iſt meine Frau.
Nun ſtellte er die junge Dame mit dem Korn¬
blumenkranze vor, die ſo eben an einem Eckſteine noch
ihre Schuhe feſtband, und ihnen, als ſie ſich nennen
hoͤrte, ein munteres, etwas trotziges Geſichtchen zu¬
wandte, in dem wir ſogleich Fraͤulein Gertrud als
alte Bekannte vom fuͤrſtlichen Schloſſe wieder begruͤ¬
ßen. Die Kleine begann unmittelbar nach der erſten
Verſtaͤndigung, mit der Lebhaftigkeit eines jungen
Sinnes, dem alles noch neu iſt, von ihrer romanti¬
ſchen Fahrt durch's Gebirge, von dem Unfall mit dem
Wagen und andern Abenteuern zu erzaͤhlen, wobei ſie
deutlich merken ließ, daß dem Baron eigentlich ein
unverdientes Gluͤck widerfahre, den beruͤhmten Dichter
Dryander bei ſich beherbergen zu koͤnnen. Der Letztere
aber, dem die Beſchreibung zu ſchoͤn und zu lang zu
werden ſchien, war ſchnell wieder in den Hof zuruͤck¬
geeilt, um Pfeife und Tabacksbeutel aus dem Wagen
zu holen. — Und ſo ſah ſich denn Manfred allein
mit der huͤbſchen jungen Frau in einer ſeltſamen Lage;
denn wenn er ſie, nach ihrer ganzen Erſcheinung, als
ein lebensluſtiges, verliebtes Landfraͤulein zu nehmen
geneigt war, ſo wandelte ſie nun auf einmal die
Farbe, und brach, zu ſeiner Verwunderung, aͤſthetiſche
Discurſe vom Zaun. Und je laͤnger er ſchwieg, je
froͤhlicher gerieth ſie, in der ſichtbaren Luſt, dem Land¬
junker zu imponiren, wie ein munterer Waſſerfall un¬
aufhaltſam in eine plauderſelige Gelehrſamkeit, unbe¬
kuͤmmert Zeiten, Autoren und Buͤcher durcheinander
vermengend.
Ein Lachen hinter ihnen unterbrach hier ploͤtzlich
die ſonderbare Unterhaltung. Es war Dryander, der
ſich unterdeß wieder eingefunden, und eine Zeit lang
ungeſehen alles mit angehoͤrt hatte. Trudchen, Trud¬
chen! rief er immerfort lachend, was geſchieht dir? ich
erkenne dich ja gar nicht wieder — dieſes charmante
Weſen und angenehme Klugſprechen, Attituͤden und
romantiſcher Shwaltanz. — Das reſolute Weibchen
aber ſchien nicht einen Augenblick betreten. Mit ver¬
aͤnderter Stimme, die ploͤtzlich wie der Abſatz eines
Pantoͤffelchens klang, erwiederte ſie: ſolche Faxen leid'
ich nun ein fuͤr allemal nicht von dir! Willſt du ein
Philiſter ſeyn, ſo iſt's gut, ich werde auch ſeyn, wie
ich Luſt habe! — Dryander hatte ſie unterdeß um¬
faßt und walzte mit ihr auf dem Raſen herum. Sie
aber ſchrie auf einmal laut auf, und riß ſich mit
mehr Heftigkeit als Grazie von ihm los. Du biſt
immer ſo ungeſchickt, ſagte ſie, du trittſt mir auf den
Fuß. — Das iſt nicht wahr, rief Dryander. — Wahr
oder nicht wahr! — entgegnete ſie, ich bin todtmuͤde
von deinem Herumziehen in dem dummen Gebirge,
und ich will ſchlafen gehn, und das jetzt gleich! —
Nun gerieth Dryander ſeinerſeits in eine wunderliche
Wuth. Um Gotteswillen, nur keine Launen! rief er
aus, Weiberlaune iſt mir zuwider, wie das Pech am
Pfropfen einer Champagner-Flaſche, ein ekelhafter
Mehlthau auf Blumen, da iſt offenbarer Wahnſinn
noch herrlich dagegen mit ſeinem Abgrunde bodenloſer
Gedanken. — Und ich gehe doch ſchlafen! unterbrach
ihn Gertrud trotzig, machte Manfreden eine kurze
Verbeugung und ging nach dem Schloſſe, wo die alte
Haushaͤlterin des Barons, die den Spektakel in der
Hausthuͤr verwundert mit angehoͤrt hatte, die Erhitzte
aufnahm und in ihre Zimmer fuͤhrte.
Iſt ſie nicht zum Kuͤſſen ſchoͤn, wenn ſie boͤſe
wird? ſagte Dryander zu Manfred gewandt. Man¬
fred, ganz entruͤſtet uͤber dieſe verkehrte, nichtsnutzige
Wirthſchaft, ſtellte ihn ernſtlich zur Rede, daß er
durch ſolche Tollheiten die Frau geiſtig vernichte. —
Ganz und gar nicht, erwiederte Dryander, faule Sta¬
turen werden erſt in der Leidenſchaft bedeutend und
reizend, ſie iſt eigentlich ſehr dumm. —
Unterdeß war ein Tiſch mit Erfriſchungen im
Garten aufgeſchlagen worden. Dryander nahm ohne
weiteres Platz, band ſich eine Serviette unter'm Kinne
wie zum Raſiren vor, und begann ſo eifrig zu eſſen,
wie Manfred noch niemals geſehen. Dazwiſchen er¬
zaͤhlte er, von allen Schuͤſſeln zugleich zulangend, wie
in ſeinem Braͤutigams-Stande auf dem fuͤrſtlichen
Jagdſchloſſe ſeine Averſion gegen eine feierliche Hoch¬
zeit ein unuͤberſteigliches Hinderniß geworden, wie er
ſodann einmal ploͤtzlich vor dem hochaufgeſtapelten
Hochzeitsbette erſchrocken und davongegangen, Gertrud
aber bald darauf aus Melankolie gleichfalls von dem
Schloſſe verſchwunden ſey.
Aber auf dieſer außerordentlichen Flucht, fuhr
er fort, ſetzte mir die Liebe nicht wenig zu, ich kam
ganz herunter, ich war faſt nichts als Seele. In die¬
ſem Zuſtande hatte ich mich einmal des Abends im
Gebirge verirrt, ich wußte durchaus nicht wo ich mich
befand, und war endlich, wie es mir vorkam, uͤber
die Truͤmmer eines umgefallenen Zauns in einen ehe¬
maligen franzoͤſiſchen Garten gerathen. Durch die
ſchnell voruͤberfliegenden Wolken fielen nur einzelne
Mondblicke zwiſchen finſtern Laubwaͤnden und kuͤnſtlich
verſchnittenen Taxusbaͤumen uͤber zerbrochene Statuͤen,
die im hohen Graſe lagen, aus dem Walde ſchlugen
unzaͤhlige Nachtigallen. Nur eine Statuͤe in einiger
Entfernung von mir ſchien noch wohlerhalten, es war
eine ſitzende Najade an einem ſteinernen Baſſin, deſſen
klare Fluth ihre Fuͤße umſpuͤlte. — Ich bin eigentlich
ein Schwaͤrmer, mit uͤber der Bruſt gekreuzten Ar¬
men lehnte ich mich nachlaͤſſig an einen neben mir
ſtehenden antiken Opferaltar und ſah eben unver¬
wandt in den Mond, als der morſche Altar, den ich
fuͤr Stein gehalten, hinter mir zuſammenbrach. Daß
ich mit umfiel, war das Geringſte dabei. Aber denkt
Euch mein Entſetzen! Ueber dem Gepolter wendet die
Najade auf einmal den Kopf, richtet ſich hoch auf,
und entflieht in den dunklen Garten. Trotz meiner
Gaͤnſehaut ſchreite ich doch auf das Baſſin los, und
finde zwei der zierlichſten Pantoͤffelchen auf dem ſtei¬
nernen Rande. Ich lege ſie ſogleich an mein Herz
zwiſchen Frack und Weſte, und komme, beim weiteren
Vordringen, an einen, von hohen Baͤumen tiefverſchat¬
teten Platz. Auf dem Platze war ein Schloß, und an
dem Schloſſe ein Altan und auf dem Altan ſehe ich,
wie hinter einem Schleier von Mondſchein, Bluͤten
und Laubgewinden, das weiße Gewand der Najade
wieder hervorſchimmern. Das kam mir auf einmal
ganz ſpaniſch vor mit dem Balkone, ich redete ſie erſt
zierlich in Aſſonanzen an, ſie verbarg ſich halb furcht¬
ſam, halb neugierig, bald ſah ich eine Locke, bald ein
bloßes Fuͤßchen, bald einen Arm, bald wieder gar
nichts. Ich wurde immer verliebter, die Reime floſſen
mir wie Lavendelwaſſer, ich ſprach von des Mondes
Zaubermacht, der das Lieben hat erdacht, von einer
ſuͤßvalenz'ſchen Nacht, vom Koſen und vom Fluͤſtern
ſacht, bis daß die erſte Lerche erwacht! Sie ſchwieg
immerfort, und, wie auf der Himmelsleiter meines
eigenen Wohllauts, ſtieg ich endlich ohne weiteres auf
den naͤchſten Baum, ſchwang mich mit der einen Hand
auf den Balkon, und hielt mit der anderen der Er¬
ſtaunten ihre Pantoͤffelchen entgegen. In demſelben
Augenblick aber entriß ſie mir's ploͤtzlich und ſchlug
mir damit tuͤchtig um beide Ohren. Alſo das iſt deine
Treue! rief ſie, ich erkannte dich gleich anfangs, o ich
ungluͤckſeliges Maͤdchen! — es war Gertrud ſelbſt.
Ich ſtand ganz verbluͤfft. Vergeblich ſagte ich, daß
ich ſie eigentlich auch gleich Anfangs erkannt haͤtte,
und beſchwor ſie, nur jetzt das Maul zu halten. Aber
ſie glaubte und hoͤrte nichts, ſie ſchimpfte und weinte
dazwiſchen immerfort. Ueber dem Laͤrm und Gezaͤnke
ſteckte die alte Amme, die ich noch vom fuͤrſtlichen
Schloſſe her kannte, ihr Geſicht aus der Schloßthuͤre,
und verſchwand ſogleich wieder, ein großer Hund
ſchlug im Garten ein Paarmal an, und eh' ich mich
noch beſinnen kann, thut ſich die Balkonthuͤre weit
auf, und ein verworrener Haufe von Vettern, Lichtern
und Dienern ſtuͤrzt ploͤtzlich hervor, voran ein großer,
ſtarker Mann in einem damaſtenen Schlafrock, mit
kleinem dreieckigen Hut und langem Haarzopf, in der
einen Hand eine Piſtole, in der andern einen bloßen
Degen. Die alte Amme, der vor den Folgen ihres
Verraths bange wurde, wollte den Wuͤthenden von
hinten am Zopf aufhalten, daruͤber ringelte ſich das
Band los, und die langen Haare umflatterten ihn
wunderlich wie ein phantaſtiſches Hirngeſpinnſt. Kopu¬
lirt ſie in drei Teufels Namen! donnerte er, mit dem
Piſtol nach mir zielend, denn es war niemand anders,
als Gertruds Vater. Ein alter Geiſtlicher, der nicht
wußte wie ihm geſchah, trat aus dem Gefolge, und
ich und Gertrud wurden auf der Stelle kopulirt. —
Hier ſtand Manfred, der ſchon mehreremal den
beredten Dichter unterbrechen wollte, entruͤſtet auf.
Schaͤndlich! ſagte er, mich friert innerlichſt bei der
Geſchichte. — Dryander ſah ihn mit den geiſtvollen
Augen ein Weilchen groß an, dann ſprang er ploͤtzlich
auf und fiel dem Baron um den Hals. Sie haben
ganz Recht, rief er aus, das iſt die verruchte Doppel¬
gaͤngerei in mir, ich kann nichts Großes erſinnen, ohne
ihm ſogleich von hinten einen Haarbeutel anzuhaͤngen,
ein tragiſcher, wahnſinniger Koͤnig und ein Hanswurſt,
der ihm fix ein Bein unterſtellt, die hetzen und balgen
ſich Tag und Nacht in mir, daß ich zuletzt nicht
weiß, welcher von beiden Narren ich ſelber bin.
Manfred ſchwieg unwillig, Dryander aber war
an den Abhang des Gartens getreten, und ſchaute
in das dunkle Thal hinaus; man unterſchied nur noch
einzelne Maſſen von Wald, Feldern und Doͤrfern,
durch die weite Stille kam der dumpfe Schlag eines
Eiſenhammers heruͤber. — Das iſt ſchoͤn! ſagte er,
es iſt mir, als hoͤrt' ich den Pendul der Zeit einfoͤr¬
mig picken. — Ich bleibe hier, wandte er ſich dann
ſchnell zu Manfred: ich habe das wuͤſte Treiben ſatt;
Profeſſion vom Dichten machen, das iſt uͤberhaupt
laͤcherlich, als wenn einer beſtaͤndig verliebt ſeyn wollte
und noch obendrein auf oͤffentlicher Straße — ich will
hier bei Euch die Landwirthſchaft lernen! — Sie? —
erwiederte Manfred erſtaunt, das gaͤbe eine ſchoͤne
Wirthſchaft! — Aber Dryander hoͤrte nicht darauf.
Ich will mich, fuhr er fort, ich will mich hier wie
auf den Grund des Meeres verſenken, daß ich von
der Welt nichts mehr hoͤre — aber Ihr muͤßt mir
die Hand darauf geben, daß Ihr ſo lange kein Wort
von Litteratur mit mir reden wollt.
Er ſprach ſo eifrig, daß er endlich auch den un¬
glaͤubigen Manfred um ſo mehr mit ſich fortriß, als
dieſer ſelbſt uͤberzeugt war, daß nur die Einſamkeit
und eine eiſern geregelte Thaͤtigkeit den wirren Geiſt
heilen koͤnnte. Und mehr bedurfte es nicht, um ihn
mit Leib und Seele fuͤr den Gedanken zu gewinnen.
Sie beſprachen nun noch bei einer Bowle Punſch
ausfuͤhrlich den neuen Plan. Dryander faßte alles
begeiſtert auf, richtete ſich in Gedanken ſchon voͤllig
hier ein, war beruhigt, faſt weich, und in dieſem un¬
gewohnten Zuſtande unwiderſtehlich liebenswuͤrdig; und
als ſie endlich ſchieden, begab ſich Manfred mit dem
Gefuͤhle eines begonnenen guten Werkes zur Ruhe,
und uͤberdachte noch lange, wie er es am beſten voll¬
fuͤhren und geſtalten wollte.
Wie ſehr war er daher erſtaunt, als er am fol¬
genden Morgen vernahm, daß Dryander, der von
dem uͤbermaͤßig genoſſenen Punſch vor Hitze nicht
ſchlafen konnte, noch lange vor Tages-Anbruch die
Frau und den ganzen Hof aufrumort habe, und ſo
eben ſchon wieder abgereiſt ſey. — In des Dichters
Stube fand er mehrere vergeſſene Kleinigkeiten, Tuͤcher
und Struͤmpfe auf allen Stuͤhlen zerſtreut, das offene
Fenſter klappte im Winde, auf dem Tiſche lag ein,
18
wie es ſchien, vor kurzem von Dryander beſchriebenes
Blatt. Er nahm es auf und las:
Vor dem Schloß in den Baͤumen es rauſchend weht,
Unter den Fenſtern ein Spielmann geht,
Mit irren Toͤnen verlockend den Sinn —
Der Spielmann aber ich ſelber bin.
Voruͤber jag' ich an manchem Schloß,
Die Locken zerwuͤhlet, verwildert das Roß,
Du frommes Kindlein im ſtillen Haus,
Schau' nicht nach mir zum Fenſter hinaus!
Von Luͤſten und Reue zerriſſen die Bruſt,
Wie raſend in verzweifelter Luſt,
Brech' ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,
Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus!
Wird aus dem Schrei doch nimmer Geſang,
Herz, o mein Herz, biſt ein irrer Klang,
Den der Sturm in alle Luͤfte verweht —
Leb't wohl, und fragt nicht, wohin es geht!
Sollte man nicht wirklich denken, er ſey durch
und durch verzweifelt, ſagte Manfred, indem er das
Blatt mitleidig laͤchelnd weglegte, und ich wette, da
hat er in der Zerſtreuung alles wieder rein vergeſſen,
was wir geſtern verabredet. — Und als er hinaus¬
blickte, ſah er draußen im Morgenblitzen das Waͤgel¬
chen des Dichters, uͤber dem ein durchloͤcherter Son¬
nenſchirm aufgeſpannt war, wie ein Schattenſpiel zwi¬
ſchen den gruͤnen Baͤumen dahinſchwanken.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Wir finden den Baron Manfred fern von ſei¬
nem ſtillen, gruͤnen Revier wieder, aus dem ihn eine
Familienangelegenheit von beſonderer Dringlichkeit ver¬
lockt hatte. Das Geſchaͤft, das er heiter zu ordnen
gedacht, war indeß durch Mißverſtaͤndniſſe unerwartet
verwickelt geworden, und unruhig, ja ernſtlich beſorgt
verließ er ſo eben das Schloß einer, ihm verwandten
Dame, bei der er mehrere Tage verweilt.
Schon auf dem Schloſſe hatte ihn ein verworre¬
nes Geruͤcht intereſſirt, das ſich weiterhin in den Doͤr¬
fern immer wunderbarer ausſchmuͤckte. Es war die faſt
maͤhrchenhafte Sage von der Einſamkeit eines aufge¬
hobenen Kloſters im benachbarten Gebirg und von
einem Moͤnch, der ſeit kurzer Zeit dort umgehe, waͤh¬
rend Andere ihn wieder fuͤr einen wahnſinnigen Ein¬
ſiedler hielten. Aber auch dieſe wußten nicht, wann
und woher er gekommen; man nannte ihn nur den
Waldbruder Vitalis. — Da Manfred's Weg ihn
durch das Gebirge fuͤhrte, beſchloß er endlich den ge¬
heimnißvollen Eremiten in ſeiner eigenen Klauſe auf¬
zuſuchen.
18*
Es war ein ſchoͤner Sommerabend, als er zwi¬
ſchen Wieſen und nickenden Kornfeldern den bezeichne¬
ten Bergen zuritt. Ein Gewitter war uͤber das Ge¬
birge fortgezogen und blitzende Tropfen hingen noch in
Zweigen und Gras, aus dem ein erquickender Wohl¬
geruch emporſtieg. Ein Holzhauer hatte ihm den Pfad
nach der Einſiedelei gewieſen, die Gegend wurde immer
hoͤher, kuͤhler und ſtiller, nur die Abendglocken ſchallten
noch durch das feierliche Rauſchen des Waldes aus
den Thaͤlern herauf. — In dieſer kraͤftigen Einſam¬
keit konnte er ſich eines zuͤrnenden Mißtrauens gegen
den Einſiedler nicht erwehren, den er ſo eben kennen
lernen ſollte. Es kam ihm kleinlich, ja verrucht vor,
inmitten allgemeiner Luſt und Noth ſich ſo in hoch¬
muͤthiger Selbſtliebe abzuſondern und uͤber die andern
zu ſtellen. Der Menſch, ſagte er zu ſich ſelbſt, der
Menſch allein verwirrt alles mit ſeiner Leidenſchaft
und Affectation!
Durch ſolche Betrachtungen war er nach und
nach ganz in Eifer gerathen und nahm ſich eben ernſt¬
lich vor, den Einſiedler durch vernuͤnftige Ueberredung,
wo moͤglich der Welt wieder zuzuwenden, als ſein
Pferd ploͤtzlich ſcheute und heftig zur Seite ſprang.
Denn eine wunderſame Geſtalt war auf einmal zwi¬
ſchen den Baͤumen hervorgetreten, unter denen nun
auch die in den Fels gehauene, von wilden Weinran¬
ken kuͤhl verhangene Einſiedelei nebſt einem ſorgfaͤltig
umzaͤunten Gaͤrtchen ſich zeigte. Der Eremit trug
einen breitraͤndigen Pilgerhut, ein ungeheurer alter
Schlafpelz, der ihm uͤberall zu weit war, rauſchte im
Graſe hinter ihm her, waͤhrend er aus einer langen
Pfeife Taback rauchte. Manfred traute ſeinen Augen
nicht. Wie! rief er, Herr Dryander — Sie alſo
ſind der Vitalis!? — Vitalis? warum denn nicht?
erwiederte Dryander gelaſſen, aber bleiben Sie mir
mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.
Manfred band ſein Pferd an einen Baum und
folgte dem Doctor, der ſich faſt bei jedem Schritt auf
den Pelz trat, zu der Klauſe. Dort fehlte nichts zum
Hausrath eines vollkommenen Waldbruders, ein wei¬
ßer Todtenſchaͤdel glaͤnzte aus der Grotte, an deren
hinteren Felswand ein großes ſchmuckloſes Crucifix auf¬
gerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der
Klauſe, noch aufgeſchlagen. Manfred ſah lange finſter
umher, endlich brach er los. Das iſt kein bloßer Scherz,
ſagte er, es waͤre zu frevelhaft. Aber auch der bit¬
terſte Ernſt iſt hier ein Frevel. Armer, grillenhafter,
wetterwendiſcher Menſch, gehe erſt zu den Einfaͤltigen
in die Lehre, erkenne erſt unten im Gedraͤnge das un¬
ſichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufge¬
richtet, eh' du es ſelbſt zu faſſen und in Seinem Na¬
men die Welt zu belehren und zu richten wagſt! —
Amen, mein Sohn! unterbrach ihn hier Dryander mit
milder Stimme, aber nimmermehr wird es dir gelin¬
gen, durch loſe Worte mir das Rauhe meines Eremi¬
tenpelzes herauszukehren, denn mich erbarmt in tiefſter
Seele deine Verblendung. Alſo von der Welt Ru¬
mor, mein Sohn, hoffſt du noch immer zu lernen,
was nicht von dieſer Welt iſt? Ich aber ſage dir:
da iſt nichts zu lernen, ſondern niederzuſtuͤrzen auf die
Knie, denn mitten in der Stille der Waldes-Einſam¬
keit, ploͤtzlich und von Waffen blitzend, kommt der En¬
gel des Herrn! — Hier zog und qualmte der Zelot ſo
heftig aus ſeiner Tabackspfeife, die ihm uͤber dem Re¬
den ausgehen wollte, daß Manfred mitten in ſeinem
Aerger in ein lautes Gelaͤchter ausbrach. Das ſteckte
Dryander'n an, er ſtimmte unaufhaltſam mit ein.
Beide aber wandten ſich erſchrocken, als ploͤtzlich hin¬
ter ihnen das herzhafte Lachen noch eines Dritten dar¬
einſchallte.
Ein großer, ſtarkknochiger Mann mit gebraͤuntem
Geſicht und wildherabhaͤngendem Haar, eine grobe
Kutte mit einem Strick um den Leib gebunden, trat
aus dem Gebuͤſch hervor, und konnte ſich, noch immer
lachend, gar nicht ſatt ſehen an dem abenteuerlichen
Aufzuge des Doctors. Es ergab ſich nun, daß der
Neuangekommene der eigentliche Beſitzer der Klauſe
ſey, und daß Dryander erſt vor wenigen Stunden,
auf ſeiner Fußreiſe vom Gewitter uͤberraſcht und ganz
durchnaͤßt, ſich hierher gefluͤchtet und, waͤhrend der Ere¬
mit in den Wald nach Holz gegangen, es ſich in
deſſen trockenem Pelze bequem gemacht hatte.
Der Einſiedler machte ſich nun ſogleich mit Man¬
fred's Pferde zu ſchaffen, er zaͤumte es ab, warf ihm
Heu vor, ſtreichelte und betrachtete es mit großem
Wohlgefallen. Eine ſaubere Kreatur! ſagte er, da
verſteh' ich mich noch drauf aus meinen jungen Jah¬
ren, als ich bei dem loͤblichen Kuͤraſſierregiment ſtand.
— Darauf traf er mit gleichem Eifer Anſtalten, ſeine
Gaͤſte zu bewirthen, die unterdeß einige naͤhere Blicke
in die kleine Wirthſchaft thun konnten. Im Garten
hatten Kartoffeln und Kohl faſt alle Blumen ver¬
draͤngt; am Eingange deſſelben aber fiel ihnen ein
friſch gegrabenes Grab auf. Das iſt nur ſo gegen
die uͤberfluͤſſigen Weltgedanken, ſagte der Einſiedler —
succumbit humi bos et Caesar. Quer uͤber dem
Grabe waren zwei große Speckſchwarten auf Stangen
befeſtigt. Der Einſiedler meinte, in der Huͤtte kaͤmen
ihm ſonſt die Ratten daruͤber.
Er ſetzte nun Weinflaſchen und Glaͤſer auf den
ſteinernen Tiſch vor der Klauſe, die Gaͤſte mußten ſich
auf der Bank herumſetzen, er wollte einmal etwas
Neues aus der Welt hoͤren. Dryander, den der viele
Kohl im Garten aͤrgerte, nannte ihn einen Canonicus
in herbis und ſprach wuͤthend das tollſte Kuͤchenla¬
tein, der Einſiedler antwortete eben ſo, und ſchien erſt
recht vergnuͤgt in dieſer barbariſchen Sprachverwirrung.
Dazwiſchen rauchte er, heftig dampfend, ſtinkenden
Taback aus einer kurzen ungariſchen Pfeife, im Wein
aber that er wenig Beſcheid, er mache ihn, ſagte er,
aufgeblaſen und zaͤnkiſch. Er erzaͤhlte ihnen, daß er
Frater Sammler in dem Kloſter oben geweſen, nach
deſſen Aufhebung aber ſich hier angeſiedelt habe und
bei den Bauern in der Runde, die ihn aus alter Be¬
kanntſchaft mit allem, was er brauche, reichlich verſaͤ¬
hen, ſehr gut ſeine Rechnung finde. Ueberhaupt ſey
es ihm im Leben immer gut gegangen. Schon als
Kind habe er mit ſeinem alten Vater, einem blinden
Geiger, ſo viel erbettelt, daß er die Schulen beſuchen
konnte. Spaͤter ſey er zum Kuͤraſſierregiment einge¬
zogen, aber gleich in der erſten Bataille ſo uͤbel zuge¬
richtet worden, daß ſie ihn doch wieder haͤtten laufen
laſſen muͤſſen. Als er darauf in ſein Dorf zuruͤckge¬
kommen, habe ſeine Braut unterdeß einen Andern ge¬
heirathet, den ſie nun halb todt keife. Laus Deo!
ſchloß er, mit ſeinem Glaſe luſtig anſtoßend.
Manfred betrachtete, nicht ohne tiefe Wehmuth,
den fidelen Einſiedler, den das Leben mit allen ſeinen
Stoͤßen nicht hatte unterkriegen koͤnnen, und der nun
die Froͤmmigkeit friſchweg wie ein loͤbliches Handwerk
trieb. — Es iſt ganz unmoͤglich, rief er endlich nach
einigem Nachſinnen aus, auch Sie ſind nicht der Vi¬
talis! —
Oho! erwiederte der Waldbruder, ich und Herr
Vitalis! wo denkt Ihr hin, nicht ſeine Schuhriemen
aufzuloͤſen, bin ich wuͤrdig, und ich thaͤt's ihm gern
heut und allezeit, wenn er es litte! Nein, nein, der
wohnt dort im ehemaligen Convente. — Als Nacht¬
eule, ſagte Dryander, um die Maͤuſe wegzuſchnappen,
die nach deinen Speckſchwarten gehen. — Still, fiel
ihm der Einſiedler mit uͤberfliegender Roͤthe ſchnell in's
Wort, ſchnattert nicht ſo ungewaſchen in's Zeug hin¬
ein, wenn Ihr nichts von der Geiſtlichkeit verſteht.
Contenti estote, ſagte einmal ein Kapuziner in einer
Komoͤdie, die ich noch als Soldat geſehen habe, das
heißt: begnuͤgt euch mit eurem Kommißbrote, wenn
ihr das Himmels-Manna nicht vertragen koͤnnt! —
Na, ſeyd nur nicht gleich ſo grob, lachte Dryander,
den der Vorwurf heimlich wurmte.
Abgemacht! rief der gutmuͤthige Klausner. Aber
vom Herrn Vitalis muß ich Euch noch erzaͤhlen. —
Er ruͤckte voll Eifer naͤher und dampfte ſo haſtig aus
der ungariſchen Pfeife, daß Dryander ſich an das
andere Ende des Tiſches ſetzte. — Seht, ſagte er, es
war gerade eine ſo ſchoͤne, ſternklare Sommernacht,
wie Anno 1814, da wir uͤber den Rhein ruͤckten. Ich
hatte meinen Roſenkranz eben abgebetet und ſtand auf
und zog, wie ich alle Mitternacht zu thun pflege, die
Glocke uͤber meiner Huͤtte, denn den Kranken unten
in den Doͤrfern, wenn alles ſchlaͤft, iſt es troͤſtlich, das
Gloͤcklein von den Bergen zu hoͤren. Auch das Wild
iſt's ſchon gewoͤhnt, ich hab' jedesmal meine Freude
daran, wie die Rehe dann im Mondſchein dort auf
die Wieſe herauskommen und das Weiden vergeſſen
und die Koͤpfe hoch nach dem Klange wenden, als
wollten die armen Dinger auch Gott loben. Nun
jedes thut, was es kann. Aber diesmal ſchnaubten
ſie auf einmal, und eh' ich's mich verſah, waren ſie
ploͤtzlich nach allen Seiten zerſtoben. Ich tret' her¬
aus, da ſteht ein ſchoͤner, wilder Jaͤgersmann dicht
vor mir. Laudetur Jesus Christus, ſage ich. Er
aber, ohne Amen zu ſagen: was machſt du da? —
Wie Ihr ſeht, Herr, ich bin ein Einſiedler und bete,
wenn die Andern ſchlafen. — Und ſchlaͤfſt, wenn die
Andern beten, das iſt alles Eins! — Gewiß, ſo loͤſen
wir einander ab auf der himmliſchen Schildwacht. —
Der Jaͤger darauf ſtoͤbert mir in der Huͤtte herum,
ſieht mein Moosbett, das Kreuz, den Todtenkopf.
Vollſtaͤndige Decoration, ſagt er, biſt du ſo faul, daß
dich der Kahlkopf da mit ſeinen gefletſchten Zaͤhnen
erſt jeden Abend in's Gewiſſen beißen muß, um zu
beten? — Herr, erwiedere ich, Ihr werdet mir nichts
weiß machen, ich bin Soldat und Moͤnch in dem
Kloſter da droben geweſen, und weiß wohl, daß es
leichter iſt, eine Feſtung, als das Himmelreich zu er¬
obern. Nun moͤcht' ich doch den Prahlhans ſehen, der
eine Veſtung ohne Bajonett, Leiter und Handwerks¬
zeug nehmen wollte! Und Ihr wollt den Himmel, der
hoͤher liegt, ſtuͤrmen nackt und erbaͤrmlich wie Ihr
ſeyd, ohne Wehr und Ruͤſtung und taͤgliche Uebung
in den Waffen? Ich ſage Euch: Demuth iſt der
Anfang und das Ende, hochmuͤthiger Menſch! — Der
Fremde ſah mich groß an mit funkelnden Augen, dann
ſtuͤtzte er auf dem Tiſche den Kopf in die Hand, ich
meint', er betrachtete den Todtenkopf, der vor ihm lag,
aber er mochte wohl andere Gedanken haben. Sitz'
du ſo lange du willſt, dachte ich, ich fuͤrcht' dich nicht,
ich trau' dir nicht. Damit ſtreckt' ich mich auf meine
Streu und behielt ihn in den Augen, bis ſie mir am
Ende zufielen.
Als ich aufwachte, waren meine Augen noch im¬
mer auf den Tiſch gerichtet, aber der Jaͤger ſaß nicht
mehr auf demſelbigen Punkt. Als ich aber vor die
Klauſe trat, ſah ich ihn in der Morgendaͤmmerung ſchon
von dem alten Kloſter herabkommen. Es war ein
praͤchtiger Morgen, die Haͤhne kraͤhten unten in den
Doͤrfern, hin und her klang ſchon eine Morgenglocke
durch die ſtille Luft. Auch der Fremde, nachdem er
mich freundlich gegruͤßt hatte, blieb ſtehen und ſah lange
in's Thal hinaus. Sich, ſagte er, das iſt ein Friede
Gottes uͤberall, als zoͤgen die Engelſchaaren ſingend
uͤber die Erde! die armen Menſchenkinder! ſie hoͤren's
nur, wie im Traum. Muͤde da unten, verirrt in der
Fremde und Nacht, wie ſie weinend rufen und des
Vaters Haus ſuchen, und wo ein Licht ſchimmert,
klopfen ſie furchtſam an die Thuͤr, und es wird ihnen
aufgethan, aber ſie ſollen den Fremden dienen um das
taͤgliche Brot; daruͤber werden ſie groß und alt und
kennen die Heimath und den Vater nicht mehr. O wer
ihnen allen den Frieden bringen koͤnnte! Aber wer
das ehrlich will, muß erſt Frieden ſtiften in ſich ſelbſt
und wenn er daruͤber zuſammenbraͤche, was thut's! —
Sieh, Geſell, und das iſt geiſtliches Recht und Ta¬
gewerk.
Ich alter Kerl ſtand ganz verbluͤfft vor ihm, denn
ich verſtand ſchon gleich damals ſo viel davon, daß
ich bisher eigentlich noch gar nichts verſtanden hatte
von meinem Metier. Vor meiner eigenen Thuͤr wollt'
ich kehren und die ewige Seligkeit fuͤr mich allein zu¬
ſammenknickern, wie ein filziger Schuft, als waͤr's dem
lieben Gott um mich allein zu thun in der Welt. —
Und ſeht, von der Stund' ab blieb der Jaͤger hier
auf den Bergen und wohnte im Kloſter droben und
machte ſich gemein mit mir, wie ein getreuer Kame¬
rad, und iſt doch ein grundgelehrter Herr. Denn du
gefaͤllſt mir, ſagt er, du machſt keine Flauſen mit dei¬
ner Froͤmmigkeit. Und wenn ich faſte, ſo hungert er,
und wenn ich aufwache, ſo hat er die ganze Nacht
gewacht und gebetet, und trinkt keinen Wein und mag
keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal ver¬
zagen, ſo ſingt er ein ſchoͤnes Lied, und — kurz, das
iſt der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehoͤrt habt.
Der Einſiedler wandte ſich hier und machte ſich
etwas mit dem Tiſche zu thun, denn er ſchaͤmte ſich,
weil ihm die Thraͤnen in den Augen ſtanden. Man¬
fred aber ſtand auf, ein uͤberraſchender Gedanke ſchien
durch ſeine Seele zu fliegen. Fuͤhrt mich zu Vitalis
hinauf, ſagte er, ich muß ihn durchaus ſprechen! Der
Einſiedler ſchuͤttelte bedenklich den Kopf. Ich will's
wohl thun, meinte er, aber ſeht Euch vor, wenn Euch
bloß die Neugier treibt. — Da war erſt neulich Einer,
ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einſiedler
werden. — Aber ich dacht' mir's gleich — denn zum
gottſeligen Leben gehoͤrt eine gute, feſte Natur —
wenn er Nachts mit mir im Walde ſtand, da ſchauerte
ihn, wie ein Maͤdchen, unſere alten Gebete waren ihm
noch nicht ſchoͤn genug, er ſetzte ſie in kuͤnſtliche Verſe,
dann weinte er auch zuviel und hatte ſo allerhand
Sehnſuchten. Zuletzt hatte er gar ein junges, huͤb¬
ſches Hirtenmaͤdchen aufgeſpuͤrt, die wollt' er mit Ge¬
walt bekehren, aber ſie war ſchon froͤmmer, als er, und,
eh' er ſich's verſah, verliebt' er ſich in ſie, da wurde
er ganz traurig — und kurz, wie ich's vorausgeſagt
hatte, mit dem Herrn Vitalis iſt nicht zu ſpaßen, der
jagt' ihn wieder fort —
Hieß der junge Mann nicht Otto? fragte Dryan¬
der. — Wahrhaftig, ſo nannte er ſich, erwiederte der
Einſiedler verwundert. —
Die Nacht war indeß voͤllig hereingebrochen, als
ſich alle drei auf den Weg nach dem Kloſter machten.
Der Eremit ſchritt mit einer Fackel auf einem ſchma¬
len, halbverwachſenen Fußſteige voran, die Andern
folgten ſchweigend und erwartungsvoll. Unterwegs
fragte Manfred den Doctor, wo er denn ſeine kleine
Frau gelaſſen? — Sie iſt unter die Huſaren gegan¬
gen, ſagte Dryander trocken und mochte durchaus nicht
naͤhere Auskunft geben.
So waren ſie, nach einem muͤhſeligen Gange, zu
der Ruine gekommen, der Wiederſchein der Fackel, als
ſie durch das Thor gingen, beleuchtete den ſtillen Klo¬
ſterhof mit ſeinen alten Baͤumen und dem verfallenen
Brunnen in der Mitte. Ihr Fuͤhrer ſah ſich nach
allen Seiten um. Sollte er noch im Gebirge ſeyn?
ſagte er und oͤffnete knarrend eine eichene Thuͤr. Sie
kamen in eine kleine Halle, aber auch dort war Nie¬
mand zu finden. Nur ein Strohſack auf dem Boden,
ein Kreuz auf dem Tiſch und einige Buͤcher bezeichne¬
ten Vitalis Wohnung, durch das verfallene Fenſter
aber ſah wunderbar die Nacht herein. Als ſie an die
Oeffnung traten, flatterte verſtoͤrtes Nachtgevoͤgel ſcheu
aus den Mauerritzen empor, einzelne Mauerſtuͤcke hat¬
ten unter ihren Fuͤßen ſich abgeloͤſt, ſie lauſchten, wie
es ſchallend tiefer und immer tiefer hinabrollte. Da
trat auf einmal der Mond druͤben zwiſchen den Wol¬
ken hervor, ſie ſahen nichts als ſtille Schluͤnde unter
ſich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. — Ent¬
ſetzlich! rief Manfred, in Gedanken hinabſchauend.
Hier aber wurden ſie ploͤtzlich durch Dryanders
Geſchrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten,
da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampf¬
haft in des Einſiedlers Kutte. Sagt' ich's doch, rief
dieſer, iſt dir wohl, ſo bleibe unten, arbeite und lobe
Gott, und laß allen Vorwitz! Damit packte er den
Doctor beim Kragen und ſchleuderte ihn von dem Ab¬
grund zuruͤck und zur Zelle hinaus.
Indem ſie aber nun in's Freie wieder heraustra¬
ten, ſahen ſie auf einmal zu ihrem Erſtaunen zwei
fremde Geſtalten erſchrocken uͤber den Kloſterhof hin¬
wegſtreichen. Er iſt's, um Gotteswillen nur ſchnell!
fluͤſterte der eine, und in demſelben Augenblick waren
beide zwiſchen dem alten Gemaͤuer in der Nacht wie¬
der verſchwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr
Manfred ſichtbar zuſammen, er hatte die Fluͤchtlinge
in der ſcharfen Beleuchtung der Fackel unausgeſetzt mit
den Augen verfolgt; jetzt ſtuͤrzte er ihnen ſelbſt nach.
Aber der Einſiedler ſchritt mit ſeinen langen Beinen
aus, daß die Kutte rauſchte, und faßte ihn maͤchtig
am Arm. Seyd Ihr toll, rief er, ich weiß nicht,
wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht
im unbekannten Gebirge das Geſindel nicht fangt,
ſondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock
ſeyd! — Manfred mußte ihm nach kurzem Beſinnen
Recht geben, dann aber trieb er ploͤtzlich mit auffal¬
lender Haſt zur ungeſaͤumten Ruͤckkehr, und blieb ſtill
und nachdenklich, waͤhrend ſie vorſichtig zwiſchen den
Felſen hinabſtiegen.
Ich muß noch dieſe Stunde fort, ſuche aber bald
noch einmal den Vitalis auf, ſagte er, als ſie endlich
bei der Einſiedelei wieder ankamen, ſchuͤttelte ſeinem
Wirth herzlich die Hand und ſchwang ſich ſogleich auf
ſein Pferd. — Der Einſiedler hatte kaum die Zeit,
ihm den naͤchſten Weg zu bezeichnen, und ſah ihm
dann ganz verwundert lange nach. — Daß ich ein
Narr waͤre, in dieſer Spuknacht weiterzuziehen, meinte
Dryander, und bat ſich noch eine lange Pfeife Taback
aus, er freute ſich darauf, die ganze Nacht einmal
das Einſiedlerleben recht gemaͤchlich mit durchzumachen,
auch wollte er noch einige von den Nachtliedern des
Eremiten abſchreiben.
Manfred aber ritt eifrig den Thaͤlern zu, da
hoͤrte er nach einiger Zeit, wie im Traum, oben noch
des Einſiedlers Gloͤcklein ſchallen, die Rehe weideten
wieder zur Seite, ſeine ganze Seele fuͤhlte ſich von
der Todesſtille wie in ein Grab verſchuͤttet. Die Mit¬
ternacht aber hatte unterdeß den Himmel weit aufge¬
than und ihre wunderbaren Schleier uͤber die Erde
geworfen. So immer tiefer und freudiger ſtieg er
erathmend in die traͤumende Sommernacht hinunter,
ſchon hoͤrte er unten von fern die Stroͤme wieder rauſchen
und die Nachtigallen ſchlugen, von einem einſamen
Schloſſe klang noch eine Guitarre heruͤber und Duͤfte
wehten erquickend aus den bluͤhenden Gaͤrten herauf.
Von dem letzten Abhang des Berges rief er, wie er¬
loͤſt, hinab: Gegruͤßt, du ſchoͤnes Leben, ja ich ſpuͤr's,
ich habe dich wieder!
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Auf der Donau glitt bei dem heiterſten Wetter
ein Schiff zwiſchen den ſchoͤnen waldigen Bergen und
Burgen hinab. Von Zeit zu Zeit erſchallte ein ſo
herzhaftes Lachen von dem Schiffe, daß die Voruͤber¬
gehenden am Ufer ſtehen blieben und vor Luſt mitla¬
chen mußten, ohne zu wiſſen warum. Es waren rei¬
ſende Kaufleute, Studenten und Jaͤger, die auf dem
Verdeck im Kreiſe umherlagen, in ihrer Mitte ein klei¬
ner ſtaͤmmiger Mann mit Reiſetaſche und breitkraͤm¬
pigem Pilgerhut, der ihnen aus ſeinem eigenen Leben
die unerhoͤrteſten Abenteuer erzaͤhlte und jedesmal ganz
entruͤſtet war, wenn ſie lachten und ihm nicht glauben
wollten. Abgeſondert aber von dem luſtigen Haͤuflein
ſtand mitten im Schiff ein wunderſchoͤner Juͤngling in
19
zierlicher Jaͤgertracht an den Maſt gelehnt, er hatte
eine Zitter im Arm, die er in der Kajuͤte gefunden,
ihm zu Fuͤßen ſaß ein anderer huͤbſcher Junge. Beide
konnte man fuͤr Schuͤler halten, die zur Vacanz rei¬
ſten, und es war anmuthig zu ſehen, wie die froͤhli¬
chen Bilder, bald im kuͤhlen Schatten der Felſen,
bald von der Abendſonne hellbeſchienen, zwiſchen den
wechſelnden Landſchaften dahinflogen. Der eine am
Maſt blickte friſch unter ſeinem Reiſehut in das Gruͤn
hinaus und ſang:
Sie ſtand wohl am Fenſterbogen
Und flocht ſich traurig ihr Haar,
Der Jaͤger war fortgezogen,
Der Jaͤger ihr Liebſter war.
Und als der Fruͤhling gekommen,
Die Welt war von Bluͤten verſchneit,
Da hat ſie ein Herz ſich genommen
Und ging in die gruͤne Haid.
Sie legt das Ohr an den Raſen,
Hoͤrt ferner Hufe Klang —
Das ſind die Rehe, die graſen
Am ſchattigen Bergeshang.
Und Abends die Waͤlder rauſchen,
Von fern nur faͤllt noch ein Schuß,
Da ſteht ſie ſtille, zu lauſchen:
„Das war meines Liebſten Gruß!“
Da ſprangen vom Fels die Quellen,
Da flogen die Voͤglein in's Thal.
„Und wo ihr ihn trefft, ihr Geſellen,
Gruͤßt mir ihn tauſendmal!“
Die Geſellſchaft war laͤngſt auf den ſchoͤnen Ge¬
ſang aufmerkſam geworden; der abenteuerliche Pilger
trat vor den Saͤnger und ſang ihm ſogleich nach der¬
ſelben Melodie zu:
Das klingt wie ein Waldhorn in Traͤumen,
Was irrſt du durch das Geſtein,
Mein Rehlein, unter den Baͤumen?
Ich will dein Jaͤger ſeyn!
Der Saͤnger ſah ihn einen Augenblick von der
Seite an, und antwortete, ohne ſich lange zu beſinnen:
Sie aber lachte im Wandern:
„Du haſt einen kecken Mund,
Ich aber mein' einen andern,
Du biſt mir zu kurz und rund!“
Hier erſchallte ein allgemeines Gelaͤchter, der Saͤn¬
ger erſchrak daruͤber, warf ſchnell die Zitter fort und
ſetzte ſich zu ſeinem Geſellen. Der Runde aber war
nicht ſo leicht aus dem Felde zu ſchlagen, er machte
ſich, ſehr vergnuͤgt, ſogleich mit Witzen an die Beiden
und wollte ſie in's Bockshorn jagen. Mein zaͤrtlicher
Herr Jaͤger, ſagte er, mir ſcheint, Ihr ſeyd vielmehr
geſchoſſen, als Ihr jemals geſchoſſen habt. — Und
Ihr, ſcheint mir, habt Euch verſchoſſen, verſetzte das
muntere Jaͤgerbuͤrſchchen, denn der Witz brennt Euch
von der Pfanne. — Wird euch wenigſtens kein Haͤr¬
chen uͤber der Oberlippe verſengen! Wett' ich doch,
19*
Ihr haͤttet gar zu gern einen Schnauzbart an Eurem
Mund. — Wenn die Schnauze darunter huͤbſcher waͤr'
als Euere! — Ich bitt' Euch, ſchnauzt mich nur
nicht ſo an. Aber, Bart bei Seite, ich fuͤrcht', er
wird gleich grau ſproſſen, denn nach Eurem verliebten
Liede macht Euch ein Maͤdchen viel Noth. — Nein,
zwei, ſo naͤrriſch ſie ſind, ich hab' ſie ſchon ganz muͤde
gejagt. — Daß die Jungfern nur dabei nicht fallen!
wo jagt Ihr ſie hin? — Unter die Haube. — Was!
fuͤhrt Ihr Hauben mit Euch? — Gewiß, da guckt
her! — Hier luͤftete der Jaͤger ein Felleiſen, das hin¬
ter ihm lag. Der Pilgrim, der etwas kurzſichtig war,
fuhr neugierig mit der Naſe hinzu, und eh' er ſich's
verſah, hatte ihm das Buͤrſchchen von hinten eine
ſchneeweiße Schlafmuͤtze uͤber den Kopf geſtuͤlpt.
Nun aber war der aufrechtſtehende Zipfel der
Nachtmuͤtze nicht anders, als wie ein Blitzableiter, in
den ploͤtzlich von allen Seiten alle Witze, matte und
feurige, durcheinander einſchlugen. Daruͤber wurde
der Pilger ganz hirnſchellig, man wußte bei ſeinem
wunderlichen Weſen nicht recht, ob es ihm Ernſt oder
Spaß war mit der Wuth. Der junge Jaͤger, da er
unverhofft ſolche Wirthſchaft angerichtet, ſaß unterdeß
maͤuschenſtill und blickte nur ein paarmal ſcheu her¬
uͤber. Als er aber den Pilger ſo auf das allerluſtigſte
ſchimpfen hoͤrte und unter ſeiner Schlafhaube wohl die
Haſenohren ſah, konnt' er's doch nicht laſſen; er ſprang
von neuem auf, ſchnalzte mit ſeiner Reitgerte und
parlirte immerfort keck mit drein. Die luſtigen Voͤgel
im Schiff hetzten: ſie ſollten ſich mit einander ſchießen,
der Abend brach auch herein und vermehrte die Ver¬
wirrung, der Pilger ſchwor, er wolle noch heut mit
der Degenſpitze aus dem ſchoͤnen Jungen eine junge
Schoͤne herauskitzeln! Das Jaͤgerbuͤrſchchen aber fluͤ¬
ſterte heimlich ſeinem Geſellen zu: was fangen wir
nun an? ich bitt' dich, Haͤnschen, rath' mir! — Da
ſtieß das Schiff an's Land.
Waͤhrend die Anderen nun ihre Buͤndel, Tabacks¬
pfeifen und Feldflaſchen noch zuſammenrafften, eilte
Dryander — denn Niemand anders war der aben¬
teuerliche Pilgrim — ſchon voraus und flog in groͤ߬
ter Haſt nach dem Wirthshaus an dem breiten Gaſt¬
wirth voruͤber, der das Schiff gemaͤchlich an der Thuͤr
erwartete und ihm verwundert nachſah. In der Gaſt¬
ſtube fand er einen jungen Mann, der auf der Bruͤ¬
ſtung des offenen Fenſters ſaß und in das froͤhliche
abendliche Getuͤmmel hinausſchaute; dieſer wandte ſich
ſchnell — er erkannte ſeinen Fortunat. Ohne in
der Konfuſion ſich zu verwundern oder ihn erſt zu be¬
gruͤßen, rief ihm Dryander ſogleich entgegen: Ver¬
fluchte Teufelsgeſchichte! haſt du deine Kuchenreiter
mit? So ein Maͤdchen von Junge! Aber ich will
ihm den Bart unter der Naſe wegputzen, wenn er nur
einen haͤtt'! Da iſt nichts zu lachen dabei! Er hat
gut treffen, ich bin wie ein Bienenkorb gegen ſeine
Taille, und — Halt' ein! unterbrach ihn Fortunat,
immer heftiger lachend, du zerplatzſt ja wie eine
Bombe, was giebt's denn da auf einmal? — Aber
Dryander war zu erboſt, er ſchimpfte unaufhaltſam
uͤber die Albernheit der Ritterlichkeit, der Duelle, der
Ehre, die, wie eine Regimentsfahne, erſt von Kugeln
zerfetzt und lumpig ſeyn ſollte, um ein Anſehen zu ha¬
ben. Indem er ſich aber ſo in Vergleichungen er¬
ſchoͤpfte, kam das Getuͤmmel draußen wachſend immer
naͤher und naͤher. Dummes Zeug! ſchloß er endlich,
und entwiſchte mit ſolcher Geſchwindigkeit aus der
Thuͤr, daß er ſeinen Hut im Zimmer vergaß.
Fortunat ließ ihn laufen. Was wird es ſeyn!
dachte er, die alte Poſſe: Sorgen ohne Noth und
Noth ohne Sorgen. Die Rakete wird draußen ver¬
praſſeln, ohne eben den Erdkreis in Brand zu ſtecken.
— Unterdeß hatte die Stube ſich nach und nach laͤr¬
mend gefuͤllt, Felleiſen, Maͤntel und Tabacksbeutel
lagen auf Stuͤhlen und Tiſchen umher, die muntere
Schiffsgeſellſchaft machte ſich behaglich breit, der eine
ſchrie nach Wein, der andere nach Kaffee, alle waren
noch ganz voll von den luſtigen Haͤndeln, und da ſie
vom Wirth erfuhren, daß die beiden Jaͤger ein eigenes
Zimmer bezogen, beredeten ſie ſich, wie ſie morgen
zum Duell die Piſtolen blind laden, dem Pilger Knall¬
kugeln unter die Fuͤße legen wollten u. ſ. w. Als
aber nun allmaͤhlich aus mehreren Schluͤnden dicker
Tabacksqualm emporzuwirbeln begann, zog Fortunat,
nachdem er in dem Laͤrm vergeblich nach einem Leuch¬
ter gerufen, auch uͤber Dryander keine naͤhere Aus¬
kunft erhalten hatte, ſich ohne Licht in ſein Zimmer
zuruͤck, da er morgen mit Sonnenaufgang wieder auf¬
zubrechen gedachte.
Seine Stube ging nach dem Garten hinaus, die
Glasthuͤr ſtand noch weit offen, wie er ſie vor einigen
Stunden verlaſſen. Alle Bewohner des Hauſes hat¬
ten mit den Gaͤſten vollauf zu thun, es war ſo ſtill
draußen, daß man den Ruderſchlag einzelner Fiſcher
aus der Ferne hoͤren konnte. Ermuͤdet ſetzte er ſich
auf die Schwelle hin. Da hoͤrte er Stimmen im
Garten, in einer fremden Sprache, wie es ihm ſchien.
Bald bemerkte er beim hellen Mondſchein zwei unbe¬
kannte Geſtalten, die ſich hier wohl fuͤr unbelauſcht
halten mochten. Der Eine, wie ein Jaͤger gekleidet,
ſaß mit untergeſchlagenen Beinen auf dem Raſen, er
hatte den Hut abgenommen und in der Kuͤhle ſein
Waͤmſchen geluͤftet, ſein wunderſchoͤnes Haar floß in
reichen Locken herab; der Mond glaͤnzte blendend auf
ſeiner entbloͤßten Schulter. Der Andere kniete hinter
ihm und ſchien die Locken zu ordnen, waͤhrend ſie leiſe
und lebhaft mit einander ſchwatzten. Ein Brunnen,
den Fortunat vor dem Gebuͤſch nicht ſehen konnte,
plauderte um die Wette mit ihnen und, je nachdem
die Luft ſich bewegte, klang bald das Plaͤtſchern, bald
die liebliche Stimme wie ein Gloͤcklein aus der ſtillen
Mondnacht heruͤber. Die Nacht aber hatte unterdeß
die Gegend draußen wunderbar verwandelt, zwiſchen
den alten Baͤumen hindurch ſah man weit in die Thaͤ¬
ler hinaus, da lag es verworren im Mondſchein, wie
glaͤnzende Kuppeln, Truͤmmer und praͤchtige Gaͤrten,
in dem nahen Staͤdtchen unten ſang ein Student noch
vor ſeiner Liebſten Thuͤr, dazwiſchen immerfort wieder
das Rauſchen des Brunnen — Fortunat ſaß wie im
Traum, er dachte an Italien, an Rom, und unwill¬
kuͤrlich in Gedanken rief er — Fiametta!
Bei dem Klange reckten die beiden, wie Rehe,
wenn das Laub raſchelt, ploͤtzlich die Koͤpfchen in die
Hoͤh, ſprangen ſcheu auf und flogen dem Hauſe zu.
Fortunat trat ihnen erſtaunt entgegen, da ſtutzte das
Jaͤgerbuͤrſchchen ploͤtzlich und ſah ihn einen Augenblick
durchdringend an, dann aber warf es ſich auf einmal
athemlos an ſeinen Hals, ihn feſt umklammernd und
ſchluchzend, er fuͤhlte des Juͤnglings Thraͤnen unauf¬
haltſam uͤber ſeine Wangen rinnen; ſeine Locken roll¬
ten rings um ihn her, es war, als wuͤrde er in ſeinen
Armen ganz und gar vergehen. Nun aber wußt' er's
wohl, wen er im Arme hielt. Meine liebe, liebe Fia¬
metta! rief er aus tiefſtem Herzensgrunde. Da ließ
das ſchoͤne verkleidete Maͤdchen los, ſtellte ſich, ihre
Locken aus dem Geſicht ſchuͤttelnd, dicht vor ihn und
blickte ihn aus den Thraͤnen ſo froͤhlich an, daß es
ihm recht durch die Seele ging. Darauf ſchnell wie¬
der beſonnen, zog ſie ihn ſchweigend mit ſich in ſein
Zimmer hinein. Er ſah im Voruͤberſchweifen dem
andern Geſellen in's Geſicht und erkannte ſeines Lieb¬
chens Kammerjungfer, die uͤber und uͤber roth wurde.
In der Stube aber ſteckte Fiametta ihr Haar wieder auf,
waͤhrend ſie die Kammerjungfer mit einem heimlichen
Auftrage fortſchickte. Dann trieb ſie Fortunaten, in
ſichtbarer Furcht, geheimnißvoll und ohne ihm Rede
und Antwort zu ſtehen, zur unverzuͤglichen Abreiſe,
half ihm unter tauſend Spaͤßen mitten in ihrer Angſt
und Haſt, ſeine Sachen raſch in ein Buͤndel ſchnuͤ¬
ren und draͤngte ihn fort, fort, aus dem Hauſe, aus
dem Garten und immer weiter. Draußen auf einem
abgelegenen Platz fanden ſie Fortunats Diener mit
ſeinen beiden geſattelten Pferden, die Kammerjungfer
hatte ihn hergefuͤhrt. Sie ſollte mit dem Diener auf
dem Schiffe weiterreiſen, Fiametta ſelbſt aber ſchwang
ſich ſchnell auf das eine Pferd. Fortunat wußte nicht
wie ihm geſchah, und ehe er ſich faſſen konnte, waren
Kammerjungfer und Wirthshaus ſchon hinter ihnen
verſchwunden.
Als ſie im Freien waren, fragte Fiametta mit
tief geſenkten Augen kaum hoͤrbar: was macht denn
Annidi? Fortunat mußte ſich faſt auf den Namen be¬
ſinnen. Annidi? — ſagte er, ſie hat in Rom den
Studenten Otto geheirathet. Aber wie kommſt du
auf die? — Fiametta ſah ihn groß an: iſt ſie denn
nicht deine Liebſte geweſen? Mein Gott, erwiederte
Fortunat nach einigem Nachdenken, ſo warſt du es
wohl, die an jenem Abend im ſchwarzen Maͤntelchen
an mir voruͤberſtreifte, als mich Otto zu ſeinem Maͤd¬
chen fuͤhrte, das ich damals noch gar nicht kannte. —
Ja freilich, entgegnete Fiametta lebhaft, und ich ſpielte
dann einmal des Abends die Annidi in unſerem Gar¬
ten, die Kammerjungfer mußte deine Kleider anziehen
und ſo uͤber den Gartenzaun zu mir kommen, da kamſt
du auf einmal ſelber, wir hatten dich nicht ſo fruͤh
zuruͤckerwartet. — O vernagelter Kopf, der ich war!
rief Fortunat, ſich vor die Stirn ſchlagend aus, haͤtt'
ich das damals gewußt! — Sie lachte ſeelenvergnuͤgt
und ihre Augen glaͤnzten von Thraͤnen.
Waͤhrenddeß ritten ſie eilig an dem Staͤdtchen
voruͤber, zwiſchen den ſchlafenden Gaͤrten und Land¬
haͤuſern immer tiefer in die weite, ſternhelle Nacht
hinein. Die Nachtigallen ſchlugen von den waldigen
Bergen, uͤber das ſtille Feld hoͤrte man die Hunde
von ferne bellen, Fiametta ſah ſich oͤfters aͤngſtlich
um. Sieh, ſagte Fortunat, mir iſt wie einem Vogel
in der Luft, ich folge dir uͤber die ganze Erde! Jetzt
aber ſage mir auch, warum blickſt du ſo ſcheu zuruͤck?
wie kamſt du vorhin auf das Schiff? was in aller
Welt haſt du vor? — Ach das iſt eine lange, traurige
Geſchichte, entgegnete Fiametta, die muß ich von An¬
fang anfangen. — Sie ritt dicht neben ihm und,
ſelbſt wie in Traͤumen in der traͤumeriſchen Nacht,
halb an ihn gelehnt, begann ſie folgendermaßen zu er¬
zaͤhlen:
Als du in Rom auf einmal verſchwunden warſt
und nun der Winter kam, und es regnete Tag und
Nacht, und der Vater ſaß Abends in dem großen
Saale am Kaminfeuer und ſprach kein Wort und alles
war ſo ſtill im ganzen Hauſe, daß man die Thurm¬
uhr gehen hoͤrte, da wurde ich ploͤtzlich krank. Da
traͤumte mir, ich waͤre auf einer Anhoͤhe uͤber Rom
im Abendglanze eingeſchlafen. Als ich aber erwachte,
war es ſchon finſtere Nacht, mich fror und ich kannte
die Gegend nicht wieder. Da kam durch das Dunkel
ein Jaͤger vom Berge herab. Ach, fuͤhr mich zur
Stadt hinunter, rief ich, horch, da klingt in der Ferne
noch die Glocke vom Kapitol. — Das iſt die Thurm¬
uhr, die ſchlaͤgt auf meinem Schloß im Walde, ſagte
der Jaͤger. — Kennſt du denn nicht das Schloß des
Marcheſe A.? fragte ich wieder — Wo Fiametta
wohnt? ach das iſt lange her, ſagte der Jaͤger, dann
wandt' er ſich ploͤtzlich — du ſelbſt warſt der Jaͤger,
aber du kannteſt mich nicht mehr. — Nun ſtiegſt du
weiter den Berg hinab, ich rief voll Angſt und konnte
dir ſo ſchnell nicht folgen. Da ging gegenuͤber der
Mond auf und auf einmal, ſo weit ich ſehen konnte, lag
die ganze fremde Gegend tief verſchneit und flimmerte
im hellen Mondſchein, als ſollt' ich ſterben vor Wehmuth.
Als ich mich von der Krankheit wieder erholte,
ſtand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das
Fenſter ſtand offen, die Baͤume draußen waren ſchon
wieder gruͤn und die Voͤgel ſangen. Steh' nur auf,
ſagte mein Vater, wir reiſen nach Deutſchland! —
Er hatte ſein Vermoͤgen verloren, das Haus, unſer
Garten ſollten verkauft werden, er mochte das nicht
mit anſehen. So fuhren wir in einer ſchoͤnen Fruͤh¬
lingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauſchten auf
den ſtillen Gaſſen, in unſerem Garten ſchlugen die
Nachtigallen, als wuͤßten ſie's auch, und als die Pa¬
laͤſte und Kuppeln allmaͤhlich hinter uns im Mond¬
glanz verſanken, ſah ich meinen Vater zum erſtenmal
weinen.
Wo iſt der Vater jetzt? unterbrach ſie Fortunat
hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen ſchweigend vor
ſich hin, er merkte, daß ſie ſelber weinte. Dann ſah
ſie ſich ploͤtzlich wieder nach allen Seiten um, und
fuhr gefaßter fort:
Mein armer Vater fand's in Deutſchland nicht
ſo, wie er ſich's gedacht. Die maͤchtigen Verwandten,
auf die er gerechnet hatte, weil ſie in der Jugend bruͤ¬
derlich zuſammen gelebt, waren ſeitdem alt und anders
geworden, die meiſten lange todt, ihre Kinder, die ihn
nicht mehr kannten, ſahen ihn verwundert und neugie¬
rig an, er konnte ſich in der verwandelten Welt nicht
zurechtfinden und ſtarb vor Gram. — Das war eine
furchtbare Nacht, ich erinnere mich nur der ſchwarz¬
verhangenen Pferde und Geſtalten und des Fackel¬
ſcheins zwiſchen den dunklen Baͤumen — und als die
Glockenklaͤnge allmaͤhlich verhallten, ſaß ich allein mit
einer alten ſchwarzgekleideten Dame im Wagen, wir
fuhren raſch durch unbekannte Gegenden, ſie ſprach
immerfort franzoͤſiſch zu mir, aber ich hoͤrte nur das
dumpfe Raſſeln des Wagens in der Nacht, mir war's
als fuͤhren wir ſelber in's Grab. Die Dame aber
war eine reiche kinderloſe Tante, die mich nun zu ſich
genommen hatte. Sie wohnte auf einem großen
Schloß, das einſam am Abhange des Gebirges mitten
in einem praͤchtigen Parke lag, der wimmelte von ſelt¬
ſamen Tauben und Pfauen, in dem klaren Baſſin vor
dem Schloß ſpielten bunte auslaͤndiſche Fiſche wie Voͤ¬
gel in der Luft, weiterhin in einem zierlich vergitterten
Waͤldchen weidete ein ſchoͤner Goldfaſan. Die Tante
hatte ihre Freude daran, mich recht auszuputzen, ob¬
gleich wir nur ſelten Beſuch hatten, da ging ich denn
in praͤchtigen Kleidern, und wenn ich manchmal ſo
allein im Garten ſtand, kam ich mir ſelber in der
Einſamkeit wie ein verzauberter Goldfaſan vor. An
den Sommernachmittagen aber pflegte die Tante mit
mir im Garten auf einem ſchattigen Huͤgel zu ſitzen,
von dem man weit hinausſehen konnte, wie der Strom
und die Straßen glaͤnzend durch's Land gingen, Reiter
und Wagen zogen da wie in einem Schattenſpiel raſch
vorbei, manchmal kam der Klang eines Poſthorns aus
der Ferne heruͤber. Dort geht es nach Italien hin¬
aus, ſagte die Tante — mir war zum Sterben bange.
Eines Abends ſaßen wir auch dort, ich zerpfluͤckte
in Gedanken eine Sternblume: ob du kommſt oder
nicht kommſt? Er kommt! rief ich auf einmal er¬
ſchrocken aus, warf die Blume fort und flog vom Huͤ¬
gel, am Schloß voruͤber, immerfort in's Thal hinab.
Denn zwei Reiter kamen unten vom Wald, der eine
im gruͤnen Reiſerock, gerade wie du! Als ich athem¬
los unten anlange, ſtutzt ſein Pferd — es war ein
ganz fremdes Geſicht. Er mocht' es wohl errathen,
wer ich bin, er ſchwang ſich ſchnell vom Pferde, und,
indem er die Zuͤgel ſeinem Bedienten zuwarf, reichte er
mir hoͤflich den Arm und fuͤhrte mich wie eine Gefan¬
gene zuruͤck. Ich glaubte, die Tante wuͤrde ſchmaͤlen,
aber ſie beſorgte nur, daß mir die Erhitzung nicht
ſchade, ſtrich mir die Locken aus der Stirn und nannte
mich ein artiges Kind, daß ich ihren Vetter, den ſie
viele Jahre nicht geſehen, ſo freundlich empfangen.
Sie nannte ihn Baron Manfred.
Manfred? ſagte Fortunat erſtaunt, den Namen
habe ich oft von Lothario gehoͤrt. Doch den kennſt
du ja nicht. — Fiametta ſchuͤttelte das Koͤpfchen und
fuhr weiter fort:
Bisher hatte ich faſt wie im Traume gelebt, mit
dem Fremden aber kam auf einmal Haſt und Unruhe
in unſere laͤndliche Stille. Nichts war ihm recht in
unſerer Wirthſchaft, alles wollte er geſcheuter einrich¬
ten, und ſah mich dabei oft ſo ſonderbar an, daß ich
erſchrak, denn er ſchaute ſo klug drein, als koͤnnte er
meine Gedanken leſen. Vor Verdruß daruͤber hatte
ich mich eines Tages in der ſchwuͤlen Mittagszeit mit¬
ten in's tiefſte Gras gelegt, alle Voͤgel ſchwiegen, nur
die Bienen ſummten, einzelne Wolken flogen uͤber die
ſtille Gegend fort, ich dachte an die alten Zeiten, an
dich, an unſeren Garten in Rom. Da kam auf ein¬
mal die Tante mit ihrem Vetter im Buchengang her¬
unter. Ich hob mich im Graſe halb empor, ſie be¬
merkten mich nicht. Ich habe auch ſchon daran ge¬
dacht, ſagte die Tante, ſo kann es mit Fiametta nicht
laͤnger bleiben, ſie vergeht mir hier in der Einſamkeit
wie eine Blume. — Abgeſehen ſelbſt von allem, was
ich Ihnen eben erzaͤhlt habe, erwiederte der Vetter,
ſo wuͤßte ich in der That keine beſſere Partie fuͤr das
Fraͤulein, als den Baron, jung, reich, unabhaͤngig. —
Und Sie uͤbernehmen es alſo, fragte die Tante wie¬
der, ihn zu uns zu bringen? —
Ich konnte ſeine Antwort nicht mehr verſtehen.
Aber, wie wenn der Blitz neben mir eingeſchlagen
haͤtte, ſprang ich ſchnell auf und flog zu meiner ita¬
liaͤniſchen Kammerjungfer und erzaͤhlte ihr alles. Da
war nicht lange Zeit zum Beſinnen, ihr war hier ſo
bang auf dem Schloſſe wie mir, ſie wollte unter dem
Vorwande einer Maskerade Jaͤgerkleider fuͤr uns beide
herbeiſchaffen, und wir beſchloſſen, zu einer jungen,
froͤhlichen Tante in Wien zu entfliehen, die ich noch
aus Rom kannte, und die mich vor der dummen Par¬
tie beſchuͤtzen ſollte.
Seitdem ſahen mich die Tante und der Vetter
noch haͤufiger geheimnißvoll und ſchmunzelnd an. Be¬
ſonders aber ganz abſcheulich war mir nun der kluge
Vetter, wenn er mit ſeinen ſpitzigen Blicken, wie eine
Spinne mit ihren langen Beinen, nach mir zielte.
Ja, ſpinne und laure du nur! dachte ich. Und als er
nun wirklich abreiſte, um den Braͤutigam zu holen, da
fuhren wir, waͤhrend alles ſchon ſchlief, in unſere Jaͤ¬
gerkleider und ſtiegen in der ſchoͤnſten Sommernacht
mit klopfenden Herzen ſacht die Treppen hinab durch's
leere Schloß, den ſtillen Garten entlang, bis wir end¬
lich im freien Felde tief aufathmeten. Da ſah's drau¬
ßen ſo friſch und waldkuͤhl aus! — Noch dieſelbe
Nacht aber hatten wir uns im Gebirge verirrt. Fra¬
gen mochten wir nicht, ſo kamen wir zuletzt gar an
ein verfallenes Schloß. Mich ſchauerte und fror, die
Jungfer weinte, da that ſich ploͤtzlich eine Thuͤre auf,
drei Maͤnner mit Windlichtern traten heraus — der
eine war der Vetter, verwildert und bleich im Wieder¬
ſchein der Fackeln — ich glaube, er geht um bei
Nacht, was hatt' er ſonſt zu thun da droben? Aber
erkannt hat er mich und ſetzt mir ſicherlich nach. Wie
wir da heruntergekommen, weiß ich nicht mehr, aber
als der Tag endlich anbrach, ſahen wir die Donau im
Thale funkeln, ein Schiff wollt' eben abgehn, wir ſtie¬
gen mit ein, und ſo fuhr ich in Luſt und Angſt und
bekam Haͤndel und ſollte mich duelliren und — Und
ich, fiel Fortunat ein, habe den verflogenen Goldfaſan
wieder eingefangen und laß' ihn nun nimmermehr los!
Fortunat war voller Freude und doch verwirrt, er
wußte gar nicht, was er mit dem lieblichen Kinde nun
anfangen ſollte, das ſich ſo ganz in ſeine Arme ge¬
worfen, auch war die Angſt vor dem Erwiſchen nicht
gering.
Unterdeſſen flogen ſchon einzelne Streiflichter durch
die ſtille Luft. Wie biſt du ſchoͤn geworden! ſagte
Fortunat, ſie faſt erſtaunt betrachtend. Da wurde ſie
uͤber und uͤber roth, jetzt dachte ſie erſt daran, daß ſie
ſo ganz allein mit ihm war. Aus den fernen Doͤr¬
fern aber hoͤrte man ſchon einzelne Stimmen, uͤber die
wogenden Kornfelder ſchoſſen ihnen die erſten Sonnen¬
ſtrahlen blitzend entgegen — ſo ritten ſie froͤhlich in
den praͤchtigen Morgen hinein.
20
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Als Otto — von dem ſtrengen Vitalis verſtoßen
— ſo einſam von dem Gebirge der Einſiedler hinab¬
ſtieg, weinte er ſich recht von Herzensgrunde aus.
Dann wurde ihm erſt leichter. Er fuͤhlte wieder einen
rechten Trieb und Muth, nach dem Hoͤchſten in der
Welt zu ſtreben, er wollte endlich ehrlich Frieden ſtif¬
ten in ſeiner Seele, und ſo neugeboren zu dem Ein¬
ſiedler zuruͤckkehren, ja es kam ihm in dieſen gluͤcklichen
Stunden gering vor, ſelbſt ſein Dichten zu laſſen,
wenn es ihn wieder in Eitelkeit verſtricken wollte. Die
ſtille Nacht ſah ihn dabei von den Bergen, wie eine
milde Mutter, faſt wehmuͤthig an. — Indeſſen verlo¬
ſchen nach und nach die Sterne am Himmel, und wie
nun die Morgenfuͤhle uͤber die Felder kam, und un¬
ten der Strom und von druͤben die Spiegelfenſter ei¬
nes Schloſſes luſtig aufblitzten: da erſchien dem Ver¬
weinten die Erde wieder ſo jung und friſch wie nach
einem Gewitterregen, in den troͤpfelnden Baͤumen uͤber
ihm dehnten die Voͤgel erwachend die Fluͤgel und ſa¬
hen ihn neugierig an, als wollten ſie fragen: Geſell,
wo biſt du ſo lange geweſen? — Er wanderte froͤh¬
lich den ganzen Tag, und als er endlich auf dem letz¬
ten Berge aus dem Walde trat, erblickte er auf ein¬
mal in der Ferne mitten zwiſchen Gaͤrten die alte
braune Stadt, wie eine von Epheu uͤbergruͤnte Ruine.
Ermuͤdet ſtreckte er ſich unter den Baͤumen hin, er ſah
Handwerksburſche, Reiter und ſchlanke Bauermaͤdchen
heiter durch's Gruͤn auf dem Gebirgspfade hinabziehn,
die Voͤgel ſangen im Walde, einzelne Wolkenſchatten
flogen wechſelnd uͤber die glaͤnzende Landſchaft — ſo
ſchlummerte er ein, und traͤumte von der ſchoͤnen, wald¬
kuͤhlen Jugendzeit.
Er mußte lange geſchlafen haben, denn als er er¬
ſchrocken wieder um ſich blickte, ging die Sonne ſchon
unter und vergoldete die Giebel und Thuͤrme der Stadt.
Voll Erſtaunen ſah er ſich ganz von Blumen bedeckt,
als haͤtt' es Roſen geregnet. Da hoͤrte er eine ſchoͤne
Stimme luſtig durch die Abendluft klingen. Ein ele¬
ganter Reiſewagen ſtand tiefer am Saume des Wal¬
des, zwei junge Damen, die, wie es ſchien, den ſteilen
Berg zu Fuß herabgekommen, ſtiegen ſo eben wieder
ein. Die eine wandte ſich noch einmal und blickte
nach ihm heruͤber, er mußte verwirrt und geblendet
niederſehen, ſo ſchoͤn war ſie. Nach der Berg-Vor¬
ſtadt! rief ſie dem Poſtillon zu — da flog der Wagen
in den duftigen Abend hinein, er hoͤrte das Poſthorn
noch lange aus der Ferne ſchallen.
In der Stadt fand er ſeine Wohnung bereit: ein
kleines, freundliches Stuͤbchen im dritten Stock, alte
20*
Kupferſtiche an den Waͤnden, der Boden neu mit Sand
beſtreut, ein Glas mit friſchen Blumen unter dem
Spiegel. Eine alte Frau empfing ihn ſehr geſpraͤchig
und haͤndigte ihm ein Briefchen ein. Sein Jugend¬
freund, der hier alles fuͤr ihn beſorgt hatte, meldete
ihm, daß ihn leider unvorhergeſehene Geſchaͤfte uͤber
Land gefuͤhrt, in wenigen Wochen hoffte er wieder zu¬
ruͤck zu ſein — ſo befand ſich denn Otto unerwartet
ganz allein in der fremden Stadt. Er konnte ſich,
nach der langen Gebirgs-Einſamkeit, gar nicht wieder
zurechtfinden, alles kam ihm neu und wunderbar vor,
der heitere Reiſetag hallte noch in ſeiner Seele nach,
und als er das Fenſter oͤffnete, daͤmmerte die unbe¬
kannte Gegend ſo ſeltſam uͤber die Daͤcher herauf, es
war ihm, als hoͤrte er noch immer das Poſthorn fern
aus der Fruͤhlingsnacht heruͤbertoͤnen. Er konnte nicht
widerſtehen, er mußte noch einen Streifzug durch die
Stadt machen.
Unten erkundigte er ſich nach der Berg-Vorſtadt,
er hatte ſich geſchaͤmt die Alte darnach zu fragen.
Man wies ihn nach einer entfernten Anhoͤhe, die mit
einzelnen Villen und weitlaͤuftigen Gaͤrten geheimni߬
voll in die Straße hereinſah. Das naͤchtliche Wan¬
dern in einer unbekannten großen Stadt hat etwas
Maͤhrchenhaftes, die Haͤuſer und Thuͤrme ſtehn wie im
Traum im Mondſchein, auf den Straßen ſchwaͤrmt
es noch laut und behaglich in der Maskenfreiheit der
lauen Nacht, dann ploͤtzlich alles wieder ſtill im engen
dunklen Gaͤßchen, nur die Dachluken klappen im Wind,
eine Nachtigall ſchlaͤgt wehmuͤthig am Fenſter. —
Otto ſchlenderte in Gedanken immer fort, alte Reiſe¬
lieder fielen ihm ein, er ſang leiſe vor ſich hin, er wußte
ſelbſt nicht, was er draußen wollte. Endlich hatte er
die Hoͤhe erreicht, je weiter er kam, je ſtiller und laͤnd¬
licher wurde die Straße, ſeitwaͤrts ſchienen ſich praͤch¬
tige Gaͤrten hinabzuſenken. Oft blieb er ſtehn und
ſah zuruͤck uͤber die Stadt hin, zwiſchen den vielen
verworrenen Lichtern ging das dumpfe Raſſeln der
Wagen wie ein ferner Sturm, zuweilen brach ein
Schwarm verſtoͤrter Dohlen aus einem alten Kirchen¬
dach und durchkreiſte ſchreiend die Nacht, eine Spiel¬
uhr vom Thurm ſang ihr frommes Lied in der Ein¬
ſamkeit der Luͤfte. Von der andern Seite aber war
die Gaſſe ſchon offen, ein friſcher Hauch wehte her¬
uͤber, er hoͤrte eine Muͤhle gehn, die er nicht ſah, dann
Hundegebell von fern und da und dort noch Stimmen
im dunklen Feld.
Auf einmal erklang eine Guitarre und einzelne
Toͤne eines wunderſchoͤnen Geſangs, traͤumeriſch
vom Winde verweht, wie wenn die Nachtluft durch
die Saiten einer Harfe geht. Er eilte zu dem Gar¬
ten, woher die Toͤne kamen, das Pfoͤrtchen war nur
angelehnt, er trat hinein. Da ſtutzte er, denn es war
als floͤge der Schatten einer fliehenden Geſtalt heim¬
lich zwiſchen den Gebuͤſchen hin, ſonſt war alles ſtill.
Neugierig ging er weiter in die dunklen Schatten der
alten Baͤume hinein, der Mondſchein glaͤnzte ſeitwaͤrts
uͤber die Raſenplaͤtze. Da bemerkte er einen Weiher,
von Trauerweiden umhangen, eine weiße Statue ſchim¬
merte durch die Zweige heruͤber: eine Nymphe, die
halbabgewandt am Weiher auf ihrem Arme ruhte, den
andern verſchlafen uͤber das Haupt gelehnt. — Er
wollte eben naͤher hinzutreten, als ploͤtzlich tiefer aus
dem Garten ein heller Lichtſchimmer durch die Baͤume
funkelte und eben ſo ſchnell wieder verſchwand. Er¬
ſchrocken, zoͤgernd, wandte er ſich zuruͤck, er ſuchte das
Pfoͤrtchen wieder, aber die Streiflichter des Mondes
und die ſchwankenden Schatten der Baͤume dazwiſchen
verwirrten ihn ganz, und eh' er ſich beſinnen konnte,
ſtand er vor den Marmorſtufen eines hohen, alterthuͤm¬
lichen Palaſtes. In demſelben Augenblick ſchuͤttelt ſich
der Fliederſtrauch uͤber ihm, daß er ganz von Thau
und Bluͤten verſchneit wird, er hoͤrt ein heimliches Ki¬
chern hinter ſich, eine ſchlanke, weiße Maͤdchengeſtalt
guckt verſtohlen durch die Zweige und faßt ihn ſchnell
an der Hand. Siehſt du, das iſt der Willkomm, weil
du mich uͤberraſcht haſt, fluͤſtert ſie mit der lieblichſten
Stimme, das iſt ja praͤchtig, daß du ſchon heute
kommſt. So fuͤhrt ſie, vorangehend, den Erſtaunten
uͤber die Stufen durch eine dunkle Halle, ploͤtzlich tre¬
ten ſie in ein erleuchtetes Gemach, ſie wendet ſich raſch
herum — er erkennt mit freudigem Schrecken die rei¬
ſende Dame von heut Abend im Walde.
Sie ſah ihn erſtaunt an, indem ſie ſeine Hand
losließ. Dann bemerkte ſie eine ihrer Roſen, die er
noch im Knopfloch trug, eine fluͤchtige Roͤthe flog uͤber
ihr ſchoͤnes Geſicht. Aber, ſagte ſie kopfſchuͤttelnd, wie
haben Sie mich denn ſo bald aufgefunden? Er er¬
zaͤhlte nun ſein Erwachen auf dem Berge, ſeine Un¬
ruhe darauf, und den Streifzug durch die ſchoͤne Nacht.
Aber ſie war ganz zerſtreut, ſie ſchien auf etwas zu
ſinnen. Dann ſprang ſie ſchnell zur Thuͤr hinaus, er
hoͤrte ſie draußen lebhaft mit Jemand ſprechen.
In dieſer ſeltſamen Lage ſchaute er betroffen im
Zimmer umher. Eine Alabaſter-Lampe beleuchtete
wunderbar das koſtbarſte Geraͤth, auf dem eine Gui¬
tarre und aufgeſchlagene Notenhefte unordentlich her¬
umlagen. Hohe, auslaͤndiſche Gewaͤchſe rankten ſich
ſchlangenartig an den Waͤnden empor und hingen mit
ihren gluͤhenden Bluͤthen in die traͤumeriſche Daͤmme¬
rung herein, als ſpiegelten ſie ſich in dem reichen Tep¬
pich am Boden.
Armer Junge! du wirſt recht muͤde ſein, ſagte
jetzt die Unbekannte, indem ſie froͤhlich wieder herein¬
trat und ihn auf den Divan niederzog. Sie ſetzte ſich
dicht neben ihn, ein Bein uͤber das andere geſchlagen,
er mußte ihr erzaͤhlen, woher er gekommen, wer er ſei,
und was er hier treibe. — Alſo ſo ſieht ein Dichter
aus! — rief ſie erſtaunt, als ſie ſeinen Namen hoͤrte,
dabei wandte ſie ihn an beiden Achſeln zu ſich herum
und ſah ihm mit den großen ſchoͤnen Augen gerade
in's Geſicht, er mußte die ſeinen erroͤthend niederſchla¬
gen. Come è bello! ſagte ſie kaum hoͤrbar fuͤr ſich.
Darauf nahm ſie eine Pfirſich aus der Kriſtallſchale
vor ihnen, biß mit ihren weißen Zaͤhnchen herzhaft hin¬
ein und reichte ſie ihm hin. Aber Otto war ganz ver¬
wirrt, aus ihren Augen leuchtete zuweilen eine irre,
wilde Flamme, die ihn ſchreckte, in dieſer ſeltſamen
Verſtimmung konnte er durchaus den rechten Ton nicht
finden und ſaß bloͤde und unbeholfen neben der vor¬
nehmen ſchoͤnen Frau. Da lachte ſie ploͤtzlich muth¬
willig auf, er wußte nicht woruͤber, dann ſprang ſie
auf und brachte aus einem verborgenen Wandſchrank
ein zierlich gebundenes Buch hervor. Kennſt du das?
fragte ſie, ihm den funkelnden Goldſchnitt vorhaltend;
es waren ſeine Gedichte. — Ich kenn' ſie noch nicht,
ſagte ſie, lies mir was vor daraus.
Sie ſetzten ſich wieder, er blaͤtterte unentſchloſſen
und begann endlich eines ſeiner liebſten Gedichte von
der ſchoͤnen Meerfey Meluſina. — Und daß du's nur
weißt, unterbrach ihn die Dame, ich bin eigentlich ſelbſt
die Meluſina; du darfſt nur in den Naͤchten vom Mon¬
tag und Donnerſtag in den Garten kommen. Frag'
nicht nach mir, und plaudre nicht davon; wenn du mich
ein einzigesmal bei Tage erblickſt, ſehn wir uns nie¬
mals mehr wieder. — Otto ſah ſie verwundert an,
dann las er wieder weiter. Es war ein langer Ro¬
manzencyclus, er hatte ihn in der gluͤcklichſten Jugend¬
zeit gedichtet und ſeitdem nicht wieder geſehn; jetzt nach
ſo langer Zeit, in der maͤhrchenhaften Umgebung, er¬
griff es ihn ſelber wunderbar, er las aus ganzer Seele
fort und immer fort. Zuletzt beim Umſchlagen des
Blattes blickte er einmal fluͤchtig zur Seite — die
ſchoͤne Frau lag feſt eingeſchlafen neben ihm. — Er
ſchwieg, ihn ſchauerte heimlich, denn die ſchlanke Ge¬
ſtalt in dem weißen Nachtgewand ruhte halbabgewen¬
det, den einen Arm nachlaͤſſig uͤber ihr Haupt geſchla¬
gen, gerade wie die Statue vorhin am Weiher. In
dieſer ploͤtzlichen Stille oͤffnete ſich auf einmal leiſe die
Thuͤr, ein ſchwarzgelocktes Maͤdchenkoͤpfchen guckte her¬
ein, uͤberblickte ſpoͤttiſch den Schauplatz dieſer tiefen
Ruhe und winkte ihm dann, ihr zu folgen. Still, ſtill
— ſagte ſie, als er heraustrat, ihn an der Hand
ſchnell fortfuͤhrend — jetzt muͤſſen Sie ſacht fort, der
Mond iſt eben untergegangen vor Langerweile. Draußen
ſang ſie halb fuͤr ſich:
Ein Fink ſaß ſchlank auf gruͤnem Reis:
Pink, Pink!
Der Jaͤger da mit rechtem Fleiß
Zu zielen an und meſſen fing
Und zielt' und dacht': jetzt biſt du mein —
Fort war das luſt'ge Voͤgelein:
Pink, pink! mußt flinker ſeyn!
Was ſingſt du da ſo luſtig? fragte Otto. — Ich pink'
nur ein wenig Feuer an im Dunkeln, entgegnete das
Maͤdchen, wollen Sie ſich vielleicht ein Pfeifchen dran
anſtecken und noch etwas leſen von den zwoͤlf ſchlafen¬
den Jungfrauen? — Sie plauderte muthwillig noch
vielerlei in den Wind hinein — ſo gingen ſie raſch
durch den ſtillen Garten. Otto blickte im Vorbeigehn
noch einmal nach dem Weiher hinuͤber, dort ruhte die
Statue wieder auf ihrem Marmorpfuͤhl, ein einge¬
ſchlummerter Schwan fuhr bei ihren Tritten mit dem
Kopf aus den Fluͤgeldecken hervor, ſah ſie ſchlaftrunken
an und traͤumte dann weiter. — Gute Nacht, Herr
Morpheus! ſagte das Maͤdchen an der Gartenthuͤr
mit einem ſchnippiſchen Knix und ſchob ihn lachend
hinaus.
Er hoͤrte das Pfoͤrtchen hinter ſich zuklappen, es
war ihm wunderbar, ſo ploͤtzlich allein unter dem ſtil¬
len weiten Sternenhimmel. In der ganzen Gegend
regte ſich kein Laut mehr, nur die Uhren ſchlugen fern
in der Stadt, es war lange Mitternacht voruͤber.
Seit dieſer Zeit war es um ihn geſchehn, die
ſchoͤnen Mondnaͤchte beleuchteten noch oft ſeinen ein¬
ſamen Gang zu dem ſtillen Zaubergarten. Das ge¬
heimnißvolle Grauen in der Luſt verlockte ihn nur noch
mehr, er mochte nicht nach dem Namen der ſchoͤnen
Frau fragen, ja er huͤtete ſich, ihr Revier bei Tage
zu betreten — war ſie ja doch ſein mit Leib und
Seele! Aber in ſeiner ſtillen Stube dann, nach ſolchen
durchſchwelgten Naͤchten, uͤberkam es ihn oft wie Alp¬
hornsklaͤnge den Schweizer in der Fremde. Da be¬
fiel ihn eine tiefe Angſt, er dichtete haſtig oft ganze
Naͤchte hindurch, er wollte mit Poeſie ſich ſelber uͤber¬
fluͤgeln — als waͤre das Talent ein Ding fuͤr ſich
ohne den ganzen Menſchen! — So, zwiſchen halber
Luſt und Reue, verſank er nach und nach immer tie¬
fer in Melancholie, Verzagen an ſich ſelbſt, in Lieder¬
lichkeit und Armuth, bis zuletzt ein zehrendes Fieber
die muͤde Seele in ſeinen Traummantel einhuͤllte: da
hoͤrte er in ſeinen Phantaſien das Poſthorn wieder
durch die Fruͤhlingsnacht, dazwiſchen Waldesrauſchen
und das Gloͤcklein des Einſiedlers aus der Ferne. —
Er hatte mehrere Wochen krank gelegen. Als er
endlich wieder zu ſich kam, konnte er ſich gar nicht be¬
ſinnen, wo er war. Die Sonne ſchien uͤber die Daͤ¬
cher freundlich durch das kleine Zimmer, eine Katze
nickte auf dem Fenſterbrett, nebenan hoͤrte er einen
Kanarienvogel ſingen, dann wieder eine Wanduhr da¬
zwiſchen picken, ſeine alte Wirthin ſaß auf einem Lehn¬
ſtuhl neben ihm am Bett und war uͤber ihrem Strick¬
zeug eingeſchlummert. Er ſah lange verwirrt in die¬
ſer Stille umher, eh' er ſie weckte. Nun fuhr ſie freu¬
dig empor, und erzaͤhlte ihm, wie ſie ſchon fuͤr ſeine
Seele gebetet, wie er irre geredet im Fieber, daß ſein
Freund noch immer nicht zuruͤck ſey, aber ein unbe¬
kanntes junges Maͤdchen ſey vor langer Zeit einmal
in's Haus gekommen und habe nach ihm gefragt. —
Da daͤmmerte ihm allmaͤhlig alles wieder auf. Kam
das Maͤdchen nicht aus der Berg-Vorſtadt? fragte er,
und beſchrieb ausfuͤhrlich Schloß und Garten. Aber
die Alte ſchuͤttelte den Kopf, der Palaſt, ſagte ſie, iſt
ja ſchon ſeit vielen Jahren unbewohnt — ſie glaubte,
er phantaſire wieder. Otto fuhr mit der Hand uͤber
ſeine Stirn, er war wie im Traume.
Eines Abends aber, als die Alte ausgegangen war,
hatte er ſich raſch angekleidet und ging heimlich die
Treppe hinab, uͤber die wohlbekannten Gaſſen und
Plaͤtze in die Vorſtadt hinaus. Die Abendſonne fun¬
kelte luſtig durch die Straße, Kinder ſpielten vor den
Thoren, die Maͤdchen plauderten an den Brunnen und
Lerchen hingen jubelnd hoch im roͤthlichen Duft, er
taumelte, wie berauſcht, in der ungewohnten Luft. So
kam er an den Garten der Geliebten, das Pfoͤrtchen
war zu, aber er hatte den Schluͤſſel noch ſeit dem letz¬
ten Gange in der Rocktaſche. Er ſchloß haſtig auf
und trat mit klopfendem Herzen hinein. Unterdeß war
die Sonne untergegangen, es war ſchon tiefes Abend¬
roth. In der wunderbaren Beleuchtung kam ihm al¬
les wie verwandelt vor; die Gaͤnge, die er bisher nur
bei Nacht fluͤchtig geſehen, ſchienen wuͤſt und verwil¬
dert, und mit Schrecken fielen ihm die Worte der Al¬
ten wieder ein, als er endlich den Palaſt erblickte, denn
kein Laut regte ſich im ganzen Hauſe. Das Gras
wuchs aus den Ritzen der Marmorſtufen, die Thuͤren
und Fenſter waren alle feſtverſchloſſen, nur der Wind
klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, ſeitwaͤrts
ſchlug eine Nachtigall im Gebuͤſch, er hatte ſie oft ge¬
hoͤrt, wenn er in den ſchwuͤlen Sommernaͤchten hier
zum Liebchen ſchlich. — Mein Gott, wo bin ich denn
ſo lange geweſen! ſagte er in Gedanken verſunken. —
Da hoͤrte er ploͤtzlich in einiger Entfernung ein wohl¬
bekanntes Lied aus alter Zeit:
Jetzt wandr' ich erſt gern!
Am Fenſter nun lauſchen
Die Maͤdchen, es rauſchen
Die Brunnen von fern —
Voll Freude antwortete er ſogleich mit den folgenden
Worten deſſelben Liedes:
Aus ſchimmernden Buͤſchen
Dein Plaudern ſo lieb
Erkenn' ich dazwiſchen —
Ich hoͤre mein Lieb!
Barmherziger Gott — Kordelchen! rief er auf einmal
erſchrocken aus. Die Schauſpielerin ſtand vor ihm,
ſorgfaͤltig geſchmuͤckt, friſchgepfluͤckte, bunte Blumen im
Haar. — Iſt er noch immer nicht zu Hauſe? fragte
ſie, nach dem Palaſt ſchauend. — Wer denn? ent¬
gegnete Otto ganz verwirrt. — Bei dem Klang ſei¬
ner Stimme horchte ſie hoch auf und ſah ihn lange
unverwandt an. Ich kenn' dich recht gut, ſagte ſie
dann mit einem ſchlauen Laͤcheln, weißt du noch, wie
du uns in jener regnigten Nacht zum erſtenmal trafſt,
als wir nach einem kleinen Staͤdtchen zogen? Damals
hatt' ich ein Loch im Strumpf, Kamilla ſtichelte dar¬
auf, denn Kamillen ſind bitter — ach nein, du biſt's
nicht! ſchloß ſie traurig. Dann hing ſie ſich in ſei¬
nen Arm und fluͤſterte ihm geheimnißvoll zu: ich weiß
wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrath's nicht,
ſag' du's auch nicht weiter, denn die Nacht hat Oh¬
ren — Ohren —
Und Augen verſtohlen,
Wenn alles im Schlaf,
Da kommt er mich holen —
S'iſt ein vornehmer Graf.
Kordelchen! Kordelchen! rief jetzt eine Stimme außer¬
halb des Gartens. Das Maͤdchen riß ſich ſchnell los
und verſchwand wie ein aufgeſcheuchtes Reh zwiſchen
den Baͤumen. — Otto ſah ihr lange nach, dann, ploͤtz¬
lich vom Entſetzen ergriffen, floh er unaufhaltſam uͤber
die oͤden Gaͤnge, aus dem Garten, durch die einſame
Vorſtadt fort. Es war indeß ſchon voͤllig dunkel ge¬
worden, die Sterne ſpielten munter am Himmel, von
dem fernen Thurm in der Stadt ſang die Spieluhr
wieder ihr frommes Lied; er mußte ſein Geſicht mit
beiden Haͤnden verdecken, es war, als zoͤgen Engel
uͤber ihn ſingend durch die ſtille Nacht.
Zu Hauſe aber ſchnuͤrte er haſtig ſein Reiſebuͤn¬
del; noch denſelben Abend, ungeachtet der Vorſtellun¬
gen der beſorgten Alten, verließ er die Stadt.
Der Eilwagen rollte auf der glaͤnzenden Straße
in die ſchoͤne Sommernacht hinaus, der Poſtillon knallte
luſtig, daß es weit uͤber die ſtillen Felder ſchallte. Vorn
im Kabriolet plauderte ein Knabe, der zum erſtenmal
von Hauſe fuhr, munter mit dem Konducteur, dann
ſah er wieder lange ſtumm in die Gegend, wie da die
dunklen Schatten der Pappeln und ſeitwaͤrts Buͤſche,
Waͤlder und Doͤrfer im Mondſchein voruͤberflogen, und
wenn das Poſthorn erklang, ſtiegen allmaͤhlig praͤchtige
Schloͤſſer und wunderbare Gaͤrten und Gebirge mit
Waſſerfaͤllen in der daͤmmernden Ferne vor ihm auf.
Dann dachte er nach Hauſe, wie die Seinigen jetzt
alle ruhig ſchlafen, der Mond ſcheint durchs Fenſter
uͤber die Bilder an der Wand, nur eine Fliege ſummt
toͤnend durch die ſtille Stube — da kam er ſich auf
einmal ſo verlaſſen vor hier draußen, und doch ſo tap¬
fer und frei in der Fremde. — So reiſefriſch war
auch Otto'n fruͤher gar manche ſchoͤne Fruͤhlingsnacht
zu Muthe geweſen, heute ſaß er ſtill vor ſich hinbruͤ¬
tend im dunklen Wagen, es war ihm bei dem einfoͤr¬
migen ſchlaftrunkenen Raſſeln, als ging es immerfort
bergunter, unaufhaltſam einem unbekannten Abgrunde
zu. Zuweilen blitzte der Mond oder das voruͤberflie¬
gende Licht eines Bauerhauſes durch den Wagen und
ſtreifte fluͤchtig bald eine bleiche Naſe, bald einen mar¬
tialiſchen Schnurrbart, bald die Glasaugen einer Brille.
Sie ſchwatzten viel von einer wunderſchoͤnen Operſaͤn¬
gerin und einem reichen Grafen S., einem lockeren
Zeiſig. — Nein, ein Dompfaff, rief der Eine, denn ſie
hat ihn pfeifen gelehrt. — Vogel iſt Vogel, meinte
ein Anderer kurz: ſie hat ihn tuͤchtig gerupft, nun iſt
ſie ſelber davongeflogen. — Eine barocke Idee, ſagte
der mit der Brille, ſich da in dem verfallenen Palaſt
in der Vorſtadt einzuniſten! — Otto, aus ſeinen Ge¬
danken auffahrend, horchte ploͤtzlich auf. — Niſten! fiel
der Schnurrbart ein, Turteltauben niſten grade am
liebſten in alten Ruinen, da iſt's huͤbſch duͤſter und
nachtigallenhaft. Ja mein Lieber, das hatte alles
ſeine guten Wege, naͤmlich ſo unter den Baͤumen ſacht
fort, die plaudern nichts aus. Konnte man woh! dis¬
kreter handeln, als der Graf? er ließ ihrer Treue ein
Hinterpfoͤrtchen offen. Nun, nun, er iſt ein Mann
von koſtbaren Erfahrungen, ſie war wenigſtens nicht
ſeine prima Donna, und, ich denke, er hatte eben
auch keine Solo-Partie bei ihr. — Ein ſchallendes
Gelaͤchter erfolgte hier, Otto'n ſchnitt es durch die
Seele, ſie ſprachen offenbar von ſeiner wunderſamen
Meluſina! Es war ihm, als haͤtten die Geſellen mit
ihren ſchmutzigen Reiſeſtiefeln auf einmal einen koͤſt¬
lichen Teppich umgeſchlagen und er ſaͤhe nun die gro¬
ben, rohen Faͤden der gluͤhenden Traumblumen — ihm
graute recht vor dieſer faden Kehrſeite des Lebens.
Hier hielt der Wagen ploͤtzlich vor einem Hauſe
mitten im Felde, ein Mann in Nachtmuͤtze und Pelz
trat verſchlafen mit einer Laterne heraus, um einige
Packete zu uͤbergeben, und andere in Empfang zu neh¬
men. Waͤhrenddeß oͤffnete ſich hinter ihm leiſe der
Schieber des kleinen Fenſters, der Wiederſchein der
Laterne beleuchtete fluͤchtig ein wunderſchoͤnes Maͤd¬
chengeſicht, das ſchnell wieder zuruͤckfuhr. Otto erſchrak,
die Zuͤge waren ihm bekannt, er konnte ſich aber
durchaus nicht beſinnen. Da gaͤhnte der Mann im
Pelz. Friß mich nicht, Mauſchel! rief ihm der luſtige
Conducteur vom Kutſchbock zu. — Ich eſſe kein
Schweinefleiſch, entgegnete der Jude trocken. Die
Paſſagiere lachten, der Poſtillon knallte, und raſſelnd
flog der Wagen wieder in die ſtille Nacht hinaus.
Auf der naͤchſten Mittags-Station verließ Otto
ſeine Reiſegeſellſchaft, die jetzt ſchlummernd in allen
Winkeln der Paſſagierſtube umherlag, waͤhrend die
Ruͤſtigeren, uͤberwacht und verdrießlich, nach Kaffee,
Rum und Butterbroten durcheinanderſchrieen. Von
hier aus gingen Seitenwege nach Hohenſtein, dort
im ſchattigen Gruͤn wollte er ausruhen; er hofft' es noch
vor Nacht zu erreichen, ſo matt und krank er ſich
auch fuͤhlte. Er fragte nach dem naͤchſten Wege, man
21
wies ihn auf einen Fußſteig, der grade durch die
Waͤlder fuͤhren ſollte. Einſam ſchritt er nun zwiſchen
die Berge hinein; wie ſo anders, dachte er, als ich
vor vielen Jahren hier auswanderte! Nun iſt es
Schlafenszeit, und alles iſt voruͤber. — Die ſchlei¬
chende Gewalt der Krankheit, von der durchwachten
Nacht und Anſtrengung neu geſchuͤrt, brach und reckte
und dehnte ihn heimlich in allen Gliedern, er mußte
oͤfters raſten, und verließ endlich vor Ermuͤdung den
Fußſteig, um, wo moͤglich, ein Dorf zu erlangen.
Aber kein Haus wollte ſich zeigen, es war ſo ſtill den
Wald entlang, daß man die Spechte picken hoͤrte.
So hatte er Zeit und Weg verloren; der Abend fun¬
kelte ſchon durch die Wipfel, die Gegend wurde ihm
immer fremder, je weiter er fortging.
Da erblickte er ſeitwaͤrts ein kleines Maͤdchen,
das im Walde Blumen pfluͤckte. Als er hinzutrat,
wandte ſie ſich ſchnell herum, es war ihm ploͤtzlich vor
den klaren, unſchuldigen Augen wie in den Himmels¬
grund zu ſehen. Die Abendſonne ſchimmerte durch
die blonden Locken, er ſtreichelte und kuͤßt' es herzlich
auf die blanke Stirn.
Das ſchien dem armen Kinde ſelten zu begegnen,
es ſuchte emſig in ſeiner Schuͤrze und reichte ihm eine
wilde weiße Roſe, und als er fragte, ob es ihm den
Weg aus dem Walde weiſen koͤnne, gab es ihm ver¬
traulich die Hand, waͤhrend es mit der andern ſorg¬
faͤltig das Schuͤrzchen zuſammenhielt, um ſeine Blu¬
men nicht zu verlieren. Wie ſie ſo mit einander fort¬
gingen, wurde das ſchoͤne Kind immer vergnuͤgter und
geſpraͤchiger. Es erzaͤhlte, es waͤre gar nicht mehr ſo
lange hin, da kaͤme wieder Weihnachten, wo die vie¬
len Lichter in den vornehmen Haͤuſern brennten, dann
ſaͤß es in der Kammer auf ſeinem Bettchen am Fen¬
ſter, da flimmerten draußen die Sterne ſo ſchoͤn uͤber
dem Schnee und das Chriſtkindlein floͤge durch die
Nacht uͤber den ſtillen Garten hin und braͤcht' ihm
von ſeinen Aeltern viele koſtbare Sachen: neue rothe
Schuh, und ein Muͤtzchen. — Wo wohnen denn deine
Aeltern? fragte Otto. — Die Kleine ſah ihn erſtaunt
an, dann wies ſie nach dem Himmel. — Aber wo
fuͤhrſt du mich denn jetzt hin? fragte er faſt betroffen
wieder. — Nach Hauſe — entgegnete das Kind. —
Ihn ſchauerte unwillkuͤhrlich bei dem Doppelſinn der
Antwort.
Auf einmal traten ſie an einem Abhange aus dem
Walde heraus, Otto ſtand wie geblendet. Denn tief
unter ihm lag ploͤtzlich ſeine Heimathsgegend im ſtillen
Abendglanze ausgebreitet: das ſchattige Staͤdtchen,
jenſeits ſeiner Aeltern Garten und Haus, der vergol¬
dete Strom dann im Wieſengrund und die fernen
blauen Berge dahinter — alles wie er's in der Fremde
wohl manchmal im Traume geſehen. Ganz erſchoͤpft
ſank er unter dem Baume hin. O ſtille, alte Zeit,
21*
rief er aus, wie liegſt du ſo weit, weit von hier! —
Die Kleine hatte ſich zu ſeinen Fuͤßen in's Gras ge¬
ſetzt. Nein, nein, ſagte ſie, ſo iſt es nicht, ich will
dich's lehren. Und bei dem Vogelſchall, ſelbſt wie ein
Waldvoͤglein, ſang ſie mit dem kindiſchen Stimmchen:
Waldeinſamkeit,
Du gruͤnes Revier,
Wie liegt ſo weit
Die Welt von hier!
Schlaf' nur, wie bald
Kommt der Abend ſchoͤn,
Durch den ſtillen Wald
Die Quellen gehn,
Die Mutter Gottes wacht,
Mit ihrem Sternen-Kleid
Bedeckt ſie dich ſacht
In der Waldeinſamkeit,
Gute Nacht, gute Nacht! —
Otto'n dunkelte es vor den Augen, da ging auf
einmal ein Leuchten uͤber die Gegend wie ein Blitz in
der Nacht: ſtille Abgruͤnde fernab, Gaͤrten und Pa¬
laͤſte wunderbar im Mondglanz, er erkannte unten die
goldenen Kuppeln und hoͤrte durch die ſtille Luft her¬
uͤber die Glocken wieder gehen und die Brunnen rau¬
ſchen in Rom, und das Kind ſang wieder dazwiſchen:
O du ſtille Zeit!
Kommſt, eh' wir's gedacht,
Ueber die Berge weit
Nun rauſcht es ſo ſacht
In der Waldeinſamkeit,
Gute Nacht —
Still, ſtill, lachte die Kleine, er ſchlaͤft — aber
der muͤde Wandersmann wachte nimmermehr auf.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Wir aber, da es nun ſo ſtill geworden im Thal und
auf den Hoͤhen, laſſen die Blicke weit uͤber das ſchoͤne
Land hinſchweifen, um nicht in Wehmuth zu vergehen.
Da rauſchen die Waͤlder ſo friſch uͤber Luſt und Noth,
als rief es: Menſchenkind! blick auf zum weiten Ster¬
nenhimmel, da iſt ja doch alles eitel und nichts dage¬
gen! — Und fern im Gebirg, wo der Mond ſo hell
uͤber die Waldwieſe ſcheint, gewahren wir ploͤtzlich zwei
Wanderer, die froͤhlich niederſteigen: es ſind die beiden
Liebesleute auf ihrer abenteuerlichen Fahrt. Fortu¬
nat hat ſo eben die Pferde in einem Doͤrfchen unter¬
gebracht, und wendet ſich mit Fiametta auf einem
Fußſteig zwiſchen die leiſebewegten Kornfelder hinein,
die Nacht kuͤhlt ſich am Horizont mit Wetterleuchten,
eine Wachtel ſchlaͤgt fern im Feld. Vor ihnen aber
breiten ſich dunkle Hoͤhen aus, der Mond beleuchtet
nur einzelne Abhaͤnge, da erkennt er nach und nach
Lauben und Gaͤnge, zuweilen blitzt ein Springbrunnen
auf, aus den duftigen Gebuͤſchen hoͤren ſie ſchon die
Nachtigallen uͤber das Feld heruͤbertoͤnen. Auf einmal
haͤlt Fortunat ſtill und ſchwenkt voll Freuden ſeinen
Hut. Gruͤß dich Gott, du kuͤhler Wald! ruft er aus
Herzensgrunde. Fiametta ſieht ihn einen Augenblick
fragend an, dann ſchwenkt auch ſie jubelnd ihr Huͤt¬
chen, ohne zu wiſſen warum. — Es iſt Hohenſtein,
das vor ihnen liegt.
Fortunat wußte, daß Walter jetzt ganz hier
wohne; zu dem Huͤlfreichen, Beſonnenen, Rathvollen
wollte er zunaͤchſt das Maͤdchen bringen. Er hatte
gehofft, die Berge noch am Abend zu erreichen, nun
aber mochte er kein Aufſehen machen, ſie beſchloſſen,
die kurze Sommernacht im Garten zu verweilen, um
ſogleich am fruͤheſten Morgen dem alten Freunde alles
zu vertrauen.
Er kannte noch aus alter Zeit den Steg im Gar¬
tenzaun, ſie ſchwangen ſich hinuͤber und ſtiegen mit
klopfenden Herzen den Waldberg hinan. Fortunat
blickte oft ſeitwaͤrts zwiſchen die Baͤume hinein nach
den ſtillen Gaͤngen, wo er ſo oft gewandelt, es war
alles ſo fremd und unheimlich im Mondſchein. Das
iſt Jacobs Traumleiter, ſagte er froͤhlich, wie ſie der
liebe Gott zuweilen in ſolchen Fruͤhlingsnaͤchten herun¬
terlaͤßt, nur friſch! wir ſteigen in's Himmelreich, ich
ſeh' ſchon die Sterne durch die Wipfel flimmern. —
Jetzt hatten ſie die letzten Stufen erreicht, auf einmal
traten ſie zwiſchen dem dunklen Laub, wie Bergleute
aus einem Schacht, in's Freie hinaus. Da ſahen ſie
rechts das alte Schloß, und vor ihm die weiten
duftigen Blumenplaͤtze, ſtille Lauben und Buͤſche, ein
Springbrunnen plaͤtſcherte ſchlaͤfrig dazwiſchen, weiter¬
hin daͤmmerte eine unermeßliche Ausſicht im Mond¬
glanz durch die wunderbare Einſamkeit herauf. Fortu¬
nat ſchaute ſchweigend in die Runde, und eh' die kleine
Marcheſin ſich noch beſinnen konnte, hatte er ſchon
eine weitgebreitete Linde beſtiegen, die am aͤußerſten
Abhang uͤber den ſchimmernden Abgrund hinaushing.
Fiametta! rief er von oben, waͤr's nicht um dich, ich
moͤchte alles wachſchreien vor Freude! Sieh, da unten
blickt der Strom manchmal ſo heimlich auf, druͤben
graſen Damhirſche am mondbeſchienenen Abhang, nun
ſeh' ich auch das Dorf, wo die luſtigen Maͤdchen
wohnen, mit denen ich hier oben getanzt, das ſchlaͤft
nun alles, alles — nur eine Thurmuhr ſchlaͤgt dort
von fern heruͤber, ich hoͤrt' ſie damals oft bei ſtiller
Nacht. Und Gott Vater faͤhrt uͤber die Saiten ſeiner
Harfe, wie eine leiſe Muſik ziehts gnadenreich uͤber
die ſtille Gegend.
Fiametta aber ſah ſich nach allen Seiten um wie
ein ſcheues Reh, in dem dunklen Buchengange, der
vom Schloß herabkam, ſchwankte das Mondlicht, als
bewegten ſich bleiche Geſtalten, ſie fuͤrchtete ſich ſo
allein da unten. Fortunat bemerkte es endlich, er
reichte ihr die Hand, ſie ſtieg ſchnell auf die Bank,
die unter dem Baume ſtand, und ſchwang ſich ſo
lachend mit hinauf. Dort ſetzten ſie ſich nun zuſam¬
men in dem daͤmmernden Laube bequem zwiſchen die
Aeſte zurecht, vor ihnen ſchoſſen Sternſchnuppen uͤber
das Land, manchmal bellte ein Hund fern in den
Doͤrfern, Fiametta baumelte, in Erwartung der Dinge,
zufrieden mit den Beinchen. Nun erzaͤhle was, ſagte
ſie. Und Fortunat beſann ſich nicht lange, die alte
phantaſtiſche Nacht fluͤſterte verworren durch die Zweige,
er fing ſogleich aus dem Stegreif an, als ſpraͤch' er
im Traum:
Es waren einmal zwei Kinder, Kasperl und An¬
nerl, die hatten einander ſehr lieb. Die ſaßen einmal
vor dem Hauſe und beſahen ſchoͤne Bilder in einem
großen Bilderbuch, das die Annerl mitgebracht hatte,
die Voͤgel ſangen im Walde, und das Abendroth ging
uͤber die Berge vor ihnen. Auf dem Bilde war eine
ſehr ſchoͤne Gegend zu ſehen, fruchtbare Auen, Fluͤſſe,
Doͤrfer und Schloͤſſer, dahinter ein wunderbar gezack¬
tes Gebirg mit einſamen Kapellen und Waͤldern, an
deren Saum eine Prozeſſion mit bunten Fahnen da¬
hinzog. Das Abendroth ſchien uͤber das Bild, und
wie ſie es ſo mit rechtem Fleiß betrachteten, da fingen
auf einmal die gemalten Baͤume an leiſe zu rauſchen,
ſchoͤne bunte Voͤgel flogen uͤber die Landſchaft, die
Bruͤnnlein glitzerten im Gebirg, die Fahnen wehten,
ſie hoͤrten die Prozeſſion aus weiter Ferne ſingen. Und
eh' ſich der Knabe noch beſinnen konnte, ſah er zu
ſeinem Erſtaunen auch das kleine Annchen ſchon mit¬
ten drin, ſie winkte ihm froͤhlich, er faßte ſich endlich
ein Herz und ſprang ihr nach, ſo liefen ſie beide voller
Freuden in das Buch und die Landſchaft hinein. —
Als Kasperl einmal zuruͤckſah, war ihr Haus und die
Gegend, wo es ſtand, ſchon hinter ihnen verſchwun¬
den, von der Prozeſſion hoͤrten ſie nur noch manchmal
den Geſang heruͤbertoͤnen, die Sonne war lange unter,
je weiter ſie kamen, je einſamer und praͤchtiger wurde
alles. Auf einmal, da ſie eben durch einen Felſenbo¬
gen traten, erblickten ſie ein himmelhohes Gebirge vor
ſich, daß es ihnen ordentlich den Athem verhielt. Auf
dem hoͤchſten Berge ſtand ein herrliches Schloß, das
war von lauter Silber, mit Gold gedeckt, vor dem
Schloßthor aber ſaß eine wunderſchoͤne Frau, die war
uͤber einer Harfe eingeſchlummert. Aus ihren langen
Locken und Gewaͤndern kam ein praͤchtiger Mondſchein
und beleuchtete die Alpen und die wunderſamen Kluͤfte,
Waͤlder und Abgruͤnde ringsumher. Unten, wo die
Strahlen nicht mehr hinlangen konnten, ſahen ſie
kleine bucklichte Maͤnnchen in der Daͤmmerung luſtig
von den Felſenzacken Purzelbaͤume ſchießen, von fern
klang das Gloͤcklein eines Einſiedlers, ein Jaͤger, der
ſich verirrt hatte, ſtand auf dem Felſen gegenuͤber, und
gab zuweilen mit ſeinem Waldhorn Antwort. Oben
aber am Schloſſe weideten weiße Schaͤfchen auf den Ab¬
haͤngen, hoch vom Thurm der Burg blieſen Engel auf
ſilbernen Zinken wunderſchoͤn uͤber die ſtillen Gruͤnde. —
Ach, da moͤcht' ich auch einmal hin! rief hier
Fiametta freudig aus. — Es iſt nur gar zu weit von
hier, erwiederte Fortunat — aber wackle nicht ſo mit
den Beinchen, wir fallen ſonſt beide vom Baum. —
Sie ruͤckte ſich nun naͤher zum Hoͤren zurecht und For¬
tunat fuhr wieder fort:
Das iſt die Goͤttin Luna, ſagte nun Annerl, auf
die Frau vom Schloſſe weiſend. — Kennſt du ſie
denn, fragte Kasperl verwundert. — Sie lachte: du
biſt doch noch ſehr dumm fuͤr dein Alter, bleib' jetzt
nur dicht bei mir, ſonſt verirrſt du dich hier. — Kas¬
perl aber ſah nun einen alten, großen geduckten Mann
ſeitwaͤrts am Wege ſitzen, der hatte einen Sack voll
praͤchtiger Aepfel umhaͤngen. Da wurde er ganz ge¬
naſchig, er wollte nur geſchwind noch ein Paar Aepfel
auf den Weg kaufen, wie er aber in den Sack hin¬
einguckt, erwiſcht ihn der Mann ſchnell bei den Fuͤ¬
ßen, wippt ihn ſo hinein und ſchnuͤrt den Sack uͤber
ihm feſt zu. Aha, nun hab' ich dich! ſagte er, und
ſtreckte zufrieden die Beine aus, um ein wenig aus¬
zuruhen.
Pfui, der abſcheuliche Kerl! unterbrach ihn hier
Fiametta von neuem, ich moͤchte ſo einen Menſchen¬
freſſer am liebſten gleich zerpfluͤcken! Nun kommen
gewiß die armen Kinder auseinander.
Ja freilich, entgegnete Fortunat. In der Angſt
und Finſterniß arbeitete Kasperl wuͤthend mit ſeinen
Ellbogen in den Aepfeln herum. Aber ſeyn Sie doch
nicht ſo ſackgrob, Sie erdruͤcken mich ja, wiſperte da
ploͤtzlich ein feines Stimmchen neben ihm. — Biſt
du's, fragte er leiſe. Ja wohl, antwortete das Stimm¬
chen, ich bin auch gefangen, und nage ſchon lange an
dem Sack, daß mir die Zaͤhne weh thun. Jetzt iſt
der Alte eingeſchlafen, hoͤren Sie nur, wie er ſchnarcht.
Sie haben ſo ſtarke, dicke Finger, ſeyn Sie doch ſo
guͤtig und helfen Sie mir ein wenig reißen. — Es
war ein allerliebſtes, kleinwinziges Maͤuschen, das ſo
artig ſprach. Kasperl riß nun ganz vorſichtig an dem
Sack, das Maͤuschen wiſchte hinaus, biß ihn im
Fortſpringen noch ſchelmiſch in den Finger und ver¬
ſchluͤpfte dann ſchnell im Mondſchein, er hoͤrte es noch
fern zwiſchen den Steinen kichern. Jetzt kroch er ſel¬
ber ſacht hervor, ſteckte noch geſchwind einen huͤbſchen
Apfel in die Taſche, und nahm dann eilig Reißaus.
— Aber, Gott weiß, der Alte mußte einen groben
Flausrock anhaben, denn Kasperl gerieth auf einmal
in ein verworrenes, ungebuͤrſtetes Geſtruͤpp, in der
Eile hatte er den Weg verloren und war, anſtatt her¬
abzuklettern, an dem alten Rockaͤrmel gerade hinauf¬
gelaufen. Als er aber oben ſtand, erſtaunt' er erſt
recht! Da war der Morgen ſchon angebrochen, der
Menſchenfreſſer unter ihm war nichts anders, als der
alte graue Fels vor ſeines Vaters Haus, und wo er
das praͤchtige Schloß geſehen hatte und die wunderba¬
ren Kluͤfte im Mondſchein, da lagen jetzt fahle, dicke
Wolken uͤbereinander und dehnten ſich noch halb im
Schlaf. Er ſah die Schornſteine in ſeinem Dorfe
rauchen, der Nachbar trat gaͤhnend in die Thuͤr. Ki¬
keriki! rief er, Kasperl, du willſt wohl den Tag aus¬
kraͤhen, daß du dich da ſo fruͤh auf den alten Stein-
Juͤrgen geſtellt haſt. —
Aber das arme Annerl? fiel Fiametta wieder ein.
— Wart' nur, es wird gleich noch viel ſchoͤner kom¬
men, erwiederte Fortunat: Das ſchoͤne Annerl war
fort und kam nicht wieder, und Niemand wußte was
von ihr, denn ſie war immer nur gegen Abend heim¬
lich aus dem Walde mit ihm ſpielen gekommen. Da
war Kasperl ganz traurig, er mußte viel lernen, und
ſehnte ſich ſehr und wurde daruͤber nach und nach groß
und ſtark. Einmal des Nachts aber, als der Mond¬
ſchein uͤber die Waͤlder glaͤnzte, da kam es ihm vor,
als ſaͤße die wunderſchoͤne Frau draußen auf dem
Berg vor dem Hauſe und blaͤtterte in dem alten Bil¬
derbuch, daß der Goldſchnitt beim Umwenden zuweilen
ſeltſam uͤber die Baͤume am Fenſter funkelte. Da
wurde er ſehr unruhig, und als kaum noch der Mor¬
gen daͤmmerte, ſaß er ſchon ganz angezogen in ſeiner
Kammer am Tiſch, den Kopf in die Hand geſtuͤtzt.
Da fiel es ihm erſt ein, daß er den Apfel, den er
damals aus dem Sacke mitgenommen, noch immer in
Taſche hatte. Er nahm ihn heraus und biß vor
Schwermuth drein, um ihn aufzueſſen. Da ſchreit
auf einmal etwas drinn, und ein Koͤpfchen ſtreckt und
zwingt ſich hervor, und wie er endlich verwundert den
Apfel aufbricht, ſteigt ein kleines, braunes Kerlchen
mit Wanderſtab und Taſche aus dem Kernhaus. —
Wer biſt du? — Der Aepfelmann. Adieu! — Das
Maͤnnchen ging uͤber den Tiſch fort, blieb aber ploͤtz¬
lich am Rande ſtehen, weil er nicht herunterkonnte. —
Ich will dir wohl herunterhelfen, du armer Wicht,
ſagte Kasperl, aber du mußt mir dagegen etwas ver¬
ſprechen. Kannſt du mich zu der Goͤttin Luna fuͤh¬
ren? — Warum nicht? erwiederte das Kerlchen. Da
nahm er es ſauber zwiſchen die Finger und ſetzte es
draußen auf den Raſen. Nun traten ſie ſogleich ihre
Wanderſchaft an. Der Kleine hinkte, denn Kasperl
hatte ihn vorhin im Apfel in die große Zehe gebiſſen.
Kaum aber waren ſie weiter in die Haide gekommen,
ſo humpelte das Kerlchen ſo ungeheuer fix fort, wie
ein Grashuͤpfer, und lachte und rief immer zuruͤck:
komm mir doch nach, komm mir doch nach, haſt ja
ſo lange Beine! und ehe ſich's Kasperl verſah, hatt' er
das Kerlchen in dem hohen Graſe verloren. Da war
er nun wieder ſo klug wie vorher. — Es war aber
gerade ein ſchoͤner Sonntagsmorgen. Ein Birnbaum
ging eben uͤber's Feld zur Kirche, und rauſchte Got¬
tes Lob. Gelobt ſey Jeſus Chriſt! gruͤßte ihn Kas¬
perl, habt Ihr nicht ſo einen kleinen, braunen Pil¬
grim geſehen? — In Ewigkeit, entgegnete der Birn¬
baum, ich glaube, ich habe vorhin ſo was im Graſe
zertreten. — Ach Gott, klagte Kasperl, der hat mich
irre gefuͤhrt, nun weiß ich nicht, wo ich bin! wenn ich
nur einen Felſen oder Thurm wuͤßte, um mich ein
wenig umzuſehen in der Welt. — Jetzt hab' ich keine
Zeit zu Narretheien, meinte der Birnbaum; da aber
Kasperl betruͤbt weitergehen wollte, that es ihm leid.
Nun, komm nur ſchon, komm, was man auch fuͤr Noth
hat mit euch Kindern, ſagte er, und ſtieg ſchnaufend und
aͤchzend auf einen hohen Berg hinauf, wo er ſich breit
zurechtſtellte und ſeine gruͤnen Aeſte luſtig in die blaue
Luft hinausſtreckte. Das ließ ſich Kasperl nicht zwei¬
mal ſagen, er kletterte ſchnell bis zum Wipfel hinan
— da aber warf er ploͤtzlich ſeinen Hut hoch in die
Luft und ſchrie Hurrah! aus Leibeskraͤften, denn jen¬
ſeits erblickte er auf einmal das wunderbare Gebirge
wieder, daß ihn ordentlich ſchwindelte vor großer
Freude. — Nun zauſ' mich doch nicht ſo grob, das
thut ja weh, ſagte der Baum. Aber Kasperl ſchwang
ſich ſchon haſtig wieder hinab; Gott's Lohn, Gott's
Lohn! rief er einmal uͤber's andre. Der gute Birn¬
baum aber ſchuͤttelte ſich zum Balet im Morgenhauch,
daß der ganze Raſen voll ſchoͤner, goldener Fruͤchte
lag, die kollerten und huͤpften luſtig uͤber den gruͤnen
Abhang hinunter, und Kaſperl ſprang ihnen nach zwi¬
ſchen den Morgenlichtern in die praͤchtige Gegend hin¬
ein. — War nun das Gebirge beim Mondglanz ſchoͤn
geweſen, ſo war jetzt alles noch viel tauſendmal ſchoͤ¬
ner im funkelnden Morgenlicht. Das praͤchtige Schloß
mit ſeinen ſtillen Thuͤrmen ſtand ganz in roſenrother
Glut, die Baͤche waren von purem Gold, die Waͤlder
rauſchten und blitzten von Rubinen und Smaragden,
auf den Alpen ſtanden Engel umher und fachten mit
ihren langen, regenbogenfarbenen Fluͤgeln das Mor¬
genroth an. Und als er endlich zum Walde kam, da
erblickte er auf einmal ein wunderſchoͤnes Maͤdchen auf
einem weißen Hirſch, die hatte ein luſtiges, funkelndes
Kroͤnlein im Haar. Mein Gott! die ſollt' ich ja ken¬
nen, dacht' er bei ſich — es war ſein liebes Annerl!
— Sie hielt lachend ſtill und ſagte: die ſchoͤne Frau
Luna iſt verwichene Nacht untergegangen, ſie laͤßt dich
noch gruͤßen, ich aber bin ihre Tochter Aurora, die
Koͤnigin der Waͤlder. — So will ich Koͤnig ſeyn, rief
Kasperl, und ſchwang ſich hinter ſie auf den Hirſch,
und hui! ging's nun durch die Waldesnacht unter ein¬
ſamen Burgen, an kuͤhlen Stroͤmen und Gaͤrten und
ſchimmernden Fernen voruͤber, und jedem ging das
Herze auf, der ſie von fern voruͤberfliegen ſah. — So
hauſten ſie fortan mit einander in freudenreichem
Schalle, und da ſie nicht geſtorben ſind, ſo leben ſie
noch heute — denn ich bin der verliebte Kaſperl, und
du die Waldkoͤnigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬
terweibchen!
So ſchloß Fortunat und kuͤßte herzlich Fiametten
auf die verſchlafenen Augen. Da ſtieß ſie ihn leiſe
an und wies in das Land hinaus. Ein leiſer Schim¬
mer flog uͤber die Gegend, wie wenn ein Kind im
Traum laͤchelt, eine fruͤherwachte Lerche hing ſchon
liedertrunken uͤber ihnen hoch in der Daͤmmerung.
Gruͤß dich Gott, du ſchoͤne, wunderbare Welt! rief
Fortunat, jetzt friſch an's Werk! — Sie ſchuͤttelten
ſich ſchauernd in der Morgenkuͤhle, er ſprang ſchnell
vom Baum, Fiametta folgte, er fing ſie unten in ſeine
Arme auf. Dann gingen ſie ſchweigend mit einander
durch den daͤmmernden Garten.
Fortunat hatte ſich ſchon im voraus alles klug
ausgeſonnen. Fiametta ſollte fuͤr's Erſte ſich in der
Naͤhe der Amtmannswohnung noch im Gruͤn verbor¬
gen halten, er ſelber wollte unterdeß in der Morgen¬
luft wie ein Falk das Haus umkreiſen und auf Wal¬
tern, den er als einen fruͤhen Vogel kannte, wo er
ſich blicken ließe, ſogleich niederſtoßen, um mit ihm
das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬
kaͤmen.
Aber der Menſch denkt und Gott lenkt. Als ſie
ſo unter den feierlich rauſchenden Wipfeln des Buch¬
waldes fortgingen, zupfte und ruͤckte Fiametta mit
klopfendem Herzen ihr Waͤmſchen zurecht wie ein Voͤg¬
lein, das ſich im Morgenſchein die Fluͤgel putzt, und
fing italiaͤniſch zu plaudern an, das klang wie ein
Gloͤckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte
des ſchoͤnen Fruͤhlingsmorgens, als er mit Waltern
zum erſtenmal hier eingeſtiegen. Da war alles wieder
ſo kuͤhl und friſch wie damals. Bald erblickte er ſeit¬
waͤrts die duftigen Blumenplaͤtze, den Sitz unter der
Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch ſchon
die weißen Schornſteine heruͤber — auf einmal ſtan¬
den ſie unter den hohen Baͤumen vor dem Hauſe. Da
lag noch alles in tiefer Ruh, durch das Weinlaub am
Fenſter konnte er die untere Stube uͤberſehen, den
bunten Teppich im ungewiſſen Schimmer und die ver¬
goldeten Rahmen der Bilder gegenuͤber an der Wand,
die alte Stockuhr ſchlug drin ſo eben Vier. Unter
den Baͤumen aber ſtand noch der große runde Tiſch
mit den Stuͤhlen umher, wie in der alten Zeit, der
Amtmann hatte ſeine Pfeife draußen vergeſſen, auch
Florentinens Guitarre hing wieder uͤber dem Stuhl.
Da uͤberkam Fortunaten unwiderſtehlich ſeine alte
Reiſe-Luſtigkeit, der kluge Plan, Vorſicht, Geheimniß
und alles war vergeſſen, er ergriff die Guitarre, ſprang
auf den Tiſch hinauf und ſang recht aus Herzens¬
grunde:
22
Wer ſteht hier draußen? — Macht auf geſchwind!
Schon funkelt das Feld wie geſchliffen,
Es iſt der luſt'ge Morgenwind,
Der kommt durch den Wald gepfiffen.
Ein Wandervoͤglein, die Wolken und ich
Wir reiſ'ten um die Wette,
Und jedes dacht': nur ſpute dich,
Wir treffen ſie noch im Bette!
Da ſind wir nun, jetzt alle heraus,
Die drinn noch Kuͤſſe tauſchen!
Wir brechen ſonſt mit der Thuͤr in's Haus:
Klang, Duft und Waldesrauſchen.
Bei den letzten Klaͤngen oͤffnete ſich oben leiſe ein
Fenſter. Florentine fuhr mit dem verſchlafenen Koͤpf¬
chen hervor, er haͤtte ſie beinah nicht wieder erkannt,
ſo praͤchtig, voll und bluͤhend war ſie geworden. Herr
Jeſus! ſind Sie's, Herr Baron? rief ſie ganz erſchrok¬
ken, und ſchlug ſchnell das Fenſter wieder zu, denn
der Morgenwind wollte ihr das leichte Halstuch neh¬
men. Nun hoͤrte er im Hauſe die Thuͤren gehen, ru¬
fen und rumoren. Draußen aber kletterte das Mor¬
genroth fix uͤber die Spaliere und Weinranken das
ſtille Haus bis zu den Schornſteinen hinan und guckte
neugierig uͤber die Baͤume, und Fortunat ſang von
neuem:
Ich komme aus Italien fern
Und will Euch alles berichten,
Vom Berg Veſuv und Roma's Stern
Die alten Wundergeſchichten.
Da ſingt eine Fey auf blauem Meer,
Die Myrthen trunken lauſchen —
Mir aber gefaͤllt doch nichts ſo ſehr,
Als das deutſche Waldesrauſchen!
Als Walter von Italien hoͤrte, zweifelte er nicht
laͤnger. Eilig in hohen Schmierſtiefeln, die er gegen
den beißenden Thau zu gebrauchen pflegte, kam er
athemlos aus dem Hauſe geſtuͤrzt. Mein Gott! du,
Herzensbruder! rief er ſchon von weitem und flog,
außer ſich vor Freude, in Fortunats Arme und ſtach
ihn tuͤchtig mit ſeinem ſchlecht raſirten Bart. Fortu¬
nat war im erſten Augenblick ganz verbluͤfft, denn
Walter kam ihm ſo verbauert vor, altmodiſch, beim
Reden ſchreiend und gebraͤunt im Geſicht; aber die
treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man
ſah bis in den Grund der Seele, er war doch durch
und durch noch der alte. Jetzt fiel ploͤtzlich ein Schuß
hinter ihnen, daß alle zuſammenfuhren. Auf der An¬
hoͤhe wurde der tolle Foͤrſter ſichtbar, der von dem
Beſuche ſchon Wind bekommen. Er drehte den duͤn¬
nen, flechſenreichen Hals weit aus der ſchmalen, engen
Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht er¬
kannt hatte, feuerte er aus ſeiner Doppelbuͤchſe ge¬
ſchwind noch einmal uͤber ihre Koͤpfe weg und ſtuͤrzte
mit großem Vivatgeſchrei zu ihnen herab. Dann er¬
wiſchte er unverſehens Fiametta, die gar nicht wußte,
wie ihr geſchah, und walzte wuͤthend mit ihr unter
den Baͤumen herum, ſeine langen Rockſchoͤße, die weit
22*
im Rade umherflogen, ſchleuderten einen von den Gar¬
tenſtuͤhlen ſo eben in die Hausthuͤr, als die Frau
Amtmannin feierlich heraustreten wollte. Nun Gott
behuͤt' uns, Herr Nachbar, rief ſie empfindlich, was
iſt das wieder fuͤr eine Auffuͤhrung! — Einfuͤhrung,
Frau Muhme, entgegnete der Foͤrſter, hohe Reiſende,
bal à la fourchette, St. Veitstanz, Apfelſinen und
Italien! da hat mich ſo eine verfluchte Tarantul in
die Fuͤße gebiſſen. — Nun ſchwenkte auch der Amt¬
mann ſeine ſchneeweiße Schlafmuͤtze, hinter der das
huͤbſche Geſichtchen Florentinens hervorguckte, alle
ſchrieen und fragten durcheinander, die Amtmannin
knixte unter vielen Redensarten, die niemand hoͤrte,
ein aus dem Schlaf verſtoͤrter kalekutiſcher Hahn hatte
ſich ſchon waͤhrend des Walzers in des Foͤrſters flie¬
gende Schoͤße verbiſſen — man konnte gar nicht zu
Worte und in's rechte Geſchick kommen. — Und der
junge Herr? — mit wem hab' ich die Ehre? — ſagte
endlich die Frau Amtmannin, mit einem halben unge¬
wiſſen Knix gegen die hocherroͤthende Fiametta gewen¬
det. — Himmeltauſend! da hab' ich nun was Schoͤ¬
nes angerichtet! dachte Fortunat. Er beſann ſich nicht
lange. Ein junger Vetter von mir aus Italien, ſagte
er. — Ah — rief der Foͤrſter erſtaunt, und entſchul¬
digte nun mit abenteuerlicher Galanterie die ganz er¬
gebenſte Erdreiſtung ſeiner nicht wiſſenden Keckheit. Er
muͤhte ſich ſichtbar ab, in ſeinen uͤberaus hoͤflichen
Discurs eine Menge italiaͤniſcher Worte zu miſchen,
ſo glaubte er verſtaͤndlicher zu werden, kam wieder auf
die Taranteln zu ſprechen, die eigentlich in Italien an¬
ſaͤßig ſeyen, ging dann auf die Scorpionen uͤber, auf
die er einen ganz beſonderen Haß geworfen zu haben
ſchien, und bot ihr endlich eine lange, friſchgeſtopfte
Pfeife an. — Nicht doch, die Herren Italiaͤner pfle¬
gen nicht zu rauchen, rief die Amtmaͤnnin vermittelnd
heruͤber. — Nun, ſo thu' ich's ſelbſt mit Erlaubniß,
erwiederte der Foͤrſter und fing in ſchnellen Zuͤgen hef¬
tig an zu dampfen, waͤhrend die allezeit heitere Fia¬
metta, in dem dicken Tabacksqualm ſich manchmal ver¬
huſtend, ihm in aller Geſchwindigkeit die ungeheuerſten
Geſchichten erzaͤhlte von gefluͤgelten Scorpionen und
einer wahnſinnigen Tarantul, die den St. Veitstanz
erfunden.
Der Amtmann, als ſich endlich der erſte Jubel¬
laͤrm ein wenig gelegt hatte, blickte vergnuͤgt in die
Runde. Im Kalender, ſagte er, iſt heute kein Feier¬
tag angemerkt, aber der liebe Gott hat ihn draußen
roth angeſtrichen, ſo weit man nur ſehen kann. Und
in der That, das alte Schloß, die Waͤlder, Strom
und Thaͤler gluͤhten nun ringsum im ſchoͤnſten Mor¬
genroth. Die Frauen hatten unterdeß den Tiſch ge¬
deckt, die Voͤgel ſangen uͤber ihnen im Walde, und
die Morgenlichter funkelten luſtig uͤber die Weinflaſchen
und Glaͤſer auf dem blendend weißen Tiſchzeug. Wal¬
ter legte in ſeiner Froͤhlichkeit die Guitarre in Floren¬
tinens Arm, ſie mußte, nicht ohne haͤufiges Erroͤthen,
gleich zum Willkomm alle Lieblingslieder des Hauſes
durchſingen. Eine tiefe Wehmuth flog dabei durch
Fortunat's Seele: es waren noch immer dieſelben Lie¬
der, die er damals hier geſungen und gedichtet — ſo
lange hatten ſie nachgeklungen in dieſer Einſamkeit! —
Dann mußte er ſelbſt ihnen von ſeinen Reiſen, von
Rom und Sizilien erzaͤhlen, dazwiſchen kamen immer
wieder hieſige Geſchichten auf's Tapet von alten Be¬
kannten, und von den huͤbſchen Maͤdchen, mit denen
er damals im Garten getanzt, ſie zeigten ihm die
Doͤrfer in der Ferne, wo ſie nun gluͤcklich verheirathet
waren, da ein gruͤnverſchattetes Pfarrhaus, dort ein
Paar Schornſteine einſam uͤber dem Wald. Der
nach literariſchen Neuigkeiten ausgehungerte Walter
verſuchte mehreremal vergeblich, ein wiſſenſchaftliches
Geſpraͤch mit Fortunaten anzuknuͤpfen. Er hatte noch
immer die alte Angſt, mit der Bildung fortzuſchreiten,
und hielt eine Menge Journale, die aber meiſt unge¬
leſen blieben und von ſeiner huͤbſchen Frau zum Ku¬
chenbacken verbraucht wurden. Dieſe hatte ſich jetzt
mit ihrem Kinde an der Bruſt vor die Hausthuͤr ge¬
ſetzt, die Morgenſonne ſpielte zwiſchen dem Weinlaub
lieblich uͤber Mutter und Kind. Zuweilen blickte ſie
unter ihren langen, dunklen Augenwimpern ſcharf nach
Fiametta hinuͤber, die unterdeß, das Koͤpfchen auf beide
Arme gelegt, uͤber dem Schwirren und Summen der
Glaͤſer, Teller und Reden am Tiſche eingeſchlafen war.
So war es unter den munteren Geſpraͤchen faſt
voͤllig Tag geworden, als auf einmal Walter, einen
erbrochenen Brief in der Hand, eilig aus dem Hauſe
trat. Das iſt heut ein wahrer Wundermorgen! rief
er lachend aus, denkt euch, da ſchreibt mir eben unſer
Rechtsfreund aus der Stadt, ich moͤchte ihm kollegia¬
liſch beiſtehen, eine junge adeliche Dame auszukund¬
ſchaften, die mit ihrer Kammerjungfer ihrer alten
Tante entflohen und deren Spur zwiſchen unſern Ber¬
gen verloren gegangen ſeyn ſoll. — Kurios, ſagte der
Amtmann, ja, wilde Waſſer lieben die Berge. —
Was! — rief der Foͤrſter, der eben eine neue Pfeife
geſtopft und nur halb hingehoͤrt hatte — eine alte
wilde Tante iſt im Waſſer verloren gegangen? — Ja,
fiel Fortunat ein, und der Rechtsfreund mit ihrer
Kammerjungfer entflohen. — Walter hatte Muͤhe, die
Konfuſion zu berichtigen. Ein angeſehener Mann, fuhr
er dann fort, verfolgt nun die Fluͤchtlinge im Auftrag
der Tante und hat in der Stadt amtliche Huͤlfe in An¬
ſpruch genommen. Da biſt du uns eben zur rechten
Stunde gekommen, Fortunat. — Ich? wie ſo? fragte
dieſer betroffen. — Ich meine, als Dichter in ſolchen
romantiſchen Faͤllen. — Ach theurer Freund, entgeg¬
nete Fortunat, ich wollte, die Romantik waͤre lieber
gar nicht erfunden worden! Solche romantiſche Ver¬
liebte — und das iſt die adliche Dame gewiß ſammt
der alten Tante und dem Rechtsfreund und ſeiner
Kammerjungfer — die machen zuſammen an einem
Morgen mehr dumme Streiche als ein geſetzter Autor
im letzten Kapitel jemals wieder gut machen kann! —
Da hatte er nun eben recht das Kapitel der Frau
Amtmannin getroffen. Sie nickte ihm freundlich zu,
klagte uͤber den jetzigen Leichtſinn der Jugend und
ſchob alles auf die Poeſie. Fortunat ſtimmte ihr in
ſeiner Noth gern bei und hetzte noch immer mehr ge¬
gen die Poeten. Der Foͤrſter aber, nachdem er end¬
lich alles begriffen, ſaß waͤhrenddeß wie in Konvulſio¬
nen des heftigſten Nachdenkens, bald ſtarrte er in den
Himmel, bald wieder in die dicken Tabackswolken vor
ſich hin. — Topp, Sie iſt's, rief er ploͤtzlich aufſprin¬
gend aus und ſchlug mit der Hand auf den Tiſch, daß
die Glaͤſer klirrten. Wer?! — wandte ſich Fortunat
erſchrocken herum. Ueber den Laͤrm war Fiametta aus
dem Schlafe aufgefahren, Florentine ſah ihr wieder
ſcharf in die vertraͤumten Augen — es hing alles an
einem Haar.
Aber der Foͤrſter legte ſchnell die Pfeife hin und
ſetzte martialiſch ſeinen dreieckigen Hut auf. Jetzt
kommt nur mit, ſagte er, alle, die ihr hier ſeyd, zur
Muͤhle dort am Wald, aber ſogleich, damit wir die
Voͤgel noch im Neſt erwiſchen. — Fortunat athmete
wieder leichter auf. — Vergebens drang man nun in
den Geheimnißvollen, ſich naͤher zu erklaͤren. Ich
will die alte Tante ſeyn, ſagte er nur, wenn ich euch
nicht das Fraͤulein ſchaffe, und ſollte ſie wie ein Eich¬
hoͤrnchen von Baum zu Baum ſpringen. — Die Amt¬
mannin mochte von dem Abenteuer nichts wiſſen und
blieb mit Florentinen zuruͤck, die Andern aber wander¬
ten erwartungsvoll dem Walde zu. In dem allgemei¬
nen Aufruhr konnte Fortunat durchaus keinen Augen¬
blick gewinnen, Waltern auf die Seite zu nehmen, ſo
oft er ihm auch heimlich zuwinkte.
Nach einem kurzen Gange erblickten ſie die Muͤhle
in einer einſamen Waldſchlucht. Von einem Berges¬
hange tief verſchattet, war in dem kuͤhlen Grunde
kaum noch der Tag angebrochen, die Voͤgel erwachten
eben erſt in dem ſtillen Gaͤrtchen, nur die Tauben
ſchimmerten vom Dach, das ſchon von der Morgen¬
ſonne beleuchtet war. Hier vertheilte der Foͤrſter ſeine
Begleiter vorſichtig an allen Ausgaͤngen, und gebot
ihnen ſich ſtill zu halten, er ſelbſt aber ging eilig in
die Muͤhle. Da ſahen ſie, wie ſich im Hauſe ein
Dachfenſter halb und leiſe oͤffnete, ſie glaubten oben
ein junges Maͤdchen zu bemerken, das bei ihrem An¬
blick ſchnell den Laden wieder zuſchlug. Was iſt denn
das? — fluͤſterte Fiametta aͤngſtlich Fortunaten zu. —
Ich glaube, erwiederte dieſer, der ganze Morgen iſt
toll geworden und ſpiegelt unſere eigne Geſchichte naͤr¬
riſch in der Luft. — Jetzt entſtand ein Tumult im
Hauſe, der Waldbach ſtuͤrzte ploͤtzlich brauſend uͤber
das Muͤhlrad, zwiſchen dem Rauſchen hoͤrten ſie ren¬
nen, klappen und zanken. Auf einmal ſprang die
Hausthuͤr auf und der Foͤrſter trat mit triumphiren¬
dem Anſtande hervor, er fuͤhrte feierlich eine fremde,
wohlgekleidete Dame am Arm, der Morgenwind ſchlug
ihren gruͤnen Schleier zuruͤck und zeigte ein junges,
ſchoͤnes Geſicht. — Da beſann ſich Fortunat nicht
lange. Welche Ueberraſchung, mein Fraͤulein! — rief
er ſchnell hinzuſpringend aus — als ich das Gluͤck
hatte, Sie bei Ihrer verehrungswuͤrdigen Tante zu
ſehen, wer haͤtte da an dieſe verwuͤnſchte Muͤhle
gedacht! Ich bedaure nur, wenn dieſer vorwitzige
Morgenwind zu fruͤh den Schleier geluͤftet und das
harte Gebirg manchen Stein des Anſtoßes — Nun
war auch Fiametta dazugekommen und druͤckte die
Hand der Dame zaͤrtlich an ihr Herz. Himmli¬
ſches Maͤdchen, ſagte ſie, und das alles um mich! —
Aber wie war es moͤglich? wie erfuhrſt du, wo ich
Ungluͤcklicher umherſchweife? Ja, laͤugne nur nicht
laͤnger, ich weiß es ja doch, du Liebe, Arme! um
mich verließeſt du Schloß und Tante — o es geht
mir alles wie ein Muͤhlrad im Kopfe herum! — Die
Dame ſah in hoͤchſter Verwirrung bald den einen,
bald den andern an, und wußte nicht, was ſie erwie¬
dern ſollte. Die beiden ließen ſie aber nicht mehr los,
ſie fuͤhrten ſie in ihrer Mitte ſo raſch der Amtmanns¬
wohnung zu, daß die Andern kaum folgen konnten,
dabei ſprachen ſie unterwegs oft heimlich unter einan¬
der. Walter war ganz verdutzt, auch der Amtmann
ſchuͤttelte bedenklich den Kopf, der Foͤrſter aber ſchimpfte
voller Zorn. So eine ſchoͤne Dame, ſagte er, und
einem ſolchen welſchen Milchbart nachzulaufen, dem
die Eierſchaalen noch am Schnabel haͤngen! Da iſt
keine Gerechtigkeit in dem Handel, eben ſo gut koͤnnte
ſich der Herr Amtmann da in mich verlieben. Dann
pfiff er mit großem Laͤrm auf dem Finger nach ſeinen
Hunden, warf die Buͤchſe auf den Ruͤcken und ſchritt
ohne Abſchied in den Wald.
Unterdeß waren die Andern zu Hauſe angelangt,
wo Fiametta ſehr froͤhlich den erſtaunten Frauen ihre
unverhofft wiedergefundene Freundin vorſtellte. Walter
wollte folgen, aber Fortunat faßte ihn am Arm und
fuͤhrte ihn raſch in den Garten hinein. Nun hilf aus
der Konfuſion! rief er aus, da ſie allein waren, denn
die gefangene Dame iſt eigentlich die Kammerjungfer
meines Vetters, und mein Vetter iſt meine Geliebte,
und meine Liebſte iſt die entſprungene Nichte der alten
Tante. Er erzaͤhlte nun kurz den ganzen Hergang der
Sache, und wie die Kammerjungfer, ploͤtzlich ſo ver¬
laſſen in der Fremde, heimlich ihre Spur im Gebirge
verfolgt und geſtern Abends — was der Foͤrſter zufaͤl¬
lig erfahren haben muͤſſe — in der Waldmuͤhle einge¬
kehrt ſey, um erſt das Terrain auszuforſchen und ſich
des Morgens auf eine geſchickte Art wieder mit ihnen
zu vereinigen. —
Als er geendigt hatte, huͤllte er ſich in ſich ſelbſt,
um den Hagelſchauer freundſchaftlicher Vorwuͤrfe ge¬
duldig abzuwarten. Walter aber, aus ſeiner einfoͤr¬
migen Einſamkeit ſo auf einmal mitten in das roman¬
tiſchſte Abenteuer mit hineingeworfen, rief zu ſeinem
Erſtaunen: Deine kleine Marcheſin will ich mit Gut
und Blut wie meinen Augapfel beſchuͤtzen, und rannte
dann voll Begeiſterung ſogleich nach dem Hauſe zu.
Unterwegs begegnete ihnen Florentine und fragte, was
ſie vorhaͤtten? Walter in ſeiner Freude erwiſchte ſie
bloß beim Kopf, kuͤßte ſie tuͤchtig ab und wollte wei¬
ter. Aber ſie hielt ihn feſt. Thut mir nur nicht ſo
wichtig und geheimnißvoll, ſagte ſie, merkt' ich's doch
laͤngſt! — Walter ſah ſie groß an. — Dieſer Herr
Vetter aus Italien — fuhr ſie fort — wie er ſich
gleich Anfangs vorſichtig auf den Stuhl ſetzte, als
wollt' er ſich die Roͤcke nicht zerknittern — ſein Gang,
die Stimme — dann — hier ſtockte ſie ploͤtzlich —
Nun? fragte Fortunat. — Dann ſah er Sie einmal
lange, lange an, als Sie eben mit den Andern ſpra¬
chen und Niemand Acht gab. — Jetzt ſtanden ſie
eben auf einer freien Anhoͤhe. Jenſeits von den Wald¬
bergen leuchtete die alte Burg in der Morgenſonne
heruͤber, wo Florentine ihm auf jener Spazierfahrt
einmal fluͤchtig einen Kuß gegeben hatte — ſie dachten
beide daran. Die ſchoͤne Frau ſchlug verwirrt und
erroͤthend die Augen nieder — dann reichte ſie ihm
freundlich laͤchelnd ihre Hand, in die er recht herzlich
einſchlug. Waͤhrenddeß ging Walter eifrig auf und
nieder und zerbrach ſich den Kopf. Waͤr' nur der
fremde Herr nicht, der euch verfolgt! rief er aͤrgerlich
aus. — Ei was! entgegnete Fortunat luſtig, ich hab'
das Maͤdchen und er die Tante, laß ihn die heirathen!
Sie ſetzten ſich nun auf die Bank unter der Linde
und berathſchlagten mit einander, was jetzt zunaͤchſt
zu thun ſey. Nach vielem Hin- und Herſinnen wurde
endlich einmuͤthig beſchloſſen, vor dem Foͤrſter und den
Andern das einmal eingeleitete Mißverſtaͤndniß zu be¬
nutzen und die Kammerjungfer fuͤr die entflohene Ge¬
liebte des Vetters auszugeben, beide aber einſtweilen im
Hauſe zu verwahren. Fortunat dagegen ſollte ſchleunigſt
zu der Tante aufbrechen und dort, bevor er ihr den Auf¬
enthalt Fiametta's entdeckte, nach den Umſtaͤnden alles
ſelbſt vorſichtig in's rechte Geleis zu bringen ſuchen.
Du haſt Rang, Vermoͤgen, ſagte Walter, und biſt
eine ſo gute Partie fuͤr die Marcheſin, als irgend eine
im Lande, es muͤßte wahrlich mit dem Eigenſinn eines
Romanſchreibers zugehen, wenn ihr euch zuletzt nicht
noch kriegtet.
Waͤhrenddeß hoͤrten ſie Fiametta im Hauſe luſtig
plaudern und lachen. Der Foͤrſter, den ſie weit im
Walde waͤhnten, hatte naͤmlich ſorgfaͤltig ſeinen neuen
Frack und eine lange, weiße Buſenkrauſe angelegt, und
wandelte unter allerlei aus der Luft gegriffenen Vor¬
waͤnden um das Haus, den Hals nach den oberen
Fenſtern verdrehend. Ich glaube wahrhaftig, ſagte die
Amtmannin, der alte Narr iſt in das gnaͤdige Fraͤu¬
lein geſchoſſen. Fiametta aber hatte geſchwind die
Kammerjungfer beredet, an's offene Fenſter zu treten,
warf ihr einen großen Shawl um, und fing hinter
derſelben an zu agiren, und den Foͤrſter anzureden, in¬
dem ſie ihm geruͤhrt fuͤr ſeine Muͤhwaltung dankte,
wodurch er ein von der Tarantel der Liebe gebiſſenes
Herz ſo fruͤhzeitig von den Holzwegen des Leichtſinns
zuruͤckgefuͤhrt. — Als er nun ſeinerſeits ſich anſchickte,
verbindlich zu antworten, konnte ſie vor Lachen nicht
weiter, winkte ihn geheimnißvoll fort, als ob ſie be¬
lauſcht wuͤrden, und ſchlug ſchnell das Fenſter wieder
zu. — Florentine ſchuͤttelte bedenklich den Kopf und
konnte ſich durchaus in das buntfarbige Weſen nicht
finden.
Fiametta aber, da die Maͤnner ihr jetzt ihren
Plan mittheilten, war von der Ausſicht einer endli¬
chen, baldigen Entſcheidung ihres verwickelten Liebes¬
handels wie berauſcht. Und als nun Florentine noch
in aller Eile anfing Kuchen zu backen, die ſie morgen
Fortunaten auf die Reiſe mitgeben wollten, half ſie
ihr mit großer Geſchaͤftigkeit und naſchte die ſchoͤnſten
Roſinen weg. Zuletzt aber, da ſie ſelbſt den Teig
angefaßt, mußte auf ihr klaͤgliches Geſchrei alles zu
Huͤlfe eilen, um ihre Finger wieder rein zu machen. —
Nun ließ ſie das Backen ganz und gar, und zeigte
Fortunaten die Wohnung, die ſie ihr oben angewieſen
hatten. Es war die ſchoͤnſte Stube im ganzen Hauſe,
ſie lag nach dem Walde zu, der durch alle Fenſter
hereinſah. Da ging es nun luſtig an's Einpacken fuͤr
morgen, die Voͤgel ſangen draußen in den Wipfeln,
Fiametta kniete in der gruͤnen Daͤmmerung vor For¬
tunats Felleiſen und plauderte vergnuͤgt von den ſchoͤ¬
nen Bergen, uͤber die er kommen wuͤrde, von dem
praͤchtigen Schloß und dem Garten der Tante, dabei
packte ſie heimlich allerlei Kleinigkeiten von ſich unter
ſeine Waͤſche und wurde uͤber und uͤber roth, als er's
bemerkte.
So war unter munteren Verabredungen und Vor¬
bereitungen der Tag verfloſſen. Walter hatte, die
Muͤdigkeit ſeiner Gaͤſte vorſchuͤtzend, fuͤr den Abend
jeden Beſuch entfernt gehalten, die Hausgenoſſen ſelbſt,
nach der halbdurchwachten Nacht, waren ſchon fruͤh
zur Ruh gegangen. Nur Fortunat und Fiametta
ſaßen noch vor der Hausthuͤr und hoͤrten zu, wie die
Maͤdchen unten im Dorf vor dem Johannesbilde und
die Heimchen von der fernen Wieſe ſangen. Fiametta
ſaß zu ſeinen Fuͤßen im Gras, ſie hatte die Guitarre
auf ihren Knieen und ſah ſtill in die mondbeſchienene
Gegend hinaus, er hatte ſie noch nie ſo nachdenklich
geſehen. — Da erklang auf einmal weiter oben ein
Waldhorn. Es war der verliebte Foͤrſter, der den
Herrſchaften ein Staͤndchen blies. Und als nun all¬
maͤhlich Waldhorn und Johanneslieder verklangen und
alles ſtill geworden war im Hauſe und im Thal, da
nahm Fiametta ihre Guitarre und ſang:
Es ſchienen ſo golden die Sterne,
Am Fenſter ich einſam ſtand
Und hoͤrte aus weiter Ferne
Ein Poſthorn im ſtillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreiſen koͤnnte
In der praͤchtigen Sommernacht!
Zwei junge Geſellen gingen
Voruͤber am Bergeshang,
Ich hoͤrte im Wandern ſie ſingen
Die ſtille Gegend entlang:
Von ſchwindelnden Felſenſchluͤften,
Wo die Waͤlder rauſchen ſo ſacht,
Von Quellen, die von den Kluͤften
Sich ſtuͤrzen in die Waldesnacht.
Sie ſangen von Marmorbildern,
Von Gaͤrten, die uͤber'm Geſtein
In daͤmmernden Lauben verwildern,
Palaͤſten im Mondenſchein,
Wo die Maͤdchen am Fenſter lauſchen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verſchlafen rauſchen
In der praͤchtigen Sommernacht. —
Fiametta legte die Guitarre ſchnell weg, verbarg
ihr Geſicht an Fortunats Knieen, und weinte bitter¬
lich. — Wir reiſen wieder hin? fluͤſterte ihr Fortunat
zu. Da hob ſie das Koͤpfchen und ſah ihn groß an.
Nein, ſagte ſie, betruͤg' mich nicht! —
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Zur Mittagszeit des folgenden Tages war Fortu¬
nat auf ſeiner Reiſe ſchon fern von Hohenſtein und
raſtete eben vor der Thuͤr einer Dorfſchenke. Die
Bienen ſummten in der bluͤhenden Linde am Haus,
vor ihm uͤber den niedrigen Zaͤunen und Gaͤrten be¬
zeichnete ein blauer Duftſtreif kaum noch die Berge,
wo er ſein Liebchen zuruͤckgelaſſen. Ein Maͤdchen mit
friſchen Augen brachte Wein und Brot heraus, ſtutzte
aber, da ſie ihn erblickte, und ſprang ſchnell wieder in
das Haus zuruͤck. Drin hoͤrte er ſie lebhaft reden
und zu ſeinem Erſtaunen ſeine Haare, Rock und Stie¬
feln ausfuͤhrlich beſchreiben. Nun trat auch der Wirth
heraus, nickte ihr zu, und Fortunat erfuhr endlich, daß
vor Kurzem zwei fremde Herren zu Pferde hier nach
einem Reiter von ſeinem Ausſehen ſich angelegentlich
erkundigt und dann ſehr eilig, der eine dieſe, der andere
23
jene Straße eingeſchlagen haͤtten. Vergebens fragte
er nach Namen und naͤheren Kennzeichen, er konnte
aus der konfuſen Perſonbeſchreibung durchaus nicht
klug werden, die eine haͤtte gar beinah auf Waltern
gepaßt. — Ihr fangt mich doch nicht! dachte er, als
es ihm ploͤtzlich auf's Herz fiel, daß er jedenfalls frei¬
willig und aus eigenem Entſchluß vor Fiametta's
Tante erſcheinen muͤſſe, wenn ſein ganzer Plan nicht
ſcheitern ſollte. — In dieſer Unruhe trank er noch
raſch des Wirths Geſundheit, ſchwang ſich wieder auf
ſein Pferd und ſprengte durch's Dorf den fremden
Herren nach. Draußen aber nahm er ſogleich die ent¬
gegengeſetzte Richtung und athmete erſt wieder frei
auf, als ein Bauer im Felde ihm einen naͤheren Holz¬
weg gerade durch's Gebirge bezeichnete, auf dem er
jene Reiter zu vermeiden, ihnen wohl gar zuvorzukom¬
men hoffen durfte.
Die Luft war ſchwuͤl, er ritt lange am Rande
eines waldigen Bergruͤckens fort, an einſamen Kluͤften
und melancholiſchen Thaͤlern voruͤber. Auf einmal
leuchtete ſeitwaͤrts ein luſtiger Grund zwiſchen den
Baͤumen herauf: rothe Ziegeldaͤcher und Gaͤrtchen im
ſchillernden Sonnenſchein an den Felſen haͤngend, unten
ein glitzernder Bach mit badenden Kindern und auf
der Wieſe daneben froͤhlich Getuͤmmel der Heuaͤrndte,
Lachen und das Klirren der Senſen dazwiſchen. Und
wie er noch ſo freudig uͤberraſcht hinabſchaut, erſchallt
jenſeits ploͤtzlich ein Peitſchenknall, und um die Wald¬
ecke herum fliegt ein ſchoͤner Reiſewagen uͤber die glaͤn¬
zende Landſchaft. Eine Dame beugt ſich aus dem
Wagen — Fortunat faͤhrt erſchrocken zuſammen, es
iſt offenbar Fiametta, aber in Frauenkleidern, luſtig
ſchwatzend mit einem Unbekannten, der neben dem
Schlage reitet. Jetzt ſenkt ſich der Weg ploͤtzlich wie¬
der in den Wald und zwiſchen den dunklen Tannen
iſt alles verſchwunden und verklungen.
Fortunat ſtand wie verſteinert, im erſten Augen¬
blick kam ihm Fiametta faſt wie ein lieblicher Kobold
vor, der neckend durch's Gebirge ſtreifte. Dann dachte
er ſie ſich wieder in Hohenſtein entdeckt und mit roher
Gewalt fortgefuͤhrt; aber wie konnte ſie dann noch ſo
froͤhlich plaudern! — er war ganz verwirrt. — So
lenkte er raſch auf einem Fußſteig den Berg hinab,
uͤber die Wieſe dem Hohlweg zu, wo die Erſcheinung
verſunken. Bald theilten ſich die Wege, auf dem einen
glaubte er eine friſche Wagenſpur zu bemerken und
ſetzte munter die Sporen ein.
Aber je weiter er kam, je wilder und einſamer
wurde die Gegend. Sie konnten auf dem ſteinigen
Wege unmoͤglich ſo raſch gefahren ſeyn, als er ritt.
Oft hielt er lauſchend ſtill, da glaubte er einmal wie¬
der ihre Stimme zu hoͤren, es war nur der fremde
Schall eines Waldvogels aus der Ferne. Er ſang
laut alle Lieder, die er wußte, dann horchte er wieder,
23 *
und lachte und ſchimpfte und ritt immer ſchneller fort,
bis er zuletzt mit Entſetzen bemerkte, daß ein Unwet¬
ter raſch im Anzuge war, um die Verwirrung voll¬
kommen zu machen. Schon durchkreuzten Moͤwen mit
ihren weißen ſpitzigen Fluͤgeln pfeilſchnell die ſchwuͤle
Stille. Vergeblich blickte er nach einem Obdach um¬
her, nicht einmal der Klang einer Holzaxt ließ ſich im
Walde vernehmen. Nur einzelne Nebelgeſtalten ſtiegen
nun langſam aus den Kluͤften empor, und ſetzten ſich
mit ihren langen, grauen Gewaͤndern in die Wipfel
der Tannen, uͤber dem Berge vor ihm aber hatte das
Gewitter allmaͤhlich ſein bleifarbenes Dunkel ausge¬
breitet, in das die Mauerſpitzen einer Ruine faſt
grauenhaft hineinragten. —
Indem er noch ſo zoͤgernd ſtand und unentſchloſſen,
wohin er ſich wenden ſollte, hoͤrte er auf einmal den
Schall einer Glocke weit aus der Hoͤhe heruͤberklingen.
O du goͤttlicher Aberglaube! rief er freudig aus, was
ſind alle Blitzableiter der Welt gegen dieſen troͤſtlichen
Klang, der wie ein ſingender Engel mit gefalteten
Haͤnden uͤber die Waͤlder zieht und die Wetter wendet.
Ja, die Erde iſt noch immer voll ſchoͤner Wunder, wir
beachten ſie nur nicht mehr! — Er folgte nun eilig
den Klaͤngen, die bald ſchwaͤcher, bald deutlicher durch
den Gewitterwind von dem Berge herabzukommen
ſchienen, wo er vorhin die Ruine erblickt. Ein wild¬
verwachſener, wenig betretener Fußſteig ſchlang ſich
zwiſchen den Klippen gerade in der Richtung hinauf.
Der Pfad wurde immer enger und ſteiler, bald hoͤrte
er auch die Glocke nicht mehr, er mußte endlich abſtei¬
gen und, ſein Pferd am Zuͤgel faſſend, muͤhſam von
Stein zu Stein hinanklimmen. Manchmal wendete
er ſich raſtend zuruͤck und ſah durch die Wolkenriſſe
tief unten die Landſchaft voruͤberfliegen.
So war es voͤllig Nacht geworden, als er athem¬
los droben in's Freie trat. Ein Licht ſchimmerte ihm
aus der Ferne freundlich entgegen; indem er darauf
losging, glaubte er im Dunkel ein großes Schloß zu
erkennen mit Thuͤrmen, Zinnen und wunderlichen Er¬
kern. Dann, je naͤher er kam, verwandelte ſich all¬
maͤhlich alles wieder, es war wildumhergeworfenes
Geſtein und phantaſtiſche Baumgruppen, was ihm ſo
praͤchtig erſchienen, und voll Erſtaunen ſtand er auf
einmal vor einer Einſiedler-Klauſe, halb in den Fel¬
ſen gehauen, ein Thuͤrmchen mit einer Glocke daruͤber.
Eine Lampe von der Decke warf ungewiß flackernde
Scheine uͤber die leeren Waͤnde und den hoͤlzernen
Tiſch und Stuhl in der Mitte. Ploͤtzlich fuhr ſein
Pferd ſchnaubend zuſammen, aus einem Winkel der
Halle blinkte ihnen ein hochaufgerichtetes, weißes Tod¬
tengeripp entgegen. — Schauerlicher Geſell! ſagte For¬
tunat, biſt du der Einſiedler hier und ziehſt bei Nacht
heimlich die Glocke? — Er rief nun laut nach allen
Seiten, aber nur ſeine eigene Stimme gab zwiſchen
den Kluͤften Antwort. Da faßt' er ſich ein Herz,
band ſein Pferd vor der Huͤtte an und trat hinein.
Er fand ſie wohnlicher, als er erwartet hatte.
Ein großes Buch lag auf dem Tiſch, er ſchlug es auf,
es war ein altes Brevier, zu ſeiner Verwunderung
fand er eine kurze ungriſche Tabackspfeife drin als
Zeichen eingelegt. Nun, die Todten ſchmauchen doch
nicht, dachte er, und ſpaͤhte eifriger umher. Da ent¬
deckte er in einer Ecke einen Vorrath koͤſtlichen Heues,
weiterhin auch einen vollen Weinkrug und Glaͤſer da¬
neben. Erfreut uͤber den unverhofften Fund zaͤumte er
vor allem ſein muͤdes Pferd ab und verſah es reichlich
mit Futter. Das ungewohnte Handthieren in dieſer
Abgeſchiedenheit, das Brauſen der Wipfel, die ganze
unerhoͤrte Lage, in der er ſich hier befand, verſetzte
ihn in eine ſeltſame Heiterkeit. Gute Nacht! rief er
froͤhlich vom Berge hinab, wie hat der Herr nun alles
untergetaucht in den wunderbaren Strom der Traͤume!
Was iſt das fuͤr ein Traumlied in den Waͤldern,
gleichwie die Saiten einer Harfe, die der Finger Got¬
tes geſtreift. Wahrlich, wen Gott lieb hat, den ſtellt
er einmal uͤber allen Plunder auf die einſame Zinne
der Nacht, daß er nichts als die Glocken von der
Erde und vom Jenſeits zuſammenſchlagen hoͤrt und
ſchauernd nicht weiß, ob es Abend bedeute oder ſchon
Morgen. —
Darauf ſetzte ſich Fortunat zufrieden vor die
Klauſe, doch ſo, daß er ſeitwaͤrts die eine Wand im
Auge behielt; er traute dem duͤrren Geſellen im Win¬
kel doch nicht recht, daß er ſich nicht unverſehens er¬
huͤbe und murmelnd am Tiſch aus dem Buche zu leſen
anfing. Draußen aber war es ſo endlos ſtill, er hoͤrte
nur manchmal das Schnauben des Pferdes und den
Schrei des Wildes tiefer im Wald, vor ihm ſtreiften
durchſichtige Wolken geſpenſterhaft-leiſe den Raſen wie
Schleppen fliehender Feen.
In dieſer Einſamkeit uͤberwaͤltigte endlich der
Schlaf den Erſchoͤpften, und als er mitten in der
Nacht ploͤtzlich wieder aufwachte, waren die Wetter
unterdeß verzogen, der Mond ſchien praͤchtig uͤber die
Waͤlder. Da war's ihm, als hoͤrte er in einiger Ent¬
fernung zwei Maͤnner eifrig mit einander ſprechen, und
im zitternden Mondlicht unter den Baͤumen bemerkte
er einen rieſengroßen Moͤnch, der mit einem Unbe¬
kannten ſchnell durch den Wald fort ging. Vor dem
Rauſchen der Wipfel konnte er nur einzelne abgebro¬
chene Laute vernehmen, er hoͤrte aber deutlich, wie ſie
im Geſpraͤch mehrmals ſeinen und Fiametta's Namen
nannten. — Traͤume ich denn, oder traͤumt dieſe
phantaſtiſche Nacht von mir? — rief er erſchrocken
aufſpringend aus, aber die Stimmen waren ſchon
weit, und auf der ſtillen Hoͤh', wo ſie ſich endlich im
Dunkel ganz verloren hatten, ſah er nun ploͤtzlich eine
Fackel aufleuchten. Mehrere dunkle Geſtalten folgten,
ſie trugen lautlos einen Sarg. Die rothen Wider¬
ſcheine ſchweiften wunderbar zwiſchen den Tannen uͤber
ein Felſenthor, in welchem auf einmal alles wieder
verſchwand. — Da war's ihm, als truͤgen ſie Fia¬
metta fort, er ſtuͤrzte haſtig nach in den Wald. Aber
vergebens ſuchte er einen Steg durch die Wildniß, in
der flimmernden Daͤmmerung des Mondſcheins ſtarr¬
ten ihm uͤberall zackige Kluͤfte entgegen, er mußte wie¬
der umkehren. Nur zu, ſagte er ganz verſtoͤrt, nur
immer zu! der Spuk und die Nacht muͤſſen doch ein¬
mal ein Ende nehmen! — Dann lehnte er ſich uͤber
den Hals ſeines ſchlummernden Pferdes und ſtarrte
gedankenvoll in die weite Einſamkeit hinaus.
So hatte er lange, halb im Traume geſtanden,
als er auf einmal von fern den luſtigen Schrei eines
Waldvogels zu hoͤren glaubte. Erfreut blickte er um¬
her, da ſchweifte wirklich ſchon ein ungewiſſer Mor¬
genſchein leiſe uͤber den Himmel, wie ein Hauch uͤber
den Spiegel, ſeitwaͤrts, als er ſich bewegte, fuhr ein
Reh auf und flog ſcheu durch die Daͤmmerung. Nun
dacht' er dran, daß heute Sonntag war. Da rannte
er ſchnell in die Klauſe. Schau nicht ſo graͤmlich in
dieſer gnadenreichen Stunde, rief er dem knoͤchernen
Klausner zu, jetzt iſt's ja licht und alles, alles wieder
gut! Dann zog er froͤhlich die Glocke, als wollt' er
den Tag anbrechen, und das Herz wurde ihm ſtill und
weit, als der Schall ſo hell durch die Waldesnacht
ging, er hatte ſchon lange nicht ſo fromm in Gedan¬
ken gebetet.
Jetzt fiel ihm erſt ein, daß der Glockenklang wohl
die raͤthſelhaften Nachtwandler herbeigelockt haben
koͤnnte. Er trat hinaus, und ſpaͤhte nach allen Sei¬
ten umher. Aber es ruͤhrte ſich nichts, der Wind
hatte die Klaͤnge nach den Thaͤlern geweht, die noch
im tiefen Schatten lagen. Auf dem Gipfel des Ber¬
ges aber, an deſſen Lehne die Klauſe ſich befand, be¬
merkte er jetzt im falben Zwielicht die Mauer¬
truͤmmer wieder, die er geſtern aus dem Thale geſe¬
hen. Dort zogen ſie hinauf, dachte er, und ſchwang
ſich eilig auf ſein Pferd. Bald hatte er nun auch den
verſchlungenen Pfad und das Felſenthor entdeckt, das
von der andern Seite nach der Hoͤhe fuͤhrte, und ver¬
folgte unterdeſſen die Spur, um droben, wo moͤglich,
naͤhere Auskunft uͤber die Vorgaͤnge der Nacht und
die einzuſchlagende Reiſerichtung zu erhalten.
So ritt er wohlgemuth in den wachſenden Mor¬
gen hinein, auf dem Berge vor ihm trat allmaͤhlich
das alte Gemaͤuer immer deutlicher zwiſchen den Tan¬
nen hervor. Schon unterſchied er eine halbverfallene
Kirche, leere Fenſterbogen und einzelnſtehende Pfeiler,
von Epheu uͤppig umrankt, Ziegen kletterten in der
gruͤnen Wildniß, alles von der Morgenſonne wunder¬
bar beleuchtet. Da erſchien auf einmal ein hoher,
ſchlanker Jaͤger auf der Wand, der Morgen funkelte
gluthroth daruͤber, es war, als ſtuͤnd' er ganz im
Feuer. Auf ſeine Buͤchſe gelehnt, ſchaute er von der
andern Seite in die Thaͤler hinab, er hoͤrte ihn oben
ſingen:
Hier ſteh' ich wie auf treuer Wacht,
Vergangen iſt die dunkle Nacht,
Wie blitzt nun auf der Laͤnder Pracht!
Du ſchoͤne Welt, nimm dich in Acht!
Jetzt wandt' er ſich herum — es war Lotha¬
rio! Auch er hatte nun den Ankommenden bemerkt,
ſprang raſch herab, und die beiden Freunde lagen ein¬
ander in den Armen. Der wilde Jaͤger ſah bleich,
gebraͤunt und dennoch ſchoͤner aus, als ehemals, For¬
tunat erſchrak faſt vor der wunderbaren Tiefe der dun¬
len Augen, in die er ſo lange nicht geſehen. — Aber
wie kommſt du hier herauf? fragte er endlich auf's
hoͤchſte uͤberraſcht. — Ich ſpiele den letzten Act, erwie¬
derte Jener laͤchelnd, Graͤber, Hochzeit, Gottes gruͤne
Zinnen und die aufgehende Sonne als Schluß-Deco¬
ration. — Hier waren ſie am Gipfel bei den Truͤm¬
mern angelangt, er band Fortunats Pferd an einen
Baum. Laß unterdeß hier alles ſtehen, und komm
nur ſchnell mit mir. — Du biſt nicht allein hier oben,
meinte Fortunat, wen habt ihr heute Nacht im Wald
begraben? — Den armen Otto. — O Gott! du
froͤhliches Liederherz, ſo fruͤh wie eine Lerche ſingend
aus der Luft zu fallen! mir iſt's, als hoͤrt' ich's noch
im Ohre klingen. — Wohl ihm, entgegnete der Be¬
gleiter, er hatte raſch gelebt und ſtand ſchon muͤd'
und ſchlaftrunken im tiefen Abendroth, dort ruht er aus.
Sie traten durch ein halbverfallenes Bogenthor
auf einen freien gruͤnen Platz, es ſchien ein ehemaliger
Kloſter-Kirchhof zu ſeyn. Ein neues Grab, ſo eben
erſt mit ſchoͤnem Raſen belegt, ſchimmerte ihnen thau¬
friſch entgegen. Ein Moͤnch kniete betend daneben
zwiſchen wilden, bunten Blumen, und Voͤgel flatterten
und ſangen luſtig in dem jungen Gruͤn, das aus allen
Mauerritzen rankte, uͤber die Graͤber aber leuchtete
auf einmal eine unermeßliche, praͤchtige Ausſicht aus
der rauſchenden Tiefe herauf. — Gott gebe jedem
Dichter ſolch ein Grab! rief Fortunat freudig uͤber¬
raſcht.
Bei dem Klang ſeiner Stimme aber hob ſich's
ploͤtzlich unter den Blumen, er ſtand wie im Traum —
es war Fiametta. Iſt er da! rief ſie emporfahrend
aus, ſchuͤttelte die Locken aus dem Geſicht und ſprang
froͤhlich zu ihm. Nun kam zu ſeinem Erſtaunen auch
Walter eilig zwiſchen den Steinen hervor mit einem
Einſiedler und einem Fremden, der Fortunaten mit
den klugen, ſcharfen Augen freundlich betrachtete. Wie
haben wir dich geſucht, rief Walter ſchon von weitem,
wer von uns haͤtte das gedacht! — Aber Fortunat
konnte ſich noch gar nichts denken, er blickte verwirrt
in dem Kreiſe umher. Da glaͤnzten unten die Thaͤler
in der ſchoͤnen Sonntagsſtille und die Morgenglocken
klangen von fern herauf. — Nun lobet alle Gott!
ſagte Lothario, faßte Fortunaten und Fiametta bei
der Hand und fuͤhrte ſie in die alte Kirche neben dem
gruͤnen Platz, die Andern folgten ſchweigend. Der
Moͤnch ſtand ſchon vor dem Altar, zu dem Lothario
ſie brachte. Die Morgenſonne ſchien ſeltſam durch
das hohe, gemalte Bogenfenſter, die Pfeiler waren mit
friſchen Birken verziert, durch die offene Thuͤre rauſch¬
ten die Baͤume herein. Jetzt bemerkte Fortunat erſt,
daß Fiametta feſtlich geſchmuͤckt war und ein Myr¬
thenkraͤnzchen im Haar hatte, er wußte nicht wie ihm
geſchah. Und als nun der Moͤnch ſich zu ihnen wandte
und fragte: ob ſie als getreue Eheleute einander lieben
wollten bis in den Tod, ſagte Fiametta erroͤthend aus
Herzensgrunde: Ja, und er legte ſegnend ihre Haͤnde
zuſammen.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Jungen Eheleuten kommt am Hochzeitsmorgen die
Welt wie verwandelt vor, als waͤre uͤber Nacht alles
ſchoͤner und juͤnger geworden, denn die Erde putzt und
ſpiegelt ſich gern in froͤhlichen Augen. Wie viel luſti¬
ger unſerem Paar, gleich Zugvoͤgeln uͤber der praͤch¬
tigſten Gegend, da war des gruͤnen Waldlebens genug,
ſchattige Gruͤnde, fliegende Schimmer uͤber das Land
und unabſehliche, ſelige Fernen! — Allmaͤhlich erſt
tauchte Fortunaten alles aus dem Morgenglanze auf.
Er erfuhr nun, daß der ſeltſame Lothario Graf Vic¬
tor ſelber war und ſeit geraumer Zeit hier oben als
Vitalis lebe, heiter und ſtreng, ein Einſiedler ohne
Kutte, ein Jaͤger, nach hoͤherem Wild geſtellt. — Jetzt
gab ſich auch jener Fremde als Baron Manfred kund,
denſelben Vetter, der damals Fiametta's Tante auf
ihrem Schloſſe beſucht. Er hatte von ihrer Liebe und
ihrem Heimweh gehoͤrt und fuͤr Fortunaten um ihre
Hand bei der Tante geworben. Als aber darauf die
ſcheue Markeſin vor dem vermeintlich unbekannten
Braͤutigam ſo ploͤtzlich die Flucht ergriffen, verfolgte er
unausgeſetzt ihre Spur bis Hohenſtein, wo er unmit¬
telbar nach Fortunats Abreiſe eintraf. Dort erfuhr
Walter von ihm den ganzen Zuſammenhang, ſo wie
den gegenwaͤrtigen Aufenthalt des Grafen Victor, und
voll Freude waren ſie nun alle noch denſelben Morgen
aufgebrochen, um Fortunaten eiligſt einzuholen. So
hatte alſo Fortunat ſein Liebchen vor ſich ſelber ent¬
fuͤhrt und ein Jeder vor lauter Klugheit die moͤglichſt
groͤßte Konfuſion angerichtet, der liebe Gott aber un¬
verſehens alles wieder geſcheuter gemacht.
Morgen wollten die Gaͤſte wieder weiterziehen.
Unerwartet waren ſie hier auf einer jener Zinnen des
Lebens zuſammengekommen, die immer nur fuͤr wenige
Raum hat — das fuͤhlten ſie wohl. Was hatten die
Freunde nun alles einander zu erzaͤhlen in der kurzen
Zeit, Luſt und Leid, Vergangenes und Kuͤnft'ges!
So war ihnen der Tag in der ſchoͤnen Einſamkeit
ſchnell verfloſſen. Als es aber ſchon wieder abendkuͤhl
wurde, ſaßen ſie alle zuſammen vor der großen Aus¬
ſicht unter den hohen Buchen, welche den Abhang an
der Kloſterruine beſchatteten. Spuren von Kiesgaͤn¬
gen, ſorgfaͤltig mit Buxbaum umzaͤunt, Lauben und
halbzerworfene Raſenbaͤnke bezeichneten ringsumher den
ehemaligen Kloſtergarten, nur einzeln zerſtreute Blu¬
men, wie verlorene Kinder ſchimmerten noch aus der
alten Zeit durch das wuchernde Unkraut. Hier hatte
der geſchaͤftige Einſiedler einen Tiſch gedeckt und Stuͤhle
geſetzt, er ließ es ſich durchaus nicht nehmen, die Herr¬
ſchaften auf's Beſte zu traktiren mit Wein, Obſt, Ho¬
nig und Nuͤſſen, was er nur hatte. Fuͤr Fiametta
aber hatte er einen Kranz von luſtigen Waldnelken
beſorgt. Er blaͤtterte emſig in ſeinem Brevier und
ſchenkte ihr die ſchoͤnſten Heiligenbilder daraus, dabei
ſteckte er ihr immerfort das Beſte von dem Naſchwerk
zu und hatte ſeine herzinnige Freude, wie ſie ſo ſchoͤn
mit dem Kraͤnzlein ausſah und froͤhlich plaudernd die
Nuͤſſe knackte. — Da hoͤrten ſie auf einmal in gerin¬
ger Entfernung einige Saitenklaͤnge. Dacht' ich's doch,
fuhr der Einſiedler auf, da hat er mir doch meine alte
Zitter in der Klauſe aufgeſtoͤbert! — Im Gebuͤſch
aber hoͤrten ſie ſingen:
Wir zogen manchen Wald entlang,
Viel froͤhliche Geſellen,
Und ſalutirten mit Geſang
Die Burgen und die Quellen.
Nun ſang man den zu Grabe ſtill,
Dem ſie zur Hochzeit geigen,
Der andre in den Himmel will
Auf wilden Felſen ſteigen.
Von den einſamen Felſenſteigen
Schau ich in's Land ſo weit,
Da dunkelt und rauſcht's ſo eigen
Von der alten ſchoͤnen Zeit.
Da kriegen wir alle was ab, ſagte Fiametta. —
Nun, nun, wir wollens ihm ſchon zuruͤckzahlen, meinte
der Einſiedler, aber er ſingt eine ſchoͤne Note, es iſt
mir ganz wie in meiner Soldatenzeit, wenn ich ſo
bei ſtiller Nacht mit der Zitter im Bivuac lag. —
Es ſang wieder:
Was das fuͤr ein Gezwitſcher iſt!
Durch's Blau die Schwalben zucken
Und ſchrei'n: „ſie haben ſich gekuͤßt!“
Vom Baum Rothkehlchen gucken.
Der Storch ſtolzirt von Bein zu Bein;
„Da muß ich fiſchen gehen —“
Der Abend wie im Traum darein
Schaut von den ſtillen Hoͤhen.
Und wie im Traum von den Hoͤhen
Seh' ich Nachts meiner Liebſten Haus,
Die Wolken daruͤber gehen
Und loͤſchen die Sterne aus.
Fiametta fluͤſterte wieder: iſt ihm denn ſeine Liebſte
geſtorben? — Ach, das iſt eine dumme Geſchichte mit
ſeiner Amour, erwiederte der Einſiedler, thut mir den
Gefallen und bedauert ihn nicht lange, das will er
nur, ſonſt macht er noch immer mehr Flauſen davon.
Wer iſt's denn? fragte Fiametta. Aber der Spiel¬
mann ſang von neuem:
Im Schloß ihr wohl am Fenſter ſteht
Und herzt euch nach Gefallen,
Der Herbſt ſchon durch die Felder geht,
Da hoͤrt ihr's unten ſchallen.
„ Das klingt ja wie vom Felſenrand
Einſt bei des Klausners Buchen,
Ich glaub', das iſt der Muſikant,
Der kommt zum Kindtaufs-Kuchen.“
Und die Voͤgel zieh'n uͤber die Buchen,
Der Sommer der iſt vorbei,
Ich aber muß wandern und ſuchen,
Wo der ewige Fruͤhling ſey.
Hier entſtand ploͤtzlich ein heftiges Geraͤuſch, und
eh' ſie ſich's verſahen, kam der Saͤnger in haſtiger
Flucht durch Laub und Aeſte geradezu uͤber die alte
Gartenmauer dahergeflogen, daß die loſen Steine hin¬
ter ihm drein kollerten. Fiametta draͤngte ſich ſcheu
an Fortunat, dieſer erkannte zu ſeinem Erſtaunen in
dem Fluͤchtling Dryandern. Der Doctor aber
blickte noch immer wild zuruͤck, ſetzte ſeinen Hut, der
vor Eile ganz ſchief ſaß, auf dem Kopfe zurecht und
ſchimpfte, außer ſich vor Zorn und Schreck, uͤber die
dumme Romantik: kaum betraͤte man das Revier
eines Poeten, ſo ſchoͤſſen verſtorbene Doppelgaͤnger,
gleich wahnſinnigen Pilzen, aus dem unvernuͤnftigen
Boden und ſaͤßen auf den Klippen umher und wackel¬
ten mit den Koͤpfen. — Da erkannte er auf einmal
in Fiametta's Augen das huͤbſche Jaͤgerbuͤrſchchen vom
Donauſchiff, und ſeine ganze Gedankenfolge bekam
dadurch ploͤtzlich einen anderen Zug. Fiametta erroͤ¬
thete und fragte ihn laͤchelnd, ob er ſich noch mit ihr
ſchlagen wolle? Er aber beſann ſich nicht lange.
O, entgegnete er tapfer, ich habe damals auf dem
Schiffe alles recht gut gewußt, und wollte nur die
Damen ein wenig ſchrecken. — Ja, ja, das hat die
Schiffsgeſellſchaft wohl gemerkt, ſagte Fortunat, denn
ſie haben deinen zuruͤckgelaſſenen Hut uͤber der Thuͤr
des Wirthshauſes angenagelt zum ewigen Gedaͤchtniß
eines verwegenen Duellanten, der vor Zorn und Wuth
ploͤtzlich die Verſchwindſucht bekommen.
Unterdeß hatte der Einſiedler das Gebuͤſch hinter
der Mauer unterſucht und kam nun mit großem Ge¬
laͤchter zuruͤck. Gerade in dem wildverwachſenen Ver¬
ſteck, wo Dryander das Staͤndchen gebracht, befand
ſich der zertruͤmmerte Eingang zur Kloſtergruft; dort
24
ſaß ſeit alter Zeit ein Todtengerippe, wie ein Waͤchter
zwiſchen den Steinen, dem der Einſiedler, als er vor¬
hin Tiſch und Stuͤhle abraͤumte, in der Eile des Doc¬
tors Schlafpelz umgehangen. Mitten im Geſange
nun ſich umwendend, hatte Dryander ploͤtzlich ſich ſelbſt
zu erblicken geglaubt und ſo mit groͤßter Behendigkeit
die Flucht ergriffen.
Jetzt erfuhr Fortunat auch, daß der Doctor ſchon
ſeit laͤngerer Zeit in einem angeblichen Bußanfall bei
dem Einſiedler ſich aufgehalten, der ihm ſehr gut war
und immer tauſend Spaß und Haͤndel hatte mit dem
kurioſen Geſellen. Heut noch vor Tagesanbruch aber
war Dryander gleichfalls voll Eifer ausgezogen, um
Fortunaten aufzuſuchen, ohne in ſeiner Zerſtreuung
vorher erſt die Braut zu betrachten. Unterwegs aber
hatte er bald die ganze Geſchichte wieder vergeſſen,
und ſchlenderte wohlgemuth nach dem naͤchſten Staͤdt¬
chen, wo er ſich im Gaſthauſe tuͤchtig reſtaurirte. Das
gefiel ihm ſo wohl, daß er unverzuͤglich einen großen
Einkauf an Wein, Braten und Kuchen machte und
einen Burſchen zum Tragen miethete, der ſo eben zu
allgemeinem Ergoͤtzen aus ſeinem Korbe den Markt
hervorlangte und ſich dann ermuͤdet neben ſie ins Gras
ſetzte.
Wer Dryandern genau kannte, konnte bald be¬
merken, daß er ſich wieder einmal in jener phantaſti¬
ſchen Faſelei befand, wo er ſich und Andere uͤberre¬
dete, ganz beſonders ungluͤcklich zu ſeyn. Victor ſah
ihn ſcharf an. Nun beichte nur gleich, ſagte er, was
iſt wieder paſſirt? — Der Doctor zoͤgerte erſt, dann
begann er mit einer gewiſſen, weichen Feierlichkeit:
Ihr wißt alle, daß meine liebe kleine Frau mich ver¬
laſſen. — Sie mußte wohl, fiel ihm Victor in's
Wort, du wollteſt ihre geſunde, herbe, klare Proſa
durchaus auf die poetiſche Lyra ſpannen, was Wun¬
der, wenn endlich die Saite ſprang! — Und einem
Huſaren-Lieutenant an den Schnurrbart flog, ſagte
der Doctor aͤrgerlich uͤber die Unterbrechung. Kurz, ich
wußte wohl ein Jahr lang nicht, wohin ſie gekommen.
Heute nun, als ich mit dieſem guten Jungen da ſo
eben zu den Bergen zuruͤckkehren will, ſehen wir ein
rothes Ziegeldach durch's Gruͤn ſchimmern. Wir tra¬
ten naͤher, da ſteht ein Brunnen unter einem bluͤhen¬
den Apfelbaum, die Bienen ſummen drin in der ſchwuͤ¬
len Mittagſtille, an dem Brunnen aber ſitzt ein jun¬
ges Weib, ihr Kindlein auf dem Arm — es war
mein liebes Trudchen. Gott gruͤß' dich, ſchoͤne Frau,
ſag' ich, und bitt' um einen friſchen Trunk. Da blickt
ſie erſchrocken auf — ſie kannte mich nicht mehr. —
Nein, Herr, fiel hier der Burſch mit dem Korbe ein,
ſie erkannte Euch gleich und ſchrie: Herr Je, Fritz,
komm geſchwind, da iſt mein alter Mann! — Ganz
recht, fuhr Dryander fort, und da kommt ihr neuer
Mann, der verabſchiedete Huſaren-Lieutenant, in hohen
24*
Schmierſtiefeln und Hemdsaͤrmeln, Heu und Heckſel
in den Haaren, und faͤhrt in der Eile in ſeinem alten
Flauſchrock mit der Fauſt zum Ellbogen heraus, ein
Kernwirth, ſonſt ein guter Kerl. Wir gingen nun
mit einander in's Haus, ich lobte alles nach Kraͤften.
— Ihr erzaͤhlt alles ſo konfus, ſagte der Burſch wie¬
der, Ihr fragtet zuerſt, was in der Stadt der Spieß
Lerchen koſte, die draußen ſo huͤbſch ſaͤngen? — Kann
ſeyn! — Nein, ich weiß noch alles ganz genau. Und,
einmal als Philoſoph geſprochen, ſagtet Ihr dann,
was braucht ein fuͤhlendes Herz mehr: ein laͤndliches
Schloß mit wacklichten Manſarden, ein ſanfter, unter
dreijaͤhrigen Duͤnger geſetzter Huͤgel daneben, ein
ſchlaͤngelnder Bach aus dem Kuhſtall nach der lachen¬
den Wieſe — Halt das Maul, fuhr ihn Dryander
an. Ich ſtand in der Hausthuͤr, mit tiefer Wehmuth
uͤberblickte ich noch einmal den Apfelbaum, das ſtille
Gaͤrtchen und Trudchens Geſtalt — dann wandt' ich
mich — Hier konnte der Burſche das Lachen nicht
halten. — Was haſt du? fragten die Andern. — Mit
Erlaubniß, ſagte er, und als der Herr ſo von dem
ſchlaͤngelnden Bach ſprach, erwiſchte ihn der Herr
Lieutenant am Fluͤgel und ſchmiß ihn zum Hauſe her¬
aus, daß er mir bald in den Korb gefallen waͤre. —
Nun, wenn Ihr's beſſer wißt, ſo iſt mir's auch recht,
entgegnete der Doctor, ergriff eine Flaſche und wollte
fort, kehrte aber wieder um, nahm noch eine zweite
unter den Arm, und ging eilig in die Ruine. Wahr¬
haftig, ſagte Fortunat lachend, da iſt Lug und Ein¬
bildung, Wahrheit und Dichtung ſo durcheinander ge¬
filzt und gewickelt, daß er ſelber nicht mehr heraus
kann! ich wette, er iſt nun auf acht Tage in allem
Ernſt wieder in ſeine kleine Frau verliebt!
Waͤhrend dieſer Geſpraͤche war es voͤllig dunkel
geworden. Fuͤr Fiametta hatte man unterdeß zwiſchen
den Truͤmmern eine Lagerſtatt von duftendem Heu be¬
reitet, und ihre muͤden Augen waren ſchon untergegan¬
gen, als der Mond uͤber die ſtillen Waͤlder aufging.
Der Einſiedler, uͤber ſeinem Roſenkranze nickend, be¬
wachte ſie von fern, die Andern ſaßen noch zuſammen
bis tief in die Nacht. — Dryander aber hatte mit
großer Umſtaͤndlichkeit Papier, Federn, Wein und ge¬
ſtopfte Pfeifen in eine Zelle zuſammengeſchleppt, wo
man ihn oͤfters eifrig auf und niedergehen ſah. Er
wollte die ſchoͤne Nacht benutzen, um ein großes Ge¬
dicht, mit dem er ſich ſchon lange in Gedanken herum¬
trug, endlich recht mit Ruhe niederzuſchreiben. Da
hatte er aber lauter Stoͤrungen. Erſt nickte ihn aus
irgend einem Mauerloch unaufhoͤrlich ein melankoliſcher
Schuhu an, gegen den er ſich ſehr erboſte, weil er es
fuͤr eine uͤble Vorbedeutung hielt. Dann erwachte
eine Nachtigall und ſchmetterte gerade vor ſeinem Fen¬
ſter. Er wollte ſie mit dem Schnupftuch verjagen,
daruͤber verlor er ſeine beſte Feder hinter'm Ohr, die
Zugluft durch's offene Fenſter fuhr in die beſchriebenen
Blaͤtter und als er um ſich griff, ſchimpfte und
haſchte, loͤſchte ihm gar der Wind das Licht aus. Da
ballte er voller Zorn alle Papiere in ſeine Taſche zu¬
ſammen, ſetzte den Hut auf den Kopf und nahm drau¬
ßen, da alles ſchon ſchlief, mit wenigen Worten nur
von dem Einſiedler Abſchied, der, halb im Traum,
nicht wußte, was geſchah. Dann raffte er noch ge¬
ſchwind die Victualien vom Tiſche in den Korb und
ruͤttelte den Burſchen auf. Der mußte ohne weiteres
voraus, und ſo wanderte er mit langen Schritten den
Wald hinab, um nie mehr auf dieſen Berg zuruͤckzu¬
kehren, wo ihm die ungeheure Tugendwirthſchaft auf
einmal unglaublich langweilig vorkam.
Wir aber laſſen das Irrlicht wandern, und uͤber¬
ſchauen noch einmal das naͤchtliche Gebirge. Die
Waͤlder und Abgruͤnde liegen noch geheimnißvoll umher
in der tiefen Stille, nur das ungewiſſe Flimmern der
Sterne verkuͤndet die Naͤhe des Morgens. Durch die
weite Einſamkeit aber toͤnt ein Geſang, es iſt Victor's
Stimme:
Naͤchtlich macht der Herr die Rund',
Sucht die Seinen unverdroſſen,
Aber uͤberall verſchloſſen
Trifft er Thuͤr und Herzensgrund,
Und er wendet ſich voll Trauer:
Niemand iſt, der mit mir wacht. —
Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,
Rauſchet fromm die ganze Nacht.
Waldwaͤrts durch die Einſamkeit
Hoͤrt' ich uͤber Thal und Kluͤften
Glocken in den ſtillen Luͤften,
Wie aus fernem Morgen weit —.
An die Thore will ich ſchlagen,
An Palaſt und Huͤtten: Auf!
Flammend ſchon die Gipfel ragen,
Wachet auf, wacht auf, wacht auf!
Da regt ſich's nach und nach immer lauter und
lauter vor dem verfallenen Kloſter, geſattelte Pferde
wiehern durch die Daͤmmerung, Walter treibt geſchaͤf¬
tig zur Eile, um noch vor der Mittagshitze in's Thal
zu kommen, Fiametta ſitzt ſchon auf ihrem Zelter, und
ſchuͤttelt ſich und plaudert reiſeluſtig in der Kuͤhle.
Jetzt tritt zu aller Erſtaunen auch Victor mit dem
Einſiedler ganz wanderfertig aus dem Kloſter. Gluͤck¬
auf! ruft er ihnen froͤhlich entgegen, indem er Fiamet¬
ta's Pferd am Zuͤgel faßt und den Zug beginnt, der
wegekundige Einſiedler, eine Reiſetaſche umgehaͤngt
und einen dicken Wanderſtab in der Hand, ſchreitet im
Zwielicht ruͤſtig voran.
Nun, das iſt einmal ein Wort! rief Fortunat
freudig aus, waͤhrend ſie ſo langſam den Wald hinab¬
zogen, du wanderſt alſo mit? — Was haſt du vor?
fragte Manfred faſt betroffen. — Beſchloſſen war es
laͤngſt, ſagte Victor, und heute leuchten ſchoͤne, gute
Sterne. Ihr wißt's noch nicht: ich bin auch Braͤu¬
tigam. — Hier oͤffnete er den Reiſerock, unter dem
die Kleidung eines katholiſchen Prieſters ſichtbar wurde.
— Mein Lieb iſt ſtreng und ernſt, fuhr er laͤchelnd
fort, drum wollt' ich hier oben mich erſt zuſammen¬
raffen und innerlich beſinnen. Glaubt mir, ein herr¬
lich Ding iſt's um die Einſamkeit auf hohen Bergen;
das Buch des Lebens verſteht doch nur, wer um Got¬
tes Willen lernt und nicht um der Welt Gunſt. —
Manfred ſah ihn lange ſchweigend an. Nun wahrlich,
ſagte er dann, wenn ich dich auf dem Schlachtfelde
wiedergefunden haͤtte, hoch zu Roß mit der Fahne
voran! — Du ſprichſt ja wie ein Maͤdchen davon,
entgegnete Victor, wie wenn es keinen Krieg gaͤbe,
als den die ſchmucken Lieutenants fuͤhren. — Und dein
großes poetiſches Talent, unterbrach ihn Manfred wie¬
der, du wirfſt es fort, wie ein Verſchwender? — Was
waͤr' denn Poeſie, meinte Victor unwillig, wenn ſie
in feinem Goldſchnitt auf einer Morgentoilette durch¬
zublaͤttern waͤre? Talent! das iſt nur ein Blitz, den
der Herr fortſchleudert in die Nacht, um zu leuchten,
und der ſich ſelbſt verzehrt, indem er zuͤndet. Nein,
Freunde, genug endlich iſt des weichlichen Sehnens,
wer giebt uns das Recht zu klagen, wenn Niemand
helfen mag! Nicht morſche Moͤnche, Quaͤker und alte
Weiber; die Morgenfriſchen, Kuͤhnen will ich werben,
die recht aus Herzensgrund nach Krieg verlangt. Auch
nicht uͤber's Meer hinuͤber blick' ich, wo unſchuldige
Voͤlker unter Palmen vom kuͤnftigen Morgenroth traͤu¬
men, mitten auf den alten, ſchwuͤlen, ſtaubigen Markt
von Europa will ich hinunterſteigen, die ſelbſtgemachten
Goͤtzen, um die das Volk der Renegaten tanzt, geluͤ¬
ſtet’s mich umzuſtuͤrzen und Luft zu hauen durch den
dicken Qualm, daß ſie ſchauernd das treue Auge Got¬
tes wiederſehen im tiefen Himmelsgrund. — Manfred
konnte ſich lange nicht erholen. Iſt mir’s doch, ſagte
er endlich, wie von einem hohen Berg in’s Meer zu
ſehen, wo mir dein Schiff in der Morgenglut ver¬
ſchwindet. Der Anblick ſchreckt und blendet mich, ich
muß den feſten Boden fuͤhlen unter mir, ein nahes
Ziel von Tag zu Tag im Auge haben. — Geht, geht,
fiel Fortunat hier ein, uͤber eueren Reden verlier’ ich
mich ſelber ganz. Du Victor zumal, verwirrſt mir
ſchon ſeit geſtern, wie ein naͤchtliches Wetterleuchten,
der Seele Grund: tiefe Kluͤfte mit kuͤhnen Stegen
daruͤber und manche alte, geliebte Gegend fernab, aber
alles ſo fremd und wunderbar wie in Traͤumen. Zu¬
letzt iſt’s doch daſſelbe, was ich eigentlich auch meine
in der Welt, ich habe nur kein anderes Metier dafuͤr,
als meine Dichtkunſt, und bei der will ich leben und
ſterben!
Jetzt ſtanden ſie auf einem Abhang, von dem
verſchiedene Pfade auseinandergingen. Hier hielt Vic¬
tor ploͤtzlich an, ſein Weg fuͤhrte ihn noch weiter uͤber
den Gebirgskamm nach der Stadt, wo die neuen Ge¬
faͤhrten ſeiner harrten. Er ſchien tief bewegt. —
Wie's da unten nebelhaft ſich durcheinanderſchlingt —
ſagte er, in die Thaͤler ſchauend — man hoͤrt ſchon
Stimmen da und dort verworren aus dem Grund,
Kommandoruf und Trompetenklaͤnge durch die ſtille
Luft und Morgenglocken dazwiſchen und den Geſang
verirrter Wanderer. Und wo die Nebel auf einen
Augenblick ſich theilen, ſieht man Engel ernſt mit blan¬
ken Schwertern auf den Bergen ſtehen, und unten
weite Geſchwader ſtill kampfbereit aufblitzend, und der
Teufel in funkelndem Ritterſchmuck reitet die Reihen
entlang und zeigt den Voͤlkern durch den Wolkenriß
die Herrlichkeit der Laͤnder und ruft ihnen zu: ſeyd
frei, und alles iſt euer! — O Freunde, das iſt eine
Zeit! gluͤckſelig wer drin geboren ward, ſie auszufech¬
ten! — Hier reichte er ihnen noch einmal die Hand
und wandte ſich ſchnell zum Walde.
Ade, du geiſtliches Soldatenherz! rief Fortunat
erſchuͤttert aus. Sie ſahen ihm alle noch lange ſchwei¬
gend nach, dann ſchieden auch ſie von einander. Man¬
fred wollte dem Ruf zu einem bedeutenden Staats¬
dienſte folgen, da hoffte er, wenn auch auf anderer
Bahn, auf den friſchen Gipfeln des Lebens mit Vic¬
tor'n wieder zuſammenzutreffen. Walter aber begleitete
das junge Ehepaar zunaͤchſt noch nach Hohenſtein;
ihm war's, als ſey ſeit ſeiner Jugendzeit die Welt zu
groß und weit geworden fuͤr ihn, er ſehnte ſich recht
aus Herzensgrunde nach ſeinem ſtillen, ſchattigen, Gaͤrt¬
chen zuruͤck. — Und ſo ſehen wir denn die ruͤſtigen
Geſellen auf verſchiedenen Wegen das Gebirge lang¬
ſam hinabreiten, und eine tiefe Wehmuth befaͤllt uns
unter den leiſe rauſchenden Baͤumen, da nun alle die
lieben, langgewohnten Stimmen nach und nach ver¬
hallen, wie wenn wir im Herbſt die bunten Wander¬
voͤgel uͤber uns fortziehen hoͤren.
Fiametta aber ritt voll ſtiller Freude und Erwartung
neben Fortunaten in den daͤmmernden Morgen hinein,
denn er hatte ihr nun entdeckt, daß er ihren Palaſt in
Rom angekauft habe, dort wollten ſie wieder hin. — Vor
ihnen glaͤnzte ſchon manchmal die Landſchaft unerme߬
lich herauf, alle Stroͤme zogen da hinaus, Wolken
und Voͤgel ſchwangen ſich durch's heitere Blau ihnen
nach, und die Waͤlder neigten ſich im Morgenwind
nach der praͤchtigen Ferne. — Weißt du noch dein
Maͤhrchen im Baum? ſagte Fiametta lachend, nun
bin ich wirklich Aurora. —
Und als Victor ſich noch einmal auf der Hoͤhe
zuruͤckwandte, waren ſchon Alle im Morgenroth ver¬
ſchwunden. Durch eine Waldſchlucht nur ſah er unten
einen ſchwerbepackten Ruͤſtwagen und ein Haͤuflein
Wanderer zu Fuß und zu Roß am Walde voruͤberzie¬
hen, er erkannte ſeine alten Komoͤdianten, Dryander
ſchritt mit der Geige wieder voran. — So ſtand er
noch lange in Gedanken oben — da ging die Sonne
praͤchtig auf, die Morgenglocken klangen uͤber die ſtille
Gegend, und der Einſiedler ſang:
Wir ziehen treulich auf die Wacht,
Wie bald kommt nicht die ew'ge Nacht
Und loͤſchet aus der Laͤnder Pracht,
Du ſchoͤne Welt, nimm dich in Acht!