Erſter Akt
Saal bei Doktor Fidelis Schmorr . Hoher , groß und ernſt
wirkender , dennoch aber behaglicher Raum , der , obwohl durch-
aus modern , an Schinkel erinnert .
Links ganz vorne ein ſehr hohes , bis zur Erde reichendes
Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide . Dann die Sofa-
ecke : mattgraue Wand mit blaß abgetoͤntem Medaillon , ein
großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tief-
blauem Bezug , ein runder Tiſch mit einem einfachen Stuhl
und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem
Bezug . Uͤber dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild
von Maurice Denis ; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan
fuͤr elektriſches Licht . Weiter links ein zweites ſehr hohes , bis
zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide .
Dann in der abgeſchraͤgten Wand ein eingebauter Glasſchrank
mit altem Porzellan ; daruͤber blaß abgetoͤntes Medaillon .
Rechts vorne , dem Fenſter gegenuͤber , Tuͤre zum Zimmer
des Doktor Fidelis Schmorr . Dann die Kaminecke mit einem
langen ovalen Tiſch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreib-
zeug , Rauchzeug und Zeitſchriften , zwei großen Lehnſtuͤhlen
an den beiden ſchmalen Seiten , einem ebenſolchen Lehnſtuhl
an der langen Seite des Tiſches und , mit der Lehne an die-
ſen dritten Lehnſtuhl geruͤckt , nach der Mitte hin gerichtet ,
noch ein vierter ſolcher Lehnſtuhl in dunkelrotem Mahagoni .
Uͤber dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stilleben von
Cezanne : mehrere gruͤne Aͤpfel , ein roͤtlicher Apfel , ein Brot ,
ein Zinnkrug , ein Meſſer und ein Glas auf zerknuͤlltem
weißem Tiſchtuch vor gelbem Hintergrund ; daneben eine Land-
ſchaft von van Gogh ; Kronleuchter mit Kerzen aus Por-
zellan für elektriſches Licht . Weiter rechts , dem zweiten Fen-
ſter gegenuͤber , Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr .
Dann , in der abgeſchraͤgten Wand , eingebauter Glasſchrank
mit modernem Porzellan .
Hinten in der Mitte Glasſchrank mit Kunſtglaͤſern von
Tiffany , Olbrich , Moſer . Links davon Tuͤre zum Flur und ins
Stiegenhaus . Rechts davon Tuͤre zu den anderen Wohnraͤumen .
Boden mit ockergelbem Teppich beſpannt . Plafond hell-
grau mit gemaltem Velum . An den Tuͤren Vorhaͤnge aus
weißer Seide wie an den Fenſtern .
Winter . Truͤber Tag . Gegen Abend .
Juſtine ( zweiundfuͤnfzig Jahre , ihre altmodiſche Tracht
laͤßt ſie aͤlter ausſehen , aber wenn ſie ſpricht und das miß-
trauiſche Geſicht allmaͤhlich oͤffnet , ſcheint ſie zuweilen auf ein-
mal wieder ganz jung zu ſein ; klein , mit hohen Schultern
und einem großen Kopf , klugen , blinzelnden Augen , einer kurzen ,
breiten , fleiſchigen Naſe und einem großen , weitgeſchlitzten
Mund ; das gelbe Geſicht und ihre ſtarre Haltung machen
ſie zuweilen faſt einer Wachsfigur gleich ; ſie traͤgt die duͤnnen
grauen Haare glatt geſcheitelt , einen altmodiſchen , unſcheinbaren
Hut , ein verſchoſſenes Taffetkleid , um den Hals eine goldene
Kette mit einem ſchwarzen Kreuz und in der Hand ein Taͤſch-
chen ; ſie pflegt leiſe zu ſprechen , kurz und ſcharf , wie jemand ,
der gewohnt iſt , daß man auf ihn hoͤrt ; wenn ſie ſich ereifert ,
faͤngt ihre Stimme zu kraͤhen an , ſie hat den Klang der
rheiniſchen Mundart ; vom Flur durch die Tuͤre links vom
Glasſchrank , die ihr Fraͤulein Thereſe oͤffnet , eintretend ,
waͤhrend ihr das Fraͤulein den langen grauen Reiſemantel
abnimmt ) . Ich verſtehe das nicht ! ... Laſſen Sie bitte
meine Sachen gleich ins — ( Tritt ein , nimmt ihren Hut
ab und gibt ihn dem Fraͤulein Thereſe . )
Thereſe ( dreißig Jahre ; Hausfraͤulein , ſtill , beſcheiden ,
aͤngſtlich , leicht nervoͤs ; ſehr einfach gekleidet ) . Wollen
gnaͤdige Frau das blaue Zimmer oder den Salon ?
Juſtine ( mit Grimaſſe ) . Nicht den Salon ! Seit der
Kerl dort haͤngt — wie heißt er ? Dieſer — Hodl !
Thereſe . Hodler .
Juſtine . Hodl oder Hodler ... ſcheußlich ! Nein .
Ins blaue .
Thereſe ( winkt dem Diener und gibt ihm den Reiſemantel
und den Hut ) .
Diener ( kommt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ,
bringt einen verſchliſſenen alten Handkoffer , nimmt den Reiſe-
mantel und den Hut , geht durch die Tuͤre rechts vom Glas-
ſchrank ab , kehrt gleich wieder zuruͤck und geht durch die Tuͤre
links vom Glasſchrank in den Flur ab ) .
Juſtine ( geht zum runden Tiſch links ) . Ich verſtehe das
gar nicht . Hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt ?
Thereſe . Eine Depeſche kam für die Frau Doktor ,
aber da war die Frau Doktor ſchon fort , im Auto .
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Wohin denn ?
Thereſe . Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen . Da der
Herr Doktor geſtern telegraphiert hat , daß er heute kommt ,
denk ich mir , daß ſie vielleicht , um ihn in einer Zwiſchen-
ſtation abzuholen ... ( achſelzuckend ) aber freilich , ſicher —
Juſtine ( ihr ins Wort fallend , kurz ) . Nein , ſicher weiß
man bei ihr nie was . ( Setzt ſich auf die Sitzbank links ,
aber mit dem Ruͤcken zum runden Tiſch . ) Wie lange war
denn mein Schwiegerſohn fort ?
Thereſe . Morgen genau drei Wochen .
Juſtine ( mit einer leiſe veraͤchtlichen Betonung ) . Wieder
droben , in ſeiner Hütte ?
Thereſe ( nickt beſtaͤtigend ) . Die Frau Doktor fuhr mit
hin , kam aber ſchon am anderen Tag zurück . Eigentlich
ſollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben . Bis
die Herrſchaften nach Dalmatien gehen .
Juſtine ( nach einer kleinen Pauſe ) . Und ? Warum ?
Thereſe ( verlegen , faſt etwas traurig ) . Ich weiß nicht .
( Tritt naͤher ; leiſe , zoͤgernd . ) Die Frau Doktor hat dem
Herrn Doktor vier Eilbriefe geſchrieben . Bis er geſtern
telegraphierte , daß er heute kommt .
( Achſelzuckend , trau-
rig , ganz leiſe . ) Ich weiß aber wirklich nicht .
Juſtine ( trocken ) . Ich habe Sie ſchon einmal gewarnt ,
meine Tochter nicht tragiſch zu nehmen . Sie wünſcht
ſich das , aber man ſoll es nicht .
Thereſe ( befliſſen ) . Ich bemühe mich gewiß —
Juſtine ( ihr ins Wort fallend ) . Jedes Haus hat ja
ſeine ... gewiſſermaßen ſeine Achillesferſe , dieſes aber
beſteht aus lauter Achillesferſen . Es muß für Sie nicht
leicht ſein .
Thereſe ( raſch , beteuernd ) . Die Frau Doktor iſt ja ſo
herzensgut ! Und der Herr Doktor doch auch !
Juſtine ( trocken ) . Dadurch erſchweren Sie ſich 's ja
noch mehr .
Thereſe ( faſt erſchreckt ) . Wodurch ?
Juſtine . Sie möchten ' s meiner Tochter recht machen ,
aber meinem Herrn Schwiegerſohn auch .
Thereſe ( eifrig ) . Das iſt doch aber dasſelbe !
Juſtine ( mit einem ſcharfen Blick auf Thereſe ; kurz ) .
So ? Noch immer ? — Mir recht !
Thereſe ( beteuernd ) . Gnädige Frau , ich —
Juſtine ( aufſtehend ; kurz ) . Ich habe Sie nicht ge-
fragt .
( Geht nach rechts vorne . Nach einer kleinen Pauſe . )
Meine Tochter erzählt mir in einemfort , welchen herr-
lichen Mann ſie hat , und mein Schwiegerſohn erzählt
mir wieder , welche herrliche Frau meine Tochter iſt , und
Sie erzählen mir dann , welche herrliche Menſchen die
beiden ſind . Ich habe gewußt , daß das ein böſes Ende
nehmen muß . Nun ſcheint ' s , ſind wir ja ſo weit .
Thereſe ( entſetzt ) . Um Gottes willen , was iſt denn
geſchehen ?
Juſtine ( kurz ) . Das weiß ich nicht .
( Sieht ſie fragend an )
Thereſe ( verwirrt , beteuernd ) . Aber nichts , gnädige
Frau !
Juſtine ( mißt ſie forſchend ) . Warum ſind Sie dann
ſo — ?
Thereſe ( ihr aufgeregt ins Wort fallend ) . Was denn ?
Wie bin ich denn , gnädige Frau ?
Juſtine ( langſam , trocken ) . Unheilſchwanger .
Thereſe ( blickt beſchaͤmt zu Boden , als wenn ſie ein ſchlech-
tes Gewiſſen haͤtte ) .
Juſtine ( leichthin ) . Zum Teil mag das ja bei Ihnen
Naturanlage ſein . Doch nimmt es in der letzten Zeit
bedenklich zu .
( Geht an Thereſe voruͤber zum Kamin , um
ſich das Stilleben von Cezanne anzuſehen . ) Aber ich bin
nicht neugierig .
Thereſe ( langſam , zoͤgernd ) . Ich wäre der gnädigen
Frau ſogar im Gegenteil ſehr dankbar , wenn ich darauf
antworten dürfte .
Juſtine ( mit dem Finger auf den Cezanne zeigend ; ſehr
mißtrauiſch ) . Das iſt doch auch wieder neu ?
Thereſe ( gleich gehorſam den Ton wechſelnd , erklaͤrend ) .
Ein Cezanne .
Juſtine ( mißbilligend , kopfſchuͤttelnd ) . Schon dieſe
Namen !
Thereſe . Der Herr Doktor hat ihn ſelbſt das letzte-
mal in Paris gekauft .
( Mit voller Bewunderung . ) Für
fünfundſiebzigtauſend Mark .
Juſtine ( trocken ) . Da kommt alſo der Calville faſt
auf zwanzigtauſend Mark .
( Wendet ſich voll Verachtung
ab ; ruhig . ) Das ſind doch auch Zeichen einer inneren
Verſtörung .
( Kommt wieder an den runden Tiſch links . )
Was wollten Sie ſagen ?
Thereſe ( beklommen ) . Ich meinte nur , daß es mir
ſehr das Herz erleichtern würde , wenn mir gnädige Frau
geſtatten wollten —
Juſtine ( trocken ) . Ich geſtatte . Erleichtern Sie !
Thereſe ( in einem Ton tiefer Kraͤnkung ) . Gnädige Frau
haben da früher ein Wort gebraucht ... nämlich daß
ich , wie gnädige Frau ſagten , gewiſſermaßen ( ſie muß
ſich uͤberwinden , das Wort auszuſprechen ) „ unheilſchwan-
ger “ ...
Juſtine ( trocken ) . Sehen Sie ſich in den Spiegel !
( Setzt ſich auf das Sofa links . )
Thereſe ( gekraͤnkt ) . Da muß ich alſo doch aber bitten ,
das erklären zu dürfen . —
( Aufgeregt , ſehr leiſe ) . Mir
iſt nämlich um die Frau Doktor ſo bang !
Juſtine ( keineswegs erſchreckt ; kurz ) . Warum ?
Thereſe ( aufgeregt , leiſe ) . Ich weiß es nicht . Ich weiß
nur , daß ſie furchtbar leiden muß .
Juſtine ( trocken ) . Luz hat immer gelitten , ſchon als
Kind . Es iſt ihr nicht wohl , wenn ſie nicht leidet .
( Mit
einer leiſen Bitterkeit . ) Bei Mädchen , die das Unglück
haben , in großem Reichtum aufzuwachſen , iſt das nichts
Ungewöhnliches .
Thereſe ( kopfſchuͤttelnd ) . Melancholiſch war ſie ja von
je . Das mag , wie die gnädige Frau ſagten , gewiſſer-
maßen dazu gehören . Es kleidet ſie ja auch ſo gut .
Jetzt aber .... nein , gnädige Frau ! Sie muß jetzt
wirklich irgendeinen ernſten Kummer haben .
Juſtine ( trocken ) . Seit wann ?
Thereſe . Es fing eigentlich ſchon gleich nach Weih-
nachten an , bald nachdem gnädige Frau wieder abgereiſt
waren .
Juſtine . Was fing da an ?
Thereſe . Die Frau Doktor war plötzlich ſo ruhelos .
Viermal , fünfmal ging ſie täglich aus , und jeden Abend
ins Theater oder in ein Konzert , da ſie doch ſonſt immer
am liebſten daheim war .
Juſtine . Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu
geſagt ?
Thereſe ( ganz erſtaunt ) . Der Herr Doktor ?
Juſtine . Der mag das doch eigentlich nicht .
Thereſe ( eifrig ) . Ach der Herr Doktor mag doch
eigentlich alles , ihm macht doch alles Vergnügen .
Juſtine ( ſpoͤttiſch ) . Alſo der iſt — unverändert ? Der
iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch ?
Thereſe ( unwillkuͤrlich laͤchelnd ) . Nein . Das kann man
ſich auch kaum vorſtellen .
Juſtine . Nun und er hat aber nichts bemerkt , an
meiner Tochter ?
Thereſe ( raſch , ganz ernſt ) . Der Herr Doktor bemerkt
doch überhaupt nichts ! — ( Erſchrocken , daß ſie etwas
Ungebuͤhrliches geſagt hat , das ſie nun abſchwaͤchen moͤchte . )
Ich meine nur —
Juſtine . Sie haben ſicher recht .
Thereſe ( eifrig ) . Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her-
vorragend geſcheiter Mann , aber eben offenbar viel zu
ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt , um ... Ich meine
nur , es hat mich gewundert ... es war ja mit der
gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich , ihm
aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein .
Juſtine ( trocken ) . Die Männer ſind alle dumm . Be-
ſonders aber die Geſcheiten .
Fidelis ( noch draußen im Flur , unſichtbar ; laut ) . Ja
hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt ?
Thereſe . Der Herr Doktor !
( Geht ihm entgegen , zur
Tuͤre links vom Glasſchrank . )
Fidelis ( noch draußen , unſichtbar ) . Ich verſtehe das
nicht ! ( Tritt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ein ;
dreiunddreißig Jahre ; mittelgroß , wirkt aber durch ſeine kurzen
Beine faſt klein ; feſt , gedrungen , mit breiten maſſiven Ge-
baͤrden ; haͤlt ſich gern ein wenig ſchief , wiegt ſich beim Gehen
ſeemaͤnniſch in den Huͤften , immer wie auf Deck ; ein kugel-
rundes , neugieriges , kindlich fragendes Geſicht mit einer kleinen
duͤnnen ſpitzen Naſe und ganz feinen , ſchmalen , ironiſch zu-
ſammengepreßten Lippen ; dazu ſtimmen eigentlich gar nicht
die großen grauen Augen , die wie Schutzbrillen ſind , ihn
decken , aber nichts verraten ; dichtes , ſehr weiches , glattes ,
nach der Seite geſtrichenes , ſtrohgelbes Haar ; das glatt raſierte
Geſicht wetterhart , vom Wind gebeizt , faſt wie Leder aus-
ſehend ; Tenorſtimme , ſchmetternd , lachend und im lebhaften
Geſpraͤch leicht gickſend ; zuweilen mit einem leiſen Anklang
der bayeriſchen Mundart , beſonders wenn er vergnuͤgt wird ,
aus der er aber dann ploͤtzlich wieder in ein ſehr ſcharfes , faſt
etwas forciertes Hochdeutſch geraͤt , beſonders wenn er unge-
duldig wird ; zuweilen auch eine leiſe Neigung zu ſtottern ,
beſonders wenn er ſich im Reden uͤberſtuͤrzt , wobei dann der
ganze Koͤrper ein wenig zu ſchwanken ſcheint ; er hat eine
Vorliebe fuͤr zu weite , ſchlotternde Kleider , beſonders aber
fuͤr ſehr große Taſchen , in die er die Arme gern faſt bis
zu den Ellenbogen ſteckt ; jetzt traͤgt er einen Lodenanzug mit
Kniehoſen ; beim Eintritt , raſch ) . Jetzt ſagen Sie mir nur ,
Fräulein — ( Erblickt Juſtine , haͤlt ein ; luſtig feierlich . )
Oho ! welcher Glanz ! Die Königin-Mutter höchſt ſelbſt !
Juſtine ( abwehrend ) . Fang nur nicht gleich wieder an !
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Fidelis ( luſtig ) . Ich muß mich bloß erſt wieder in
den ( mit ironiſcher Betonung ) „ Hofton “ finden ! ( Reicht
ihr die Hand und behaͤlt ihre Hand in der ſeinen . ) Denk
nur , Mamchen : drei Wochen in meiner Hütte , jeden Tag
neun Stunden in Eis und Schnee draußen , bis man
dann abends gar nichts mehr ſpürt als eine grenzen-
loſe Dankbarkeit , daß man jetzt wieder ſitzen darf , ſtill-
ſitzen und kein Bein mehr rühren , und den Kopf ſchon
gar nicht — herrlich iſt das ! ( Laͤßt ihre Hand los . ) Aber
wo ſteckt denn Luz ? Drei Wochen ehelicher Entbehrung
und dann bloß ... Schwiegermutter ? — Alſo wo — ?
Thereſe . Die gnädige Frau iſt heute früh im Auto
fort .
Diener ( durch die Tuͤre links vom Glasſchrank , mit einem
Ruckſack , Skiern , einem Bergſtock und einer Mappe , geht zur
erſten Tuͤre rechts und hier ab ) .
Juſtine . Dir entgegen , vermuteten wir .
Fidelis ( kopfſchuͤttelnd ) . Ich ſah doch in jeder Station
hinaus , ob ſie nicht vielleicht — ich kenne dieſe Leiden-
ſchaft ja . ( Vorwurfsvoll . ) Warum biſt du nicht mit ?
Juſtine . Ich —
Fidelis . Man darf ſie doch nicht allein fahren laſſen ,
ſie kommt ja bekanntlich nie dort an , wohin ſie will .
Juſtine . Ich bin doch ſelbſt erſt ſeit einer halben
Stunde hier . — ( Langſam. ) Sie hat mir nämlich einige
recht merkwürdige Briefe geſchrieben .
Diener ( durch die erſte Tuͤre rechts , geht durch die Tuͤre
links vom Glasſchrank wieder ab . )
Fidelis ( erſtaunt , nachdenklich ) . Dir auch ? ( Er ſcheint
noch etwas ſagen zu wollen , unterdruͤckt es aber mit einem
Blick auf Thereſe . )
Thereſe ( hat ſeinen Blick bemerkt ; indem ſie zur Tuͤre
links vom Glasſchrank geht ) . Der Herr Generaldirektor
hat heute früh telephoniert , er wird —
Fidelis ( raſch einfallend ) . Ich weiß . Nur gleich her-
ein mit ihm , wenn er kommt ! ( Sich die Haͤnde reibend ,
vergnuͤgt . ) Wir haben das Jahr mit der Brauerei wie-
der einen mächtigen Haufen Geld verdient , Mamchen !
— ( Zu Thereſe , indem er zur erſten Tuͤre rechts geht . ) Ja
und — auch der Sekretär Habuſch hat ſich angeſagt .
Ich will das alles heute gleich erledigen . ( Durch die
erſte Tuͤre rechts ab , die er offen laͤßt . )
Thereſe . Soll ich den Tee dann hier oder — ?
Juſtine . Hier .
Thereſe ( durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab ) .
Fidelis ( kommt durch die erſte Tuͤre rechts zuruͤck und
beginnt im Zimmer auf und ab zu gehen ) . Ich ſag dir ,
Mamchen : Mir iſt es zuerſt immer wieder ganz unheim-
lich in der Stadt ! Schon der bloße Geruch ... es
menſchelt ſo . ( Sehnſuͤchtig. ) Meine Hütte ! ( Mit einem
Blick auf Juſtine . ) Aber das kann ſich ja ſo eine Kohlen-
baronin gar nicht vorſtellen ! — Und dieſe wahrhaft
auserleſene Geſellſchaft da oben : drei Dackeln und ſonſt
niemand als meine Freund , die Bergführer . ( Lacht ver-
gnuͤgt . ) Die Kerln haben ganz dieſelben vier oder fünf Ur-
motive , durch die ja jedes menſchliche Leben bewegt wird ,
und machen ſich aber dazu nicht , wie wir , noch was
vor ! So herrlich erfriſchend iſt das ! Wenn mir Luz
2*
nicht ſo dringend geſchrieben hätte — ja was iſt alſo
mit Luz ? Sag mir !
Juſtine ( achſelzuckend ) . Ja was iſt mit Luz ? Sag
( mit dem Ton auf dem naͤchſten Wort ) du mir !
Fidelis ( achſelzuckend ) . Ich bekam geſtern drei Depe-
ſchen und vier Eilbriefe von ihr . Alle zugleich . Der
Knecht geht ja nur jeden zweiten Tag hinauf , daran
hat ſie nicht gedacht . In dem einen Brief beſchwor ſie
mich zurückzukommen , gleich , gleich , gleich — du kennſt
ihre Vorliebe , jedes Wort dreimal zu ſchreiben und dann
noch dreimal zu unterſtreichen , das Strafporto wird mich
noch ruinieren ! Und ebenſo heftig beſchwor ſie mich aber
in einem anderen Brief , jetzt nicht zu kommen — ja , ja ,
ja nicht ! Es wäre ihr jetzt „ unerträglich “ , mich zu ſehen !
Ähnlich übereinſtimmend lauteten die Depeſchen und ich
wußte nun ja nicht , welcher Brief früher und welcher
ſpäter geſchrieben war , da ſie ja nie datiert und der
Poſtſtempel ſich immer verwiſcht . Eigentlich fuhr ich
alſo nur her , um mich zu erkundigen , welches der letzte
Brief iſt , der der gilt . Dann kann ich wahrſcheinlich
gleich wieder zurückfahren .
Juſtine ( ernſt , eindringlich fragend ) . Was war denn
aber ?
Fidelis ( erſtaunt ) . War denn etwas ?
Juſtine . Ihre Aufregung muß doch irgend einen
Grund haben .
Fidelis ( uͤberraſcht ) . Glaubſt du ?
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Erlaube mir !
Fidelis ( leichthin ) . Luzens Aufregungen entſtehen
meiſtens bloß aus einem inneren Bedürfnis , aufgeregt
zu ſein . Ohne jeden äußeren Grund .
Juſtine ( vorwurfsvoll ) . Das kommt aber davon !
Fidelis . Wovon ?
Juſtine ( heftig ) . Wenn ſich eine Frau völlig ihren
Launen überlaſſen darf ! — Ein Mann muß doch ſeine
Frau zu zügeln wiſſen . Aber du haſt eben von An-
fang an nie —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend , indem er neben ſie tritt ;
luſtig neckend ) . Mamchen , daß dich dein Mann je ge-
zügelt haben ſollte — Gott hab ihn ſelig !?
Juſtine ( auffahrend , verweiſend ) . Ich verbitte mir —
Fidelis ( raſch einfallend , indem er ſie wieder ins Sofa
druͤckt ; beguͤtigend ) . Kennſt mich doch , Mamchen ! Wen
ich gern hab , muß ich immer ein bißchen zauſen . Gar
aber dein Anblick , wenn du ſo dramatiſch die Nüſtern
blähſt — ! ( Leichthin. ) Daher hat 's auch Luz , das Dra-
matiſche !
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Man kann euch alle zwei ja nicht
zu den Erwachſenen rechnen .
Fidelis ( luſtig ) . Das iſt eigentlich auch mein geringſter
Ehrgeiz . — ( Den Ton wechſelnd , ploͤtzlich ernſt , beſorgt , raſch. )
Du glaubſt doch nicht , daß im Ernſt —
Juſtine ( raſch einfallend , ſehr aͤrgerlich ) . Aber du haſt
doch eben ſelbſt erzählt !? Die vier Eilbriefe , die drei
Depeſchen in einem Tag ? Und mir hat ſie ja ſeit
vorgeſtern auch ununterbrochen geſchrieben und telegra-
phiert !
Fidelis ( vergnuͤgt lachend ) . Das dacht ich mir ! Mam-
chen kriegt ſicher auch ihr Teil , dacht ich mir .
Juſtine ( ſtrenge ) . Und dann fragſt du noch — ?
Fidelis ( leichtſinnig ) . Deswegen ? — Sie hat eben
wieder einen Anfall . Von Zeit zu Zeit hat ſie ihren
dramatiſchen Anfall . — Sicher Vererbung .
Juſtine ( gereizt ) . Wieſo denn ?
Fidelis . Erinner dich nur , Mamchen , wie's manch-
mal bei dir zugeht ! Wenn du plötzlich über den Wäſche-
ſchrank gerätſt , und man hört deine Stimme dann durchs
ganze Haus , daß alles zittert ! Dramatiſcher Anfall .
Juſtine ( empoͤrt ) . Das iſt dann noch der Dank !
Fidelis ( philoſophiſch ) . Man hat keinen Dank .
Juſtine ( ſehr heftig ) . Ich tu 's auch gar nicht , um
Dank zu haben !
Fidelis ( ſehr ruhig ) . Nein , du tuſt es , um dir Be-
wegung zu machen . Ganz wie Luz . Nur hat ſich's
bei der mehr ins Seeliſche transponiert . — Darum be-
unruhigen mich ihre dramatiſchen Tage nicht ſehr .
Juſtine ( ſpringt aͤrgerlich auf , tritt vom Sofa weg , zum
erſten Fenſter vor ; erbittert ) . Dich beunruhigt ja über-
haupt nichts ! — Für dich iſt doch alles nur wieder ein
Anlaß , dich in Paradoxen zu ergehen . Denn ich will
dir ſagen , was du biſt !
Fidelis ( gelaſſen , trocken ) . Ein Egoiſt .
Juſtine ( wuͤtend , ſchreiend ) . Jawohl !
Fidelis ( gelaſſen , beſtaͤtigend ) . Jawohl . Und weißt
du , was noch mit mir iſt ? Ich habe —
Juſtine ( raſch einfallend ; ſehr erbittert , da ſie ſchon weiß ,
was kommt ) . Ja ! Du ( das naͤchſte Wort ſtark betonend )
haſt auch kein —
Fidelis ( gelaſſen , einfallend ) . Kein Gemüt . — Du
warſt ſchon öfter ſo freundlich , mich darauf aufmerkſam
zu machen .
Juſtine ( tritt ſprachlos an das erſte Fenſter , blickt hinaus
und atmet hoͤrbar auf ) .
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; trocken ) . Zehn Pfennige .
Juſtine ( noch mit dem Ruͤcken zu Fidelis , nur uͤber ihre
rechte Schulter zuruͤck nach ihm blickend , verwundert , miß-
trauiſch ) . Was denn ? Wieſo ?
Fidelis . Wieder zehn Pfennige verdient .
Juſtine . Wer ?
Fidelis . Du .
Juſtine . Was willſt du , was meinſt du denn eigent-
lich ?
Fidelis ( vergnuͤgt erzaͤhlend ) . Ich ging neulich quietſch-
vergnügt ſo durch den Schnee hin , da fiel mir ein , um
mich ein bißchen im Kopfrechnen zu üben , einmal heraus
zu dividieren , wieviel eigentlich deine Rente , Mamchen ,
in der Sekunde macht . Genau zehn Pfennige , denk dir .
Und ich ſagte mir : Alſo wenn dieſe brave Frau , wie 's
ja ihre Art iſt , ſo ſtill ein bißchen vor ſich hinſchnauft ,
mit jedem ſolchen lieben kleinen Schnaufer hat ſie wieder
zehn Pfennige verdient .
Juſtine ( kehrt ſich jetzt ganz nach ihm um ; trocken ) . Eine
deiner würdige Beſchäftigung . Während zur ſelben Zeit
deine arme Frau —
Fidelis ( raſch einfallend , ſich nun erſt wieder erinnernd ) .
Ja richtig ! — Alſo Luz — ? ( Haͤlt ein und ſieht Juſtine
fragend an . )
Juſtine ( tritt an den runden Tiſch links ; mit einem Blick
der Verachtung ; kurz erzaͤhlend ) . Luz telegraphierte mir
vorgeſtern , ich möchte doch gleich zu ihr kommen . Ich
verſprach es für den nächſten Tag , aber noch am ſelben
Abend telegraphierte ſie , ſie komme lieber ſelbſt , ſtatt ihr
aber kam ein Eilbrief und dann noch ein zweiter und
ein dritter .
Fidelis . Darin ſtand — ?
Juſtine ( achſelzuckend ) . Eigentlich nichts .
Fidelis ( laͤchelnd ) . Aber dreimal unterſtrichen .
Juſtine . Es war vollſtändig verwirrt . — Ich bin
kein Haſenfuß und Luz hat mich ja ziemlich abgehärtet ,
aber es machte mir doch einen ſolchen Eindruck , daß
ich ihr ſofort telegraphiſch —
Fidelis ( mit ſpoͤttiſchem Staunen ) . Telegraphiſch ?
Juſtine ( ſeinen Spott verſtehend , aͤrgerlich ) . Ich tele-
graphiere nicht unnötig , denn —
Fidelis ( heuchleriſch zuſtimmend ) . Denn es koſtet Geld .
Juſtine ( ſcharf ) . Ja . Und es ſcheint mir albern ,
ſechzig Pfennige auszugeben , wenn man dasſelbe mit zehn
Pfennigen erreicht .
Fidelis ( heuchleriſch ernſt ) . Es iſt ein Verluſt von
fünf Sekunden für dich . Fünf mal zehn macht —
Juſtine ( geht ploͤtzlich vom runden Tiſche weg , nach der
Tuͤre rechts vom Glasſchrank hin ) .
Fidelis ( tritt ihr in den Weg ) . Wohin denn , Mam-
chen ?
Juſtine ( ſcharf ) . Ich will in meinem Zimmer warten ,
bis es dir belieben wird , einmal ernſt zu ſein .
Thereſe ( gleichzeitig mit den letzten Worten Juſtinens ,
durch die Tuͤre links vom Glasſchrank , den Tee bringend ,
zum runden Tiſch ) .
Fidelis ( in einem kindlich um Verzeihung bittenden Tone ) .
Mamchen !
Juſtine ( geht mit einem ſtrengen Blick auf Fidelis von
ihm weg zu Thereſe und hilft ihr den Teetiſch richten ) .
Fidelis ( geht im Zimmer auf und ab ; nach einer kleinen
Pauſe , leichthin ) . Na , Thereſe , was hat denn meine Frau
die ganze Zeit immer gemacht ? Erzählen Sie !
Thereſe ( mit einem aͤngſtlichen Blick auf Juſtine ) . Ich
fürchte , die gnädige Frau würde wieder finden , daß ich
alles gleich zu tragiſch nehme .
Fidelis ( erſtaunt , mit einem luſtigen Blick auf Juſtine ) .
Findet ſie ?
Juſtine ( ſcharf ) . Zwiſchen tragiſch nehmen und nicht
über alles Witze machen , iſt noch ein Unterſchied .
Fidelis ( nachdenklich werdend ) . Was nahmen Sie denn
tragiſch ?
Thereſe ( verſchuͤchtert ) . Es läßt ſich ſchwer ſo ſagen .
Aber ich bin ſchon ſehr froh , daß Herr Doktor wieder
zurück ſind .
Diener ( durch die Tuͤre links vom Glasſchrank , meldend ) .
Herr Generaldirektor Zupp .
Fidelis . Ich laſſe bitten . — ( Zu Juſtine , auf einen
fragenden Blick von ihr . ) Nein , bleib nur ! Du verſtehſt
vom Geſchäft ja mehr als ich . — ( Zupp begruͤßend . ) Tag ,
lieber Generaldirektor !
Diener ( laͤßt Zupp eintreten , dann ab ) .
Zupp ( durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ; eleganter
alter Herr , altmodiſch artig , ohne jedoch ſeine leiſe Mißbilli-
gung Schmorrs immer ganz verbergen zu koͤnnen ; Zylinder ,
Gehrock , Veilchen im Knopfloch ; geht zunaͤchſt auf Juſtine
zu und kuͤßt ihr galant die Hand ) . Immer wohlauf , meine
Gnädigſte ? Aber da braucht man ja gar nicht erſt zu
fragen . Scharmant , ſcharmant !
Thereſe ( ſieht noch einmal nach dem Teetiſch , dann durch
die Tuͤre links vom Glasſchrank ab ) .
Fidelis ( durch die erſte Tuͤre rechts in ſein Zimmer , aus
dem er , eine Mappe in der Hand , gleich wieder zuruͤckkehrt ) .
Juſtine . Sie nehmen doch eine Taſſe mit uns ?
Zupp . Unmöglich , meine Gnädigſte ! Ich habe heute
noch drei Sitzungen vor mir . ( Laͤchelnd. ) Ich bin nur
froh , des Herrn Doktor doch endlich einmal habhaft zu
werden .
Fidelis ( hat das elektriſche Licht aufgedreht ; uͤberreicht
Zupp die Mappe ) . Hier , Verehrteſter !
Zupp . Haben Sie alles durchgeſehen ?
Fidelis ( ladet Zupp ein , ſich an den langen Tiſch rechts
zu ſetzen ) . Ich habe alles — unterſchrieben . Das iſt
ja die Hauptſache .
Zupp ( ſetzt ſich an den langen Tiſch rechts ; leiſe miß-
billigend , pedantiſch ) . Die Hauptſache wäre mir , daß alles
von Ihnen geprüft und in Ordnung befunden würde ,
damit , wenn einmal ein Irrtum , ein Verſehen vorkommt ,
nicht mich allein die Verantwortung trifft .
Fidelis ( den das alles langweilt ; ungeduldig , kurz ) . Die
Verantwortung träfe natürlich nur mich . — ( Den Ton
wechſelnd , leichtſinnig . ) Und was wollen Sie denn ? Wir
haben ja wieder einen ſündhaften Reingewinn ! Wo ſoll
ich denn die Zeit hernehmen , Ihre Bücher zu prüfen ,
wenn ich Tag und Nacht nur darüber nachdenken muß ,
wie ich alles das Geld wieder ausgeben kann ? Arbeits-
teilung ! ( Lachend. ) Und nun halten Sie mir geſchwind
wieder meinen Großvater vor , es drückt Sie ja ſchon !
Zupp ( nickend , faſt andaͤchtig ) . Das ſind mir freilich
unvergeßliche Stunden ! Wenn der alte Herr zu fragen
begann und einen dabei mit ſeinen ſtahlblauen Augen
ſo durchdringend anſah , förmlich bis in die Magengrube
hinein , da —
Fidelis ( ihm ins Wort fallend , in einem boshaften Ton ) .
Und mein Vater ?
Zupp ( ausweichend ) . Ihr Herr Vater war ja mehr
eine Gelehrtennatur .
Fidelis . Sehen Sie , da fing's ſchon an . Progreſ-
ſive Entartung ! Und begreifen Sie nicht auch , daß es
eine Forderung der ſozialen Gerechtigkeit iſt , dieſe großen
Vermögen dann wieder durchzubringen ?
Juſtine . Er kommt aus dem Hochgebirg , Herr General-
direktor ! Es ſcheint eine Art Schneerauſch zu geben .
Zupp . Ihr Herr Großvater würde für dieſen Humor ,
deſſen Eigenart ich ja durchaus nicht verkennen will ,
wenig Sinn gehabt haben .
Fidelis ( trocken ) . Das wäre nicht pietätvoll gegen
ſeinen Enkel geweſen . — ( In einem geſchaͤftsmaͤßigen Ton . )
Iſt ſonſt noch was , lieber Generaldirektor ?
Zupp . Ich habe die Pflicht , nochmals einen Punkt
zu berühren , auf die Gefahr hin , Ihnen wieder zu miß-
fallen .
Fidelis . Sie mißfallen mir nie , davon kann gar
nicht die Rede ſein . Und ich tu ja dann doch immer
das Gegenteil .
Zupp ( achſelzuckend ) . Sie ſind dem Verein für Ab-
ſtinenz beigetreten —
Fidelis ( ihn ungeduldig unterbrechend ) . Davon ſprachen
wir ja ſchon neulich .
Zupp . Aber ſeitdem iſt der Verein groß geworden
und ich kann nicht leugnen , daß er einen gewiſſen mora-
liſchen Erfolg hat .
Fidelis . Und wir haben dreißig Prozent Dividende .
Zupp . Heuer noch .
Fidelis . Warten wir's ab .
Zupp . Durch dieſen Erfolg ermutigt , tritt der Ver-
ein nun lärmend , faſt drohend auf , hält Verſammlungen ,
druckt Flugſchriften , verbreitet Plakate , mit Beſchuldi-
gungen höchſt ehrenrühriger Art , gegen die Bierbrauer .
Die werden da Giftmiſcher , Volksverderber , Blutver-
ſeucher genannt und dergleichen mehr .
Fidelis ( trocken ) . Stimmt ja .
Zupp . Iſt Ihnen nun aber bekannt , Herr Doktor ,
daß eines dieſer Plakate auch Ihren Namen trägt ?
Fidelis . Das war mir unbekannt , aber ich habe nichts
dagegen .
Zupp . Ich will gar nicht davon ſprechen , daß ſich
einer , dem gerade ſein Schoppen Schmorr-Bräu ganz
beſonders geſchmeckt hat , doch eigentlich wundern muß ,
denſelben Namen Schmorr nun auf einem Plakat zu
finden , das vor dem volksverdummenden , volksvergif-
tenden und volksverſeuchenden Bier warnt . Das iſt
ſchließlich Ihre Sache , Herr Doktor .
Fidelis ( trocken ) . Das iſt meine Sache . Ich hab 's
ganz gern , wenn man ſich über mich wundert .
Zupp . Aber weiter . Wir ſind ja im Kartell der
Süddeutſchen Vereinigung . Es iſt nun da der Antrag
geſtellt worden , die Unterzeichner des Plakats auf Ver-
leumdung zu klagen . Der Prozeß ſoll Gelegenheit geben ,
durch Sachverſtändige nachzuweiſen , daß alle dieſe Be-
ſchuldigungen des Biers unwahr ſind .
Fidelis ( ſpoͤttiſch ) . Eine Reklame !
Zupp . Sie mögen es ſo nennen . Wir wollen auch
gar nicht darüber ſtreiten , ob der Antrag taktiſch richtig
iſt . Wir können aber nicht verhindern , daß er ange-
nommen wird . Dann ... wird dieſer Prozeß juriſtiſch
ein Kurioſum ſein , denn unter den Klägern ſteht , als
Eigentümer der Vereinigten Schmorr-Brauereien , Herr
Doktor Fidelis Schmorr und derſelbe Herr Doktor Fidelis
Schmorr ſteht , als Mitunterzeichner des verleumderiſchen
Plakats , auch unter den Beklagten , Herr Doktor Fidelis
Schmorr wird den Herrn Doktor Fidelis Schmorr auf
Verleumdung klagen .
Fidelis . Das wird ſehr luſtig ſein , lieber General-
direktor .
Zupp ( kuͤhl ) . Ich hielt es nur für meine Pflicht ,
Sie —
Fidelis ( raſch einfallend , luſtig ) . Und das iſt ja dann
ein Prozeß , den ich auf jeden Fall gewinnen muß , ſo
oder ſo !
Zupp . Sie müſſen ihn auch auf jeden Fall ver-
lieren , ſo oder ſo .
Fidelis ( lachend ) . Auch . — Ich lerne alſo ſämtliche
Senſationen kennen , die einem ein Prozeß überhaupt
zu bieten hat . Das iſt ein herrlicher Prozeß ! — Ich
müßte jetzt nur auch noch zum Geſchworenen ausgeloſt
werden . Schade !
Juſtine ( trocken ) . Du biſt ſo ſchon eine ſtändige
Figur der Witzblätter .
Fidelis ( vergnuͤgt ) . Ich ſammle ſie . Für deinen Ge-
burtstag , im Prachtband . — Was ſich andere Leute
das koſten laſſen , in die Zeitung zu kommen ! Und da
ſagſt du noch , daß ich mich nicht aufs Sparen verſtehe !
Zupp ( aufſtehend ) . Wenn Sie alſo nicht doch den
Bericht noch im einzelnen mit mir durchnehmen wollen ,
ſo —
Fidelis ( raſch , mit einem ploͤtzlichen Einfall , indem er
auf den Knopf der elektriſchen Leitung druͤckt ) . Halt ! Der
Habuſch muß ja ſchon da ſein , der Sekretär der Ab-
ſtinenz . Da könnt ihr gleich über den glorioſen Pro-
zeß —
Diener ( tritt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ein ) .
Zupp ( pedantiſch ) . Ich muß bedauern , daß mir meine
ſtreng bemeſſene Zeit durchaus nicht erlaubt —
Fidelis ( zum Diener ) . Herr Habuſch noch nicht da ?
Diener . Der Herr Sekretär wartet bereits .
Fidelis . Ich laſſe bitten .
Diener ( ab ) .
Fidelis ( in einem kindiſch ſchmollenden und bittenden Ton ) .
Verderben Sie mir doch nicht den Spaß ! Es muß zu
luſtig ſein , euch beide —
Zupp ( gemeſſen ) . Ich danke .
Fidelis ( lachend ) . Und ihm iſt 's doch auch nicht an-
genehm !
Zupp ( trocken ) . Ich habe gar nichts gegen die Ab-
ſtinenz , aber einiges gegen die Geſchäftsleute der Ab-
ſtinenz . Sie werden alſo verzeihen — ( reicht ihm die
Hand ) .
Fidelis ( nimmt Zupp unterm Arm ; geheimnisvoll ) . Im
Vertrauen , ich bin gar nicht abſtinent , ich trinke jeden
Abend meinen Schoppen , aber nur ... von der Kon-
kurrenz , keinen Tropfen Schmorr . Sagen Sie 's aber
nicht weiter ! ( Schuͤttelt ihm lachend die Hand . )
Juſtine ( zu Zupp ) . Nun ſtellen Sie ſich vor : davon
die Schwiegermutter ſein zu müſſen ! ( Nickt melancholiſch . )
Zupp ( ihr die Hand kuͤſſend ) . Der Herr Doktor iſt in
der Tat nicht ganz leicht zu entziffern . ( Durch die Tuͤre
links vom Glasſchrank ab . )
Juſtine ( kopfſchuͤttelnd ) . Du biſt wirklich —
Fidelis ( in einem kindiſch bittenden Ton ) . Laß mich
doch mich amüſieren !
Juſtine . Daß du dich über alle Menſchen luſtig
machſt , kann ich verſtehen — es iſt deine Art , hochmütig
zu ſein . Wie ſtimmt aber damit , daß du dich ſo gern
vor den Menſchen lächerlich machſt ? Eins hebt doch
das andere auf .
Fidelis ( leichthin ) . Ich halte von den Menſchen nichts ,
deshalb auch von mir nicht . — Übrigens pflegte ſchon
meine Mutter immer zu ſagen : Fidl , du biſt unheil-
bar verwurſchtelt !
Juſtine . Und du kokettierſt noch damit !
Fidelis ( naiv , treuherzig ) . Glaubſt du ? — Ich rate
dir übrigens , nicht zu viel über mich nachzudenken , das
tut ſchon Luz .
Habuſch ( ſiebenundzwanzig Jahre ; ſchmaͤchtig , mager ,
kraͤnklich , kaͤſiges Geſicht , waͤſſerige Augen , aſchblondes Haar ,
das ihm in duͤnnen Straͤhnen in die niedrige Stirne haͤngt ;
gedruͤckt , ſcheu , dienernd , ſieht einen nicht an und hat die
Gewohnheit , wenn er etwas ſagt , ſeinen langen Hals vorzu-
ſtrecken und ihn , nachdem er geſprochen hat , raſch wieder ein-
zuziehen ; bleibt an der Tuͤr links vom Glasſchrank und ver-
neigt ſich tief , dann erſt kommt er ſchleichend langſam vor
und verneigt ſich nochmals tief vor Juſtine ) .
Fidelis ( kurz ) . Nun , Herr Habuſch , was bringen Sie ?
Scheint ja dringend . — Du kennſt doch den Herrn Se-
kretär ?
Juſtine ( nickt nur kurz ) .
Fidelis . Das iſt der Mann , der das deutſche Volk
wieder aus dem Sumpf ziehen wird . ( Setzt ſich in den
Stuhl links vom ovalen Tiſche rechts und ladet ihn durch eine
Handbewegung ein , ſich auf den Stuhl hinter dem langen
Tiſche rechts zu ſetzen . ) Wollen Sie ein Schnäpschen ?
Habuſch ( knickt zuſammen , ſtreckt ſeinen langen Hals vor
und wehrt tiefgekraͤnkt mit der Hand ab ; er ſetzt ſich dann
auf den Rand des Stuhles ) .
Fidelis ( leicht ungeduldig ) . Nun alſo ?
Habuſch ( mit einer ganz duͤnnen Stimme meckernd ) . Ich
möchte zunächſt darauf hinweiſen , daß wir mit gerech-
tem Stolz auf das abgelaufene Halbjahr blicken dürfen .
Mit ſiegreicher Kraft dringen —
Fidelis ( ihm ins Wort fallend ; trocken ) . Das hab ich
ſchon geleſen .
Habuſch ( etwas unſicher fortfahrend ) . Der Dämon des
Alkohols windet ſich in den letzten verzweifelten Zuckun-
gen , er —
Fidelis ( ihm ins Wort fallend , trocken ) . Er zuckt aber
noch ganz gehörig . Soll ich Ihnen die Ziffer ſagen ?
Um wieviel bei uns im letzten Jahr der Bierkonſum —
geſtiegen iſt ?
Habuſch ( kleinlaut ) . Das hängt wohl damit zuſam-
men , daß —
Fidelis . Und der Erfolg , auf den ich ſo ſtolz ſein
ſoll ?
Habuſch ( ſeinen langen Hals ausſtreckend und gleich wieder
einziehend ) . Theoretiſch , Herr Doktor —
Fidelis ( ungeduldig die Achſel zuckend ) . Theoretiſch !
Habuſch . Wenn wir erſt die Mittel haben werden ,
im großen Stil —
Fidelis . Kurz , Geld wollen Sie . Das hätte ſich
auch ſchriftlich —
Habuſch . Nicht bloß Geld , verehrter Herr Doktor .
Es liegt der Antrag vor , Sie in dankbarer Anerkennung
Ihrer —
Fidelis ( einfallend ) . Und ſo weiter . Mich , was ?
Habuſch . Zum Ehrenpräſidenten oder , wie der Titel
nach unſeren Satzungen lautet , zum Ehrenwart des
Verbandes —
Fidelis . Alſo noch mehr Geld. Gut .
Habuſch . Endlich aber handelt es ſich auch um die
Wahl des wirklichen Präſidenten und da möchte der
Ausſchuß vor allem hören , ob er auf die Zuſtimmung
des Herrn Doktor rechnen kann , wenn dafür Herr von
Oynhuſen vorgeſchlagen wird ?
Fidelis . Oynhuſen ?
Habuſch . Doktor Kuno von Oynhuſen .
3
Fidelis ( achſelzuckend ) . Kenn ich nicht .
Juſtine . Erinner dich ! Als wir zu Weihnachten bei
Tante Hedwig waren , ſaß ſeine Frau beim Diner neben
dir .
Fidelis . Ah die Kleine mit dem Tituskopf , eine
Wienerin ? Sie ſchlängelte ſich und erzählte mir fort-
während , wie ſie ſich langweilt . — ( Zu Habuſch . ) Der
Mann paßt ausgezeichnet .
Habuſch . Legationsſekretär a. D .
Fidelis . Warum a. D. ?
Juſtine . Es war irgend eine Geſchichte . Tante
Hedwig deutete ſo was an . Aber ſehr gute hanno-
veraniſche Familie .
Fidelis . Die Frau wirkt nicht ſehr hannoveraniſch .
Juſtine . Die ſcheint auch mehr bloß ſo zur Ver-
goldung — ( Haͤlt mit einem vorſichtigen Blick auf Habuſch
ein . )
Fidelis ( zu Habuſch ; trocken ) . Alſo den nehmt nur !
Hat offenbar nichts zu tun , Drang nach Betätigung und
Diplomat , was will man mehr ?
Habuſch . Nur ſtellt Herr Doktor von Oynhuſen ja
gewiſſe Bedingungen . Nämlich , daß mit ihm nun auch
ſeine ganze Gruppe in den Verein aufgenommen wer-
den ſoll .
Fidelis . Welche Gruppe ?
Habuſch . Der hieſigen Roſenkreuzer .
Fidelis . Wußt ich gar nicht .
Juſtine . Was ſind denn Roſenkreuzer ?
Fidelis ( leichthin ) . Zauberer .
Juſtine ( laut , mißtrauiſch , ſcharf ) . Waas ?
Fidelis ( leichthin ) . So Leute , die zaubern . Kommen
mit Verſtorbenen zuſammen , hören es hier , wenn ſich
einer in Chicago ſchneuzt , und machen die Welt beſſer .
Das iſt jetzt ſehr beliebt , faſt wie Bridge .
Habuſch ( ſeinen langen Hals ausſtreckend , feierlich , leiſe ) .
Der Bewegung läßt ſich doch ein gewiſſer ſittlicher Ernſt
nicht abſprechen , Herr Doktor . ( Zieht den Hals wieder ein . )
Fidelis ( trocken ) . Zaubern Sie auch ?
Habuſch . Doktor von Oynhuſen war ſo gütig , mich
an einigen Sitzungen teilnehmen zu laſſen . Und ich
muß ſagen , daß ich da doch einen mächtigen , einen
ganz gewaltigen Eindruck gewonnen habe . Es hat ſich
mir ein neues , ungeahntes Feld aufgetan .
Fidelis ( trocken ) . Es iſt ſo für Leute , die ... neue
Felder brauchen . — Na und da ſoll das jetzt zu-
ſammengemiſcht werden : Abſtinenz mit Zauberei ?
Habuſch . Doktor von Oynhuſen meint , und dieſer
Meinung iſt im Ausſchuß vielfach zugeſtimmt worden ,
daß die Bewegung gegen den Alkohol doch eigentlich
nur ein einzelnes Glied in einem ganzen großen Kom-
plex von Fragen iſt und daß ſie ſich alſo nicht iſolieren ,
ſondern an die , wie er es nennt , Mutterbewegung an-
ſchließen ſollte , eben jene mächtige , die ganze Zeit er-
ſchütternde Bewegung , die auf völlige Umkehr des
äußeren und des inneren Menſchen , auf völlige ſittliche
Erneuerung unſeres geſamten Lebens dringt .
Fidelis ( kurz ) . Kann den Menſchen ſicher nicht ſcha-
den , ſich einmal wenden zu laſſen .
Habuſch . Herr Doktor würden alſo nichts dagegen
einzuwenden haben , daß —
3*
Fidelis ( kurz ) . Nein .
Habuſch ( ſteht auf ; wieder ſehr feierlich ) . Dann er-
übrigt mir nur , ſehr verehrter Herr Doktor , Ihnen
nochmals den tiefgefühlten Dank unſeres Vereins für —
Fidelis ( einfallend , kurz ) . Der Betrag wird Ihnen
angewieſen werden . — ( Ihn von oben bis unten betrach-
tend . ) Aber , lieber Habuſch , nähren Sie ſich beſſer , ge-
deihen Sie mehr , Sie ſehen nicht gut aus — wie ſoll
man da Luſt zur Abſtinenz kriegen !
Habuſch ( klaͤglich ; ſich vor Fidelis verneigend ) . Ich
werde mich bemühen , Herr Doktor . ( Mit einer tiefen
Verneigung vor Juſtine durch die Tuͤre links vom Glas-
ſchrank ab . )
Fidelis ( Habuſch nachblickend , indem er ſich zu Juſtine
ſetzt , um Tee zu trinken ) . Sicher ein heimlicher Säufer ,
der Filou !
Juſtine . Welchen Sinn hat es eigentlich , ſich mit
derlei Leuten einzulaſſen ?
Fidelis . Keinen .
Juſtine . Warum alſo ?
Fidelis . Mamchen , der Dinge , die Sinn haben , ſind
zu wenig . Muß ich mir eins leihen , wie die Kinder
beim Rechnen ſagen .
Juſtine . Biſt du denn wirklich ſo gegen den Alkohol ?
Fidelis . Ich bin gegen nichts . Und ich bin eigent-
lich auch für nichts .
Juſtine ( aͤrgerlich , ſtreitſuͤchtig ) . Eins muß aber doch
das Richtige ſein .
Fidelis . Muß es ?
Juſtine . Entweder das eine oder das andere .
Fidelis . Oder keins . Oder beides . Ich weiß es
nicht . — Ich braue Bier , verdiene damit Geld und ver-
wende das dann , um den Leuten das Bier zu verekeln .
( Lacht. ) Das macht mir Spaß und mag auch eine Art
moraliſcher Rückverſicherung ſein . Könnte man ſich 's
in allen Dingen ſo einrichten , dann käme man vielleicht
der Wahrheit näher .
Juſtine ( ploͤtzlich ſehr gereizt ) . Du philoſophierſt mir da
vor und denkſt nicht daran , daß indeſſen deine Frau —
Fidelis ( ernſt ) . Ich denke die ganze Zeit daran .
Juſtine ( vorwurfsvoll ) . Das weißt du dann aber gut
zu verbergen .
Fidelis ( achſelzuckend ; trocken ) . Wir können auch die
Hände ringen , wenn du dir davon mehr verſprichſt .
Juſtine ( nach einer kleinen Pauſe , leiſe , langſam , angſt-
voll ) . Fidl ! Ich komme nicht mehr leicht in Alarm , aber
in ihrem letzten Brief , weißt du , wo ſie mir abſchrieb ,
da ſtand : ( ganz leiſe , ſehr langſam ) es hätte jetzt ja
doch alles keinen Sinn mehr , ſie ſei nun einmal ver-
loren .
Fidelis ( ganz ernſt , ohne Spott , rein ſachlich ) . Sie war
in dieſen drei Jahren ſchon ziemlich oft verloren .
Juſtine ( leiſe , in einem faſt bittenden Ton ) . Es könnte
doch aber auch einmal — ( Haͤlt ein und blickt Fidelis
aͤngſtlich an . )
Fidelis ( kurz zuſtimmend ) . Es könnte . — ( Steht auf
und geht langſam zum Kamin ; nach einer kleinen Pauſe ,
achſelzuckend . ) Es kann jedem Menſchen jeden Augenblick
alles mögliche geſchehen .
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Komm mir nicht wieder mit
deinem Fatalismus !
Fidelis . Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken
können , um das Schickſal zu haben , genau wie du's
befiehlſt . Der iſt aber noch nicht erfunden .
Juſtine ( heftig ) . Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp
wie du !
Fidelis . Du nennſt ſchlapp , wenn man nicht gegen
das Leben ſchwimmt . Stromaufwärts ſieht's freilich
heroiſcher aus . Stromabwärts aber kommt man weiter .
Juſtine ( heftig ) . Es handelt ſich doch darum , wohin
man will !
Fidelis . Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht . Es
iſt ſchließlich überall ganz ſchön ! Und Titanide bin
ich keiner .
Juſtine . Was iſt das eigentlich , ein Titanide ?
Fidelis ( luſtig ) . Das was du biſt . Mit Kohlen-
großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem
Atemzug .
Luz ( noch draußen unſichtbar ; aufgeregt rufend ) . Fidl ,
denk dir nur — ( Reißt die Tuͤre links vom Glasſchrank
auf und ſtuͤrzt herein ; einundzwanzig Jahre ; groß , noch ſchlank ,
wenn man ihr auch anſieht , daß ſie bald ſtark werden wird ;
Blondine , blaſſes , unregelmaͤßiges , lebhaft bewegtes Geſicht ,
mit großen erſchrockenen blauen Augen , einer kurzen , ſchmalen ,
zitterigen Naſe und einem kleinen runden Mund , der immer
offen und meiſtens unbeweglich bleibt ; mit wirklicher , aber eher
einer amerikaniſchen Eleganz gekleidet ; ſie kommt jetzt aus
dem Auto wie eine fliegende Wolke von wehenden Schleiern ,
aus denen ſie ſich erſt allmaͤhlich herauswickelt ; atemlos . )
Ich fuhr dir entgegen , ich wollte — ( Sie will auf
Fidelis zu und erblickt nun erſt Juſtine ; unangenehm uͤber-
raſcht. ) Du ? ( Heftig. ) Ich ſchrieb dir doch noch geſtern
und bat dich ausdrücklich — !
Juſtine ( aufſtehend , beguͤtigend ) . Nun , nun !
Fidelis ( in einem ſcherzenden Ton ) . Etwas mehr Kindes-
liebe , bitte .
Luz ( ſtuͤrzt an ſeine Bruſt und umſchlingt mit beiden
Armen ſeinen Hals ) . Ach Fidl , weil ich nur wieder bei
dir bin ! ( Mit geſchloſſenen Augen an ihn gelehnt . ) Nun
wird alles ja wieder gut ! ( Schreit ploͤtzlich leiſe auf ,
druͤckt ihre linke Hand aufs Herz , taumelt von ihm weg zuruͤck
und ſcheint ſchon zu fallen , als Fidelis ſie noch auffaͤngt
und ſtuͤtzt . )
Fidelis ( faͤngt Luz auf und ſtuͤtzt ſie ) . Kind ! Seid
ihr wieder ſo ſinnlos gejagt ? ( Lachend. ) Und aber
natürlich den Weg verfehlt !
Luz ( macht ſich von ihm los ; raſch , aufgeregt ) . Nein ,
Fidl ! Wir kamen pünktlich an .
Fidelis ( erſtaunt ) . Ich ſtand doch in jeder Station
am Fenſter , weil mir ſchon ahnte —
Luz ( den Kopf ſenkend , nickend ; leiſe ) . Ich ſah dich —
Fidelis ( ſehr ſchnell ) . Dann begreif ich aber nicht —
Luz ( ſehr ſchnell ) . Du konnteſt nicht , ich war ver-
ſteckt —
Fidelis ( ſtutzig ; langſamer ) . Und warum ſtiegſt du
denn nicht ein ?
Luz ( wie im Fieber ) . Ich hatte nicht den Mut .
Fidelis ( ruhig fragend , nicht laut ) . Luz ? ( Er ſucht mit
ſeinem Blick den ihren . )
Luz ( blickt ihn nicht an und wendet ſich ab ; heftig ,
aber nicht laut ) . Frag nicht , quäl mich nicht ! ( Bedeckt
ihre Augen mit den Haͤnden ; ſchwer atmend , leiſe . ) Ich
werde dir ja alles ſagen . Laß mich nur erſt ! Ich
komme dann gleich zu dir . ( Geht zur zweiten Tuͤre rechts ,
an der ſie ſich zu Juſtine umwendet ; kurz , ſcharf . ) Sei
mir nicht bös , Mamchen , aber ich — muß dann jetzt
mit Fidl allein ſein . ( Durch die zweite Tuͤre rechts ab. )
Juſtine ( nach einer kleinen Pauſe , leiſe . ) Glaubſt du
noch , daß es bloß das ... das dramatiſche Bedürf-
nis iſt ?
Fidelis ( zuckt nur die Achſel ) .
Juſtine ( mitleidig ) . Du haſt es ja nicht leicht mit ihr .
Fidelis ( trocken ) . In unſerer Ehe geht immer etwas
vor . Das hat auch ſeinen Reiz .
Juſtine ( ſchickt ſich an , zur Tuͤre rechts vom Glasſchrank
zu gehen ) . Du rufſt mich dann wohl ?
Fidelis ( ſpoͤttiſch ) . Neugierig ?
Juſtine ( heftig ) . Ich glaube doch ein gewiſſes An-
recht —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ) . Mütter wollen nie
aufhören , ihre Kinder zu ſtillen .
Juſtine ( in einem herrſchſuͤchtigen Ton ) . Willſt du
mich aus dem Leben meiner Tochter ausſchalten ?
Fidelis . In menſchlichen Beziehungen , Mamchen ,
iſt nichts verbrieft .
Juſtine ( faſt etwas ſchadenfroh ) . Da könnte dir ja
auch — ? ( Sie haͤlt ein , mit einem Blick auf Fidelis . )
Fidelis ( Juſtine ruhig anſehend ) . Ja , Mamchen. Ge-
wiß . Aber willſt du 's nicht lieber abwarten ?
Juſtine ( wendet ſich achſelzuckend von ihm ab ; durch
die Tuͤre rechts vom Glasſchrank ab ) .
Fidelis ( blickt ihr nach , geht dann langſam an das zweite
Fenſter links , bleibt hier ſtehen , wendet ſich ploͤtzlich um ,
geht raſch zur zweiten Tuͤre rechts , will ſchon oͤffnen , oͤffnet
aber nicht , ſteht an der Tuͤre nachdenklich , geht langſam zum
ovalen Tiſch rechts , ſtopft ſich hier eine kleine engliſche Holz-
pfeife , zuͤndet ſie an , und ſetzt ſich ) .
Luz ( durch die zweite Tuͤre rechts ; in einem weiten , loſen
Hauskleid ; geht , die beiden Haͤnde flach an die Schlaͤfen ge-
preßt , zum Lehnſtuhl hinter dem ovalen Tiſch ; leiſe ) . Ich
muß es dir ſagen . Ich werde ſonſt noch verrückt ! Ich
kann einfach nicht mehr . ( Mit einem traurigen Laͤcheln ;
zaͤrtlich . ) Armer Fidl ! Ich werde dir ſehr weh tun
müſſen .
Fidelis ( ruhig rauchend ) . Ich halte ſchon einen Puff
aus .
Luz ( vor ſich hin ; leiſe ) . Ich kann ja nichts dafür .
Ich bin nicht ſchuld . Das war gar nicht ich , das iſt
ein mir ganz fremdes Geſchöpf , ich weiß nicht , aber es
iſt ſtärker als ich , es macht mit mir , was es will , und
wenn du mir nicht hilfſt , Fidl — ! Du mußt mir hel-
fen ! Ich bin verloren , wenn du mir nicht hilfſt !
Fidelis ( immer ganz ruhig ) . Ich will dir gern helfen ,
das weißt du doch .
Luz ( den Ton wechſelnd ; laut , erbittert , heftig ) . Glaub
doch das nicht ! Nein ! Mir kann niemand mehr helfen !
( Schuͤttelt ſich , geht zur Sitzbank links und bleibt dort ſtehen ,
ſtarr vor ſich hin ins Leere blickend . )
Fidelis ( nach einer Pauſe ) . Du wollteſt mir erzählen .
Luz ( heftig , aber nicht laut ) . Wozu ? Du kannſt mir
nichts ſagen , was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge-
ſagt hätte . Das weiß ich alles ſelbſt ! Das bringt uns
nicht weiter , das hilft mir alles nichts , mir iſt nicht
mehr zu helfen ! ( Geht zum erſten Fenſter links ; nach einer
kleinen Pauſe , ruhig . ) Oder kannſt du dir vorſtellen , daß
ein Menſch etwas tut , was durch ſein ganzes Weſen
völlig ausgeſchloſſen iſt ?
Fidelis . Das kommt alle Tage vor .
Luz ( den Ton wechſelnd ; leicht gereizt , ungeduldig ) . Fidl ,
ich bitte dich ! Sei jetzt nicht , ſei nicht überlegen und
( ſie betont das naͤchſte Wort mit großer Bitterkeit ) philo-
ſophiſch ! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt , dann , dann
— ( ſie nimmt ihr Taſchentuch , ſteckt es in den Mund und
beißt daran , um nicht zu weinen ; als ſie ſoweit iſt , daß ſie
wieder ſprechen kann , hat ihre Stimme einen faſt trotzigen
und hoͤhniſchen Ton ) dann iſt 's eben aus , das wird
ja vielleicht das Beſte ſein , ich wünſche mir nur , es wär
ſchon ſo weit ! ( Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme . ) Es
gab Stunden in dieſen letzten Tagen , da war ich bereit ,
ein Ende zu machen . ( Bitter . ) Vielleicht findeſt du
wieder , daß auch das alle Tage vorkommt . ( Den Ton
wechſelnd ; langſamer , ganz leiſe . ) Und wenn ich es nicht
tat , das war nicht Feigheit . Es gehörte vielleicht mehr
Mut dazu , es nicht zu tun . Und nur ( mit ganz leiſer , in
Traͤnen erſtickender Stimme ) nur deinetwegen ! Du haſt
mir ſo leid getan ! ( Wendet ſich ab und tritt ganz dicht
an das erſte Fenſter , ſtill weinend . )
Fidelis ( nach einer Pauſe , in der er ſie ſtill weinen laͤßt ;
leiſe vor ſich hin , innig ) . Arme kleine Luz !
Luz ( ſchluchzt bei ſeinen Worten laut auf , voll Mitleid
mit ſich ſelbſt ) . Ja , Fidl , ich bin ſehr arm ! ( Schluchzt
noch einmal auf ; dann , in einem kindiſch klagenden Ton . )
Im Auto hab ich mir heute die ganze Zeit gewünſcht :
Wenn wir nur ſchon im Graben lägen , und alles wär
vorbei ! — Du biſt ja ſo ſtark , Fidl ! Du hätteſt es
überwunden .
Fidelis ( ganz ruhig , trocken ) . An den Chauffeur aber
haſt du nicht gedacht ?
Luz ( noch in Traͤnen ; im Ton eines gekraͤnkten Kindes ,
klagend ) . Du machſt ſchon wieder Witze !
Fidelis ( trocken ) . Kind , das iſt gar kein Witz , wenn
ich dagegen bin , ſeinen Chauffeur umzubringen .
Luz ( wendet ſich ploͤtzlich heftig um ; mit harter Stimme ,
faſt ſchreiend ) . Was ich da durchgemacht habe , war ſo
gräßlich , daß ich mit keinem Menſchen mehr Mitleid
haben kann ! ( Indem ſie wieder zur Sitzbank geht . ) Das
ahnt ja niemand , das ahnt ja niemand ! ( Ploͤtzlich wieder
ſehr heftig , faſt wild . ) Und man ſoll mir nur nicht mehr
ſagen , daß Leid veredelt ! Gemein und tückiſch und nieder-
trächtig macht 's ! Mich ekelt ja vor mir ſelbſt ! ( Setzt
ſich auf die Sitzbank links . )
Fidelis ( ſteht behutſam auf und legt ſeine Pfeife auf den
langen Tiſch rechts ; nach einer kleinen Pauſe , ſehr ruhig ) .
Wie wär's , wenn du mir nun aber von Anfang an er-
zählteſt !
Luz ( mit einem harten und trotzigen Geſicht , zu Boden
blickend ; hoͤhniſch , leiſe ) . Wünſch dir 's nicht !
Fidelis ( geht langſam nach links ; nach einer kleinen
Pauſe , wieder ſtehen bleibend , in einem ſehr einfachen Ton ) .
Erinnerſt dich , wie wir einmal — hier in dieſem Zim-
mer , und ( mit einem leiſen Laͤcheln ) es war ganz feier-
lich — wie wir einander verſprachen , uns immer alles
zu ſagen , was es auch ſein würde ?
Luz ( ohne ihn anzuſehen ; leiſe , faſt feindſelig ) . Wünſch
dir 's nicht , du wirſt es bereuen ! — ( Sehr heftig. ) Du
kennſt mich ja noch gar nicht ! Ich habe mich auch nicht
gekannt . — ( Ploͤtzlich aufſchreiend , indem ſie raſch aufſpringt
und raſch nach rechts geht , wie vor ihm fliehend . ) Quäl
mich doch nicht ! Ich kann nicht , ich kann nicht ! ( Sinkt
erſchoͤpft in den erſten Lehnſtuhl rechts , den rechten Arm
aufſtuͤtzend , ihr Geſicht mit der Hand bedeckend ; nach einer
langen Pauſe ; leiſe , weich . ) Ich hab mich ja ſo nach
dir geſehnt ! Nur erſt wieder bei dir ſein und es dir
ſagen können , dann wär ſicher alles wieder gut ! —
Deshalb fuhr ich dir auch entgegen . Ich wollte zu dir
in den Zug , um's dir auf der Fahrt zu ſagen . Da
wäre das alles dann dort draußen in der fremden Ge-
gend , weit hinter uns , liegen geblieben , wir aber wären
heimgefahren und hier in unſerem lieben Haus —
Fidelis ( ihren Satz vollendend , mit einem leiſen Laͤcheln ) .
Da wär dann gar nichts mehr davon übrig geweſen .
Das war ſehr lieb gedacht von dir . ( Setzt ſich auf die
Sitzbank links . )
Luz ( weiter erzaͤhlend ) . Ich trieb den Chauffeur nur
immer noch ſchneller und noch ſchneller , ich ſah nichts ,
ich wußte nichts , ich ſpürte nichts mehr als nur meinen
Schleier im Wind , das war ſo gut ! Aber dann die
Stunde in der kleinen Station — ich kam zu früh ,
dieſe gräßliche Stunde , auf dem Perron hin und her ,
tauſend Mal auf und ab , die Knie zitterten mir vor
Müdigkeit , aber ich konnte nicht ſitzen , ich konnte nicht !
Bis endlich vom Wald hier ein Brauſen , ein Pfiff , ich
aber rannte davon , ich weiß nicht , aber nur fort , fort ,
daß du mich nur ja nicht ſiehſt ! Und im Saal ver-
ſteckt , ſah ich dich , du ſtandſt am Fenſter , aber wenn
du mich erblickt hätteſt , ich wäre ſinnlos vor dir weg-
gerannt ! Kaum aber warſt du fort , da kam die Reue .
Jetzt hätt ich ihm ja ſchon alles geſagt und alles
wär wieder gut ! — ( Sehr heftig . ) Ach wär ich doch
nicht feig geweſen ! Im Zug hätt' ich 's dir ſagen
können ! Aber hier — ( Aufſpringend ; außer ſich ) nie !
Zwing mich nicht , Fidl ! Du zerſtörſt ſonſt alles !
( Geht in heftiger Erregung zum zweiten Fenſter links , ſchlaͤgt
die Vorhaͤnge zuruͤck und blickt in den dunklen Garten hinaus . )
Fidelis ( nach einer ſehr langen Pauſe ; mehr vor ſich
hin , ruhig uͤberlegend ) . Wenn du mir 's nicht ſagen willſt
oder wirklich nicht ſagen kannſt —
Luz ( wendet ſich mit einem Ruck wieder nach ihm um ;
mit einem heftigen Ausbruch , ſchreiend ) . Ich muß es dir
aber ja ſagen , es zerſprengt mich ſonſt ! — ( Kommt
vom Fenſter weg zu ihm ; in hoͤchſter Erregung , ſehr ſchnell . )
Warum hilfſt du mir denn gar nicht , Fidl ? — Du
behandelſt alle Menſchen , als wären ſie wie du ! Ich
bin nicht ſo ſtark , mich darfſt du nicht mir überlaſſen ,
ich finde mich nicht mehr zurecht , du mußt mir ſagen ,
was ich ſoll , auch wenn's mir weh tut ! Tu mir weh ,
tu mir weh , nur hilf mir ! Hilf mir doch , Fidl ! ( Sie
iſt jetzt bis dicht vor ihn gekommen und ſtreckt ihm die
Haͤnde flehend entgegen . )
Fidelis ( ſteht auf und nimmt ſie an der Hand ; ruhig ) .
Luz !? Iſt das meine ſtolze Luz , die , wenn man ihr
einen Vorwurf macht , den Kopf zurückwirft und das
Kinn verſchiebt und ſpöttiſch erklärt : So bin ich eben
und wenn's dir nicht recht iſt , wie ich bin , hätt'ſt du
dir eine andere ſuchen müſſen !? ( Sieht ſie laͤchelnd an . )
Luz ( entzieht ihm ploͤtzlich heftig ihre Haͤnde , tritt von
ihm weg nach rechts , blickt zu Boden und ſagt vor ſich hin ,
tonlos ) . Vielleicht ſuchſt du dir jetzt eine andere .
Fidelis ( durch ihren Ton befremdet ; ſieht ſie fragend an ;
dann , ſehr ernſt , langſam ) . Was iſt denn alſo nur !
Luz ( halb von ihm abgewendet , zu Boden blickend ; trotzig
drohend , leiſe ) . Zwing mich nicht , ich warne dich !
Fidelis ( blickt ſie einen Augenblick fragend an , wird un-
entſchloſſen und geht langſam zum erſten Fenſter links ; nach
einer kleinen Pauſe wendet er ſich wieder nach ihr um ; ruhig ) .
Nein . Kennſt du mich ſo wenig ? ( Laͤchelnd . ) Deshalb
klagt doch Mamchen immer über meinen Undank , weil
ich ihr nicht , wenn ſie mir einen neuen Koffer ſchenkt ,
gleich den Preis dafür in barem Gefühl zurückzahle .
Ich ſtehe nicht in ſolcher Verrechnung mit meinen Mit-
menſchen . Wenn ich wen nicht mag , ſo hilft 's ihm
nichts , wenn er ſich noch ſo gut gegen mich benimmt .
Und wenn ich wen mag , ſo ſchad'ts ihm auch nichts ,
wenn er mir hundert Mark ſtiehlt .
Luz ( gierig zuhoͤrend , jedes Wort foͤrmlich einſaugend ;
jetzt lebhaft widerſprechend ) . Das iſt doch nicht ſo !
Fidelis ( leichthin ) . Gewiß . Soll ich wegen hundert
Mark — ?
Luz ( raſch einfallend ) . Aber daß er einer ſolchen Hand-
lung fähig iſt , kann dir doch nicht gleichgültig ſein ! Nicht
wegen der hundert Mark ! Aber wenn ein Menſch , dem
du das nie zugetraut hätteſt , ſtiehlt , das muß doch dein
Gefühl — denn dann iſt er ja nicht mehr der , der er
bisher für dich war !? ( Blickt ihn angſtvoll an , gierig
ſeine Antwort erwartend . )
Fidelis ( durch ihren Ton verwundert , mit einem ploͤtz-
lichen Argwohn , indem er auf ſie zugeht und ſie forſchend
anſieht ; ernſt fragend , langſam ) . Sag , Luz — ?!
Luz ( zuſammenſchreckend ; leiſe , ſehr raſch ) . Ja , was ?
Fidelis ( ganz ruhig , langſam , nicht laut ) . Haſt du viel-
leicht geſtohlen ?
Luz ( gar nicht erſchreckt , bloß ſehr verwundert ) . Wie
kannſt du nur — ?
Fidelis ( trocken ) . Es kommt vor .
Luz ( lachend ) . Ich wüßte wirklich auch nicht ! Wozu
denn ? Ich kann doch alles haben !
Fidelis . Meine Schweſter wurde von ihrer beſten
Freundin beſtohlen , einem ſehr reichen Mädchen , das
auch „ alles hatte “ . Frauen erliegen manchmal ſolchen
Gelüſten . Man nennt das , wenn 's in unſeren Kreiſen
paſſiert , Kleptomanie . ( Indem er ſie wieder forſchend
anblickt . ) Das iſt es alſo nicht ?
Luz ( leiſe , faſt hoͤhniſch ) . Wenn 's nur das wär !
( Ploͤtzlich wieder ſehr heftig . ) Frag nicht , frag mich nicht !
Ich kann ja nicht , ich hab dich doch ſo lieb ! ( Stuͤrzt ,
in Traͤnen ausbrechend , an ſeinen Hals ; ſehr aufgeregt ,
fiebernd , immer ſchneller . ) Du biſt ſo gut , unſer Leben
war ſo ſchön und nie hätt ich gedacht — nie , nie !
Ich hab ſo feſt geglaubt , es muß immer ſo bleiben —
ich hab mir das ja ſo gewünſcht ! ( Immer heftiger weinend . )
Nie hätt ich gedacht , daß ich dir — Fidl , daß ich —
( ſich an ihn klammernd , ihr Geſicht an ſeiner Bruſt ver-
bergend , heftig weinend ) untreu — ( ihre Stimme erſtickt
im Weinen ) .
Fidelis ( macht ſich langſam von ihr los , tritt nach rechts
an den ovalen Tiſch und bleibt ſtehen , ein wenig vorgebeugt ,
mit dem Ruͤcken zu Luz ) .
Luz ( weint noch immer ſtill , wiſcht ſich das Geſicht ab ,
blickt Fidelis mit gierig erwartenden Augen nach und faltet
dann bittend die Haͤnde ; mit tonloſer Stimme ) . Fidl !
Fidelis ( blickt nun erſt wieder auf ; nach einer kleinen
Pauſe , ruhig , leichthin ) . Laß mich nur erſt — ( Er nimmt
die kleine engliſche Holzpfeife und zuͤndet ſie wieder an , ſteht
dann noch rauchend eine Weile , endlich wendet er ſich wieder
halb nach ihr um , ganz ruhig fragend . ) Wer denn ?
Luz ( zuckt zuſammen , dann in einem leiſe klagenden Ton ) .
Hättſt du mich doch damals gleich genommen und wärſt
mit mir fort !
Fidelis . Wann ?
Luz ( muͤhſam ) . Erinnerſt du dich , wie wir zu Weih-
nachten bei Tante Hedwig waren ? ( Leiſe. ) Seine Frau
ſaß neben dir .
Fidelis ( ganz ruhig ) . Der Zauberer ?
Luz ( in einem bittenden Ton , leiſe ) . Nicht ! nicht über
ihn ſpotten !
Fidelis ( leichthin ) . Ich denke , das iſt ſein Beruf ?
Luz ( erſchauernd , leiſe ) . Er ſteht mit furchtbaren Mäch-
ten im Bunde . — ( Sie ſchuͤttelt ſich und tritt dann an
den runden Tiſch links ; nach einer Pauſe , faſt in einem ent-
ſchuldigenden Ton . ) Ich hab 's dir doch ſagen müſſen ,
ich hätt dir ja nie mehr in die Augen ſchauen können !
( Setzt ſich auf die Sitzbank , die Haͤnde auf den runden Tiſch
legend , mit dem Ruͤcken zu Fidelis ; kindlich klagend , leiſe . )
Und du biſt ja auch ſelbſt ſchuld ! Du wollteſt es ja !
Fidelis ( erſtaunt aufblickend ) . Ich ?
Luz . Haben wir uns nicht verſprochen , uns immer
alles zu ſagen ?
Fidelis . Ach ſo .
Luz . Und ich weiß noch deine Worte ! Daß dich
nichts jemals an mir irre machen kann ! — ( Senkt den
Kopf auf den Tiſch . ) Fidl , ich hab dich ja ſo lieb !
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; langſam , leiſe ) . Irrſt
du dich da nicht jetzt doch in der Adreſſe ?
Luz ( zuckt zuſammen , ihr Geſicht wird hart , ſie ſetzt ſich
auf ; nach einer kleinen Pauſe , immer noch mit dem Ruͤcken
zu ihm , ohne zuruͤckzublicken ; tonlos ) . Was wird geſchehen ?
( Wartet auf ſeine Antwort ; da er ſchweigt , aufſchluchzend ,
ganz leiſe ) . Wir ſind ſehr unglücklich .
Fidelis ( trocken ) . Für dich liegt eigentlich dazu keine
rechte Veranlaſſung vor .
Luz ( durch ſeinen ſpoͤttiſchen Ton empoͤrt , aufſpringend ,
ſich nach ihm umwendend ; ſehr heftig ) . Wenn du plötz-
lich eine andere lieber hätteſt als mich , wärſt du nicht
unglücklich ?
Fidelis ( trocken ) . Von der Seite hab ich dieſe Mög-
lichkeit noch gar nicht erwogen .
Luz ( durch ſeine Ruhe gereizt , heftig ) . Du biſt ja
merkwürdig gefaßt ?!
Fidelis ( trocken ) . Ich weiß es noch nicht genau .
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Luz ( hoͤhniſch ) . Du ſcheinſt faſt erleichtert , daß —
Fidelis ( dazwiſchenſprechend , trocken ) . Übertreibe nicht !
Luz ( ohne ſich unterbrechen zu laſſen , gleich weiterſprechend ,
leidenſchaftlich ) . Daß ich wenigſtens nicht geſtohlen habe !?
( Hoͤhniſch lachend . ) Nicht ?
Fidelis ( trocken ) . Du ſtellſt mir Alternativen —
Luz ( ploͤtzlich voͤllig den Ton wechſelnd , aus leidenſchaft-
lichem Hohn in ſchmerzliches Flehen ) . Fidl ! Kannſt du
mir nicht verzeihen ?
Fidelis ( kurz ) . Ich habe dir nichts zu verzeihen .
( Tritt an den langen Tiſch und legt die Pfeife weg . ) Das
alberne Wort paßt hier gar nicht . ( Geht einige Schritte
zuruͤck ; dann ſtehen bleibend , mehr zu ſich ſelbſt . ) Menſchen ,
die ſich lieben , müſſen damit rechnen , daß es aufhören
kann .
Luz ( weinend ; heftig ) . Dann haſt du mich nie ge-
liebt ! Wenn du ſo berechnend biſt , daß du denken konn-
teſt —
Fidelis ( trocken ) . Du vergißt , daß ja nicht ich auf-
gehört habe , dich lieb zu haben , ſondern du mich .
Luz ( außer ſich , heftig weinend ) . Sag das nicht ! Ich
hab dich ja ſo lieb !
Fidelis ( der ungeduldig wird ) . Aber doch ... anders !
Luz ( leidenſchaftlich beteuernd ) . Nie hab ich dich ſo
lieb gehabt ! Ich weiß ja jetzt erſt , wie lieb ich dich
hab !
Fidelis ( heftig ) . Und den anderen ?
Luz ( blickt ihn nur hilflos verwirrt an ) .
Fidelis ( da ſie nicht antwortet ; wieder ruhig , trocken ) .
Den — Zauberer ?
Luz ( beſchaͤmt den Kopf ſenkend ; ganz leiſe ) . Nie hab
ich ſtärker geſpürt , wie lieb ich dich hab , — glaub mir
doch , Fidl !
Fidelis ( achſelzuckend ) . Ja , Kind , die Polygamie kön-
nen wir aber deinetwegen nicht einführen .
Luz ( tieftraurig ; leiſe ) . Nichts als Spott haſt du für
mich .
Fidelis ( ernſt , faſt mitleidig ) . Nein , Luz , aber —
Luz ( leiſe klagend ) . Ich hatte gedacht , du würdeſt mich
in deinen ſtarken Arm nehmen und dann wäre alles wie-
der gut !
Fidelis ( in einem gutmuͤtigen Ton , langſam ) . Du vergißt
dabei nur , daß wir ja jetzt — Kind , wir ſind ja jetzt
doch ... zu dritt .
Luz ( aufſpringend , wendet ſich mit einem Ruck nach ihm
um ; in hoͤchſter Erregung ) . Du willſt doch nicht — ?
( Stuͤrzt auf ihn zu . ) Fidl , verſprich mir , daß du nie dar-
über mit ihm ſprechen wirſt !
Fidelis ( befremdet ) . Was iſt denn ?
Luz ( am ganzen Leibe zitternd ) . Nie , hörſt du ? Schwör
mir , daß du nie —
Fidelis ( nimmt ſie beſorgt an der Hand ) . Luz , was — ?
Luz ( entſetzt ) . Er hat ſchon einmal einen Menſchen
getötet !
Fidelis ( uͤberraſcht , aber ganz ruhig ) . O .
Luz ( keuchend ) . Er hat eine Frau verführt und den
Mann dann im Duell erſchoſſen . — Verſprich mir ,
Fidl — —
Fidelis . Ich verſpreche dir , daß er mich nicht er-
ſchießen wird .
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Luz ( mit irren Augen , in hoͤchſter Angſt , ſchreiend ) . Du
verbirgſt mir etwas ?
Fidelis ( haͤlt ihre beiden Haͤnde feſt und ſchuͤttelt ſie , wie
um ſie aufzuwecken ) . Kind , Kind !
Luz ( ſchreiend ) . Was haſt du vor ?
Fidelis ( ſehr ruhig , laut ) . Gar nichts .
Luz ( faͤhrt zuſammen , reißt die Augen auf , ſcheint ploͤtzlich
aufzuwachen , blickt ihn an und zieht dann ihre Haͤnde zuruͤck ) .
Fidelis ( laͤßt ihre Haͤnde los ; nach einer langen Pauſe ,
ganz ruhig ) . Ich habe gar nichts vor . — Ich wundere
mich ſelbſt über mich . Ich warte die ganze Zeit ver-
geblich darauf , zornig oder unglücklich oder eiferſüchtig
zu werden . Es gelingt mir nicht . — ( Wendet ſich achſel-
zuckend von ihr ab und geht nach links , gegen das erſte
Fenſter hin ; nach einer kleinen Pauſe . ) Daß ich mich nicht
wie ein Menſchenfreſſer benehmen würde , war ja wahr-
ſcheinlich . Mehr aber kann ich ſelbſt bisher beim beſten
Willen nicht aus mir herausbringen . — Und entſchul-
dige , aber ich glaube nicht , daß mir deine Gegenwart
dabei viel nützen wird .
Luz ( ſenkt ergeben den Kopf , wendet ſich um und geht
gehorſam zur zweiten Tuͤre rechts ) .
Fidelis ( am erſten Fenſter links bleibend , wartet , bis ſie
zur Tuͤre kommt ; dann , ruhig rufend ) . Luz !
Luz ( wendet ſich an der zweiten Tuͤre rechts auf ſeinen
Ruf noch einmal nach ihm um und blickt ihn an ) .
Fidelis ( ſehr einfach ) . Du weißt doch , daß du Ver-
trauen zu deinem Mann haben kannſt ? — ( Ganz leiſe ,
leichthin . ) Auch wenn er gar nicht mehr dein Mann
iſt . — ( Wieder etwas lauter . ) Vor allem aber rat ich
dir , dich zunächſt einmal gründlich auszuſchlafen .
Luz ( hat ihn regungslos angehoͤrt ; jetzt durch die zweite
Tuͤre rechts ab ) .
Fidelis ( geht an den langen Tiſch rechts , nimmt die kleine
Holzpfeife , klopft ſie aus , verſucht , ob ſie Luft hat , legt ſie wie-
der weg , ſteht einen Augenblick nachdenklich , geht dann zur Tuͤre
rechts vom Glasſchrank , tritt ins Nebenzimmer ein , oͤffnet dort
die Tuͤre ins blaue Zimmer und ruft hinein ) . Du kannſt jetzt
ſchon wieder zu mir kommen , Mamchen . ( Kehrt zuruͤck , nimmt
ſeine Holzpfeife , ſetzt ſich in den erſten , mit dem Ruͤcken zum
Kamin ſtehenden Lehnſtuhl und zuͤndet die Pfeife wieder an . )
Juſtine ( durch die Tuͤre rechts vom Glasſchrank ; kommt zu
Fidelis und blickt ihn erwartungsvoll an ; da er nichts ſagt , nach
einer Pauſe ) . Nun ?
Fidelis ( leichthin ) . Deine Sorge war übertrieben .
Juſtine ( unglaͤubig ) . Glaubſt du ? ( Setzt ſich auf die
Sitzbank . )
Fidelis . Es iſt nichts Ernſtes .
Juſtine ( nach einer Pauſe ) . Willſt du mir 's nicht ſagen ?
Fidelis . Ich fürchte nur — denn du denkſt ja dar-
über noch ziemlich altmodiſch .
Juſtine . Worüber ?
Fidelis ( raſch ) . Nämlich Luz hat mich — ( findet das
richtige Wort nicht . ) Luz iſt mir — ( Haͤlt wieder ein . )
Juſtine . Nun ?
Fidelis ( kurz , ſcharf , einen Satz raſch nach dem andern ) .
Untreu ; hat mich betrogen ; Ehe gebrochen . Oder wie
du willſt . Wir haben merkwürdigerweiſe dafür keinen
gebildeten , inoffenſiven Ausdruck .
Juſtine ( ſehr ſtark , aber nicht laut ) . Das iſt doch aus-
geſchloſſen ! — Und du würdeſt wohl auch nicht mit
ſolcher Ruhe —
Fidelis ( trocken ) . Auch Luz war ſchon gekränkt , daß
ich es an der nötigen moraliſchen Entrüſtung fehlen ließ .
Ich werde darüber noch viele Vorwürfe von euch an-
hören müſſen .
Juſtine . Meine Tochter iſt unfähig —
Fidelis . Dieſe Fähigkeit ſcheint doch eine allgemein
weibliche zu ſein .
Juſtine ( heftig ) . Ich bitte mir aus —
Fidelis ( einfallend ) . Wir können auch vom Wetter
ſprechen , wenn dir dieſes Thema peinlich iſt .
Juſtine ( ſehr raſch ) . Ja ſoll ich mich noch freuen ?
Fidelis . Ich bin nur dagegen , es als ein National-
unglück zu behandeln .
Juſtine ( heftig ) . Aber ich kenne dich ja beſſer . Dir
iſt gar nicht ſo —
Fidelis ( einfallend ) . Wie mir iſt , das —
Juſtine ( einfallend ) . Du willſt mir nur einreden — !
Fidelis ( mit einem leiſen Anklang von Traurigkeit ) . Eher
vielleicht mir . Das wäre möglich .
Juſtine ( ſteht , durch ſeinen traurigen Ton betroffen , auf ,
geht bis an den Stuhl hinter dem runden Tiſch und wendet
ſich dort wieder nach Fidelis um ; nach einer kleinen Pauſe ) .
Was wird denn nun aber werden ?
Fidelis ( achſelzuckend , langſam , vor ſich hin ) . Ich müßte
doch erſt wiſſen — ( Haͤlt nachdenklich ein . )
Juſtine ( nach einer kleinen Pauſe ; ungeduldig ) . Was
willſt du — ( mit einem ſpoͤttiſchen Ton auf dem naͤchſten
Wort ) noch wiſſen ?
Fidelis ( aufblickend ; leichthin ) . Die Gelegenheit zur
großen Szene , Mamchen , hab ich nun einmal verſäumt .
„ Töte ſie ! “ ( achſelzuckend ) Ja , das müßte man dann wohl
aber gleich ! — Mir gelingt noch immer nicht , in Wut
zu geraten . Nämlich , wenn es andere trifft , kann ich
mich darüber nicht aufregen . Warum alſo gerade , wenn
nun an mich die Reihe kommt ? — Ich kenne doch
genug ſolche Frauen , ohne daß ich deshalb je —
Juſtine ( lebhaft , widerſprechend ) . Ich ſchon !
Fidelis . Ja , Mamchen , was jetzt dein Verhältnis zu
Luz betrifft , wie du das regeln willſt , das iſt nun zu-
nächſt nicht meine Sorge .
Juſtine ( hoͤhniſch ) . Und dich ſelbſt ſcheint 's ja —
Fidelis ( raſch , einfallend ; gutmuͤtig ) . Hetz doch nicht
immer , Mamchen !
Juſtine ( ausbrechend ) . Du biſt ja gar kein — ( Haͤlt
ein . )
Fidelis ( trocken ) . Es ſcheint , denn was man in ſol-
chen Fällen einen Mann — das meinteſt du ja doch ?
einen Mann zu nennen pflegt , kommt mir unerlaubt
lächerlich vor .
Juſtine ( hoͤhniſch ) . Du ſiehſt ja die Folgen der mo-
dernen Anſchauungen !
Fidelis ( trocken ) . Was verlangſt du ? Erſchießen ?
Sie ? Ihn ? Beide ? Oder jedenfalls ſie dir zurückſchicken ?
Was wünſcheſt du ?
Juſtine ( verlegen , aͤrgerlich ) . Du bringſt mich da doch
in eine ganz falſche Poſition ! Das Natürliche wäre , daß
ich dich zu beſchwichtigen , ſie zu entſchuldigen , euch viel-
leicht zu verſöhnen —
Fidelis ( trocken ) . So ſei nicht unnatürlich !
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Wenn du ſo gräßliche Behaup-
tungen aufſtellſt !
Fidelis ( ruhig ) . Warum iſt euch das ſo gräßlich , wenn
einmal einer halbwegs vernünftig ſein will , und kein Vieh ?
— ( Springt auf , tritt an den langen Tiſch und legt die Pfeife
hin ; kurz , knapp , ſehr ſchnell . ) Was geſchehen iſt , kann
ich nicht ungeſchehen machen , auch durch Mord und Tot-
ſchlag nicht . Und ich habe nun einmal einen unbe-
grenzten Reſpekt vor Tatſachen ! ( Geht vom langen Tiſch
weg und im Zimmer auf und ab . ) Nichts dümmer , als
auf das Schickſal bös ſein , ſich wie ein kleines Kind , wenn 's
beim Spielen verloren hat , gekränkt in den Winkel ſtellen
und trutzen : nein , ich ſpiel nicht mehr mit ! Na dann
ſpielen eben die anderen allein . — Umgekehrt , da ſpiel
ich erſt recht mit , nun reizt 's mich erſt ! ( Stehen blei-
bend . ) Denn Unglück , Schickſalsſchläge , Mißgeſchick ,
ja verſteht ihr denn nicht , daß das alles bloß Auf-
forderungen zum Tanz ſind ? Da hopp , nun zeige , was
du kannſt !
Juſtine ( trocken ) . Wie du das aber eigentlich auf
dein eheliches Mißgeſchick anwenden willſt , iſt mir —
Fidelis ( mißt Juſtine mit einem aͤrgerlichen Blick ; raſch
einfallend ) . Ja , du ſitzt da wie eine gekrönte Froſchkönigin ,
ſtatt —
Juſtine ( raſch einfallend , heftig ) . Übe nicht wieder körper-
liche Kritik an mir !
Fidelis ( gleichzeitig mit ihr ſeinen Satz vollendend ) . Statt
mir ein bißchen zu helfen ! — Aber das iſt das Nieder-
trächtigſte bei den Frauen .
Juſtine ( gereizt , argwoͤhniſch ) . Was denn wieder ?
Fidelis ( indem er neben das Sofa tritt ; ernſt ) . Kein
Mann verſteht euch ja . Aber ihr müßt euch doch unter
einander — ? Nun ſo rate mir , erkläre mir ! Aber nein ,
Geſchäftsgeheimnis !
Juſtine ( ihn von der Seite ſpoͤttiſch anblickend ) . Was
iſt dir denn daran ſo — „ unerklärlich “ ?
Fidelis ( treuherzig naiv ) . Alles .
Juſtine ( leiſe ; mit einem ſpoͤttiſchen Blick ) . Daß auch
ein anderer als du geliebt werden kann ?
Fidelis ( in einem ſehr aͤrgerlichen Ton raſch ) . Ach das
nützt mir nun gar nichts , da weiß ich erſt recht nichts !
Sie „ liebt “ dieſen Mann ! „ Liebt “ ! Das ſagt gar nichts !
Semiramis , Kleopatra , Meſſalina , die heilige Klara , die
Kaiſerin Katharina , das Gretchen , Iſolde , die haben alle
„ geliebt “ ! Es iſt immer derſelbe Name und doch iſt
es niemals dasſelbe . Damit weiß ich noch gar nichts ,
daß es heißt , ſie „ liebt “ ! Und ſolang ich aber das
Motiv ihrer Empfindung nicht weiß , kann ich nicht hel-
fen , ihr und mir nicht .
Juſtine ( die ſich immer mehr uͤber ihn wundert ) . Was
nennſt du denn das Motiv ? Was meinſt du damit ?
Fidelis ( eifrig , mit ſichtlicher Luſt an ſolchen Darlegungen ) .
Es kommt zum Beiſpiel vor , daß in Menſchen irgend
ein laſterhafter Ahn ſpukt , daß ſozuſagen noch nicht ganz
verdaute Gelüſte der Vorfahren —
Juſtine ( ihn unterbrechend ; kampfbereit ) . Du wirſt doch
nicht behaupten , daß in meiner Familie —
Fidelis ( raſch einfallend ) . In keiner Familie kann man
ſicher ſein —
Juſtine ( raſch einfallend , heftig widerſprechend ) . In meiner
Familie —
Fidelis ( raſch einfallend ) . Es wäre ſogar möglich , daß
du ſelbſt —
Juſtine ( wuͤtend ) . Ich ?! Du wagſt es —
Fidelis ( ſehr ſchnell ) . Hör doch erſt !
Juſtine ( empoͤrt laut ) . Gott ſei Dank beweiſt mein
ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben —
Fidelis ( raſch einfallend ; nickend , mit einer gewiſſen
Schadenfreude ) . Ja ! eben das —
Juſtine ( außer ſich ) . Eben das ? Wieſo ?
Fidelis . Denn ſiehſt du , gerade die Tugend der Eltern ,
die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um ,
das unterdrückte Laſter rächt ſich und —
Juſtine ( ſchreiend ) . Ich habe kein Laſter unterdrückt !
Fidelis ( mit einem Blick auf die zweite Tuͤre rechts ; aͤrger-
lich , leiſe ) . Schrei nicht ſo ! Luz ſoll ſchlafen .
Juſtine ( voll Wut , fluͤſternd ) . Wenn du meine Familie
beſchimpfſt !
Fidelis ( ganz dicht bei ihr , eifrig ) . Haſt du denn noch
nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge-
hört ? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen . —
Juſtine ( empoͤrt , fluͤſternd ) . Ich danke für ſolche Wiſ-
ſenſchaft !
Fidelis . Übrigens wollt ich dir nur erklären , was ich
ein Motiv nenne . ( Setzt ſich zu ihr aufs Sofa . ) Das wäre
ein Motiv . ( Nachdenklich. ) Aber es trifft auf Luz nicht zu ,
ſicher nicht . Eher , eher könnte vielleicht euere verdammte
Geldgier —
Juſtine ( heftig , laut ) . Du wirfſt mir vor — ?
Fidelis ( winkt ihr , nicht zu ſchreien und ruͤckt ganz dicht
an ſie ) . Oder nenn 's deinen Tatendrang ! Eure großen
Unternehmungen mein ich . Ihr müßt euch ſchon tüchtig
eingeheizt haben , innerlich , bis die ſiebzig Millionen
beiſammen waren ! Und Luz , euer armes Kind , das
hat nun von euch dieſen inneren Dampf , aber keine
Verwendung mehr dafür . Sie iſt das Opfer .
Juſtine ( wendet ſich empoͤrt von ihm ab ) . Gottlos
ſind ſolche Reden !
Fidelis ( ruͤckt ihr nach , heftig , aber nicht laut ) . Und gar
dieſe zwei Berliner Winter ! Mußteſt du das junge
Geſchöpf nach Berlin ſchleppen ?!
Juſtine ( verwundert , da ſie gar nicht verſteht , was er
damit will ) . Es war doch zur Vollendung ihrer ge-
ſellſchaftlichen Bildung —
Fidelis ( raſch einfallend ; ſehr eifrig , in einem aͤrgerlichen
Ton ) . Wenn ſich in Berlin zwei im Theater treffen ,
iſt , bevor 's noch anfangt , ihre erſte Frage : Was machen
wir denn aber nachher ? Alles Berliner Vergnügen beſteht
doch überhaupt nur im Lokalwechſel ! Das überträgt ſich
dann natürlich , es wird zur geiſtigen Gewohnheit . Die
Ehe aber ſetzt doch einmal eine gewiſſe Dispoſition zum
Verweilen voraus . Nicht : was machen wir denn nach-
her ? — Verſtehſt du jetzt , was ich ein Motiv nenne ?
Juſtine ( aͤrgerlich , kopfſchuͤttelnd ) . Und wenn du nun
das Motiv gefunden hätteſt — ! Was dann ?
Fidelis ( vergnuͤgt ) . Dann wär 's erklärt ! Haſt du
denn gar kein Ordnungsbedürfnis ? Man muß nur für
jedes Phänomen den Zuſammenhang aufzufinden trachten ,
dann iſt es erledigt .
Juſtine ( empoͤrt ) . Machſt du dich über dich ſelbſt
luſtig ?
Fidelis ( blickt auf , ſein Geſicht wird ganz ernſt ; nach
einer Pauſe , kurz , einfach , mit einem ganz leiſen Anklang
von Traurigkeit ) . Laß mich doch ! Vielleicht hab ich's
nötig . ( Steht auf , tritt vom Sofa weg und geht nach rechts ;
nach einer kleinen Pauſe , hinter der Sitzbank wieder ſtehen
bleibend , den Ton wechſelnd , leichthin . ) Wenn ich übrigens
nur erſt das Motiv hab , da weiß ich dann auch , wie
ich Luz wieder krieg .
Juſtine ( verbluͤfft und neugierig ) . Du willſt — ?
Fidelis ( indem er ſie faſt herausfordernd anblickt ; kurz ) .
Natürlich . Ich will Luz wieder haben . — Wenn ich
was verliere , ſuche ich , bis ich's wiederfinde . Du nicht ?
Juſtine ( zoͤgernd , leiſe ) . Zu meiner Zeit — ( Haͤlt
ein und blickt ihn nur mißbilligend an . )
Fidelis ( herausfordernd ) . Was war da ?
Juſtine ( leiſe , hoͤhniſch ) . Da hatten die Männer , da
gab 's ein gewiſſes — ( Haͤlt ein . )
Fidelis ( trocken ) . Ehrgefühl ? Gibt 's noch immer ,
Mamchen . Ich denke fortwährend daran , was ich dem
Kerl antun könnte . Und darauf läuft 's ja hinaus , euer
berühmtes Ehrgefühl , nicht ? Erſt aber will ich Luz
wieder haben . — ( Indem er zwiſchen die Sitzbank und den
runden Tiſch tritt ; ploͤtzlich ſehr heftig , aber nicht laut . ) Ihr
überſchätzt auch alle den Ehebruch ! ( Den Ton wechſelnd ,
wieder ganz leicht . ) Kommt bloß auf die richtige Behand-
lung an . Denk nur : ein Beinbruch — früher ! Jetzt
heilt man ihn in vierzehn Tagen . — Und ich weiß
gar nicht , ob bei richtiger Behandlung nicht gerade
durch den Ehebruch manche Ehen ſozuſagen erſt ent-
ſtehen !
Juſtine ( trocken ) . Man muß wirklich oft an deinem
Verſtande zweifeln .
Fidelis ( trocken ) . Er funktioniert bloß anders als
der eure . — ( Setzt ſich auf die Sitzbank ; nach einer kleinen
Pauſe . ) War denn das bisher eine Ehe , zwiſchen Luz
und mir ? — Ich beklage mich nicht , wunderſchön war's .
Aber warum Ehe ? Nein . Ein behördlich genehmigtes
Liebesverhältnis . Wunderſchön ! Doch Ehe , dächt ich ,
müßte noch anders ſein . Scheint aber keine mehr zu ge-
ben . Gerade wie der Atem der Menſchen jetzt zur großen
Liebe nicht mehr reicht — es wird höchſtens eine Liebe-
lei daraus . Und ſo gibt 's auch keine Ehen mehr , bloß
Eheleien . — ( Nachdenklich , langſam , leiſe . ) Und oft und
oft hab ich mir irgend ein Elementarereignis gewünſcht !
— ( Den Ton wechſelnd , mit Selbſtironie , nicht ohne Bitter-
keit . ) Na vielleicht jetzt !
Juſtine ( kopfſchuͤttelnd ) . Das iſt doch geradezu pervers
gedacht ! ( In einem pedantiſchen Ton . ) Aus Schlechtem
kann nie Gutes hervorkommen , merke dir !
Fidelis ( trocken ) . Fortwährend . Es iſt ſogar ein
Grundgeſetz des ganzen Lebens . Polarität , Syſtole und
Diaſtole —
Juſtine ( raſch einfallend , heftig ) . Jetzt komm mir nur
nicht noch mit Fremdwörtern ! Wenn ihr gar nicht
mehr weiter könnt , wird 's griechiſch .
Fidelis ( aufſtehend , lebhaft ) . Und iſt denn nicht jede
Krankheit nur ein Weg zur Geſundheit ?
Juſtine ( erbittert ; ſehr laut ) . Du wirſt noch behaupten ,
ſie hat bloß die Maſern gehabt !
Fidelis ( hebt raſch abwehrend die Hand , daß ſie nicht ſo
ſchreien ſoll , tritt aus der Bank nach rechts und blickt beſorgt
auf die zweite Tuͤre rechts ; dann wendet er ſich wieder nach
Juſtinen um ; nickend , ganz ernſt ) . Ungefähr . — ( Leichter
im Ton. ) Ihr wollt immer das Glück fertig ins Haus
geliefert kriegen ! Das wär mir langweilig . Das Schick-
ſal miſcht die Karten , aber ſpielen will ich ſchon ſelber
damit . ( Geht zur zweiten Tuͤre rechts und horcht ; dann ,
indem er ſich wieder zu Juſtine wendet , vorwurfsvoll . ) Sie
geht drin auf und ab. Du haſt ſie ſicher aufgeweckt .
Juſtine ( aufſtehend ; mit moraliſcher Entruͤſtung ) . Ich
hoffe , daß meine Tochter jetzt nicht ſchlafen kann !
Fidelis ( geht wieder einige Schritte nach links ; ruhig ,
herzlich ) . Ich hätte eine Bitte an dich , Mamchen . — Geh
jetzt zu ihr ! ( Da er ihr widerſtrebendes Geſicht bemerkt ;
leichthin . ) Verfinſtere dich nicht und — ſei nicht päpſt-
licher als der Papſt !
Juſtine ( tritt vom Sofa weg , vor den runden Tiſch ; mit
einem finſteren Geſicht , widerſtrebend , achſelzuckend ) . Ein
Kind , das Geheimniſſe vor der Mutter hat —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ) . Es iſt in ſolchen Fällen
nicht üblich , vorher die Mutter zu fragen .
Juſtine ( geht noch einige Schritte nach rechts ; empoͤrt ) .
Ich weiß Gott ſei Dank nicht , was in ſolchen Fällen
üblich iſt !
Fidelis ( geht ihr entgegen ; herzlich ) . Sei lieb ! Geh
zu ihr ! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube ,
daß er ſogar vielleicht echt iſt . Sie braucht dich . Ich
fürchte , ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr
für ſie . — Alſo geh zu ihr ! Aber bitte : Sei jetzt nicht
moraliſch ! Laß das noch einige Tage !
Juſtine ( kommt zu ihm und ſieht ihn neugierig an ) . Ich
muß anerkennen , daß du dich ja —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ; mit einiger Bitterkeit ) .
Ich benehme mich gut ? Aber du — geſteh , Mamchen ,
du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich
mehr verſprochen , nicht ?
Juſtine ( trocken ) . Ich hätte nur nicht gedacht , daß
man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter
lebt .
Fidelis ( wieder in ſeinem ironiſch leichtſinnigen Ton ) . Aber
das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen
nicht in einemfort ſiſtiert werden ? Denk dir nur , zum
Beiſpiel : Lokomotivführer ! Die müſſen auch , die können
auch nicht jedesmal , wenn ihre Frauen — nicht wahr ?
( In einem ernſteren Ton . ) Man ſtellt ſich alles viel gräß-
licher vor . Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen
des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht
worden .
Juſtine ( trocken , faſt ein bißchen veraͤchtlich ) . Da biſt du
ſehr zu beneiden . Aber nicht alle Menſchen ſind ſo —
( Haͤlt ein . )
Fidelis . Du willſt mir andeuten , daß ich keine ſehr
tiefe Natur bin ? Vermutlich . Aber glaube nur nicht ,
daß die , die ſchreien , deshalb tiefer ſind . — ( Laͤchelnd. )
Schau , Mamchen , die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf ,
der Himmel bleibt blau , die Blumen blühen , die Vögel
ſingen , der Menſch hat Hunger und Durſt , alles iſt beim
alten , und nur in irgendeiner Ecke tut's ein bißchen weh .
Juſtine ( mißbilligend ) . Wenn alle Männer ſo dächten ,
das würde die Frauen furchtbar demoraliſieren .
Fidelis ( mit ploͤtzlichem Tonwechſel ) . Jetzt mach aber um
Gottes willen nicht ein Geſicht wie das jüngſte Gericht !
( Uͤbermuͤtig . ) Luz braucht jetzt einen Lichtſtrahl ! Alſo
bitte !
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Ja freilich ! ( Geht empoͤrt zur zwei-
ten Tuͤre rechts . )
Fidelis ( ſpoͤttiſch ) . Nimm 's nicht immer gleich tra-
giſch , wenn mein Intellekt ſein Pfauenrad ſchlägt ! Es
iſt im Augenblick ſo ziemlich mein einziges Vergnügen .
Juſtine ( durch die zweite Tuͤre rechts ab ) .
Fidelis ( ruft ihr noch nach ) . Und ſei lieb , Mamchen ,
ſei lieb mit ihr ! ( Sein eben noch lachendes Geſicht wird ,
ſobald Juſtine fort iſt , ploͤtzlich ſehr ernſt , faſt drohend ; er
ſteht eine Weile , nachdenklich vor ſich hinblickend ; dann tritt
er an den ovalen Tiſch rechts und druͤckt auf den Knopf der
elektriſchen Klingel . )
Diener ( durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ) .
Fidelis ( mit dem Ruͤcken zum Diener ; kurz , leichthin ) .
Sehen Sie einmal die Adreſſe des Herrn Legations-
ſekretärs von Oynhuſen nach . Und ob Herr Legations-
ſekretär eine beſtimmte Sprechſtunde hat .
Diener ( ab ) .
( Vorhang . )
Zweiter Akt
Bibliothek beim Legationsſekretaͤr Doktor von Oynhuſen .
Enger Raum , nur durch Oberlicht beleuchtet .
Links und rechts hohe Waͤnde aus gelbem Onyx in kannelierten
ſenkrechten Platten . Ruͤckwaͤrts eine Loge , mit weißen , rauh
verputzten Waͤnden . Ebenſo die Decke weiß , rauh verputzt .
Der Boden des vorderen Raums weißgelbes Moſaik . In
der Mitte davon ein Tierkreis , ſchwarz eingelegt . Hier ſteht ein
breiter , niedriger , plumper , viereckiger , mit einem ſchwarzen
Sargtuch bedeckter Tiſch ; darauf Tintenzeug , Kielfedern , Per-
gamente , Schweinslederbaͤnde , ein Totenkopf , ein Buddha , ein
Armleuchter . Links vom Tiſch ein alter , ſchwarz gepolſterter
Schreibſtuhl mit niedriger Lehne , rechts vom Tiſch ein alter
ſchwarzgepolſterter Großvaterſtuhl mit hoher Lehne .
In der rechten Wand eine Stufe zu einer niedrigen , ſchweren ,
ſchwarzen , einfluͤgeligen , ſpitzbogigen Tuͤr . Daneben eine Niſche ,
5
innen vergoldet . Weiter vorne ein phantaſtiſcher , ſchemelartiger
Stuhl mit ganz kurzen Fuͤßen und einer ſehr hohen ſpitzen Lehne .
An der linken Wand eine Sammlung von alten indiſchen ,
chineſiſchen und japaniſchen Bronzen , fremdartigen Tieren und
ſeltſamen Goͤtzen .
Die Loge im Hintergrund iſt um eine Stufe hoͤher . Der
Boden weißſchwarzes Moſaik . An der Wand ein eingebauter
Buͤcherkaſten , bis zur Decke reichend , ſchwarz , innen gelb , mit
alten , koſtbar gebundenen Buͤchern und Handſchriften . Davor
ein hohes gerades ſchwarzes Sofa ; Polſter mit aſtrologiſchen
und kabbaliſtiſchen Zeichen . Neben dem Buͤcherkaſten ein Bogen-
gang in blauem Moſaik . — Es iſt Nachmittag , kurz nach zwei .
Diener ( uraltes , zittriges , ſteifes , zahnloſes , ganz kahles
Maͤnnchen , mit erloſchenen Augen , einer langen , ſchmalen Naſe
und duͤnnen Lippen , das verrunzelte Geſicht glatt raſiert ; hoher
ſteifer Kragen , weiße Halsbinde , hochgeſchloſſener ſchwarzer Rock ,
kurze ſchwarze Hoſe , Seidenſtruͤmpfe , Schnallenſchuhe ; hat die
Gewohnheit , beim Sprechen zwei Finger der linken Hand an
die Oberlippe zu legen ; durch die Tuͤre rechts , laͤßt Fidelis ein-
treten , ſchließt hinter ihm und fluͤſtert geheimnisvoll ) . Der Herr
Legationsſekretär iſt im Augenblick nicht daheim . Ich will
es aber der gnädigen Frau melden . Der Herr Legations-
ſekretär muß gleich wiederkommen . Darf ich einſtweilen
bitten ? ( Zeigt auf den Stuhl , geht durch den blauen Gang ab . )
Fidelis ( in einem eleganten , aber bequemen , reichlich weiten
Stadtanzug mit großen Taſchen ; er hat Hut und Mantel drau-
ßen abgelegt ; nickt dem Diener kurz zu , ſetzt ſich nicht , ſieht ſich
neugierig , mißtrauiſch und etwas ſpoͤttiſch den ganzen Raum
an , betrachtet den Totenkopf auf dem Tiſch , bemerkt die Stern-
bilder im Boden , geht nach links und ſteht vor den alten Bron-
zen , alſo wenn nun Eva durch den blauen Gang kommt , mit
dem Ruͤcken zu ihr ) .
Eva ( einunddreißig Jahre ; mittelgroß , ſchlank , Tituskopf
mit ſchwarzen Locken , große ſchwarze Augen , edles Profil , ſtark
gebogene Naſe , kleinen , vollen , ſehr roten Mund , eine auffallende ,
fremdartige , ſehr gepflegte Schoͤnheit ; Hauskleid von Poiret ,
viel Schmuck , durchaus echt elegant , aber mit einem Stich ins
Exotiſche , halb Balkanprinzeſſin , halb große Boheme ; poſiert
auf Schlaffheit , mit weichen , muͤden , einſinkenden Bewegungen ,
ſpielt gern mit ihren ſehr langen , nervoͤſen und von Edelſteinen
glitzernden Fingern und moͤchte ſchlangenhaft wirken , wird aber
dabei von ihrer angeborenen munteren Lebhaftigkeit etwas be-
hindert ; ſo beginnt ſie denn auch ſtets ganz langſam , uͤberſpru-
delt ſich aber dann und hat Muͤhe , wieder in den ſchweren
melancholiſchen Ton zuruͤckzufinden , aus dem ſie doch bei der
erſten Gelegenheit wieder in einen leichten , luſtig bewegten ,
wieneriſch gefaͤrbten Plauderton faͤllt ; kommt durch den blauen
Gang gerauſcht ; erſt ganz konventionell ) . Mein Mann wird
unendlich bedauern . Aber ich habe ſchon telephonieren
laſſen . Er muß im Augenblick kommen . ( Ploͤtzlich den Ton
wechſelnd , mit einem kurzen , grundloſen Lachen . ) Das heißt ,
im Augenblick ? Das kennt man doch bei den Männern ,
ein Mann iſt ja die Unzuverläſſigkeit ſelbſt , das heißt über
meinen kann ich mich darin wirklich nicht beklagen , aber
( ſeufzend und mit einem ſchmachtenden Augenaufſchlag , zu dem
kein rechter Anlaß iſt ; indem ſie Fidelis die Hand entgegen-
ſtreckt ) ach ja , die Männer !
Fidelis ( hat ſich gleich nach ihr umgewendet und iſt ihr ent-
gegengegangen ; leichthin , luſtig ) . Ja ich höre allgemein , daß
wir ein entſetzliches Geſchlecht ſind . ( Kuͤßt ihr die Hand . )
5*
Eva ( kokett ) . Sie doch gar !
Fidelis . Es iſt ſehr lieb , daß Sie ſich meiner über-
haupt noch erinnern .
Eva ( mit ihrem grundloſen Lachen ) . Ich habe ja einen
gewiſſen Blick für Männer . Und Sie ſcheinen mir zu den
— ( den Ton wechſelnd ) das heißt : gefährlich ? Es gibt
gar keinen gefährlichen Mann ! Gefährlich wird der Frau
nur ſie ſelbſt . ( Wieder grundlos auflachend . ) Ich mir natür-
lich nicht ! Ich ? ( Ploͤtzlich geheimnisvoll tragiſch , dumpf . ) Ich
bin mir ſelbſt oft ein Rätſel . ( Nun wieder ganz konventio-
nell . ) Aber wollen wir uns nicht ſetzen ? Das heißt , ſoweit
man ſich hier ſetzen kann . ( Mit einem Blick auf die Moͤbel . )
Gräßlich , nicht ? ( Setzt ſich auf das Sofa . ) Sie wiſſen , daß
mein Mann — ? Intereſſieren Sie ſich für die Geheim-
wiſſenſchaften ? Waren Sie nicht in ſeinen Vorträgen ?
Fidelis ( ſetzt ſich zu ihr ) . Ich war verreiſt .
Eva . Es kommen doch überhaupt nur Frauen . Das
heißt , ich nicht ! Ich finde das direkt unweiblich . ( Mit
konventioneller Neugier . ) Wo waren Sie denn ?
Fidelis . Im Berchtesgadener Land . Ich hab dort
eine kleine Hütte , ganz hoch oben , unweit vom Purt-
ſcheller Haus . Fein .
Eva ( mit Augenaufſchlag , begeiſtert ) . Herrlich ! Sie
müſſen mich einmal mitnehmen . — Welche Seligkeit !
( Sehr raſch . ) Ich denke mir wenigſtens , ich kenne ja
leider das Hochgebirge nicht . Ich heiratete nach Teheran ,
wir wurden dann nach Tanger verſetzt , ſpäter nach Buka-
reſt , alſo nicht wahr ? Aber es war immer mein Traum !
( Jetzt wieder langſam , ſchmachtend . ) Es ſcheint jedoch , daß
ich zu den Menſchen gehöre , die ihr wahres Leben immer
bloß im Traum erleben . ( Tonwechſel ; wieder konventionell ,
raſch . ) Übrigens , nicht wahr , der äußere Schauplatz ,
darauf kommt 's ja gar nicht an , ſondern auf den inneren
Menſchen , nicht ? ( Tonwechſel ; wieder ſchmachtend und
ſchwer ; mit einem Seufzer . ) Ach ja ! Einen Menſchen
müßte man haben !
Fidelis ( trocken ; mit kaum hoͤrbarer Ironie ) . Einen
inneren Menſchen ? Ja , den müßte man haben .
Eva ( die doch ſeinen Spott merkt ; leicht gekraͤnkt ) . Ach ,
Sie ſind wohl auch einer , der uns nicht ernſt nimmt ?
( Tonwechſel ; ſchwer . ) Was wißt ihr denn von den
Tiefen des Frauengemüts !
Fidelis ( mit einem Blick auf ſie ) . Ich wüßte gern .
Eva ( ſchlaͤgt leicht mit der Hand nach ihm , aber ohne ihn
zu beruͤhren ; mit einem vollen , gurrenden , ſinnlichen Lachen ) .
Ach Sie ! Das kennt man ! Ich weiß ſchon !
Fidelis ( lacht mit , tut aber unſchuldig ) . Sie tun mir
unrecht !
Eva ( mit demſelben gurrenden ſinnlichen Lachen ) . Ihr
habt immer gleich Nebengedanken ! Ich weiß ſchon !
Fidelis ( mitlachend , aber ſeine Unſchuld beteuernd ) . Ich
weiß gar nichts .
Eva ( immer noch mit demſelben Lachen ) . Nicht wahr ,
wir verſtehen uns ganz genau ?!
Fidelis ( dem dieſes ſchoͤne Stuͤck Weiblichkeit an ſeiner
Seite behagt ; gut gelaunt ) . Ich habe nichts dagegen .
Eva ( ſteht ploͤtzlich auf , mit ihrem Kleide rauſchend ; nun
wieder ganz ernſt ) . Da wären wir nun wieder bei unſerem
letzten Tiſchgeſpräch ! ( Indem ſie zum Tiſch geht . ) Er-
innern Sie ſich ?
Fidelis ( erinnert ſich an gar nichts und ſagt auf gut Gluͤck ) .
Wir ſprachen damals davon — ( Haͤlt ratlos ein und
blickt ihr fragend nach . )
Eva ( am Tiſche ſtehend , mit dem Ruͤcken zu Fidelis ; nun
wieder ganz Sehnſucht , langſam , leiſe ) . Ja . Das wäre
es ! Nach einem verſtehenden Mann ſehnt man ſich .
Fidelis ( erleichtert , einſtimmend ) . Ja das war es .
Eva . Und ich ſagte Ihnen , daß ihr doch keiner die
Frauen kennt ! Denn bei der Frau geht alles vom
Seeliſchen aus . ( Sie ſetzt ſich in den hohen Stuhl rechts
vom Tiſch und ſtreckt ſich maleriſch aus . )
Fidelis ( nickend ) . Ich habe ſelten ein ſo ſeelenvolles
Tiſchgeſpräch geführt .
Eva ( ſchmachtend , vor ſich hin ) . Warum will das kein
Mann verſtehen ?
Fidelis ( ſteht auf und geht an den Tiſch ) . Am guten
Willen fehlt 's uns vielleicht gar nicht .
Eva ( immer noch ſchmachtend ) . Warum gibt 's jenen
Seelenbund nicht , von dem jede Frau träumt ?
Fidelis ( links vom Tiſch ) . Ja Sie fragten mich ſchon
damals .
Eva ( ploͤtzlich den Ton wechſelnd , leichthin , raſch ) . Das
heißt , Frau ? Die meiſten Frauen ſind ja gar keine .
Aber — ( Tonwechſel ; wieder im ſchweren Ton der großen
Sehnſucht ) aber eine wirkliche Frau ſteht ganz einſam in
der weiten Welt .
Fidelis ( trocken ) . Ich erkundigte mich ſchon damals
nach Ihrem Mann .
Eva ( Tonwechſel ; kurz mit einem verweiſenden Blick ) . Ich
fand das damals ſchon taktlos .
Fidelis ( raſch ) . Ich weiß heute noch nicht warum .
Eva ( ungeduldig , raſch ) . Wenn eine Frau ſich wünſcht ,
ſeeliſch verſtanden zu werden —
Fidelis ( ihr raſch ins Wort fallend , ſich naiv ſtellend ) . So
denk ich doch zunächſt an ihren Mann ?
Eva ( ſehr raſch , unbedacht , faſt heftig ) . Ich nicht ! ( Sie
muß ſelbſt daruͤber lachen und ſieht ihn lachend an , der mit-
lacht , was ſie nun anregt , noch mehr zu lachen ; dann. ) Das
heißt , natürlich , ich denk ſchon an ihn , aber das Richtige
iſt das nicht !
Fidelis ( ſetzt ſich auf den Schreibſtuhl links vom Tiſch ) . Ja
wer wüßte , was das Richtige — !
Eva ( raſch einfallend , lebhaft ) . Das kann ich Ihnen ge-
nau ſagen ! Nämlich — ( Tonwechſel ; nun wieder ſchwer ,
ſchmachtend , ſchwaͤrmeriſch ) jede Frau träumt doch von Er-
löſung . Es iſt das Kundrymotiv unſeres ganzen Ge-
ſchlechts !
Fidelis . Aber das gehört doch gerade , ſoviel ich weiß ,
ſo recht in das Reſſort Ihres Mannes , nicht ?
Eva ( raſch , in einem geringſchaͤtzigen Ton , mit einem boͤſen
Zug um den Mund ) . Die Weiber rennen ihm ja auch alle
nach ! Aber — ( ſeufzend , mit dem Ton auf dem naͤchſten
Wort ) lieber Freund , das ſieht von außen alles ganz anders
aus ! ( Nun raſch erzaͤhlend . ) Ja ! Als wir heirateten , glaubt
ich auch ! Gott , ein junges Mädchen glaubt ja bald ! ,
aber nein , ich war doch ſehr verwöhnt , mein Vater fand
nichts gut genug für mich , ich mußte immer überall nur
das Feinſte haben , das war ſein Stolz .
Fidelis ( dem man anſieht und anhoͤrt , daß er ſich amuͤſiert ) .
Und da mußte Ihr Gatte natürlich auch — prima ſein ?
Eva ( lachend ) . Genau das hat mein Vater geſagt ,
mit dieſem Wort ! ( Wieder ſehr raſch erzaͤhlend . ) Äußer-
lich ja nicht einmal ſo ! Gott , eine Kuſine von mir hat
einen Herzog geheiratet , ( abſchwaͤchend ) no einen italieni-
ſchen — ( lachend ) a die müßten Sie ſehen ! ( Ernſthaft ,
praͤtentioͤs . ) Ich war da doch aber ganz anders , ſchon als
Kind . Äußerer Glanz hat mich nie gelockt . ( Wieder raſch . )
Obwohl ja die Oynhuſen — ganz alte Familie ! Ein
Oynhuſen iſt mit dem Gottfried von Bouillon in Jeru-
ſalem einmarſchiert . Nur ſpäter haben ſie dann keine be-
ſondere Karriere mehr gemacht .
Fidelis ( in einem beguͤtigenden Ton ) . Sie haben 's viel-
leicht nicht nötig gehabt .
Eva ( ſtimmt lachend zu ) . Nicht wahr ? Übrigens einige
ſchauen ganz gut aus , wir haben eine ganze Sammlung
drüben . ( Ploͤtzlich wieder grundlos lachend . ) Aber deswegen
hab ich Kuno nicht geheiratet , nicht wahr ? ( Wieder ernſt . )
Es war ihm damals eine große Zukunft prophezeit . Und
welches junge Mädchen wünſcht ſich nicht auch einen
dämoniſchen Mann ? Er ſah damals direkt ſpaniſch aus ,
beinahe .
Fidelis ( leichthin ) . Auch heute noch .
Eva ( lebhaft ) . Aber doch längſt nicht mehr das ! —
( Beugt ſich uͤber den Tiſch zu Fidelis hinuͤber , um ihn ins Ver-
trauen zu ziehen . ) Obwohl man da — Sie können mir
glauben : man ſtellt ſich da auch viel mehr vor — ( Nickt
ihm enttaͤuſcht zu . )
Fidelis ( laͤchelnd ) . Man ſtellt ſich das Dämoniſche noch
dämoniſcher vor ?
Eva ( ſeufzend , ſchwer ) . Ach ja ! Das Leben iſt äußerſt
rätſelhaft . — Nun das werden Sie ja auch wiſſen !
( Aufblickend , ploͤtzlich lachend . ) Eigentlich weiß ich gar nicht ,
warum ich Ihnen — ? Wir kennen uns kaum ! Das heißt ,
ich kenne Sie ganz genau , Sie waren mir gleich , ich hatte
gleich Vertrauen zu Ihnen — und da können Sie ſehr
ſtolz ſein , denn ich bin eigentlich eine ganz verſchloſſene
Natur . Aber — ( ſteht ſeufzend auf , geht nach rechts ) ach
wer noch hoffen könnte ! Einmal einen Menſchen finden ,
einmal im Leben ! Eine Schweſterſeele !
Fidelis ( ſie mißtrauiſch beobachtend , trocken ) . Wir ſprachen
ſchon neulich davon .
Eva . Sie wundern ſich wohl ? oder nein , denn unglück-
liche Frauen ſind ja nicht ſo ſelten . Aber Sie fragen
ſich , was das Sie angeht ?
Fidelis ( ernſt , aber ganz einfach ) . Es geht mich immer
an , wenn ein Menſch ſich unglücklich fühlt .
Eva ( blickt vor ſich hin ; nun in einem ganz echten Ton ,
leiſe ) . Und mißverſtehen Sie mich aber nicht ! Ich liebe
meinen Mann . ( Wieder grundlos auflachend , mit einem Blick
auf Fidelis . ) Ich bin ſehr altmodiſch , was ?
Fidelis . Man kann jetzt nie wiſſen , ob das Altmo-
diſche nicht morgen wieder die neueſte Mode ſein wird .
Eva ( nach einer kleinen Pauſe ) . Iſt Ihnen je vorgekom-
men , daß eine Frau ihren eigenen Mann unglücklich
liebt ? ( Raſch. ) Aber nicht , wie Sie denken ! Sie haben
ſicher alles mögliche über meinen Mann gehört und —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ) . Ich höre nie etwas über
meine Mitmenſchen , darin bin ich ſchrecklich unbegabt .
Eva . Hat man Ihnen nicht erzählt — ?
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ) . Man hat mir ſicher er-
zählt , aber das nutzt bei mir nichts .
Eva . Alle Frauen ſchwärmen ihn an , es iſt eine Wolke
von weiblicher Begeiſterung um ihn . Aber darüber lach
ich ! Das heißt , angenehm iſt es ja nicht , aber ich wäre
die Frau , ich wäre — ( ſucht einen Augenblick das richtige
Wort , dann raſch ) ich wäre großzügig genug , um — auch
über eine wirkliche Untreue , an die ich übrigens nicht
glaube , das heißt , man kann ja nie , ich kenne Männer ,
da hätt ich geſchworen , aber in Herzensſachen , wer kann
denn da ? , aber , wie geſagt , ich glaub 's nicht , und wenn
ich's glaube , ſo liegt mir nichts daran ! ( Ernſt , langſam . )
Er könnte mir hundertmal untreu ſein und ich dabei den-
noch die glücklichſte Frau ! — ( Ploͤtzlich neugierig aufblickend ,
wie dieſe Mitteilung auf ihn gewirkt haben mag . ) Nun das
iſt doch was für Sie , Sie ſind doch ein pſychologiſcher
Gourmand ? — ( Tonwechſel ; ploͤtzlich ſehr hoheitsvoll . ) Aber
bilden Sie ſich nur nicht ein , daß ich Ihnen beichten will !
Ich halte manchmal Monologe . ( Setzt ſich in den kleinen
niedrigen Stuhl an der Wand . )
Fidelis . Da braucht man immer einen , der gut zuhört .
Eva ( nun wieder einfach erzaͤhlend ) . Als ich Kuno kennen
lernte , es war in Biarritz — haben Sie einmal Andrade
als Don Juan geſehen ? Aufs Haar ! — Und nun ſagen
Sie ſelbſt , ob ich da darauf gefaßt ſein konnte , plötzlich
mit einem Heiligen verheiratet zu ſein ?
Fidelis ( laͤchelnd ) . Plötzlich ?
Eva . Es gab eine Geſchichte , er hatte ein Duell , das
unglücklich ausging . Mein Gott , das kommt doch vor ,
nicht ? Aber ihn hat das ganz umgeworfen ! Und ſeither
Buddhismus , Theoſophie und — ( mit einer Handbewegung
uͤber das Zimmer hin ; achſelzuckend ) Sie ſehen ja ! Komplett
indiſch !
Fidelis ( leichthin ) . Das iſt ja heute —
Eva ( raſch einfallend ; lebhaft ) . Das gehört dazu , gewiß ,
ich weiß , aber — der Unterſchied iſt nur : Kuno nimmt
es ernſt ! ( Achſelzuckend . ) Geradezu eine Manie ! Wenn
Sie wüßten ! ( Mit einem vielſagenden Blick . ) Direkt ein
Heiliger !
Fidelis ( leiſe , vorſichtig , langſam ) . Auch als — Gatte ?
Eva ( ſehr raſch , unbedacht , faſt heftig ) . Das mein ich
doch ! ( Tonwechſel ; ploͤtzlich ſehr verlegen . ) Das heißt , nein
— ( Aͤrgerlich entruͤſtet ) was Sie wieder meinen ?! ( Ihre
Unſchuld beteuernd . ) Ich meine ja nur — ! Sie dürfen
mich doch nicht mißverſtehen ! ( Raſch aufſtehend . ) Der
Stuhl iſt zu unbequem ! ( In einem Ton zwiſchen Aͤrger und
Lachen . ) Auch indiſch . Für Büßer . ( Geht wieder an den
Tiſch ; mit einem ernſten Blick auf Fidelis , im großen Ton. )
Nein . Seeliſch bin ich ſo verlaſſen ! ( Setzt ſich in den
Großvaterſtuhl rechts vom Tiſch ; Tonwechſel , ganz leichthin . )
Gott , ich bin ja nicht mehr jung , ich weiß ſchon .
Fidelis ( leiſe widerſprechend ; laͤchelnd ) . Nun , was das
betrifft —
Eva ( ihm raſch ins Wort fallend ; entſagungsvoll ) . Lieber
Freund ! Ich gehöre nicht zu den Frauen , die ſich ſelbſt
belügen . Ich habe abgeſchloſſen . ( Tonwechſel ; ploͤtz-
lich ſehr heftig , erbittert . ) Nur ſoll man nicht , man darf
doch nicht ſo tun , als ob ich überhaupt — nein , ſo alt
bin ich wieder noch nicht ! Es gibt Männer genug , die —
nicht , daß ich — mich langweilt das , alles Erotiſche lang-
weilt mich geradezu , nur darf man aber deshalb doch
nicht ſo tun , als ob das ſchon ſelbſtverſtändlich wäre ! Ich
kenne Frauen in meinem Alter , das hat ja mit dem Alter
überhaupt nichts zu tun , ſondern innerlich , ich bin inner-
lich darüber hinaus — wenn Sie wollen : auch indiſch !
( Lehnt ſich maleriſch zuruͤck . ) Auch ich kenne den Pfad der
Erkenntnis , den Pfad zu den höheren Ebenen — ( Ton-
wechſel ; ganz konverſationell . ) Sie haben ſich doch gewiß
auch mit Theoſophie beſchäftigt ?
Fidelis . Nur ganz obenhin . Aber ich verſtehe den
Jargon ungefähr .
Eva ( faͤngt zu lachen an ) . Nicht wahr , bis man ſich nur die
Namen alle merkt ! Die „ goldene Kette Homers “ und der
„Ring des Plato “ und das „ Alkaheſt “ , nein gräßlich !
Ich helfe mir damit , daß ich bei jeder Gelegenheit einfach
erkläre : Aſtral ! ( Noch mehr lachend . ) Aber da müßten
Sie die Weiber hören , an Kunos Abenden ! Wenn die
erſt anfangen , magiſch zu werden — !
Fidelis . Da ſpielt wohl bei manchen auch ein bißchen
Verliebtheit mit ?
Eva ( ſehr raſch ) . Bei allen ! Wozu wär 's denn ſonſt ?
Fidelis ( ſieht ſie laͤchelnd an ) . Und das macht Sie
nun —
Eva ( raſch einfallend ; hart ) . Eiferſucht ? ( Lacht hoͤhniſch
kurz auf . ) Und da kenn ich doch auch Kuno viel zu gut !
Machen Sie nicht ſo ein ungläubiges Geſicht ! Kuno , nein .
Und dieſe Weiber erwarten ja doch auch alle das Wun-
der ! Das weiß er . Und Wunder , nein . — ( Ungedul-
dig , nervoͤs . ) Ach Sie müßten das ja nur einmal ſehen ,
dieſes Getue ! Das ganze Haus riecht nach Verzückung
und er , mitten drin in dem Roſenwaſſerfall , ſteht in ſei-
nem Heiligenſchein da ! ( Tonwechſel ; ganz leichthin . ) Ge-
wiß , ich bin auch für Veredlung , wer nicht ? Es könnt
uns allen ganz gut tun . ( Breit , empoͤrt . ) Aber was dieſe
Weiber treiben — ! Laſſen Sie ſich doch von Ihrer Frau
erzählen , die war ja jetzt auch ein paarmal da — ( La-
chend. ) Gott , Ihre Frau , nicht wahr , die macht das ſo
mit , weil 's halt jetzt dazu gehört ! — ( Tonwechſel ; mit
Begeiſterung . ) Sie iſt ein entzückendes Geſchöpf , ich
liebe ſie direkt !
Fidelis . Sie läßt Sie übrigens ſchönſtens grüßen ,
was ich natürlich wieder auszurichten vergaß .
Eva ( raſch , neugierig ) . Ja und iſt denn das wahr ?
Es ſoll doch jetzt zwiſchen uns und Ihrem Verein eine
— wie nennt man das ? Fuſion — ( lachend ) oder viel-
leicht wird 's eine Konfuſion , nicht ?
Fidelis ( laͤchelnd ) . Ich bin eben hier , um zu hören ,
wie Ihr Gatte ſich das eigentlich denkt .
Eva ( in einem ſchadenfrohen Ton ) . Ich bin neugierig !
Na da werden Sie das ja kennen lernen . Dann werden
Sie mich vielleicht verſtehen und — ( Tonwechſel ; traurig ,
leiſe ) Mitleid mit mir haben . — Kuno meint es ja ſehr
gut , er vergißt nur , daß es noch andere Menſchen gibt ,
die ſich auch bemühen , in ſeiner nächſten Nähe . Nein ,
das wird nicht anerkannt ! Alles kniet um ihn herum , be-
wundert ihn und huldigt ihm , aber daß — ( heftig ) daß
mir das einmal zu langweilig werden könnte , daß ich
vielleicht noch nicht ſo weit bin wie er — ( Hoͤhniſch ) es
könnte ja ſein , nicht wahr , daß ich eben noch keine Heilige
bin ? Aber ich exiſtiere ja nicht ! ( Tonwechſel ; wieder ganz
konverſationell . ) Das hat doch was Erniedrigendes für
eine Frau , nicht ? ( Tonwechſel ; nun wieder ſehr heftig . )
Niederträchtig iſt es ! ( Sie ſpringt auf und rauſcht nach links . )
Eine andere Frau hätte längſt — ( Achſelzuckend ; bitter )
aber wozu ? Er würde das doch in ſeinem Hochmut ja
gar nicht bemerken !
Fidelis ( trocken ) . Das muß ja auch dabei nicht der
einzige Zweck ſein — ( indem er ſie laͤchelnd anſieht ) bloß
daß er es bemerkt ?
Eva ( links vorne ; erwidert ſeinen Blick und ſie ſehen ſich
einen Augenblick laͤchelnd an ) . Nein , das muß nicht der
einzige Zweck ſein . — ( Nachſinnend. ) Es wäre vielleicht
auch ein ganz ſchönes Gefühl — ( Lacht ſchadenfroh . )
Fidelis ( trocken ) . Mir wär nur leid um den anderen —
Eva . Um wen ?
Fidelis . Den Sie dann , bloß um ſich zu rächen —
Eva ( kokett ) . Nicht bloß — ! Ihr ſtellt euch die Frauen
auch immer zu einſeitig vor ! In einer Frau geht mehr
vor . Und gerade dieſe zarten Übergänge des Gefühls —
( Haͤlt ein , blickt ihn wieder laͤchelnd an und kommt auf ihn zu ;
treuherzig . ) Halten Sie mich eigentlich für kokett ?
Fidelis ( beteuernd ) . Aber nein !
Eva ( ernſt ) . Das iſt nur Maske .
Fidelis . Ich hatte gleich das Gefühl .
Eva . Sie verſtehen die Frauen !
Fidelis . Es gelingt mir auch nicht immer . ( Steht auf
und tritt dann hinter den Tiſch . )
Eva . Weil ihr euch nicht genug bemüht ! Ihr glaubt
immer eine Frau gleich ein für allemal zu kennen . Die
Frauen ſind aber nicht —
Fidelis ( raſch einfallend ; zuſtimmend ) . Ein für allemal .
Nein .
Eva ( ſetzt ſich in den Schreibſtuhl links vom Tiſch ) . Das
vergeßt ihr ! Nach drei Wochen iſt in der normalen
Ehe die Frau für den Mann erledigt . Nicht , daß er ihr
untreu wird — Gott , untreu ! Ich habe Ehen gekannt ,
wo die Treue auf beiden Seiten nicht übertrieben wurde ,
aber gerade dann nimmt man ſich wieder mehr zuſam-
men und gibt aufeinander acht . Und alles verträgt eine
Frau , wenn ſie nur nicht ignoriert wird ! Nur nicht ſo
— wiſſen Sie , wie man ein Bild an der Wand hän-
gen hat , es aber gar nicht mehr anſieht und es erſt wie-
der bemerken würde , wenn 's nicht mehr da wär — nicht
wahr , das iſt doch die Ehe meiſtens . ( Tonwechſel ; jetzt
wieder ſchmachtend . ) Und daher dann unſere Sehnſucht !
Denn eine Frau braucht , daß man ſich mit ihrer Seele
beſchäftigt . ( Tonwechſel ; wieder mehr konverſationell . ) Und
das Böſe iſt nun aber , daß das nicht bloß der eigene
Mann nicht verſteht , ſondern der andere , an den man
ſich dann wendet , meiſtens auch nicht — das heißt , ich
ſprech doch nicht von mir , ich ſage nur , daß überhaupt
die Frauen ſeeliſch unbeſchäftigt ſind .
Fidelis . Es iſt ſchon ſehr kompliziert , verheiratet zu
ſein .
Eva ( ſehr lebhaft ) . Schrecklich ! — Nämlich das iſt
mir längſt klar geworden : Gerade was eine Frau im
Ehebruch ſucht , das findet ſie da nun erſt recht nicht !
Davon muß man ganz abkommen . — Früher ſcheint
das viel beſſer eingeteilt geweſen zu ſein — ich meine :
damals , wiſſen Sie , als jede Frau ihren Troubadour
hatte , den irrenden Ritter in der Ferne , dem ſie viel zu
hoch ſtand , als daß er auch nur unziemlich an ſie zu
denken gewagt hätte . Das iſt nicht erſetzt worden .
Fidelis . Sie wünſchen ſich einen platoniſchen Ehe-
bruch ?
Eva ( lebhaft zuſtimmend ) . Ja das wär's ! Das wünſcht
ſich doch jede Frau ! ( Tonwechſel ; nun wieder ganz gewoͤhn-
lich plappernd ; ſehr raſch . ) Das heißt , wünſcht ? Was
wiſſen denn die meiſten , was ſie ſich wünſchen , ſie tappen
eben ſo zu und dann tappen ſie hinein , das heißt , ſie
tappen gar nicht , ſie werden getappt , es wünſcht ſich 's
ja keine , die Schuld hat doch immer der Mann , denn
eine Frau , die ſich dazu nicht geradezu gezwungen ſieht ,
die würde nie — das heißt , nie ? Die meiſten Frauen
ſind ja ſo dumm , bei denen iſt alles möglich .
Fidelis ( nachdenklich geworden ) . Wenn ſich eine Frau
nicht geradezu dazu gezwungen ſieht ? Das ſcheint mir
vielleicht doch ein bißchen viel geſagt .
Eva ( lebhaft ) . Gezwungen , glauben Sie mir ! Das
heißt , es kann ja manchmal ſchon auch ein ganz leiſer
Zwang , nicht wahr ? ( Lacht. ) Aber eigentlich will die
Frau das nicht ! Sie wünſcht ſich 's vielleicht , das iſt was
anderes , aber ſie will es nicht . Wir alle , wie wir da ſind ,
möchten euch treu bleiben ! ( Tonwechſel ; nun wieder ſehr
heftig und erbittert . ) Man ſoll aber nur nicht , ein Mann
darf aber doch nicht glauben , das muß ſo ſein ! Und dieſe
Grandezza , mit der es als ein ſchuldiger Tribut hinge-
nommen wird — alſo das hat für mich etwas direkt Auf-
reizendes ! Aber alle Männer ſind ſo ! Ich muß mich
oft zurückhalten , um mancher Frau nicht zu ſagen : Zei-
gen Sie doch Ihrem Mann , daß ſich das nicht ſo von
ſelbſt verſteht , betrügen Sie den Herrn doch , Sie haben
geradezu die Pflicht , dem ganzen weiblichen Geſchlecht
gegenüber !
Fidelis ( nickend ) . Und manche Frauen haben da nun
ein ſehr ſtark entwickeltes Pflichtgefühl .
Eva . Ach ihr faßt das ſtets wieder gleich zyniſch auf !
Nein , unſere Würde fühlt ſich unbefriedigt ! ( Schmachtend ,
ſeufzend . ) Wie dankbar wären wir einem Mann , bei dem
wir dafür Verſtändnis fänden ! Denn keine Frau kann
ohne Würde leben . ( Tonwechſel ; wieder ganz gewoͤhnlich . )
Das heißt , leben !? Man lebt ſchon ! Aber iſt das ein
Leben ? ( Seufzt , man hoͤrt draußen die Tuͤre gehen ; mit
einem Blick zum blauen Gang , leichthin . ) Da kommt mein
Mann — ſehen Sie , das iſt auch ehelich : alles immer
im unpaſſenden Moment !
Kuno ( ſiebenunddreißig Jahre ; groß und ſchlank ; ganz
kurz geſchnittenes , ſehr dichtes ſchwarzes Haar , mit einem
weißen Buͤſchel an der rechten Schlaͤfe , das er ſorgfaͤltig zu
pflegen ſcheint ; niedrige Stirne , ſchmales langes blaſſes Geſicht
mit ſtark vorſpringendem Kinn ; lange Wimpern , ſtarke Brauen ,
auf engliſche Art ganz kurz geſchnittenen Schnurrbart ; das Ge-
ſicht verſpricht mehr als es haͤlt , es wird einem bald langweilig ;
ſchmale abfallende Schultern , langen Ruͤcken , er beugt ſich gern
ein wenig vor und affektiert eine gewiſſe Muͤdigkeit , doch merkt
man ihm immerhin noch an , daß er in der preußiſchen Armee
gedient hat ; auffallend ſchoͤne , doch etwas weibiſche Haͤnde , er
traͤgt einen einzigen Ring mit einem langen dreieckigen Ame-
thyſt ; er iſt von ruhiger , gemeſſener Hoͤflichkeit , die verhaltene
Energie ſeines leiſen , doch unerbittlichen Tons erinnert etwas
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an einen Nervenarzt oder Hypnotiſeur ; durchaus wirklich ele-
gant , aͤußerlich und innerlich ; Cutaway , geſtreifte Hoſe ; durch
den blauen Gang . ) Verzeihen Sie bitte , ich wurde aufge-
halten .
Fidelis ( laͤchelnd mit einem Blick auf Eva ) . Mir iſt die
Zeit ſo ſchnell vergangen —
Eva . Wir ſprachen uns über die Ehe aus .
Fidelis ( raſch ) . Hoffentlich noch lange nicht aus !
Eva ( ſich zuruͤckziehend ) . Nein , ihr habt Geſchäfte !
( Kokett. ) Aber auch ich hoffe : Fortſetzung folgt . ( Reicht
Fidelis die Hand , die er kuͤßt ; mit ihrem grundloſen konven-
tionellen Lachen . ) Kommen Sie nur bald wieder auf einen
kleinen Plauſch , wie wir in Wien ſagen !
Fidelis ( hat ihr die Hand gekuͤßt ; vergnuͤgt ) . Ich habe
ſehr viel gelernt . Und es iſt mir dabei ganz leicht ums
Herz geworden .
Eva ( kokett ) . Ach Ihnen iſt wohl überhaupt nie ſchwer ?
Fidelis . Selten . Aber doch !
Eva ( im Abgehen ) . Und vergeſſen Sie nicht , Ihre Frau
von mir zu grüßen ! ( Rauſcht durch den blauen Gang ab . )
Kuno ( ladet Fidelis ein , ſich wieder zu ſetzen ) . Bitte . Ich
wußte gar nicht daß Sie ſchon zurück ſind . Ich wäre
ſonſt gleich zu Ihnen gekommen . ( Setzt ſich auf den Stuhl
rechts vom Tiſch . )
Fidelis ( ſetzt ſich auf den Stuhl links vom Tiſch ) . Sekre-
tär Habuſch hat mir Ihren Plan —
Kuno . Plan kann man es ja noch kaum nennen . Herr
Habuſch hat angeregt , ob ich nicht die paar Menſchen ,
die ſo gütig ſind , ſich von mir beraten zu laſſen , ſeinem
Verein zuführen möchte .
Fidelis . Da Sie ſich ſelbſt für dieſen Verein intereſſie-
ren —
Kuno . Was der Verein anſtrebt , ſcheint mir aber
nicht genug . Ich habe ferner auch Bedenken gegen die Me-
thode . Man beweiſt den Leuten , daß der Alkohol , das
Fleiſcheſſen und ſo weiter ſchädlich iſt . Ich weiß aber
nicht , ob ſich da nicht mancher ſagt : Auf das bißchen Ar-
terienverkalkung und dergleichen kommt 's ſchon nicht mehr
an , mir geht's innerlich ſo ſchlecht , daß mir alles andere
gleich iſt , ſolange nicht meiner Seele geholfen wird .
Fidelis ( leichthin ) . Glauben Sie , daß viele Menſchen
ein ſo beſonderes Gewicht auf ihre Seele legen ?
Kuno . Ich glaube . Die meiſten wiſſen es nur ſelbſt
gar nicht . Sie wiſſen bloß , daß ihnen elend iſt . Zunächſt
alſo : mehr Geld verdienen . Zu ihrer Verwunderung wird
ihnen aber dadurch nicht weniger elend . Dann kommt
Lahmann , Luftkuren , Abſtinenz , Faſten und zuletzt die ra-
dikale Skepſis . Und wirklich : dem ganzen Leben entſa-
gen , bloß um nicht die Gicht zu kriegen ?
Fidelis ( achſelzuckend ) . Zur Abſchreckung .
Kuno . Ich glaube nicht daran . Man überſchätzt heute
den Eigennutz des Menſchen ebenſo wie man ſein Ehrge-
fühl unterſchätzt . Ich würde den Leuten nicht ſagen :
Hütet euch vor dem Alkohol , er ſchadet ! Sondern : Es
iſt gemein , ſich künſtlich zu begeiſtern , ſchämt euch ! —
Nun wird man ſagen , daß ich auch Ihren Verein wieder
zu meiner theoſophiſchen Propaganda mißbrauchen will .
Ich kann Ihnen aber nur verſichern , ich mache keine . Im
Gegenteil , ich rede mit den Neugierigen , die ſich bei mir
melden , faſt wie der Räuberhauptmann Moor mit dem
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jungen Koſinsky , dem er das Hochgericht in der Ferne
zeigt .
Fidelis ( trocken ) . Hat aber wenig gewirkt .
Kuno ( laͤchelnd ) . Meiſtens bei mir auch nicht . — ( Wie-
der ernſt . ) Und ich habe ſchließlich doch auch kein Recht ,
irgend einem Menſchen den Weg zur Erlöſung zu verſper-
ren . ( Da er bemerkt , daß ihn Fidelis mißtrauiſch anſieht ;
laͤchelnd . ) Ich will Sie keineswegs einfangen , Herr Doktor .
Fidelis ( laͤchelnd ) . Erlöſung , Herr Legationsſekretär ,
gehört für mich zu den Worten , gegen die ich von vorne-
herein ein vielleicht übertriebenes Mißtrauen habe .
Kuno ( leichthin ) . Es hat auch nur Sinn für den , der
ihrer bedürftig iſt .
Fidelis . Aber auch dann , Herr Legationsſekretär , wäre
mir Indien zu weit .
Kuno ( ſieht ihn fragend an ) . Sie würden — ?
Fidelis ( einfach ) . Ich gehe zuweilen in die Franzis-
kaner Kirche . Nicht ſehr oft . Meine Bedürfniſſe ſind be-
ſcheiden .
Kuno ( lebhaft intereſſiert ) . Und Sie meinen , daß ein
moderner Geiſt —
Fidelis ( ihm ins Wort fallend ) . Was nun meinen Geiſt
betrifft , wenn ich den üben will , ſpiel ich Schach . Für
das andere aber , für das Gemüt , für die Sehnſucht oder
wie man's nun nennt , genügen mir meine Franziskaner
völlig . Ich bin innerlich etwas hausbacken .
Kuno ( mit leiſem Vorwurf ) . Auch Sie ſtellen ſich vor ,
Buddhismus ſei die Religion der Snobs ?
Fidelis ( trocken ) . Es muß auch Snobs geben . War-
um ſollen ſie nicht ihre Religion haben ?
Kuno . Muß es Snobs geben ?
Fidelis . Ich beſtehe nicht darauf .
Kuno . Sie weichen mir aus ?
Fidelis . Mir ſind Religionsgeſpräche nicht recht ge-
heuer .
Kuno ( achſelzuckend ) . Es iſt auch gar nicht meine Ab-
ſicht . — Wenn ich an Ihren Beſtrebungen teilnehmen ſoll ,
ſo kann ich es nur in meinem Sinn . Sie werden entſchei-
den , ob Ihnen das paßt .
Fidelis . Ich werde den Herren darüber berichten .
( Steht auf . ) Jedenfalls danke ich Ihnen ſehr —
Kuno ( bedauernd ) . Wollen Sie ſchon — ? ( Steht auf . )
Fidelis ( leichthin ) . Ich hätte allerdings noch eine
Frage —
Kuno . Gern .
( Sieht ihn fragend an. )
Fidelis ( ganz ruhig ) . Sie haben ein Verhältnis mit
meiner Frau ?
Kuno ( ruhig ) . Nein .
Fidelis ( ganz ruhig ) . Jetzt kommt das Ehrenwort , ich
weiß . Könnten wir nicht aber abkürzen ?
Kuno ( kurz ) . Ich lüge nicht .
Fidelis ( trocken ) . Sie müſſen doch lügen !
Kuno . Ich würde nie —
Fidelis . Das wäre nicht ſchön von Ihnen .
Kuno ( kalt ) . Darüber kann man verſchiedener Anſicht
ſein .
Fidelis ( trocken ) . Nein . — ( Leichthin. ) Aber meine
Frau hat mir alles erzählt .
Kuno . Sie kann Ihnen das nicht erzählt haben .
Fidelis . Sie vermuten eine Falle ?
Kuno . Nein .
Fidelis . Würde auch wenig Menſchenkenntnis zeigen .
Ich bin ganz arglos , ich hätte nichts bemerkt und wenn
ich anonym gewarnt worden wäre , dann erſt recht nicht ,
ſchon um dem nicht die Freude zu machen . — Ich will
auch weiter nichts als von Ihnen hören , wie Sie ſich nun
die ... Beziehung , die dadurch zwiſchen uns entſtanden
iſt , künftig eigentlich vorſtellen .
Kuno . Was hat Ihnen die gnädige Frau erzählt ?
Fidelis . Alles .
Kuno . Ich muß bitten , mir die Worte zu wieder-
holen .
Fidelis ( leicht erſtaunt , achſelzuckend ) . Daß ſie Sie liebt .
Kuno . Sie ſprachen aber von einem , Sie nannten es
ein ... Verhältnis .
Fidelis ( ungeduldig ) . Nun ja ?
Kuno . Nein .
Fidelis ( glaubt nun zu verſtehen , was Kuno meint ; ſcharf
abweiſend ) . Das — das Detail intereſſiert mich nicht .
Kuno ( immer ganz ruhig , aber ſehr beſtimmt ) . Sie
irren .
Fidelis ( ſehr heftig ) . Meine Frau liebt Sie , Sie lieben
meine Frau —
Kuno ( raſch einfallend , ſcharf ) . Nein . — Ich durfte der
gnädigen Frau nicht verhehlen , daß ich ihr mir gewiß
ſehr ſchätzenswertes Gefühl nicht erwidern kann .
Fidelis ( in ſeiner Verbluͤfftheit , unwillkuͤrlich , gedankenlos ) .
Na hören Sie ?! ( Blickt Kuno ganz ratlos an . )
Kuno ( tritt neben Fidelis , um mit einem kleinen Schluͤſſel
ein Fach des Tiſches aufzuſchließen ) . Es wird am beſten
ſein — ( Zieht ein kleines , wohlgeordnetes Konvolut von Briefen
aus dem Fach . ) Hier ſind die Briefe der gnädigen Frau
und Abſchriften meiner Antworten . ( Legt das Konvolut
auf den Tiſch . )
Fidelis ( trocken ) . Sie führen Buch .
Kuno . Wollen Sie bitte leſen und ſich überzeugen .
( Tritt vom Tiſche zuruͤck . )
Fidelis ( blickt auf das Konvolut ; nach einer kleinen Pauſe ,
mit einer leicht abwehrenden Handbewegung , kurz ) . Ich danke .
( Steht noch eine Weile , bald auf Kuno , bald wieder auf das
Konvolut blickend , und geht dann langſam nach rechts , bis an
den kleinen niederen Stuhl rechts , an dem er ſtehen bleibt , mit
dem Ruͤcken zu Kuno . )
Kuno ( blickt erſt Fidelis nach , tritt dann an den Tiſch , ver-
ſperrt das Konvolut und ſteckt den Schluͤſſel wieder zu ſich ;
nach einer ſehr langen Pauſe ) . Ich überlegte damals gleich ,
ob ich Sie nicht eigentlich davon verſtändigen müßte .
Nun waren Sie doch aber verreiſt , und brieflich —
Fidelis ( wendet ſich raſch nach ihm um ; mit heiſerer Stim-
me dazwiſchen ſprechend ) . Herr ! Sie —
Kuno ( weiterſprechend ) . Meine Situation war ja —
Fidelis ( heiſer ſchreiend , hoͤhniſch ) . Ihre Situation —
was geht mich Ihre Situation — ?
Kuno ( raſch einfallend ; in einem erſtaunten Ton ) . Ich
will Ihnen ja bloß erklären —
Fidelis ( bruͤllend , indem er auf ihn losgeht ) . Erklären Sie
mir nicht — ! ( Bleibt ſtehen , hoͤhniſch , laut auflachend . ) Er-
klären ! — ( Heiſer , an den Worten wuͤrgend . ) Meine Frau ,
eine Frau wie Luz — es widerfährt Ihnen das unſinnige
Glück , daß ſich eine Frau wie Luz an Sie weg , weg-
werfen will und Sie , Sie , ſtatt ihr den Staub von den
Schuhen zu lecken , Menſch — ( ſeinen Zorn in ein ſchallen-
des Gelaͤchter entladend , indem er , ganz bleich geworden , immer
naͤher auf Kuno zukommt ) Sie haben ihr einfach nein ge-
ſagt ? Danke nein ? — Sie ihr ? Sie ! ( Steht nun Kuno
keuchend gegenuͤber . )
Kuno ( vor dieſem Ausbruch ratlos ; achſelzuckend , halb ent-
ſchuldigend , kurz vor ſich hin ) . Gefühle laſſen ſich nicht
kommandieren .
Fidelis ( drohend vor Kuno ; ſeine Wut in ſich hinabſchlin-
gend ; nicht mehr ſo laut , ſchmerzlich hoͤhniſch ) . Sie hätten
Ihr Gefühl erſt kommandieren müſſen !
Kuno . Es wäre doch unrecht von mir geweſen —
Fidelis ( mit zuckenden Lippen ) . Sehr wahr . Entſchuldi-
gen Sie ſich nicht weiter !
Kuno ( der erſt allmaͤhlich ſeiner Verlegenheit wieder Herr
werden muß ) . Ich glaube durchaus korrekt — ſo ſehr ich
die gnädige Frau ſchätze , aber —
Fidelis ( wieder ausbrechend , ſchreiend ) . Menſch ! ( Noch
lauter . ) Menſch !! ( Er hebt in ſinnloſer Wut die Fauſt und
dringt auf ihn ein . )
Kuno ( tritt ihm in guter Haltung ruhig entgegen ) . Ich
verſtehe nicht —
Fidelis ( raſch einfallend , indem er ſich bezwingt und die
Hand ſinken laͤßt ; keuchend ) . Sie verſtehen nicht , wie — wie
infam , ( ſehr laut ) infam es klingt , ( leiſer ) wenn Sie , ein
Kerl wie Sie — ( Haͤlt , vor Wut zitternd , ein und ſchluckt
und keucht . )
Kuno ( zuckt zuſammen , beherrſcht ſich aber und hebt nur
leicht abwehrend die Hand ) .
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe , in der er , ein wenig
gebeugt , mit weit aufgeriſſenen Augen , keuchend , vor Kuno
ſteht ; leiſe , langſam , zwiſchen den Zaͤhnen hervor ) . Ich hätte
nie gedacht , daß ich einmal ſolche Luſt haben könnte , einen
Menſchen zu , niederzu — ( Haͤlt ein , beherrſcht ſich und ſtreckt
nur die beiden eingebogenen , an den Koͤrper gepreßten Arme
mit offenen , leiſe zitternden Faͤuſten vor . )
Kuno ( tritt ihm in guter Haltung einen Schritt entgegen ,
ſie ſtehen ſich einen Augenblick gegenuͤber und meſſen ſich ; nach
einer kleinen Pauſe , mit hoͤrbarer innerer Erregung , aber ſehr
ruhig , keineswegs herausfordernd , in einem eher leiſe ſchuld-
bewußten Ton ) . Ich weiß nicht , ob Sie davon gehört
haben , daß ich einſt im Duell —
Fidelis ( raſch einfallend ; indem er den Kopf hebt und all-
maͤhlich die Arme ſinken laͤßt ; kurz auflachend , faſt beluſtigt ) .
Wenn Sie meinen , daß mich das — ! ( Lacht laut auf . )
Kuno ( ſehr raſch einfallend , in einem bittenden Ton ) .
Mißverſtehen Sie mich doch nicht ! Ich will nicht drohen ,
ſondern — ( nach einem Atemzug , langſam , indem er die
Stimme ſinken laͤßt ) mich rechtfertigen
Fidelis ( auf den der ruhige Ton Kunos doch Eindruck
macht ; aber noch widerſtrebend , die Worte hoͤhniſch hervor-
ſtoßend , kurz ) . Da bin ich neugierig !
Kuno ( herzlich ) . Es liegt mir daran , daß Sie mich
nicht verkennen . Wollen Sie mich bitte einen Augenblick
anhören ?
Fidelis ( blickt achſelzuckend von Kuno weg vor ſich hin ) .
Kuno ( nach einer kleinen Pauſe ) . Vielleicht — ( den
Kopf ſenkend , muͤhſam , leiſe ) vielleicht werden Sie dann
eher mit mir , vielleicht werden Sie mich eher bedauern .
( Blickt wieder auf und ſieht Fidelis an . )
Fidelis ( blickt auf Kuno , ſie ſehen einander voll in die
Augen ; dann wendet er ſich ab , geht langſam in die Loge
und bleibt vor dem Sofa ſtehen , mit dem Ruͤcken zu Kuno ;
nach einer langen Pauſe , achſelzuckend , kurz ) . Bitte .
Kuno ( unbeweglich ſtehend , ruhig erzaͤhlend ) . Ich lernte ,
als ich in Athen war , eine Frau kennen , die mich , mehr
noch durch die Schönheit ihres Weſens , ungewöhnlich an-
zog . Ich muß vorausſchicken , daß ich ein ausgeprägtes
Freundſchaftsbedürfnis habe , das allerdings ſtets eher
bei Frauen als bei Männern Verſtändnis fand . Ich bin
aber durchaus kein homme à femmes — ( leicht traurig
laͤchelnd ) trotz meines Rufs . Ich habe nie , was man ſo
die große Liebe nennt , kennen gelernt . — Verzeihen Sie
dieſe Konfidenzen , aber ich muß Sie ſchon mit dieſen un-
beträchtlichen Dingen behelligen , ſo wenig angenehm mir
das iſt .
Fidelis ( wendet ſich halb nach ihm um ; mehr vor ſich
hin , bitter ) . Es gibt Männer , die lieben , und andere , die
geliebt werden . So ſcheint das eingeteilt zu ſein .
Kuno . Dann muß ich mich zur zweiten Gruppe rech-
nen . Leider . Ich bin jedenfalls nicht — ( Er haͤlt ein , das
richtige Wort ſuchend . )
Fidelis ( vor ſich hin , hoͤhniſch ) . Nicht aggreſſiv ? Sie
fangen nicht an ?
Kuno ( in ſeiner Erzaͤhlung fortfahrend ) . Und ſo war
auch meiner Empfindung für jene Frau jede Leidenſchaft
fern . Ich hatte ſie ſehr gern , ich fühlte mich bei ihr wohl
und ſie tat mir ja auch ein bißchen leid , ſie war ſehr ein-
ſam , ihr Mann verſtand ihre künſtleriſchen Neigungen ,
ihre ſchöngeiſtigen Beſtrebungen nicht . Er war ein ſehr
tüchtiger Offizier , Sportsmann , Herrenreiter , Kunſtſchütze .
Man kann nicht ſagen , daß es eine ſchlechte Ehe war . Es
war nur eigentlich gar keine Ehe . Er hielt ſich eine Frau
wie Wagen und Pferde . — Es entſpann ſich nun eine
mich ſehr beglückende Freundſchaft , wir muſizierten zu-
ſammen , wir wanderten durch die griechiſche Landſchaft
und , vom Ölbaum des Plato heimgekehrt , laſen wir Platos
„ Gaſtmahl “ und den „ Phädon “ .
Fidelis ( trocken ) . Da hätt ich Ihnen vorausſagen
können !
Kuno ( nach einer kleinen Pauſe ; leiſe ) . Und bevor eins
von uns irgendwie das Gefährliche oder Bedenkliche un-
ſerer Beziehung empfand , war ſie ( ganz leiſe ) meine Ge-
liebte geworden .
Fidelis ( leiſe ) . Wie alt waren Sie damals eigentlich ?
Kuno ( ohne den leiſen Spott der Frage zu verſtehen ;
arglos ) . Einunddreißig . Warum ?
Fidelis ( leichthin ) . Es intereſſiert mich nur . ( Man
merkt , daß ihn jetzt dieſer Menſch neugierig macht ; er ſetzt ſich
auf das Sofa und beobachtet ihn . )
Kuno ( langſam , ganz leiſe ) . Nun war ſie — meine
Geliebte . ( Er geht nach rechts , bis an den niedrigen Stuhl ;
nach einer kleinen Pauſe , einfach berichtend . ) Ich erinnere
mich noch ganz deutlich des ſehr merkwürdigen Gefühls ,
mit dem ich an jenem Abend heimging . Recht beklommen .
Ich machte mir ſelbſt Vorwürfe , nicht glücklicher zu ſein .
Mir war eher , als wäre nun etwas ſehr Schönes zerſtört .
Ich hätte faſt — bereut , wenn ich mich nicht geſchämt
hätte , ich kam mir ſelbſt ganz komiſch vor . Und ich weiß
noch , daß mir unterwegs plötzlich einfiel , mit dieſen Wor-
ten : ein Mann kann da doch eigentlich einer Frau nicht gut
nein ſagen ! Darüber mußte ich lachen . ( Nach einer Pauſe ,
indem er nun zu Fidelis aufblickt ; aͤußerlich ganz ruhig , knapp ,
einfach berichtend . ) Sieben Wochen ſpäter verriet uns der
albernſte Zufall . Ihr Mann forderte mich . Mit meinem
Schießen war 's nicht ſehr berühmt . ( Nach einem Atemzug ,
zu Boden blickend ; ganz knapp . ) Es war alſo nur ein Zu-
fall . Auch wieder ein Zufall . ( Geht langſam von rechts
nach links und bleibt hier ſtehen ; nach einer Pauſe . ) Obwohl
ich mich jetzt manchmal frage , ob wir das Zufall nennen
dürfen , ob nicht eine höhere Hand — ( Ganz einfach , ſtill
vor ſich hin , in einem Ton der Dankbarkeit . ) Denn ich bin
dadurch erſt auf den rechten Weg gebracht worden .
Fidelis ( trocken ) . Davon hat der nicht viel , der Tote .
Kuno ( zu Fidelis aufblickend ; langſam , ſtark , leiſe ) . Aber
begreifen Sie nun ? ( Nach einer kleinen Pauſe ; leichter im
Ton . ) Nicht ſein Tod war es . — Aber daß ich nichts
dagegen einzuſetzen hatte , keinen Gegenwert , der meine
Tat aufgewogen hätte ! Keine Leidenſchaft , keinen in-
neren Zwang , der mich gerechtfertigt hätte , das machte
ſie mir faſt zum — ( ſeine Stimme ſenkend , langſam ) zum
gemeinen Mord . — ( Wieder lauter und leichter , knapp . )
Es iſt mir ſeitdem ein unverbrüchliches Geſetz , in meinen
Gefühlen unbarmherzig ehrlich zu ſein . Auch in Fällen ,
wo das eigentlich nicht üblich iſt . Das mag Ihnen er-
klären —
Fidelis ( raſch einfallend ; trocken ) . Ich nehm's Ihnen
ja weiter nicht übel . ( Mit einiger Bitterkeit . ) Ich hatte
gar keinen Grund , ſo gereizt zu ſein . ( Ernſt , einfach , kurz . ) Ich bin es , der ſich entſchuldigen muß .
Kuno . Es iſt mir ſo peinlich , daß Sie vielleicht das
Gefühl haben , als ob ich die gnädige Frau — ( Er haͤlt
ein , das richtige Wort ſuchend . )
Fidelis ( trocken ) . Aber ſie wird das Gefühl haben ,
verſchmäht zu ſein .
Kuno ( beſtuͤrzt , leiſe ) . Was ſoll ich da nur tun ?
Fidelis ( ohne Kunos Frage zu beachten ) . Was wurde
denn aus jener Frau ?
Kuno ( blickt Fidelis verwundert an , dann kurz ) . Sie ging
ins Kloſter . — ( Mit einem faſt neidiſchen Ton . ) Sie , ſie
konnte ſich ja ſagen , daß ſie im höheren Sinne das
Recht für ſich hatte —
Fidelis ( raſch einfallend , hart und ſcharf ) . Wiſſen Sie
das ſo genau ?
Kuno . Das Recht der Leidenſchaft doch !
Fidelis ( bruͤsk ) . Wenn ſie ſich nicht auch ihr Gefühl
bloß vorgeſchwindelt hat , wie Sie !
Kuno ( ſehr raſch ) . Gewiß nicht !
Fidelis ( hoͤhniſch auflachend ) . Nein ?
Kuno ( raſch ) . Halten Sie mich für keinen Gecken ! Aber
ich habe leider ſo viele Beweiſe meiner ( man hoͤrt ihm
das Widerſtreben an , davon zu ſprechen ) unſeligen Wirkung
auf Frauen — es klingt lächerlich , aber ich ſelbſt , glau-
ben Sie mir ! , ich empfinde das faſt als einen — ( leiſe ,
das Wort mit Heftigkeit kurz hervorſtoßend ) Fluch , der mich
verfolgt !
Fidelis ( achſelzuckend , trocken ) . Glück bei Frauen .
Kuno ( ſetzt ſich in den Stuhl links vom Schreibtiſch ) . Wenn
Sie ſich vorſtellen könnten , wie mir das alle Beziehun-
gen , ja mein ganzes Leben fälſcht ! Ich darf für eine
Frau nichts empfinden , keine Teilnahme , keine Freund-
ſchaft , ohne —
Fidelis ( raſch einfallend ; ſpoͤttiſch ) . Ohne gleich Angſt
zu kriegen ?
Kuno ( erbittert ) . Es iſt komiſch , ich weiß . ( Traurig. )
Und dabei noch das Gefühl , ſo vielen Menſchen Unglück
zu bringen . Denn ſo oder ſo !
Fidelis ( aufſtehend ; trocken ) . Man darf auch nicht ein
allzu zartes Gewiſſen haben , hier auf Erden . ( Tritt hinter
den Schreibtiſch . ) Die guten Weiber ſchwindeln nämlich
auch , zuweilen !
Kuno ( kopfſchuͤttelnd , ernſt ) . Die Frauen ſind beneidens-
wert , ſie ſtehen der Natur viel näher .
Fidelis ( mit einem Blick auf den blauen Gang , durch den
Eva abgegangen iſt , unglaͤubig laͤchelnd ) . Alle ?
Kuno . So weit ich ſie kenne .
Fidelis ( trocken ) . Daher auch Ihre Wirkung auf die
Damen , denn das haben ſie gern . — ( Lebhaft. ) Nein .
Es wird auf beiden Seiten gleich viel geſchwindelt . ( Sehr
laut . ) Weil ja das ganze Verhältnis der beiden Ge-
ſchlechter auf einer unnatürlichen Fiktion beruht : als ob
nämlich die Frau ein nur erotiſches Weſen wäre !
Kuno ( blickt ihn verwundert an ; leichthin ) . Wer be-
hauptet das ?
Fidelis ( ſehr lebhaft ) . Durch alle unſere Sitten und
Gewohnheiten behaupten wir es ! Jedes Gefühl einer
Frau wird ihr ja von Anfang an gleich erotiſch um-
gedeutet .
Kuno ( verwundert , leichthin ) . Darüber ließe ſich ja
diskutieren , aber ich weiß nicht recht — ( Sieht Fidelis
fragend an . )
Fidelis ( raſch einfallend ; ſehr heftig ) . Ich will aber
dieſe Diskuſſion . Gerade jetzt ! Ich brauche ſie . ( Tritt
von rechts an den Schreibtiſch , mit einem faſt drohenden
Blick auf Kuno . )
Kuno ( ſehr verwundert ) . Bitte .
Fidelis ( nun wieder in einem rein ſachlichen Ton ; lebhaft ,
ſehr raſch ) . Wenn ein junges Mädel zum erſten Mal
ganz harmlos beim Schlittſchuhlaufen oder Tennisſpielen
Gefallen an einem jungen Mann findet — er gefällt
ihr , nicht anders als , wenn wir nicht ſo verkommen wären ,
eigentlich jeder Menſch jedem Menſchen gefallen müßte .
Aber gleich ſteckt man die Köpfe zuſammen und wird
gewiſpert und Mama fragt beſorgt , was daraus wer-
den ſoll . Und ſo ja doch durchs ganze Leben ! Wenn ſich
eine Frau mit ihrem Tiſchherrn einmal weniger lang-
weilt und darüber ein vergnügtes Geſicht macht , gleich
droht ihr der Gatte gegenüber ſcherzhaft mit dem Finger
und die Hausfrau ſagt : Na , na , Kinder ! Alles muß
immer gleich die große Liebe ſein ! ( Heftig. ) Wie ja die
meiſten Menſchen jetzt überhaupt alle Gefühle vom Hören-
ſagen und aus Beſchreibungen kennen lernen , bevor ſie ſie
ſelbſt fühlen — wodurch die Gefühle nicht gerade beſſer
werden . — ( Noch aͤrgerlicher . ) Und dann wundert ihr euch
aber , wenn ſo ein armes Ding , dem immer vorgeſagt
worden iſt , daß eine Frau nichts , nichts anderes empfinden
kann , daß alles immer gleich wieder Liebe ſein muß , die
berühmte Liebe — dann wundert ihr euch , daß das Weib
allmählich ſchon ganz zum bloßen Weibchen reduziert wor-
den iſt ? — Wenn einem eine Frau ſympathiſch iſt , muß
man mit ihr ſchlafen , dann mit ihr brechen und erſt dann
ſtellt ſich eine menſchliche Beziehung zu ihr her — es gibt
keinen andern Weg als durchs Bett ! Dann kann man doch
erſt wirklich mit ihr reden .
Kuno ( nachdenklich ) . Sie haben vielleicht in mancher
Hinſicht nicht unrecht —
Fidelis ( raſch einfallend , lebhaft ) . Aber meinen Sie ja
nicht , ich dächte deshalb von der Liebe gering ! — ( Ernſt. )
Ich glaube an Triſtan und Iſolde . Das gibt's . ( Nun
wieder in dem aͤrgerlichen Ton . ) Wenn aber jeder Hans
mit jeder Grete nun auf einmal Triſtan und Iſolde tut
— nein , o nein , da bin ich für Prügel ! ( Lacht vergnuͤgt ,
ſetzt ſich in den Stuhl rechts vom Tiſch und blickt Kuno ſpoͤttiſch
an ; nach einer kleinen Pauſe . ) Nichts erfriſcht mich mehr
als eine kleine Diskuſſion dieſer Art . Plötzlich wird einem
dann alles klar ! ( Tonwechſel ; nun wieder ernſt , aber leichthin . )
Ich habe heute nacht nicht ſehr viel geſchlafen . Immer
die erſte Nacht , wenn ich aus den Bergen komme . Offen-
bar der Luftwechſel . Nun und da denkt man dann über
allerhand nach . Aber ich war wie zugenagelt . Und erſt
jetzt — ! ( Sieht Kuno vergnuͤgt an , nach einer kleinen Pauſe . )
Ich bin ſehr froh .
Kuno ( der nicht ahnt , was Fidelis meint ) . Sie haben die
Mitteilung der gnädigen Frau mißverſtanden und da ſich
das nun aber aufgeklärt hat —
Fidelis ( raſch einfallend ) . Ach Sie meinen , weil — ?
( Sieht ihn laͤchelnd an ; ſpoͤttiſch . ) Nein , da verſtehen Sie
mich doch nicht ganz , Herr Legationsſekretär . Sie mei-
nen — weil ja nichts „ geſchehen “ iſt ? ( Ernſt. ) Sonder-
bar . Wenn eine Frau einen anderen liebt , der ſie aber
nicht , nicht „ erhört “ , dann iſt nichts „ geſchehen “ , alles in
ſchönſter Ordnung . Wenn aber eine Frau , ſetzen wir den
Fall , ihren Mann liebte , noch immer innerlich ſein wäre
und nur , von ihren Sinnen überwältigt , irgend einer Ver-
wirrung , Betörung erläge , dann , ja dann wäre was „ ge-
ſchehen “ und — ( zitierend ) „ darüber kann kein Mann
hinweg . “ ( Achſelzuckend. ) Geſchmackſache . — Nein , für
mich wäre das nicht der richtige Troſt , aber — ( langſam
eindringlich ) was anderes iſt mir klar geworden . Ich habe
nämlich entdeckt , daß meine Frau — ( haͤlt ein und blickt
ihn ſchadenfroh laͤchelnd an ; dann ) ich muß Ihnen eine be-
trübende Mitteilung machen . Nehmen Sie ſich's nicht
zu ſehr zu Herzen ! Und ſagen Sie ihr noch nichts davon ,
ich muß ſie erſt ſchonend vorbereiten . Nämlich : ſie liebt
Sie gar nicht .
Kuno ( verbluͤfft , ſehr raſch ) . Wie können Sie daran
zweifeln ?
Fidelis ( mit Humor ) . Ich kann Ihnen nicht helfen .
Kuno ( raſch ; mit der Hand auf die Lade des Schreibtiſches
deutend ) . Soll ich Ihnen ihre Briefe — ?
Fidelis ( dazwiſchen ſprechend ) . Ich kann Ihnen nicht
helfen .
Kuno ( ſich allmaͤhlich wieder faſſend ) . Mir wär das ja ,
ich würde mir 's ja natürlich nur wünſchen , es wäre ja
die beſte Löſung ! Aber wie können Sie nur denken ?
Ich glaube doch die Frauen ein bißchen zu kennen —
Fidelis ( raſch einfallend ; trocken ) . Glauben wir alle .
Langt aber nicht . — ( Tonwechſel ; nun raſch erzaͤhlend . ) Sie
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war ein halbes Kind , als wir heirateten . Immer gut be-
wacht . Haben Sie ſich meine Schwiegermutter nicht an-
geſehen ? Wir lebten die drei Jahre ganz für uns . Sie
ſind der erſte Mann , der mit ihr nicht bloß übers Wetter
und über Zeppelin geſprochen hat . Tragiſch wurde das
nun noch dadurch , daß Sie ja — Sie ſind doch , was
man einen ernſten Menſchen zu nennen pflegt . Das war
ihr nun ganz neu . Damit kann ich ja nicht aufwarten .
Auch wiſſen Sie alles ganz genau , über Gott und die Welt
und wie das alles mit uns eigentlich iſt , ich aber weiß
darüber leider gar nichts . ( Ganz ernſt , ohne Spott . ) Ich
kann mir's ſchon denken , daß das ein ſtarker Eindruck für
Luz war , ein Erlebnis . ( Wieder aͤrgerlich ſchimpfend . ) Und
nun , nach unſerer hundsdummen Erziehung : wenn eine
Frau was erlebt , was kann das ſein , was darf und kann
innerlich denn in einer Frau vorgehen als die berühmte
Liebe ?!
Kuno ( zoͤgernd , nicht ſehr uͤberzeugt , aber froh , einen Aus-
weg fuͤr Fidelis zu ſehen ) . Gott gebe , daß es ſo iſt !
Fidelis ( mit Humor ; trocken ) . Sie müßten ſich bemühen ,
mich noch mehr zu überzeugen .
Kuno ( leicht verlegen ) . Ich wünſche wahrhaftig nichts
ſehnlicher für uns alle , denn dann wäre ja nun alles in
Ordnung !
Fidelis ( raſch aufſtehend , die Stirne runzelnd , ploͤtzlich ſehr
ernſt ; mit harter Stimme , langſam ) . Nein . In Ordnung — ?
( Kopfſchuͤttelnd. ) Sie irren . In Ordnung iſt damit noch
gar nichts .
Kuno ( aufſtehend ; verwundert ) . Da Sie doch annehmen ,
daß — ?
Fidelis ( ihm ins Wort fallend ; hart ) . Ich weiß jetzt , daß
Luz Sie nicht liebt . ( Trocken. ) Ich hätt mir das wirklich
auch gleich denken können .
Kuno ( mit leichter Ungeduld ) . Nun dann — ?
Fidelis ( ſehr laut ) . Nein — ( weniger laut ) denn das nützt
mir noch nichts . Sagen Sie das einer Frau , die zu lieben
glaubt ! ( Hoͤhniſch. ) Liebe ! Und gar noch eine unglückliche !
So was gibt ſie doch nicht mehr her , ein ſo koſtbares
Ehrengeſchenk des Schickſals !
Kuno ( ratlos , bekuͤmmert ) . Wir müſſen der Zeit ver-
trauen , die —
Fidelis ( raſch einfallend ; trocken ) . Wenn Sie nicht beſſer
zu zaubern wiſſen als mit der ( in einem ironiſchen Ton )
alle Wunden heilenden Zeit — ! ( Ungeduldig , kurz . ) Nein ,
jetzt kommen Sie dran .
Kuno ( ſehr erſtaunt ) . Ich ?
Fidelis . Denn ſolange ſie ſich verſchmäht glaubt — !
Erſt muß dieſer Stachel heraus ! ( Faͤngt an durchs Zimmer
auf- und abzugehen ; aͤrgerlich , aber nicht laut . ) Es war ſchon
auch unerlaubt dumm von Ihnen !
Kuno ( raſch einfallend , gereizt beteuernd ) . Doch nur in
beſter Abſicht !
Fidelis ( ſehr raſch , kurz ) . Von Ihren Abſichten hab ich
gar nichts !
Kuno ( geht Fidelis nach ; erklaͤrend ) . Das Gefühl , aus
dem heraus ich —
Fidelis ( hoͤhniſch ) . Gefühl !
Kuno ( raſch , laut ) . Jedes Gefühl verdient —
Fidelis ( ſehr raſch , ſehr laut ) . Gar nicht ! Gefühle , bei
denen nichts herauskommt —
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Kuno ( noch lauter ) . Hätte ich — ?
Fidelis ( noch lauter , hoͤhniſch ) . Gefühle ! Gefühle !
Kuno ( immer hinter Fidelis her ) . Hätt ich lügen ſollen ?
Fidelis ( bleibt ploͤtzlich mit einem Ruck ſtehen und wendet
ſich ſcharf um , ſo daß er faſt auf Kuno ſtoͤßt ; ſehr laut , mit
einem ganz hellen , langgedehnten A ) . Ja !
Kuno ( indem er mit dem ſich unvermittelt umdrehenden
Fidelis faſt zuſammenſtoͤßt ; ſehr laut ) . Lügen ?
Fidelis ( ploͤtzlich ganz ruhig , trocken ) . Ja . Ja natürlich .
Lügen Sie , ſoviel Sie wollen !
Kuno ( unwillkuͤrlich jetzt auch ganz ruhig ; leiſe , doch mit
einer pedantiſchen Hartnaͤckigkeit ) . Ich werde niemals —
Fidelis ( einfallend ; trocken ) . Da haben Sie ſehr unrecht .
Man muß nur richtig lügen . So daß es hilft !
Kuno . Niemals —
Fidelis ( raſch einfallend ; ungeduldig , kurz ) . Geben Sie
mir meine Frau zurück ! Sie haben ſie mir entwendet ,
alſo —
Kuno ( raſch einfallend ) . Da Sie doch ſelbſt ſagen , ſie
liebe mich gar nicht .
Fidelis ( raſch einfallend ; kurz , ſehr ſcharf ) . Aber ſie glaubt
ſich von Ihnen verſchmäht ! Und ſolange habe ich ſie
nicht . Sie wird Sie vielleicht betrügen , mit mir , aber
das nützt mir nichts , in meinen Armen wird ſie ſich nach
Ihnen ſehnen . — Kommen Sie !
Kuno ( erſtaunt ) . Wohin ?
Fidelis ( aͤußerlich ganz ruhig , innerlich erregt ; kurz , knapp ) .
Mit mir . Zu uns .
Kuno . Wozu ?
Fidelis . Um ihr zu ſagen , daß Sie ſie lieben .
Kuno ( tritt unwillkuͤrlich zuruͤck wieder gegen den Tiſch hin ;
mit einem Blick , als waͤre Fidelis ploͤtzlich verruͤckt geworden ) .
Sie weiß doch aber —
Fidelis . Man wird ihr ſagen , daß Sie gelogen haben .
Kuno ( aͤrgerlich dazwiſchenſprechend ) . Ich kann doch
nicht —
Fidelis ( unbeirrt weiter ſprechend ) . Aus Furcht vor mir
oder aus Tugend , aus — was Sie meinen , das Ihnen
am beſten ſteht . Es wird ganz luſtig werden .
Kuno . Und was ſoll , was wollen Sie denn — ?
Fidelis ( raſch einfallend , ſcharf und hell ) . Das Phantom
zerſtören , das Luz liebt . — Kommen Sie !
Kuno ( links vom Schreibtiſch ) . Ich habe viel zu viel
Reſpekt vor —
Fidelis ( dazwiſchen ſprechend , kurz ) . Nein .
Kuno ( ohne ſich von Fidelis unterbrechen zu laſſen , ſeinen
Satz vollendend ) . Dem Gefühlsleben einer Frau , um —
Fidelis ( kurz ) . Nein .
Kuno ( der die Geduld verliert , heftig ) . Wieſo nein ?
Fidelis . Nein . Reſpektieren Sie die Frauen weniger
und laſſen Sie ſie mehr in Ruh !
Kuno ( heftig ) . Sie ſchlagen einen Ton an !
Fidelis . Ja .
Kuno ( ſich kaum noch beherrſchend ) . Ich habe für Ihre
Art Humor ſehr wenig Sinn !
Fidelis . Stimmt . ( Tritt von rechts an den Tiſch , Kuno
gegenuͤber ; immer noch ganz ruhig , aber in einem drohenden
Ton . ) Kommen Sie lieber gleich , ſonſt —
Kuno ( ſich aufrichtend ) . Sonſt ?
Fidelis . Sonſt — ( Holt Atem und ſieht ihn an . )
Kuno . Sie drohen ja ?
Fidelis ( langſam ) . Ja .
Kuno ( nach einer kleinen Pauſe der Erwartung ) . Nun ?
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; noch ganz ruhig , aber
in einem unheimlichen Ton , der etwas Monomaniſches hat ) .
Sie haben ſie mir entwendet , geben Sie ſie zurück !
Kuno ( erwidert bloß mit einem Achſelzucken ) .
Fidelis ( beugt ſich uͤber den Tiſch vor , die flachen Haͤnde
aufſtuͤtzend , haͤlt den Kopf ſchief und blinzelt zu dem gegenuͤber-
ſtehenden Kuno hinauf ; leiſe ) . Kommen Sie lieber mit !
Ich rate Ihnen . Noch iſt Zeit .
Kuno . Ich ſagte Ihnen doch ſchon —
Fidelis ( in dem monomaniſchen Ton ) . Sie haben ſie
mir entwendet , geben Sie ſie zurück ! Denn ſonſt ... da
wären Sie ja — ( ganz leiſe ) wer ſtiehlt , iſt doch ein Dieb !
( Etwas lauter . ) Ein Ehrendieb ! ( Ploͤtzlich mit beiden Haͤnden
heftig auf den Tiſch ſchlagend , laut ſchreiend . ) Ehrendieb , ein
infamer Ehrendieb ! Den ich — ( Haͤlt ploͤtzlich wieder ein ;
Pauſe , dann wieder ganz ruhig , hoͤhniſch . ) Sie glauben , ich
fürchte Sie ? Weil Sie ſo gut ſchießen ? Gut , erſchießen
Sie mich !
Kuno ( zuckt zuſammen ) .
Fidelis ( ploͤtzlich mit einer Bewegung , auf den Tiſch zu
ſpringen ; laut ſchreiend ) . Sie Dieb ! Ehrendieb ! Den ich
öffentlich züchtigen werde !
Kuno ( weicht unwillkuͤrlich einen Schritt zuruͤck ; vor ſich
hin ) . Der arme Menſch iſt ja —
Fidelis ( haͤlt in ſeiner Bewegung ein und duckt ſich ; mit
einem ſchadenfrohen , liſtigen Laͤcheln ; leiſe . ) Der arme Menſch
will nur ſeine Frau zuruͤck . Kommen Sie ! Sonſt zwingt
er Sie . ( Ganz langſam , ihn ſchadenfroh angrinſend . ) Ent-
weder Sie kommen — oder Sie ſchießen !
Kuno ( mit großen Blicken ihn betrachtend , ratlos ) . Ich
weiß ja wirklich nicht mehr , ob Sie —
Fidelis ( raſch einfallend ; mit einem boͤſen Lachen , leiſe ) .
Ob ich verrückt bin oder es bloß ſpiele ? Ich frage mich
auch . Die Übergänge verwiſchen ſich bei mir leicht . ( Kurz ,
knapp , im Ton einer ſachlichen Mitteilung . ) Ich habe vor ,
mich hier ſo zu benehmen , daß Ihnen nur die Wahl bleibt ,
ſich mit mir zu ſchlagen oder mich ins Irrenhaus zu brin-
gen . ( Lachend , wieder ganz ruhig . ) Wollen Sie wetten , ich
zwinge Sie , mich totzuſchießen ? Sie werden nicht umhin
können . Noch einen . ( Achſelzuckend. ) Bei meiner Art
Humor — ernſte Männer ſollten ſich mit unſereinem
lieber nicht einlaſſen ! ( Tonwechſel ; hoͤflich fragend , ſehr liebens-
wuͤrdig , leichthin . ) Gehen wir ?
Kuno ( nach einer Pauſe ; reſigniert , achſelzuckend , kurz ) .
Gehen wir .
Fidelis ( geht nach der Tuͤre rechts ; vergnuͤgt ) . Ganz
ſchmerzlos . Sie werden ſehen ! Und Sie tun ein gutes
Werk . ( Lacht . )
Eva ( durch den blauen Gang ; rauſcht in Hut und Straßen-
kleid herein ; uͤberraſcht , Fidelis noch da zu finden ) . Pardon !
Ich wußte nicht —
Fidelis ( zu Eva , vergnuͤgt ) . Ich bin noch immer da .
Eva ( ihre Handſchuhe zuknoͤpfend ; konventionell , bloß um
etwas zu ſagen ) . Noch nicht einig ? Gott ſo zwei Männer !
( Mit ihrem grundloſen Lachen . ) Das heißt , Frauen einigen
ſich ja überhaupt nicht .
Fidelis ( laͤchelnd ) . Sie irren , wir —
Eva ( gleichzeitig zu Kuno , nebenhin ) . Ich wollte dir nur
adieu ſagen .
Fidelis ( mit einem ſchadenfrohen Blick auf Kuno ) . Wir
ſind ganz einig .
Eva ( konventionell uͤbertrieben erfreut , als ob ihr das un-
endlich wichtig waͤre ) . Ja ?
Fidelis ( wichtigtuend ) . Bis auf einen Punkt .
Eva ( tut ſehr intereſſiert ) . Nun ? Laſſen Sie hören !
Kuno ( blickt Fidelis fragend an und hoͤrt aufmerkſam zu ) .
Fidelis ( ernſt , langſam , einfach ) . Nämlich — einig
ſind wir darin , daß unſer Leben , dieſes da , das hieſige ,
nicht das richtige ſein kann , daß dahinter noch was anderes
ſtecken muß und daß das erſt gilt .
Eva ( freudig ) . Er hat Sie bekehrt ?!
Fidelis ( trocken ) . Ganz und gar .
Eva . Sie ſind jetzt der unſere ?!
Fidelis ( mit einem frechen Blick in Evas Augen ) . Ich
bin der Ihre — nur —
Eva . Nur ?
Fidelis . Nur folgern wir daraus nicht dasſelbe , Ihr
Gatte und ich .
Eva ( geſpannt ) . Nämlich ?
Fidelis ( luſtig ) . Ihr Gatte nimmt das unſerem Leben
furchtbar übel und macht ihm ein ganz böſes Geſicht , wäh-
rend ich meine , daß , wenn es ſchon ſo wenig taugt , unſer
ſündiges Leben auf dieſem Planeten hier , wir uns damit
einſtweilen doch ſo gut als möglich unterhalten ſollten .
Eva ( uͤberzeugt zuſtimmend ) . Nicht wahr ? Sag ich doch
auch !
Fidelis ( in einem zwiſchen Scherz und Ernſt ſchwebenden
Ton ) . Sinn hat das alles ja doch keinen oder wir können
ihn jedenfalls nicht erkennen , alſo ſpielen wir damit , der
Ernſt kommt ſpäter .
Eva . Und Kuno beſtreitet das ? — ( Ohne die Antwort
abzuwarten , ploͤtzlich ſehr eilig . ) Aber leider — ich muß zur
Ausſtellung ! ( Mit einem koketten Blick auf Fidelis . ) Kom-
men Sie mit ?
Fidelis . Wir begleiten Sie beide ein Stück .
Kuno ( geht durch den blauen Gang ab , um Hut , Stock und
Mantel zu holen ) .
Eva ( leicht erſtaunt , faſt ein wenig enttaͤuſcht und bedauernd ) .
Du gehſt mit ?
Fidelis ( in Evas halb enttaͤuſchten und bedauernden Ton
einſtimmend ; achſelzuckend ) . Ja. Schade .
Eva ( tut beleidigt , aber mit einem koketten Laͤcheln ) . Ach Sie !
Fidelis . Wir haben noch einiges zu erledigen , ich und
der Gatte . Sobald das aber in Ordnung iſt , dann —
( Er blickt ſie unverſchaͤmt an . )
Diener ( durch die Tuͤre rechts Fidelis Hut und Mantel
bringend ; die Tuͤre bleibt offen ) .
Eva ( ſich maleriſch windend ; ſehr kokett ) . Dann komm
wohl ich dran ? ( Lacht ihr grundloſes Lachen und geht zur
Tuͤre rechts . )
Kuno ( kommt durch den blauen Gang zuruͤck , Hut , Mantel
und Stock mit einer Sphinx im elfenbeinernen Griff ) .
Fidelis ( indem er Hut und Mantel nimmt , lachend zu Eva ) .
Ich hoffe , ich hoffe ſehr . Aber nur ſchön eins nach dem
anderen , der Reihe nach . Ich bin ein Mann der Ord-
nung .
( Vorhang . )
Dritter Akt
Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr . Maͤßig großer Raum
mit behaglicher Unordnung . — Links Tuͤre zum Saal , hinten
Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr , rechts ein ſehr
hohes , bis zur Erde reichendes Fenſter wie im erſten Akt , mit
dunkelroten Vorhaͤngen bis zur Augenhoͤhe . Vor dieſem ein
großes altes ſchwarzes Lederſofa , davor ein großer langer ſchwerer
Schreibtiſch mit einem Durcheinander von Buͤchern , Zeitſchrif-
ten , Mappen mit modernen Zeichnungen , Schreibzeug , Rauch-
zeug , Tiſchlampen und Vaſen mit Blumen . Ein Stuhl hin-
ter , einer vor dem , einer links vom Tiſch . Links vorne , quer
zur Wand ein ſehr großer breiter Diwan , foͤrmlich ein Lager
mit allerhand Decken und Polſtern , auf dem Diwan und da-
neben auf dem Boden Buͤcher , aufgeſchlagen und durcheinander
liegen geblieben . Hinter dem Diwan ein Tiſchchen mit Rauch-
zeug . Rechts und links vorne in den Wandpfeilern bis zur
Tuͤrhoͤhe reichende offene Niſchen mit Buͤchern . Hinten eine
Niſche , deren Ruͤckwand mitten die Tuͤre zum Zimmer der Frau
Luzie Schmorr enthaͤlt ; ſonſt ſind die drei Waͤnde dieſer Niſche
durchaus mit Buͤcherſtellen bedeckt . Halbkugel fuͤr elektriſches Licht .
Uͤber der Tuͤre links in der Luͤnette ein antikes Relief . Rechts
am Fenſter Wandarme mit Kerzen in verſchiedenen Farben .
Die Waͤnde weiß geſtrichen . Der Boden durchaus mit alten
Teppichen bedeckt . Rechts vorne eine Buͤcherleiter .
Juſtine ( auf einer Buͤcherleiter ſtehend , an der Buͤcherſtelle
in der Fenſterwand rechts vorne , ein Staubtuch in der Hand ;
vorwurfsvoll , ſtrenge ) . Beſehen Sie ſich das bitte ſelbſt !
( Schwenkt das Tuch und ſtaͤubt Thereſen an . )
Thereſe ( larmoyant ) . Herr Doktor hat ausdrücklich ver-
boten . Herr Doktor ſagt , kein weibliches Weſen verſteht
mit Büchern umzugehen .
Juſtine . So ſoll der Jakob —
Thereſe . Herr Doktor ſagt , daß nur er ſelbſt —
Juſtine ( uͤber das ganze Zimmer zeigend , aͤrgerlich ) . Man
ſieht ja , wie er ſelbſt — !
Thereſe ( bekuͤmmert ) . Herr Doktor erlaubt aber nicht ,
daß —
Juſtine ( empoͤrt ) . Alſo muß ich alte Frau — ? Sollte
man wirklich photographieren , für die illuſtrierten Blät-
ter : die bekannte weſtfäliſche Millionärin , ſtaubwiſchend ,
damit ihr Schwiegerſohn nicht erſtickt ! — Sozialer An-
ſchauungſunterricht . Dokument der Zeit . ( Wiſcht wuͤtend . )
Thereſe . Darf ich nicht der gnädigen Frau wenigſtens
behilflich ſein ?
Juſtine . Herr Doktor erlaubt 's ja nicht ! — Sagen
Sie lieber meiner Tochter , ob ſie nicht einen Augenblick
zu mir kommen könnte .
Thereſe ( geht durch die Tuͤre hinten ab und gleich wieder
zuruͤck ) . Die gnädige Frau kommt gleich . ( Bleibt bekuͤm-
mert ſtehen . )
Juſtine ( kurz ) . Danke . — ( Da Thereſe bleibt ; aͤrgerlich . )
Danke ganz . Überhaupt !
Thereſe ( durch die Tuͤre links ab ) .
Luz ( durch die Tuͤre hinten ; in einem einfachen weiten Mor-
genkleid ; ſie ſieht Juſtine nicht gleich und blickt ſuchend herum ) .
Juſtine ( auf der Leiter oben ; trocken ) . Hier bin ich .
Luz ( erſtaunt , aber ohne zu laͤcheln ; leichthin ) . Mamchen ?
Juſtine . Eben darüber will ich mit dir ſprechen .
( Steigt von der Leiter , das Staubtuch in der Hand . )
Luz ( ſehr muͤde ; kurz ) . Glaube mir , es hat keinen Sinn .
Du haſt ja früher geſehen : Ich verſtehe dich nicht , du
verſtehſt mich nicht . Wozu alſo ?
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Nicht davon doch , das gebe ich auf .
( Geht auf Luz zu . ) Obwohl — ! Es iſt weit gekommen ,
wenn ein Kind nicht einmal der eigenen Mutter —
Luz ( achſelzuckend , ſehr muͤde ) . Mamchen , wozu ? ( Setzt
ſich auf den Diwan . )
Juſtine ( gekraͤnkt ) . Aber das ſcheint ja , das iſt wohl —
modern ?! Und ( mit wachſender Erbitterung ) modern iſt es
wohl auch — ? ( Tritt vor Luz hin ; ſtrenge . ) Ich habe mir
den Wäſcheſchrank angeſehen !
Luz ( teilnahmlos , leichthin , mechaniſch ) . Den Wäſche-
ſchrank ?
Juſtine ( in einem Gerichtston ) . Deines Mannes . — An
nicht weniger als ſieben Nachthemden fehlen —
Luz ( ihr ins Wort fallend ; gelangweilt ) . Du mußt das
Thereſe ſagen .
Juſtine ( pikiert , kurz ) . So ? — ( Auf die Buͤcher zeigend . )
Und hier ? ( Schwenkt das Staubtuch . ) Fingerdick !
Luz ( gleichguͤltig ) . Fidl will doch nicht , daß Thereſe —
Juſtine ( ungeduldig ) . Thereſe ! Alles ſoll Thereſe !
Luz . Wer denn ſonſt ?
Juſtine ( wuͤtend ) . Er hätte dann lieber gleich Thereſe
heiraten ſollen .
Luz ( ſpringt auf , bezwingt ihre Traͤnen und ſagt trotzig ,
leiſe ) . Vielleicht ! ( Geht nach hinten . )
Juſtine ( beguͤtigend ) . Kind !
Luz ( heftig ) . Laß mich doch ! Jetzt ſoll ich — ? Jetzt ?
Juſtine ( gereizt ) . Ja , Kind , einmal kannſt du dich vor
Seligkeit um nichts kümmern , dann wieder vor Schmerz
nicht ! Wann denn alſo ?
Luz ( heftig , flehentlich ) . Quäl mich nicht , Mamchen !
Juſtine ( mit einem ſtrengen Blick auf ſie ; ruhiger , in einem
murrenden Ton ) . Ich verſtehe ja , das kommt aber immer
zu ſpät ! Vorher ſollte man bereuen .
Luz ( hart , kurz ) . Ich bereue nichts .
Juſtine ( aͤrgerlich maͤkelnd ) . Kind , du mußt doch wenig-
ſtens bereuen !
Luz ( ſehr heftig ) . Ich habe nichts zu bereuen !
Juſtine ( aufgebracht ) . Erlaube mir !
Luz ( muͤde , kurz ) . Du verſtehſt mich nicht .
Juſtine ( empoͤrt ) . Gott ſei Dank verſteh ich davon
nichts !
Luz ( muͤde ) . Nein , nein . ( Durch das Zimmer irrend ) . Ich
weiß gar nichts mehr . Ich wollt , ich wär weit weg !
( Nach einer kleinen Pauſe . ) Ich ängſtige mich ſo , daß Fidl
nicht kommt . Wenn er nur nicht —
Juſtine ( pedantiſch ) . Du regſt dich ganz unnötig auf .
Ich muß ſagen , Fidl benimmt ſich in der ganzen Sache
ſehr gut .
Luz ( uͤber das Wort erbittert ; nervoͤs ) . „ Benimmt “ er ſich ?
Juſtine ( erbittert ) . Wenn nur du dich — !
Luz ( raſch einfallend ; nervoͤs , hoͤhniſch , leiſe ) . Ich werde
trachten , mich auch ... „ gut zu benehmen “ !
Juſtine ( geht auf ſie zu ; gutmuͤtig ) . Wenn du doch den
Rat deiner Mutter —
Luz ( kehrt ihr den Ruͤcken ; hart , leiſe ) . Nein , Mamchen .
Es hat gar keinen Sinn . ( Tritt ans Fenſter und lehnt den
Kopf an die Scheiben . )
Juſtine ( ſieht ihr bekuͤmmert nach ; dann , gutmuͤtig zu-
redend ) . Schau , es wird ja gewiß alles wieder , Fidl wird
ſchon , Fidl iſt ſo klug und dabei doch auch ſo gerecht —
Luz ( ins Fenſter ſprechend ; leiſe ) . Das weiß ich ja ,
Mamchen . Ich wünſchte faſt , er wär 's nicht . Dann würde
mir 's nicht ſo ſchwer .
Juſtine ( pedantiſch ) . Wenn du das einſiehſt , dann mußt
du doch aber auch —
Luz ( wendet ſich am Fenſter nach ihr um ; raſch einfallend ,
nervoͤs ) . Was muß ich ? ( Nun in einem tieftraurigen Ton . )
Was kann ich denn ?
Juſtine ( raſch einfallend ; aͤrgerlich ) . Du kannſt vor allem
wenigſtens —
Luz ( raſch einfallend ; hoͤhniſch , trocken ) . Ach ja . Du
meinſt die — Nachthemden ! ( Geht vom Fenſter weg und
irrt wieder durch das Zimmer . )
Juſtine ( aͤrgerlich , pedantiſch ) . Das hängt alles zu-
ſammen . Verachte die Nachthemden nicht ! Damit fängt's
an und eins entwickelt ſich dann aus dem anderen , denn
eine Frau , die nicht imſtande iſt , ihr Haus in Ordnung zu
halten , die —
Luz ( mit einem ſchwachen Verſuch , ſie zu beguͤtigen ; nervoͤs
vor ſich hin , tonlos ) . Ja , Mamchen , ja .
Juſtine ( ohne ſich unterbrechen zu laſſen , fortfahrend ) . Die
wird dann natürlich in allem verſagen ! Eine Frau , die
ihre häuslichen Pflichten nicht ernſt nimmt , hat eben über-
haupt kein Pflichtgefühl . Da gilt auch das : wer den
Pfennig nicht ehrt , iſt des Talers nicht wert !
Luz ( geht auf einmal , ohne ein Wort zu ſagen , nervoͤs durch
die Tuͤre hinten ab. )
Juſtine ( ohne zu bemerken , daß Luz gar nicht mehr da iſt ,
aͤrgerlich weiterpredigend ) . Im Kleinen fängt 's an , im
Großen hört 's auf . Unordnung in der Wirtſchaft iſt ſtets
ein Zeichen , daß überhaupt der moraliſche Sinn fehlt .
Welche Dimenſionen das dann annimmt , iſt bloß ein Zu-
fall . Und eine häusliche Frau hat ja auch gar nicht die Zeit !
Wo hätt ich die Zeit gehabt , an einen anderen Mann auch
nur zu denken ? Ich war froh , wenn ich mit meinem fertig
wurde ! Und ich ſage dir —
( Da ſie Luz nicht mehr ſieht ,
kehrt ſie ſich nach der anderen Seite , mechaniſch wiederholend )
ich ſage dir —
( Bemerkt , daß Luz fort iſt , verſtummt , blickt
gekraͤnkt auf die Tuͤre hinten , ſchuͤttelt mißbilligend den Kopf ,
traͤgt die Leiter zur Buͤcherſtelle an der rechten Wand der Niſche ,
links vom Fenſter , ſteigt hinauf und wiſcht wieder Staub . )
Fidelis ( die Tuͤre links oͤffnend ; noch draußen , unſichtbar ) .
Bitte .
Kuno ( tritt durch die Tuͤre links ein ) .
Fidelis ( durch die Tuͤre links hinter Kuno ; da er Juſtinen
auf der Leiter erblickt , lachend ) . Ja Mamchen ?! ( Raſch zu
Kuno mit der konventionellen Gebaͤrde des Vorſtellens . ) Herr
Legationsſekretär Doktor von Oynhuſen — meine Schwie-
germutter . ( Tritt zur Leiter . )
Kuno ( verneigt ſich ernſt ) . Ich hatte ſchon einmal die
Ehre .
Juſtine ( zuckt bei dem Namen zuſammen ; ſteif , kuͤhl ) . Sehr
angenehm .
Fidelis ( luſtig ) . Willſt du nicht ein bißchen zu uns her-
unterkommen ? Oder ſollen wir zu dir — ? ( Hilft ihr an
der Hand von der Leiter ; dabei leiſe . ) Luz hat dir geſagt ,
daß er der Glückliche iſt ?
Juſtine ( ſteigt mit einer Miene gekraͤnkter ſittlicher Wuͤrde
von der Leiter , nickt auf ſeine Frage nur kurz und will zur Tuͤre
links ; gemeſſen , mit uͤbertriebener Hoͤflichkeit ) . Ich will die
Herren nicht ſtören .
Fidelis ( haͤlt ſie an der Hand feſt ) . Halt , Mamchen ,
keineswegs ! Du darfſt uns nicht fehlen ! Es iſt eine Art
Familientag .
Juſtine ( mißtrauiſch kraͤhend ) . Was denn ? Wieſo denn ?
Fidelis ( zieht ſie zum Sofa ) . Wirſt du gleich alles
hören !
Juſtine ( leiſe zu Fidelis ) . Muteſt du mir zu , mit dieſem
Menſchen — ?
Fidelis ( trocken ) . Ja . ( Setzt ſie ins Sofa und ladet
durch eine Gebaͤrde Kuno ein , ſich ihr gegenuͤber auf den Stuhl
links vom Tiſch zu ſetzen . ) Bitte , Herr Legationsſekretär .
( Geht zur Tuͤre hinten . ) Einen Augenblick . ( Oͤffnet die Tuͤre
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hinten halb und ruft ins Zimmer hinein . ) Kannſt du dann
ein bißchen kommen , Luz ? Ein Beſuch .
Luz ( unſichtbar , im Zimmer nebenan rufend ) . Gleich .
Fidelis ( ins Zimmer hineinſprechend ) . Aber nicht zu
lange ſchön machen ! ( Schließt die Tuͤre wieder und kommt
an den Tiſch zwiſchen Juſtine und Kuno ; in einem forciert
leichten Tone. ) Alſo , Mamchen , ich erzählte dir ja ſchon ,
daß Luz mich nicht mehr liebt , ſondern einen anderen .
Dieſes iſt der Herr .
Juſtine ( geradezu entſetzt ) . Ich muß ſagen — !
Kuno ( ſehr peinlich beruͤhrt ; leiſe ) . Wie können Sie — ?
Juſtine . Du haſt mich im Lauf der Jahre an manches
gewöhnt , aber ( nach Luft ringend ) ich muß doch ſagen , ich
muß ſagen —
Fidelis . Was habt ihr denn ? Es iſt doch ſo . —
Ihr Gefühl hat ſich verändert , verſchoben . Davon werden
nun auch wir beide betroffen , der Herr Legationsſekretär
und ich . Nun müſſen wir doch unſere neue Beziehung
regeln . Gewiſſermaßen was man eine Grundſtückregu-
lierung nennt , ſeeliſch .
Juſtine ( noch immer ganz ratlos ) . Ich hätte mir nie
gedacht —
Fidelis ( kurz ) . Ich auch nicht . Tröſte dich !
Kuno ( ſich ſalvierend ) . Sie dürfen mir glauben , verehrte
gnädige Frau , daß nicht ich es war , der —
Fidelis ( leichthin ) . Macht doch mir keine Vorwürfe !
Ich bin dabei gar nicht gefragt worden .
Juſtine ( empoͤrt ) . Aber du —
Kuno ( faſt gleichzeitig mit Juſtine , vorwurfsvoll ) . Aber
Sie —
Fidelis ( ihnen beiden ins Wort fallend ) . Aber ich — ich
drücke mich nicht . — Wir ſprachen ſchon im Hergehen
davon . Ich bin der Meinung , daß man im Leben man-
ches darf , ſehr viel darf , vielleicht alles darf , aber nur
wenn man die Kraft hat , dann auch durchzuhalten , durch .
Sich aber , wie ' s ungemütlich wird , davon drücken wollen
— nein , das darf man nicht .
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Man zerrt aber nicht —
Fidelis ( raſch einfallend ; kurz ) . Ich zerre nicht , ich will
bloß ausſprechen , was —
Juſtine ( raſch einfallend ; heftig ) . Das iſt ja das Em-
pörende ! Man ſpricht nicht aus !
Fidelis ( ſanft ) . Doch , Mamchen ! Man ſoll . Denn was
man beim Namen anruft , wird zutraulich . Dann zeigt
ſich auf einmal , daß es bloß ein Phantom war , das uns
erſchreckt hat , und es zergeht in nichts . ( Er hoͤrt die Tuͤr
hinten gehen und kommt Luz entgegen . )
Luz ( durch die Tuͤre hinten ; hat ſich umgekleidet ; tritt
gleichguͤltig ein , erblickt Kuno , ſchrickt auf und ſieht Fidelis
hilfeſuchend an ) .
Fidelis ( bei Luz ; ſehr einfach , herzlich ) . Ich habe Herrn
Legationsſekretär mitgebracht . Es iſt einiges klarzuſtellen .
Es wird nicht lange dauern . ( Geleitet ſie zum Stuhl hinter
dem Tiſche ; indem er Kuno , der gruͤßend aufgeſtanden iſt , mit
einer Handbewegung erſucht , ſich wieder zu ſetzen . ) Bitte .
( Mit einer ruhigen Gebaͤrde der linken flachen Hand Juſtine ,
die Miene macht aufzuſtehen , gleichſam wieder in das Sofa
druͤckend , jedoch ohne ſie zu beruͤhren ; ſehr ruhig und beſtimmt . )
Ich möchte , daß deine Mutter bleibt , ſie kann alles hören .
— Menſchen deiner Art , Luz , können nichts erleben , deſſen
8*
ſie ſich zu ſchämen hätten . Was ihnen auch begegnen mag ,
ihr Wert wird dadurch nur immer noch heller . ( Kleine Pauſe ;
nun wieder in ſeinem leichtſinnigen Ton . ) Und wenn Mam-
chen noch irgendein Vorurteil hat , dann — ich glaub 's
ja nicht , aber dann muß man ihr das abgewöhnen . ( Setzt
ſich auf das Sofa , ſo daß er Juſtine zu ſeiner Linken hat . )
Luz ( vermeidet Kuno anzuſehen , ſitzt mit geſenktem Kopf ,
die Lider faſt zu , ohne ſich zu regen ) .
Fidelis ( nach einer Pauſe ; einfach erzaͤhlend ) . Ich war bei
Herrn von Oynhuſen und erfuhr , daß du mir nicht bloß
die Wahrheit geſagt haſt , ſondern — ( mit einem Blick auf
Luz , etwas ironiſch ) ſogar noch etwas mehr . — Herr von
Oynhuſen glaubte dir entſagen zu müſſen , aus Angſt , ich
könnte dann verlangen , daß er mich totſchießt . ( Langſam ,
den Blick feſt auf Kuno gerichtet . ) Da ich ihn darüber voll-
kommen beruhigt habe , ſteht nun nichts im Wege , daß er
dein Gefühl erwidert .
Kuno ( macht Miene zu widerſprechen )
Fidelis ( der das bemerkt ; ſcharf , aber aͤußerlich ganz ruhig ,
mit einer nur fuͤr Kuno verſtaͤndlichen Drohung ) . Es iſt ganz
unnötig , Herr Legationsſekretär , daß Sie noch ſelbſt —
laſſen Sie bitte nur mich ! ( Nach einer kleinen Pauſe ; ganz
leiſe , ohne Luz anzuſehen. ) Du weißt jetzt alſo .
Luz ( tief erregt , mit zuckendem Mund , ganz leiſe ) . Ich
bitte dich — ( Sie muß einhalten , um nicht vor Scham laut
aufzuſchluchzen . )
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; wieder einfach erzaͤhlend ) .
Was nun mich betrifft , mich kennſt du ja , ich achte jedes
ſtarke Gefühl — auch wenn es mir Schmerz bereitet . Da
von Schuld zu ſprechen , iſt mir unverſtändlich , außerdem
nützt's nichts . Einem ſtarken Gefühl gegenüber bleibt
einem nichts übrig , als ſich einfach hochachtungsvoll zurück-
zuziehen . Ich werde mir nun ja zwar nicht abgewöhnen
können , dich auch künftig noch lieb zu haben , aber —
Luz ( zuckt zuſammen , ſchließt die Augen nun ganz ; leiſe ) .
Ich bitte dich , Fidl ! ( Sie muß einhalten , um nicht heraus-
zuweinen . )
Fidelis ( langſam ) . Aber bloß ſchön aus der Ferne . —
Du biſt frei . ( Indem er aufſteht und vom Sofa weg hinter
Luz voruͤber zur Mitte hin geht ; nun wieder mit ſeiner gewoͤhn-
lichen Ironie . ) Entſagung Nummer zwei . Um die Wette ,
wer ' s beſſer kann . Nun ſchmähe noch einmal die Männer ,
Mamchen !
Luz ( ſcheint etwas ſagen zu wollen , iſt aber unfaͤhig , wuͤrgt
und ſchluckt nur , faͤhrt ploͤtzlich vom Stuhl auf und verſucht zu
ſprechen , gewaltſam konventionell ) . Ich muß um Entſchul-
digung bitten , aber ich , ich — ( Ihre Stimme erliſcht in
Traͤnen ; zu Fidelis , der neben ſie tritt , leiſe , flehentlich , faſt
zornig . ) Verlange nicht , daß ich jetzt antworten ſoll !
Fidelis ( leichthin , kalt ) . Antwort iſt gar keine nötig .
Luz ( weint laut auf und ſtuͤrzt ſchluchzend durch die Tuͤre
hinten ab ) .
Fidelis ( folgt ihr langſam bis zur Tuͤre hinten , an der er
ſtehen bleibt , mit dem Ruͤcken zu den anderen ) .
Juſtine ( iſt die ganze Zeit unbeweglich geſeſſen , foͤrmlich in
ſich verſunken ; nun , Kuno feindſelig anblickend , mit einem un-
erwarteten Wutanfall , grimmig ) . Ja das kommt aber davon ,
Herr Legationsſekretär !
Kuno ( iſt , den Kopf geſenkt , in Gedanken geſeſſen ; nun
durch Juſtine , deren Worte er gar nicht recht gehoͤrt hat , auf-
geſchreckt ; konventionell ) . Wie meinten Sie , bitte ?
Juſtine ( grimmig ) . Ich ſtimme nämlich meinem , mei-
nem ( beſonders betonend ) Schwiegerſohn durchaus nicht zu .
( Noch heftiger , ſehr laut . ) Und ich werde da wohl auch
noch ein Wörtlein mitzureden haben , meinen Sie nicht ?
Fidelis ( wendet ſich um , bleibt aber noch an der Tuͤre hinten
und hoͤrt den beiden beluſtigt zu ) .
Kuno ( ganz ratlos , aber in guter Haltung ) . Ich zweifle
durchaus nicht , weiß aber allerdings nicht , ob gerade jetzt
der Augenblick iſt —
Juſtine ( heftig ) . Nein ! Nie ! Der Augenblick wird nie
ſein .
Kuno ( ſteht auf ; mit einer kurzen Verneigung , hochmuͤtig
und ganz konventionell ) . Dann darf ich wohl — ?
Juſtine ( ſitzend , aber ſich kerzengerade aufrichtend ; grimmig ,
aber bemuͤht , auch ganz konventionell zu ſein ) . Sie dürfen ,
Herr Legationsſekretär , Sie dürfen !
Kuno ( verneigt ſich kurz , wendet ſich um und will zur Tuͤre
links ) .
Fidelis ( der alles beobachtet hat , tritt nun zu Kuno , laͤßt
ihn rechts gehen und begleitet ihn zur Tuͤre links ; ganz kon-
ventionell ) . Wollen Sie uns denn ſchon — ? Wie ſchade !
Ich hätte gern noch .—
Kuno ( an der Tuͤre links , ganz leiſe , ſo daß es Juſtine
nicht hoͤren kann ) . Ich kann durchaus nicht verſtehen , was
Sie damit bezwecken .
Fidelis ( ſpoͤttiſch , leichthin ) . Nur Geduld .
Kuno ( vor Ratloſigkeit ganz dumm , aber in tadelloſer
Haltung ) . Und wozu Sie dabei mich brauchten ?! Sie
hätten das doch alles ohne mich ebenſo —
Fidelis ( faſt etwas geringſchaͤtzig ; leichthin ) . Aber Sie
wirken ſo dekorativ !
Kuno ( ungeduldig ) . Ohne Scherz , wenn ich bitten darf .
Fidelis ( ſpoͤttiſch ) . Ich ſcherze nie , Herr Legations-
ſekretär .
Kuno . Und dieſes ganze Spiel , deſſen Sinn und Zweck
ich nicht einſehe , muß ja bei der erſten Gelegenheit —
Fidelis . Warten wir ' s ab .
Kuno ( eindringlich , aber ganz leiſe ) . Denn ich , ich werde
mit keinem Wort Ihre Lüge bekräftigen , ich —
Fidelis ( ihm ins Wort fallend ) . Sie müſſen übrigens
zugeſtehen , ich habe nur das Allernötigſte gelogen .
Kuno . Ich werde , wenn die gnädige Frau mich fragt
— und es iſt doch unvermeidlich , daß ſie , früher oder
ſpäter —
Fidelis ( kurz ) . Nein .
Kuno ( heftig , aber immer ganz leiſe ) . Sie muß doch —
Fidelis ( kurz ) . Sie wird Sie nicht fragen .
Kuno ( ihn ratlos anblickend ) . Da weiß ich nun wirk-
lich nicht —
Fidelis ( die Tuͤre links oͤffnend ) . Das wird auch nicht
unbedingt nötig ſein .
Kuno ( ſieht ihn kopfſchuͤttelnd an ) . Ich muß ſagen —
( Durch die Tuͤre links ab . )
Fidelis ( ihm folgend ) . Sie hielten mich ſchon einmal
für verrückt , ich habe nichts dagegen . ( Durch die Tuͤre
links ab ; draußen , ſo laut , daß es Juſtine hoͤrt ; konventionell
herzlich . ) Und empfehlen Sie mich bitte beſtens der gnä-
digen Frau . Ich hoffe ja baldigſt — ( Seine Stimme
verklingt . )
Juſtine ( hockt noch immer unbeweglich im Sofa , wie ein
boͤſer alter Vogel ; die Haͤnde faltend , vor ſich hin ) . Das ſind
Sachen , heutzutage .
Fidelis ( kommt durch die Tuͤre links zuruͤck , geht zum Tiſch
und muß uͤber Juſtinens feindſelig drohendes Geſicht lachen ) .
Juſtine ( uͤber ſein Lachen empoͤrt ) . Aber du — du
ſcheinſt dabei ja ganz vergnügt !?
Fidelis ( trocken ) . Mit „ aber “ fängt man doch kein Ge-
ſpräch an .
Juſtine ( wuͤtend ) . Laß mich mit deinen —
Fidelis . Und warum ſollt ich nicht vergnügt ſein ?
( Geht im Zimmer auf und ab. )
Juſtine ( gekraͤnkt und entruͤſtet ) . So ſieht alſo die große
Liebe bei Männern aus ! Es ſtirbt keiner daran . Nur
gut , das zu wiſſen .
Fidelis ( trocken ) . Für deinen künftigen Gebrauch .
Juſtine . Ich habe dich immer noch gegen alle verteidigt !
Daß du mit deinem Spott nur dein gutes Herz verbirgſt —
( Hoͤhniſch auflachend . ) Ja !! ( Ploͤtzlich wieder ganz ruhig ,
ſchmerzlich gekraͤnkt . ) Ich habe mich ſehr in dir getäuſcht ,
Fidl . ( Ploͤtzlich wieder in Wut . ) Pfui !
Fidelis ( lachend ) . Jetzt bin noch ich an allem ſchuld ?!
Juſtine ( faſt weinend vor Erbitterung ) . Ja du , du , nur
du biſt ſchuld ! Und gar — wie ſchamlos das iſt , daß du
gar noch dieſen — ( Schreiend ) man ſchleppt nicht einen
wildfremden Menſchen —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ; im Ton einer rein ſachlichen
Bemerkung ) . Wildfremd kann man ihn doch eigentlich nicht
mehr nennen .
Juſtine ( zornig , faſt weinend , ſehr laut ) . Hätt'ſt du auf
mein Kind beſſer achtgegeben ! Niemand iſt davor ſicher .
Keine Frau kann — ( Merkt ploͤtzlich ſelbſt , daß ſie ihrer
ganzen Lebensanſchauung widerſpricht ; verlegen , verwirrt , erſt
zoͤgernd , dann immer ſchneller ) natürlich wird eine anſtän-
dige Frau nie vergeſſen , was ſie ſich ſchuldig iſt , aber dazu
gehört auch — vor allem gehört ein Mann dazu , deſſen
feſte Hand ſie ſpürt , ein Mann , bei dem ſich eine Frau be-
ſchützt fühlt , das nenn ich einen Mann ! Sie muß ihn
achten können und auch , das iſt auch nötig : etwas Furcht
haben , ja , damit ſie weiß , hier iſt die Grenze ! ( Ploͤtzlich
ganz ruhig ; einfach erzaͤhlend . ) Mein ſeliger Mann war ge-
wiß ein ganz einfacher Menſch und gar nicht ſo beſonders
hervorragend geſcheit , gar nicht , aber er hatte , Gott ſei
Dank , den geſunden ſchlichten Männerverſtand , mit dem
nicht zu ſpaßen iſt , und das ſpürt eine Frau inſtinktiv und
dafür dank ich ihm noch heute , denn bevor ich auch nur
in Gedanken — er hätte mich erſchlagen !
Fidelis ( bleibt jetzt vor dem Diwan links ſtehen , trocken ) .
Mit ſeinem ſchlichten Männerverſtand .
Juſtine ( ſchreiend , faſt triumphierend ) . Ja ! — Ja !
( Raſch , unbedacht . ) Denn ſonſt , wer weiß , ob ich ſonſt nicht
auch — denn wenn die Feſtigkeit des Mannes fehlt , iſt
alles bei einer Frau möglich , und alles wird verzeihlich .
Aber ein Mann wie du , der ſelbſt keine moraliſche Kraft
hat , der alles entſchuldigt , der ſelbſt nicht genau weiß ,
was man eigentlich darf und was man nicht darf — nein ,
gibt der Mann erſt überhaupt zu , daß es anfängt , dann
hört 's auch nicht mehr auf , dann — ( Haͤlt ploͤtzlich ein und
ſieht ihn triumphierend an ; nach einer kleinen Pauſe , ganz ruhig ,
mit heller Schadenfreude , leichthin . ) Na du ſiehſt ja jetzt .
Fidelis ( ruhig vor dem Diwan links mit gekreuzten Armen
ſtehend , ihr zuhoͤrend , lacht jetzt beluſtigt auf ) .
Juſtine ( trocken ) . Ach du lachſt noch ? ( Zuckt die Achſeln . )
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; die Arme jetzt nicht mehr
gekreuzt ; trocken ) . Mamchen , ich hätt dich für geſcheiter
gehalten .
Juſtine . Wieſo ?
Fidelis . Iſt ja kein Wort wahr .
Juſtine ( mißtrauiſch ) . Was iſt nicht wahr ?
Fidelis . Nichts iſt wahr . Glaubſt du denn im Ernſt ,
ich könnte Luz aufgeben ?
Juſtine . Du haſt doch ausdrücklich —
Fidelis ( ſie auslachend ) . Mamchen !
Juſtine . Ausdrücklich erklärt , daß du ihr entſagſt ?
Fidelis ( kurz ) . Das hätt ich doch billiger haben
können .
Juſtine ( von neuem wieder in Wut geratend ) . Und du
haſt dir doch noch eigens dieſen — ( verſchluckt ein Wort )
als Zeugen — ?
Fidelis ( einfallend ) . Alles Schwindel .
Juſtine ( faſſungslos vor Erſtaunen ) . Fidl !?
Fidelis ( ſetzt ſich aufs Sofa zu Juſtine ; vergnuͤgt ) . Ja ,
Mamchen .
Juſtine . Aber wozu ?
Fidelis . Du haſt einen Schwiegerſohn , da könnte ſogar
dein ſeliger Mann noch gelb vor Neid werden !
Juſtine ( aͤrgerlich ) . Sag mir lieber —
Fidelis . Ich will 's verſuchen . ( Ernſt aber nicht ſchwer . )
Der Menſch will nie glauben , daß das , was er hat , ſchon
alles ſein könnte . Und gar , je glücklicher einer iſt , deſto
mehr verlangt ihn , noch glücklicher zu werden .
Juſtine ( kopfſchuͤttelnd ) . Ging es nicht vielleicht , Fidl ,
ohne daß du philoſophiſch wirſt ?
Fidelis . Ich ſuche nur dir darzulegen , wie eine Frau
einen Mann von ganzem Herzen lieben und doch irgend-
wie das Gemüt noch leer haben kann .
Juſtine . Dafür gibt es ſoviele Gründe , da würden wir
nicht fertig .
Fidelis ( gutmuͤtig ) . Dann will ich einen Sprung
machen .
Juſtine . Tu das .
Fidelis . Es genüge alſo , daß ich überzeugt bin , Luz
liebt den Herrn gar nicht —
Juſtine ( die Haͤnde faltend , leiſe ) . Gott ſei Dank !
Fidelis . Sie bildet ſich 's nur ein .
Juſtine . Man muß es ihr ausreden .
Fidelis ( trocken ) . Das hab ich ja .
Juſtine ( lebhaft widerſprechend ) . Wieſo ?
Fidelis . Geduld . — Der Fall wurde dadurch erſchwert ,
daß der Herr ſie — refüſiert hat .
Juſtine . Was hat er ?
Fidelis . Er hat ihr mitgeteilt , daß er ihre Liebe nicht
erwidern kann .
Juſtine ( wuͤtend , raſch ) . Wie kann der unverſchämte
Bengel denn — ?
Fidelis . Er war jahrelang in Indien , hat mit Fakiren
und dergleichen verkehrt und man darf auch überhaupt
einen Zauberer nicht an unſeren abendländiſchen An-
ſprüchen meſſen .
Juſtine ( als ob ſie es noch immer gar nicht glauben koͤnnte ) .
Er hat — ?
Fidelis . Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin
Juſtine Duſſen verſchmäht . Wenn nun eine Frau einen
Mann ohnedies ſchon zu lieben glaubt , und dann dazu
noch das , nicht wahr ?
Juſtine ( nickend , ernſt ) . Ich begreife .
Fidelis . Sie war in einer heilloſen Situation . Vor
ihm , vor mir , vor ſich ſelbſt , nach allen Seiten hin er-
niedrigt . Der Menſch hat aber ein angeborenes Bedürf-
nis , nach irgend einer Richtung hin groß da zu ſtehen ;
davon allein leben wir innerlich . Zu dieſem unveräußer-
lichen Menſchenrecht mußte ihr alſo vor allem wieder
verholfen werden .
Juſtine ( nickend , daß ſie alles verſtanden hat ) . Und du
meinſt , daß ſie jetzt , da ſie glaubt , daß der —
Fidelis ( einfallend ) . Sie fühlt ſich jetzt nicht mehr
verſchmäht ; dieſer Bann mußte zunächſt weggezaubert
werden .
Juſtine ( vergnuͤgt ) . Sie wird es ihm jetzt vergelten
wollen , und du haſt ihr entſagt — aha ! , damit ſie nun
aus Eiferſucht —
Fidelis . Nein . Mit ſo alten Mitteln arbeite ich nicht .
Die Menſchen machen die ſämtlichen ewigen Dummheiten
ewig wieder . Aber die Prozedur verfeinert ſich doch mit
der Zeit , dem muß man Rechnung tragen . Nein , nicht
durch Eiferſucht will ich ſie heilen , aber ſie hat jetzt das
Schönſte , was man einem Menſchen , einem innerlich ſtol-
zen und von ſeinem eigenen Wert durchdrungenen Menſchen
bieten kann : ſie hat frei zu wählen . ( Ganz leiſe , faſt
innig . ) Darauf bau ich .
Juſtine ( nach einer kleinen Pauſe ; ihn von der Seite an-
ſehend , mit ehrlicher Bewunderung , leiſe ) . Ich muß ſagen ,
Fidl , ich muß ſchon wirklich ſagen —
Fidelis ( ſteht auf ) . Nicht wahr ? Hab ich fein gemacht !
( Geht von ihr weg , um ſeiner noch nachzitternden inneren Be-
wegung Herr zu werden ; ernſt . ) Übrigens : es wär ſicher ohne
mich ganz ebenſo gekommen , Luz hätte ſich ſchon durch-
gefunden — ich habe nur das Verfahren abgekürzt . ( Nun
wieder ganz leichtſinnig . ) Es war gar nicht ſo einfach ! Eine
normal gebrochene , glatt gebrochene Ehe wieder einzu-
richten , Kinderſpiel ! Aber ſo einen ausgebliebenen , ſchul-
dig gebliebenen , im Hals ſtecken gebliebenen Ehebruch —
o weh ! ( Legt ſich auf den Diwan links und ſtreckt ſich der
Laͤnge nach aus . )
Juſtine ( erſchrocken , bittend ) . Nicht wieder philoſophiſch ,
Fidl ! Da hab ich immer das Gefühl , ſeekrank zu werden .
Ich kann 's im Magen nicht vertragen .
Fidelis ( ohne auf ſie zu hoͤren ; auf dem Ruͤcken liegend ,
die Haͤnde unter dem Kopf gekreuzt ; rekapitulierend ) . Aber
nun — ſie fühlt ſich nicht mehr verſchmäht , der Hauptreiz
iſt alſo weg , der Ehebruch hängt nicht mehr drohend in
der Luft , er iſt ja jetzt eigentlich da , von beiden Seiten ,
ganz ordnungsgemäß , wenigſtens ſozuſagen virtuell .
Juſtine ( kopfſchuͤttelnd , ein Geſicht ſchneidend ) . Seekrank .
Fidelis . Ferner : er hat entſagt , dann hab ich jetzt ent-
ſagt , derlei hat doch für Frauen was Anſteckendes . Und
ſie kann ihn verſchmähen ; auch nicht zu unterſchätzen .
Auch ſteht ſie , wenn ſie ſich für mich entſcheidet , größer
da als im anderen Fall , denn es iſt das Unerwartete . —
Die Rechnung ſtimmt : es muß jetzt jeden Augenblick die
Türe aufgehen und ſie liegt ſchluchzend in meinen Armen .
Was auch ihrem dramatiſchen Bedürfnis entſpricht .
Juſtine ( aufſtehend ) . Dann will ich aber jetzt doch
lieber — ich muß ohnehin deinen Wäſcheſchrank noch ein-
mal —
Fidelis ( ihr raſch ins Wort fallend , indem er ſich aufſetzt ;
erſchrocken , aͤrgerlich ) . Du bringſt mir wieder das ganze
Haus in Unordnung , Mamchen !
Juſtine ( uͤber ſeine Undankbarkeit empoͤrt ) . Unordnung ?!
Da müßte doch erſt Ordnung geweſen ſein !
Fidelis ( mit einer Handbewegung nach der Leiter hin ;
klagend ) . Meine armen Bücher haſt du mir auch wieder —
Juſtine ( ihm ins Wort fallend ) . Deine armen Bücher
waren — ( mit großer Empoͤrung ) fingerdick verſtaubt !
Fidelis ( jammernd ) . Aber ſie waren zu finden ! Während
jetzt — ( Seufzend. ) Ich kenne das . ( Ploͤtzlich den Ton
wechſelnd ; bittend , klaͤglich , leiſe . ) Mamchen , ſei lieb , bitte
geh mir jetzt nicht weg !
Juſtine ( uͤber ſeinen klaͤglichen Ton verwundert ; neugierig ) .
Was iſt dir denn ?
Fidelis ( in demſelben klaͤglichen Ton , leiſe ) . Bleib bei
mir , laß mich jetzt nicht allein ! Darfſt ſogar in meinen
Büchern wühlen . Wenn 's ſein muß , wühle ! Aber laß
mich nicht — ( zu Boden blickend , die Stimme ſenkend , ver-
legen , langſam und leiſe ) ich möchte jetzt zunächſt mit ihr
lieber nicht allein ſein .
Juſtine ( verwundert ) . Ich dachte gerade , da ſie doch
jetzt nach deiner Berechnung —
Fidelis ( ihr ins Wort fallend ; klaͤglich und kleinlaut ; lang-
ſam und leiſe ) . Die Rechnung ſtimmt ja , Mamchen , die
Rechnung ſtimmt gewiß . Ob aber — ob Luz ſtimmen
wird ? ( Ganz leiſe . ) Ich weiß nicht .
Juſtine . Die Türe wird aufgehen , haſt du geſagt ,
und —
Fidelis ( einfallend ) . Die Türe wird ſchon aufgehen .
Aber dann ?
Juſtine ( auf ein Geraͤuſch an der Tuͤre hinten mit einem
Blick dahin ; trocken ) . Die Türe geht wirklich auf . ( Spoͤt-
tiſch . ) Rechenmeiſter ! ( Geht wieder zur Leiter und blaͤſt
dort , ohne hinaufzuſteigen , die unteren Reihen der Buͤcher ab . )
Fidelis ( nimmt eins der auf dem Diwan herumliegenden
Buͤcher , ſtreckt ſich wieder der Laͤnge nach aus und ſtellt ſich
leſend . )
Luz ( durch die Tuͤre hinten ; kommt gleichguͤltig herein , wie
jemand , der in ſeiner Wohnung herumgeht , aus einem Zimmer
ins andere , ohne irgend einen beſonderen Grund und ohne
irgend einen beſonderen Zweck ; achtet weder auf Juſtine noch
auf Fidelis , geht zum Schreibtiſch und bemerkt eine Mappe ,
fuͤr die ſie ſich zu intereſſieren ſcheint , oͤffnet ſie und ſagt neben-
hin ) . Ich ſtöre euch doch nicht ?
Fidelis ( leſend . ) Gar nicht .
Luz ( blaͤttert in der Mappe ; nach einer Pauſe , ohne von
der Mappe aufzuſehen , in einem ganz gleichguͤltigen Ton ) . Ich
muß dich dann übrigens auch was fragen .
Fidelis ( ohne von ſeinem Buch aufzublicken ; gleichguͤltig ) .
Mich ?
Luz ( mit der Mappe beſchaͤftigt , ein Blatt aufmerkſam be-
trachtend ; leichthin ) . Ja .
Fidelis ( gleichguͤltig ) . Bitte .
Luz ( in das Blatt vertieft ; leichthin ) . Es hat aber Zeit .
( Setzt ſich auf das Sofa . )
Juſtine ( nach einer kleinen Pauſe ) . Wenn du vielleicht
lieber mit Fidl allein —
Luz ( einfallend , ohne aufzublicken ; leichthin ) . Gar nicht .
Juſtine . Nein ?
Luz ( nebenhin ) . Nein . Warum denn ?
Juſtine . Ich dachte nur .
Luz ( den Arm auf den Tiſch geſtuͤtzt , den Kopf an die Hand
gelehnt , das Blatt betrachtend ; nach einer Pauſe , leiſe vor ſich
hin ) . Ich möchte nur wiſſen , ob — ( Verſtummt. )
Fidelis ( blickt nach einer Pauſe auf , laͤßt die Hand mit dem
Buch ſinken , bleibt aber ausgeſtreckt liegen ; verwundert , daß
ſie nicht weiterſpricht ; aber ganz leichthin ) . Was möchteſt du
wiſſen ?
Luz ( gleichguͤltig ) . Du kannſt aber ruhig weiterleſen .
Es iſt nicht ſo wichtig . ( Nimmt ein anderes Blatt aus der
Mappe und betrachtet es ; nach einer Pauſe . ) Kannſt du dir
vorſtellen — ? ( Sie legt das Blatt nun weg und blickt vor
ſich hin auf den Tiſch ; in einem gleichguͤltigen , nur etwas
muͤden Ton ; langſam . ) Kannſt du dir vorſtellen , daß in
einem Menſchen gar nichts vorgeht ?
Fidelis ( kurz ) . Gibt ſolche Menſchen .
Luz . Ich gehöre ſonſt nicht dazu .
Fidelis . Nein .
Luz . Man ändert ſich .
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe , bloß um etwas zu ſagen ) .
Jeder hat leere Stunden .
Luz ( kurz nickend ) . Leer . Ja . — ( Lehnt ſich ins Sofa zu-
ruͤck , leichthin . ) Es iſt ein unheimliches Gefühl . Ich denke
mir , ſo müſſen die Fiſche ſein .
Fidelis ( hat wieder ſein Buch genommen und ſcheint darin
zu leſen ) . Glaubſt du ?
Luz . Sie ſchwimmen im Aquarium herum , manchmal
ſtoßen ſie an die Scheibe , da ſchwimmen ſie wieder weg ,
mit ihren ſtieren Augen .
Fidelis . Du haſt keine Fiſchaugen .
Luz . Das iſt eigentlich inkonſequent von mir .
Juſtine ( ſchuͤttelt heftig den Kopf ) .
Fidelis . Ich ſtelle mir das übrigens ganz angenehm
vor —
Luz ( dazwiſchenſprechend ) . Eine ſolche Schwimmexiſtenz ?
Fidelis ( ſeinen Satz beendend ) . Wenn in einem nichts
vorgeht .
Luz ( achſelzuckend , etwas gereizt ) . Vielleicht .
Fidelis . Muß denn immer was vorgehen ?
Luz ( ſteht auf ; gereizt , ungeduldig ) . Ich bitte dich , ich
vertrage das nicht ! ( Geht vom Sofa weg durchs Zimmer . )
Fidelis ( ganz ruhig , leicht verwundert ) . Was denn eigent-
lich ?
Luz ( kommt zum Diwan ; ungeduldig , faſt feindſelig ) . Du
wirſt mir ja jetzt wieder beweiſen — ! Du kannſt einem
doch alles beweiſen ! Was dir gerade paßt ! Bis man
dann gar nichts mehr weiß . Davon hab ich aber nichts .
Fidelis ( immer ganz leichthin ) . Es iſt mir nur nicht ganz
klar , worauf ſich das gerade jetzt eigentlich beziehen ſoll ?
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Luz ( mit einem ſpoͤttiſchen Blick auf ihn ; achſelzuckend ,
leichthin ) . Ach bloß im allgemeinen ſo . ( Indem ſie von
ihm weg nach hinten geht . ) Ganz im allgemeinen bloß . —
( Heftiger , aber nicht laut . ) Man muß es ja nur wiſſen .
Hilfe kann man von dir nie haben !
Juſtine ( eben daran , wieder auf die Leiter zu ſteigen ; uͤber
Luz empoͤrt ) . Du biſt in einer Weiſe ungerecht — !
Luz ( ihr ins Wort fallend ; hoͤhniſch , leichthin ) . Ja , Mam-
chen , du ! Du haſt es gut ! Bei dir ſteht ja alles felſen-
feſt !
Juſtine ( empoͤrt ) . Wenn man gar nichts weiß , wie bei
Fidl , iſt es dir nicht recht und wenn alles felſenfeſt ſteht ,
wie bei mir Gott ſei Dank , iſt es dir aber auch wieder
nicht recht — ja , Kind , wem da nicht die Geduld reißt !
( Steigt empoͤrt auf die Leiter . )
Luz ( heftig , im Gefuͤhl , von allen verfolgt zu ſein , klagend ,
raſch ) . Natürlich , wenn ihr beide gegen mich — ! Wenn
alles auf mich einſtürmt !
Fidelis ( in ſeinem ironiſchen Ton ; trocken ) . Alſo ſtürme
nicht ein , Mamchen .
Juſtine ( ſtaubt wuͤtend ab ) .
Luz ( den Ton wechſelnd , leiſe klagend , muͤde ) . Aber helfen
will mir niemand !
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; langſam , einfach , leiſe ) .
Ich möchte dir gern helfen ! ( Legt das Buch weg und ſetzt
ſich halb auf . )
Luz ( blickt ihn an und ſchuͤttelt traurig den Kopf ; leiſe ) .
Ihr habt mir jetzt alles genommen . ( Geht zum Tiſch und
ſetzt ſich auf den Stuhl links vom Tiſch ; nach einer kleinen
Pauſe , leiſe , jetzt eher faſt gleichguͤltig . ) Du haſt mir alles
genommen . — Ich war ſehr unglücklich , jetzt aber hab ich
nicht einmal das mehr , jetzt bin ich ... wie ganz ausge-
löſcht . — Ich ſaß in meinem Zimmer drin , ſaß ſo da ,
wartete , wartete — nein , nichts , es kam nichts , ich ſagte
mir : du mußt doch jetzt was empfinden , irgendwas ! Aber
nein , nichts . — Was ſoll denn alſo mit mir ſein ? Was
wird geſchehen ?
Fidelis ( langſam , ganz ruhig , mit dem Ton auf dem zweiten
Wort ) . Was willſt du , daß geſchehen ſoll ?
Luz ( muͤde ) . Das frag ich ja eben . Darauf warte ich .
Fidelis ( leiſe ) . Du biſt doch frei , du kannſt entſcheiden .
Luz ( ganz leiſe ) . Ich weiß es aber nicht . — Ich weiß
nicht , was mit mir ſein wird .
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; langſam , ganz leiſe ) .
Du ... liebſt ihn doch — ?
Luz ( nach einer kleinen Pauſe ; die Augen ſchließend , ganz
leiſe , kurz , faſt gleichguͤltig ) . Das weiß ich eben auch nicht
mehr ... glaub ich . — ( Die Augen wieder oͤffnend ; trau-
rig , muͤde . ) Ihr hättet es nicht mir überlaſſen ſollen ! Da
werd ich nun ſo herumgeſtoßen ! — ( Wendet ſich nun im
Stuhl halb zu Fidelis um ; den Ton wechſelnd , lauter , faſt
ungeduldig . ) Ich weiß es ja nicht ! — Ich ſagte mir auch ,
als ich in meinem Zimmer ſaß und wartete , wartete —
ich ſagte mir auch : du liebſt ihn doch ? ( In einem Ton
der Enttaͤuſchung ; achſelzuckend . ) Aber ich weiß nicht . Ich
weiß ja jetzt gar nichts mehr . — ( In einem ganz ruhigen ,
ganz ſachlichen Ton . ) Siehſt du , das iſt das Entſetzliche .
Fidelis ( trocken ; mit dem Ton auf dem zweiten Wort ) .
Du mußt ihn aber ja nicht lieben .
Luz ( traurig , muͤde ) . Ich wollte nur , daß ich irgend
9*
etwas müßte — was es dann auch immer wäre ! ( Leiſe ,
bittend , faſt kindlich . ) Kannſt du mir nicht helfen , Fidl ?
Fidelis ( mit leiſem Trotz , achſelzuckend ; mehr fuͤr ſich ſelbſt ) .
Ich kann niemand vergewaltigen . Erwachſene Menſchen
müſſen ſelbſt über ſich beſtimmen .
Luz ( ſteht auf und geht langſam zum Stuhl hinter dem
Tiſch ; den Ton wechſelnd , einfach erzaͤhlend ) . Denn —
er !? ... Weißt du , das war ja ſo merkwürdig ! Gleich
als ich herauskam und ihn ſah — ( es mit dem Finger
zeigend ) er ſaß hier , Mamchen da , du neben ihr , und
es war zu merkwürdig , ich dachte nur die ganze Zeit : Iſt
denn das er , kann denn das wirklich er ſein ? ( Ganz leiſe . )
Und ich ſchämte mich ſo ! ( Setzt ſich auf den Stuhl hinter
den Tiſch . ) Verſtehſt du das nicht ?
Fidelis ( ſetzt ſich nun ganz auf ; verwundert fragend , als
neugieriger Pſychologe ) . Warum war er dir plötzlich ſo
fremd ? Wodurch eigentlich ?
Luz ( langſam , leiſe ) . Ich weiß nicht . — „ Fremd “ iſt
auch gar nicht das richtige Wort . Nicht bloß fremd . Er
war ... wie weg . Und alles war da weg . ( Etwas
lauter ; traurig . ) Und mein wunderſchönes ſtarkes Gefühl ,
das mich ſo ... gequält und beſeligt hatte — ? ( Haͤlt
einen Augenblick ein , mit einer Handbewegung des Entgleitens ;
dann , leiſe . ) Ich konnte doch nichts dafür , Fidl ! Es war
damals plötzlich da , ich habe mich ja gewehrt , das half
mir aber nichts und — ( aufblickend , Fidelis anſehend , faſt
wie kampfbereit , ſtark und ſtolz , langſam und leiſe ) wunder-
ſchön war es ! Wenn er ſo ſprach — wir Frauen ſaßen
dichtgedrängt und atmeten kaum , er aber ſtand neben dem
hohen Leuchter ; und dort aus dieſem Licht hervor nun
plötzlich ſeine Stimme , ganz ſchwarz ! Da war alles
ſtumm und gut — nein , ich hätte nie gedacht , daß in einem ſo
was Starkes , ganz Starkes vorgehen kann ! ( Uͤberlaͤßt ſich
einen Augenblick ihrer Erinnerung ; dann , wie langſam erſt wie-
der erwachend , in einem Ton der Enttaͤuſchung , mit einem
truͤben Laͤcheln . ) Hier aber , als er nun hier dir und Mam-
chen gegenüberſaß — nein . Und ſeitdem kann ich es nun
gar nicht mehr begreifen und ... eigentlich kann ich mich
nicht einmal mehr recht erinnern . — ( Ganz leiſe . ) Gräß-
lich war das , ihn ſo bei Tageslicht zerrinnen zu ſehen .
Wie ein Phantom zerrinnt , beim letzten Glockenſchlag .
Und ſeitdem , wenn ich an ihn denke , muß ich ihn jetzt
immer ſo ſehen , wie er da dir und Mamchen gegenüber-
ſaß . Was geht mich der an ? Und dann ſag ich mir
aber doch wieder : du liebſt ihn ja ! ( Raſch aufſtehend ;
ploͤtzlich ſehr heftig . ) Denn es wär doch zu ſchlecht von mir ,
wenn mein Gefühl ſo zergehen könnte ! Was bin ich denn
dann für ein Geſchöpf , wenn es ſo weggeblaſen werden
kann ? ( Faſt ſchreiend . ) Ich liebe ihn , ich muß ihn lieben !
Ich muß , laß mich doch , es wär ja zu jämmerlich ſchlecht
von mir ! ( Faſt weinend . ) Das kann doch nicht alles wie-
der weg ſein ? Was wär ich denn dann ?
Fidelis ( aufſtehend , etwas gereizt , trocken ) . Ob du nicht am
Ende Theoſophie und Liebe miteinander verwechſelt haſt ?
Juſtine ( verlaͤßt die Leiter und verſucht ſich unauffaͤllig
fortzumachen , zur Tuͤre links hin ) .
Luz ( ploͤtzlich wieder ruhig , mit einem feſten Blick auf Fi-
delis ; naiv ehrlich ) . Nein , Fidl . Glaub das nicht ! Von
Theoſophie weiß ich gar nichts , ich habe mir kein Wort
gemerkt .
Fidelis ( mit wachſender Gereiztheit ; achſelzuckend ) . Da
geht's dir nun freilich fatal ! Deinen Mann , den erſten ,
liebſt du nicht mehr — vielleicht war das ja von Anfang
an bloß eine Täuſchung , nicht ? ( Sieht ſie fragend an ,
Antwort heiſchend ; nach einer kleinen Pauſe , kurz , ungeduldig . )
Meinſt du nicht , ſag !
Luz ( zu Boden blickend , ſich vertrotzend ; leiſe , kurz ) . Ich
weiß nicht .
Fidelis ( nervoͤs , ungeduldig , immer gereizter ) . Alſo Num-
mer eins iſt jedenfalls erledigt . Nummer zwei aber iſt
ja — ( ihr Wort mit ſpoͤttiſcher Betonung wiederholend ) „ weg “ .
Bleibt dir nichts als ein „ Phantom “ — ſo ſagteſt du
doch ?
Luz ( unbeweglich ſtehend , zu Boden blickend , mit tonloſer
Stimme vor ſich hin ) . Ich muß ihn lieben . Ich muß ja .
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe , achſelzuckend , kurz , knapp ) .
Ich bin natürlich bereit , wenn du das wünſchen ſollteſt ,
mich ſcheiden zu laſſen ; dann heirate dein — Phantom !
( Er erwartet eine Antwort ; da ſie ſchweigt , wendet er ſich hef-
tig von ihr ab und bemerkt Juſtine , die eben in dieſem Augen-
blick die Tuͤre links oͤffnen will ; laut , ungeduldig , aͤrgerlich . )
Halt , Mamchen !? Wohin denn ?
Juſtine ( im Gefuͤhl , ertappt zu ſein , aber unſchuldig tuend ) .
Ich wollte bloß —
Fidelis ( laut , aͤrgerlich ) . Den Wäſcheſchrank ? O nein !
( Haͤlt ſie an der Hand feſt . )
Juſtine ( will es ihm begreiflich machen , leiſe ) . Es wäre
doch wirklich jetzt am beſten , wenn ihr zwei —
Fidelis ( raſch einfallend , Juſtine von der Tuͤre wegziehend ;
laut , laͤrmend , mit einer falſchen Luſtigkeit ) . O nein ! Du bleibſt
bei mir !
Juſtine ( aͤrgerlich , da ſie ihn gar nicht mehr verſtehen kann ) .
Ihr braucht mich hier doch jetzt wirklich nicht !
Fidelis ( immer mehr in jener gereizten , falſchen Luſtigkeit ) .
Oho ! Ich brauche dich ſehr ! Ich ſehr ! ( Sehr raſch ) . Ich
bin kein Menſch der Einſamkeit , ich bin eine geſellige
Natur ! Soll ich als ſeeliſcher Strohwitwer meine Tage
vertrauern , bis die Schweſterſeele vielleicht aus ihrer
Sommerfriſche wiederkehrt ? Und wozu verleiht Gott dem
Menſchen eine Schwiegermutter , als damit er , wenn die
Frau verſagt , wenigſtens — ( Er haͤlt ploͤtzlich ein , da Luz
zur Tuͤre hinten geht , und wendet ſich raſch nach ihr um ; kurz ,
ſcharf. ) Du gehſt ?
Luz ( iſt ploͤtzlich aufgefahren , hat ſich geſchuͤttelt und bleibt ,
ſchon auf dem Wege zur Tuͤre hinten , jetzt wieder ſtehen , wendet
ſich halb zu Fidelis um und ſieht ihn einen Augenblick gelaſſen
an ; dann ruhig , gleichguͤltig ) . Oder hätteſt du mir noch was
zu ſagen ?
Fidelis ( kurz , ſcharf ) . Nicht das Geringſte .
Luz ( geht ruhig durch die Tuͤre hinten ab ) .
Fidelis ( ſieht ihr unbeweglich nach , bis ſie die Tuͤre hinter
ſich geſchloſſen hat , dann ſtampft er ungeduldig leicht mit dem
Fuß auf und geht ans Fenſter ) .
Juſtine ( hinter dem Diwan , kopfſchuͤttelnd , aͤrgerlich ) . Ich
verſteh euch wirklich beide nicht ! Nun war doch ſchon
alles in ſchönſter Ordnung ?
Fidelis ( am Fenſter , mit dem Ruͤcken zu Juſtine ; lacht
hoͤhniſch auf ) . Findeſt du ?
Juſtine . Deshalb hielt ich es ja für angezeigt , euch
allein zu laſſen . Hätteſt du jetzt — ( Sie haͤlt ein und
ſchmunzelt nur . )
Fidelis ( gibt nur einen kurzen hoͤhniſchen Laut von ſich ) .
Ah !?
Juſtine ( ſchmunzelnd ) . Verſtehſt du nicht , was ich meine ?
Fidelis ( hoͤhniſch , kurz ) . Ich verſtehe .
Juſtine ( behaglich breit ) . Jetzt war doch der Moment ,
wo man erſt nichts mehr redet , ſondern — nicht wahr ?
Fidelis ( hoͤhniſch , ſchreiend ) . Danke !
Juſtine ( die jetzt die Geduld verliert , an den Tiſch tretend ) .
Ja was willſt du denn noch ?
Fidelis ( erbittert ) . Noch ? ( Er wendet ſich heftig nach ihr
um . )
Juſtine ( vorwurfsvoll , breit ) . Was willſt du eigentlich ?
Fidelis ( indem er an die Lehne des Sofas tritt , ſchreiend ,
ſehr ſchnell ) . Ich will gar nichts , ich will alles ; mir iſt's
ſo recht , mir iſt 's auch anders recht , ganz wie man's von
mir verlangt : eine Frau , die mich liebt , eine Frau , die einen
andern liebt , gar keine Frau , nach Belieben , ich finde mich
in alles , ich bin geſcheit genug , aber wiſſen muß ich's ,
wiſſen !!
Juſtine ( kopfſchuͤttelnd , breit ) . Ja , Menſchenskind , weißt
du denn noch immer nicht ?
Fidelis ( bruͤllend ) . Was ?
Juſtine ( ihn auslachend ) . Wenn dir nun noch nicht klar
iſt —
Fidelis ( in heller Wut , ſehr laut ) . Sie ſoll es aber ſagen !
Sagen muß ſie 's mir !
Juſtine ( empoͤrt , ruhig ) . Das find ich nun wirklich —
Fidelis ( dazwiſchen ſchreiend ) . Sagen !
Juſtine . Unzart find ich das von dir !
Fidelis ( hoͤhniſch auflachend ) . Zart ſoll ich auch noch — ?!
Ein anderer an meiner Stelle hätte —
Juſtine ( raſch einfallend ) . Du biſt doch aber eben du !
Fidelis . Leider !
Juſtine ( immer raſcher ) . Und dann iſt ja doch auch gar
nichts —
Fidelis ( bruͤllend aus Wut , daß ſie nun noch einmal anfaͤngt ) .
Geſchehen ! Ich weiß !
Juſtine ( gleich weiterſprechend , in ſeine Worte hinein ; ſehr
raſch ) . Sie liebt ihn doch gar nicht , hat ihn gar nie —
Fidelis ( bruͤllend ) . Ich weiß !
Juſtine ( immer weiter ) . Es war , wie ſie ſelbſt —
Fidelis ( noch lauter , indem er vorne vom Sofa hervor vor
den Tiſch tritt ) . Erzähl mir nicht , was ich alles längſt
ſelbſt —
Juſtine ( auf ihn zugehend , ohne ſich von ihm unterbrechen
zu laſſen ) . Selbſt ſagt : ein Phantom !
Fidelis ( auf ſie zu und ſie an beiden Ellbogen faſſend ; noch
lauter ) . Aber wer , wer hat denn das Phantom entdeckt ,
wer ?
Juſtine ( blickt zu ihm auf ; nach einer kleinen Pauſe , ploͤtz-
lich ganz ruhig , verwundert kopfſchuͤttelnd ) . Na ja ?! Drum
wunder ich mich ja , was du jetzt haſt ?
Fidelis ( ſie noch immer an den Ellbogen haltend ; ploͤtzlich
ganz ruhig , in einem bittenden Ton ) . Begreifſt du denn nicht ?
Juſtine ( achſelzuckend , kurz ) . Nein .
Fidelis ( laͤßt ſie los ; vor ſich hin , langſam , leiſe ) . Ich will
doch , daß ſie kommt und ſelbſt einſieht —
Juſtine ( raſch einfallend , haͤmiſch , kurz ) . A daß ſie ſich
dir an den Hals wirft ?!
Fidelis ( wieder aͤrgerlich ) . Ich dächte —
Juſtine ( raſch einfallend ) . Ihr denkt immer ! So ſeid ihr !
Fidelis ( indem er von ihr weg und durchs Zimmer geht ) .
Sie ſoll doch bloß —
Juſtine ( raſch einfallend , entſchieden , breit ) . Das wäre
unweiblich !
Fidelis ( auf- und abgehend , hoͤhniſch vor ſich hin ) . Ich bin
unzart und verlange Unweibliches !
Juſtine ( ruhiger , ſehr pedantiſch ) . Und dann ſchreit und
tobt man auch nicht ſo !
Fidelis ( im Auf- und Abgehen , achſelzuckend , vor ſich hin ) .
In meinem Fall hätte mancher —
Juſtine ( raſch einfallend ) . Aber dann doch gleich ! Dann
tobt man gleich !
Fidelis ( hoͤhniſch ) . Wenn ich gleich getobt hätte —
Juſtine . Das hätt ich begriffen !
Fidelis . Aber dann —
Juſtine ( faſt gleichzeitig mit ſeinen letzten Worten ) . Aber
jetzt ?
Fidelis . Wer hätte dann — ?
Juſtine ( dazwiſchenſprechend ) . Jetzt wo alles vorüber
iſt —
Fidelis ( immer gereizter ) . Es wär doch aber nicht vor-
über , wenn ich nicht —
Juſtine ( dazwiſchenſprechend , immer ſchneller ) . Wo jetzt
alles längſt aufgeklärt iſt —
Fidelis ( immer ſchneller ) . Wer hätt es denn aber auf-
geklärt — ?
Juſtine ( ſehr laut ) . Jetzt hat 's aber doch gar keinen
Sinn mehr , wenn du tobſt !
Fidelis ( indem er ploͤtzlich ſtehen bleibt ; ſehr laut ) . Jetzt
kann's aber ja nicht mehr ſchaden !! ( Ruhiger , langſam . )
Und ... und es hat den Sinn , daß es mir wohltut !
Juſtine ( kurz ) . Ach ſo . — ( Achſelzuckend. ) Dann natür-
lich . Bitte !
Fidelis ( nicht laut , ſehr ſcharf ) . Es tut mir wohl ! —
Und ich erlaube mir zu bemerken , daß ich auch auf der
Welt bin , und mit ſämtlichen auf der Welt üblichen
ſchlechten Eigenſchaften . — Ihr macht es euch doch ein
bißchen gar zu bequem , wenn ihr immer glaubt : Ach der ,
der iſt doch viel zu geſcheit , der nimmt nichts tragiſch !
Juſtine ( nachdenklich geworden , ihm innerlich recht gebend ;
in einem Ton der Anerkennung , um ihm etwas Angenehmes zu
ſagen ) . Du biſt doch auch viel zu geſcheit , um — Gott
ſei Dank ! Es hat ſich ja wieder gezeigt .
Fidelis ( hinter dem Diwan ſtehend , Juſtine feſt anblickend ;
ſehr ruhig ) . Aber Vorſicht , Mamchen ! Ich möchte doch zur
Vorſicht raten . Man kann nie wiſſen . Und es war dies-
mal zuweilen ſchon recht — ( er haͤlt ein ; dann , ploͤtzlich den
Ton wechſelnd , wieder ganz leichtſinnig . ) Und wenn ich ein
bißchen längere Beine hätte , wer weiß ? Aber zur tragi-
ſchen Natur gehören lange Beine . Mit meinen Stum-
meln — ( nun ſehr ſchnell ) nein da geht 's nicht , da hat
man kein Gemüt und keine Tiefe und keinen Ernſt und
wird nicht tragiſch und iſt und bleibt ſein Lebtag ein ober-
flächlicher Menſch , der ſich über alles bloß luſtig macht ,
nur — ( langſam ) nur vergeßt nicht , daß jeder Menſch auch
noch ſein Geheimfach hat !
Juſtine ( langſam , leiſe ) . Geheimfach ?
Fidelis ( ganz einfach ) . Weil ich meine Gefühle nicht
zum Fenſter heraushänge , weil ich nicht fortwährend mit
dem Klingelbeutel für ſie betteln gehe , weil ich kein Exhi-
bitioniſt meiner Schmerzen bin , ſondern ſie ſchön ſauber
bei mir allein abmache , muß ich doch dafür nicht noch ge-
ſtraft werden , Mamchen ! Unterſchätzt mich nicht ! Ich
dränge mich bloß nicht vor , aber irgendwo bin ich ſchon
auch eine ... Canaille . ( Achſelzuckend. ) Das müßt ihr mir
gönnen ! Denn immer bloß den anderen leben zuſehen ?
Nein , ich bin ganz dieſelbe Canaille . Auch der Herr Lega-
tionsſekretär wird das noch — ( Haͤlt ein und lacht nur
kurz auf . )
Juſtine ( iſt bei ſeinen Worten immer ernſter geworden ;
mit einer ihr ungewohnten Herzlichkeit ) . Mein lieber Fidl ,
ich — ( Noch herzlicher , mit einer drollig zaghaften und verle-
genen Bewegung muͤtterlicher Zaͤrtlichkeit , als ob ſie ihn um-
armen wollte . ) Lieber , lieber Fidl !
Fidelis ( entzieht ſich ihrer Umarmung raſch und fluͤchtet
nach rechts ) . Das auch noch ? — Nein , ſchau ! Ganz
kann doch eine Mutter darin die Tochter nicht erſetzen ! —
( Tritt zwiſchen das Sofa und den Schreibtiſch ; den Ton wech-
ſelnd , zwiſchen Ernſt und Scherz , leichthin . ) Seid froh , daß
ich meine Zuſtände ſtets erſt nachher krieg , wenn alles
vorüber und keine Gefahr mehr iſt .
Juſtine ( zieht , empoͤrt daruͤber , daß er ihren Anfall von
Zaͤrtlichkeit ſo wenig zu wuͤrdigen weiß , ſich wieder ganz in ſich
zuruͤck , rollt ſich foͤrmlich ein und zeigt ein ſtrenges , tuͤckiſches ,
ja feindſeliges Geſicht ) .
Fidelis ( muß uͤber ihr ſtrenges Geſicht lachen ) . Hu ! Nun
wieder ganz Froſchmajeſtät !
Thereſe ( durch die Tuͤre links ; tritt raſch ein ) .
Fidelis ( eben noch lachend , durch Thereſe geſtoͤrt , in jaͤhen
Zorn geratend ; man merkt , daß er jetzt jede Gelegenheit be-
nutzt , um zu ſchreien ; ſehr laut , ſehr ſchnell ) . Was iſt denn ?
Kann ich keinen Augenblick — ? Wie oft ſoll ich noch — ?
Ich habe tauſendmal geſagt , daß man mir , wenn ich allein
ſein will , nicht immer mit jedem Dreck kommt ! Aber es
ſcheint , daß ich in meinem eigenen Hauſe nicht mehr — !
( Noch lauter. ) Alſo was iſt , was wollen Sie ? ( Indem er
mit der Fauſt zornig auf den Tiſch ſchlaͤgt , bruͤllend . ) Ant-
worten Sie doch , wenn man Sie fragt !
Thereſe ( einknickend , zitternd , vor Angſt ſtotternd ) . Es
iſt nur , es iſt nämlich , es iſt —
Fidelis ( in ſeinem gefaͤhrlich anwachſenden Jaͤhzorn , bruͤl-
lend ) . Was iſt ? Schlottern Sie nicht ſo ! Ich kann das
nicht leiden ! ( Indem er vom Sofa weg nach links geht , auf
Thereſe zu ; in ſinnloſer Wut bruͤllend . ) Wiſſen Sie noch
immer nicht , daß ich — ? ( Bleibt dicht vor Thereſe ploͤtzlich
ſtehen , haͤlt ein , ſchließt die Augen , blaͤſt vor ſich hin und
ſagt dann mit einem veraͤchtlichen Blick auf Thereſe , ganz ruhig ,
trocken . ) Wiſſen Sie noch immer nicht , daß ich ... zu-
weilen brülle ? Sie müſſen ſich abgewöhnen , jedesmal
wieder von neuem darüber zu ſtaunen . — Was iſt alſo ?
Thereſe ( die ſich erſt allmaͤhlich von ihrem Schrecken er-
holen muß und noch immer kaum ſprechen kann ) . Es iſt je-
mand da .
Fidelis ( ungeduldig , aber ruhig und vergnuͤgt ) . Der Kaiſer ?
Der Rauchfangkehrer ? Ein Dackel ? Ein Geſpenſt ? Wer ?
Thereſe ( bringt nur den Namen hervor ) . Brandauer .
Fidelis ( kurz ) . Kenn ich nicht . Brandauer ? Was
will er ?
Thereſe . Er ſagt , ich ſoll nur ſagen , der Herr Doktor
wüßten ſchon . ( Sich jetzt erſt wieder allmaͤhlich recht beſin-
nend . ) Martin Brandauer —
Fidelis . Martin ?
Thereſe . Aus der Ramſau .
Fidelis ( raſch , ſehr vergnuͤgt ) . Der Martl ! — Herein
mit ihm !
Thereſe ( links ab ) .
Fidelis . Natürlich ! Er ließ mir neulich ſagen — und
ich vergaß dann in der Eile ganz , als ich ſo plötzlich weg-
fuhr — ( lachend ) da wirſt du ein Prachtexemplar kennen
lernen ! Mein Freund ! — ( Merkt , daß Juſtine noch immer
aͤrgerlich iſt , tritt zu ihr und will ſie beim Arm faſſen ; herzlich . )
Noch immer ungnädig ? ( Im Ton eines um Verzeihung
bittenden Kindes . ) Ich werd 's nicht mehr tun , Mama !
Juſtine ( ſich ihm entziehend , auf ſeinen Scherz nicht ein-
gehend ) . Man braucht viel Geduld mit dir . ( Geht wuͤrde-
voll wieder zur Leiter und macht ſich wieder an die Buͤcher . )
Fidelis ( geht zum Tiſch , achſelzuckend leichthin ) . Mit wem
nicht ? ( Indem er vom Tiſch eine kleine engliſche Holzpfeife
nimmt und ſie zu ſtopfen beginnt , mit einem Blick auf die Leiter
und die Buͤcher . ) Und du rächſt dich ja .
Martl ( ſiebenundzwanzig Jahre ; Schuhmacher und Berg-
fuͤhrer ; ein feſter Burſch , mittelgroß , breitſchulterig ; huͤbſches ,
hartes , ſpoͤttiſches Geſicht mit kleinen liſtigen Augen , kurzer
Naſe , kleinem , kokett aufgedrehtem Schnurrbart und großen
weißen Zaͤhnen ; von einer vielleicht nicht ganz ſtichhaͤltigen ,
mehr berufsmaͤßigen Biederkeit , Naivitaͤt und Treuherzigkeit im
Ton und im ganzen Weſen ; Berchtesgadener Tracht ; durch
den Wunſch , gebildet zu wirken , etwas korrumpierte Berchtes-
gadener Mundart ; durch die Tuͤre links herzhaft eintretend und
gleich auf Fidelis zu , dem er die Hand hinſtreckt ) . Grüß Gott ,
Herr Doktor Schmorr ! Wie geht 's denn immer ? ( Sieht
erſtaunt die vielen Buͤcher an . )
Fidelis ( ihm die Hand ſchuͤttelnd ) . Ja Martl !? Das
iſt ſchön ! ( Martls Blick auf die Buͤcher bemerkend . ) Gelt ,
da ſchauſt ?
Martl ( auf die Buͤcher blickend ) . Da kunnt man ſich frei
ſchrecken ! Was toan 's denn da damit ?
Fidelis ( achſelzuckend , indem er auf Juſtine zeigt , trocken ) .
Halt abſtauben . Siehſt ja .
Martl ( trocken anerkennend ) . Da muaß ſi die alte Frau
ſcho rechtſchaffen plagen .
Fidelis ( bedeutſam ) . Meine Schwiegermutter ! — Schau
dir die gut an ! Das glaubt man gar nicht : die Frau hat
ſoviel Geld , daß , wenn 's ſo vor ſich hinſchnauft . . . bei
jedem ſolchen Schnauferl verdient dir die an Zinſen zehn
Pfennig . Jetzt rechen nach !
Juſtine ( aͤrgert ſich ſichtlich ) .
Martl ( denkt erſt einen Augenblick angeſtrengt daruͤber nach ;
dann erſchreckend , ja faſt in Wut geratend , zornig die Stirne
runzelnd ) . Herrſchaft ! Ja dös waren ja nacher — ( Rechnet
wieder angeſtrengt . ) Dös waren ja —
Fidelis . Die Minute ſechs Mark .
Martl . Dös waren nacher in der Stund — ! So
was ?! ( Blickt Juſtine mit faſt feindſeliger Bewunderung an . )
Dös waren in der Stund —
Fidelis ( zieht ihn zum Sofa ) . Rechen's lieber nicht nach !
Es tut einem zu weh .
Martl . A wann 's ſchlaft ?
Fidelis . Auch . — Aber ſetz dich ! ( Haͤlt ihm ſeine Zigarren-
taſche hin . ) Magſt ein Zigarrl ?
Martl ( ſetzt ſich auf das Sofa und nimmt eine der Zigarren ) .
Wann i bitten darf .
Fidelis ( ſchiebt ihm die Streichhoͤlzchen hin ) . Da .
Martl . I dank ſchön . I heb mir 's lieber zum An-
denken auf , Herr Doktor Schmorr !
Fidelis ( reicht ihm noch einmal die Zigarrentaſche ) . Da
nimm dir aber dann noch eine , daß d' was im Mund haſt .
Martl . Wann i bitten darf . ( Steckt auch die zweite
Zigarre ein . ) I heb mir 's a zum Andenken auf . 's Rauchen
hab i mir ſchon lang abg'wöhnt .
Fidelis . Was machſt denn dann damit ?
Martl . I verkauf's ſchon .
Fidelis ( lachend ) . Zum Andenken ?
Martl . Manche fliegen auf dö beſſern Zigarren nur
ſo , do zahlens dir , was d' willſt .
Fidelis . Na und was machſt denn du aber eigentlich
in der Stadt ?
Martl ( gleich mit einem ganz ernſten Geſicht ) . Ja weil —
wie i do geſtern in die Hütte aufi komm , heißt's , der Herr
Doktor Schmorr is furt ! I hab 's gar nöt glauben mögen .
Fidelis ( leichthin ) . Ich hab ganz vergeſſen , ich hab auch
nicht gewußt , daß es ſo wichtig iſt .
Martl ( die Stirne runzelnd ) . Es is woll wichtig .
Fidelis ( erſtaunt ) . Eigens deshalb biſt du — ?
Martl . Es is wichtig . Da kann i nöt warten .
Fidelis ( neugierig ) . Alſo was denn ? Laß hören !
Martl ( bedaͤchtig ) . Es war halt . . . wegen der Zenz !
( Blickt Fidelis fragend an . )
Fidelis . Wegen der Zenz ? ( Sich dunkel erinnernd . )
Ach ſo .
Martl ( mißtrauiſch ) . Ob 's dabei bleiben ſoll ?
Fidelis . Ihr wollt's heiraten ?
Martl . Mir hat die Zenz g'ſagt , der Herr Doktor
Schmorr hätt ihr g'ſagt —
Fidelis ( ſich jetzt erinnernd , laͤchelnd ) . Fünfzehnhundert
Mark wären das ?
Martl . Funfzehnhundert Mark , jo .
Fidelis ( laͤchelnd ) . Billiger tuſt du 's nicht ?
Martl ( ſtockernſt , beharrlich ) . Die Zenz hat damals
g'ſagt , der Herr Doktor Schmorr hätt 's ihr feſt verſprochen .
Fidelis . Und es iſt wahr , die Zenz kenne ich , wie ſie
noch ganz ein kleines Wuzzerl war , ich hab 's immer gut
leiden können . Alſo die fünfzehnhundert Mark kannſt haben .
Muß 's gleich ſein ? Wann wird denn ſchon g'heirat' ?
Martl ( ſich am Kopf kratzend ) . Ja jetz — das is 's eben !
Der Zeitpunkt iſt noch fraglich . Und überhaupt müßt ma
da no erſt genau wiſſen — ? ( Haͤlt ein und blickt Fidelis
zweifelnd an . )
Fidelis . Hörſt ja ſchon . Das Geld kannſt haben .
Martl ( langſam ) . Jetzt aber — wer ? Wer kriegt nacher
das Geld ?
Fidelis ( erſtaunt , raſch ) . Wer ? ( Sieht Martl mißtrauiſch
an . )
Martl ( geſpannt ) . Wer ?
Fidelis ( kurz ) . Ihr .
10
Martl . Mitanand ?
Fidelis ( laͤchelnd ) . Ihr kriegt es , daß ihr heiraten könnt .
Martl ( langſam uͤberlegend ) . Mitanand kriag 'n ma's !
( Nach einer kleinen Pauſe . ) Jo nachher müaßt ma aber
wiſſen — ( Haͤlt ein und blickt Fidelis fragend an . )
Fidelis . Was denn , was willſt d' denn noch wiſſen ?
Martl . Ma fragt ja nur .
Fidelis ( leicht ungeduldig ) . Alſo frag !
Martl . Denn i war jo nöt dabei ! I waß nur , was
mir die Zenz g'ſagt hat , daß ihr der Herr Doktor Schmorr
g'ſagt hätt . Da drin war aber a ſtrittiger Punkt .
Fidelis . Nämlich ?
Martl ( langſam , in demſelben nachdenklichen Ton wie fruͤ-
her ) . Mitanand kriag 'n ma's !? — Jetzt aber wer kriagt's ?
Des is die Frag ! Wer kriagt's auf die Hand ?
Fidelis ( lachend ) . Ah du haſt Angſt , daß , wenn ſie's
kriegt , daß ſie dann die Hoſen anhätt ? — Ein jedes kriegt
halt die Hälfte .
Martl ( enttaͤuſcht ) . Ah die Hälfte kriag i !
Fidelis ( zwiſchen Aͤrger und Lachen ) . Schämts ihr euch
denn nicht ? So mißtrauiſch ! Mann und Frau !
Martl ( langſam , breit , dringend ) . Aber die Hälfte kriag i ?
Fidelis . Sie die Hälfte , du die Hälfte .
Martl . Siebenhundertfufzig Mark waren dös . ( Denkt
angeſtrengt nach . )
Fidelis ( ſich uͤber ihn amuͤſierend ) . Ein jedes kriegt ſein
eigenes Sparkaſſenbüchel . Biſt jetzt beruhigt ?
Martl . Dös kriag i aber . . . auf an jeden Fall ? Und
wann kriag i's ?
Fidelis . Am Tag , wo ihr heiratet .
Martl ( nachdenklich wiederholend ) . Am Tag , wo ma hei-
raten .
Fidelis . Brauchſt es früher ?
Martl . Na , na . Dös net .
Fidelis . Alſo was ? Fehlt dir noch was ?
Martl ( in demſelben Ton wie fruͤher ) . Am Tag , wo ma
heiraten . Ja , aber — ( Blickt Fidelis fragend an . )
Fidelis . Aber ?
Martl . Wia is 's nacher — ? An welchem Tag kriaget
i denn aber nacher das Geld , wann mir . . . jed 's an on
andern Tag heiraten ?
Fidelis ( uͤberraſcht aufſtehend ) . Martl ?! Du biſt doch
ein — ( Haͤlt lachend ein und ſchuͤttelt den Kopf . )
Martl ( langſam ) . Ma fragt jo nur , ma möcht do wiſſen .
Fidelis ( ſcharf fragend ) . Du willſt eine andere heiraten ?
Kerl !
Martl . Dös ſteht no nöt feſt .
Fidelis ( ungeduldig ) . Alſo heraus ! Was iſt geſchehen ?
Magſt die Zenz nicht mehr ?
Martl . Mögen ſcho .
Fidelis . Mag ſie dich nicht mehr ?
Martl ( zornig drohend ) . Dös möcht i ſegn !
Fidelis . Red ?! Sonſt kriegts alle zwei nichts .
Martl . In Ilſank war halt jetzt der Schuaſter g'ſtor-
ben , die Schuaſterin will vakafn , s' Nagllehen heißt 's . Es
trifft ſi grad . Der Weg zum Watzmann geht vorüber .
Für an Bergführer a guater Platz . Aufbauen kunnt ma
noch an Stock , für Sommerparteien . — Wann mir da ,
i und die Zenz , wann mir uns da hinſitzn und unſere zehn
Jahr wirtſchaften mitanand — denn die Zenz vaſteht's ,
10*
das is ka herg'laufne Kellnerin , da ſteckt a Bäurin drin ,
die is g'führig und hat den richtigen Hin und Her , do feit
ſi nix ! Und mit die fuchzehnhundert Mark — mehr war
für'n Anfang gar nöt nötig . ( Mit einem ploͤtzlichen Wutan-
fall . ) Muaß die Zenz aber a ſo a Mordsmiſtmenſch ſein !
Fidelis ( nach einer kleinen Pauſe ; trocken ) . Eiferſüchtig
biſt d' ?
Martl ( breit ) . Gar nöt , Herr Doktor Schmorr ! —
( Wieder zornig , nun aber nicht ſo laut , ſondern mit dumpfem
Groll . ) Nur grad den hatſcheten Poſtboten , den i eh net
ausſtehn mag , Fixlaudon !
Fidelis ( mit einem Verſuch , es ihm auszureden ; leichthin ) .
Martl , du bildſt dir was ein !
Martl ( ſtoͤrriſch ) . Herr Doktor Schmorr , i bild mir nix
ein .
Fidelis . Ich kenn die Zenz —
Martl ( trocken ) . Wenn Sie's kennen , werden's ja
wiſſen .
Fidelis ( achſelzuckend , ungeduldig ) . Ja wenn die Zenz
lieber den Poſtboten heiratet !
Martl ( ſehr raſch , giftig und gierig , laut ) . Und meine
ſiebenhundertfufzg Mark ?
Fidelis ( kurz ) . Die kriegt dann der Poſtbote , natürlich .
Martl ( ſchadenfroh , trocken ) . Er kann's brauchen . Wann
er aus'n Spital kommt .
Fidelis . Was fehlt ihm denn ?
Martl . A nix . — ( Wieder in jenem dumpfgrollenden
Ton . )
I hab jo nur do mit eam a Wörtl reden müaßen !
Und do habn 's ihn nacher liaber ins Spital bracht , weil 's
bei ihm daham m' Bezirksarzt z'weit war .
Fidelis ( leicht mißbilligend ) . Martl , Martl , du biſt
ſchon —
Martl ( treuherzig zugeſtehend ) . A biſſl gach bin i , Herr
Doktor Schmorr ! — ( Den Ton wechſelnd , breit , dringend . )
I muaß jetzt aber do wiſſen , wia 's mit mein Geld ſteht !
Dös können's mir nöt verübeln , Herr Doktor Schmorr .
Fidelis ( kurz ) . Mein lieber Martl , ich ſteig ſehr gern
mit dir in den Bergen herum , aber das iſt kein Grund ,
daß ich dir ſiebenhundertfünfzig Mark —
Martl ( gerecht zuſtimmend ) . Dös is ka Grund , Herr
Doktor Schmorr .
Fidelis . Mit der Zenz iſt das was anderes , die Zenz
hab ich ſchon gekannt , wie ſie noch in die Schul ge-
gangen iſt . . . und ich war eben damals auch grad gut
aufgelegt , da hat ſie mir's mit ihren luſtigen Augen ab-
gebettelt .
Martl ( trocken ) . A luſtigs G'ſchau hat's .
Fidelis . Dir aber hab ich nichts verſprochen , wüßt
nicht !
Martl ( zuſtimmend ) . Dös ſag i a gar nöt , Herr Doktor
Schmorr .
Fidelis . Da käm bald ein jeder , wer nur von euch
einmal mit mir auf einem Berg war — nein ! Die Zenz
iſt was anderes , die kenn ich von klein auf .
Martl ( behutſam anfragend , mit einem Seitenblick ) . Die
Moni kennen S' nöt vielleicht ?
Fidelis ( kurz ) . Welche Moni ?
Juſtine ( hockt oben auf der Leiter nieder und hoͤrt be-
luſtigt zu ) .
Martl . Vom Kramer in der Schönau . So a klaner
ſchwarzer Rammel , ſchön is 's nöt . — Die macht ma
lang ſcho Augen . So viel hätt's grad fürs Nagllehen .
Fidelis ( trocken ) . So heirat die Moni !
Martl ( kratzt ſich hinterm Ohr ; langſam , leiſe ) . Dann
ſitz i drin im Nagllehen und . . . is aber do nöt das
Rechte ! — Do muaßt oans immer hinter ihr ſtehen und
antreiben ! Geht ihr nix von der Hand und wia ma ſo
zu ſagen pflegt : der Schwung feit . Wann ma da die
Zenz nimmt — ! ( Sich ereifernd . ) Herrſchaft , da fliagt
alls nur ſo . . . und ſchaut auf an jeden Pfenning da-
bei , die is a Taifl !
Fidelis ( trocken ) . So heirat die Zenz !
Martl ( zornig , laut , grob ) . Wann 's mir aber auf d'
Seitn g'ſprungen is , mit dem Malefiz Poſtboten grad ,
dem krumben .
Fidelis ( leichthin ) . Hättſt ein biſſel beſſer aufgepaßt
auf ſie !
Martl ( dumpf zornig ) . Da kunnt ma nix als aufpaſſen !
Fidelis . Und du mußt auch nicht jeden Tratſch gleich
glauben .
Martl ( dumpf zornig ) . Sie leugnet's ja ſelber gor nöt .
G'lacht hat 's noch !
Fidelis ( leichthin ) . Das iſt auch noch kein Beweis .
Martl ( immer zorniger ) . Fürs Haus find i ka Beſſere ,
da kann i lang ſuachn , in der ganzen Umgegend nöt ,
i kenn do die Madln , inwendi und auswendi . ( Sehr heftig . )
Und jetzt muaß aber das Rabenviech grad — ſoll ma
da kan Zurn kriagn ?
Fidelis ( trocken ) . So heirat die Moni !
Martl ( ploͤtzlich ganz ruhig ; unglaͤubig fragend widerſtrebend ;
langſam ) . Glauben S' ? Glauben S' wirklich ?
Fidelis ( kurz , raſch ) . Ich red dir nicht ab und ich red
dir nicht zu .
Martl ( vorwurfsvoll ) . Warum denn nöt , Herr Doktor
Schmorr ?
Fidelis ( raſch , mit dem Ton auf dem erſten Wort ) . Du
heiratſt ſie ja .
Martl ( klaͤglich , langſam ) . Aber welche denn ?
Fidelis ( achſelzuckend , kurz ) . Das mußt du wiſſen .
Martl ( in einem klagenden Ton ) . Und wann i die Moni
nimm , kriag i a die ſiebenhundertfufzg Mark nöt amal ?
Fidelis ( kurz ) . Nichts .
Martl ( nach einer kleinen Pauſe ; langſam , breit ) . Was
taten denn Sö , Herr Doktor Schmorr ?
Fidelis ( kurz ) . Darauf kommt 's nicht an , ſondern was
für dich beſſer paßt . ( Ungeduldig , laut . ) Was möchſt denn
eigentlich ?
Martl ( nach einer kleinen Pauſe ; nachdenklich , langſam ,
breit ) . Ja mein ! Möchten möcht ma Manches ! —
( Wieder mit dem dumpfen Zorn . ) I möcht ſchon die Moni
— dös möcht i der Zenz ſchon antun , i möcht' ihr 's ſcho
zeigen , daß i nöt anſteh auf ſie ! Und den Zorn vagun-
nert i ihr , wann ſich die Moni ins Nagllehen ſetzt ! ( Lacht
hoͤhniſch auf ; nach einer kleinen Pauſe , nun wieder ruhig , ganz
ſachlich , langſam . ) War aber do ſchad !
Fidelis ( hoͤrt ruhig rauchend zu und wird nun nachdenklich ,
weil er es auf ſeinen eigenen Fall bezieht ; langſam fragend ,
mit einem beſonderen Ton auf dem erſten Wort ) . Schad wär ?
Martl ( nickend ) . Schad . — Die Moni is nöt die Rich-
tige fürs Nagllehen. I waß genau , was aus'n Nagllehen
werden kann , aber die Richtige muaß hin . — Mir ſan
jetzt in der Konjunktur , nämlich durch 'n Winterſport ham
ma die Konjunktur kriagt , ſ ' war neuli erſt eine Beſpre-
chung im Fremdenverkehrsverein , wir kunnten Parten-
kirchen tauchen . — ( Langſam , ſchwerfaͤllig nachdenklich , inner-
lich arbeitend . ) Da muaß ſi do an aufklärter Mann ſagen :
dös is jetzt an Augenblick , denſt net auslaſſen derfſt —
ſchau , daß d' mit dabei biſt ! — Und nöt bloß wegen
Geld ! Natürli warſt a Narr , wann alls verdient und
nur du hättſt nix davon . Aber nöt bloß wegen Geld , Herr
Doktor Schmorr , aber ma möcht do a wer ſein und was
gelten in der Welt , nöt ? Dazu brauchſt aber ane , was ma
ane ( das naͤchſte Wort faſt feierlich betonend ) Baſis nennt ,
halt ja ! Nacher war mir nöt bang um mi ! I wurd ſicher
bald Obmannſtellvertreter .
Fidelis . Wo denn ?
Martl ( ſorglos , leichthin ) . Ja , in an Verein müaßt i halt
eintreten , der findt ſi ſcho . — ( Wieder ſehr nachdenklich , lang-
ſam . ) Aber die Baſis brauchſt , anders is 's nöt ! S'
Nagllehen war die Baſis ! Und daß man ſo was nöt
auslaßt , daß ma nöt in ſein Zurn ſein Leben vatuat , auf
dös kommt 's an , Herr Doktor Schmorr , und nöt auf das ,
was ma möcht ! Mei , möchten möcht ma viel ! ( Aufſtehend ;
kurz . ) I hab nur fragen wollen , damit i 's waß ! Hätt ja
ſein können , daß Ihnen gleich g'weſen war , für wen jetzt
nacher dö fuchzehnhundert Mark oder die ſiebenhundert-
fufzg — ( Haͤlt ein und blickt Fidelis noch einmal fragend an ;
dann , ſich reſolut darein findend . ) Aber Sie wollen 's nöt
umſchreiben laſſen , dös is a ganz begreiflich . ( Reicht Fidelis
zum Abſchied die Hand . ) I dank halt ſchön , Herr Doktor
Schmorr ! Und kommen S' nöt bald wieder ?
Fidelis ( ihm die Hand reichend und ihn zur Tuͤre links be-
gleitend ) . Hoffentlich . Ich laß alle ſchön grüßen .
Martl ( an der Tuͤre links noch einmal ſtehen bleibend ; zoͤ-
gernd ) . Und es bleibt dabei , gell , wie S ' früher geſagt ha-
ben , Herr Doktor Schmorr , daß an den Tag , wo wir
heiraten — gell ?
Fidelis ( laͤchelnd ) . Es bleibt dabei .
Martl . Und is gar nöt not , daß Sie's auf zwa
Büachln ſchreiben laſſen , ans tuot 's a . — Soll i aber
nacher dös Büachl ſelber holen kommen oder — ?
Fidelis . Ich ſchick's ſchon . Und wenn ich irgend kann ,
komm ich ſelber zur Hochzeit .
Martl . Dös war recht !
Fidelis . Es freut mich , daß du —
Martl ( vergnuͤgt ) . I ſchluck halt mein Zurn . Was
ſchluckt ma nöt alls ? Warſt dumm ! Schlucka muaßt
lerna im Leben ! B'hüt Gott , Herr Doktor Schmorr ! ( Durch
die Tuͤre links ab . )
Fidelis ( wendet ſich an der Tuͤre links lachend um ; zu Juſtine ) .
Darum heißt es auch mit Recht : Auf der Alm , da gibt 's
ka Sünd ! — So beruhigend und erfriſchend wirken dieſe
Menſchen auf mich . ( Geht von der Tuͤre links zur Tuͤre hinten . )
Juſtine ( da ſie ſieht , daß er zu Luz geht , aber noch gar nicht
zu hoffen wagt ) . Du — ?
Fidelis ( an der Tuͤre hinten ſich nochmals zu Juſtine wen-
dend ; kurz , leichthin ) . Ich geh jetzt zu Luz . Ich hoffe , ſie
verzeiht mir . ( Raſch durch die Tuͤre hinten ab . )
( Vorhang . )