Paris, 26 März.
Die 7te Kammer des Tribunals der Zuchtpolizei hat endlich nach mehrfachen, seit länger als einem Jahre erfolgten Vertagungen am 24 März ihr Urtheil in dem Processe der HH. Perier Söhne gegen die Europe monarchique, den National und den Corsaire gefällt. Die Europe monarchique und der National wurden zu 1000 Fr., der Corsaire zu 500 Fr. Geldbuße, und alle drei Journale zu allen Kosten und zur Einrückung des Urtheils in alle Pariser Journale verurtheilt. Die HH. Perier hatten für alle Kosten und Schaden von jedem der Journale eine Entschädigung von 100,000 Fr. verlangt. Das erstere Journal ward verurtheilt, weil es einen Umstand publicirt hatte, welcher das Andenken des Hrn. Perier Vater antaste; die zwei andern wegen Wiederholung desselben Artikels.
Schluß der Rede des Hrn. Thiers in der Deputirtenkammer am 24 März.
„Man sagt, das Cabinet habe mysteriöse Verträge, es wolle die Staatsgewalt dem Einflusse der alten Opposition preisgeben. Meine Herren, ich habe keine andern Verträge als diejenigen, die aus meinen Worten hervorgehen werden, den Worten, die ich gesagt habe, und noch sagen werde. Ich habe nur mir selbst und meinen Collegen etwas versprochen, ich habe versprochen, immer bei der Wahrheit zu bleiben, dabei muthig und kühn zu verharren, wie schwer dieß auch seyn möchte, und wenn ich auch morgen fallen sollte. (Beifall.) Ich habe die Unterstützung der alten Opposition, und danke ihr dafür; wenn sie mir diese gewährt, so will ich Ihnen sagen, unter welchen Bedingungen – Bedingungen, die Sie alle kennen. Als ich zur Staatsgewalt gehörte, hat man mich grausam, schmerzlich verletzend angegriffen, weil man glaubte, daß ich die Interessen meines Vaterlandes geopfert habe. Die Depeschen, die ich damals abgehen ließ, konnten Jedermann bekannt werden; sie wurden veröffentlicht. Man hat gesehen, daß ich, unter der Last von Verleumdungen aller Art, die Interessen meines Vaterlandes, ohne Geräusch, ohne Prunksucht vertheidigte, und daß ich da, wo ich die Interessen für compromittirt hielt, nachzugeben mich weigerte. (Bewegung.) An dem Tage, wo mich das Vertrauen des Königs zu verlassen schien, bin ich von der Staatsgewalt ausgetreten. Ich habe dreimal den Wiedereintritt abgelehnt, weil ich nicht bloß dem Buchstaben der Repräsentativregierung, sondern ihrem wahren Geiste gehorchen wollte. Ich dachte, man sey kein wahrhaft parlamentarischer Staatsmann, wenn man nicht die Kraft habe, seinen Ueberzeugungen zu folgen, von der Staatsgewalt mit ihnen auszutreten, und mit ihnen dahin wieder zurückzukehren. Dieß war die Ursache meiner Sympathien mit der Opposition. Ich habe auch noch ein anderes Motiv des Wohlwollens gegen sie. Soll ich es aussprechen? Ich hege kein Vorurtheil gegen irgend eine Partei. Vielleicht verletzt Sie, was ich Ihnen sagen werde. Ich glaube, es gibt hier keine Partei, die ausschließlich der Ordnung, keine, die nur der Unordnung ergeben wäre; ich glaube, es gibt hier nur Männer, welche die Ordnung wollen, sie aber auf verschiedene Art verstehen. Ich glaube, daß es zwischen beiden Parteien keine bestimmte Schranke gibt, und wenn Sie eine solche Schranke setzen wollen, würden Sie in den Fehler verfallen, der die Restauration
zu Grund gerichtet hat, die Restauration, welche glaubte, sie sey verloren, wenn sie je der Opposition sich nähern, wenn sie jemals mit ihr etwas gemein haben würde. Sie kämpfte in dieser traurigen Ueberzeugung – ein beklagenswerther Kampf, in dem sie zuletzt unterlag. Und in der Opposition, welche sie zurückstieß, befand sich Casimir Perier, der die sociale Ordnung Frankreichs gerettet hat! (Lebhafter Beifall und Sensation.) Keine Ausschließungen, meine Herren! Was mich betrifft, gestatten Sie mir, hier zu erinnern, daß ich im Jahr 1830 mich mitten unter die Freunde der Ordnung, mitten unter die Partei, die man die conservative nennt, gestellt habe, weil ich die Ordnung bedroht glaubte. Meine Meinungen haben mich später von ihr getrennt und mich in die Opposition geworfen. Ich sah Alle nach demselben Zweck streben; ich sah, daß keiner einen besondern Beruf für die Ordnung oder für die Unordnung hatte, daß es nur Freunde des Landes gab. Wenn Sie zwischen beide das traurige Wort der Ausschließung schieben wollen, wird es Unglück bringen dem, der es zuerst ausspricht. (Bewegung.) Wir haben noch nichts gethan und konnten noch nichts thun, da wir erst seit zwanzig Tagen Minister sind. Unser einziger Act war, daß wir das Wort „Vergleich“ ausgesprochen, das man uns jetzt zum Vorwurf macht. Wenn wir auf dieses Wort hin fallen, sind wir nicht geschwächt. Es bleibt dann nur die ernste Thatsache, daß man uns um dieses Wortes willen zurückgewiesen, während man Tags darauf wieder eine Regierung zu bilden hat.“ (Lebhafter Eindruck und Beifall links.)
In seiner Antwort auf die Rede des Hrn. Thiers sagte Hr. v. Lamartine unter Anderm: „Der Herr Ministerpräsident fragt uns: habt ihr Vertrauen zu mir? Ich begreife nicht, wie man den Muth haben kann, an Männer, die man bei den Wahlen herabgewürdigt, die man als Feinde des öffentlichen Wohles verfolgt hat, während man ihren haßerfüllten Gegnern die Hand drückte, eine solche Frage zu richten. Wenn wir nun antworteten: ja, wir haben volles und festes Vertrauen, klänge dieß nicht wie die bitterste Ironie, wie das beißendste Epigramm? Und wenn diese Antwort aufrichtig wäre, würde das Land uns nicht für die dupirtesten und furchtsamsten aller Staatsmänner halten? (Lebhafte Beistimmung). Ich antworte daher ohne Umschweife: nein, wir können kein Vertrauen in euch haben; dieser Mangel an Vertrauen aber betrifft nicht die Personen, sondern er ist eine Folge der Lage. Dem Ministerium fehlt die Basis; seine Stellung ist schief. Dieß der Grund unserer Zurückhaltung.“ Hr. v. Lamartine stimmt der Meinung des Hrn. Thiers über die Parteien der Kammer in so fern bei, daß auch er glaubt, die Spaltung sey weniger bedeutend, als man wohl anderwärts glaube. Es sey falsch, wenn man sich einbilde, die einen wollen die Republik, die andern das „Gouvernement personnel“ um unter repräsentativen Formen einen schändlichen Absolutismus zu verstecken. Im Grund wollten alle: die Befestigung und Ausdehnung einer monarchischen, aber demokratischen Regierung – einer Regierung, deren Haupt ein Monarch, deren Basis aber das Volk sey. Der Grund der Spaltung in der Kammer sey, daß es auf mehreren Bänken Männer gebe, welche revolutionäre Instincte für liberale Ideen hielten. „Der Herr Ministerpräsident hat gesagt: „„Ich bin liberal, ich will die Entwicklung der constitutionellen Ideen, ich bin der Revolution entsprossen, ich schöpfe neue Kraft aus ihrer Berührung, wie Antäus aus der Berührung seiner Mutter, der Erde.““ Indem ich diese Worte vernahm, schien es mir, das immer wiederholte Wort Revolution gleiche dem rothen Tuchlappen, den man dem Stier vorhält, um ihn zu reizen. Wir glauben nicht, daß es nützlich sey, ein Land, wie Frankreich, beständig zu beunruhigen; uns erscheint das Aufsprudeln der öffentlichen Meinung nicht als Kraftentfaltung; wir sind nicht der Ansicht, daß, wer Frankreich aufregt, es stark mache; unsere Ansicht ist vielmehr, daß Frankreich, wenn man es beruhigt, wenn man sein materielles Glück fördert, sich stärker fühlen werde an dem Tage der Gefahr. Was uns außerdem noch trennt – fuhr der Redner fort – ist kein Princip, sondern eine Leidenschaft, die wir bei euch wahrnehmen, eine unruhige, eifersüchtige, unersättliche Leidenschaft, die nichts beruhigen kann, die nichts theilen will, denn für sie ist Alles noch nicht genug. Es ist die Leidenschaft, zu regieren, allein zu regieren, immer zu regieren, mit der Majorität oder mit der Minorität, wie heute, zu regieren um jeden Preis. Dieß ist zwischen uns die eigentliche Schranke. Wir waren nach dem Sturze des letzten Ministeriums zur Versöhnung geneigt, und nie vielleicht hat eine große politische Partei mehr Uneigennützigkeit gezeigt, als die unsrige. Das Hinderniß einer Vereinigung der beiden Centren lag weder an den Principien noch selbst an den Männern, sondern allein an der Stellung, welche der Herr Präsident des Conseils in der Kammer aus System eingenommen. Er stellte sich fast ans äußerste Ende dieser Kammer oder wenigstens in eine der von den Centren, wo sein Stützpunkt hätte seyn sollen, entferntesten Gruppen, und von dort fordert er uns auf zu einer Transaction, jener Transaction, welche der vorhergehende Redner (Hr. Bechard) mit so glücklicher Beredsamkeit „das letzte Wort der Revolutionen, welche enden“ nannte und die ich heute glücklicherweise „das erste Wort der Majoritäten, welche sich wiederfinden“ werde nennen können. (Beifall im Centrum. Lebhafte Sensation). Nicht unter unsern Freunden, nicht einmal unter den Neutralen hat er Platz genommen, sondern inmitten unserer politischen Gegner von zehn oder von zwei Jahren her. Von dort ruft er uns zu: „Kommt zu mir, ich bin die personificirte Transaction, die lebendige Transaction! Wagt es einmal, nicht zu mir zu kommen!“ Aber dieß heißt nicht sich vergleichen, sondern siegen und demüthigen. (Beifall und Bewegung.) Noch eine andere Ursache verbietet uns, dieser sogenannten Ausgleichung beizutreten: die räthselhafte Unterstützung, welche von der Linken dem Hrn. Minister-Präsidenten zu Theil wird; ich sage räthselhaft, sofern nicht Hr. Barrot oder seiner Collegen Einer uns das Räthsel lösen will. (Odilon-Barrot: „Ich verlange das Wort.“) Eine weitere Ursache ist die verdächtige, so zu sagen einstimmige Gunst der Presse, diese geschriebene Volksthümlichkeit, die seit zwei Jahren sich an einen Mann hängt, wie um ihren außerparlamentarischen Einfluß dem parlamentarischen entgegenzustellen. (Beifall.) Darin liegt eine ernstliche Gefahr für das Parlament, für die bestehenden Staatskörper und für die Verfassung. Wenn die Kammer nicht Acht hat auf diese übergreifende Macht, welche täglich zu wachsen scheint, wenn die Staatseinrichtungen immer mehr geschwächt werden in diesen traurigen Kämpfen, so kommt das Land in große Gefahr; wenn das Parlament jenem Uebergriffe nachgäbe, so wäre es geschehen um die parlamentarische Freiheit, man müßte eine vierte Staatsgewalt als Herrscherin über die andern ausrufen: ich meine die Volksthümlichkeit. Dem werden wir uns niemals fügen. (Beifall.) Ich kann nicht glauben, daß Hr. Barrot die Worte: Zurücknahme der Septembergesetze, Wahlreform, von seiner Fahne vertilgen will; selbst wenn er es sagte, würde ich ihm nicht glauben. Aber er wird es nicht sagen. ... Wir wollen keine systematische Opposition machen, welche die Thätigkeit der Regierung lähmt und das Land tödtet, um politische Gegner zu stürzen. Nie werden wir uns zu einer solchen Opposition des Zorns entschließen. Nicht wir haben gesagt: „Man versuche,
ohne uns zu regieren, man wird sehen!“ Wir lassen diese und andere Waffen denen, die sie erfunden. (Wiederholte Bravos vom rechten Centrum.) Wir werden alle nützlichen Gesetze votiren und dabei nicht fragen, woher sie kommen, sondern, was sie sind. Befruchtet den Boden, bedeckt ihn mit Eisenbahnen, gebt uns die materiellen und moralischen Gesetze, welche das Land verlangt; ihr werdet sehen, ob wir sie zurückweisen. Nehmt im Orient jene kriegerische und zugleich versöhnende Haltung an, die ich ohne Aufhören anrathe, die Haltung des bewaffneten Vermittlers, und seyd unserer Stimmen versichert. Der Patriotismus hat keine höhere Leidenschaft, als die Stärke und die Würde des Landes. Aber in Fragen der persönlichen und parlamentarischen Politik, wenn man mir mit der Frage kommt, ob ich Vertrauen in ein Cabinet habe, in welchem ich Männer von ausgezeichnetem Talent sehe, die eben durch dieses ihr Talent dem Parlament seit zwei Jahren die tiefsten Wunden geschlagen und die Majorität zerrissen haben, welche ihr jetzt wieder zusammen zu flicken sucht, ob ich Vertrauen in die parlamentarische Leitung, in die Stärke, in die Stabilität des Chefs eines Cabinets habe, welcher die eine Hand der Linken reicht, und sie aufruft gegen die Rechte, eine andere Hand der Rechten gibt, und sie auffordert, ihn gegen die Linke zu vertheidigen, wenn man mich fragt, ob ich in ein solches Cabinet Glauben, Vertrauen, Hoffnung für die Krone, für das Land, für die Ordnung, für die Freiheit habe, da rufe ich laut: Nein! Vertrauen soll ich euch? Von liberalem Standpunkte – und das ist der meinige – finde ich euch als Gegner meiner Grundsätze über socialen Fortschritt in fast allen den großen Principienkämpfen, die wir hier seit fünf Jahren geliefert haben, um die Demokratie zu entwickeln und zu versittlichen. Von conservativem Standpunkte finde ich an der Spitze jene, welche Unruhe gebracht ins Parlament, Aufregung angefacht zwischen Parlament und Krone, jene, unter deren Organen eines ist, das ohne Unterlaß die Lärmglocke gegen uns läutet. Jene anklagenden Gerüchte, jene so lächerlichen, wie lügenhaften Benennungen, als wären wir Männer des Hofs, der persönlichen Regierung, jene beständige Aufregung der öffentlichen Meinung, ich bin weit entfernt, sie euch zuzuschreiben; aber welcher Namen bedient man sich, um sie zu beglaubigen? wessen Gepräge tragen diese falschen Münzen der öffentlichen Meinung, die man täglich unter das Volk auswirft, um es zu verführen und aufzureizen? Und ihr wollt, ich soll bei allem dem vertrauen? Nein! Das Land hat uns nicht hieher geschickt, um Lügen in diese Wahrheitsurne zu werfen. Ihr könnt Gewalt anthun der Mehrheit der Kammer, den Wahlen, der öffentlichen Meinung, nie aber meinen Lippen. Schweigend, aber voll Schmerz werde ich mich dem Joch unterwerfen, das eine außerparlamentarische Volksthümlichkeit, eine Minderheit in der Kammer mir auflegt; aber wenigstens werde ich nicht selbst dieses Joch mir auferlegt haben, werde nicht eines Tages voll Reue, Kummer und Demüthigung gestehen müssen, daß eine weiße Kugel, die ich, schwach genug, euch gegeben hätte, zu den Schwierigkeiten, zu den inneren und äußeren Verwicklungen, ja vielleicht zu der Schande der Herrscher meines Landes beitrug.“ Der Redner wird hier durch einen scharfen Ton unterbrochen, als wenn gepfiffen worden wäre. Der Präsident: „Ich werde den Befehl geben, daß die Galerie geleert wird, wo gepfiffen wurde.“ Eine Stimme: „Es wurde nicht auf der Galerie gepfiffen.“ Hr. Beaumont: „Ein Abgeordneter hat durch Husten den Ton hervorgebracht.“ Hr. Taschereau: „Man hat gepfiffen, zweimal. Hr. v. Lamartine: „Man möge überzeugt seyn, daß weder Beifall noch Zischen meinen Muth erhöhen oder schwächen kann. (Sehr gut!) Bedenket euch wohl, ihr Männer der Linken, ihr Männer der Rechten, von denen man ein Vertrauen verlangt, das sich selbst ausschließt, die Mittel vielleicht, die einen von uns durch die andern zu beherrschen; hütet euch und verweigert dem Ministerium des linken Centrums den Tag, den es so dringend von euch verlangt; denn diesem Tag wird lange Reue folgen und ein kläglicher Morgen.“
Nach Lamartine sprach Odilon Barrot für die dynastische Linke: „Warum verfolgt ihr das Ministerium? Weil es sich uns nähert, weil es das erste ist, das seinen Ursprung nicht verläugnet, das erste, das nicht, um sein Glück zu machen, um seine Existenz zu sichern, das Bedürfniß fühlt, Händel mit der Opposition anzuknüpfen, aufregende Streitfragen gegen uns zu erheben. Wir könnten durch Unterstützung der persönlichen Feindschaften jede Regierung unmöglich machen, Trümmer auf Trümmer häufen. Aber über den elenden Interessen der Parteien und Oppositionen stehen uns unsere Pflichten gegen das Land. Ich verschmähe die pessimistische Politik, die Alles bestreitet, die Alles bekämpft, was nicht zu ihrer Combination, ihrer Partei, ihren persönlichen Interessen paßt, die auch das, was Fortschritt heißt, bekämpft, und, indem sie so für Regierung und Land nur die Wahl läßt, entweder Alles zu bewilligen oder Alles zu verweigern, einer solchen Opposition den Anschein gibt, als drohe sie unablässig mit einer Revolution. Dieser Politik habe ich von jeher abgeschworen und erklärt, ich werde jeden Fortschritt annehmen und fördern, mit Dank jede Rückkehr der Juliusregierung zu ihren ursprünglichen Grundsätzen anerkennen, ein Ministerium, das auch nur einen Theil meiner Grundsätze verwirkliche, unterstützen. Zum erstenmale, seit das Repräsentativsystem in Frankreich eingeführt ist, besteht eine Opposition, stark durch ihre Zahl, stark durch ihre Grundsätze, die aber einem Ministerium gegenübersteht, zu dessen Gründung sie mitgewirkt, das sie nur beaufsichtigt, um es zu beschützen, über welches hinaus sie keine Möglichkeit, über welches hinaus sie nur Umsturz und Abgründe sieht. Dieß das Geheimniß unserer Mäßigung. Das Ministerium hat eine Eroberung verwirklicht, die wir stets als den Grund von Allem betrachteten: es hat in all seiner Wahrheit das System der parlamentarischen Regierung verwirklicht. Es hat unsern Beifall für seine auswärtige Politik. In der innern Politik handelt es sich vornehmlich um zwei Fragen. Die eine betrifft die Septembergesetze. Es schmerzte mich tief, als man durch die Bezeichnung gewisser Preßvergehen als Angriffe auf die Sicherheit des Staats dieselben der verfassungsmäßigen Gerichtsbarkeit der Jury entzog. Mit Freude sehe ich jetzt den Augenblick gekommen, da diese Verfassungsverletzung wird gut gemacht werden. Die zweite Frage betrifft die Wahlreform. Das Ministerium hat sich nicht unbedingt gegen dieselbe erklärt, sondern hält sie nur nicht für zeitgemäß. Meiner Ansicht nach muß die Nothwendigkeit dieser Maaßregel sich bei der Mehrheit geltend machen; unsere Mittel sind Gründe, freie Erörterung, nicht Drohungen und Gewalt; die Reform, ich hoffe es, wird sich friedlich, auf parlamentarischem Wege Bahn brechen. Sollen wir aber, weil wir in dieser Einen Frage verschiedener Ansicht, mit unserer Stimme alle die Leidenschaften und Feindschaften unterstützen, die das Cabinet stürzen möchten? Nein, dieser Eine Grund reicht nicht hin, gegenüber dem Fortschritte, den das Cabinet zu verwirklichen verspricht. Auch in meiner eigenen Partei verdammen mich die Leidenschaftlichen, aber ich appellire an den gesunden Sinn des Volkes. Die Unterstützung, die ich dem Ministerium, obwohl es nicht alle meine Ansichten verwirklicht, leihe, weil es auf der Bahn des Fortschrittes steht, weil es das Repräsentativsystem ächt darstellt, weil seine auswärtige Politik meinen Beifall hat – meine Unterstützung gründet sich auf innige Liebe für mein
Land und auf das Gesetz der gesunden Vernunft, der besten Führerin des Staatsmannes.“ Lebhafter Beifall von der Linken und dem linken Centrum empfing den Redner, als er schloß.
In der Kammersitzung vom 25 März warf Hr. Berryer in seiner Rede, die – wie das Journal des Débats bemerkt – einen ungewöhnlichen Erfolg hatte, dem Ministerium sein unentschiedenes Benehmen vor. Die Kammer sey in zwei große Fractionen gespalten, wovon die eine der Krone, die andere den Kammern den Vorrang in der Leitung der Angelegenheiten Frankreichs zuerkennen wolle. Das Cabinet habe sich weder für das eine, noch für das andere dieser Systeme erklärt, und deßhelb fehle ihm eine sichere, zuverlässige Majorität. Auf die englische Allianz übergehend, klagt der Redner, sie habe bis jetzt Frankreich nur Unheil gebracht. England sey überall schädlich, hinderlich, feindselig gegen Frankreich gewesen. Abd-El-Kaders Truppen seyen mit englischen Flinten bewaffnet; in Spanien habe der englische Einfluß den französischen verdrängt, im Orient stünden die Interessen beider Länder einander schroff entgegen; England strebe dort nach dem Besitz des rothen Meeres. Ueberall seyen beide Länder Rivalen, und ihre Allianz demnach unmöglich. Der Conseilpräsident Hr. Thiers sagte in seiner Antwort auf den ersten Theil der Rede des Hrn. Berryer, er sey stets ein Anhänger des parlamentarischen Systems gewesen. Der Triumph dieses Systems sey von dem Augenblicke an, wo der König ihn aus den Reihen der Opposition zur Regierung berufen, entschieden worden. Wiederholt erkläre er, daß er ein Minister der Opposition sey. Jener Vorwurf des Hrn. Berryer sey dadurch widerlegt. Auf die angeregte Frage der englischen Allianz übergehend, sagte Hr. Thiers: „Sie glauben wohl, es sey eine Nothwendigkeit meines Ursprungs, eine Nothwendigkeit der Revolution, der ich angehöre, wenn ich vor Ihnen eine Allianz vertheidige, welche ich nicht zu nennen brauche, denn sie ist in aller Mund. Ich glaube, die gegenwärtige Regierung hat volle Freiheit in der Wahl ihrer Alliirten, mehr Freiheit als irgend eine der früheren. Oder glauben Sie, daß die Regierung, um zu leben, sich auf diesen oder jenen Verbündeten stützen müsse? Gewiß nicht. Es gab einmal bei uns eine Regierung, welche hierin nicht frei war, denn sie war nicht durch die Sympathien, durch den Wunsch des Landes ans Ruder gekommen; sie bedurfte einer äußern Stütze, denn sie lebte nur durch auswärtigen Schutz. Eine solche Regierung war nicht frei, war nicht liberal, denn sonst hätte sie keinen auswärtigen Schutz gefunden. Was aber die gegenwärtige Regierung anbelangt, so ist ihr Princip das des Landes, ihre Stärke ist das Land; sie kann Allianzen wechseln, so oft ihr Interesse es erheischt. Die Allianz, welche die gegenwärtige Regierung gewählt, wählte sie nicht, um elendiglich ihr Leben zu fristen, sondern weil sie zwei Dinge wollte: eine gemäßigte Politik und den Frieden. Sie fand dieselbe Politik bei einer Regierung, deren Ursprung mit ihr einerlei Princip hatte; sie schloß eine Allianz, welche ihr erlaubte, dieses Princip gemeinschaftlich in dem Rath der Mächte zu vertheidigen, manchmal mit zwei Stimmen gegen drei, manchmal mit drei Stimmen gegen zwei; mit Würde vertheidigte sie durch diese Allianz die Interessen des Landes. Dieß war der Grund, warum sie dieses Bündniß geschlossen. Wenn es nöthig wäre, von einer Allianz sich zu trennen, von der man behauptet sie sey der Regierung unumgänglich nothwendig, wenn Frankreichs Interesse diese Trennung forderte, würde sie sich trennen, ohne deßhalb geschwächt oder in Gefahr zu seyn, glauben Sie dieß sicher. Sie wähnen, eine Kraft wäre ihr dann genommen. Ich weiß nicht, welche Kraft und will nicht darnach forschen. Gestatten Sie mir nur die Bemerkung, daß die Regierung von 1830 am Tage, wo sie auf den Wunsch des Landes, auf die Wahl sich stützen konnte, auf jene große Kraft sich gestützt hat, welche die Siege von Jemappes, von Zürich, von Austerlitz errungen.“ (Großer Beifall.)
Das Capitole will über Marseille die Nachricht erhalten haben, daß in Tanger ein Aufstand der mohammedanischen Bevölkerung gegen die dort ansässigen Europäer ausgebrochen sey. Die Consuln hätten sich in ihren Häusern verschanzt, und zwei Tage der Todesangst darin verlebt. Einer von ihnen, der auf der Terrasse sich gezeigt, um die Menge zu beschwichtigen, habe eine Kugel in den Kopf erhalten. Das Ministerium, sagt das Capitole, sey von all diesen Details unterrichtet, und Jedermann wundere sich, daß die officiellen Journale darüber strenges Schweigen beobachteten. Die ministeriellen Blätter lassen diesen Artikel unbeantwortet.
Paris, 26 März. Die wichtige Verhandlung, die seit zwei Tagen in der Deputirtenkammer statt hat, wird dazu beitragen, die Geschichte der Juliusrevolution und der seit 1830 erstandenen und noch bestehenden Parteien aufzuhellen, sie wird im Ausland und im Inland nachhallen, selbst wenn das neue Ministerium in dem entscheidenden Kampfe um die geheimen Gelder nicht Sieger bleiben sollte. Thiers hat in seiner Eröffnungsrede, der wohl Niemand das Verdienst einer gewandten Dialektik und der nationalen Farbe absprechen wird, das schlagendste aller Argumente zu seinen Gunsten geltend gemacht: die Unmöglichkeit eines andern Ministeriums, ohne Auflösung der Kammer, ohne zweifelhafte Majorität, ohne alle die Wechselfälle einer neuen Wahl im Gefolge der Zurückweisung des ersten Ministeriums, das aus der Opposition hervorgeht, und dabei so gemäßigt zu seyn verspricht. Die Ueberzeugung seiner Unentbehrlichkeit und des Zwanges der Umstände müssen in dem Ministerpräsidenten sehr lebhaft seyn, denn er hat sie auf das unumwundenste und in allen denkbaren Redeweisen ausgesprochen, sie muß aber auch begründet seyn, wir schließen dieß aus zwei Ursachen, die uns als Vorbedeutung für die endliche Abstimmung gelten, in deren Betreff unsere Ansicht, wie wir sie vor einigen Tagen ausgesprochen haben, unverändert bleibt, nach der zweitägigen Schlacht wie vorher. Erstens, haben die Gegner des neuen Ministeriums, wie man auch die Sache wenden möge, im Moment der Entscheidung, keine genügende Antwort auf die Herausforderungen des Ministerpräsidenten geben können, ihre Redner waren unsicher in Haltung und Wort, und die unerfaßliche Logik des Hrn. Lamartine, der sich als ihr Vorfechter stellte, war nicht im Stande, ihre innerliche Zerrüttung zu heben und ihre Reihen zu festigen; jenem bedeutenden Theile der Kammer, der zwischen den beiden feindlichen Hauptlagern in unbestimmter Haltung hin und her schwebt, stand in diesem Augenblick in drohender Gestalt die Frage vor dem Geiste: haben die 221 irgend ein sicheres Wort, eine erkleckliche Aussicht, daß sie an die Stelle des neuen Ministeriums ein anderes setzen können, das eher eine Majorität, eher das Vertrauen der Wähler besäße? Die Antwort war unbedenklich nein, denn nach so keck hingeworfenem Fehdehandschuh wäre das Selbstbewußtseyn der Herausgeforderten, bestünde ein solches, in nicht minder directen und zuversichtsvollen Ausdrücken zu Tage gebrochen. Mag es daher eine berechnete Taktik von Thiers gewesen seyn, daß er seinen Vorzug bloß negativ stellte, bloß in das kleinere von zwei Uebeln legte, er wird schon aus diesem Gesichtspunkte von manchen furchtsamen Gemüthern genehmigt werden; zudem hat ihm der Theil seines Vortrags, der die auswärtige Politik betraf, und der bei aller Mäßigung dennoch den Sohn der Revolution, wie er sich selbst nannte, unverhüllt
erblicken ließ, manche Freunde in der Kammer erworben, oder gesichert. Zweitens: man dient einem Gönner, einem Freunde nicht wohl gegen seinen Willen. Wenn der König selbst für Hrn. Thiers ist, mit welchem Fug wollten ihn die 221 verwerfen, da sie die Berechtigung zu ihrer systematischen Opposition gerade in einer außerordentlichen Sorgfalt für die Stellung der Krone und die persönliche Selbstständigkeit des Regenten schöpfen wollen! Nun aber scheint uns gar nicht zweifelhaft, daß, für den Augenblick mindestens, Louis Philipp den Sturz des Ministeriums vom 1 März durchaus nicht wünscht, mit den Opponenten gegen die geheimen Gelder nicht einverstanden ist. Der Beweis hiefür liegt in der Sprache, die Vatout, der Bibliothekar, und General Laborde, der Adjutant des Königs, beide die Commensale und Vertrauten des Schlosses der Tuilerien in der letzten Vereinigung der 221 geführt, und in welcher sie sich für die Bewilligung der geheimen Gelder erklärt haben. – Der Redner, welcher der gefährlichste Gegner von Thiers hätte werden können, dessen Talent einen neuen und außerordentlichen Triumph gefeiert hat, ist Berryer. Wer seinen Vortrag auch nicht gehört, wer ihn selbst nicht gelesen und die allgemeine Bewunderung der Zuhörer und der Journale nicht beobachtet hätte, müßte schon aus dem heutigen Artikel des Journal des Débats, der ein Meisterstück von diplomatischem Knickfang ist, ersehen, daß der legitimistische Redner einen tiefen Eindruck auf alle Parteien in der Kammer gemacht hat. „Als endlich, sagt das Journal des Débats, der Redner von der Nothwendigkeit eines Aufschwunges unserer Marine sprach, antwortete ein hochherziger Enthusiasmus (enthousiasme généreux) aller Anwesenden auf den gewandten Enthusiasmus (enthousiasme habile) des Redners.“ Ein enthousiasme habile! eine berechnete Hingerissenheit! ist das nicht das Summum der Bosheit in einer Wortheirath, die freilich die schreiendste aller Mißheirathen ist! Das Wahre an der Sache ist, daß Berryer sich zu seltener Wortgröße und patriotischer Beredsamkeit aufgeschwungen, und wenn gleich die Politik von Thiers, namentlich in Betreff der englischen Allianz und der französischen Marine nicht billigend, gleichwohl dem neuen Ministerium, durch sein der Linken zugewandtes Glaubensbekenntniß bei weitem mehr genutzt als geschadet hat, besonders nachdem Thiers, eben im Gefolge dieser Rede, nicht undeutlich zu erkennen gab, daß er einen Bruch mit England wegen den afrikanischen Interessen zu den möglichen Dingen rechne. Wahr ist ferner, daß diese Rede in dem Munde von Arago oder Garnier Pages nicht übel gestanden hätte, und daß wenn sie einigermaßen mit dem legitimistischen Programm, ja selbst mit den Aeußerungen der so gar „liberalen“ Gazette de France im Widerspruch steht, sie in gleichem Maaße den Conservativen des Journal des Débats zu mißfallen das Unglück haben mußte. Inde ira!