Algier, Anfang Januar. Seit den neun Jahren, daß die französische Fahne auf den Küsten des nördlichen Afrika's weht, hat eine große Anzahl Officiere und Gelehrte von jenseits des Rheins die aufblühende Colonie besucht, theils um das den Eingebornen eigenthümliche Kriegssystem zu studiren, theils um mitten unter Gefahren und Entbehrungen jeder Art friedlichere, doch nicht weniger interessante Untersuchungen anzustellen. Diese edle Sympathie für die Handvoll Europäer, welche hier mit Muth und Ausdauer nach dem Ziele streben, ein fruchtbares Land den trägen und barbarischen Händen zu entreißen, die es unbenutzt lassen, ehrt die Nation, die sie empfindet. Darf übrigens nicht auch Deutschland unter den afrikanischen Ansiedlern, die so lebhaft seine Theilnahme rege machen, mit Liebe und Stolz eine große Anzahl als seine Söhne bezeichnen?Eine ziemliche Anzahl der in Algier angesiedelten Colonisten sind Deutsche.
Die Correspondenz, zu welcher dieser Artikel in gewisser Hinsicht die Vorrede bildet, soll zum Zweck haben, den Gang der Ereignisse in Algerien zu verfolgen. Da es aber unmöglich ist, die Gegenwart richtig zu beurtheilen, ohne gewisse Thatsachen zu kennen, welche der Vergangenheit angehören, so wird es nicht unangemessen seyn, mit einer Uebersicht des früheren Zustandes zu beginnen, die sich übrigens in den engsten Schranken halten soll.
Schon seit langer Zeit schweift die europäische Neugier um den geheimnißvollen Continent von Afrika, einer alten Welt, und selbst in unsern Tagen noch so wenig bekannt! Seit mehr als drei Jahrhunderten waren die Türken schon Herren der Regentschaft, und noch bestand nicht der Schatten einer Vermischung zwischen ihnen und den Eingebornen des Landes; die Bevölkerung, die wir bei unserer Ankunft daselbst trafen, konnte, nach den bestehenden Verhältnissen, in zwei große Classen getheilt werden: die Sieger und die Besiegten. Diese Trennung, welche die Politik geheiligt hatte, wurde durch die Religion noch schärfer, denn wenn auch Türken und Araber auf gleiche Weise den Islam bekennen, so gehören sie doch nicht zu derselben Secte, da die erstern die Meinungen des Imam Abu Hhanifah angenommen haben, während die andern den Lehren des berühmten Malek Ebn Ans folgen. Die Hhanifiten und Malekiten aber (wie sich diese Secten zu Ehren der Gründer ihrer Lehrsätze nennen) hassen sich von ganzem Herzen.
Die Sieger waren fast ausschließlich Türken, und ihre Zahl hält sich ziemlich auf gleicher Höhe durch die Anwerbungen, die zu Konstantinopel, Smyrna etc. gemacht wurden, und die gewöhnlich die Hefe der muselmännischen Bevölkerung jener Gegenden herführte. Dieser privilegirten Classe wurden ausschließlich die Ehrenstellen, Militär- und Civilämter zu Theil. Die Söhne der Türken, die man Kuruglis nannte, genossen schon nicht mehr dieselben Vorrechte. Ihre Väter hatten sie von maurischen oder arabischen Frauen erhalten (denn die türkischen Damen fanden es nicht schicklich, sich in Algier niederzulassen), sie sahen in ihnen schon darum entartete Wesen, weil in ihren Adern das edle Blut der Osmanli sich mit dem der Eingebornen vermischte, und lehrten sie nicht einmal ihre Nationalsprache.
Da aber die Türken, deren Anzahl fast nie 20,000 überstieg, und oft geringer war, nicht ausgereicht haben würden, das ganze Land zu beherrschen, so ersetzten sie die Schwäche ihrer Zahl durch zwei Einrichtungen, deren Wichtigkeit eine nähere Erklärung verlangt. Auf mehreren Punkten des Gebiets, sorgfältig nach politischen und strategischen Gründen ausgewählt, gründeten sie Militärcolonien, die hauptsächlich aus Kuruglis bestanden. Man zeigt in den Umgebungen von Algier diejenige der Männer von Uad el ZeitunUad el Zeitun, der Fluß der Oelbäume., die sich ihren Nachbarn in Folge ihres vorgespiegelten türkischen Ursprungs furchtbar gemacht hatten und einen noch schätzbareren Ruhm erwarben, indem sie ihr schönes Gebiet mit einem Eifer und Geschick anbauten, das Europäern Ehre gemacht haben würde. Außer dieser Art Vorposten war es den Türken gelungen, durch die Bewilligung gewisser Privilegien, die streitbarsten arabischen Stämme in ihr Interesse zu ziehen, und sie hatten sie in topographischer Hinsicht so gut gewählt, daß diese Hülfsmiliz, auf allen Punkten Algeriens verbreitet, ein furchtbares Netz bildete, das in seinen Schlingen die ganze übrige eingeborne Bevölkerung festhielt. Unter dem Namen von Duayer im Westen, Deira im OstenDiese Hülfstruppen erhielten den allgemeinen Namen Makhzen (wovon das französische magasin) oder Reservetruppen. hatten sie also auf allen Seiten bedeutende Reitermassen, die auf das erste Zeichen aufbrachen, und indem sie ihnen verstatteten, die widerspänstigen Völkerschaften von vorn, im Rücken und in den Seiten anzugreifen, sicherten sie ihren militärischen Operationen einen Erfolg und eine Wirksamkeit, die man mit Leuten, die so schnell sich in große Entfernungen und fast unzugängliche Gegenden zurückzogen, nicht anders erreichen konnte. Sie hatten auch Fußvölker der Eingebornen in ihrem Dienst, die man Zuawau nannte, woher der Name Zuaven, den man dem ältesten und besten Regiment gegeben hat, das wir in Afrika besitzen.
Was konnte gegen diese Masse von so engverbundenen Streitkräften das unterjochte Volk thun, das sich in verschiedene Stämme und Parteien theilte, die alle besondere Führer und folglich getrennte Interessen hatten? Der einzige Theil der Bevölkerung, der wegen seiner Tapferkeit und der Schwierigkeit seiner Wohnplätze wirklich zu fürchten war (die Kabylen), trieb die Liebe zur Unabhängigkeit so weit, daß jedes Gebirg, jedes Dorf nach eigener Weise lebte und sich mit seinen Nachbarn nur bei seltenen und feierlichen Gelegenheiten vereinigte. Dieses Geschlecht hat übrigens einen eigenthümlichen Charakter, der die Plane der Osmanli ganz besonders begünstigte. Obgleich mit ausgezeichnetem Muthe begabt, kennt es den Eroberungsgeist nicht und, zufrieden auf seinen unzugänglichen Felsenspitzen seine Unabhängigkeit zu bewahren, bekümmert es sich in der Regel wenig darum, was in der Ebene vorgeht. Die Türken, die klug genug waren, die Schwierigkeit einzusehen, diese wilden Bergvölker völlig und unmittelbar zu beherrschen, verlangten von ihnen nur geringen Tribut, bloß um ihr Hoheitsrecht aufrecht zu erhalten und mit Hülfe der verehrten Marabuts und einflußreicher Häuptlinge dieses Volks, die sie reich besoldeten, erhielten sie dieses Resultat ziemlich leicht.
Was die Araber betrifft, die größtentheils in leicht zugänglichen Gegenden wohnten, und die in Bezug auf kriegerische Tugenden ihren Vorfahren, den unerschrockenen Gefährten von Oqbahet, Cid Abd-Allah, den Eroberern des MorherebMorhereb, die arabische Bezeichnung des nördlichen Afrika's von der Wüste Barka bis zum atlantischen Meere, die südliche Begränzung ist Sahhara., keineswegs gleichen, so übten die Türken über sie fast fortdauernd durch die Colonien der Kuruglis und die in Hülfstruppen organisirten eingebornen Stämme eine unmittelbare Herrschaft aus.Schon die Römer wandten dieses so natürliche Mittel an, die Eingebornen durch die Eingebornen zu besiegen. Eine Inschrift, die Shaw bei Sur el Rhozlan (das Fort der Gazellen) fand, nennt vexillarii equitum maurorum in territorio auziensi praetendentium. Es waren Abtheilungen afrikanischer Reiterei, die als Vorposten dienten, eine wahre Makhzen in der Art, wie die Türken gegen den Anfang des 16ten Jahrhunderts sie errichteten.
In den Städten war die Herrschaft der Türken noch unmittelbarer, weil hier der Besiegte ganz in ihrer Hand war, und außerdem die Mauren und Juden, aus denen hauptsächlich die Bevölkerung der Städte besteht, am wenigsten kriegerisch gesinnt sind.
So trefflich aber in militärischer Hinsicht auch der Staat organisirt war, so schwach war er in Bezug auf Ackerbau, Handel und Gewerbe. Zwar fehlte das Land nicht; auch hatte die alte Fruchtbarkeit Numidiens und Mauritaniens nicht aufgehört, aber die unwissende, träge Bevölkerung, unaufhörlich mit
Erpressungen von Seite des Siegers bedroht, war wenig geeignet, Vortheil aus dem so fruchtbaren Boden zu ziehen, der einst Italien mit Getreide und Oel versorgte. Der Gewerbfleiß, dem der Ackerbau keinen der Rohstoffe liefert, die das Land wohl hätte erzeugen können, und der außerdem noch von wenig geschickten Händen geübt wurde, dem die großen mechanischen Hülfsmittel abgingen, die der Geist der neuern Zeit in Europa so vervielfacht hat – der Gewerbfleiß begnügte sich, mit mehr Geduld als Talent, Kleider, Waffen und einige Geräthschaften zu verfertigen. Der Kleinhandel, der gemeinsam von den Mauren und Juden ausgeübt wurde, konnte nur gering Wichtigkeit erlangen. Der Großhandel hätte ohne Zweifel einen großen Aufschwung genommen durch die Producte, die man aus dem Innern herbeibringen konnte, wenn die häufigen Revolutionen, die geringe Sicherheit der Straßen nach dem Abgangspunkt und die Forderungen des Fiscus bei der Ankunft den Handel mit dem Innern nicht bedeutend reducirt hätten, da der Gewinn sehr unsicher gemacht wurde.
Das war der Zustand des Staats, als die Franzosen die Halbinsel Sidi FeruchDer wahre Name dieser historisch gewordenen Gegend ist Sidi Feredje. Der allgemeine Sprachgebrauch nöthigt, die andere Bezeichnung zu wählen, die eine Verstümmlung der wahren ist. betraten. Es ist klar, daß die Türken allein ein wirkliches Interesse bei der Vertheidigung hatten, da sie allein alle politischen Vortheile besaßen. Ein Gefühl der Eigenliebe, die Verpflichtungen zum heiligen Krieg und vor Allem der Reiz noch reicherer Beute als die, welche der Niederlage der Armee Karls V gefolgt war, konnte wohl für einen Augenblick die übrige Bevölkerung auf das Schlachtfeld führen; aber der geringste Unfall mußte sie wieder in ihre Heimath treiben, denn die Kabylen glaubten, in ihren unzugänglichen Bergen die Franzosen nicht mehr fürchten zu dürfen, als die Türken, und die Araber waren von den Osmanli so zu Boden gedrückt, daß sie eine härtere Behandlung von Seite der Neuangekommenen sich nicht denken konnten. Wirklich ließ die Niederlage von Stauëli fast die ganze unzählbare Masse von leichten Truppen, welche die französische Armee umschwärmten, verschwinden, und bei dem letzten Gefecht, das unter den Mauern von Algier stattfand, bei der Einnahme des Kaiserforts, hatten wir nur türkische Soldaten gegen uns.
Im ersten Augenblick der Besetzung wurden viele Fehler begangen, und das war nicht anders möglich. Die Juliusrevolution hatte unsere Regierung und den politischen Zustand Europa's geändert. Wer wußte damals, was aus Frankreich werden würde, was es aus Algerien machen könnte? Wer kannte überdieß das Land, das der Sieg in unsere Hände gegeben hatte? Hätte man in dieser Hinsicht nur den geringsten Begriff gehabt, man würde gewiß nicht damit angefangen haben, die Türken zu verbannen und sich zum Schützer der arabischen Bevölkerung aufzuwerfen. Das konnte vor dem Sieg als diplomatisches Mittel von Nutzen seyn; aber später, als die Rollen sichtbar vertauscht waren, mußte sich unser Betragen nach diesen Veränderungen modificiren. Denn nun waren die Türken die Besiegten: sie wurden von den Arabern in Maskara ermordet; sie in Tlemsen belagert; ihre Hülfstruppen wurden von allen Seiten angegriffen. Die Gelegenheit war schön, zu unserm Vortheil die Elemente der Herrschaft auszubeuten, welche die Gewalt der Umstände zu unserer Verfügung stellte; aber man kannte den wahren Stand der Frage nicht, und verjagte die Türken und verachtete die Anerbietungen ihrer Hülfstruppen. Dieser Fehler, oder vielmehr dieses Unglück führte nicht allein den Verlust der Mittel nach sich, fast das ganze Land leicht und auf eine indirecte Art zu beherrschen, es schnitt auch plötzlich den Faden aller gouvernementalen und administrativen Verbindungen ab; denn, wie wir es oben gesehen haben, besaßen die Türken alle Aemter. Man fand sich also einer Bevölkerung gegenüber, die man leiten sollte; man sollte der Verwaltung des Landes genügen, und hatte nicht die geringste Idee, was vor unserer Ankunft in dieser Hinsicht geschehen war; ja, die Sachen gingen so weit, daß, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, wenn ein Brunnen aufhörte zu laufen, man nicht wußte, wo man das Röhrenlager suchen sollte, welches das Wasser herführte, um den Schaden auszubessern, denn der Amir el Ayun (Brunnenmeister) war, wie alle übrigen türkischen Beamten, vertrieben worden.
Wenn wir hier die Ausweisung der Türken und die Nichtachtung der Anerbietungen von Seite der Hülfsmilizen beklagen, so wollen wir damit nicht sagen, Frankreich hätte die Regierung und Verwaltung der Osmanen als Muster annehmen sollen, wir glauben nur, man hätte das Militär- und Administrativ-Triebwerk provisorisch beibehalten sollen, bis man sich von dem bisherigen Zustand des Landes hinreichend unterrichtet und sich entschieden hätte, was wir thun wollten, um sie entbehren können. Mit einem solchen System hätten wir ein doppeltes Resultat gewonnen: das Land wäre durch sich selbst regiert worden und wir hätten Zeit gehabt zu überlegen, wie wir später das Land am besten verwalten möchten.
Die Gränzen, die diesem Umriß gesteckt sind, erlauben uns nicht, die Verwaltung der zahlreichen Gouverneurs, die in den neun Jahren auf einander gefolgt sind, im Detail zu prüfen. Doch kann man die verschiedenen Systeme, mit deren Ausführung sie beauftragt wurden, auf folgende Weise zusammenfassen: die unbeschränkte Besetzung, die eingeschränkte Besetzung, die Colonisirung, die rein militärische Besetzung, die Verschmelzung der Araber mit den Europäern, die Unterdrückung der Eingebornen, die unmittelbare Beherrschung, die indirecte Herrschaft etc.
Hätte man gleich im Anfang die Frage richtig gestellt, so hätte man das ewige Schwanken zwischen sich völlig entgegengesetzten Systemen vermieden. Konnte man mit derselben Schnelligkeit, wie unsere Armeen das Gebiet von Algier durchstreiften, das Land erobern, besetzen und es gleich productiv machen, d. h. eine neue Nation erschaffen? Das war augenscheinlich nicht möglich. Algier ist nicht die einzige Angelegenheit, die Frankreich beschäftigen soll, und alle unsere Soldaten, alle unsere Schätze könnten nicht in Afrika verwendet werden. Man mußte also stufenweise vorschreiten, und so die dreifache Frage, die in dem großen Problem enthalten ist, im Auge behalten: als Ziel, die Colonisation, denn das ist das einzige Mittel, das Land zu civilisiren und Producte zu schaffen, welche die Kosten der ersten Besitzergreifung decken und Einkünfte für die Zukunft vorbereiten mußten; als Mittel, aus dem Gesichtspunkt der Politik, die arabische Hülfsmiliz wieder organisiren, die Kabylen durch ihre Marabuts und Häuptlinge im Zaum halten, denen man leichter Pensionen geben als sie bekämpfen kann; in militärischer Hinsicht, einen Kern Colonialtruppen bilden, d. h. solche, die stets im Lande bleiben, um den Verlust an Menschen zu vermeiden, den das Klima jedem neuen Regimente in den ersten Monaten seiner Ankunft beifügt, und um Truppen zu haben, die an die Art Krieg zu führen, die im Lande gebräuchlich ist, gewöhnt und mit dem Lande hinreichend vertraut sind. Und da das Haupthinderniß, in unsern Kämpfen mit den Arabern entscheidende Erfolge zu erhalten, in der außerordentlichen Schnelligkeit ihrer Bewegungungen besteht, während wir stets Wagen und andere impedimenta
nachschleppen, so hätte man Transportmittel einführen sollen, die uns verstatten überall hinzugehen und eben so schnell zu marschiren als die eingebornen Truppen, denn hier vorzüglich führt man den Krieg mit den Füßen.
Diese politischen und militärischen Ideen sind so einfach, die Nothwendigkeit, ihnen in der Praxis zu folgen, entspringt so natürlich aus der Natur des Landes, das man besetzen, der Menschen, die man bekämpfen muß, und aus dem einzigen vernünftigen Zweck, den Frankreich sich hier vorsetzen kann, daß man fast beschämt ist, sie nach einem neunjährigen Aufenthalt noch zur Annahme empfehlen zu müssen. Eben so trivial, wir wissen es recht gut, doch bis auf diesen Tag ebensowenig verstanden, ist die Bemerkung, mit der wir den Aufsatz schließen wollen, daß nämlich die Colonisation unter dem Schutz der Regierung und im Ganzen und Großen ausgeführt werden sollte, statt daß sie jetzt einzeln vor sich geht, und ohne daß die öffentliche Macht sich darum bekümmert. Man sollte nicht dulden, daß die Colonisten sich auf großen Räumen zerstreuen, wo große Entfernungen sie von einander trennen und sie sich keine Hülfe leisten können. Doch dieser letzte Punkt ist viel zu wichtig, um ihm nicht einen besondern Artikel widmen zu dürfen, der die Reihe der Thatsachen vervollständigen wird, die man nothwendig kennen muß, um die Ereignisse gehörig erwägen zu können, deren Schauplatz jetzt Algier ist.