Der
Juhſchrei auf der Halſeralm.
Novelle
aus dem bayeriſchen Gebrigslande
von
Maria Arndts.
Zum BeſteuBeſten armer Kurgäſte von Bad Kreuth.
Dresden 1875.
R. v. Zahn’s Verlag.
Vorwort.
Die folgenden Blätter bieten wohl nichts als einen beſchei-
denen Strauß kleiner, bunter Alpenblumen.
Wie dieſe ohne alle Kunſt des Gärtners auf luftiger, ſon-
niger Höhe ſprießen und erblühen, ſo ſoll auch dieſe Dorfgeſchichte
ſchmucklos, aber treu und wahr, von dem Leben und Fühlen eines
biederen Bergvolkes erzählen.
Kann ſie den Leſer in die glückliche Stimmung verſetzen, in
welcher ſchon ſo Mancher in jener reinen Luft, fern den alltäg-
lichen Sorgen, freier aufathmete, dann hat ſie ihren Zweck er-
reicht.
Und ſo erſchalle denn der fröhliche Juhſchrei als kräftiger,
warmer Alpengruß von der Halſerſpitze weit über Berg und Thal
hinaus, und lade alle Welt ein, mit dem Nahen des Sommers
den drückenden Mauern der Stadt zu entfliehen, und ſelbſt zu
ſehen, wie anmuthig und erquicklich es ſich leben läßt im ſchönen
bayeriſchen Gebirgsland.
Ach! unter den vielen heiteren Geſichtern der Fremden ſieht
man aber auch jedes Jahr ſo manche mitleiderregende von kranken
Armen, welchen durch die Großmuth des Prinzen Karl von Bayern
eine freie Kur in Bad Kreuth gewährt iſt.
Jhnen, als Zehrpfennig bei der Abreiſe in die Heimath, iſt
der Ertrag dieſes Büchleins gewidmet.
Rom, den 3. November 1874.
Jnhalt.
| Seite |
1. Das Dorf im Gebirge | 1 |
2. Der Adlerbauer | 3 |
3. Der Tag vor dem Roaſen (Reiſen) | 6 |
4. Die Alpennachbarn | 8 |
5. Die alte Benediktinerabtei Tegernſee | 11 |
6. Der Königstag | 13 |
7. Schatten und Licht | 15 |
8. Was ein König kann | 18 |
9. Ein königlicher Werber | 21 |
10. Ein Hochzeitsſpiel | 24 |
11. Verſchiedenartiges Nachklingen | 28 |
12. Ein Gewitter im Anzug | 30 |
13. Vor der Auffahrt | 32 |
14. Ein Haberfeldtreiben | 35 |
15. Jm Thal und auf der Alm | 37 |
16. Ein ſchlimmer Beſuch | 40 |
17. Das Echo auf der Halſerſpitz’ | 42 |
18. Aus dem Volksleben | 47 |
19. Der Druck des Geldes | 49 |
20. Die Himmelsnacht | 51 |
21. Ein großmüthiger Plan | 54 |
22. Der vortheilhafte Hausverkauf | 57 |
23. Des Böſen Ende | 60 |
24. Das ſchönſte Feſt | 62 |
| |
1. Das Dorf im Gebirge.
Nichts kann leicht einen freundlicheren Anblick gewähren,
als ein bayeriſches Gebirgsdorf in Mitte des erſten Frühlings-
grün. Alles ſtimmt überein, die ſchmucken ſauberen Häuſer
und die Anmuth der neu erwachten Natur. Zwiſchen üppigen
Wieſen und ſanfte Anhöhen hinan liegen die großen und kleine-
ren Bauernhöfe, wovon einer den andern an Nettigkeit und rein-
lichem Ausſehen überbietet, und ſelbſt die kleinſte ärmlichſte
Hütte bleibt hierin nicht zurück. Die Bauart verräth ſoliden
und doch auch ländlich guten Geſchmack. Die Mauern ſind
weiß oder mit heller Farbe angeſtrichen, wovon die grünen
Fenſterladen beſonders hübſch abſtechen, und die Gläſer der
Fenſter ſind ſo blank geputzt, daß es der Sonne ſelbſt Ver-
gnügen machen muß, ſich darin zu ſpiegeln. Das Haus iſt
entweder ganz oder theilweiſe von einer aus Holz ſinnreich ge-
ſchnitzten Gallerie umgeben, und in einem wohl gepflegten, um-
zäunten Gärtchen fehlt neben den praktiſchen Pflanzen keines-
wegs der Schönheitsſinn, denn neben den Gemüſebeeten ſtehen
Roſen- nndund Fliederhecken; ja, ſelbſt die Fenſtergeſimſe und der
Balkon ſind durch Zierpflanzen geſchmückt, weil die Bäuerin,
obwohl förmlich gebettet zwiſchen Blumen und Blüthen, in ihrer
unmittelbaren Nähe doch noch einige beſondere LiebliugeLieblinge hütet:
gewöhnlich Nelken- und Geranienſtöcke. Ein wohlgeordneter
Holzſtoß darf auch nicht fehlen neben einem anſehnlichen Bauern-
haus. Vor dieſem iſt eine Bank, auf der die Familie am Sonn-
tag Nachmittag ausruht. Der Hausvater raucht ſein Pfeifchen,
die Bäuerin lieſt in einem frommen Buch, das junge Volk aber
hat ſich gar Vieles zu erzählen, wozu unter der Woche wenig
Zeit iſt. Die Hauskatze ſchmiegt ſich behaglich ſchnurrend an
die Bäuerin, und der Hund liegt ſeinem Herrn zu Füßen, und
brummt als Zeichen ſeiner Wachſamkeit, wenn ein Wanderer
vorübergeht. An der andern Seite der Hausthüre ſind auf
einer zweiten Bank, gleich Soldaten in Reih und Glied, die
grünen und braunen Milchſchüſſeln aufgerichtet. Jn der Regel
iſt auch ein Bienenkorb beim Bauernhof, und mit Luſt ſammeln
die ſchwärmenden Bienen den köſtlichen Zuckerſtoff ein, den ihnen
der reiche Blumenflor dieſer üppigen Gebirgsauen verſchwen-
deriſch darbietet. Auf einem Hügel liegen Kirche, Pfarrhof und
Schulhaus, und das freundliche Kirchlein umſchließt der Fried-
hof, wo oft koſtbare Gedenkſteine mit einfachen Holzkreuzen ver-
miſcht ſind; denn nicht ſelten ſuchen reiche aber kranke Leute
Geneſung in dieſer balſamiſchen Bergluft, ach! und nicht allen
kann ſie gewährt werden. Jhnen wird dann Ruhe nach den
Leiden neben der kleinen Landkirche, wo jeden Sonntag der
Pfarrer mit ſeiner Gemeinde für ſie betet, und ihr Grab mit
der geweihten, ſühnenden Fluth beſprengt. Mit welcher Ein-
tracht liegen all’ die SchlnmmerndenSchlummernden beieinander in dieſem ſtillen
von hohen Bergen eingeſchloſſenen Gebirgsthal! Graf, Bauer,
Knecht und Bettler, und kein Unterſchied des Standes oder der
Nation ſtört mehr den Frieden, der ihnen nach den Stürmen
und Mühen des Lebens zu Theil ward.
Das Dorf, auf welches wir eben unſern Blick richten,
liegt nicht fern dem ſo herrlich gelegenen Tegernſee, auch nicht
weit von dem wildromantiſchen Badeort Kreuth, wo ganz be-
ſonders die aromatiſche Luft, in Mitte reicher, duftender Wäl-
der, und in der Höhe von faſt dreitauſend Fuß eine ſo belebende
Kraft ausübt, daß ſchon oft dem Erlöſchen nahe Naturen wun-
derbar aufflammten, und dem Leben wieder neugeſchenkt wur-
den. — Die größere oder mindere Wohlhabenheit der Bauern
hier zu Land unterſcheidet ſich darin, daß ſie, je nach ihrem
Beſitz, halbe, Viertel- oder Sechzehntel-Bauern heißen; einen
ganzen Bauer gibt es auf Stunden weit nur einen. Der
Haupterwerb beſteht in einer prächtigen Viehzucht und in Ver-
wendung der fetten, köſtlichen Gebirgsmilch; Feldbau iſt hier
Nebenſache. Die milchgebenden Heerden ziehen Ende Mai auf
die Niederalpe (Niederläger), wo ſie wegen der oft noch rauhen
Tage bis Juli bleiben, dann werden ſie die ſteilen, beſchwer-
lichen Pfade aufwärts zu den Hochalpen (Hochläger) getrieben.
Vom September an bleiben ſie noch einige Zeit auf den Nie-
deralpen und ziehen dann, war der Sommer für den Alpen-
beſitzer ein glücklicher, mit Blumen- und Laubkränzen geſchmückt,
nach Haus, und ihre Heimkehr iſt alsdann für das ganze Dorf
ein Freudentag, der nicht ſelten mit Spiel und Tanz be-
ſchloſſen wird.
2. Der Adlerbauer.
Jn dieſem blinkenden und wohlhäbig ausſehenden Dorf
fällt uns ſogleich ein beſonders ſtattlicher Bauernhof auf. Nicht
allein das Wohnhaus iſt bei ihm größer als bei den andern
Höfen, auch der Heuſtadel iſt höher und breiter, der Stall
ſcheint Raum für 14 Stück Rinder zu haben und der Garten
iſt mit einem beſonders ſchönen Zaun eingefaßt. Neben dem
Brunnen ſtehen zum Trocknen ein Paar friſch geputzte, mit
glänzenden Metallreifen beſchlagene Milchkübel und mehrere
ebenſo reinliche Holzſchäffel, die zum Tränken der Thiere be-
ſtimmt ſind. Ueberdies graſen auf einer Wieſe hinter dem
Hauſe einige Pferde, bei welchen muntere Füllen ſcherzend ſich
herumtummeln. Wir können alſo nicht zweifeln, daß der Be-
ſitzer ein reicher Mann iſt, wahrſcheinlich ein Halbbauer. Ja,
ſo iſt’s, der Adler iſt der reichſte und vornehmſte Bauer im
Ort. Nahrungsſorgen ſind ſeinem Hauſe fremd. Weil aber
der liebe Gott in eines jeden Menſchen Leben Schatten und
Licht mit väterlicher Weisheit austheilt, ſo ging auch am reichen,
angeſehenen Adlerbauer der Kelch der Schmerzen nicht vorüber.
Drei Kinder verlor er ſchon früh und beweinte ſie mit ſeinem
Weibe, der ſchönen, kreuzbraven Annamarie, dann raffte dieſe
ſelbſt ein hitziges Fieber im ſchönſten Frauenalter dahin, wo-
rüber er kaum zu tröſten war. Aber faſt noch ſchwerer ward
es ihm, als er gar noch den Verluſt des einzigen Sohnes als
Witwer ertragen mußte. Sein Johann, bekannt als der tapfere
Hans, mußte als Soldat in den Krieg ziehen, und kam, wie
ſo viele andere, nicht mehr heim. Ein Kamerad aus dem Dorf war
dabei, wie ihn eine feindliche Kugel augenblicklich todt niederſtreckte.
Dieſer Kamerad brachte ſpäter dem Vater zum Andenken
des Hans ſilbernes Kreuzchen, das er auf der Bruſt trug, und
einen angefangenen Brief in die Heimath, den man in ſeiner
Taſche fand, ach, und dieſer Augenblick hätte den Adler faſt
ſelber das Leben gekoſtet. Beſinnungslos fiel er zu Boden,
man trug ihn ins Bett, wochenlang kehrte nur auf Minuten
die Beſinnung wieder, immer redete er im Fieber von Krieg,
Blut und Leichen, und wie er mitten unter dieſen grauſigen
Dingen ſeinen Hans ſuchen müſſe. Endlich ſiegte doch das
Leben über den Tod, und der Adler fing an zu geneſen. Aber
ach! ein Anderer ſtand auf als ſich niederlegte. Sein Haar
war grau, ſeine kräftige, ſchöne Geſtalt abgemagert und gebeugt,
und als er wieder zum erſten Mal mit müdem Schritt zum
ſonntäglichen Hochamt den Hügel hinauf ſtieg, da ſagte ſo
Mancher: „Der Adler, der iſt um zwanzig Jahre älter gewor-
den. Ein Glück iſt’s, daß er ſeine brave Resl noch hat, er
wäre ſonſt meiner Treu’ bei all ſeinem vielen Geld der Aller-
ärmſte unter uns.“ Als er dann nach dem Gottesdienſt wieder
in ſein Haus kam, holte er ſeines lieben Hans Bruſtkreuz und
den Brief hervor und hängte Beides unter dem Kruzifix an
einem Nagel auf, indem ſeine Thränen wieder auf’s Neue
niederfloſſen und die ſilbernen Knöpfe an der rothen Feiertags-
weſte trübten. O, wie viele Vaterunſer hat der Adler ſeit-
dem vor dem Kruzifix mehr als in früheren Jahren gebetet!
Um den Blick aber jetzt auf etwas Freudigeres zu
lenken, — wer iſt denn jene brave Resl, welche den armen,
vernichteten Mann für ſo viel Leid entſchädigen ſoll? Es iſt
leicht zu errathen, daß die Resl des Adlerbauers noch einziges
Kind iſt, und was für eiuein Schatz! ſein Kleinod, das allein ver-
ſchont blieb unter den vielen Schickſalsſchlägen, die ſein Haus
trafen, und nun ſo lieblich zur Jungfrau erblüht iſt, wie eine
Roſe im friſchen Morgenthau. Daß die Resl das ſchönſte
Mädel weit und breit war, das allein wäre noch ein fragliches
Glück zu nennen, denn ſchon oft brachte die Schönheit einer
Tochter mehr Kummer als Glück in’s Haus; aber ſie war auch,
wie wir ſchon hörten, ſittſam und fromm, und dabei arbeitſam
bis zum ſpäten Abend. Jhr Vater hielt ſo viele Knechte und
Mägde, daß ſie ſich nicht ſo viel zu plagen gebraucht hätte, je-
doch ſie half ihnen bei jeder Arbeit, auf dem Felde und im
Stall, was das Geſinde nicht wenig aneiferte. Am Werktag
trngtrug ſie einen dunkeln Rock und das einfache ſchwarze Mieder,
ohne allen Schmuck, aber dafür waren Schürze, Bruſttüchel und
die kurzen Hemdärmel, welche den vollen Oberarm umſchloſſen,
weiß wie Schnee, was die friſchen Farben des fein geſchnittenen
Geſichtes noch erhöhte. Jhr Gang war leicht, ihre Hand, trotz
aller Arbeit, klein, und ihre Geſtalt zeichnete ſich unter den
übrigen Bauernmädchen als ſchlank und zierlich aus. — Am
Sonntag Morgen, wenn die Glocken zu Amt und Predigt läu-
ten, ja, dann iſt freilich des Adlerbauers Töchterlein ganz anders
gekleidet. Rock und Jacke ſind von geblümtem Wollſtoff und
an den höchſten Feſttagen von Seide. Das ſchwarze Mieder
iſt über der Bruſt mit einer ſchweren, ſilbernen Kette verſchnürt,
rückwärts iſt an demſelben in Spitzform ein bunt ſeidenes Bruſt-
tuch befeſtigt, vorne iſt dasſelbe glatt hineingeſtrichen, und um
den ſpitzen ſchwarzen Filzhut mit breiter Krämpe iſt eine ſtarke
Schnur von Gold mit herabhängenden Quaſten geſchlungen. —
Tritt ſie ſo mit ihrem Vater aus der Hausthüre, ſo richten
ſich Aller Augen auf ſie, und nicht nur die Burſchen haſchen
nach einem „Grüß Gott“ von ihrem Mund, auch die Frauen-
leut’ haben ſie alle gern und klopfen ihr hin und wieder mit
den Worten auf die Schulter: „Nun, Resl, haſt du wieder
fleißig geſchafft die ganze Woch’?“ worauf der Vater mit zu-
friedenem Schmunzeln erwiedert: „Ja, ja, da fehlt nichts,“ und
wenn ſie, was ihr Freude macht, bei einem alten, gebrechlichen
Mütterchen ſtehen bleibt, und mit ihm freundlich plaudert, da
mag ſchon manch ſtolzer Burſche gedacht haben: „ach, könnt ich
nur einen meiner Finger in die welke Hand der Alten legen,
damit auch mich die ſchöne Resl berührt, wenn ſie mit einem
herzlichen: „Behüt Gott“ die zitternde Hand ſchüttelt“. So iſt
ſie der Liebling von Jung und Alt, und darf es uns alſo nicht
wundern, daß der Vater ſich an der Seite ſeiner lieben Resl,
die zudem ſeiner Annamarie auf ein Haar gleich ſieht, über
manches überſtandene Leid getröſtet fühlt.
3. Der Tag vor dem Roaſen.
Das Ueberſiedeln der Heerden auf die Niederalpen (das
Roaſen) iſt kein unbedeutender Zeitpunkt im Bauernkalender.
Wenige Tage nach unſerer erſten Bekanntſchaft mit dem alten
Adler und ſeiner ſchönen Resl fanden die Vorbereitungen dazu
ſtatt, und bei den vier Bauern, deren Alphütten nahe bei
einander liegen: dem Kugelbauer, dem Letner, dem Luxbauer
und Adler, war deshalb verſtärkte Thätigkeit im Haus. Des
Letners treu erprobte DirnMagd.
, die Nandel, iſt wieder die Meiſterin
unter den Sennerinnen; ſeit zwanzig Jahren roaſt ſie auf die
Alm, weshalb ihr der hergebrachte Titel und Rang einer Alp-
meiſterin gebührt. — Am Vorabend des Abzug’s vom Dorf
muß alle ſaure Milch, wie ſie ſagen, ausgekäst werden, und
alles nöthige Reiſegepäck wird auf einen Wagen geladen, mit
dem der Bauer oder ſein Knecht zur Sennhütte fährt. Das
iſt z. B. der große kupferne Keſſel zum Käſen, die Kraxen,
worauf ſpäter der unentbehrlichſte Hausrath zur Hochalpe ge-
tragen wird, und der hanfleinene Sack, welcher der Sennerin
Wäſche, ein zweites Werktagsgewand, die große, weite Sturm-
hoſe und den Wettermantel enthält. Bauer und Bäuerin gehen
noch einmal in den Stall, um Heerſchau zu halten, ſie ſtreicheln
die Glockenkuh, die Dirigentin ihres ganzen Viehſtandes, als
wollten ſie ihr denſelben noch beſonders anempfehlen, und
ſchmeicheln auch noch anderen Lieblingen: dem Schäckl, dem
Blattl u. A. — Zur Glockenkuh wird aber immer diejenige
aus der Heerde erwählt, welche ſich als beſonders lenkbar und
gehorſam zeigt, und mit gutem Beiſpiel vorgehend zeitig und
allein nach Haus kommt. Eine ſolche Läutkuh iſt ſich ihrer
Würde nur zu gut bewußt, und wird ihr wegen irgend eines
Vergehens die Glocke abgenommen, ſo iſt ſie faſt durch keine
Gewalt in den Stall mehr zu bringen. Eben ſo genau weiß
auch die ganze Heerde den Termin des Auszuges, und findet
auch nur ein kurzer Aufſchub ſtatt, ſo ſcharren und ſchreien die
Thiere Tag und Nacht. — Die Bäuerin ſchärft heute der Sennerin
mit beſonderem Ernſt ein, wie ſie fleißig und achtſam ſein ſoll,
und daß ſie’s ja nicht überſehen darf, wenn ſich bei einem Kalb
der Rauſchbrand zeigt. Höre ſie Gutes von ihr, ſo werde ſie
ihr zu Jakobi, wenn ſie ſelbſt einmal hinaufkomthinaufkommt, zu den
weißen Semmeln einige Schmalzkücheln legen, alſo eine große
Gab’ bringen; und der Bauer vergißt nicht beizufügen: „und
hörſt Du, daß Du mir keinen Beſuch von einem Burſchen zu-
läßt, man kennt das ganz genau, ſie ſchwätzen den Mädeln die
Ohren voll und machen ſie verrückt. Aber das iſt leerer Wind:
wer ein braves Mädel freien will, der ſucht es daheim auf vor
aller Welt.“ — Bis nun alle Pflichten des Tages erfüllt, und
alle hergebrachten Gebräuche abgethan ſind, wird es Abend.
Nichts bleibt mehr zu thun übrig, als daß noch die Ketten der
Thiere auf den Wagen vor dem Aufbruch geworfen werden, da
aber dieſer ſchon um 1 Uhr in der Nacht ſtattfindet, ſo wird
heute die Abendſuppe früher als ſonſt gegeſſen, damit noch einige
Stunden zum Schlafen erübrigt werden, was wir denn auch
den Arbeitsmüden von Herzen gönnen.
Wir hingegen wollen noch einen Blick auf das bezaubernde
Bild werfen, das ſich uns an einem ſo freundlichen Abend in
dieſem einſamen Bergthal zur Schau ſtellt. — Die Sonne iſt
im Sinken, im Thalgrund iſt es bereits finſter und auf den
Wäldern lagert nächtliches Dunkel; dagegen leuchtet auf den
Höhen noch die Sonne, und in ihrem Abendſchimmer erglänzt
eben hinter dem Dorfe auf ſteiler Bergſpitze ein koloſſales
Kreuz, das einſt zum Schutz gegen Wetterſchlag und Unglück
errichtet wurde. Das Auge folgt der ſchönen Bergkette, am
Hohlenſtein vorüber, bis zum gewaltigen Planberg, der vielleicht
deshalb vom Volk „Blauberg“ genannt wird, weil ihn oft ein
bläulicher Duft umfließt. Dieſer Felſenrieſe bildet den Ab-
ſchluß des Thales und zugleich die Scheidewand zwiſchen Bayern
und Tyrol, und zwar ſieht er auf der bayriſchen Seite aus
wie ein griechiſcher Berg mitten unter deutſchen, mit Wäldern
und grünen Matten bekleideten Höhen. Nur lang ſtacheliches
Geſtrüpp (Laatſchen) und ſpärliches Gras wachſen auf der ſteilen
Steinwand, welche tiefe, ſchauerliche Schluchten durchfurchen,
worin nur im höchſten Sommer Eis und Schnee bis auf ein
geringes Maaß ſchmelzen. Die mannigfachſten Farben und
Lichter ſpielen auf dem grauen Rücken dieſes Patriarchen und
verleihen ihm einen beſtändig wechſelnden Reiz. Die Krone
ſeiner Schönheit aber iſt die Abendbeleuchtung. Die gelblichen,
fahlen Lichtſtrahlen der ſcheidenden Sonne gehen in einen roſigen
Schimmer über, welcher ſich nach und nach in flammendes Roth
verwandelt, als ſollte der Berg ſammt Eis und Schnee als
Abendopfer verbrennen. Plötzlich zieht ein ſanfter Regenſchauer über
ſein glühendes Haupt, und nun legt ſich ein hell leuchtender Regen-
bogen, gleich einem königlichen Ordensband, auf die graue Felſen-
bruſt, und ſchimmert lange, lange in ſeinen herrlichſten Farben.
Mit welchem Entzücken betrachten wir das impoſante Schau-
ſpiel! aber ach! alles Schöne auf dieſer Erde dünkt uns nur
einen Augenblick zu dauern. Der Regenſchleier zerreiſt, der
Friedensbogen wird blaſſer und verſchwindet, die Purpurgluth
erliſcht, und bald iſt der Planberg gleich ſeinen mächtigen Brü-
dern in Nacht und Dunkel gehüllt. Der Vorhang rollt vor
dem wunderbaren Bilde nieder. — Da ertönt in der ſtillen
Dorfkirche der Glockenruf zum engliſchen Gruß und lenkt unſere
Sinne dorthin, wo allein unvergängliche Herrlichkeit zu finden iſt.
4. Die Alpennachbarn.
Jn der Bauernſtube läuft der Wecker an der großen
Schwarzwälder Uhr mit Geraſſel ab, und gleich darauf ſchlägt
es Mitternacht. Beim Adler-, Kugler-, Letner- und Luxbauer
wird es licht. Wer mitreiſt oder dabei zu thun hat, ſteht eiligſt
auf. Die Abreiſenden bekommen noch Kaffee, und vor wie nach
dem Genuß deſſelben wird vor dem Kruzifix, das in einer Ecke
der Stube hängt, gebetet. Dann werden die Kühe von den
Ketten losgemacht, und nicht lange währt es, ſo hören wir zum
Aufbruch rufen.
Der Adler läßt das Gepäck durch einen Knecht fahren,
eben ſo der Letner- und Luxbauer, nur der Kugler, welcher
keinem als ſich ſelbſt traut, kutſchirt ſelbſt. Die Glockenkuh
eröffnet ſtolz den Zug, ihr folgt die Heerde und dann kommt
die Nandel, die Meiſterin, mit den andern Sennerinnen. —
Der Adler mit der Zipfelhaube auf dem Kopf und die Hände
kreuzweis über den Rücken gelegt, ſteht vor der Hausthüre und
ſchaut mit Behagen ſeinem ſtattlichen Vieh nach; dabei ruft er
dem Kugler noch freundlich zu: „Nun, Jakob, ſchau fein, daß
Du wieder geſund heim kommſt!“ „Ja, Leonhard, bald bin ich
wieder da,“ war die Antwort. „Grüße mir die Resl ſchön.“ —
Dieſer gegenſeitige, vertrauliche Gruß zeigt uns zur Genüge,
daß der Adler mit dem Kugler auf beſonders freundſchaftlichem
Fuß ſteht. Haben ſie doch als Buben ſchon immer zuſammen
gehalten, und ebenſo als erwachſene Burſchen, ſpäter haben auch
ihre beiden Weiber Freundſchaft geſchloſſen und ſich einander
in Freud und Leid beigeſtanden. Da war’s dann kein Wunder,
daß im Laufe der Zeit auch der Kuglerſeppel und des Adlers
Hans Kameraden wurden, und — ſo natürlich es iſt, daß im
Frühjahr der Kukuk ſchreit, im Sommer das Korn reift und
im Winter der Schnee fällt, — ebenſo natürlich war’s, daß
ſich bei dem engen Zuſammenleben der beiden Familien zwiſchen
dem Hans und der hübſchen, luſtigen Kuglerliſi etwas anknüpfte,
was mehr als nachbarliche Freundſchaft war, und daß die bei-
den jungen Leute ein Brautpaar waren, als der Hans in’s
Feld rücken mußte. Als aber der Hans todt geſchoſſen wurde,
hat die Liſi gelobt nie zu heirathen, und wollte von einem
andern Burſchen nichts mehr wiſſen. – Nichts fehlte mehr zur
Hauschronik, als daß der Seppel die Resl freit, und dazu
mangelte keineswegs die Ausſicht. Der Kugler war zwar nur
ein Viertelbauer, allein ſein Anweſen war in gutem Stand,
und „bei Resl’s Fleiß und mit dem was ſie an Geld und Gut
mitbringt,“ dachte der Adler, „kann es noch zu einem anſehn-
lichen Beſitzthum ſich vergrößern.“ Zum Seppel hatte er ohne-
dem eine Art väterlicher Zärtlichkeit, weil er es war, der ihm
Kreuz und Brief vom Schlachtfeld gebracht, und der ihm ſeit-
dem ſchon oft und gar viel aus der letzten Lebenszeit ſeines
Hans erzählte. Auch die Resl war dem Seppel gut, waren ſie
doch ſchon als Kinder wie Geſchwiſter, und dann hatte er ja
ihrem Bruder die Augen zugedrückt, und ſo bitterlich mit ihnen
ſeinen Tod beweint, als wär’s ſein eigener Bruder geweſen, —
das hat ſie nie vergeſſen. Und der Seppel? o, bei dem hat’s
ſchon gar nicht an Luſt gefehlt. Er hätte gern alles drein ge-
ſetzt, um die Resl zu bekommen, und hat ſich denn auch bei
den Burſchen nicht wenig darauf zu gut gethan, daß ihm die
Resl öfters zugenickt, oder ihm gar zum „Grüß Gott“ auch
die Hand bot, während ſie ſonſt mit dem Männervolk ſehr kurz
angebunden, ja oft, wenn einer ſich ihr zu nähern ſchien, faſt
ſtolz ſein konnte. — Jn einer Art iſt aber die Resl doch vom
Hausgebrauch abgekommen, denn, obwohl ſie die Liſi ganz gern
hatte, ſo war doch ihre vertraute Freundin des Letner’s Leni,
ein friſches, reſolutes Mädel, das auch die Mutter früh ver-
lor, und die ganze Wirthſchaft mit Umſicht und Energie führte.
Beſonders gern ging die Resl an Winterabenden in des Letner’s
Haus. Die Mädchen ſaßen dann mit dem Spinnrad auf der
großen Bank, welche den hohen, grünen Kachelofen umſchließt,
und ließen ſich von der Nandel Alpen- und Geiſtergeſchichten
erzählen, worin die Nandel ebenfalls Meiſterin war.
Aus des LnxbauersLuxbauers Haus iſt uns nichts bemerkenswerth,
als daß er einen brauchbaren und ziemlich hübſchen Knecht hat,
welcher aber ſeine Gewandtheit und Schlauheit auch zu böſen
Streichen benützt. Zugleich iſt er ein verwegener Wilddieb;
noch lieber aber als Hirſche und Gemſen hätte er die ſchöne
Resl erjagt, zu welcher er nach ſeiner Meinung wie ein Aug’
zum andern paßte.
5. Die alte Benediktinerabtei Tegernſee.
Der Tegernſee liegt in der Mündung vor einer Thalenge,
durch welche man zur Glashütte, nach Achen und Tirol kommt.
Jn ſeinen reinen Fluthen, wenn ſie eine ruhige, ſchimmernde
Silberfläche bilden, ſpiegeln ſich die Thürme einer einſt mäch-
tigen Benediktinerabtei. Adalbert und Otgar, aus dem fürſt-
lichen Stamme der Agilolfinger, welche nach dem Volksglauben
rieſig geſtaltete Helden waren von 9 Fuß 7 Zoll Größe, be-
riefen in den Jahren 740–750 fromme Mönche in die damals
noch ſchauerliche Wildniß, worin Bären, Wölfe und andere
Beſtien hauſten und für Menſchen den Zugang lebensgefährlich
machten. Aber was haben nicht ſchon in allen Weltgegenden
ſolche Anſiedelungen aufopfernder, ſelbſtverleugnender Mönche zu
Stande gebracht! Nicht Hunger, Durſt und ſonſtige Ent-
behrung, weder erſtarrende Kälte noch verzehrende Hitze, ja,
weder der Kampf mit den Elementen noch mit den wilden
Thieren hinderte ſie, mit unermüdlichem Fleiße große Strecken
Landes urbar und nützlich zu machen. Und doch, ſo ſchwer für
ſie dieſe verdienſtliche Arbeit war, eben ſo leicht wurde oft den
kommenden Geſchlechtern das Vergeſſen, was Jene gethan!
Benediktinermönche des 8. Jahrhunderts alſo, deren Chor bald
eine Stärke von 150 Köpfen erreicht hatte, verwandelten die
Thalwüſte am Tegernſee in eine Landſchaft fruchtbarer, blühen-
der Auen. Es iſt nicht feſt zu beſtimmen, ob die Einweihung
der Kirche im Jahre 746–49 oder 752 ſtatt fand. Unter
Herzog Utilo von Bayern, einem Blutsverwandten der beiden
Stifter, vollzog Biſchof Erimbert von Freyſing die Konſekration,
und zugleich beſchnitten Jene ihr Haar, das ſie nach Fürſten-
ſitte lang trugen, nahmen die Kukulle und legten in die Hand
ihres Oberhirten die Gelübde ab. All ihr Gut weihten ſie dem
Herrn und ſtatteten das Kloſter, das ſchön wie wenige konſtruirt
war, mit Beſitzthum und Gründen reich aus. Mehr als ein-
mal wurde die Kirche durch Brand zerſtört, aber immer wieder
erhob ſie ſich auf’s Neue, ja ſchöner als zuvor, ſo daß ſie zu
den hervorragendſten Gotteshäuſern des Landes gehört. Jn der
Steinkrypta der Oſtung birgt eine Tumba den Leib des hl. Qui-
rinus, welchen die beiden Gründer in Rom geſchenkt bekamen;
und an einer Stelle neben dem See, wo die Ueberbringer der
koſtbaren Reliquie einſt die Theka auf den Boden geſtellt hatten,
entſprang eine Heilquelle, über welche die St. Quirinuskapelle
gebaut wurde. Adalbert übernahm auf den Willen und die
Approbation der bei der Einweihung anweſenden Biſchöfe die
abteiliche Würde, Otgar aber blieb Konversbruder. Da das
Mönchsleben, wie bekannt, neben dem nächtlichen Gebet und
der ſchweren Arbeit auch ernſte Studien und tiefe Wiſſenſchaft
in ſich ſchloß, ſo wuchs die Bibliothek bald zu einem bedeuten-
den Umfang an, und Segen und Gedeihen ruhten ſichtlich auf
dem emporblühenden Kloſter.
Da entſtanden denn nach und nach in der Nähe Anſiede-
lungen, ja bald ganze Ortſchaften, und Alles lebte faſt aus-
ſchließlich von den Beſchäftigungen für das Stift und von deſſen
Wohlthaten.
Elf und ein halbes Jahrhundert genoß die Gegend den
Segen dieſes herrlichen Stiftes. Da ſchlug für Bayern eine
dunkle Stunde, und die Abtei Tegernſee wurde mit vielen andern
Klöſtern aufgehoben. Ueber einen Akt, der ſo tief in das innerſte
Leben des bayriſchen Volkes einſchnitt, zu urtheilen, gehört nicht
hierher, wohl aber die Hinweiſung auf den trüben Schatten,
welchen die Folgen davon auf unſere noch vor Kurzem ſo heitere
Gebirgslandſchaft warfen. Der Erwerb von Hunderten hörte
auf, die Alten und Kranken wurden nicht mehr geſpeiſt, und
die ſonſt glücklichen Dörfer verarmten mehr und mehr. — Da
faßte König Maxmilian J. im Jahre 1817 den Entſchluß, die
Gebäude dieſer Abtei am Tegernſee ihrem damaligen Beſitzer,
einem königlichen Beamten, abzukaufen, um öfters in dieſer an-
muthigen Gegend ſich zur Sommerszeit zu erholen und zu
ſtärken, wodurch die Bewohner dieſer romantiſchen Gauen, ein
gutes und munteres Völkchen, für manches traurige Jahr wie-
der entſchädigt wurden. Nicht nur gab es wieder Arbeit und
Verdienſt in Fülle, indem ſich über den niedergeriſſenen Kloſter-
mauern ein königliches Schloß erhob, und Gartenanlagen und
Promenaden im Thal und zu den Höhen empor in Angriff ge-
nommen wurden; auch durch einen Hauptzug im Charakter dieſes
Fürſten: zu lindern und zu helfen wo es Noth und Elend gab,
floſſen reiche Gaben und Almoſen unter das Bergvolk, ſo daß
es bald keinen Jammer ohne Milderung, keinen Kummer ohne
Troſt mehr gab; und mit kindlicher Liebe hing Alles an dem
königlichen Gutsherrn, den ſie nur „Herr König“ oder „Herr
Vater“ nannten. — Der Menſchenſchlag in dieſem maleriſchen
Theile Bayerns zeichnet ſich nicht allein durch eine ſchöne kräf-
tige Geſtalt und durch Biederkeit des Charakters aus, auch Gaſt-
freundſchaft und Freude an FeſteuFeſten, wie an Uebungen der Kraft
und Geſchicklichkeit ſind hier beſonders zu Haus. Ein Wett-
kampf im Schießen, im Rudern oder im Ringen, das iſt ſo
recht ihre Liebhaberei, und Hochzeiten wie Kirchweihfeſte mit all
den ſinnigen Gebräuchen und lieblichen Nationaltänzen werden
hier ſchöner gefeiert als irgendwo anders. Mit wahrer Herzens-
luſt weilte dann der König mitten unter den dichteſten Volks-
maſſen, und wie er für jede Klage ſeiner lieben Bauern ein
mitleidiges Herz hatte, ſo theilte er dann auch ihre Freuden
aus ganzer Seele.
6. Der Königstag.
Der 27. Mai war des königlichen Gutsherrn Geburts-
tag. Dieſen „Königstag“ feierte das Volk von Tegernſee und
der Umgebung gern auf eine ganz beſondere Weiſe. Dieſes-
mal wollte man ihn durch ein großes Scheibenſchießen ehren,
und da in der Nähe von Tirol jeder Bergbewohner ein Schütze
iſt, ſo konnte es darum nicht leicht etwas Ergötzlicheres für die
jungen Burſchen geben, als gerade ein ſolches Feſt. Schaaren-
weiſe kamen ſie herbei, den Stutzen über die breite Schulter
gehängt, den Hut mit Auerhahn- oder Gemsgeierfedern, mit
friſchen Blumen und fliegenden Bändern geſchmückt, und ſo
zogen ſie, — die Muſik fröhliche Weiſen ſpielend voran, —
zu den Schießſtänden, welche ſich gewöhnlich auf einem großen,
freien Platz befinden, der mit flatternden Fahnen, Tannengrün
und Kränzen geziert iſt, und auf welchem zum Schluß gewöhn-
lich ein luſtiger Tanz ſtatt findet. Ein ſolches Preisſchießen
dauert oft mehrere Tage. Vom Morgen bis zum Abend knallen
die Büchſen, die Berge geben eben ſo knallluſtig Antwort, und
es iſt ein Singen und Jauchzen, Tuſchblaſen und Hüteſchwingen,
daß auch der griesgrämigſte Stubenhocker mit den Fröhlichen
wieder einmal fröhlich ſein muß. — Für die beſten Schüſſe
ſind Geldpreiſe beſtimmt, und je näher der Ring, in den ge-
ſchoſſen wird, dem Zentrum iſt, deſto höher der Preis; für den
Meiſterſchuß aber ſind heute 10 Kronenthaler feſtgeſetzt, und
der freigebige König legte noch drei Karolin dazu. — Schon
zwei Tage währte das Feſtſchießen unter einem Himmel vom
ſchönſten bayeriſchen Blau, und der Tag, an dem geſchloſſen
werden ſollte, brach an. Es iſt recht brav geſchoſſen worden
und nahe bis an’s Ziel, der beſte Schuß aber — der war noch
zu erringen. Da nahm die Aufregung und Hitze der Schützen
immer mehr zu, und auch der Kugler-Seppl zielte ſo ſcharf er
nur konnte, denn er dachte, mit dem Siegespreis müſſe er raſch
noch höher ſteigen in Resl’s Gunſt, und demnächſt werde dann
Hochzeit ſein. — Jn den Adlerhof trat ſchon mit den erſten
Sonnenſtrahlen ein alter Schulkamerad des Bauers ein, der
Holzwaſtel aus der Glashütte, und forderte ihn auf, mit nach
Tegernſee zum letzten Scheibenſchießen zu gehen. Der Waſtel
war eine gar gute, treue Haut, und galt viel beim Adler, ja
ſelbſt mit der Resl, die er wie ſein eigenes Kind liebte, konnte
er wohl ein offenes Wort reden. Der Adler, juſt fidel auf-
gelegt, ließ ſich nicht lange bitten und rief in die Oberſtube
hinauf: „Resl, der Waſtel holt uns ab zum Schießen, zieh’ dich
an, aber fein ſchön, hörſt du, denn gewiß kommt der Herr
König zum Schießſtand.“ „Gleich Vater,“ antwortete eine helle
Stimme, und die Resl, in allen Dingen flink, ſtand bald fix
und fertig vor dem glücklichen Vater und dem Waſtel, der mit
einem kräftigen „Grüß’ dich Gott, liebe Resl!“ ihr die Hand
herzhaft ſchüttelte, und dann — indem er über ſeinen grauen
Schnurbart ſtrich — noch beifügte: „nun, wenn du nicht die
Schönſte beim Feſt biſt, ſo will ich heut’ keinen Tropfen Bier
trinken.“ — Die Resl hatte Rock und Jacke von feinem kar-
moiſinroth getupftem Wollſtoff, die Schürze war von weißem
Batiſt und reich mit Spitzen beſetzt, das Bruſttuch im Mieder,
an welchem eine reiche Silberkette blitzte, war von weißer Seide
mit rothen Blümeln eingewirkt, und in die Goldſchnur auf dem
Hut war ein friſches Blumenbüſchel eingeſteckt. Die ſchönſten
Röſeln aber — die hatte der liebe Gott dem Mädel auf die
Wangen gemalt. — Mit ſchnellem Schritt wanderten alle drei
Tegernſee zu. Jn Egern ſetzten ſie ſich in einen Kahn und
ließen ſich überfahren. Auf jedem Schiff flatterte heute ein
blauweißes Fähnlein, und der See funkelte im Sonnenſchein,
als hüpften lauter goldene und ſilberne Sterne auf ihm herum. —
Wie erfreut war des Kuglers Joſeph, daß die Resl doch noch
kam! und mit Stolz ſuchte er zu zeigen, welche Bevorzugung
er bei dem angeſtaunt ſchönen Mädchen genoß. — Die Resl
ſetzte ſich vergnügt zu den andern Bauernmädeln, und ihr Vater
und der Waſtel thaten noch manchen wackeren Schuß mit. So
verſtrich der Tag in abwechſelnden Freuden; ſchon nahte der
Abend, und die Schützen fingen an müde zu werden. Größere
Gruppen ſaßen beieinander bei einem Krügel Bier und einem
Stück Käs, — horch! da knallt es wieder, und ein Juſchrei,
Jubeln und Tuſchblaſen verkünden, daß endlich das Zentrum
getroffen iſt. Alles ſpringt auf und drängt ſich zum Schieß-
ſtand; aber der Adler und die Resl können vor Lärmen und
Schreien noch nicht verſtehen, wer der Glückliche iſt, und ehe ſie
es erfragen, wälzt ſich das Gedränge auf den freien Platz, die
Spielleute ſtimmen einen „Langaus“ an, und indem jeder Burſche
ſich eine Tänzerin holt, beginnt der ländliche Ball. Sie tanzen
und ſpringen, die Alten und Jungen, und nachdem die Sonne
längſt ſchlafen ging, und auf der leicht gekräuſelten Seefläche
ſchon des Mondes Strahlen ſpielen, drehen ſich noch immer die
jauchzenden Paare um den Feſtplatz.
7. Schatten und Licht.
Wer am folgenden Tag den Namen des Preisträgers von
Tegernſee noch nicht erfahren hatte, der konnte wenigſtens ſehen,
daß es der Kugler-Seppel nicht war, denn dieſer ſchlich mit
verdrießlichen Mienen um’s Haus herum, brummte mit dem
Knecht, und gab der beſorgten Mutter nicht einmal Antwort,
wenn ſie frug, ob er krank ſei. War er allein, ſo ſtampfte er
mit dem Fuß und rief voll Aerger: „mir hat der Meiſterſchuß
entgehen müſſen; mir, dem beſten Schützen weit und breit!
juſtament raufen hätt’ ich mit dem Buben mögen, der gerad’
um ein Haar beſſer geſchoſſen hat als ich.“ — Ja wohl, der
Seppel war ein guter Schütz, aber beim Feſtſchießen hat es
doch noch einen beſſeren gegeben. Ach! leider hat das Glück
im Treffen den Seppl aber auch ſchon öfters zum Wildern ver-
lockt, wozu ihn des Luxbauers Knecht, der Michel, verführte.
Unglücklicher Weiſe kam auch eben jetzt wieder der Michel dem
Seppel in den Sinn, weil er ihm erſt geſtern noch ſchmeichelte
und ſagte, er treffe den Hirſch im Sprung beſſer als irgend
ein Jäger; er ſei wie geboren zum Wildern. Drum wollte
der Seppel den Michel aufſuchen und fragen, ob er keinen
fetten Rehbock auf dem Strich habe, denn er müſſe ſich böſe
Grillen aus dem Hirn jagen. Freilich warnte ihn eine innere
Stimme: „weißt du nicht, daß die Resl einen förmlichen Haß
auf’s Wildern hat?“ Nach kurzem Bedenken aber ſiegte die
Verſuchung, er beſchwichtigte ſich, daß es die Resl nicht erfahren
werde, und ſuchte ſeinen böſen Dämon auf. — Die Kugler-
bäuerin aber war recht betrübt über das barſche Weſen ihres
Sohnes; und vielleicht wäre ſie noch nicht ſo ſehr gekränkt ge-
weſen, hätte nicht ein anderer Kummer ſeit einiger Zeit an
ihrem Herzen genagt. Jhr Alter, der ſonſt ſolide Jakob, fing
an Schnaps zu trinken. Anfangs meinte er, für einen gewiſſen
Druck im Magen ſei nichts beſſer als ein Gläsl Bitt’rer.
Das half auch; aber bald verlangte der Magendruck zwei
Gläſer, und je mehr er trank, um ſo mehr drückte es, und um
ſo mehr mußte er wieder trinken. Warnte ihn ſein Weib, ſo
war er mürriſch, ſpäter wurde er grob, und bald ſtieß er ſie
recht roh zur Seite, wenn ſie ihm die Flaſche nehmen wollte.
Ach, wie ſollte das enden! ſonſt lebten ſie ſo gut mit einander,
und jetzt gab’s ſo oft Zank und Streit. „Wäre nur erſt die
Resl im Haus,“ dachte das arme Weib, „dann würde alles
wieder gut werden, der Jakob hat ſie ſo lieb, daß er ihr zu
Gefallen gewiß das Trinken und damit das böſe Weſen auf-
giebt. Wenn doch lieber heut als morgen Hochzeit wäre!“
Ganz anders war der Wetterſtand beim Adlerbauer. Der
gute Waſtel war über Nacht dageblieben, und wollte erſt heute
in die Glashütte zurück. Jhm zu Ehren wurde Kaffee gekocht
und als dieſer getrunken war, plauderte man und unterhielt
ſich über das prächtige Feſtſchießen. Beſonders freuten ſich die
beiden alten Kameraden, indem ſie ihr Pfeifchen rauchten, daß
ſie trotz ihrer unſicheren Hand doch noch ins Schwarze trafen.
Dann ergingen ſie ſich ohne End’ in Lob über den König, den
guten Maxl, und ergänzten gegenſeitig in Beiſpielen, wie herab-
laſſend er wieder mit dem Volk redete, und wie er mehrere
dürftig Ausſehende in ſein Schloß beſtellte, natürlich um wieder
mit vollen Händen ſie zu beſchenken. — Die Resl erzählte da-
gegen, was für nette Mädeln ſie kennen lernte, wie ſie der
Tanz gefreut, und ſagte, ſie wünſche nur, daß dies nicht das
letzte Feſt geweſen ſei, ſo lang der König in Tegernſee bleibt.
Daß dem Kugler Joſef der Meiſterſchuß nicht gelang, machte
ihr keinen Kummer, bis auf Einen iſt es ja hundert Andern
auch nicht gerathen, und überhaupt war ſie nicht ſo ehrgeizig,
als der Seppel nach ſeiner eigenen Beſchaffenheit meinte. End-
lich ſtand der Waſtel auf, um zur Mittagszeit zu Haus zu
ſein, ſchüttelte dem Leonhard und der Resl die Hand und fragte
dieſe: „Nun Resl, ſchickſt du mir nicht bald einen Hochzeits-
lader?“ „Schweig’ ſtill, Waſtel, beim Vater geht’s mir viel
zu gut,“ war die Antwort. „Das grad thät’ mich ſonſt frei-
lich freuen, Resl,“ ſagte der Adler, „daß du noch gern bei mir
bleibſt, wär’ mir nur um den Seppel wegen dem langen Zu-
warten nicht ſo leid.“ „Nun, weißt du was“, ſagte zum Schluß
der Waſtel, „über den Winter bleibſt du noch daheim, aber
heute über ein Jahr mußt du eine Frau ſein, das bitt’ ich mir
aus.“ „Ei, da müßt ſchon noch was ganz Beſonderes ge-
ſchehen,“ erwiederte die Resl ſchalkhaft, „was noch gar nicht da
war, und was ich mir ſelber gar nicht denken kann, ſonſt mußt
du dich ſchon noch länger gedulden, bis du auf meiner Hochzeit
tanzen kannſt.“ „Nun, ſo ſoll halt bald was recht Beſonders ge-
ſchehen,“ wünſchte ihr der Waſtel, und mit dem Abſchiedsgruß:
„hehüt’behüt’ Gott, bis wir uns einander wiederſehen,“ ſprang er zum
Haus hinaus, und ein luſtiges Schnadahipfel pfeifend, wanderte
er wohlgemuth der Glashütte zu.
8. Was ein König kann.
Sonderbarer Weiſe iſt es dem König eben ſo ergangen
wie der Resl; auch er hatte ſich beim Feſtſchießen ſo gut unter-
halten, daß er bei ſich beſchloß, recht bald wieder ein ländliches
Feſt anſagen zu laſſen. Bei ſolcher Gelegenheit, dachte er, lerne
man dieſes prächtige Volk am Beſten kennen, und ſeine unge-
wöhnliche Kraft zeige ſich da im ſchönſten Lichte. Am Meiſten
neigte ſich ſein Sinn zu einer der verſchiedenen Arten von Wett-
ringen. Einer der beſchwerlichſten Kraftmeſſer war das ſoge-
nannte Ziegelſteintragen. Jeder Burſche trägt mit abwärts-
gezogenen Armen in jeder Hand einen Ziegelſtein. Nicht ſelten
entſteht dadurch Krampf in den Händen, ſo daß der Träger,
ohne es zu fühlen, den Stein fallen läßt, und nun zu großer
Beluſtigung der Zuſchauer, in der Meinung, er trage den Stein,
ohne denſelben das Ziel zu erringen ſucht.
Maleriſcher und poetiſcher iſt das altherkömmliche See-
rennen, wobei die Burſchen ihre Kraft im Rudern und ihre
Geſchicklichkeit im Lenken der Schiffe zeigen können. Tegernſee
gegenüber liegt der Ort Abwinkel. Dort warten auf den Knall
eines Böllerſchuſſes 30 und noch mehr Schiffe, welche mit
Blumen und flatternden Fahnen geſchmückt ſind. Jſt der Schuß
erfolgt, ſo ſetzen ſich mit einemmal die für dieſen Tag beſon-
ders hübſchen Ruder in Bewegung, und nach dem Geſetz der
vorgeſchriebenen Ordnung fliegen die Schifflein dem Ziel und
dem Preis entgegen. Die gewöhnliche Fahrzeit von einer halben
Stunde wurde ſchon in 10 Minuten dabei zurückgelegt, und
der Preisträger ſprang jubelnd unter dem Zujauchzen des Volkes
an’s Land. Was ſollte nun der König wählen?
Am nördlichen Ufer des See’s liegt die große Meierei
Kaltenbrunn, einſt ein Burgbeſitz der Erbmarſchalken der ge-
fürſteten Abtei Tegernſee. Dieſen Hof ſammt Alpenweiden,
Feldern und Gehölz hatte der König angekauft, und dort eine
Villa in ländlichem Geſchmack erbauen laſſen. Gegen Abend
fuhr er gerne dorthin, oft auch in Begleitung ſeiner Familie
und fremder Gäſte, und Letzteres war auch heute wieder der
Fall. Als die Herrſchaften in Kaltenbrunn ausgeſtiegen waren,
kam eben eine Sennerin daher und rief dem König in der
dort gewöhnlichen Gutmüthigkeit zu: „Guten Abend, Herr Nach-
bar!“ Der König, etwas frappirt, fragte: „Wie ſo, Herr Nach-
bar?“ Darauf das Mädchen: „Enka Alm und mein Alm
ſtoßen aneinander, alſo ſeids ös ja wohl mein Almanachbar“.
Der König freute ſich über die herzhafte Sprache und ſagte:
„Du haſt Recht, Mädchen, wir ſind Nachbarn, beſuche mich,
wenn ich mit der Königin auf die Königsalpe fahre.“ Als ſie
nun am Abend auf dem Balkon ſaßen, und verſenkt waren in
das herrliche Bild, — vor ſich den glänzenden Seeſpiegel, zu
beiden Seiten die von der untergehenden Sonne beleuchtete
Bergkette und im Hintergrund den fernen, majeſtätiſchen Plan-
berg von 6300 Fuß Höhe mit ſeinen magiſchen Lichtern, —
da kam dem König ein eigenthümlicher Gedanke: er wollte, daß
die Königin und ſeine Gäſte einmal die Feier einer echten Ge-
birgshochzeit ſehen, bei welcher Gelegenheit die verſchiedenen
Typen und Trachten der umliegenden Gauen ſich in ihrem
vollen Reiz und Glanz entfalten konnten. — Er erkundigte ſich,
ob in nächſter Zeit keine Hochzeit gehalten werde, und da ſeine
Frage verneint werden ußtemußte, ſo beſchloß er, einen ſolchen
Brautzug, den Hochzeitsſchmaus und Tanz ſammt allen üblichen
Gebräuchen in Tegernſee feiern zu laſſen, ohne daß das Braut-
paar ſich wirklich heirathet. — Dieſer köſtliche Gedanke erregte
allgemeine Freude, und ſchon am kommenden Tag ſollten die
Vorbereitungen zur Ausführung getroffen werden.
Jn den früheſten Stunden des nächſten Morgens, — um
5 Uhr ſtand der König gewöhnlich auf, — erging der Befehl,
daß das ſchönſte Mädchen und der ſchmuckeſte Burſche der Um-
gegend als Brautpaar ausfindig gemacht werden ſollen; ebenſo
ſuche man eine nette Brautjungfer, eine ſtattliche Ehrenmutter,
einen noch kräftigen Ehrenvater, witzige Hochzeitsſprecher und
hübſche Hochzeitslader. Eine Anzahl guter Spielleute ſollen ſich
fleißig einüben, und nach Gmund, Schlierſee und Miesbach laſſe
man durch die Landgerichte Einladungen an Bürger- und Bauern-
familien ergehen, denn in acht Tagen müſſe das Feſt ſtattfinden.
Weiter hieß es, daß im Gaſthaus das Mahl gekocht werden
ſolle, damit es ja im Geſchmack der Landleute ausfällt, zugleich
ſei auch beim Wirth der Verſammlungspunkt. Von dort habe
der Hochzeitszug durch die geſchmückte Straße ins Schloß zu
ziehen, wo dann Mahl und Tanz in herkömmlicher Weiſe ge-
halten werden. Sei aber die Braut oder der Bräutigam viel-
leicht arm, ſo müſſe auf des Königs Koſten ein ſchöner Anzug
eiligſt angefertigt werden; denn vom Sparen dürfe bei der
ganzen Sache überhaupt keine Rede ſein. — Ein prüfender
Rath hatte zu beſtimmen, wer das ſchönſte Mädel und der
ſauberſte Burſche der ganzen Gegend ſei. Das Erſtere bedurfte
nun keiner langen Ueberlegung, denn ſogleich wurde einſtimmig
als die Blüthe der Jungfrauen des Adlerbauers Resl erklärt.
Wer ſollte aber ihr Bräutigam ſein? Das war ſchon ſchwie-
riger. Jn der Heimath der Resl war allenfalls des Letner’s
Leni eine ganz hübſche Kranzeljungfer, aber ein Burſch war
nicht dort, welcher auch nur einigermaßen an die Seite der
ſchönen Resl gepaßt hätte. Man muſterte mit Namen und
Perſonalbeſchreibung die ganze junge Männerwelt, aber Niemand
fand ſich, der einer ſolchen Braut würdig war. Nach einer
kleinen Pauſe ſtand der Schmied von Gmund auf und rief leb-
haft, er wiſſe jetzt den Rechten. Der Wiesbauer Franzel, der
ſei unter den Burſchen eben ſo ſchön, wie die Resl unter den
Mädchen und kein Anderer dürfe ihren Bräutigam vorſtellen.
Zwar ſei er arm, wohne mit ſeiner kranken Mutter in einem
kleinen Haus, und eine Kuh und ein hübſcher Wieſenfleck ſeien
ſein Hab und Gut. Aber der Burſche ſei fleißig und brav,
ſein Ruf muſterhaft, und da des Königs Großmuth für die
nöthige Ausſtattung ſorge, ſo könnten alſo dieſe Nebenumſtände
kein Hinderniß ſein. Es erklärten ſich hierauf auch alle zu-
frieden. Nach dem Wunſche des königlichen Gebieters wählte
man noch einen Ehrenvater und eine Ehrenmutter, — ein
ſauberes, ſtattliches Wirthspaar, — ebenſo die übrigen nöthigen
Perſonen, und nach einer Stunde ſchon wurden die königlichen
Boten nach allen Enden hinausgeſchickt, um die Hochzeitsleute
einzuladen.
9. Ein königlicher Werber.
Es war ein warmer Junitag, und der Adler ſaß in Hemd-
ärmeln im kühlen Schatten und rauchte. Die Resl aber in
ihrem einfachen Arbeitsgewand kniete im obern Stock auf der
Fenſterbank und wuſch und putzte die Fenſtergläſer wieder ein-
mal, obwohl kein Stäubchen daran zu ſehen war, ja, mit einer
Emſigkeit that ſie alles, als ſollte morgen im Hauſe Hochzeit
ſein. — Plötzlich ſieht der Adler einen königlichen Boten zu
Pferd von Tegernſee kommen. „Wohl eine Beſtellung in’s
Bad“, dachte er. „Aber wie, blendet mich die Sonne nicht? er
reitet in’s Dorf, und lenkt zu meinem Hof ein, was hat das
zu bedeuten?“ Der Bote ſteigt ab, bindet ſein Roß an einen
Baum, und nähert ſich dem erſchrockenen Bauer, der ſeine
Pfeife weglegt und raſch aufſpringt. „Bin ich wohl recht, iſt
dies der Adlerhof?“ „Ganz recht, Herr, das iſt mein Haus,
und ich, mit Verlaubniß, bin der Adler.“ „Schön, das freut
mich, daß ich’s gleich ſo traf. Jch habe an Euch einen Wunſch
Seiner Majeſtät des Königs zu beſtellen.“ Bei dieſen Worten
ſchüttelte es den Adler förmlich vor lauter Ehrfurcht. „Was
kann von mir der Herr König zu wünſchen haben?“ frug er
mit bebender Stimme, „ich ſchenk’ ihm ja gern Haus und Hof.“
„O, ſo viel wird nicht begehrt,“ erwiederte der Bote, dem
Bauer auf die Schulter klopfend; „Jhr ſollt nur Seiner Majeſtät
etwas zu Gefallen thun: ich komme nämlich um zu werben um
Eure Tochter.“ Die Resl, die ſich bis dahin in ihrer Arbeit
nicht irre machen ließ, erſchrak nun auch und wurde aufmerk-
ſam. „Meine Theres“, ſagte der Adler, „kann doch keinen vor-
nehmen Herrn heirathen; ſie iſt ja nur ein Bauernkind.“ „Das
ſoll ſie auch nicht,“ war die Antwort; „aber kommt, ſetzen wir
uns, dann will ich Euch alles klar machen.“ — Nun erzählte
er den ganzen Plan des Königs, und wie die Jungfer Theres
erkoren wurde, die Braut vorzuſtellen. Mit ſichtlicher Vater-
freude ſagte darauf der Adler: „Ja, das iſt freilich eine be-
ſondere Sach’, und ich glaub’ ſelber, daß meine Resl keine üble
Braut ſein wird, aber ich muß doch dem Mädel einmal rufen.
Resl, komm herunter!“ Die Resl, welche der Erzählung mit
entſchieden weniger Luſt zugehört hatte, als man hätte glauben
ſollen, warf ihre naſſe Schürze weg, kam ſchnell herunter, und
ſtellte ſich mit einem knapp gemeſſenen Gruß gegen den Frem-
den vor ihren Vater. Dieſer nahm ſie bei der Hand und
ſagte: „Resl, der Herr König will, daß du bei einem großen
Feſt eine Braut vorſtellſt.“ „Jch hab’ alles gehört, Vater,
aber aufrichtig geſtanden, macht’s mir keine Freud’, und wär’s
mir lieber, wenn ſie ein anderes Mädel nehmen würden.“ „So,
warum denn Resl?“ „Weil’s mir grad’ wie eine Komödie
vorkommt, und weil ich mir vorſtellen kann, wie recht viele
Leut’ zuſammen kommen, die mich dann den ganzen Tag an-
ſchauen und von mir reden, und der Vater weiß ja, das iſt
nicht meine Sach’.“ „Es iſt recht lobenswerth, liebes Kind,“
ſagte der Tegernſeer, „daß Jhr nach ſolchen Dingen nicht ver-
langt, aber ich fürchte, Seine Majeſtät wird es übel vermerken,
wenn ſein Begehren abgeſchlagen wird.“ „Beileib!“ fiel der
Adler lebhaft ein, „wir geben ja unſer Leben für unſern guten
König, und die Resl wird gewiß noch Ja ſagen.“ Nach kurzem
Bedenken ſagte ſie denn auch mit kleinlauter Stimme: „wenn’s
halt der Vater und der Herr König haben wollen, ſo ſag’ ich
in Gottes Namen Ja. Ganz gewiß werd’ ich mich aber recht
ungeſchickt anſtellen.“ „O, das iſt nicht zu fürchten“, meinte
der Fremde, „im Punkte des Heirathens ſind alle Frauenzimmer
äußerſt gelehrig. Jch danke alſo für die Zuſage; nächſten Sonn-
tag nach der Kirchenzeit kommt der geſchmückte Hochzeitswagen
hierher, und holt die Braut, ihren Vater und die Braut-
jungfer, des Letners Tochter, zum Feſte ab.“ „Die Leni?“ rief
die Resl mit erheitertem Geſicht, „Gott ſei Dank, dann iſt doch
eine Perſon dabei, die ich kenn’, und die ich gern hab’!“ „Und
wenn Jhr ſie vielleicht ſtatt meiner einladen wollt“, fuhr der
Bote fort, „ſo bin ich dieſer Mühe überhoben, was mir ganz
recht wäre.“ „Von Herzen gern, Herr“, ewiederte die Resl
freudeſtrahlend, „ſo wie ich mit meiner Arbeit fertig bin, will
ich’s der Leni gleich ſagen.“ „Vortrefflich“, ſagte der Fremde,
„ſo kann ich gute Botſchaft zu Hof bringen.“ „Nur Eines,
Herr“, murmelte der Adler etwas verlegen, „möchte ich noch
fragen, wer iſt denn der Bräutigam?“ „Jhr habt volles Recht,
danach zu fragen“, war die Erwiederung. „Der Bräutigam iſt
der bravſte Burſch der ganzen Gegend, und ein Preisſchütze
dazu, denn er hat beim letzten Schießen den Meiſterſchuß ge-
macht. Ueber den ſeid nur ganz ruhig.“ „Ja, ja“, meinte
der Adler, „ich bin darüber ſchon ruhig, aber ich möcht’ nur
nicht“, — „daß aus dem Spiel Ernſt wird“, ergänzte der Bote,
„ich verſtehe Euch, nicht wahr? ſeid aber unbeſorgt, nach dem
Feſt iſt Eure Tochter ſo frank und frei wie heute, und der
Burſche braucht Euch gar nichts mehr anzugehen.“ „Nun, dann
iſt alles in Ordnung“, warf der Alte ein, „indem er ſich ver-
gnügt die Hände rieb. „Weißt du, Resl, es iſt ja nur ein
G’ſpiel.“ „Freilich Vater iſt’s nur ein G’ſpiel, ſonſt möcht’ ich
wahrhaftig nicht dabei ſein.“ „So gehabt Euch wohl, bis zum
Feſt!“ und mit dieſen Worten ſchwang ſich der Abgeſandte auf’s
Pferd, und im Schnelltrab ging’s nach Tegernſee zurück.
Der Werber beim Bräutigam hatte anfangs mit ähnlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Franzl meinte, er ſei ja ein
armer Burſch, und denke an kein Heirathen; werde ſich auch
gar nicht zu benehmen wiſſen, und überdies habe er gar kein
ſchönes Gewand. Nachdem er aber endlich über alles beruhigt
wurde, verſprach er, am Sonntag, und zwar in aller Frühe,
nach Tegernſee zu kommen. Die andern Boten kamen mit der
gleichen zuſagenden Antwort zurück, und ſo war denn gegrün-
dete Hoffnung, daß nach des Königs Wunſch das Feſt in vollem
Glanz gefeiert werden würde.
10. Ein Hochzeitsſpiel.
Die Feſttagsſonne vergoldete mit ihren Frühſtrahlen Berge
und Fluren, und verkündete hiemit einen herrlichen Tag, wie
das gewöhnlich der Fall war, wenn König Max etwas unter-
nahm. Schon am Abend vorher waren vornehme Gäſte am
Schloß abgeſtiegen, und auch ſonſt waren viele Herren und
Damen aus der Reſidenz zum Feſt gekommen, welche man
theils im Gaſthaus, theils in Bauernhäuſern untergebracht hatte.
Noch größere Schaaren aber zogen ſeit der erſten Morgenſtunde
aus allen umliegenden Ortſchaften in ihrem ſchönſten Feſttags-
gewand herbei, und ſchon wogte eine bunte Menge von Städtern
und Landleuten durch die mit Fahnen und Laubgewinden ge-
ſchmückte Straße, durch welche der Hochzeitszug zum Schloß
ziehen ſollte. Dort aber waren die Hoflakeien beſchäftigt, nach
Angabe eines Tegernſeer Bürgers den zu Mahl und Tanz be-
ſtimmten Saal beſtmöglichſt zu ordnen und herauszuputzen.
Die üblichen Feſt- und Segensſprüche in Frakturſchrift prangten
in Blumenrahmen an der Wand, abwechſelnd mit großen Krän-
zen, um welche verſchiedenfarbige Bänder geſchlungen waren,
und eben überlegte man, wie die Guirlanden aus Feldblumen,
Alpenroſen und duftenden Blüthen aus dem Schloßgarten ge-
ſchmackvoll anzubringen ſeien. Die Tiſche waren, je nach der
Rangordnung der Hochzeitsgäſte, gedeckt und geſchmückt, und den
Brauttiſch zierte natürlich der größte der Blumenſträuße. Jm
Wirthshaus dagegen entwickelte ſich der praktiſche Prunk des
Feſtes. Nachdem eine koloſſale Menge von Bratwürſten fertig
war, bemühte man ſich mit Beihilfe einiger königlichen Küchen-
jungen die verſchiedenen Braten zu ſalzen und zu ſpicken, um
ſie im gegebenen Moment an den Bratſpieß zu ſtecken, und ein
mit Bierfäſſern voll beladener Wagen wurde eben zum Schloß
gefahren. Einzig nur der ſonntägliche Gottesdienſt brachte einige
Ruhe in die allgemeine Aufregung, die heute allerwärts herrſchte;
kaum war aber dieſer beendet, ſo ſtellten ſich auch ſchon in ver-
mehrter Menge die Zuſchauer zu beiden Seiten der Hauptſtraße
auf. – Mit einemmal ertönte der Ruf: „die Braut kommt!“
und in der That fuhr ein reich gezierter Wagen mit der Braut
und ihrer Begleitung am Schloß vorüber und die Straße
herauf. „Ein wunderſchönes Mädchen! ein blitzſauberes Mädel!
ein ſakriſches Dirnd’l!“ ſo hörte man bald da, bald dort ſagen.
Am Gaſthaus, wo alle Uebrigen ſchon verſammelt waren, hielt
der Wagen, und die liebliche Braut betrat mit ihrem Vater und
der Brautjungfer, auch einem bildhübſchen Mädchen, den Ver-
ſammlungsſaal. — Obwohl die Resl wußte, daß alles nur ein
G’ſpiel iſt, ſo ſuchten doch ihre Augen mit Beklommenheit den-
jenigen, welcher bis zum Abend ihren Bräutigam vorſtellen
ſollte, und kaum getraute ſie ſich ihn anzuſehen. Beim Feſt-
ſchießen hatte ſie ihn nur flüchtig geſehen, denn bald, nachdem
er ihr als Preisſchütze gezeigt wurde, ging er fort, und nahm
am Tanzen keinen Antheil. Nicht viel weniger verlegen war
der Franz, denn gegen ihn war ja des Adlers Resl gar vor-
nehm und hoch. Glücklicherweiſe aber wurden nun die beiden
jungen Leute dadurch über ihre Verlegenheit hinweg gebracht,
daß drei Böllerſchüſſe das Beginnen des Feſtzuges ankündigten.
Zwölf luſtige Muſikanten mit dem üblichen Rosmarin-
ſtrauß auf dem Hut eröffneten den Zug. Mit Gebirgsſchwegeln,
die mit bunten Bändern geſchmückt waren, und mit andern
Pfeifen und verſchiedenartigen Jnſtrumenten ſpielten ſie fröhliche
Nationalweiſen. Dann folgten paarweiſe die geladenen jungen
Leute, lauter ausgewählt ſchöne Geſtalten und hübſche Geſichtchen.
Die Burſchen, trugen ihre kurzen ſchwarzen Hoſen von Tuch
oder Sammt, welche das kräftige, gebräunte Knie ſehen laſſen,
die weiß wollenen, mit grüner Seide durchwebten Strümpfe,
feine Joppen, und die ſpitzen, ſchwarzen Filzhüte, die mit Ros-
marin, Hahn- und Geierfedern geziert waren. Die Mädchen
kleidete die ohnehin ſchmucke Tracht heute beſonders hübſch. Rock
und Jacke waren von lebhafter Farbe und mit Blumen oder
Laubwerk eingewirkt, die Schuhe ausgeſchnitten und mit einer
farbigen Bandſchleife aufgeputzt, und die Strümpfe ſchimmerten
weiß wie Schnee. An der fein gegliederten Silberkette, womit
das feſte, ſchwarzſeidene Mieder vorne verſchnürt iſt, hingen
verſchiedene Münzen, auch wohl welche von Gold, und das
Bruſttuch war von ſchwerer, bunter Seide. Auch hatte ein
jedes der Mädchen ein Hochzeitsſträußchen angeſteckt und ein
Kränzlein auf dem Hut.
Zwiſchen dieſen jugendlichen friſchen Paaren tummelten ſich
der Hochzeitlader und die Hochzeitſprecher mit ihren Späßen
und drolligen Liedern herum. Dann kam das überraſchend
ſchöne Brautpaar. Die Braut hatte Rock und Jacke von glän-
zend blauer Seide, im Mieder einen großen Blüthenſtrauß aus
dem Schloßgarten, und in ihrem reichen, braunen Haar trug ſie
einen Myrthenkranz. — Des Bräutigams Anzug war ſo fein
und hübſch, daß er von allen andern ſich unterſchied. Auch der
Franz hatte ein Sträußchen im Knopfloch und ſein Hut war
mit Blumen und reichem Federſchmuck verziert. — Dem Braut-
paar reihten ſich noch die Ehreneltern in prunkendem Gewand
und die Verwandten an, und den Schluß bildeten die übrigen
geladenen Gäſte in feſtlicher Kleidung.
Als der Zug ſich dem Schloß näherte, wo die Herrſchaften
an den Fenſtern verſammelt waren, ſchwenkten die Burſchen
ihre Hüte und grüßten in ihrer Landesart zu den Zuſchauern
hinauf, und dann zogen ſie alle mit Sang und Klang in den
Feſtſaal ein.
Schnell waren die Tiſche je nach ihrer Ordnung beſetzt,
die dampfenden Schüſſeln mit Knödeln, Würſten, Schmalznudeln
und Braten verſchiedener Art wurden aufgetragen, die Krügeln
mit bayriſchem Gerſtenſaft gefüllt, und nach Bedarf wieder ge-
füllt, und ſchon in kurzer Zeit trat an die Stelle der früheren
Aengſtlichkeit und Verlegenheit eine ſo ungezwungene Heiterkeit,
daß es wirklich ſchwer zu denken wurde, daß es keine wirkliche
Hochzeit war. Am Liebſten betrachtete man das Brautpaar,
deſſen gegenſeitiges Benehmen ſo natürlich vertraut, und doch
auch wieder ſo beſcheiden und angemeſſen war, daß ſich allge-
meines Wohlgefallen darüber ausſprach. — Als ſich die Fröh-
lichkeit immer noch mehr ſteigerte, und das übliche Zutrinken in
Schwung kam, traten die hohen Herrſchaften in den Saal und
der König hatte die innigſte Freude, ſeine Unterthanen ſo glück-
lich zu ſehen. Er unterhielt ſich auf’s freundlichſte mit dem
Brautpaar, den übrigen Hochzeitsgäſten und ebenſo mit den
zahlreichen Zuſchauern aus allen Ständen, welche dicht gedrängt
an der Thüre ſtanden. Dann wurde befohlen, daß der Tanz
beginnen ſoll. Der Charakter dieſer Gebirgstänze mit den
eigenthümlichen Gruppirungen und begleitenden Melodien gewährt
einen Reiz, den kein Ballſaal einer Großſtadt zu bieten im
Stande iſt. Beſonders beliebt iſt das ſogenannte Langaustanzen
und das Schuhplatteln. Bei Letzterem läßt der Tänzer hie und
da ſeine Tänzerin mitten im Tanzen los, dieſe dreht ſich mit
Grazie allein herum, und inzwiſchen ſchlägt der Bua mit beiden
Händen auf ſeine Kniee und ſpringt mit einem Juſchrei ſo hoch
als ihn ſeine Kraft trägt, dann nimmt er die Tänzerin wieder
in den Arm und tanzt mit ihr weiter. Noch heute ſieht man
im Wirthshaus in der Glashütte, wie ein rieſenkräftiger Springer
in die holzgedielte Zimmerdecke die Nägel ſeiner Schuhſpitze
im Sprunge eingedrückt hatte. — Eigenthümlich hübſch ſieht es
auch aus, wenn Tänzer und Tänzerin ſich gegenſeitig die Hände
auf die Schulter legen, ſich mit den Stirnen berühren, und nun
in dieſer Stellung bei einem gemüthlichen Ländler langſam ſich
herumdrehen.
Die ergötzliche Luſtbarkeit mit abwechſelndem Schmauſen,
Tanzen und witziger Unterhaltung dauerte bis 7 Uhr Abends.
Dann mußte der Ehrenvater in der herkömmlichen Weiſe mit
allerlei Versſprüchen bei den Hochzeitleuten und Gäſten feierlich
abdanken, und diesmal machte er’s ganz ausnehmend ſchön.Sonſt werden nach dieſer Abdankung zwei große zinnerne
Schüſſeln vor das Brautpaar auf den Tiſch geſetzt, in welche jeder Hoch-
zeitsgaſt als Beitrag zur Ausſtattung ein Geldgeſchenk legt; hier war
dies aber nicht am Platz.
Dafür bekam er aber auch vom König ein beſonderes Geſchenk,
und ebenſo wurde auch das Brautpaar vom hohen Feſtgeber
reichlich bedacht.
Der Monarch ſprach wiederholt aus, wie ſehr es ihn freue,
daß alles ſo nach Wunſch ausgefallen ſei, und dann verließ der
Hof den Saal unter Hüteſchwingen und lebhaftem Vivatrufen.
Noch einmal wurde ein Langaus angeſtimmt, den das Braut-
paar eröffnete, und dann war das ſchöne Hochzeitsſpiel vorüber,
gleich einem leichten, friſchen Traum.
11. Verſchiedenartiges Nachklingen.
Wäre die innere Welt des Menſchen einer Maſchine ähn-
lich, an der man nach Belieben das eine oder das andere
Räderwerk zum Stillſtand bringt, ſo würde mancher Kampf
leichter überſtanden; da es aber der Schöpfer anders gewollt,
ſo läßt ſich nicht augenblicklich Ruhe gebieten, wenn unſere
Empfindungen und Gedanken durch beſondere Veranlaſſung in
ungewöhnliche Aufregung geriethen. So konnte denn auch am
erſten Tag nach dem Hochzeitsſpiel zu Tegernſee ſo Mancher
nicht recht mit Sinn und Willen bei ſeiner gewohnten Arbeit
bleiben, und immer wieder wollten die Gedanken nach rückwärts
entfliehen, um ſich an dieſer und jener Erinnerung zu ergötzen.
Am wenigſten war dies aber gewiß dem Gmundner Franzl
übel zu nehmen, da er doch faſt einen vollen Tag als Bräu-
tigam an der Seite des ſchönſten Mädchens verlebte, und durfte,
ja mußte er ſogar recht vertraulich mit ihm thun. Daß es
ihm nie gelingen werde, die ſchöne Resl als ſein Weib heim-
zuführen, das wußte er nur zu gut, und deshalb ſagte er ihr
ſelbſt beim Abſchied: „Jetzt behüt’ dich Gott, Resl, das liebliche
G’ſpiel iſt aus, ich wünſch’ dir aber, daß es dir deiner Lebtag
lang recht gut gehen ſoll.“ Und der Alte, zum Franzl gewandt,
nickte ſichtlich einverſtanden mit dem Kopf, indem er dem Ab-
ſchiedswort beifügte: „Ja, ja, das G’ſpiel iſt aus, wie alles ein
End nimmt, und du biſt jetzt wieder frei wie vorher.“
Das war deutlich geſprochen; und ſich falſchen Hoffnungen
hinzugeben — da war Franz nicht der Burſche dazu. Zu alle-
dem hatte er beim Brautfeſt flüſtern gehört, in Wirklichkeit ſei
ja die Resl mit dem Kugler Joſef verlobt. Da war es ja
alſo für einen braven Burſchen Pflicht, jeden Gedanken an die
Resl niederzukämpfen. — Was halfen aber alle Vernunftgründe!
Heute einmal konnte er den Eindruck von geſtern noch nicht
verwiſchen, und mehr wie einmal dachte er: „Hätt’ ich doch das
Hochzeitsg’ſpiel lieber gar nicht mitgemacht! Das wird noch ein
Stück Arbeit koſten, bis ich wieder ſo ruhig bin, wie ich es vor
dem Feſt war!“ Und glaubte er endlich mit den Gedanken bei
ſeiner Beſchäftigung zu ſein, ſo rief ihn die gichtkranke Mutter
an, die in der Morgenſonne vor dem Hauſe ſaß, und frug dies
und das über das Feſt, ach! und im Flug waren die Gedanken
wieder über dem See. Armer Franz! wie du geſtern für
Viele ein Gegenſtand des Neides warſt, ſo erſcheinſt du uns
heute recht bedauerungswürdig. — Wie ſtand es denn aber um
die Resl? Ja, die iſt ein Mädel, dem man die Gedanken uichtnicht
ſo von der Stirne wegleſen kann. So iſt denn auch heute nicht
zu ergründen, was in ihrem Jnnern vorgeht, ſie iſt fleißig wie
ſonſt, und nichts fällt uns an ihr auf.
Dagegen iſt aus Seppel’s Weſen unverkennbar Verdruß,
Eiferſucht und Aufregung zu entnehmen. Noch heute will er
ins Reine kommen, ob ſich Franz nicht zudringlich benommen
hat, und wie es zwiſchen der Resl und ihm ſelber eigentlich
ſteht. Während der Nachmittagsruhe ging er hinüber, fand auch
den Adler und die Resl, wie er es wünſchte, beiſammen, und
ſagte offen heraus, was er befürchte. Die Resl, die gegen ihn
nicht anders war als gewöhnlich, verſicherte, daß zwiſchen dem
Franz und ihr durchaus nichts beſtehe, und daß ſich Franz ſehr
beſcheiden benommen und kein Wort von Liebe zu ihr geſprochen
habe. Sie ſeien alſo heute ſo unabhängig von einander wie
vor dem Feſt. — „Nun Resl“, ſagte Seppl, „dann mach’ ein-
mal Ernſt und werde mein Weib. Alles fragt im Dorf,
warum wir noch immer nicht Hochzeit halten, und du weißt
ja, Resl, daß ich’s ſchon lange gewünſcht hab’.“
„Joſeph“, erwiederte die Resl etwas erregt, „wenn ich
ſag’, daß mir der Franz nichts will, und daß du bei mir mehr
giltſt als andere Burſchen, ſo heißt das noch nicht, daß ich Luſt
zum Heirathen hab’. Jch bleib’ gern noch beim Vater, und
bitt’ dich deshalb, daß du mich nicht drängſt, denn das ändert
ſchon gar nichts.“
Gekränkt ſtand Seppl auf und ſagte: „Von mir ſollſt du
nicht mehr gedrängt werden, Resl, aber du haſt es jetzt auf
dem Gewiſſen, wenn der Unfrieden in unſerem Haus noch immer
ärger wird“, und damit ging er ſichtlich verdroſſen hinaus.
Während der Adlerbauer nicht wußte, ob er ſich ge-
ſchmeichelt fühlen, oder der Tochter zum Nachgeben zureden ſoll,
ſagte dieſe nach kurzem Bedenken: „Vater, ich hab’ eine Bitt’.“
„Was möcht’ſt du denn, Resl?“ frug der Alte in zärtlichem
Ton. „Laßt mich ſtatt unſerer Dirn auf die Halſer-Alm auf-
treiben.“ „Was fallt dir ein, Resl!“ rief der Adler erſchrocken,
„da ſterb’ ich ja vor Zeitlang nach dir.“
„O laßt’s mich gehen, Vater!“ bat ſie, „dort oben kann
ich mir alles ruhig überlegen, — was im Dorf doch nicht mög-
lich iſt. Der Seppl laßt einmal nicht aus, der freche Michel
verfolgt mich förmlich, und die andern Burſchen laſſen mir auch
keinen Frieden. Auf den Blauberg hinauf iſt ihnen aber der
Weg zu weit, da leb’ ich ſtill und glücklich, und ſchon lang’
hätt’ ich mir’s gewünſcht, einmal oben zu ſein.“
Der Alte dampfte ein Paar mal tüchtig aus ſeiner Pfeife,
dann ſagte er: „Jn Gottes Namen! wenn’s dich halt gar ſo
freut.“ Fröhlich küßte die Resl den Vater, und begann als-
bald alles zur Abreiſe vorzubereiten. Der Alte aber brummte,
als ſie draußen war, indem er ſeine Mütze auf’s andere Ohr
ſchob: „Jch kann halt einmal dem Blitzmädel nichts abſchlagen.“
12. Ein Gewitter im Anzug.
Da die Zeit zur Auffahrt auf die Halſerſpitz’ ſchon nahe
war, ſo fuhr der Adler in den nächſten Tagen zur Niederalm
mit ſeiner Resl, nahm dort von ihr zärtlichen Abſchied, und
kehrte am Nachmittag mit dem entbehrlichen Hausgeräth und
mit der Dirn wieder heim ins Dorf. — Als es ihm nun gar
ſo einſam vorkam in ſeinem Haus, da dachte er: „Jch will mich
doch einmal nach dem Jakob umſehen. Die letzten Worte des
Seppel’s neulich zeigten doch eigentlich, daß es dort drüben recht
traurig ausſieht; vielleicht kann ich den Alten auf beſſere Wege
bringen.“ — Er ſtopfte alſo gegen Abend ſeine Pfeife und ging
zum Nachbar, wohin er wegen ſeines angeborenen Widerwillens
gegen Zank und Streit ſchon lange nicht mehr gekommen war.
Er fand den Kuglerbauer allein am Tiſch ſitzen, und vor
ihm ſtand die Schnapsflaſche. Nach einem herzlichen „Guten
Abend Jakob!“ das mit einem ziemlich freundlichen: „Grüß dich
Gott!“ erwiedert wurde, ſetzte ſich Leonhard zu ſeinem alten
Freund, und that anfangs, als ſähe er die Flaſche gar nicht.
Er erkundigte ſich theilnehmend nach Dieſem und Jenem aus
ſeinem Hausweſen, und lobte den Stand ſeiner Felder und
Wieſen, ſo daß der Jakob anfing aufzuthauen, und wieder ein-
mal wie früher in gemüthliches Plaudern kam. Da dachte
Leonhard: „Jetzt iſt der rechte Zeitpunkt, ein beſſerer kommt
vielleicht nie mehr.“ Somit begann er denn, indem er dem
Freund noch näher rückte: „Weißt du, Jakob, du allein von
deinem ganzen Haus machſt mir manchmal Sorgen, denn du
ſchauſt nicht mehr ſo geſund und fröhlich aus wie ſonſt, fehlt
dir vielleicht etwas?“ — „Das kommt von dem hölliſchen
Magendruck“, war die Antwort. „Ei was Magendruck“, meinte
Leonhard, „das hab’ auch ich ſchon oft geſpürt, und iſt immer
von ſelber wieder vergangen. Aber ich fürcht’, Jakob, dndu haſt
zu viel in den Mond geſchaut, weißt du auf den Mann mit
dem Branntweinglasl,Volksthümlicher Ausdruck.
der drin ſitzt.“ — Jetzt war die
brennende Lunte zum Pulver gekommen. Mit einem Fluche
ſchlug Jakob auf den Tiſch, daß die Flaſche darauf herum
tanzte. „Was, du falſche Schlang’, haſt du dich mit meinem
Weib verſchworen, die mir auch keinen Tropfen gönnt für meine
Geſundheit?“ „Aber Jakob“, ſagte Leonhard, „du wirſt doch
noch einen Spaß verſtehen? Wie werd’ denn ich dir was nicht
gönnen, was dir wirklich geſund iſt?“ und mit ſanfter Stimme
fügte er bei: „ſchau, ſind wir denn nicht alte Kameraden, und
hab’ ich’s einmal ſchon ſchlecht gemeint mit dir? aber juſt des-
wegen möcht’ ich, daß wir noch länger beieinander bleiben, und
wenn du ſo fort machſt, Brüderl! ſo kriegſt du den Magen-
brand und ſtirbſt.“ — „Leonhard, ſag’ kein Wort mehr“, ſchrie
der Andere, „ſonſt vergreif’ ich mich an Dir.“ Zu allem Un-
glück kam nun das Weib dazu, das in der Küche daneben alles
hören konnte, und zu fürchten begann, es werde zwiſchen den
beiden Nachbarhäuſern ein vollſtändiger Bruch entſtehen. Mit
erzwungener Ruhe ſagte ſie: „ſei gut, Jakob, der Leonhard hat’s
ja nicht bös gemeint.“ Das war nun aber gerade Oel in’s
Feuer gegoſſen. Kaum hatte ſie dieſe Worte ausgeſprochen, ſo
brüllte der Jakob mit halb erſtickter Stimme, indem ſeine vom
Trunk glotzenden Augen ſich unheimlich aus ihren Höhlen her-
vordrängten: „Jetzt iſt’s doch klar, daß Jhr Beide im Bund
gegen mich ſeid, und mich umbringen wollt. Da muß man ſich
aber wehren“, — und damit griff er nach dem ſteinernen
Branntweinkrug, und ſchlug ſein Weib derart auf den Kopf,
daß die Arme mit einem Schrei zuſammenſtürzte. Der Adler
aber ſprang auf, packte mit ſeiner ganzen Kraft den Wüthen-
den, der eben zu neuem wuchtigen Streich den Krug ſchwingen
wollte, an beiden Armen, und rief, ſo laut er es vermochte, um
Hilfe. Jn dieſem Augenblick ſah man einen unbekannten Bauern-
burſchen am Fenſter vorüber gehen. Offenbar hatte er in der
Nähe desſelben dem ganzen Vorfall beigewohnt, denn indem
er einen Blick auf die unheimliche Scene in der Stube warf,
flüſterte er mit geballter Fauſt: „Wart’, du alter Sünder!
jetzt iſt’s g’rad genug, das wird dir nimmer geſchenkt.“
13. Vor der Auffahrt.
Am zweiten Tage nach dieſem Vorfalle fuhren der Letner
und der Luxbauer, wie es der Adler auf Resl’s Bitten ſchon
früher gethan, auf die Niederalm, um das zurückbleibende Haus-
geräthe abzuholen. Der Kugler war aber nicht nüchtern genug
dazu, und der Seppl hatte keine Luſt, weil er die Resl durch
ſein Wegbleiben ſtrafen und zugleich zum Nachgeben dadurch
reizen wollte. — Jſt es bis dahin der Resl glücklich verborgen
geblieben, wie weit es mit ihrem künftigen Schwiegervater ge-
kommen, ſo war es doch jetzt damit vorbei, denn des Kugler’s
Knecht erzählte den anderen Sennerinnen, wie der Bauer die
Bäuerin geſchlagen, und wie ſie es nur dem Nachbar zu ver-
danken habe, daß ſie noch am Leben iſt. Täuſchten nicht alle
Zeichen, ſo ſetze es bald etwas ab im Dorf. — So ſehr es
nun einerſeits die Resl freute, was ſie von ihrem Vater hörte,
ſo bedenklich war ihr andrerſeits das Uebrige der Erzählung.
„Eine ſchöne Ausſicht auf meine alten Tage!“ dachte ſie; „wenn
der Seppl dem Vater nachgerathet; und doch — ſoll ich es den
armen Burſchen entgelten laſſen, während ohnehin genug Kummer
im Hauſe iſt? Sagte er nicht, daß ſich durch mich allein alles
zum Guten wenden wird?“ Was ſollte ſie thun? — Aber in
einer ſo wichtigen Sache mit Gottes Hilfe eine Entſcheidung
zu treffen, dazu war heute, am Abend vor der Auffahrt, nicht
die Zeit. Auf der Hochalm konnte ſie ſich mehr ſammeln und
darüber nachdenken. Darum that die Resl lieber, als hörte ſie
die böſen Nachreden gar nicht, und machte ſich vor der Hütte
und im Stalle etwas zu thun. — Bald nach Mitternacht
ſprangen die Sennerinnen von ihrem Lager auf und machten
alles zum Aufbruch bereit. Vor der Hütte warteten auch ſchon
die Kraxenträger, und ſo durfte nur noch das Vieh losgemacht
werden. — Bei dieſer zweiteuzweiten, beſchwerlicheren Reiſe müſſen
die Kühe ſelbſt ihre Ketten tragen, welche ihnen um die Hörner
gewunden werden. Bald waren auch die Kraxen gepackt und auf-
geladen, und mit dem Ausruf: „Jn Gott’s Namen!“ brach man auf.
Die Halſerſpitze, auf welcher die Alpen liegen, iſt gegen
Oſten die äußerſte und zugleich höchſte Spitze des Planberges.
Ueberſchreitet man von Weſt nach Oſt den ganzen ſanft ge-
wellten Kamm des Berges, ſo braucht ein rüſtiger Fußgänger
drei volle Stunden, und zur Linken hat er alsdann die bayeriſchen,
zur Rechten aber ſchon die öſterreichiſchen Grenzzeichen.
Anfangs war der Weg unſerer Sennerinnen und ihrer
Heerden eine gute Strecke lang ziemlich eben. Von einem
ſteinernen Kreuz an wurde er aber beſchwerlicher und immer be-
ſchwerlicher und gefährlicher. Die erfahrene Nandl kannte am
beſten die Gefahren beim Aufſteigen, wozu auch die gehört, daß
ſich unter dem ſchweren Tritt der Kühe große Steine loslöſen
können, welche dann auf die nachfolgenden Menſchen herabrollen;
darum wiederholte ſie öfters ihren Lieblingsſpruch, den ſie für
einen ſichern Talisman hielt: „Kreuzſtein! Blutſtein!
Schlag mir kein lebendig’s Bein!“
Der Glockenkuh folgte heute die Heerde mit beſonderem Ge-
horſam, denn auch die noch „unkultivirten“ Kälber waren für dieſen
ſchweren Gang durch ein einfaches Mittel gefügig gemacht, in-
dem man ihnen einige Zeit vorher ein Haar von der Glocken-
kuh eingab, was untrüglich helfen ſoll.
Da und dort wurden durch den Glockenklang Rehe und
Gemſen aus ihrer Ruhe aufgeſcheucht, und mit leichtem Schwung
ſprangen ſie an den Felsklippen empor. Allmälig wurde es
heller, die Vögel ſtimmten ihren Frühgeſang an, und aus den
Blumen und Kräutern, worauf der Thau wie ein perlgeſtickter
Silberſchleier lag, drang ein feiner weißer Hauch und ſtieg zum
Himmel gleich duftendem Weihrauch auf. — Dieſe lieblichen Er-
ſcheinungen der hohen Bergwelt ſtanden aber in grellem Wider-
ſpruch zu den ſchauerlichen, gähnenden Abgründen, woran der
Pfad vorüber führte, und an einem derſelben ſagte die Nandl:
„Gott ſei ihrer armen Seel’ gnädig! Da ſtürzte vor zehn Jahren
die geizige Bäuerin hinunter, welche Haus, Hof und Kind im
Stich ließ, und ſelber oben hüten wollte, weil ſie keiner Sennerin
traute. Mit zerſchmettertem Kopf zog man ſie herauf und ſchleppte
ſie in’s Thal. Dort haben ſie ihr anſtatt der zerbrochenen Hirn-
ſchale eine ſilberne eingeſetzt, und mit dieſer hat ſie noch eine Zeit
lang, aber ohne Verſtand gelebt, dann iſt ſie elend geſtorben.“
Je heller die Sonnenſtrahlen wurden, um ſo grauſiger wurde
der Blick in die ſchwarzen, unergründlichen Tiefen; und immer
höher ging’s hinauf, immer heißer wurde es, den Trägern rann
der Schweiß von der Stirne und alles ſeufzte nach dem Ziel. —
Endlich, endlich gelangt der Zug nach mehrſtündigem Aufſteigen
bei den Sennhütten an, und nun lag mit einemmal vor Reſi’s
Augen die noch nicht gekannte Herrlichkeit der großartigen Alpen-
natur. Sie fühlte ſich ganz überwältigt und hätte vor Staunen
über dieſe Wunder Gottes auf die Kniee ſinken mögen. Die Nandl
aber ſagte: „Gott ſei gelobt für die glückliche Auffahrt!“
14. Ein HaberfeldtreibenOb die altbayeriſche Redensart: „Auf die Haberwaid ſchlagen“
d. h. das Vieh auf die letzte troſtloſeſte Waide treiben oder ſchlagen mit
dem „Haberfeldtreiben“ oder „ins Haberfeldtreiben“ im Zuſammenhang ſteht?
.
Das Haberfeldtreiben in Oberbayern ſoll ſchon ſeit Jahr-
hunderten beſtehen und war urſprünglich ſicher nichts als eine Art
von Volksjuſtiz; mit der Zeit hat es aber jedenfalls Wandlungen
erfahren und iſt auch gewiſſermaßen ausgeartet. Die Grundidee
war indeſſen immerhin eine gute, die ihren Sitz in der Aechtung
des Laſters hatte, und wir könnten uns glücklich preiſen, wäre
dieſes Gefühl in unſern Tagen noch ſo lebendig als ehedem. —
Drei Laſter hielt man für beſonders entwürdigend, und wer des
einen oder des andern erwieſener Weiſe ſchuldig war, vor deſſen
Haus fand zu nächtlicher Stunde ein Haberfeldtreiben ſtatt. —
Die drei Kriminalpunkte waren: Diebſtahl, — und wenn er auch
nur im Werthe von wenigen Kreuzern beſtand – eheliche Un-
treue und Mißhandlung der Ehefrau.
Zur Zeit unſerer Dorfgeſchichte erſtreckte ſich ein gut organi-
ſirter Bund von etlichen hundert Mannsperſonen vom Mangfall
bis zum Jnn und nördlich bis über Miesbach und Ebersberg,
vielleicht auch öſtlich bis nach Aibling. An der Spitze ſtand ein
„Haberfeldmeiſter“, und alle waren durch einen Schwur auf Leben
und Tod zum tiefſten Stillſchweigen verpflichtet. Dieſer Schwur
wurde aber ſtets ſo ſtreng gehalten, daß die Behörden bis zur
Stunde weder über das Weſen dieſes eigenthümlichen Vehmge-
richts noch über die betheiligten Perſonen nur das geringſte er-
fahren konnten. Eben ſo wenig wußte man, wo ſie ſich verab-
reden, ſich verſammeln und wohin ſie nachher wieder verſchwinden.
Aber als wenn der Wind die Ankündigung aus den Wäldern
brächte, ſo weiß man es, wenn ein Haberfeldtreiben bevorſteht.
Um Mitternacht kommt dann die ganze Schaar, zuweilen einige
Hundert gleich dem wilden Heer angeſtürmt, und ſind ſie ſpäter
wie ein Sturmwind verſchwunden, ſo hört man wohl ſagen: „Sie
fahren wieder heim zu ihrem Herrn, dem Kaiſer Karl im Unters-
berg.“ Wer es zum erſtenmal ſieht, könnte freilich denken, es
ſei eine Ausgeburt der Hölle, und doch wird dabei mit einem
Gerechtigkeitsgefühl verfahren, das manchem Gerichtshof der Gegen-
wart Ehre machen würde. Vorpoſten mit geladenen Flinten werden
auf allen Punkten aufgeſtellt, und nur wer dieſe Grenze nicht
reſpektirt, kommt in Gefahr mißhandelt zu werden. Fremdes
Eigenthum iſt heilig, und wird zufällig etwas beſchädigt, ſo findet
der Beſchädigte den Erſatz den kommenden Tag in ſeinem Haus,
und iſt’s auch der Werth einer Kuh oder eines Pferdes. Liegt
aber Jemand krank in einem Haus, ſo ziehen ſie an dieſem
ganz mäuschenſtill vorbei. Sowohl die Wachen als auch ſämmt-
liche Theilnehmer ſind im Geſicht geſchwärzt und dadurch un-
kenntlich. Die Bewohner des bezeichneten Hauſes werden ge-
heimnißvoll aufgefordert, ſich ruhig zu halten und keinen Wider-
ſtand zu leiſten. Sind ſie vor dem Haus des Geächteten ver-
ſammelt, ſo muß ſich dieſer ruhig vor ſeine Thüre ſtellen und
ſeine Strafpredigt anhören, was mit allen Zuthaten 1–2 Stun-
den dauert. Sind ſie aber entflohen, ſo kann er wieder in’s
Bett gehen und weiter ſchlafen, wenn es ihm gelingt.
Jn der dritten Nacht, nachdem der Jakob ſein Weib ſo
ſchmählich behandelt hatte, konnte Niemand im Dorf recht ſchlafen,
denn wie Gewitterſchwüle lag es in der Luft, daß ein Haber-
feldtreiben beim Kugler bevorſtehe. Nur dieſer, eine böſe Ahnung
zu beſchwichtigen, hatte ſich einen exemplariſchen Duſel ange-
trunken und verfiel deshalb in einen dumpfen Schlaf. Gegen
Mitternacht hörte man die unheimlichen Vorboten des ange-
drohten Strafgerichts. Die ſchrillen Töne kamen mit jedem
Augenblick näher, und Niemand wagte ein Licht anzuzünden, ſon-
dern im Dunkeln ſchlichen die Leute auf den Fußſpitzen an die
Fenſter. Blinde Flintenſchüſſe verkündeten den Anmarſch und
nach einigen Minuten ſtürmte die ſchwarze Rotte zum Dorf
herein und dem Kuglerhof zu. Verſchiedene hatten Thiergeſtalten
angenommen und als Laternen dienten einige Milchkübel.
Das Pfeifen mit Schwegelpfeifen, das Geklapper von
Staubmühlen, das Schlagen mit den Dreſchflegeln auf Bretter
oder Eiſenblech, das Knallen mit Peitſchen, Läuten mit Kuh-
glocken, Trommeln und Trompetenblaſen, dazu das Heulen der
Dorfhunde und das Donnerrollen eines nahen Gewitters, all
dies zuſammen machte den Eindruck, als komme der jüngſte Tag.
Aehnliches mochte der arme Sünder gedacht haben, als er mit
zitternden Knieen ſich dem Fenſter näherte. Kaum hatte man
ſeine Geſtalt gewahrt, als das Brüllen und Juhſchreien noch
ärger ward, und einer rief dazwiſchen: „Heraus, heraus aus
deinem Haus, du Krokodill, und halt’ dich ſtill und hör’ jetzt an,
was du gethan!“
Es blieb dem Jakob nichts übrig, er mußte ſich vor ſeine
Hausthüre ſtellen.
Nun trat ein Sprecher, der in ein Bärenfell gehüllt und
kohlſchwarz von Geſicht war, mit Bockshörnern und Fuchsſchwanz
angethan, — eine gräuliche Erſcheinung! — auf einen Dreifuß
und verlas zuerſt ein fingirtes Verzeichniß der Anweſenden: —
lauter Namen von Perſonen, welche unmöglich da ſein konnten.
— Dann wurden alle Vergehen des Sünders in derben Spott-
verſen mit fürchterlicher Stimme abgeleſen, und Ermahnungen
und Warnungen beigefügt. Das Ganze aber war in drei Akte
getheilt und in den Pauſen erhob ſich jedesmal der Höllenlärm
in verſtärkter Auflage, und den Schluß bildete die haarſträubende
Beſchreibung der letzten Schandthat: das Schlagen mit dem
Steinkrug auf den Kopf der Ehefrau. Hierauf erreichte das
Toben und Brüllen einen Höhegrad, daß man es wohl ſtunden-
weit hören konnte, und dann brauſte die ganze Schaar zum Dorf
hinaus. Einige, die ſich ſo viel wie möglich den Vorpoſten ge-
naht hatten, wollten ſogar bemerkt haben, daß etliche fünfzig der
Haberfeldtreiber auf Pferden, die im Wald bereit ſtanden, gleich
einer wilden Jagd nach allen Enden im Galopp davon ritten. —
Der Racheakt war vorüber, und der Kugler, welcher wieder ein-
mal gründlich nüchtern geworden war, wankte lautlos in ſein
Bett. Sein Weib aber betete ſtill einen Roſenkranz für ihn,
denn ſie hatte trotz Allem ihren Jakob doch immer noch recht lieb.
15. Jm Thal und auf der Alm.
Wochen waren nun ſeit dem Hochzeitsſpiel ſchon vergangen.
Nach allen Kräften hatte Franz geſtritten, um jenen Tag und
deſſen Königin zu vergeſſen, aber noch immer nicht wollte es
gelingen. Ach, und was ihn einzig und allein davon ablenkte,
war nichts Erfreuliches, ſondern im Gegentheil etwas recht
Schmerzliches. Seine Mutter, die er von Herzen liebte, wurde
immer elender und litt große Pein. — Da kam wie ein leuchten-
der Hoffnungsſtrahl die Kunde in ſein Haus, der König habe
an der Heilquelle zum hl. Kreuz im Wildbad Kreuth, das er
auch gekauft hatte, neue erweiterte Gebäude aufführen laſſen,
und zugleich habe er aus ſeiner Privatkaſſa ein Kapital von
fünfzigtauſend Gulden angewieſen, von deſſen Zinſen der unent-
geltliche Kurgebrauch für unbemittelte Kranke beſtritten werden
ſolle. „Wer weiß, vielleicht könnte dort die Mutter wieder ge-
ſund werden,“ dachte Franz. — „Aber wie ſollen wir zu einer
ſolchen Gunſt gelangen?“ Doch ſiehe da! noch am ſelben Tag
kam der König auf einer Spazierfahrt nach Tölz durch Gmund,
und als er am Haus vom Franz vorüber kam und dieſen er-
blickte, ließ er anhalten und rief: „Wie geht’s Franzl? Du
ſchauſt ja traurig aus, willſt du dir eine Gnad’ ausbitten?“ —
Nicht ſelten bot der König ſeine Gnaden von ſelbſt an, und
überdies hatte er ſeit dem letzten Feſte zu dem netten Burſchen
eine Art von Vorliebe gefaßt. — Die Antwort fiel aber ganz
anders aus, als der hohe Herr erwartet hatte. „Ach, Herr
König!“ ſagte Franz, „meine Mutter iſt ſchwer krank, und da
thät’ ich halt ſchön bitten für ſie um ein Freibad in Kreuth.“
Der König, welcher hierdurch ſichtlich überraſcht, zugleich aber
auch gerührt war, erwiederte: „Warum haſt du mir das uichtnicht
ſchon längſt geſagt, gleich morgen will ich ihr meinen Leibarzt
ſchicken; und was das Bad betrifft, ſo komm morgen zu mir
in’s Schloß, ich denk’, deine Bitt’ wird wohl erfüllt werden können.
B’hüt dich Gott, Franzl!“ und damit rollte der Hofwagen weiter.
Voll Freude eilte der gute Sohn mit dieſer Nachricht an’s
Schmerzenslager ſeiner Mutter, und die Kranke meinte, dies
Glück allein mache ſie ſchon halb geſund. Franz war aber ſo
glücklich, daß er nicht einmal mehr die Wunde brennen fühlte,
die ihm die ſchöne Resl ſchlug. — Und wie ging’s dieſer Herzens-
räuberin auf der Halſerſpitz’? o, die war ganz fröhlichen Muth’s.
Schon nach wenigen Tagen war ſie in der Almwirthſchaft ſo
zu Haus, als käme ſie ſeit Jahren hinauf. Am Abend entläßt
ſie, oder geleitet ſelbſt die Heerde zum beſtimmten Waideplatz,
wo dieſe während der ganzen Nacht bleibt. Den folgenden
Morgen um 6 Uhr kommen die Kühe allein zur Sennhütte,
um ſich melken zu laſſen, und bleiben dann den Tag über, ihre
nächtliche Speiſe wiederkäuend, ruhig im Stall. Die Resl muß
aber ſchon um 4 Uhr auf ſein, um alles Nöthige vor der Heim-
kehr der Thiere zu thun. Bleibt dann der flinken Resl noch
einige freie Zeit, ſo ſchaut ſie bald in’s ſchöne Tyrolerland und
nach den fernen Gletſchern, bald nach Bayern hinunter, und
ohne es zu wollen, läßt ſie öfters den Blick über den blauen
Tegernſee ſchweifen.
Seit längerer Zeit ſchon ſah ſie Niemand als die andern
Sennerinnen und diejenigen, welche jede Woche einmal Brod,
Salz und das ſogenannte MiedVon Heublumen, Salz und Kleien.
für die Kühe bringen müſſen.
Unter den Erſteren war und blieb ihr aber die Nandl die Liebſte,
obgleich ſie ein ſtrenges Regiment führte. Die Meiſterin hielt
genau Wache, ob die jungen Sennerinnen auch nichts verſäumen
in ihrer Pflicht, und unerbittlich hielt ſie darauf, daß vor dem
Bildſtöckel, an welchem ein Bild der Muttergottes mit dem
Jeſuskind war, zu beſtimmten Zeiten gemeinſchaftlich gebetet
wurde. „Denn“, meinte die Nandl, „wenn man in keine Kirch’
kommt, kann man ſonſt gar leicht auf den lieben Gott vergeſſen,
obgleich man ihm da oben viel näher iſt als unten im Thal.“ —
Zuweilen war Abends bei der Meiſterin ein kleiner Heimgarten,
und dann wußte ſie immer etwas Schönes oder auch Geſchichten
zum Fürchten zu erzählen. Dem letzteren gehört z. B. an, wie
einſt ein böſer Bua unter den BettkreiſterBezeichnung für das Bett der Sennerin.
der Sennerin
Feuer legte und dieſe in der Nacht verbrannte. — Oder wie
ein anderer Bua, der einem Mädel in der Bergmatt das Hei-
rathen antrug, nachher ſein Wort gebrochen hat, und wie an
derſelben Stelle ein Kraut mit rothen Blümeln wachſt, die Wurzel
aber ſtellt zwei Hände vor, die eine iſt weiß, die andere ſchwarz.
— Am ſchauerlichſten klang indeſſen doch das eigene Erlebniß
mit dem Geſpenſt, dem Mann ohne Kopf. Ein Dieb, welcher
der Nandl ihren großen Keſſel geſtohlen hatte, mußte nämlich
nach ſeinem Tod ohne Kopf ſo lang auf der Halſerſpitz’ umher-
wandeln, bis endlich die Nandl dem Geiſt den Keſſel geſchenkt
hat, dann wurde er erlöſt und verſchwand. — Dagegen lauſchten
die jungen Dirndeln mit freudiger Begierde, wenn ihnen erklärt
wurde, wie ſie ſich bemühen müſſen, einen Kreuzſchlüſſel über
den UrſcheinDer Regenbogen.
zu werfen, dann höre man eine Unmaſſe Geld
klingen. — Jetzt nahte auch die Zeit, wo man den Weihbüſchel
binden mußte, der am Himmelfahrtstag unſerer lieben Frau in
der Kirche auf den Altar gelegt wird, wo ihn der Prieſter weiht.
Genau beſchrieb die Nandl, was alles hinein gehört: Steinraute
mit einem weißen Blümel, Wohlmuth mit einem rothen, Widri-
tod mit einer gelben Blüth’, der zottige, graue Petrusbart,
Frauenhaar und unſeres Herrn Bart. — War aber die Nandl
ganz beſonders gut aufgelegt, wenn z. B. ein Stoßgebet um
Almnudeln erhört wurde, und die Bäuerin welche hinauf ſchickte,
dann ſang ſie wohl auch einmal am Abend ein luſtiges Schnada-
hipfel, und die vier Sennerinnen tanzten in ihrer Nationalweiſe
vor der Sennhütte, und mit einem fröhlichen, weitklingenden
Jodler war die unſchuldige Freud’ zu Ende.
16. Ein ſchlimmer Beſuch.
Bei all den Freuden auf der Alm, dem ſchönen Himmel,
der reinen Luft, der prächtigen Bergwelt, und vor Allem der
liebgewordenen, ſtillen Sennhütte, um welche ein Kranz von
großen, wohlriechenden Bergvergißmeinnicht blühte, — ja, bei
alledem wandelte die Resl jetzt doch zuweilen das Verlangen
an, ſich wieder einmal gegen einen Menſchen auszuſprechen, wie
ſie es gegen die anderen Sennerinnen nicht thun konnte. —
„Wäre nur der Vater noch rüſtiger!“ bedauerte ſie. „Freilich
ſchickte er mir durch die Luxbäuerin zu Jakobi allerlei Schönes
und Gutes aus unſerem Haus und eine ganze Stuben voll
Grüß’ dazu, — aber mein Gott, der Vater ſelber war’s halt
doch nicht.“ Ach, dieſe Sehnſucht nach Beſuch aus dem Dorfe
ſollte nur zu bald auf ſchauerliche Art erfüllt werden! — Nach
bisher vergeblichem Bemühen gelang es leider dem Michel, den
eigentlichen Stallknecht des Hauſes zu überreden, daß er ihn
anſtatt ſeiner mit dem Wochenvorrath auf die Alm gehen ließ.
Als ihn die Resl kommen ſah, verwandelte ſich ihr früheres
Gefühl in einen wahren Widerwillen. Merkwürdiger Weiſe
ſchien ſie der Michel aber heute gar nicht zu beachten, und ſo
ging ſie ſorglos in ihre Hütte, um das gebrachte Brod weg-
zuräumen. Nach einiger Zeit ging er auch eben ſo gleichgiltig
ſcheinend mit den andern Brodträgern wieder fort, — kaum
waren ſie aber eine kurze Strecke unten, als Michel vorgab
etwas vergeſſen zu haben, und haſtig ſprang er wieder hinauf
und in Resl’s Hütte hinein. — Das arme Mädchen wurde
todtenblaß und konnte vor Schrecken nicht ſprechen. Als ihr
aber der Eindringling in dreiſteſter Weiſe geradezu ſeine Liebe
antrug, und ſagte, er könne ohne ſie nicht leben, und werde ſich
den Tod anthun, wenn ſie ihn nicht heirathe, da gewann ſie
wieder ihre gewöhnliche Entſchloſſenheit und ſagte mit feſter
Stimme: „Du unverſchämter Burſch! wer erlaubt dir da herein
zu kommen? ich will ein für allemal nichts wiſſen von dir.
Verlaſſ’ mich augenblicklich!“ „Du wirſt es bereuen“, rief
Michel leidenſchaftlich, „wenn du mich ſo zurückweiſeſt.“ „Das
iſt meine Sach’“, ſagte die Resl, „ſchau du nur, daß du fort-
kommſt.“ „Nicht eher, als bis du mir einen Kuß gibſt“, ſagte
er ſchmeichelnd, und wollte ſeinen Arm um ſie ſchlingen. Jn
dieſem Augenblick bekam aber die Resl Muth und Kraft, als
ſtünden zehn Schutzwachen hinter ihr. Statt des Kuſſes gab
ſie dem Michel eine derbe Ohrfeige und wand ſich mit Ge-
ſchicklichkeit aus ſeinem Arm. — Jm nächſten Momente gelang
es ihr, die Thüre der Sennhütte aufzuſtoßen und um Hilfe zu
ſchreien. Da ſah der Burſche freilich, daß nichts mehr zu er-
reichen ſei und entfloh. Mit flammendem Zorn rief er aber
noch zurück: „Haſt du meine Lieb’ verſchmäht, ſo kannſt du jetzt
meinen Haß ſpüren.“ Auf den ängſtlichen Hilferuf kamen die
drei Sennerinnen herbeigelaufen, und fanden die arme Resl
halb ohnmächtig in ihrer Hütte. — Als die Nandl.Nandl hörte was
vorgefallen, ſchrie ſie: „Wart’ nur, du Galgenfrüchtel! kommſt
du noch einmal herauf, ſo mach’ ich’s dir wie ſelbige tapfere
Sennerin, die vor drei Jahren einem Dieb das Ohr abgehauen
hat.“ Dann lobte ſie die Resl, weil ſie ſich ſo muthig gegen
den Michel gewehrt hat, und eine Jede wollte ihr etwas zum
Troſt ſagen; die Resl aber meinte, jetzt ſei’s doch gut, daß ſie
bald zum Vater komme. Unterdeſſen entging ihnen ganz, daß
eine ſchwere, ſchwarze Wolke vom Schilchenſtein heraufzog. Plötzlich
kam ein Windſtoß, und ihm folgte ein furchtbarer Schlag. Alle
ſtürzten betäubt nieder, und Schwefelqualm drang in die Hütte.
Nach einigen ſchwächeren Schlägen hatte der Sturm die Wolke
weiter nach Oſten gepeitſcht und es wurde wieder ſtill. — Auch
die Betäubung der Sennerinnen war vorüber, und die Nandl
fuhr mit dem Ruf in die Höhe: „Das war ein Wetterſchlag!
wenn er nur nicht gezündet hat.“ Schnell wollten ſie nach ihren
Hütten ſehen, als ſie aber vor die Thüre kamen, ſahen ſie, daß
der Blitz an dem Bildſtöckel vor Resl’s Hütte herunterfuhr
und ein großes DonnerlochRedensart der Sennerinnen.
in den Boden ſchlug. Das Bild-
ſtöckel war auch ganz verkohlt, nur das Heiligenbild war un-
verſehrt geblieben, und glänzte wie verklärt in der wiederkehren-
den Sonne. — „Gelobt ſei Gott!“ rief die Nandl. „Unſere
liebe Frau iſt bei uns geblieben. Freu’ dich, Resl, das be-
deutet für dich Heil und Segen.“
17. Das Echo auf der Halſerſpitz.
Schaut nur einmal, wie ſich heute der Wiesbauer Franzl
ſo fein herausgeputzt hat! und vor ſeiner Thür ſteht des Wirths
Fuhrwerk, was hat das zu bedeuten? Nur Geduld, bald werden
wir es erfahren. Schon ſehen wir, daß er ſeine kranke Mutter
aus dem Hauſe mehr trägt als führt, und wie er ſie behutſam
in den Wagen hebt; und nachdem er ihr noch einen voll ge-
packten Korb gereicht, kommen die Nachbarn und wünſchen eine
gute Kur. Dann ſteigt auch Franz in den Wagen und fährt
luſtig davon. Da iſt’s uns wohl klar, daß die Fahrt nach
Kreuth geht. — Auf dem neuen, guten Königsweg rollt der
Wagen leicht dahin, und der Kranken wird es immer wohler
um’s Herz, denn auf das Bad hat ſie ja ihre ganze Hoffnung
geſetzt. — Sie fahren durch Tegernſee und Rottach, und lenken
dann zum Thalweg ein, der nach Kreuth führt. Bald darauf
kann Franz nicht umhin, einen Blick in ein freundliches Dorf
zur rechten Seite zu werfen. Aber ach! ſie iſt ja nicht darin
jetzt. — Nach zwei Stunden kamen ſie an’s Ziel, und Franz
hob die Mutter vorſichtig aus dem Wagen, und führte ſie in
ein hübſches, kleines Zimmer, das ihr angewieſen wurde. —
Als das Zimmermädchen kam, um der Kranken das Bett be-
quem zu machen, verſprach ihr der beſorgte Sohn eine beſondere
Belohnung, wenn ſie recht ſchaueuſchauen wolle auf ſeine Mutter.
Dieſer ſelbſt aber verſprach er, noch den ganzen Tag bei ihr
zu bleiben, den andern Morgen müſſe er aber ſchon früh heim
fahren, und deshalb nahm er denn auch am Abend auf drei
Wochen von ihr Abſchied. — Mit dem Schlafen wollte es aber
beim Franz gar nicht gehen. Jmmer träumte er von der
Halſerſpitz, die über ſeinem Haupt zum Himmel ragt, und
lauter und immer lauter mahnte es ihn, der Resl noch ein
letztes Lebewohl zu ſagen, ehe er ſie aus dem Herzen reißt.
Das, meinte er, könne doch keine Sünde ſein. — Mit dem
erſten Morgengrauen, als noch alles ſchlief im Bad, ſtand er
auf und machte ſich auf den Weg.
Er ſtieg durch die Wolfsſchlucht hinauf, und zwar mit
einer Luſt, daß er die Anſtrengung des mühſamen Pfades kaum
merkte. — Jn derſelben Nacht konnte aber auch die Resl wieder
nicht recht ſchlafen, denn noch immer ſah ſie des Michels leiden-
ſchaftliche Geſichtszüge vor ſich, obwohl ſchon eine Woche ſeit
jenem Ueberfall verſtrichen war, und nur zu oft mußte ſie
denken: „was wird er mir alles anthun!“ Dann ſah ſie aber
auch wieder im Traume ihr verkohltes Bildſtöckel, und die
Muttergottes mit dem lächelnden Jeſus auf dem Arm ſchaute
ſo mild auf ſie, daß ſie am Morgen dachte: „Was er auch
immer Böſes ausdenken mag, ich ſtehe ja in Gottes Hand!“
Heute war der Vorabend des Muttergottesfeſtes: da ſtand
die Resl ſchon vor 4 Uhr auf, that ihre Arbeit, und dann
band ſie zwei ſchöne Weihbüſchel. Einen für ihre Dorfkirche,
den andern für ihr wunderbares Marienbild. Als ſie den
Strauß in einem Krug mit friſchem Waſſer eben davor nieder-
ſtellte, — da glaubte ſie plötzlich aus der Tiefe menſchliche
Tritte zu vernehmen. „Jeſus, Maria!“ rief ſie, „wenn’s der
Michel wär’!“ Sie bog ſich hinab und lauſchte. Da ſah ſie
aber, daß es nicht die kurze, dicke Geſtalt des Michels war,
ſondern eine hohe, ſchlanke, die jetzt auf dem letzten Vorſprung
erſchien. Noch wußte ſie nicht, wer es iſt; ſie ſtimmte aber
den üblichen Jodler an, welcher ertönt, wenn nach langer Zeit
ein Beſuch der Alpe naht. Die Antwort war ein fröhliches
Lied, — und dieſes Lied, dieſe Stimme! — Beides war ihr
ſo bekannt, — aber ehe ſie darüber nachdenken konnte, machte
Franz noch einen Sprung, ſtand plötzlich vor ihr und ſchüttelte
ihre beiden Hände mit einem herzgewinnenden: „Gott grüß’
dich, liebe Resl!“ „Du biſt’s, Franz!“ ſagte ſie halb er-
ſchrocken, halb erfreut. „Was haſt denn du da heroben zu
thun?“ „Was ich da heroben zu thun hab’?“ — antwortete
Franz etwas verlegen, — „ich hab’ meine kranke Mutter in’s
Bad gefahren, wo ſie vom König einen Freiplatz bekommen
hat, und da iſt mir ſo unverſehens der Gedanke gekommen:
„ſchau’, auf der Halſerpitz könnt’ſt du einen recht ſchönen Weih-
büſchel brocken.“ — „Ei, was“, meinte die Resl, „der wachſt
doch gewiß auch in Gmund“. „Das iſt freilich wahr. Aeber
weißt’, Resl, wenn ich ganz aufrichtig ſein ſoll, — ich hab’s
halt nimmer ausgehalten, ſo viel ich mich auch dagegen gewehrt
hab’, ich hab’ einmal ſchauen müſſen, wie’s dir geht, und —
ich kann nicht anders, ich muß dir’s ſagen, daß ich halt das
ſchöne Feſt gar nicht vergeſſen kann, weißt’ Resl, wo du meine
Braut vorgeſtellt haſt.“ Die Resl ſuchte ihre gewohnte Ge-
meſſenheit zu gewinnen und ſagte darauf: „Da haſt du nicht
gut gethan, Franz. Du weißt doch, daß alles nur ein G’ſpiel
war, und daß es jetzt mit uns wieder iſt wie vor dem Feſt.“
„Resl“, frug er dann, und ſchaute ihr dabei treuherzig in die
Augen, „iſt’s dir denn wirklich noch grad ſo wie vorher?“ Die
Resl wandte ſich um und ſchwieg.
„Wenn ich dich gekränkt hab’, Resl, dann geh’ ich gleich
wieder fort, denn eh’ ich dich bös weiß auf mich, lieber will ich
das größte Leid tragen.“ Mit dieſen Worten wandte er ſich
zum Gehen. Die Resl hielt ihn aber zurück: „Bös bin ich
nicht, Franz, du haſt mir ja nichts gethan, und — du mußt
dich doch ein Bisl ausruhen, es iſt gar hoch da herauf. Komm,
ſetz’ dich da auf die Bank, und ich bring’ dir Milch und
Brod.“ — Als ſie in die Hütte ging, dachte er: „Ein präch-
tigeres Dirndl hat unſer Herrgott doch nicht g’ſchaffen als die
Resl iſt.“ — Gleich war ſie wieder da, und ſtellt ein Krügl
Milch auf die Bank und legt ein Stück ſchwarzes Sennerbrod
dazu. Dann ſetzte ſie ſich neben ihn und mahnte: „Jß und
trink’, Franz! Du mußt ja erſchrecklich hungrig ſein.“ „Von
Hunger g’ſpür ich juſt nicht viel“, war die Antwort, „mich druckt
was ganz Ander’s, und — raus muß es einmal! Schau,
Resl, wenn meine Gedanken gar oft zu dir fliegen wollen, dann
fallt’s mir ſo ſchwer auf’s Gewiſſen, daß es ja eine Sünd’ iſt,
wenn du wirklich dem Kugler Seppl das Heirathen verſprochen
haſt, und doch bring’ ich dich nicht aus dem Kopf.“ „Es iſt
brav von dir, Franz“, ſagte ſie erfreut, „daß du ſo gottes-
fürchtig biſt, und weil mir das ſo gut g’fallt, d’rum will ich
dir auch ſagen, daß ich dem Seppl gar nichts verſprochen hab’,
und“, fügte ſie zögernd bei, „daß ich ihn eigentlich gar nicht ſo
recht gern hab’“. „Resl“, rief Franz, „jetzt fallt mir ein Zentner-
ſtein vom Herzen! ſchau’, jetzt kommt mir auch ſchon gleich ein
Bisl der Hunger“. Er that einen tüchtigen Zug aus dem
Krug, und ſchnitt mit ſeinem Sackmeſſer die Brodhälfte ab, in
die er kräftig biß. — Die Resl iſt aber faſt erſchrocken über
einen ſolchen Ausbruch von Freude. „Und jetzt“, bat Franz,
„wo du mich ſchon einmal in dein Herz haſt ſchauen laſſen,
jetzt ſag’ mir nur Eines, Resl, und nachher, — ſchau’, ich geb’
dir die Hand darauf, — will ich dir mein Leben lang nicht
mehr unter die Augen kommen, wenn du’s nicht ſelber ver-
langſt, — ſag’ mir doch, ob du denn vielleicht mir ein Bisl
gut biſt?“ „Franz“, ſagte die Resl, „das geht ſchon wieder
weit über’s G’ſpiel.“ „Nur das eine Wort, Resl!“ bat er noch
dringender. „Nein, Franz, jetzt einmal nicht, vielleicht nachher“,
ſetzte ſie mit weicher Stimme bei, „wenn du gehſt, und ein
Paar Klafter tief unten biſt, dann will ich dir nachrufen, was
ich mir denk’! weil du aber ſo gern einen Weihbüſchel von der
Halſerſpitz hätt’ſt, ſo nimm den da, den ich für unſer Dorf
gemacht hab’, ich kann ja leicht einen friſchen finden.“ „Jch
dank dir ſchön, Resl, morgen auf Maria Himmelfahrt leg’ ich
ihn in unſerer Pfarrkirch’ auf den Altar.“ „Siehſt du“, fuhr
ſie fort, „den andern Strauß da hab’ ich für mein Mutter-
gottesbild gemacht, das der Blitz beim Einſchlagen ſo merk-
würdig verſchont hat.“ „Ja, was wär’ das“, ſagte Franz er-
ſtaunt, „das iſt ja ein ganzes Wunder. Dich muß ja die
Muttergottes ſchon gar lieb haben, Resl.“ „Ei, das wär’ mir
freilich das Allerliebſte“, erwiederte ſie. Aber gerade dieſe Be-
merkung ermahnte ſie zur Wachſamkeit, und darum erinnerte
ſie den Beſucher: „Jetzt geh’, Franz, es iſt nicht gut, wenn wir
länger bei einander ſind. Weißt’, ich möcht’ den anderen
Sennerinnen kein böſes Beiſpiel geben.“ „Ja, du haſt Recht,
Resl“, ſtimmte Franz ihr bei, „du biſt geſcheidter als ich.“
„Jetzt ſag’ ich dir, b’hüt’ Gott, und geh!“ „Grüß mir deine
Mutter ſchön im Bad.“ „Ja, das will ich thun, Resl, und
bet’ halt für mich, wenn du vor deinem Bildſtöckel knieſt.“
Noch einmal ſchüttelte er ihr die Hand und ſtieg dann hinunter.
Als er aber ein Paar Klafter tiefer zu ſein glaubte, ſchwenkte
er den Hut und rief hinauf: „Jetzt, Resl, Ja oder Nein?“
„Nun, – in Gottes Namen, Ja“, rief ſie ihm nach. Jm
nächſten Augenblick ertönte aber ein Juſchrei mit ſolcher Ge-
walt, daß die Felſen ringsum im Echo wiederholten: Juhe!
Juhe! Juhe! denn einen ſolchen Freudenſchrei hatten ſie ſchon
lange nicht mehr gehört.
18. Aus dem Volksleben.
Erſchien dem Franz das Aufſteigen zur Halſerſpitz’ ſchon
nicht ſchwer, ſo kam ihm der Heimweg vollends nur mehr wie
ein Spaß vor, denn er war ſo fröhlichen Herzens wie noch nie
im Leben, und abwechſelnd ſang oder pfiff er luſtige Weiſen. —
Wie erſtaunt war aber ſeine Mutter, als ſie ihn wiederſah. Jhr
erzählte er auch ſogleich alles, was mit ihm ſeit geſtern vorging,
und ſie theilte herzlich ſeine Freude, ſagte aber doch etwas be-
denklich: „Sei auf deiner Hut, Franz! Der Adler ſoll viel auf
ſeinen Reichthum halten, darum wird er ſchwerlich jemals ſeine
Einwilligung geben“. „Das ſteht bei Gott“, erwiderte Franz,
„weiß ich jetzt doch, daß mich die Resl gern hat, und dies allein
ſchon macht mich überglücklich“. — Als er vor der Heimfahrt
in der Wirthsſtube noch etwas eſſen wollte, fand er dieſe un-
gewöhnlich voll. An einem der Tiſche ſaß mit mehreren Bauern-
burſchen der Michel und führte das große Wort. An einem
andern ſaß in Geſellſchaft älterer Männer der Holzwaſtl; und
weil dort noch ein Platz frei war, ſo ſetzte ſich Franz dazu,
denn es intereſſirte ihn zu hören, wie der Waſtl eben einen
Kampf zwiſchen zwei HaagmaierinnenDiejenige Kuh aus der Heerde, die ſich gleichſam zur Meiſterin
im Haag zu machen weiß. Solche Kämpfe zwiſchen zwei oder auch vielen
Haagmaierinnen ſind eigentlich in Tyrol zu Haus.
zu erzählen begann;
und nun ſchildert er mit gebirgsländiſcher Schneid’ und leb-
haften Geberden, wie man die ohnehin raufluſtigen Haagmaierin-
nen, vom Wirth in der Glashütte und vom Huberbauer, durch
ein hitziges Getränk, das ihnen eingegeben wurde, auf den Kampf
vorbereitet hat, auf deſſen Sieg ein Preis von fünfzig Gulden
feſtgeſetzt war. — Jn einiger Entfernung von einander ſtellte
man ſie auf und ließ ſie dann aufeinander los. Wie wüthend
hätten ſie gekämpft und lang blieb die Uebermacht unentſchieden,
denn bald ſchien die eine zu weichen und raffte ſich wieder auf,
bald die andere, und die Zuſchauerſchaft wurde immer geſpannter
auf den Ausgang. Auf einmal rannte die eine aufs Neue der
andern zwiſchen die Hörner, ſo daß ſie ſich feſt in einander ver-
wickelten. Jmmer toller wurden ſie, als ſollten ſie beide drauf-
gehen, nochmals ſtießen und drückten ſie ſich hin und wieder,
dann endlich warf die des Wirths die andere derart nieder, daß
ſie nicht mehr auf konnte und ſchwer blutete. Jetzt war’s Zeit,
daß einige muthige Kerle beiſprangen, denn man weiß ja, daß
die Kühe, wenn ſie Blut ſehen, gar wie beſeſſen werden, und
ohne dieſe menſchliche Hilfe wäre des Huber’s Haagmaierin ſicher
nimmer lebendig vom Platze gekommen. — „Der Wirth aber
ſtrich vergnügt ſeine 50 fl. ein“, ſchloß der Waſtl ſeinen Be-
richt. — Nachdem die begierigen Lauſcher bald dieſe, bald jene
Meinung darüber ausgeſprochen hatten, entſtand eine kleine Pauſe
am Tiſch. Während dieſer hörte Franz zwiſchen all den ver-
ſchiedenen Stimmen, wie Michel eben mit prahleriſchem Ton er-
zählte, daß er in der vorigen Woche die ſchöne Resl auf der
Halſerſpitz beſucht hat und daß ſie gar keine ſolche Heilige ſei, wie
man immer meint, denn er habe ganz leicht einen Kuß von
ihr bekommen können, wenn er ihn nur gewollt hätte. „Das
iſt gelogen!“ rief Franz, indem er aufſprang. „Was, du willſt
mich Lügen ſtrafen?“ ſchrie Michel mit wildem Ton und hob
ſeinen ſteinernen Maßkrug auf, um ihn auf Franz zu ſchleudern.
Dieſer fuhr aber dem Michel in den Arm und drückte ihn der-
art, daß er den Krug fallen ließ. „Zieh’ dein Meſſer,“ flüſterte
ein anderer Burſch dem Franz zu. Dieſer erwiderte aber:
„nein, den Lumpen zwing’ ich ſchon ſo noch“, und nach einem
kurzen Ringkampf lag der Michel unter dem Tiſch. Alle nahmen
nun Partei für den gewandten Franz, riefen ihm Beifall zu,
und ſchon nach wenigen Minuten war der Michel vor der Thür.
Dieſe ritterliche That nun und noch ſo manches andere
Gute, was hernach von dem Franz geſagt wurde, wollte der
Waſtl heute noch dem Leonhard erzählen, und dabei hatte er
nichts Geringeres im Sinn, als daß er den Franz als den
rechten Mann für die Resl empfehlen wollte. Der Seppl wollte
ihm nie recht paſſend ſcheinen. Der Resl aber glaubte er ſchon
beim Hochzeitsſpiel allerlei aus den Augen geleſen zu haben,
was für ſeinen Plan günſtig war, und daß der Franz Leib
und Leben für die Resl gab, nun das hatte er eben deutlich be-
wieſen. Mit dieſen Gedanken ſchritt er bald dem Adlerhof zu.
19. Der Druck des Geldes.
Der Leonhard freute ſich wie immer, wenn der Waſtl bei
ihm zuſprach. Er ließ eine Flaſche Tiroler aus dem Keller holen
und redete ſich in die beſte Laune. Selbſtverſtändlich kam er
denn auch bald auf den Mittelpunkt all ſeiner Gedanken, auf
ſeine liebe Resl, und während Waſtl im Lob getreulich ſekun-
dirte, brach er plötzlich ab und ſagte: „Heut’, Leonhard, hätt’ſt
du bei mir im Bad ſein ſollen, um zu ſehen, wie der Wiesbauer-
Franzl den nichtsnutzigen Michel in der Wirthsſtub’ zuſammen-
gearbeitet hat. „So“, frug Leonhard ziemlich gleichgültig, „was
hat’s denn gegeben?“ „Was es gegeben hat“, fuhr Waſtl leb-
haft fort, „er wollte den Andern den Bären aufhängen, deine
Resl habe ihm auf der Alm oben einen Kuß geben wollen.“
„Du unverſchämter Verleumder!“ rief Leonhard, indem er in die
Höhe ſprang. „Meine Resl, meine brave Resl!“ „Ja, es iſt
eine hölliſche Verleumdung!“ ſtimmte der Waſtl zu. „Aber ſo
ſchnell ich auch bei der Hand war, um ihm auf’s Maul zu
ſchlagen, der Franzl iſt mir doch noch zuvorgekommen, packte ihn
an wie ein Bär, und unter den Tiſch hat er ihn geworfen, ich
ſag’ dir, grad als wenn er ein jung’s Katzl wär.“ „Brav,
Franz“, ſagte der Leonhard erfreut, „nur keine Umſtänd’ gemacht
mit ſo einem verlogenen Großmaul.“ „Ja, der Franz iſt ein
ganzer Kerl!“ fiel der Waſtl ſchnell ein. „Jch bekomm’ immer
mehr Reſpekt vor ihm. So haben’s im Bad drin auch erzählt,
wie er mit dem Preis für den Meiſterſchuß ſich ſchon Manches
erhauſt hat, und daß er mit viel Verſtand Vieh ankauft und
verkauft, ſo daß ſein Anweſen jetzt ſchon noch einmal ſo viel
werth ſei, als vor einem Vierteljahr.“ „Blitz Element!“ rief
der Leonhard, „das will was ſagen.“ „Gelt, Alter?“ fuhr der
Waſtl eifrig fort, „und dabei ſei er immer gleich brav und ehr-
lich.“ „Ja, brav iſt der Franz“, murmelte der Adler und nahm
einen guten Schluck. „Man hätt’ es ihm wahrhaftig nicht ver-
übeln können, wenn er ſich doch einmal noch nach der Resl
umg’ſchaut hätt’, — g’fallen muß ſie ihm doch gewiß haben —
und meiner Treu’! hätt’ ich’s doch ſelber nicht anders gemacht,
wie ich noch jung war.“ Der Waſtl ſtieß den Kameraden ver-
traulich mit dem Ellbogen und ſagte: „Drum verdient er aber
auch was B’ſonderes. Schau’, Leonhard, der Franzl, der wär’
der rechte Mann für deine Resl, einen braveren kriegt ſie nicht.“
„Heirathen?“ rief der Adler erregt, „meine Resl? nein, Waſtl,
daraus wird nix. — Freilich hat ſie mich ſchon oft erbarmt,
daß ſie in den Kuglerhof kommen ſoll. Hat auch der Jakob
nachgelaſſen, ein halbes Fegfeuer iſt immer noch drüben. „Jam-
mer und ſchad’ wär’s“, meinte der Waſtl, „wenn die Resl wegen
die Paar Goldſäck’ ibrihr Leben auch einmal ſo vertrauern müßt’
wie die arme Stafi.“ „Deshalb kriegt ſie aber der Kleinhäusler
doch nicht“, fiel der Leonhard ein. „Müßt’ ich mich denn nicht
vor dem ganzen Dorf ſchämen. Nein, lieber ſoll ſie ledig bleiben.“
Der Waſtl ſah, daß für den Augenblick nichts zu machen ſei und
lenkte das Geſpräch und den Zorn lieber wieder auf den Michel.
— Dieſer war aber dem Waſtl nachgegangen, ſchlich um’s Haus
herum und dachte: „Wart’ Waſtl, ich bin doch geſcheidter als
du.“ — Als der Adler ſpäter wieder allein war und nochmals
vor die Thüre ging, um ſich nach dem Himmel umzuſchauen,
ob’s einen ſchönen Feſttag gibt, da wußte ſich der Michel heran
zu ſchleichen, und erzählte, daß er die ſchöne Resl flüchtig ge-
ſprochen habe, daß ſie prächtig ausſieht, und einen ſchönen Gruß
auftrug. — Der Adler hielt noch mit Gewalt an ſich, um zu
hören, ob nichts mehr nachkomme. „Aber Eins“, ſagte der Michel,
„darf ich euch nicht verſchweigen.“ „Was iſt’s?“ frug der Adler
geſpannt. „Daß der Wiesbauer Franzl bei ihr war,“ antwortete
der Burſche. „Du unverſchämter Lügner!“ ſchrie Leonhard, „was
für einen Beweis haſt du?“ „Meine Hand leg’ ich ins Feuer“,
betheuerte der Michel, „wenn’s nicht ſo iſt. Der Franz hatte
heute einen Strauß auf dem Hut von Enzian, Edelweiß und
Brunellen, wie ſie nur auf der Halſerſpitz ſo ſchön wachſen.“
Der Leonhard wußte nun nicht, auf wen er ſeinen Hauptzorn
werfen ſollte, das war ihm aber klar, daß ihm der Michel der
Verächtlichſte war, und deshalb fuhr er ihn wie wüthend an:
„Jch kenn’ mein Kind beſſer als du, und dir, Lügenbeutel, glaub’
ich kein Wort. Drum geh’ mir aus den Augen, ſonſt laß’ ich
dich hinausprügeln.“ „Jſt das der Dank dafür, daß ich euch aus
gutem Herzen warnen wollte?“ ſagte der Michel. Um noch mehr
zu wagen, war aber doch ſein Gewiſſen zu ſchlecht, und ſo zog
er denn vor, zu gehen, indem er, für den Alten noch hörbar,
vor ſich hin brummelte: „Was wahr iſt, bleibt doch wahr;“ und
wie er ſeinen Rücken ſalvirt wußte, dachte er: „Den Alten wurmt’s
doch, das weiß ich gewiß, und das iſt mir genug.“
20. Die Himmelsnacht.
Die Resl fühlte recht gut, welche Veränderung mit ihr
ſeit jenem Juhſchrei vorgegangen war. Jetzt war es ihr ganz
klar, daß ſie entweder dem Franz oder Keinem zum Altar folgen
werde. Wie ſollte ſie aber den Vater dafür gewinnen? und wie
erſt ſollte ſie ihm den Beſuch vom Franz beibringen? Jn dieſem
Punkt, das wußte ſie, dachte er ſo ſtreng, daß er unverſöhnlich
bös werden konnte. Dies alles machte ihr aber ſo viel zu denken,
daß ſie kaum merkte, daß ſeitdem wieder zwei Wochen verfloſſen
waren und die HimmelsnachtDie letzte Nacht vor dem Abzug von der Hochalpe.
heran kam. — Sie freute ſich,
wieder in’s Dorf zu kommen, und doch war es ihr auch weh-
müthig um’s Herz, daß ſie von ihrer Sennhütte ſcheiden ſollte,
wo ſie ſo ungeſtört an ihren braven Franz denken konnte. — Sie
ſehnte ſich, den Vater wieder zu ſehen, und doch hatte ſie nun
auch wieder Angſt davor. — Am Vorabend der Himmelsnacht
gibt es noch vielerlei Geſchäfte für die Sennerin. Sie füllt für’s
nächſte Jahr voraus ihren Bettkreiſter mit friſchem, weichem
Alpenheu, dann hat ſie alles noch fein ſauber zu putzen und ihr
Reiſegepäck wieder zu ordnen. — Jn der Himmelsnacht ſelber
ſtathat die Resl aber mehr gewacht als geſchlafen, und mehrmals
handſtand ſie auf, betrachtete den klaren Sternhimmel und dachte,
„wie wird’s über’s Jahr mit mir wohl ausſchauen?“ Die Heer-
den aber verlangen zur beſtimmten Zeit eben ſo nach der Heim-
reiſe, wie ſie im Frühling aus dem Dorf hinaus verlangen. —
Die Träger wurden wieder mit den Kraxen bepackt, die Heerden
losgelaſſen, und guten Muths und bei einem friſchen Luftzug,
der Ende Auguſt zuweilen ſchon mit leichtem Schneegeſtöber über
den Planberg ſtreift, ging der Zug in’s Thal zur Niederalm
herab. Die Resl ließ ſich aber den folgenden Tag von der Dirn
ablöſen und kehrte in’s väterliche Haus zurück. — Beim Wieder-
ſehen dachte der Adler an gar nichts, als daß er ſeine Resl
wieder hat, und ſchloß ſie ganz beglückt in ſeine Arme. Der
Waſtl war auch zum Empfang gekommen und theilte von ganzer
Seele die Feſtfreude. — Nun zog der Adler ſeine Tochter neben
ſich auf die Bank nieder und ſagte: „Du ſchauſt ja ſo friſch aus
wie ein Alpenrösl vom Blauberg!“ „Jſt mir auch immer gut
gegangen, Vater, gefehlt hat mir keine Stund’ was,“ erwiederte
ſie, „und der Frieden da oben war mir lieber als der ſchönſte
Tanz auf der Kirchweih.“ „Aber jetzt biſt du doch gern wieder
zu mir gekommen, gelt Resl?“ „Nun, das will ich meinen“,
ſagte ſie, „recht gefreut hab’ ich mich heim zu kommen.“ Nun
mußte ſie erzählen, wie es im Stall und auf den Weiden aus-
ſah, wie viele Kälber auf die Welt kamen u. ſ. w. — Auf ein-
mal drückte es den Waſtl, der von dem Beſuch des Franzl nichts
wußte, zu fragen, ob wirklich der Michel oben war, und ob ſie
ſo gar freundlich mit ihm gethan, wie er ſich gerühmt hat. „O
der ſchlechte Menſch!“ rief das Mädchen — eigentlich wollte die
Resl weder vom ſchlimmen, noch vom guten Beſuch ſogleich reden
=— nun erzählte ſie aber den ganzen Ueberfall. „Der miſerable
Kerl!“ ſchrie der Leonhard, „wie froh bin ich, daß ich ihm kein
Wort geglaubt hab’. Denk’ nur Resl, er wollte mir was vor-
machen, als wär’ der Franz bei dir geweſen.“ Die Resl er-
blaßte. „Was,“ rief der Adler, „es iſt doch nicht wahr?“ „Ja,
Vater,“ ſagte ſie feſt und ruhig, „es iſt wahr. Aber ſo gewiß
ich in den Himmel kommen will, er hat mir kein Wort geſagt,
das ich dem Vater nicht wieder ſagen könnt’.“ Aber ſchon beim
Ja kam der Adler einer Ohnmacht nah, und der Waſtl hielt
ihn und ſuchte ihn zu beruhigen: „Jetzt hör’ doch erſt die Resl
an, du weißt doch, daß du ihr alles glauben kannſt.“ „Resl,
Resl“, ſeufzte der Vater und hielt ſich beide Hände vor’s Ge-
ſicht, „das iſt mein Tod! — Aber red’, und ſag’ alles.“ Ruhig
und zuverſichtlich beichtete ſie nun über die Begegnung vor dem
Frauentag, und ſo ehrenwerth ſprach ſie über den Franz, daß
den beiden Alten die Augen feucht wurden. „Wenn es ſo iſt,
Resl“, meinte der Leonhard, und reichte ihr die Hand, „dann
will ich dir verzeihen. Aber der Franz, von dem ich eine ſo
gute Meinung gehabt hab’!“ „Aber Leonhard“, unterbrach ihn
der Waſtl, „haſt du mir denn nicht ſelber hier auf dieſem Fleck
geſagt, du hätt’ſt es dem Franz gar nicht verübelt, wenn er ſich
einmal noch nach der Resl umgeſchantumgeſchaut hätt’ und du ſelber hätteſt
es auch nicht anders gemacht, wie du jung warſt?“ „Hab’ ich
das geſagt, Waſtl?“ „Ja, freilich, Leonhard.“ „Nun meinet-
wegen“, brummte der Adler. „Aber wenn’s noch im Dorf ge-
weſen wär’ und nicht auf der Alm.“ „Ei was“, ſagte wieder
der Waſtl, „auf der Alm muß ſich ein braver Bua vor einem
ordentlichen Mädl noch mehr zuſammen nehmen, als vor aller
Welt, gelt, Resl?“ „Vater, das iſt ganz gewiß“, erwiderte ſie,
„er hat eine ſo feine und ſo fromme Art wie kein anderer
Burſch!“ „Nun, ſo ſoll’s ihm halt auch verziehen ſein“, ſagte
der Adler ſeufzend, „zu ändern iſt ſo nichts mehr. Aber ſchmerzen
wird’s mich noch lang’, d’rum reden wir lieber gar nicht mehr
davon.“ — Die Resl wußte nun, daß ſie alles hinunter ſchlucken
mußte, was ſie noch gern geſagt hätte, und Keiner nannte mehr
den Franz. — Als aber der Vater im Bett war, da lief die
Resl noch zur Leni und ſchüttete gegen ſie ihr ganzes Herz aus.
Dieſe theilte nun zuvor immer Leid und Freud’ mit der Freun-
din, aber heute war es der Resl ganz auffallend, daß ſie ihr
gar in Allem Recht gab und ihr mehr Hoffnung machte, als ſie
ſelbſt haben konnte. Zuletzt ſagte ſie: „Bau’ auf mich, Resl,
was ich dazu thun kann, das geſchieht gewiß.“ „Sonderbar!“
dachte die Resl beim Nachhauſegehen: „noch vor einem halben
Jahr hat die Leni ganz anders geredet. Wie ſich doch alles
ändern kann in der Welt!“
21. Ein großmüthiger Plan.
Der September dieſes Jahres zeigte ſich ſo beſtändig und
warm, daß der König noch ein Paar Wochen in ſeinem lieben
Tegernſee zubringen wollte. Jſt doch die Gebirgslandſchaft zu
dieſer Zeit oft am ſchönſten! Der Himmel bekommt ein immer
tieferes, faſt italieniſches Blau, die Lichter werden klarer, die
Schattirungen treten kräftiger hervor als im eigentlichen Som-
mer, und kein Gewitter ſtört leicht mehr die Ausflüge zu Schiff
oder zu Wagen. — Gleich in den erſten Tagen begegnete dem
König nahe der St. Quirinuskapelle der Wiesbauer Franz.
Sogleich rief er ihm entgegen: „Nun Franzl, wie hat deiner
Mutter das Bad angeſchlagen?“ „Gott ſei Dank, ſehr gut,
Herr König. Sie iſt ſchon ganz allein in die Kirch’ gegangen“,
lautete die Antwort. „Schön, das freut mich“, ſagte der hohe
Herr. „Aber wie wär’s, Franzl, wenn du dir jetzt auch ein-
mal für dich ſelber eine Gnad’ von mir ausbäteſt? ſag’ mir
doch, wie ſteht’s denn mit der ſchönen Resl? haſt du noch nicht
gefreit um ſie?“ „O Herr König“, ſagte der Burſch erſtaunt,
„wie könnt’ ich mir ſo etwas einfallen laſſen? Der Adler iſt
ein ſtolzer Bauer, die Resl das reichſte Mädl in ihrem Dorf,
und ich — du lieber Gott! mein ganzes Gütl iſt auf’s Höchſte
fünfhundert Gulden werth.“ „So“, wiederholte der König nach-
denklich, „500 fl. Aber du haſt doch wohl die Resl recht lieb,
nicht wahr?“ „O wie mein Leben, Herr König.“ „Und meinſt
Du denn, die Resl möchte dich heirathen?“ „Ja, ganz gewiß
auch noch“, war die bündige Antwort. „Wir ſind ſchon über-
eins gekommen, aber —“ „Nun dann braucht’s ſonſt nichts
mehr“, ſagte der König vergnügt. „Ueberlaſſe das Uebrige mir.
Behüt’ dich Gott, Franzl.“ Damit ſchritt er raſch weiter.
Der Franz aber ſchwenkte ſeinen Hut und ſah ihm etwas ver-
blüfft nach. — „Sonſt braucht’s nichts mehr?“ dachte er. „Mir
ſcheint aber, da braucht’s noch gar viel. Das verſteht halt der
Herr König nicht recht. Was er aber noch mit einem Uebrigen
gemeint hat, das verſteh’ ich nicht. Was Schlimmes war’s
aber gewiß nicht, ſonſt hätt’ er nicht gar ſo gut aus die Augen
herausgeſchaut.“ — Schon beim Hochzeitsſpiel hatte der König
überlegt, dieſes ſchöne Brautpaar müſſe auch ein Ehepaar wer-
den, und nahm ſich vor, wenn ſich ihre Herzen finden würden,
ihnen gegen jedes Hinderniß behilflich zu ſein. Wie aber Max
auch diesmal wieder erfinderiſch war, Andere glücklich zu machen,
das werden wir ſogleich ſehen.
Schon andern Tags ſchickte er einen Vertrauten ſeiner
Untergebenen, den er in ſeinen ganzen Plan einweihte, zum
Adlerbauer. Dieſen ſehen wir, wie ſchon einmal bei ähnlicher
Gelegenheit, mit ſeinem Pfeifchen im Mund vor ſeiner Thüre
ſitzen; und die Resl, fleißig wie immer, iſt diesmal auf dem
Heuboden beſchäftigt. — Der Bauer dachte: „was will der
feine Herr?“ ſtand auf und grüßte verbindlichſt. Der Ver-
traute des Königs aber ſagte, nachdem er den Gruß freundlich
erwiedert hatte: „Erlaubt, daß ich mich ein wenig zu Euch
ſetze.“ Der Bauer wollte dienſtfertig den großen Lederſtuhl
aus der Stube holen, allein der Fremde wehrte ab und nahm
neben ihm auf der Bank Platz. Dann entſpann ſich nach
einigen gleichgültigen Redensarten folgendes Geſpräch: „Jch bin
von höchſter Hand beauftragt, Euch zu fragen, ob Eure Tochter
frei und alſo noch mit keinem Burſchen verlobt iſt.“ – „Herr,
der reiche Kuglerſeppl will ſie ſchon lang, aber das Mädel mag
ihn nicht recht.“ — „Gut, und eines Andern Braut iſt ſie auch
nicht?“ — „Nein Herr, ſie iſt noch frei wie der Vogel in der
Luft.“ — „Nun dann hört! unſer allergnädigſter König intereſſirt
ſich für Euch und für Eure Tochter, und hat deshalb ſelbſt
einen Bräutigam für ſie ausgeſucht.“ — „Was? der Herr
König ſelber? nun das iſt gewiß eine prächtige Verſorgung?“ —
„Allerdings inſofern, als der Erwählte ein geſunder und braver
Menſch iſt, und ein Paar fleißige Arme hat, um ſeine Familie
zu ernähren; hierauf beruht doch das Hauptglück von zwei
jungen Leuten.“ — Der Alte hätte gar zu gern gefragt, ob
am Ende gar der Franz gemeint iſt, und hatte ſchon eine Menge
Gegengründe auf der Zunge, aber es fehlte ihm der Muth,
und deshalb wandte er nur ein: „Das iſt wahr, Herr, aber
mit nichts kann man doch keinen Haushalt gründen.“ – „Eure
Tochter iſt aber reich, wie ich hörte?“ „Den ganzen Bauern-
hof und was dazu gehört, ja, alles was mein iſt, Herr, das
bekommt meine Resl.“ — „Nun, das reicht doch aus, denke
ich.“ — „Das thät’s grad ſchon, aber eine Schand’ iſt’s, Herr,
wenn ſie einen heirathet, der gar nichts in’s Haus bringt.“ —
„Ah ſo! ich verſtehe, Jhr glaubt, Eure Ehre leidet darunter.
Was verlangt denn wohl der Anſtand, daß der Bräutigam mit-
bringt?“ — „Jch mein’ halt, ſo anderthalb tauſend Gulden
könnten’s grad thun.“ — „Alſo wenn der, den ich im Sinn
hab’, dieſe Summe mitbringt und ſonſt tadellos iſt, ſo gebt
Jhr ihm Eure Tochter?“ — „Herr, ich weiß ja gar nicht, wer’s
iſt, und ob meine Resl einverſtanden iſt.“ — „So thut mir
den Gefallen, ruft Eure Tochter, und erlaubt, daß ich ſie ſelbſt
frage.“ — „Resl! komm’ herunter“, rief der Alte. — Dieſe
hatte auch diesmal den Sinn des Geſpräches aufgefaßt, ſprang
in froher Ahnung herunter, und ſtellte ſich mit einem freund-
lichen Knix vor den Fremden. — „Sagt mir, Jungfer Theres“,
frug dieſer, „könntet Jhr Euch entſchließen, den Franz Wies-
bauer von Gmund zum Mann zu nehmen?“ — „Den Franzl“,
ſagte das Mädchen erröthend, „ja, Herr, den nehm’ ich gleich.“
„Was?“ ſchrie der Adler, „wie’s nur ein G’ſpiel war, da haſt
du dich ſo lang gewehrt, und jetzt, da ’s für’s ganze Leben gilt,
biſt du gleich dabei? Jhr Dirndeln ſeid’s doch ein geſpaßiges
Volk.“ „Ja, wißt’s Vater“, antwortete ſie, „jetzt kenn’ ich halt
den Franzl, und wir haben uns einander gern.“ „So, gern
habt’s Euch einander? ſchau’, das haſt du mir ja noch gar nicht
geſagt, daß Jhr ſo handelseins geworden ſeid.“ — Der Alte
ſchritt ein paarmal raſch auf und ab, zählte an den Fingern,
dann blieb er vor der Resl ſtehen und ſah ſie nachdenkend
an, — das Mädchen war aber jetzt mit den glühenden Wangen
noch ſchöner als ſonſt, — und unter dieſem Eindruck brach
denn die letzte Eiskruſte. „So mag’s halt g’ſcheh’n in Gott’s
Namen!“ rief der Adler, „wenn dem Herrn König ein Gefallen
geſchieht und du glücklich wirſt.“ — „Glücklich, Vater, werd’ ich
gewiß“, ſagte das entzückte Mädchen und fiel dem Vater um
den Hals. — „Alſo die Sache iſt fertig“, ſagte der Fremde.
Dann nahm er den Adler bei der Hand und fügte noch bei:
„Erlaubt, daß ich der Erſte bin, der Euch zu einem ſo braven
Schwiegerſohne Glück wünſcht. Seine Majeſtät wird ſich herz-
lich freuen. Jch denke, daß Franz noch heute kommt, um zu
freien. Gehabt Euch wohl.“ Damit verließ er den Adlerhof.
22. Der vortheilhafte Hausverkauf
Ein Paar Stunden nachher fuhr ein leichtes Fuhrwerk
aus dem königlichen Schloßhof und den See entlang nach
Gmund. Derſelbe Vertraute trat in’s Wiesbauerhaus, wo er
den Franz und deſſen Mutter eben bei einer Schüſſel Milch
beiſammen fand. Nach dem üblichen gegenſeitigen: „Grüß Gott!“
ſagte der Fremde friſch heraus, der König habe Luſt das Haus
mit allem was dazu gehört zu kaufen, und biete dafür die
Summe von tauſend Gulden. „Mein Häuſel“, frug der Franzl
erſtaunt, „hat dem Herrn König ſo gut gefallen? es ſind ja
doch wohl ein Dutzend ſchönere in Gmund, und tauſend Gulden
ſind ja viel zu viel, iſt’s doch kaum die Hälfte werth.“ — „Ei
nun“, erwiederte Erſterer lächelnd, „wenn es Seine Majeſtät ſo
hoch ſchätzt, ſo werdet Jhr doch nicht böſe darüber ſein?“ „Bei-
leib“ ſagte der Franzl, „ich bin ja ganz dankbar, aber verſtehen
kann ich das Ding nicht.“
„Verſteht Jhr’s denn vielleicht beſſer, wenn ich Euch an-
kündige, daß unſer gnädiger König Euch noch fünf hundert Gul-
den dazu ſchenken will, und daß Jhr dann um die ſchöne Adler-
resl, die ſchon einmal Eure Braut vorſtellte, in Wirklichkeit
freien könnt?“ „Was? um meine Resl?“ frug Franz, „wär’s
denn möglich?“ „Jch ſelbſt habe die Zuſage des Adlers, und
die ſchöne Resl erwartet Euch.“ „Herr, ich werd’ ein Narr
vor Freud’!“ ſchrie Franz und griff mit beiden Händen nach
ſeinem Kopfe. — „Das wäre ſehr zur Unzeit“, meinte der
Fremde. „Zieht Euch lieber hübſch an, und fahrt gleich mit
mir bis Tegernſee, damit Jhr um ſo viel früher zu Eurer
Braut kommt.“ Mit dem Ausruf: „Mein Gott! wie hab’ ich
denn all’ das Glück verdient!“ ſprang der Franzl in die Ober-
ſtube hinauf, und die alte Mutter, nicht wiſſend, ob ſie träume
oder wache, weinte laut vor Rührung über die königliche Gnade. —
Nach 10 Minuten fuhr das flotte Fuhrwerk nach Tegernſee
zurück, und von da eilte der Franzl im Sturmſchritt dem Adler-
hof entgegen. Die Resl hatte ſich fein herausgeputzt, und ſo-
gar am Adler ſehen wir einen ſchönen Rock und — was noch
mehr iſt — ſein beſtes Feiertagsgeſicht. — „Grüß Euch Gott
tauſendmal!“ — rief Franz, als er eintrat, und reichte eine
Hand dem Adler, die andere der Resl. Dann frug er dieſe
mit bewegter, faſt zitternder Stimme: „Resl! iſt’s denn jetzt
kein G’ſpiel mehr?“ „Nein, Franz“, erwiederte ſie mit ſeelen-
vergnügtem Geſicht, „es iſt kein G’ſpiel mehr. Diesmal iſt’s
wirklich und wahrhaftig Ernſt.“ — „O du herzliebe Resl!“
rief der Glückliche und drückte das Mädchen feſt an ſeine Bruſt.
„Schau’, mich fragt’s gar nicht, ob ich einverſtanden bin“, brum-
melte der Alte. — „Der Herr König hat mir’s ja ſagen laſſen,
daß Jhr eingewilligt habt, Vater“, ſagte der Franzl und be-
theuerte, wie er die liebe Resl ſo glücklich machen wolle, als
es nur immer in ſeinen Kräften ſteht. „Nun, ſo werdet halt
in Gott’s Namen ein Paar“, ſagte der Adler mit weicher
Stimme; „und wenn Jhr ſo froh mit einander ſeid, wie ich
mit meinem ſeligen Weib gelebt hab’, dann könnt’s ſchon zu-
frieden ſein.“ — Unter Lachen, Scherzen und munterem Ge-
plauder entſchwanden die letzten Abendſtunden wie im Flug. —
Jm Dorfe aber verbreitete ſich die Kunde, die Resl habe
ſich mit dem Franzl verlobt, wie durch einen Zauberſchlag.
— Wie wüthend ſtampfte der Michel auf den Boden und tobte:
„Das muß ich auch noch erleben! Umbringen könnt’ ich Jeden,
der mir in den Weg kommt.“ — Sogleich ſuchte er den Seppl
auf, den er aber zu ſeinem Aerger weit ruhiger fand, als er
ſich’s gedacht. „Das ertragſt du“, frug er, „daß dir die Resl
untreu geworden iſt? mit Fingern werden ſie auf dich zeigen,
daß du dich gar nicht mehr kannſt ſehen laſſen.“ „Was ſoll ich
machen?“ antwortete der Seppl, „ich kann’s Mädel nicht zwingen.“
„Freilich nicht, aber am Franz kannſt du deinen Zorn aus-
laſſen“; und etwas leiſer ſetzte Michel hinzu: „Jch will dir be-
hilflich ſein. Wenn er heut’ am Abend heim geht, ſo fangen wir am
Weg einen Streit mit ihm an, und“ — dabei zeigte er auf ſein
Meſſer — „ein Stich, und aus iſt’s mit Brautſchaft und Hoch-
zeit. Kein Menſch kann hernach herausbringen, wer angefangen
hat.“ „Du Verführer! Du Mörder!“ ſchrie Seppl. „Hätt’
ich mich doch nie mit dir eingelaſſen! jetzt möchteſt du mich gar
noch dazu bringen, daß ich wegen einem Mädel in’s Zuchthaus
und zuletzt in die Höll’ kommen ſoll? — wenn du dich nicht
gleich packſt, ſo zeig’ ich dich an.“ — „Nu, nu“, murmelte der
Michel mit verbiſſenem Aerger, „es war ja nicht ſo ſcharf ge-
meint. Man hätt’s halt einmal drauf ankommen laſſen, wer
von uns drei der Stärkere iſt.“ — Anſcheinend ruhiger ging er
hinweg; innerlich nahm er ſich aber vor: „Aus muß es werden
mit dem Gmund’ner, und wenn’s mich meinen Kopf koſtet, das
Leben freut mich doch nicht mehr.“ — Jm Seppl aber hatte
durch dieſen Vorfall, der ihn in einen furchtbaren Abgrund blicken
ließ, die frühere gute Natur wieder vollkommen die Oberhand
gewonnen. Zugleich kam ihm das Bild eines anderen Mädchens
in den Sinn, das ihm in letzter Zeit ſchon manchmal hübſcher
vorkam, als die Resl, welche er doch — dies fühlte er jetzt —
mehr aus falſchem Ehrgeiz als aus Neigung gefreit hätte, und
er dachte: „da gibt’s eine ganz andere Art, ſich zu rächen, die
keinem Menſchen einen Schaden bringt.“ — Am ſpäten Abend
nahm nun der Franz von ſeiner Braut und dem künftigen
Schwiegervater Abſchied, und zwar mit dem Verſprechen, bald
wieder zu kommen, der Resl aber verſprach er noch dazu, ihr
am andern Morgen ein goldenes Ringel zu ſchicken. — Kaum
war er jedoch fort, als die Resl ein unerklärliches Angſtgefühl
überkam. „Wenn dem Franz auf dem Heimwege ein Unglück
geſchäh’!“ dachte ſie, und immer ſchwerer und ſchwerer ward’s
ihr um’s Herz, ſo daß ſie ſich verlobte, eine Wallfahrt auf den
RiedererſteinEin Wallfahrtskirchlein auf ſchroffer Felſenhöh’ unweit unſerem Thal.
zu machen, wenn ihr lieber Franz gut heim-
kommt. — Franz ging, mit allen Gedanken in ſein unerwartetes
Glück verſenkt, ruhig ſeine Straße dahin. Es war eine recht
dunkle Nacht, aber den Weg kannte er ja und Furcht war ihm
fremd. — Plötzlich flog ein Adler, der nicht fern dieſer Stelle
auf ſteiler Berghöhe ſein Neſt hatte, mit ſchwerem Flug über
ſein Haupt. Dies weckte den Franz aus ſeinen Träumen, und
als er um ſich blickte, glaubte er wenige Schritte von ſich im
Geſträuch eine kleine Bewegung und — wenn’s nicht Täuſchung
war — ein Paar blitzende Augen zu ſehen. Unverzagt ging er
auf die unheimliche Stelle los; da ſprang der Michel mit ge-
zücktem Meſſer auf ihn zu. Franz parirte aber den Stoß, und
wie ſchon früher einmal dem Feind, ſo fiel er jetzt ſeinem Mörder
mit Gewandtheit in den Arm. Ein kurzes Ringen, Franz hatte
das Meſſer in ſeiner Gewalt, und mit ſeiner ganzen Kraft ſchleu-
derte er’s ins dunkle Dickicht hinaus. — Jetzt erſt beſah er ſich
ſeinen Angreifer genauer und erkannte ihn. „Du biſt es!“ ſagte
er, „du Schurke haſt dich noch einmal an mich getraut? weißt
du, daß ich dich morgen an den Galgen bringen kann?“ „Thu’
was du magſt!“ war die trotzige Antwort. „Weil dein Haß nur
auf mich geht“, ſagte Franz, „ſo will ich dich laufen laſſenDie Bauern geben überhaupt nicht leicht einander an.
.
Kommſt du mir aber noch einmal in den Weg, das merk’ dir!
dann geht’s dir ſchlecht.“ — Mit einem Fluch verließ ihn der
Michel, und Franz ging mit einem innigen Dankgebet zu Haus.
23. Des Böſen Ende.
Am andern Morgen erwartete die Resl von Stunde zu
Stunde das goldene Ringlein, denn ſein Eintreffen konnte ihr
ein Zeichen ſein, daß ihr Verlobter geborgen iſt. Aber nichts
kam, und bis Mittag war ihre Angſt um ihn ſo geſtiegen, daß
ihr faſt die Sinne vergehen wollten.
Endlich, endlich kam ein Kind und berichtete in ſeiner ganzen
Unſchuld, daß ſie der Wiesbauer Franz ſchön grüßen läßt, da
ſchicke er das verſprochene Ringel, und dazu laſſe er ihr noch
ſagen, daß er ſchon Recht gehabt, die Muttergottes müſſe die
Resl recht lieb haben, weil er geſtern vor einem großen Unglück
bewahrt blieb. „Jeſus, Maria!“ rief die Resl, „was iſt denn
g’ſchehen?“ „Jch weiß nix“, antwortete das Kind, „aber er will
bald ſelber kommen und alles erzählen“, und ſo kehrte es denn
mit einer ſchönen Belohnung aus Resl’s Hand vergnügt nach
Gmund zurück. — Nach zwei Tagen kam dann der Erſehnte
wirklich zum Beſuch in den Adlerhof. „Gott ſei Dank!“ rief
ihm das Bräutchen entgegen, „du biſt friſch und geſund! welcher
Gefahr biſt du denn entgangen?“ Hierauf ſchilderte er den ganzen
Vorgang an ſeinem Verlobungstag, und die Resl, die ganz blaß
wurde und am ganzen Körper zitterte, ſagte, als er geſchloſſen
hatte: „Du liebe Frau ! gleich morgen geh’ ich aber auf den
Riedererſtein.“
Kaum hatte ſie dies ausgeſprochen, als die Luxbäuerin
mit dem Ausruf hereinſtürzte: „Wißt ihr ſchon, was für ein
entſetzliches Unglück geſchehen iſt?“ „Was denn?“ frugen
alle in der Stube. „Der Michel“, fuhr Jene fort, „der ſchon
ſeit zwei Tagen nicht mehr heim kam, wurde in der Langenau
todt aufgefunden.“ „Gott ſei ihm gnädig!“ tönte es aus
eines Jeden Mund. — Aus Angſt vor dem Gericht hatte er
ſich wirklich nicht mehr in’s Dorf zurückgetraut. Er ſtreifte
Tag und Nacht in den Bergen und Wäldern herum, und da
geſchah es denn, daß er ſich in der Finſterniß mit ſeiner ge-
ladenen Büchſe im Geſträuche verwickelte, der Lauf entlud ſich
und der ganze Schuß ging ihm in den Leib. — „Gebe Gott“,
ſagte der Franz mitleidig, „daß er vor ſeinem End’ noch Reu’
und Leid gemacht hat.“ „Es iſt zu hoffen“, meinte die Bäuerin,
„denn er hatte die Hände gefaltet“. „Gott gebe ihm die ewige
Ruh’!“ ſagten ſie einſtimmig. — An der Stelle aber, wo man
ihn gefunden hatte, wurde ſpäter zum traurigen Andenken ein
ſchwarzes Kreuz errichtet, das heute noch Jeder ſehen kann, der
in der Langenau ſpazieren geht. — „Aber auch eine fröhliche
Botſchaft bringe ich“, ſagte die Bäuerin nach einer kleinen
Pauſe, „daß ſich die Leni mit dem Seppl verlobt hat, und in
ſechs Wochen iſt die Hochzeit.“ – „Jetzt wird’s mir klar“,
rief die Resl vergnügt, „warum ſie ſo froh war, daß mir der
Franz lieber iſt als der Seppl. Nun, mich freut’s von Her-
zen!“ — Um aber gleich dieſen fröhlichen Moment feſtzuhalten
und die früheren traurigen Geſpräche zu verwiſchen, holte der
Franzl ſeine Zither, legte ſie vor ſich auf den Tiſch und fing
an eine Menge der anmuthigſten Ländler und Lieder zu ſpielen.
Mit Entzücken hingen die Augen der Resl an den geſchickten
Fingern ihres geliebten Franz, und der Alte in ſeinem be-
quemen Lederſtuhle und neben ihm die Luxbäuerin lauſchten mit
nicht weniger Vergnügen den traulichen Tönen dieſes ober-
bayeriſchen Nationalinſtrumentes.
24. Das ſchönſte Feſt.
Jm Adlerhof ſollte noch im September Hochzeit ſein,
denn der König ließ den Wunſch laut werden, daß ſie noch
ſtattfinden möge, ehe er in ſeine Reſidenz zurück kehrt. Es
koſtete aber große Anſtrengungen, mit allen Vorbereitungen
dazu fertig zu werden, denn der Adler dachte: „Bekomme ich
auch nicht den reichſten Schwiegerſohn, ſo will ich wenigſtens
eine Hochzeit halten laſſen, ſo glänzend, wie ſeit lange keine
geſehen wurde.“ Er wollte auch dem jungen Paar, bis auf
einen kleinen Antheil, das ganze Haus überlaſſen, und für die
Mutter des Franz kaufte die Resl aus ihren erſparten Kreuzern
ganz in der Nähe ein recht nettes Häuschen. — Auch die Leni
war eine ſehr vergnügte Braut, und der Zukunft etwas vor-
greifend, können wir hier einſchalten, daß mit ihr auch im
Kuglerhof wieder Friede und Freude ihren Einzug hielten. Die
Ehe wurde eine durchaus glückliche, und die Leni wußte ein ſo
angemeſſenes und doch ſanftes Regiment zu führen, daß es nicht
allein dem Seppel unmöglich geweſen wäre, nur einen Anſatz
zu irgend einer Ausſchweifung zu machen, — ſogar der alte
Jakob wurde durch das gute Beiſpiel ſeiner Kinder wieder ganz
manierlich und mäßig, und ſeine Stafi erlebte noch gute Tage
an ſeiner Seite. — Beſondere Freude machte es aber jetzt der
Leni, daß ſie bei ihrer lieben Resl, und zwar zum zweiten
Mal, Brautjungfer werden konnte. — Nach vierzehn Tagen
verkündeten wieder Böllerſchüſſe einen Brautzug, wie vor einem
Vierteljahre zu Tegernſee. Diesmal ertönte aber auch feier-
liches Glockengeläute, und beim hellſten Sonnenſchein ſtieg die
feſtliche Verſammlung, an welcher das ganze Dorf und Viele
aus der Umgegend Antheil nahmen, den Hügel hinauf zur
Kirche. — Dort war ein feierliches Hochamt mit Geſang, Trom-
peten und Pauken, dann folgte, wie gewöhnlich (zur Erinnerung
an die Hochzeit von Kanaan), der ſchöne Gebrauch, daß der
Prieſter Wein in einem Kelche weiht, und dieſen zuerſt dreimal
dem Bräutigam, dann dreimal der Braut und zuletzt den ande-
ren Hochzeitsgäſten zum Trunke darreichte; und hierauf folgte
die Trauung. — Nach dem kirchlichen Akte bewegte ſich der
Zug zurück in’s Dorf, wo der Feſtſaal mit fürſtlichem Reich-
thum und ſo viel wie möglich in Nachahmung des Tegernſeer
königlichen Tanzſaals geſchmückt war.
Auch das Mahl war ſo reichhaltig, daß ſich die Tiſche
darunter hätten biegen mögen; und wer könnte ſich nicht leicht
vorſtellen, in welchem Wonnegefühl das liebliche Brautpaar
heute gleichſam ſtrahlte. — Nach einiger Zeit fuhr ein könig-
licher Wagen an, und unter donnerndem Jubel trat der König
ein. Auch heute unterhielt er ſich wieder mit Jedem gleich
leutſelig, und das Brautpaar konnte nicht genug ſeinen Dank
ausſprechen gegen ſeines Glückes Gründer, vor dem es nun zum
zweiten Mal als ſolches ſtand. — Mehreren Nationaltänzen
wohnte der König bei, und beim Schuhplatteln ſprang Franz
ſo hoch wie kein Anderer, und dann nahm er wieder ſeine Resl
in den Arm und flog mit ihr durch den Saal, indem er einen
Juhſchrei erſchallen ließ, faſt ſo ſtark wie damals auf der Halſer-
alm. — Unter Zurufen und Hüteſchwingen verließ nach dieſem
Tanz der Monarch in heiterſter Laune den Adlerhof. Als aber
bald darauf ein königlicher Diener ein prachtvolles Hochzeits-
geſchenk für das Brautpaar überbrachte, da brach neuer, ſtür-
miſcher Jubel los, und die Vivat’s auf den guten Vater Max
wollten gar nicht enden. — Zugleich erfaßte nun Jung und
Alt eine Tanzluſt, als hätte ſie alle eine Tarantel geſtochen.
Der Adler, welcher meinte: „eine ſolche Ehre wie ihm ſei doch
noch Keinem wiederfahren“, holte ſich eine hübſche Brautjungfer,
und tanzte ſo flott, wie vor dreißig Jahren. — Der Waſtl,
der Letner und die andern alten Kameraden folgten ſeinem Bei-
ſpiel, und als des Bräutigams altes Mütterchen ſagte: „iſt
denn heut’ die ganze Welt pudelnärriſch geworden?“ antwortete
ein junger Burſche: „Ja, Frau Mutter, heut’ dürfen wir alle
pudelnärriſch ſein“, und damit nahm er die Alte unter dem
Arm, und — hinkend oder hüpfend, das war alles Eins, —
ſie mußte mit in den Knäuel und ſich mit den Andern herum-
drehen.
Wahrhaftig, eine ſo luſtige Hochzeit ſieht das Thal vielleicht
in hundert Jahren nicht wieder! — Wir wollen aber jetzt aus
der munteren Geſellſchaft und zugleich aus dem lieben, traulichen
Gebirgsthal ſcheiden, indem wir den braven Neuvermählten einen
recht langen und glücklichen Eheſtand wünſchen.
Leipziger Vereinsbuchdruckerei.