Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Ein Dichterdilettant schickte Piron einen Fasan. Am Was nun die Ordnung, Wahl, Quantität und Qualität Im sechszehnten Jahrhundert fing man in Deutschland die Man lege aber den Gästen nicht zu viel Suppe vor; denn Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge- Ein Dichterdilettant ſchickte Piron einen Faſan. Am Was nun die Ordnung, Wahl, Quantitaͤt und Qualitaͤt Im ſechszehnten Jahrhundert fing man in Deutſchland die Man lege aber den Gaͤſten nicht zu viel Suppe vor; denn Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0224" n="210"/> <p>Ein Dichterdilettant ſchickte <hi rendition="#g">Piron</hi> einen Faſan. Am<lb/> andern Tag kam er und zog ein Trauerſpiel aus der Taſche.<lb/> „Ich merke den Pfiff, rief <hi rendition="#g">Piron</hi>, da nehmen Sie Ihren<lb/> Faſan wieder!“</p><lb/> <p>Was nun die Ordnung, Wahl, Quantitaͤt und Qualitaͤt<lb/> der aufzutragenden Speiſen betrifft, ſo moͤchte Folgendes hierher<lb/> gehoͤren.</p><lb/> <p>Im ſechszehnten Jahrhundert fing man in Deutſchland die<lb/> Mahlzeit bald mit dem Braten an und hoͤrte mit der Suppe<lb/> und dem Gemuͤſe auf, bald war es umgekehrt. Aber die liebe<lb/> Suppe durfte und darf außer England nirgends fehlen. Dem<lb/> iſt nun einmal ſo. Daß man die Suppe, die ſchon <hi rendition="#g">Hippo-<lb/> krates</hi> fuͤr Geſunde unſtatthaft findet, die proſaiſche Suppe, —<lb/> eine Supp’ aus Bruͤh, ein Ding, das ſelten vorkommt in der<lb/> Poeſie, wie <hi rendition="#g">Byron</hi> ſagt, — daß man die Suppe aber zuerſt<lb/> und nicht zuletzt aufzutragen habe, bedarf fuͤr einen einfach<lb/> geſunden Sinn gar keiner weiteren Auseinanderſetzung. —<lb/> „Suppe nach Fleiſchſpeiſen!“ laͤßt <hi rendition="#g">Shakeſpeare</hi> in <hi rendition="#g">Troilus</hi><lb/> und <hi rendition="#g">Kreſſida</hi> den <hi rendition="#g">Pandarus</hi> veraͤchtlich ſagen, als nach<lb/><hi rendition="#g">Hektor</hi> allerlei ſchlechtes Volk voruͤberzieht, und auch der be-<lb/> kannte Ausdruck „Loͤffeln“ bezeichnet ſehr treffend einen mehr<lb/> praͤludirenden, an ſich ungenuͤgenden Genuß.</p><lb/> <p>Man lege aber den Gaͤſten nicht zu viel Suppe vor; denn<lb/> die Suppe iſt und ſoll fuͤr den Eſſer nichts weiter ſein, als das<lb/> Klopfen des Kapellmeiſters als Zeichen, daß nun die Ouver-<lb/> ture beginne, fuͤr das Orcheſter. Es iſt noch kein Accord,<lb/> nicht der Anfang ſelbſt, ſondern lediglich eine Ankuͤndigung des<lb/> bevorſtehenden Anfangs.</p><lb/> <p>Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge-<lb/> ſottene Rindfleiſch, welchem jene ihre Exiſtenz verdankt, ohne<lb/> welche ſie gar nicht auf der Welt waͤre. Und dieſes ab- und<lb/> ausgekochte, ſaft- und kraftloſe Faſergewebe, welches ſchon als<lb/> Mittel zu einem andern Zweck gedient, dieſes Caput mortuum,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [210/0224]
Ein Dichterdilettant ſchickte Piron einen Faſan. Am
andern Tag kam er und zog ein Trauerſpiel aus der Taſche.
„Ich merke den Pfiff, rief Piron, da nehmen Sie Ihren
Faſan wieder!“
Was nun die Ordnung, Wahl, Quantitaͤt und Qualitaͤt
der aufzutragenden Speiſen betrifft, ſo moͤchte Folgendes hierher
gehoͤren.
Im ſechszehnten Jahrhundert fing man in Deutſchland die
Mahlzeit bald mit dem Braten an und hoͤrte mit der Suppe
und dem Gemuͤſe auf, bald war es umgekehrt. Aber die liebe
Suppe durfte und darf außer England nirgends fehlen. Dem
iſt nun einmal ſo. Daß man die Suppe, die ſchon Hippo-
krates fuͤr Geſunde unſtatthaft findet, die proſaiſche Suppe, —
eine Supp’ aus Bruͤh, ein Ding, das ſelten vorkommt in der
Poeſie, wie Byron ſagt, — daß man die Suppe aber zuerſt
und nicht zuletzt aufzutragen habe, bedarf fuͤr einen einfach
geſunden Sinn gar keiner weiteren Auseinanderſetzung. —
„Suppe nach Fleiſchſpeiſen!“ laͤßt Shakeſpeare in Troilus
und Kreſſida den Pandarus veraͤchtlich ſagen, als nach
Hektor allerlei ſchlechtes Volk voruͤberzieht, und auch der be-
kannte Ausdruck „Loͤffeln“ bezeichnet ſehr treffend einen mehr
praͤludirenden, an ſich ungenuͤgenden Genuß.
Man lege aber den Gaͤſten nicht zu viel Suppe vor; denn
die Suppe iſt und ſoll fuͤr den Eſſer nichts weiter ſein, als das
Klopfen des Kapellmeiſters als Zeichen, daß nun die Ouver-
ture beginne, fuͤr das Orcheſter. Es iſt noch kein Accord,
nicht der Anfang ſelbſt, ſondern lediglich eine Ankuͤndigung des
bevorſtehenden Anfangs.
Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge-
ſottene Rindfleiſch, welchem jene ihre Exiſtenz verdankt, ohne
welche ſie gar nicht auf der Welt waͤre. Und dieſes ab- und
ausgekochte, ſaft- und kraftloſe Faſergewebe, welches ſchon als
Mittel zu einem andern Zweck gedient, dieſes Caput mortuum,
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